Johannes Richard zur Megede
Das Prinzessinlächeln
Johannes Richard zur Megede

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Siebentes Kapitel

Am andern Tage fuhr er. – Noch einmal eine Nacht wie die letzte in dem Wirbel von Haß und Liebe, während Stechelbergs unter ihm ruhig schliefen – nein! Was für gesunde Nerven schon Höllenqual sein mußte, war Mord für kranke. Er verteilte Trinkgelder wie ein Fürst. Was lag am Geld? Er hatte die Schätzung vollkommen verloren. ›Es kann ja auch nicht mehr lange dauern.‹ Das war sein Trost – der einzige. Seine Sachen ließ er gepackt zurück, bis auf eine Plaidrolle mit dem Nötigsten. Er wollte fliehen und wußte doch genau, daß er zurückkehren würde, müßte.

Er hatte einen Wagen genommen nach dem Kreuzberg in der Rhön. Er gedachte dort einige Tage bei den Mönchen im Kloster zu bleiben. Wie Ekkehard das Fläschchen Jordanwasser über sein Haupt ausschüttete in dem thörichten Wahn, mit einer Glaubensillusion allein die Glut der Gedanken zu ertränken und der Sinne, so überkam einen andern Thoren die Sehnsucht nach dem Kloster, der stummen, gläubigen Einsamkeit auf der Berghöhe. Als wenn dort die sanftgütige Gotteshand sichtbar wirken müßte! – Frieden! – Zu den beiden seltsamen Amuletten, die er immer bei sich trug, gedachte er ein drittes zu gesellen, das ihm von ferne schon zu leuchten schien.

Es regnete noch immer. Aber der bayrische Postillon in dem hellblauen Rock mit den weißen Fangschnüren blies zur Abfahrt ein lustiges Lied. Die Hotelgäste schauten aus den Fenstern und waren unklar, ob sie dem lustigen Posthorn mehr trauen sollten oder dem grämlichen Barometer. Die Fahrt ging durchs Saalthal, und der Postillon blies unermüdlich. Der Afrikaner, den abwechselnd die Wogen 376 des Hasses umbrandeten und die Wellen der Liebe umschmeichelten, hörte kaum auf den frischen, fröhlichen Klang. Er sah die Zukunft vor sich. Kein Ausweg! Wenn man den Mann haßt, die Frau liebt und selber ehrlos ist . . . Und doch versuchte er, einen Ausweg zu finden. Wenn er nicht mehr zurückkehrte? Was lag an dem Bettel, den er im Hotel zurückließ? – Sein Schiffsplatz lautete: Zanzibar und zurück. Es kostete nur einen mutigen Entschluß, und wenigstens die Seele war gerettet. Aber im Ernste dachte er doch nicht ans Gehen. Er wußte, daß ohne die Frau das Leben für ihn zu Ende war. Und dann – sie verlassen! Sie, die dann mit dem Manne zurückblieb, den sie haßte, und von dem ihre weiche Natur doch nie loskommen würde! Das wäre Flucht gewesen, feige Flucht.

Mit dem Manne! – Jetzt, wo er alles zu wissen wähnte, ihn zu kennen, ihn genau zu kennen glaubte, diesen leeren, höflichen Schuft, der einen Engel unglücklich machte, sich an seinen Qualen vielleicht noch weidete! Nein, wenn es für ihn auf dieser Welt noch irgend zu thun gab – zum erstenmal tauchte in ihm schrecklich deutlich der Gedanke an einen Mord auf, an einen wirklichen Meuchelmord. Er wies ihn mit Abscheu zurück. ›Nein, niemals! Ein Henk . . .!‹ Und wieder sah er den Mann vor sich, die Lippen kaum bewegt, das halbe Lächeln. Verdiente der etwas Besseres? Gab es überhaupt noch eine andre Lösung? »Leid thun, nur leid thun!« Wie schrecklich bitter dieser Trank noch in der Erinnerung schmeckte! Einen räudigen Hund stößt er mit dem Fuße weg, ein räudiger Mensch kann einem nur leid thun. Es waren nur finstere Gedanken, die er wälzte, eine tiefe Düsternis, von dem Racheleuchten schrecklich erhellt.

Und je tiefer der Mann ihm sank, um so höher stieg ihm die Frau! Er sah die Märtyrerkrone auf 377 dem jungen, schönen Haupt, er fühlte das fressende Leid, als wär's sein Herz, das litt. Und wenn er eine Todsünde beging? Er beging sie nicht für sich, er beging sie für sie, für eine Heilige . . . Sie frei machen, selber sterben, im Tod noch lächelnd, weil der doch süß . . . Er redete sich ein, daß eine große Moral nie nach dem »Wie« fragt, nur nach dem »Warum«. Der Krieg, die Schlacht, der Tod von Tausenden – und wer wagt, den Staatsmann, den Feldherrn dafür verantwortlich zu machen, der damit eine große Mission erfüllt? Die Kirche segnet, die Frauen rufen »Hosianna«, die Kinder schließen den großen Mörder in ihr stammelndes Gebet ein. Und der Gedanke an Mord, den er immer wieder verscheuchte, weil er stets niedrig, häßlich, vor allem, weil der andre wehrlos, was seiner geraden Natur am stärksten widersprach, verdichtete sich doch rasch zu einem schauerlichen, unfaßbaren Etwas, das nicht mehr von seiner Seite wich.

Und die Frau stieg höher, immer höher. Er sah sie kaum noch, sie schwebte in Wolken. Es war ein beinahe religiöser Fanatismus, mit dem er für diese holde Schwäche empfand, die Geliebte wurde zur Heiligen, der der inbrünstige Glaube nur den Saum küßt.

Diese zwei Tage beschaulicher Einsamkeit waren dem verdüsterten Menschen Gift, weil nichts ihn ablenkte, die praktische Vernunft heischte das nüchterne Wägen. Der düstere Wald, das graue Kloster, der Blick über eine endlose Monotonie von Bergen und Thälern schweifend. Und dieser Regen, der unaufhörlich rauschte! Der Kranke vermochte nicht einen Bissen zu essen, er trank nur von dem selbst gebrauten Bier, das die zwischen Beten und Handwerksarbeit ergrauten Brüder ihm gern kredenzten.

In der zweiten schlaflosen Nacht fühlte er das 378 Fieber stärker werden, die Sinne schwinden. Und in dem Gruftgeruch der Zelle, in der lastenden Dunkelheit überkam ihn eine atemlose Angst, als habe er schon zu lange gezaudert, als sei's zu spät. Der Fittich des Todes streifte ihn kalt. Das war ihm wie ein Zeichen.

Nur noch nicht sterben, vor der Zeit!

Das waren Fiebergedanken, Wahnideen, er war nicht für sie verantwortlich. Aber auch ein Arzt hätte ihm nicht mehr helfen können, er war bereits mitten drin in dem Strudel, der ihn töten mußte.



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