Johannes Richard zur Megede
Das Prinzessinlächeln
Johannes Richard zur Megede

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Erstes Kapitel

Darf ich das Fenster schließen?«

»Aber es ist so furchtbar heiß!«

»O bitte, dann auf keinen Fall . . .«

Es war der Durchgangswagen Frankfurt-Kissingen. Ein Coupé zweiter Klasse. Ein sinkender Junitag. Die fernen Waldhöhen des Spessart erglühten im letzten Sonnenglanz. Ueber den blumigen Waldhang, der bis zum Bahndamm hinabstieg, strich kosend der frische Abendhauch. Der rote Fingerhut nickte müde, die hohen Blütengräser beugten sich raunend . . . Der niederrieselnde Frieden, die gliederlösende Nacht.

Während der kurzen Debatte hatten sich die beiden Insassen des Coupés einen Augenblick mit feindseliger Höflichkeit angestarrt. Sie war barmherzige Schwester mit blondem Scheitel und dreisten Blauaugen, aber nicht jung und von einer sichtlichen Vorliebe für Reinlichkeit und frische Luft. Ein Mann, der keinen Zug verträgt! . . . Sie fühlte beinahe Verachtung für diesen Schwächling, der seit Stunden unbeweglich in der äußersten Ecke saß, den Kopf mit der Reisemütze gesenkt, das graue Plaid heraufgezogen. Es war noch dazu ein junger Mensch – kaum dreißig – eine schlanke Mittelfigur, mager, sehnig, in dem bartlos braunen Gesichte sprang die gebogene Nase scharf hervor. Offizier? Landwirt? – Von beiden hatte er etwas. ›Und verträgt keinen Zug!‹ . . . In dem 292 Moment hob der Mann langsam die Augen. Schöne, heiße, kranke Dunkelaugen.

»Ich werde das Fenster sofort schließen,« sagte die Dame rasch. »Sie fiebern ja.«

Er rückte langsam näher. »Ja, es fängt wieder an . . . Sie sehen, es war nicht etwa Weichlichkeit vorhin – ich bin wirklich krank.«

»Wohl eine starke Erkältung?«

»Malaria.«

»Wo haben Sie sich die hergeholt?« fragte sie mit dem natürlichen Interesse ihres Berufes.

»Auf einer italienischen Vergnügungsreise nicht, sondern wärtser, viel wärtser!« Er machte eine Bewegung mit der Hand nach weiten Fernen. Es war auch eine kranke, verbrannte Hand. »Man wandelt eben nicht ungestraft unter Palmen!«

»Ach, Sie kommen aus Ostasien!«

»O nein.« Er schwieg einen Augenblick und sah auf die Erde. »Das mit den Palmen ist nämlich nicht bloße Redensart. Ich habe mal in der Sahara die Nacht unter einer Palme geschlafen. Es ist lange her. Ich wußte es damals wohl nicht, oder es war mir auch gleichgültig . . . Man bekommt da das Sumpffieber unbedingt. Selbst die Eingeborenen meiden es wie die Pest, eine Juninacht in einem Palmenwalde zuzubringen . . . Jedenfalls ist bei mir das Gift im Körper drin, und alles Chininschlucken bringt es nicht heraus.«

»Und ist Kissingen dafür der geeignete Ort?«

»Ja und nein. Ich habe mich da drüben in Afrika jahrelang 'rumgeschleppt mit mal besser und mal schlimmer, bis ich eines Tages vollständig niederbrach. Der Magen namentlich will absolut nicht mehr. Die Tropen sind eben nicht für jeden.«

»Aber sie müssen doch wunderschön sein!« rief die Dame. 293

»Wenigstens in der Erinnerung . . . Gewiß . . . wenn ich jetzt so zurückdenke . . . Ich war zuletzt nicht weit vom Viktoria-Nyanza. Eine wunderbare Vegetation . . . mächtige Berge . . . ein Riesensee. Es giebt dort schon Tropennächte, die unvergeßlich sind, trotz Moskitostichen und Tsetsefliege . . . Ein Sterngefunkel, eine Urwalddämmerung – alle Achtung! . . . Dann kommt aber wieder diese blödsinnige Tageshitze, die so weiße, stumme, afrikanische Glut, wo man stumpf und dumpf in seiner Hütte liegt und genau fühlt, wie das Blut immer schlechter wird und die Triebe immer bestialischer . . . Und dann die Regengüsse! – Das rauscht und rauscht Tag und Nacht, und die blauen Blitze zucken, und der Donner rollt und grollt. Das klemmt sich, keilt sich so ins Gebirge ein – hier prasselt's, da kracht's – und kann nicht heraus und rollt ruhelos hin und her . . . So schwer und unheimlich! . . . Erst denkt man, ein kleiner Weltuntergang bereite sich vor, und wenn's irgendwo im Walde einschlägt, fährt man entsetzt auf. Später schläft man ruhig durch und rührt sich höchstens, wenn's auf der Faktorei selbst brennt . . . Es hat eben alles seine zwei Seiten. Wenn wir Afrikaner dann freilich unter Menschen kommen – da wird nachgeholt! . . . Ha, ha! . . . Ich sage Ihnen, unheimlich! Ich bin jetzt gerade eine Woche wieder in Europa, aber ich sehne mich eigentlich schon wieder 'raus . . . Auf die Dauer ist die Zivilisation doch nichts mehr für unsereinen.«

Er hatte bald stockend, bald hastig gesprochen, wie einsame Menschen, wenn sie unter ihrer eignen Rede plötzlich auftauen. Die Augustaschwester horchte voll Interesse seinen Schilderungen, aber als echte Frau wünschte sie nun auch zu wissen, weshalb der Mann nach Afrika gegangen war und was er vorher gewesen. 294

»Sie waren natürlich früher Offizier?«

»Allerdings . . . das heißt . . . ich stehe seit Jahren in keinem Militärverhältnis mehr.«

Von da wurde er wieder einsilbig, es war wohl das Fieber.

Im Dämmerlicht verschwanden die Wiesen, Felder, die weit zurückweichenden Höhen hüllten sich in silberiges Grau. Als bei Ebenhausen die weichen Berglinien wieder näherzogen, begannen schon milchige Nebel die Waldthäler zu füllen.

»Wir sind gleich in Kissingen,« sagte die Dame und legte ihre Reisedecke zusammen.

»Schon?« antwortete der Afrikaner zerstreut. Er sah fieberig aus, und seine Hände zitterten, als er nach der Handtasche im Netz griff.

»Na, nun lassen Sie sich die Kur gut bekommen!«

»Gleichfalls, gnädiges Fräulein.«

Sie lachte. »O, ich habe durchaus nicht die Absicht, Rakoczy zu trinken! Aber ich werde jedenfalls lange genug hier bleiben, um Ihre Brunnenpromenade zu kontrollieren . . . Ich gehe zu einer Markgräfin Stechelberg, geborenen Gräfin . . . Ich habe wahrhaftig den andern Namen vergessen!«

»O, das thut nichts! Ich kenne die Dame ja doch nicht.«

»Sie ist aber wunderhübsch! Die gefeierte Beauté jedes Badeorts, den sie besucht. Sie wird Ihnen schon auffallen . . . geborene Gräfin . . . Gräfin . . . Es ist wirklich zu dumm!«

»Kissingen!« rief draußen der Schaffner. Aber noch im Aussteigen murmelte die Dame: »Gräfin . . . – Gräfin . . . Es ist wie verhext!«

In diesem Namen lag sein Schicksal. 295



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