Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Selbst die edeln Pferde des Herrn von Wartenstein mußten Strecken des steinigen, zwischen den Bergen auf und ab steigenden Weges im Schritt zurücklegen, und bei der langsamen Bewegung des bequemen Wagens versanken Herr von Sarkow und Luiz Antonio, die körperlich ermüdet und geistig durch die mannigfachsten Erregungen der letzten Tage erschöpft waren, bald in tiefen Schlaf. Es ist ja ein schönes Vorrecht der Jugend, nach jeder noch so heftigen und noch so schmerzlichen Erschütterung die Seele immer wieder in das wohltätige Bad des Schlummers tauchen zu können, in dem sie oft das unerträglich scheinende Leid völlig von sich abstreift, immer aber neue Kraft und frischen Mut finden.

Sie mochten etwa eine Stunde gefahren sein, als der Wagen anhielt und ein greller Lichtschein die Augen der plötzlich Erwachenden blendete.

Sie sahen, erschrocken emporfahrend, um den Wagen mehrere Gestalten in Blusen mit rotbefederten Hüten, Büchsen über der Schulter und Hirschfänger oder Säbel an der Seite. Der Kutscher verhandelte halb trotzig, halb ängstlich mit einigen Männern, die die Pferde am Zügel gefaßt hatten. und einer der Bewaffneten leuchtete mit einer Blendlaterne unter das Verdeck des Wagens.

Es war kein Zweifel, daß sie sich einer versprengten Abteilung von Freischaren gegenüber befanden, um die finsteren Mienen der zunächst um den Wagen Stehenden ließen auf keine freundlichen Absichten schließen.

Herr von Sarkow zog sein Terzerol aus der Wagentasche, machte die Waffe schußfertig und flüsterte seinem Freunde zu, ein Gleiches zu tun.

»Ich muß die Bürger bitten, auszusteigen,« sagte der Führer der Freischaren, deren Anzahl in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, – »wir bedürfen dieses Wagens und requirieren denselben im Namen der Landesregierung.«

»Halt, meine Herren,« erwiderte Herr von Sarkow kalt und höhnisch, während jener mit gebieterischer Miene den Schlag öffnete, – »so einfach ist die Sache nicht, – es bestehen in diesem Augenblick verschiedene Ansichten hierzulande über die berechtigte Landesregierung, und wir sind durchaus nicht gesonnen, Ihnen so ohne weiteres unsern Wagen abzutreten.«

Er hob sein Terzerol empor.

Der Freischärler, dessen jugendliches Gesicht feine und hübsche Züge trug, sah die Mündung der beiden Läufe in dem Lichtschein der Laterne unmittelbar vor sich und wich erschrocken zurück.

Auf seinen Wink traten schnell mehrere seiner Gefährten heran und richteten ihre Büchsen gegen den Wagen.

»Sie sehen, daß jeder Widerstand vergeblich wäre,« sagte der Führer der Freischärler.

»Das sehe ich nicht,« erwiderte Herr von Sarkow – »wir sind bewaffnet wie Sie, – irre ich mich nicht, so habe ich Sie früher in den Straßen von Heidelberg gesehen – nun, mein Herr, wir sind Saxoborussen, das wird Ihnen genügen, um zu begreifen, daß wir vor keiner Drohung zurückweichen, wenn wir Waffen in den Händen haben.«

Der junge Freischärler stand einen Augenblick sinnend da, während seine Begleiter auf seinen Wink warteten, um den Angriff zu beginnen.

»Ich würde es bedauern,« sagte er dann, »wenn Sie mich zur Anwendung von Gewalt zwingen sollten, die für Sie verhängnisvoll werden müßte, – aber ich muß diesen Wagen haben, ich bedarf ihn, um einen Verwundeten weiter zu schaffen, dessen Leben davon abhängt, daß er bald in Sicherheit und Ruhe kommt – und, bei Gott!« rief er mit blitzenden Augen, »für sein Leben werde ich Sie nicht schonen, wenn Sie mich zwingen, Gewalt zu brauchen.«

Er hatte, während er sprach, sich etwas seitwärts gewendet, – der Lichtschein der Laterne fiel auf eine aus Baumzweigen zusammengebundene Tragbahre, die am Rande der Straße niedergesetzt war und auf der ein Verwundeter in einer blauen Bluse ruhte, das Haupt mit den geschlossenen Augen rückwärts gegen die Zweige gelehnt.

Als Herr von Sarkow dies bleiche Haupt in dem unsicheren Lichtschimmer erblickte, stieß er einen Schrei schmerzlicher Ueberraschung aus.

»Langenberg!« rief er, sein Terzerol senkend und aus dem Wagen springend, – »in der Tat, es ist Langenberg – ja, bei Gott, er muß gerettet werden, dieses junge Leben soll nicht der unseligen Verirrung geopfert werden, wie der arme Schlöffel! – Wieviel edle Kraft verliert sich in den fruchtlos verrinnenden Strom dieser Revolution, – reiche Kraft des Volkes, die auf den geordneten Wegen des Lebens so viel Segen schaffen könnte!«

Er beugte sich wehmütig über den Verwundeten, der bei der Nennung seines Namens langsam die Augen geöffnet hatte und verwundert umherblickte, ohne daß er seine Umgebung zu erkennen oder sich über seine Lage klare Rechenschaft geben zu können schien.

»Nun,« sagte der Führer der Freischärler, »wenn Sie den Verwundeten kennen und, wie es scheint, Anteil an ihm nehmen, so werden Sie uns Ihren Wagen nicht verweigern, denn es ist unmöglich, ihn wie bisher weiter zu tragen, und er bedarf schnell der Ruhe und Pflege, – wir haben ihn mit Lebensgefahr den verfolgenden Preußen entrissen.«

Herr von Sarkow sann nach, während Luiz Antonio dem Verwundeten aus seiner Reiseflasche einen kräftigen Schluck Madeira einflößte – dann sagte er:

»Ja, mein Herr, unter diesen Umständen würde ich Ihnen den Wagen abtreten, obgleich er nicht mein ist, – allein ich glaube Ihnen Besseres vorschlagen zu können. Sie haben noch eine Stunde bis Trottlingen, dort finden Sie kaum Beistand und Pflege für den armen Kranken – auf dem Schloß und im Dorf hat Ihre Sache keine Freunde, und ganz gewiß, wenn man dem Verwundeten auch Obdach und Lager gewähren sollte, wird er den Militärbehörden überliefert werden.«

»Das wäre entsetzlich – das wäre der Kerker – vielleicht der Tod, – davor ihn zu retten, haben wir ihn fortgetragen, denn Pflege hätte er ja wohl gefunden, wenn wir ihn hätten auf dem Schlachtfeld liegen lassen.«

»Um Gottes willen, bringt mich fort,« jammerte Langenberg, der, durch den Wein gestärkt, sein Bewußtsein völlig wieder erlangt hatte und Herrn von Sarkow mit finsteren und feindlichen Blicken ansah – »bringt mich fort in den einsamen Wald, lieber will ich dort verbluten, als in langer Kerkerhaft erstarren – unsre Sache ist verloren, was liegt an meinem Leben!«

»Ihre Sache ist verloren,« fuhr Herr von Sarkow fort, indem er seine Hand ergriff, die der Verwundete ihm zögernd und widerstrebend überließ – »Ihr Leben soll es nicht sein; wir haben uns im offenen, ritterlichen Kampfe gegenübergestanden, und Gott hat uns beide erhalten; jetzt ist es meine Pflicht, Sie zu retten, und ich werde sie freudigen Herzens erfüllen. Heben Sie Ihren Freund in unsern Wagen,« fuhr er zu dem Führer der Freischärler gewendet fort, »ich hoffe, ihn sicher nach Weinheim zu bringen, und einmal dort, ist er auch gerettet, er findet Ruhe und Pflege, und ich werde dafür sorgen, daß kein Verdacht auf ihn fällt und daß er unangefochten nach Heidelberg zurückkehren kann.«

Die Freischärler zögerten mit der Antwort, sie flüsterten untereinander und blickten mißtrauisch auf Herrn von Sarkow.

»Ich habe Ihnen gesagt, wer ich bin, meine Herren!« rief dieser, »Ihr Freund Langenberg kennt mich, er ist Corpsbursch wie ich und wird mir glauben, wenn ich auf meine Ehre versichere, daß ich sein Leben bewahren und beschützen werde wie mein eignes.«

»Ich glaube Ihnen,« sagte Langenberg, »das Wort eines Saxoborussen steht über jedem Zweifel. Laßt mich mit ihm gehen,« sagte er zu seinen Freunden, »wohl mag ich mich dem Feinde anvertrauen, nachdem so viele der Unsrigen unsre Sache verraten haben.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, entkleidete Herr von Sarkow den Verwundeten der blauen, blutbefleckten Bluse, zog ihm seinen eignen Ueberrock an und knöpfte diesen über der wunden Brust sorgsam zu. Hierauf rieß er die rote Feder von Langenbergs Hut und trug den Verwundeten, von den Freischärlern, die keine Einwendung mehr machten, unterstützt, in den Wagen, wo er ihn so bequem als möglich in eine Ecke niederlegte.

»Und nun, meine Herren,« sagte er, »hören Sie meinen Rat: trennen Sie sich, legen Sie Ihre Federn und Schärpen ab und suchen Sie einzeln Ihre Heimat zu erreichen, das ist der sicherste Weg, um jede Gefahr zu vermeiden, in Trottlingen ist keine Sicherheit für Sie.«

Er stieg mit Luiz Antonio in den Wagen und ließ schnell weiter fahren, während die Freischärler ihm traurig nachblickten, ohne gegen seinen Rat, dessen Zweckmäßigkeit sie einsehen mochten, eine Einwendung zu machen.

Sie fuhren etwa eine halbe Stunde weiter, ohne ein Wort zu sprechen, nur von Zeit zu Zeit flößte Herr von Sarkow dem Verwundeten, der zuweilen leise wimmerte, einen Schluck stärkenden Getränks ein. Der Weg führte durch ein kleines Dorf von nur wenigen Gehöften; die Häuser waren erleuchtet, laute Stimmen schallten den Nahenden entgegen.

»Was mag das sein,« fragte Herr von Sarkow, unruhig aus dem Wagen blickend, »welche Unruhe in diesem kleinen, stillen Ort?«

Ehe er noch geendet, war der Wagen von dunkeln Gestalten umringt.

»Halt!« rief es von allen Seiten – »wohin wollt ihr – nehmt euch in acht!« riefen einige, »nicht weiter, dorthin stehen die Preußen.«

»Es sind Aristokraten!« riefen andre, »Verräter, Feinde des Volkes, haltet sie fest!«

Herr von Sarkow erkannte abermals wild aussehende Blusenmänner, die den Wagen dicht umdrängten. Sie hielten vor einem Hause, aus dessen offenstehenden hellen Fenstern lärmende Stimmen sich hören ließen; mehrere aufgezäumte Pferde waren vor diesem angebunden, zusammengestellte Gewehre standen daneben. Herr von Sarkow und Luiz Antonio machten ihre Terzerolen schußfertig.

Da erschien in der geöffneten hellen Haustür die athletische Gestalt des Turnerführers Metternich. Seine weite Bluse war zerrissen, die rote Feder auf seinem Hut geknickt, sein Gesicht war wild erregt, seine Schritte schienen schwankend und unsicher.

»Was gibt es dort,« fragte er, an den Wagen herantretend – »wen habt ihr da festgehalten?«

»Es sind Aristokraten, es sind Volksfeinde,« antworteten rauhe Stimmen: »das sieht man an dem Wagen und der Livree, sie geben keine Antwort, man muß sie festhalten.«

»Bringt Licht!« rief Metternich, indem er sich schwer auf seinen Schleppsäbel stützte, »damit wir sehen, wen wir vor uns haben.«

Schnell wurde seinem Befehl gehorcht, man brachte aus dem Hause brennende Kienspäne, die mit ihrem rotgelben, flackernden Schein die nächtliche Scene beleuchteten.

Die Freischärler wichen erschrocken zurück, als sie Herrn von Sarkow und Luiz Antonio erblickten, die ihnen aus dem Wagen die gespannten Terzerolen entgegenstreckten. Metternich starrte die jungen Leute einen Augenblick an, dann stieß er ein wildes, triumphierendes Hohngeschrei aus.

»Ah!« rief er, »das sind ja die Verräter, die mir schon einmal entwischten, jetzt sollen sie mir beim Teufel nicht wieder aus den Händen kommen. Die Tyrannenknechte haben uns mit ihren verfluchten Kartätschen zurückgeworfen, sie hätten es dennoch nicht gekonnt, wenn nicht niederträchtiger Verrat im Spiele gewesen wäre, und nun sind diese da wieder hier – sie sind wieder dabei gewesen bei ihrem höllischen Werk, aber wenn ich morgen von den preußischen Kugeln fallen soll, so sollen diese Elenden mir wenigstens Quartier bestellen. Reißt sie heraus aus ihrem Wagen, und nehmt eure Gewehre zur Hand, dort am nächsten Baum sollen sie niedergeschossen werden. Es bedarf keines Kriegsrechts mehr, das Todesurteil ist schon über sie gesprochen, und nur Schlöffels dumme Gutmütigkeit hat sie damals befreit. Vorwärts, macht ein Ende, wir haben nicht lange Zeit – wir wollen die Leichen dieser Verräter auf den Weg werfen, damit die Preußen sie finden und sehen, wie das Volk seine Feinde richtet.«

Die Blusenmänner machten Miene, gegen den Wagen vorzudringen.

»Der erste, der einen Schritt näher kommt, ist des Todes!« sagte Herr von Sarkow, indem er seine Waffe schußfertig emporhob.

»Reißt sie heraus!« brüllte Metternich, indem er jedoch einen Schritt seitwärts in den Schatten trat – »reißt sie heraus, und macht ein Ende!«

Seine Leute standen unschlüssig; jeder, der dem Wagen näher trat, mußte unfehlbar niedergestreckt werden. Einige hatten sich nach der andern Seite herumgeschlichen, aber Herrn von Sarkow war diese Bewegung nicht entgangen, und auf ein Wort von ihm streckte Luiz Antonio die Mündung seiner Waffe auch dort den Angreifenden entgegen.

»Holt eure Gewehre!« schrie Metternich, »und schießt sie im Wagen zusammen, dann ist die Geschichte gleich auf einmal abgemacht.«

Die Blusenmänner folgten seinem Befehl; sie holten ihre neben dem Hause zusammengestellten Gewehre und schlugen an. Von allen Seiten richteten sich die Flintenläufe auf den Wagen, das Feuer mußte dessen Insassen unfehlbar vernichten, während sie mit ihren kleinen Pistolen nicht im stande waren, einen sicheren Schuß auf ihre entfernten und im Halbdunkel stehenden Gegner zu tun.

»Seid ihr fertig?« fragte Metternich. der sich hinter die Schützenlinie zurückgezogen hatte – aber ehe er auf die bejahende Antwort das verhängnisvolle Kommandowort »Feuer« aussprechen konnte, war von dem Hause her eine weibliche Gestalt in einem dunkeln Amazonenkleide, einen Hut mit roter Feder auf dem Kopf, eine schwarzrotgoldene Schärpe über der Brust und einen Hirschfänger an der Seite herbeigeeilt und in den von den Fackeln erhellten Kreis um den Wagen getreten, so daß sie vor den Gewehrläufen der Blusenmänner stand.

»Was gibt's?« rief sie mit heller Stimme, »was soll hier werden – sind die Preußen da?« fragte sie erschrocken.

»Geh fort!« rief Metternich hinter den Schützen hervor, die ihre Gewehrläufe wieder aufwärts gerichtet hatten, »du stehst uns im Wege, wir haben ein paar Verräter kalt zu machen, es wird gleich geschehen sein. Fort, fort, siehst du nicht ihre Pistolenläufe?«

Die Amazone wendete sich jetzt erst dem Wagen zu, und Herr von Sarkow erkannte bei dem flackernden Fackellicht das hübsche Gesicht der Fräulein Klara Schönfeld. Die Schauspielerin, die in ihrem malerischen Kostüm und in der phantastischen Beleuchtung schöner war als jemals vorher in irgend einer ihrer Rollen, erkannte auch ihrerseits Herrn von Sarkow und nickte ihm freundlich grüßend zu.

»Ihr seid wahnsinnig,« sagte sie zu den Blusenmännern, »die Herren sind Studenten aus Heidelberg, sie sind keine Verräter, ich kenne sie, es sind meine Freunde.«

»Deine Freunde!« knirschte Metternich; »um so schlimmer für sie – geh fort, und ihr schießt in des Teufels Namen den Wagen zusammen.«

»Sie sehen, Fräulein Schönfeld,« sagte Herr von Sarkow, »daß jene Wahnsinnigen zu feigem Mord entschlossen sind; gehen Sie, die Würfel rollen, und der Tod wird reiche Ernte halten.«

»Niemals wird ein solcher Mord geschehen, solange ich da bin!« rief Fräulein Schönfeld. »Sie sehen wohl, Herr von Sarkow,« sagte sie, so dicht vor den Wagen hintretend, daß es unmöglich war, einen Schuß auf diesen abzufeuern, ohne sie zu treffen – »Sie sehen, Herr von Sarkow, daß ich besser bin wie Sie; Sie haben mich in Frankfurt damals schnöde aufgegeben, ich werde Sie nicht im Stiche lassen.«

Sie hatte diese Worte neckisch und lächelnd ganz in ihrem alten Soubrettenton gesprochen, dann aber wendete sie sich hoch aufgerichtet mit drohend blitzenden Augen den immer noch im Anschlage liegenden Freischärlern zu.

»Ja!« rief sie laut, »diese Herren sind meine Freunde, sie haben mir beigestanden – als es galt, meinen Künstlerruf gegen ein aufgehetztes Publikum zu behaupten, wenn ihr sie mordet, so begeht ihr eine Feigheit und eine Nichtswürdigkeit gegen mich, die ich doch eure Sache zu der meinigen gemacht und eure Gefahren geteilt habt. Wollt ihr, daß ich euch verachten soll als feige Mörder, so schießt, aber das sage ich euch, ich werde die erste sein, die von euren Kugeln fällt.« Sie breitete dicht vor dem Wagenschlag stehend die Arme aus.

»Bravo, Fräulein Klara,« flüsterte ihr Herr von Sarkow zu, »Sie sind ein edles, mutiges Herz, bei Gott, das hätte ich kaum von Ihnen erwartet.«

»Ich weiß es wohl,« sagte die Schauspielerin, sich halb zu ihm umwendend, »daß die Leute Ihrer Welt, die bequem auf der breiten Heerstraße des Lebens dahinziehen, uns armen Komödianten, die wir im Flitterputz über die Klippen des Daseins dahingaukeln, weil wir nicht im Staube und Schmutz des Elends versinken wollen, keinen Mut, keine Treue und keine Ehre zutrauen – auch die Flatterrosen unsrer Existenz haben ihre Dornen, und es gehört viel Stolz und Willen dazu, ihre Stiche mit lachender Miene zu ertragen.«

»Klara!« rief Metternich, »sei vernünftig, und geh fort, gib den Wagen frei, oder wahrhaftig, ich vergesse mich, und es geschieht ein Unglück!«

»Vorwärts, Kutscher!« rief die Schauspielerin – »vorwärts, und ihr schießt, wenn ihr den Mut habt, auch mich zu morden.«

Der vor Angst zitternde Kutscher ließ sich den Befehl nicht zum zweitenmal wiederholen, er schwang die Peitsche, und die edlen Pferde, durch das Licht der Fackeln aufgeregt, zogen wild aufbäumend an. Die Freischärler, die die Zügel gehalten hatten, sprangen im ersten Schrecken von den Tieren zurück, und in wenig Augenblicken war der Wagen in der Dunkelheit verschwunden, während Fräulein Schönfeld immer mit ausgebreiteten Armen vor der Schützenlinie stand, so daß jede den Fliehenden nachgesendete Kugel sie hätte treffen müssen. Einige Augenblicke schallte noch ein wüster Lärm dem Wagen nach, unter dem man Metternichs drohende Stimme hervortönen hörte; dann wurde alles wieder still, da der Weg, auf dem die Pferde trotz der starken Steigung pfeilschnell dahintrabten, sich um eine Berghöhe wendete.

»Es sind Barbaren,« sagte Langenberg mit matter Stimme – »was wäre aus der Sache der Freiheit in solchen Händen geworden? Warum sagten Sie nicht, daß ich bei Ihnen sei?« sagte er; »ich war zu schwach, um laut zu rufen.«

»Das würde uns nicht gerettet haben,« sagte Herr von Sarkow, »und auch Sie wären verloren gewesen, sie hätten Sie dort behalten und mit sich fortgeführt, das hätten Ihre Kräfte nicht ausgehalten. Halten Sie sich tapfer,« sagte er herzlich, den Verwundeten sorgsam zurechtlegend, »in Weinheim ist Ihre Rettung, dort finden Sie Pflege, und gegen einen Kranken der Anstalt wird niemand Verdacht hegen.«

Der ängstliche Kutscher ließ die Pferde trotz des schwierigen Weges immer in der schnellen Gangart weiter gehen.

Endlich begann der Tag zu grauen, Herr von Sarkow erkannte die Gegend, in einer halben Stunde mußten sie Weinheim erreicht haben.

Da plötzlich schienen dunkle Gestalten in einiger Entfernung vor den Pferdeköpfen wie aus dem Boden heraufzusteigen. Entsetzt über dies neue Hindernis zog der Kutscher mit einem halb unterdrückten Fluch die Zügel an.

»Halt – wer da!« klang es laut. Man sah Bajonette und Helmspitzen durch die Dämmerung blitzen, und im nächsten Augenblick standen zwei preußische Soldaten auf beiden Seiten neben dem Wagen, während andre mit vorgestreckten Bajonetten den Weg sperrten.

»Gut Freund!« erwiderte Herr von Sarkow, sich zum Wagen herausbeugend.

»Wer sind Sie, und woher kommen Sie?« fragte der neben dem Wagen stehende Soldat kurz und militärisch.

»Heidelberger Studenten, die nach Weinheim fahren.«

»Warten Sie,« erwiderte der Soldat, der immer die Bajonettspitze gegen den Wagen gestreckt hielt, »bis die Meldung gemacht ist.«

Im nächsten Augenblick aber schon erschien der die Feldwache kommandierende Offizier, der die Huftritte der Pferde und das Anrufen vernommen hatte. Er trat an den Wagen und wiederholte die Fragen. Herr von Sarkow gab die gleiche Antwort, indem er zugleich seinen Namen nannte.

»Von Sarkow,« sagte der Offizier, »Sie sind aus Pommern, ich kenne Ihre Familie, haben Sie eine Legitimation?«

»Keine andre als meine Visitenkarte,« erwiderte Herr von Sarkow, der, aus dem Schlage sich vorbeugend, den zwischen ihm und Luiz Antonio zurückgelehnten Langenberg mit seinem Körper verdeckte. Er zog ein Etui aus der Tasche und reichte dem Offizier seine Karte.

»Wir waren vor der Revolution aus Heidelberg geflohen,« fügte er hinzu, »und kommen von Trottlingen, dem Schlosse des Herrn von Wartenstein, dem dieser Wagen gehört; sein Kutscher kann unsre Angaben bestätigen.«

Der Offizier betrachtete mit prüfenden Blicken die elegante Equipage und die Livree des Kutschers.

»Diese Karte ist zwar keine Legitimation,« sagte er, »doch habe ich keinen Grund, Ihre Angaben zu bezweifeln, und innerhalb unsrer Linien hat es mit Ihrem Wagen keine Gefahr; ich glaube, daß ich Sie ohne weitere Meldung durchlassen kann. Der Wagen kann passieren!« befahl er seinen Leuten, und artig grüßend trat er vom Schlage zurück.

»Jetzt sind wir gerettet!« rief Herr von Sarkow jubelnd, während sie weiter fuhren; fürchten Sie nichts mehr,« tröstete er den von Fieberschauern geschüttelten Langenberg; »nachdem wir die Vorposten passiert haben, werden wir kein Hindernis mehr finden.«

Starke Truppenmassen standen in kurzen Zwischenräumen längs der Straße, bereit, mit Anbruch des Tages die flüchtigen Freischaren weiter in die Berge hinein zu verfolgen. Noch mehrfach wurde der Wagen angerufen, aber jedesmal ohne weitere Schwierigkeiten durchgelassen, und mit den ersten Strahlen des anbrechenden Tages erreichten sie Weinheim. Alle Straßen waren mit Truppen gefüllt, auf der Chaussee der Bergstraße bewegten sich starke Kolonnen nach Heidelberg hin. Im Kurhause war bereits alles wach, die Bewohner blickten aus den Fenstern auf die durch die Ebene sich bewegenden Truppenzüge. Das Haus war als Krankenanstalt von aller Einquartierung frei geblieben.

»Bieten Sie Ihre letzte Kraft auf,« sagte Herr von Sarkow zu Langenberg; »glauben Sie, auf meinen Arm gestützt, in das Haus gehen zu können? – Es würde Aufsehen erregen und vielleicht Nachfragen veranlassen, wenn wir Sie hineintragen müßten.«

»Ich werde es können,« sagte Langenberg, dessen Wangen glühten und aus dessen Augen Fieberglut flammte; »es gilt mehr als das Leben, es gilt die Rettung vor schmählicher Gefangenschaft.« Jubelnd wurden die Rückkehrenden begrüßt. Herr von Sarkow überließ es Luiz Antonio, die Flut von neugierigen Fragen, mit denen man sie bestürmte, zu beantworten, und führte Langenberg, ihn kräftig stützend, die Treppe hinauf nach seinem Zimmer. Hier entkleidete er den erschöpft Zusammenbrechenden und bettete ihn auf sein eignes Lager; dann ließ er den Doktor Binzer zu sich bitten, jedem andern den Eingang in das Zimmer verwehrend.

»Hier,« sagte er, als der Doktor erschien, »habe ich Ihnen einen armen Verwundeten gebracht; sein Leben hängt von Ihrer ärztlichen Hilfe ab – seine Freiheit, seine Zukunft, seine bürgerliche Existenz von Ihrer Verschwiegenheit.«

Der Doktor erschrak zwar, er mochte den Zusammenhang ahnen, und das Verbergen eines Revolutionskämpfers in seinem Hause konnte ihm Gefahr bringen; aber bei einem Blick auf den schwer atmenden Kranken verstummten alle Bedenken.

»Es ist brav, was Sie thun,« sagte er, Herrn von Sarkow die Hand drückend, »zählen Sie auf meinen Beistand bei Ihrem edlen Werk.«

Langenbergs Augen blitzten höher auf.

»Ja, ein edles Werk!« rief er, mühsam seine Stimme anstrengend – »bei Gott, ein edles Werk, – Sie sollen es hören, mein Herr, da ich vielleicht nicht lange mehr sprechen kann. Sie sollen es hören, und wenn ich meinen letzten Hauch daran setzen sollte, daß er, der mich mit eigner Gefahr gerettet hat, mir einst gegenüberstand in tödlichem Kampf, daß ich meine Waffe auf seine Brust richtete und alle meine Geschicklichkeit aufbot, um sein Herz zu treffen, – ich haßte ihn, ich wollte ihn vernichten, weil ein andres Herz ihn liebte, wie er es verdient, wie die ganze Welt ihn lieben muß. Möge er es mir verzeihen, verzeihen wie Gott, dessen Macht ich fühle und dem ich vielleicht bald von meinem kurzen und verfehlten Leben werde Rechenschaft geben müssen.«

Er streckte mit einem unendlich rührenden Ausdruck seine zitternden, fieberheißen Hände Herrn von Sarkow entgegen, dieser beugte sich über ihn und sagte herzlich:

»So weit ist es noch nicht, mein Freund, wir alle irren, aber Gott führt alle Irrtümer zur Wahrheit und zum Licht.« Langenberg sank erschöpft zurück und schloß die Augen. Der Doktor untersuchte ihn, eine Kugel war in seine Brust gedrungen, aber kein edler Teil war verletzt, und der Doktor sprach die feste Hoffnung aus, ihn am Leben zu erhalten.

Jetzt erst suchte Herr von Sarkow die übrige Gesellschaft auf. Der Colonel und Miß Maggins begrüßten ihn herzlich, und beide dankten ihm in warmen Worten für seine Vermittlung, die sie zusammengeführt, wobei freilich Miß Maggins ein wenig verwirrt die Augen niederschlug. Charles Clarke aber schloß ihn stürmisch in seine Arme und preßte ihn so heftig an seine Brust, daß ihm der Atem verging und er sich gewaltsam aus den Armen seines Freundes losreißen mußte, um nicht erstickt zu werden.

»Hier!« rief Charles Clarke, indem er Herrn von Sarkow am Arm zu der lächelnd errötenden Célie hinzog – »hier, mein Freund, dies hier ist mein erster Chargierter für das Leben, mein holdseliger Sekundant bei allen Paukereien mit dem Schicksal – noch heißt sie Fräulein Célie Rotin, aber ehe ein halbes Jahr vergeht, wird sie Mistreß Clarke sein. Ich habe schon meinem Vater geschrieben, er ist stets mit allem einverstanden, was ich tue, aber er ahnt nicht, welch einen Engel ich ihm bringe – kannst du dir denken, daß sie es wagt, einen Sohn der Wildnis wie mich zu zähmen? – Aber sie soll es nicht bereuen, bei Gott, sie soll es nicht bereuen – und sieh, wie es ihr gelungen ist.« Er deutete ganz glücklich auf eine tadellose Krawatte, die seinen braunen Hals umschloß. Dann hob er Fräulein Célie, die ihm nur schwach und lächelnd wehrte, in seinen Armen hoch auf wie ein Kind und trug sie im Zimmer umher, indem er aus voller Brust den Jagdruf der huronischen Wälder erschallen ließ.

Alle Regeln der Kaltwasserkur waren suspendiert; Charles Clarke war sofort nach der Entsetzung von Heidelberg dorthin gefahren und hatte reiche Vorräte der edelsten Weine aus den Kellern des Hotels zum Badischen Hof herausfahren lassen, und bei festlicher Tafel feierte die frohe Gesellschaft das Glück, das aus der feuchten, hydropathischen Kälte so warm und blühend emporgewachsen war. Luiz Antonio allein saß bleich und traurig unter den Fröhlichen da, und bald zog er sich zurück, um an Langenbergs Lager zu wachen. Herr von Sarkow wehrte ihm nicht; für den Schmerz, der seines Freundes Brust erfüllte, war ja die Einsamkeit der beste Balsam.


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