Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Sechstes Kapitel

Der Tag, an dem die sämtlichen Corps gemeinschaftlich den großen Antrittskommers zur Eröffnung des neuen Semesters feiern und zugleich einander die inzwischen neu aufgenommenen und dem Seniorenkonvent angemeldeten neuen Mitglieder vorführen sollten, war herangekommen. Der Antrittskommers wurde stets in dem großen Saale der Wirtschaft zur Hirschgasse begangen die der Stadt gegenüber, auf der andern Seite des Neckars, etwa eine Viertelstunde entfernt, am Eingange des schmalen Bergweges, der sogenannten Hirschgasse, lag, von dem das freundlich hinter einem hübschen Vorgarten gelegene Etablissement seinen Namen führte. Der Saal der Hirschgasse war der größte in Heidelberg und eignete sich schon wegen seines ausgedehnten Raumes ganz besonders zu einer Feier, bei der die sämtlichen Corps vollzählig vertreten waren; außerdem aber fanden nach dem Schluß des Kommerses zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Corps die üblichen Gegenforderungen durch den nach dem Corpskomment einzig erlaubten Tusch eines »Dummen Jungen« statt, und da die aus diesen Forderungen hervorgehenden Corpspaukereien während des Semesters in dem Saale der Hirschgasse, dem traditionellen akademischen Kampfplatz, abgemacht wurden, so eignete sich auch in dieser Beziehung der große Saal ganz besonders für den Antrittskommers.

Herr von Sarkow war am Morgen mit dem zweiten Chargierten, Lord Fitzgerald, und dem Fuchs von Wilberg hinausgefahren, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen und die Schläger und Corpsschärpen für die Feier des Abends nach dem Saale der Hirschgasse zu bringen. Der rote Schiffer saß auf dem Bock des Wagens, er nickte mit Gönnermiene allen Corpsburschen zu, an denen er vorbeifuhr, und blickte mit unendlich souveräner Verachtung auf alle Studenten herab, die keine Farben an ihren Mützen trugen, und von denen er kaum zu begreifen schien, wie sie es wagen könnten, unter dem freundlichen Frühlingshimmel einherzugehen, der nach seiner Ueberzeugung wohl eigentlich die vereinigten Corpsfarben statt des gleichmäßigen und bedeutungslosen Blau hätte zeigen sollen. Da der Antrittskommers ohne besonders reichen Schmuck gewissermaßen als eine geschäftsmäßige Eröffnung des Semesters gefeiert wird, so waren die Vorbereitungen, die den Saxoborussen als dem jeweilig präsidierenden Corps oblagen, bald getroffen; der Wirt und die Kellner der Hirschgasse wußten ja vollständig Bescheid, und der rote Schiffer wurde in dem Saal gelassen, um an die Anordnung der Tische die letzte Hand zu legen. Man frühstückte wieder in der Konditorei des Herrn Walz, wobei der Kriegszustand zwischen den Saxoborussen und dem kleinen runden Wirt mit dem kupferrötlichen Gesicht zur großen Erheiterung der Gesellschaft und trotz seiner jammernden Beteuerungen, nicht zum Schaden des Herrn Walz, aufrecht erhalten wurde. Die Gesellschaft zerstreute sich darauf, und Herr von Sarkow begab sich nach dem Universitätsgebäude, um die Kollegia für das Semester zu belegen und insbesondere sich für die Pandektenvorlesungen des berühmten Professors Bangerow einschreiben zu lassen, die trotz des fröhlich bewegten Lebens von den Studenten der juristischen Fakultät, zu denen die Saxoborussen sämtlich gehörten, eifrig und pünktlich besucht wurden.

Als er über den Museumsplatz zurückkehrte und mit stillvergnügtem Lächeln den wieder ruhig und friedlich rieselnden Brunnen betrachtete, dessen geheimnisvolle Ableitung, die vor wenigen Tagen den großen Platz unter Wasser gesetzt hatte, noch immer den Stoff zur Unterhaltung sämtlicher Philister in den Weinstuben bot und den Gegenstand eifriger Nachforschungen sämtlicher Pedelle und Nachtwächter bildete, befand er sich plötzlich Fräulein Klara Schönfeld gegenüber, die er unter den so mannigfach verschiedenen Eindrücken der letzten Tage fast vergessen hatte. Er grüßte mit einiger Verlegenheit, die hübsche Schauspielerin aber blickte unter dem halb über ihre Stirn herabfallenden schwarzen Spitzenschleier freundlich zu ihm auf und sagte, ihm mit schalkhaftem Lächeln die Hand reichend:

»Sie waren nicht sehr galant gegen mich, Herr von Sarkow. als Sie mich damals in Frankfurt so plötzlich im Stich ließen; doch ich begreife es wohl, daß die Herren Saxoborussen damals stärkere Anziehungskraft für Sie hatten, ich sehe ja,« sagte sie, auf seine Mütze deutend, »daß Sie schon die Farben tragen –, ich weiß schon ganz gut Bescheid unter den Corps, man muß immer sein Publikum kennen, und,« fügte sie mit einem reizend neckischen Blick hinzu, »ein liebenswürdigeres Publikum als hier kann man ja in der ganzen Welt nicht finden.«

»Das wundert mich nicht,« sagte Herr von Sarkow lächelnd, indem ein leichter Mißmut aus seiner Stimme hervorklang, »Sie haben gewiß einen vortrefflichen Lehrmeister in allem, was die Corps angeht, gefunden – jener große Herr mit der Vandalenmütze –«

»Ein Bekannter aus Bremen,« fiel sie schnell ein. »weiter nichts – weiter gar nichts – nun also, ich bin Ihnen gar nicht mehr böse – Sie mußten sich ja zu Ihrem Corps halten, alles sei vergessen und vergeben, wir sind wieder gute Freunde, nicht wahr?«

»Sie wissen wohl, Fräulein Klara, daß jedermann Ihr Freund sein muß, den Ihre schönen Augen dazu anwerben.«

»Schmeichler,« sagte sie, mit einem leichten Druck ihm ihre Hand entziehend, indem ihr Blick und ihr Lächeln deutlich zeigten, daß sie sich der Macht ihrer Augen vollkommen bewußt war, – »vergessen und vergeben also. Uebermorgen wird das Theater eröffnet im großen Saale des Hotels zum Prinzen Max, nicht wahr, Sie werden nicht fehlen und auch ein wenig applaudieren, um zu beweisen, daß Sie wirklich mein Freund sind? Meine Wohnung ist dicht neben dem Hotel, die Mama wird sich sehr freuen, wenn Sie uns besuchen.«

»Und Sie, Fräulein Klara?«

»Ich bin eine gehorsame Tochter,« sagte sie mit verheißungsvollem Lächeln – »auf Wiedersehen also – auf baldiges Wiedersehen, Herr von Sarkom.«

Noch einmal drückte sie ihm flüchtig die Hand und schwebte schnell davon. Als er nach einigen Schritten noch einmal rückwärts blickte, sah er, wie der große Vandale, der eben aus dem Universitätsgebäude gekommen war, grüßend zu ihr trat und an ihrer Seite weiter über den Platz ging.

»Wieder dieser Vandale,« sagte er, die Lippen aufeinanderpressend – »wie vertraut sie mit ihm ist – ich habe sie freilich ein wenig schlecht behandelt, aber es ärgert mich doch, daß sie gerade den gefunden hat.«

Er begegnete einigen seiner Freunde, man machte eine Promenade auf dem Pariser, wo sich auch der kleine Corpshund Moses einfand, um, wie er täglich zu tun pflegte, langsam und gravitätisch auf und nieder gehend, die Saxoborussen zu erwarten und sich mit ihnen zu Tisch nach dem Hotel zum Badischen Hof zu begeben. Nach dem Diner, bei dem diesmal zur großen Freude von Charles Clarke die ganze ausgewürfelte Rechnung an Franz Helmholt hängen blieb, was seinem Bruder Fritz Veranlassung gab, sich bitter über die Verschwendung seines leichtsinnigen Mündels zu beklagen, begab sich die ganze Gesellschaft in ihre Wohnungen, um sich für den Kommers ein wenig auszuruhen. Als Luiz Antonio de Souza und Herr von Sarkow, deren innige Freundschaft sich mit jedem Tage mehr befestigte, nach Hause kamen, fanden sie, im Begriff, die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufzusteigen, die Tür des an den Flur stoßenden Wohnzimmers der Familie Treuberg offen stehen. In dem freundlichen und behaglichen Zimmer saß Dorchen Treuberg auf einem niedrigen Tritt in der tiefen Nische des Fensters mit einer Häkelarbeit beschäftigt.

Vor dem an der Wand stehenden Klavier saß die hübsche Brünette, die Herr von Sarkow an Dorchens Seite am Fenster erblickt hatte; sie hatte sich von dem Instrument abgewendet und fuhr nur leicht spielend und hin und wieder einen Ton anschlagend über die Tasten. Vor den beiden Mädchen stand ein junger Mann von starker, kräftiger Gestalt, dessen blasses Gesicht hätte schön sein können, wenn in seinen unruhig bewegten Zügen und in seinen düster und unstät blickenden Augen nicht ein Ausdruck von feindlicher Verbitterung gelegen hätte, der unangenehm und abstoßend wirkte.

Als die beiden Saxoborussen an der Tür vorbeigingen, rief ihnen Dorchen Treuberg mit ihrer hellen Stimme einen freundlichen Gruß zu, während ihre Freundin sich neugierig vorbeugte und der junge Mann, der das gelb-weiß-schwarze Corpsband der Schwaben trug, noch finsterer und feindlicher aufblickte. Luiz Antonio und Herr von Sartow traten, den Gruß erwidernd, in das Zimmer.

»Wahrhaftig,« rief Dorchen Treuberg, »fast hätte ich geglaubt, die Herren würden da so stolz an uns vorbeigehen, ohne uns einen guten Tag zu wünschen, das wäre noch schöner gewesen – dem Herrn von Souza hätte das freilich ganz ähnlich gesehen, das ist ein solcher Menschenfeind – aber unser neuer Zimmerherr da, der Herr von Sarkow,« plauderte sie weiter, während Luiz Antonio mit wehmütigem Lächeln schmerzlich aufseufzte, »der sieht schon eher so aus, als ob er wohl Lust hätte, ein wenig zu schwätzen – doch,« fuhr sie sich unterbrechend fort, »ich bitte um Entschuldigung, Herr von Sarkow, das ist Evchen Meier, meine Freundin – ja, wir sind gute Freundinnen, wenn wir uns zuweilen auch ein wenig streiten – und hier Herr Studiosus Langenberg, auch unser Zimmerherr, er wohnt eine Treppe höher im Giebelzimmer.«

Herr von Sarkow verbeugte sich artig vor der hübschen Brünette und wechselte einen kühlen Gruß mit dem Studiosus Langenberg, dessen Gesicht sich bei dem fröhlichen Geplauder des kleinen Dorchen immer finsterer zusammenzog.

»Gelt, Sie setzen sich ein wenig daher und plaudern etwas mit uns,« sagte Dorchen.

Luiz Antonio lehnte die Einladung ab und stieg in seine Wohnung hinauf, Herr von Sarkow aber zog einen Stuhl herbei und setzte sich zwischen die beiden jungen Mädchen; der Studiosus Langenberg sah ihn finster und feindselig an.

»Ich muß fort,« sagte er dann kurz und rauh – »ich will nicht stören.«

Er verbeugte sich vor den beiden Mädchen, grüßte Herrn von Sarkow mit einem flüchtigen Neigen des Kopfes, ohne die Augen zu ihm aufzuschlagen, und stürmte hastig hinaus.

»Dieser Schwabe ist nicht eben höflich,« sagte Herr von Sarkow, »ein angenehmer Hausgenosse scheint er nicht zu sein, und es wird vielleicht gut sein, wenn wir uns nicht zu oft begegnen.«

»Lassen Sie ihn gehen,« sagte Dorchen, »es ist ein wilder Mensch, der Herr Langenberg, er ist ein großer Demokrat und Republikaner, und da ist er unzufrieden mit allem; mir wird oft ganz angst, wenn er so wild spricht und alles zusammenwerfen möchte, die Regierung und die Polizei, und sogar von unserm Großherzog selbst spricht er so schlimm und so unehrerbietig, daß der Vater ihm schon oft verboten hat, solche Reden zu führen.«

»Und am wildesten und bösesten ist er,« fiel Evchen Meier lachend ein, »wenn andre Herren hier sind und besonders die Herren Preußen, denn wenn es nach seinem Willen ginge, dann dürfte das Dorchen da mit niemand anderm sprechen, als mit ihm,« fügte sie kichernd hinzu.

»Ah, so steht es!« sagte Herr von Sarkow lachend. indem er Dorchens flüchtig errötendes Gesicht prüfend musterte.

-»Glauben Sie es nicht, Herr von Sarkow,« sagte das hübsche Mädchen schnell, »nichts ist davon wahr, an so etwas denkt er gar nicht, und ich fürchte mich immer, wenn ich den Herrn Langenberg sehe, wie er so verstört ist, und es tut mir leid, daß er niemals so recht von Herzen froh ist. und der Vater sagt, er wird sich noch einmal unglücklich machen mit seinem wüsten, unruhigen Treiben.«

Sie brach das Gespräch, ihrer Freundin einen unwilligen Blick zuwerfend, ab; heiter und fröhlich plauderte Herr von Sarkow mit den beiden Mädchen weiter, neugierig fragten sie nach seiner Heimat und nach seiner Familie, und erinnerten sich auch an mehrere seiner älteren Freunde, die sie freilich nur noch als Kinder gekannt hatten.

Dorchen Treuberg war das Garn für ihre Arbeit ausgegangen; sie nahm eine neue Winde aus ihrem Arbeitskorb und versuchte dieselbe an dem Fensterhaken zu befestigen, um den Faden abzuwickeln.

»Geben Sie mir die Winde,« sagte Herr von Sarkow, »ich verstehe das vortrefflich und habe meiner Schwester oft das Garn gehalten, wenn sie ihre Knäuel wickelte.«

Er streckte seine beiden Hände aus, Dorchen hing die Garnwinde über seine Finger.

»Es ist merkwürdig, wie gut der Herr von Sarkow damit Bescheid weiß,« sagte Evchen Meier neckend – »man sagt, es wäre gefährlich, so das Garn zu halten, es soll ein Funken auf dem Faden hin und her laufen, und ehe man es sich versieht, brennt es auf beiden Enden – nun, ich werde Musik dazu machen.«

Sie wendete sich mit dem Drehstuhl, auf dem sie saß, dem Klavier zu und begann ohne besondere Schule, aber mit einer hübschen, frischen Stimme das Lied zu singen:

»Du schönes Fischermädchen,
Treibe den Kahn ans Land –«

Fast schien es, als ob sie mit dem auf dem Faden hin und her laufenden Funken recht hätte, denn als Herr von Sarkow so der hübschen Doris gegenübersaß und in ihr hübsches, rosiges Gesicht blickte, da schien es ihr in der Tat, als ob der feine Wollenfaden in ihrer Hand zu glühen anfinge, schnell schlug sie die Augen nieder, wenn ihr Blick dem seinen begegnete, hastig wickelte sie weiter, sie beugte sich von dem Fenstertritt herab in ihrer eifrigen Arbeit – da war ein Knoten in der Winde, der ein augenblickliches Hindernis bildete; sie wickelte ihr Knäuel bis dicht zu Herrn von Sarkows Hand heran, ihre zitternden Finger berührten die seinigen – schnell bog er sich vor und berührte mit den Lippen ihre kleine Hand.

Ein wundersamer Blick, halb schalkhaft, halb vorwurfsvoll, traf ihn, schnell zog sie ihre Hand an sich und lehnte sich weit in die Fensternische zurück – aber seltsamerweise fanden sich immer wieder Knötchen in dem Faden, immer wieder verkürzte sich derselbe, so daß sie mit ihrem Knäuel sich noch oft der immer kleiner werdenden Winde nähern mußte; jedesmal fühlte sie wieder seine Lippen auf ihrer Hand und jedesmal schien es ihr, als ob der flüchtige Kuß heißer und heißer bis zu ihrem klopfenden Herzen hin sein Feuer sprühte und als ob der auf dem Faden hin und her laufende Funken in der Tat die Kraft habe, auf beiden Seiten helle Flammen zu entzünden.

Evchen Meier hatte ihr Lied beendet und wendete sich schnell um.

Auch das Garn war abgewickelt, aber sie sah noch eben, wie Herr von Sarkow, das letzte Ende des Fadens festhaltend, seine Lippen auf Dorchens Hand drückte und wie diese lächelnd und errötend den Kopf senkte.

»Nun, wie hat Ihnen mein Lied gefallen. Herr von Sarkow?« fragte Evchen spöttisch – »Sie sagen mir gar nichts und ich verdiene doch wohl einen Dank!«

»O, ich danke Ihnen tausendmal, mein Fräulein,« sagte Herr von Sarkow ein wenig verwirrt, »das Lied war reizend – ›Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein‹ – ich höre das ganz besonders gern, es ist eins meiner Lieblingslieder – ich danke Ihnen tausendmal.«

»Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein?« sagte Evchen lachend – »wie ist das, Dorchen, was meinst du dazu? Ich glaube, es heißt eigentlich: ›Es zog ein Funken wohl über den Faden –‹«

»Wie töricht du bist, ich verstehe das nicht – geh mit deinen Funken,« sagte Dorchen, indem sie ihr errötendes Gesicht nach den Fensterscheiben hinwendete, als ob irgend ein Gegenstand auf der Straße ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nähme.

»Nun. ich werde gehen,« sagte Evchen aufstehend, »ihr habt wohl keine Musik mehr nötig, der Faden ist ja abgewickelt.«

»Bleibe hier, Evchen,« sagte Dorchen vorwurfsvoll, indem sie aufsprang, um ihre Freundin zurückzuhalten.

Herr von Sarkow sah nach der Uhr und empfahl sich schnell, die beiden Mädchen einem langen und eifrigen Gespräch überlassend, das durch häufiges Kichern unterbrochen wurde. –

Der Abend war herabgesunken, Heller leuchteten die Kerzen auf den einfachen blechernen Kronleuchtern im großen Saal der Hirschgasse, die Wände waren mit farbigen Schärpen geschmückt, der rote Schiffer stand dienstbereit neben der Tribüne, auf der die Musik Platz genommen hatte, und an den langen Tischen versammelten sich allmählich die einzelnen Corps. Es kamen die Rhenanen mit den blauen Mützen und den blau-weiß-roten Bändern, meist junge Leute aus der Pfalz und vom Rhein, die Schwaben, die sich aus Baden, Württemberg und Bayern rekrutierten, mit gelber Grundfarbe in ihren Cereviskappen und weiß-schwarz-gelben Bändern, die Vandalen in Gold-Rot-Gold, hochgewachsene, blonde junge Leute aus den Hansestädten und Mecklenburg, endlich die Westfalen in grün-weiß-schwarzen Farben. Ihren Stamm hatten meist Kurländer gebildet, und sie standen in einer gewissen Rivalität mit den Saxoborussen, mit denen sie bald in inniger Freundschaft lebten, bald erbitterte Corpspaukereien durchführten; die Schwierigkeiten, die man nach dem Jahre 1848 den russischen Untertanen bei der Erlaubnis, im Auslande zu studieren, entgegensetzte, hatten zur Folge gehabt, daß das Corps sehr klein geworden war und nur noch aus wenigen Corpsburschen bestand.

Die Saxoborussen waren bereits vollzählig versammelt. An jedem Ende der Corpstische nahmen zwei Präsides, mit den großen Corpsschärpen über der Brust, die blanken Korbschläger mit den Farben in der Hand, Platz. Endlich, nachdem alle Corps vollzählig versammelt waren, rief Graf Kronau, mit der flachen Schlägerklinge auf den Tisch schlagend, ein lautes »Silentium« in die brausende Versammlung hinein. Der Ruf wiederholte sich an sämtlichen Tischen, und augenblicklich herrschte tiefe Stille in dem großen Saale.

»Wir singen das Lied: ,Stoßt an, Heidelberg lebe –'« rief Graf Kronau, und sogleich intonierte die Musikkapelle die Melodie des alten, schönen Liedes, das den ganzen Stolz und die ganze Freiheitsfrische des deutschen Burschentums in der edlen Begeisterung seiner einfachen Poesie ausdrückt. Man kam zu der Strophe:

»Stoßt an, Landesfürst lebe,
Hurra hoch!
Er versprach, zu schützen das alte Recht,
Drum wollen wir ihn auch lieben recht.«

Die Saxoborussen erhoben sich bei dieser Strophe wie ein Mann und sangen dieselbe stehend zu Ende, während die übrigen Corps sitzen blieben und unter den Rhenanen und Schwaben sogar einzelne spöttische Mienen und leise geflüsterte höhnische Worte bemerkbar wurden.

Der Kommers nahm seinen gewöhnlichen Fortgang, es wurden noch zwei Lieder gesungen, die Mitglieder der verschiedenen Corps, die miteinander bekannt waren oder schon miteinander gepaukt hatten, tranken sich zu, aber die ganze Versammlung blieb trotz zahlreicher geleerter Schoppen in einer gewissen feierlich erwartungsvollen Stimmung.

Endlich begann der Landesvater, laut hallte das alte Weihelied durch den Saal:

»Alles schweige.
Jeder neige
Ernsten Tönen nun sein Ohr.«

Die Präsides der einzelnen Corps durchbohrten zuerst ihre Mützen, indem sie, zwei Finger der rechten Hand auf die blanke Klinge gelegt, sangen:

»Seht ihn blinken
In der Linken,
Diesen Schläger, nie entweiht;
Ich durchbohr' den Hut und schwöre,
Halten will ich stets auf Ehre,
Stets ein braver Bursche sein.«

Immer wieder wurde dieser Vers wiederholt, während die Präsides, den Reihen entlang fortschreitend, den einzelnen Mitgliedern ihres Corps die Schläger zur Vollziehung der alten studentischen Zeremonie darreichten. Dann setzte die Musik zu einer schnelleren Melodie ein, und die Präsides gaben den einzelnen und sich gegenseitig die von der Schlägerklinge herabgezogenen Mützen wieder, indem sie dann, die Waffe über eines jeden Haupt ausstreckend, sangen:

»So nimm ihn hin, dein Haupt will ich bedecken
Und drauf den Schläger strecken.
Es leb' auch dieser Bruder hoch.
Ein Hundsfott, der ihn schimpfen soll.
Solange mir uns kennen,
Woll'n wir uns Bruder nennen,
Es lebe Bruder N. N. hoch.«

– wobei dann jedesmal der Name des wieder mit seiner Mütze Bekleideten genannt wurde.

Der ganze Landesvater verlief mit außerordentlicher Feierlichkeit, und wohl selten im Leben wird ein Schwur ernster geleistet und treuer gehalten, als das Gelöbnis, das die begeisterte Jugend auf die fleckenlose Waffe ihres Corps ablegt, stets der Ehre und den in gleicher Gesinnung verbundenen Brüdern die Treue zu bewahren. Herr von Sarkow fühlte sich mächtig ergriffen, sein Herz schlug in hochaufwallender Begeisterung, als er die Hand auf den Schläger legte, es schien ihm, als ob der Geist der deutschen Vergangenheit und Zukunft sein Haupt berühre, und er fühlte, wie bei den vollen Klängen des gewaltig ergreifenden Liedes eine Träne sein Auge verdunkelte.

Endlich waren die Mützen alle verteilt, die Musik schwieg; Graf Kronau schlug mit der Schlägerklinge auf den Tisch und rief laut:

»Ex est commercium, initium fidelitatis!«

Damit war die zeremonielle Burschenfeier beendet und das Zeichen zu freier Bewegung und unbeschränkter Heiterkeit gegeben. Kaum war der letzte Ton aus Graf Kronaus Munde verklungen, als der rote Schiffer auf die zur Musiktribüne führende Treppe heraufsprang und mit seiner rauhen Stimme durch den Saal brüllte:

»Der rote Schiffer trinkt einen Ganzen auf das Wohl des hohen S. C. und der sämtlichen Corps von Heidelberg!«

In einem mächtigen Zuge stürzte er den Schoppen hinunter und schleuderte dann das Glas zu Boden, daß es klirrend in Scherben brach. Nach dieser den Corps dargebrachten Huldigung, die sich der rote Schiffer bei keiner festlichen Gelegenheit nehmen ließ, begann an allen Tischen eine lebhafte Bewegung; die sämtlichen jungen Leute zogen ihre kleinen Notizbücher aus der Tasche, und den Bleistift bereit haltend, riefen sie den einzelnen Mitgliedern der feindlichen Corps, mit denen sie loszugehen wünschten, den verhängnisvollen »Dummen Jungen« in artigster Weise und mit verbindlichstem Gruß zu, um dann sogleich die Forderungen genau und sorgfältig in ihre Notizbücher einzutragen. Am lebhaftesten flog der übliche Tusch zwischen den Tischen der Saxoborussen und Vandalen hin und her, welche beiden Corps in beständiger Feindschaft miteinander lebten und in gleich ritterlich tadelloser Weise einander zugleich die höchste gegenseitige Achtung bewiesen; diejenigen, die sich nicht persönlich kannten, gingen wohl zu den gegenseitigen Tischen hinüber, um sich einander in der artigsten Form vorstellen zu lassen und dann durch den kommentmäßigen »Dummen Jungen« den mit bereitwilligem Entgegenkommen aufgenommenen Wunsch auszudrücken, die angeknüpfte Bekanntschaft auf der Mensur mit der Waffe in der Hand fortzusetzen.

Herr von Sarkow hatte schnell eine beträchtliche Anzahl von Forderungen zusammengebracht, und an der Spitze derselben stand mit großen Zügen der Name des Vandalen Prollmann, der ihm bereits auf halbem Wege zwischen den beiden Corpstischen entgegengekommen war und auch seinerseits den lebhaften Wunsch hegte, die auf dem Frankfurter Bahnhof so flüchtig geschlossene Bekanntschaft in dem Saale der Hirschgasse weiterzuführen. Bald waren die sämtlichen Notizbücher so reichlich angefüllt, daß für das beginnende Semester eine vollkommen ausreichende Anzahl von Paukereien in Bereitschaft stand, und nachdem auf diese Weise für das ritterliche Waffenspiel zwischen den einzelnen Corps vorgesorgt war, begann eine allgemeine gemütliche und heitere Kneiperei, die einzelnen besuchten Bekannte an den Tischen der andern Corps, meist Gegner aus früheren Paukereien, und überall wurden solche Besuche mit der liebenswürdigsten Artigkeit aufgenommen, Neuangekommene ließen sich untereinander vorstellen, man plauderte harmlos miteinander, man trank sich zu, es wurden gemeinsame Salamander gerieben, und die ganze Gesellschaft schien so harmlos friedlich und freundschaftlich miteinander zu verkehren, daß man kaum hätte glauben können, alle diese jungen Leute seien eigentlich nur zu diesem Feste zusammengekommen, um die Veranlassung zu finden, sich während des nächsten Semesters in unermüdlichem Eifer mit der blanken Waffe in der Hand zu bekämpfen.

Der Morgen dämmerte schon herauf, als Herr von Sarkow den immer mehr sich leerenden Saal verließ und auf Luiz Antonios Arm gestützt den Heimweg antrat. Lange gingen sie noch am rauschenden Neckarufer auf und nieder. Luiz Antonio sprach, während die Sterne allmählich vor dem Morgenlicht verblichen, von seiner Liebe, die sein ganzes Herz erfüllte; Herr von Sarkow versprach begeistert, Blut und Leben dem Beistande des Freundes zu weihen, mit dem ihn die Feier des Landesvaters noch enger, noch unauflöslicher verbunden hatte – aber trotz seiner feurigen Versprechungen würde es ihm sehr schwer geworden sein, am nächsten Morgen von dem Inhalt dieses nächtlichen Gespräches am Neckarufer klare und deutliche Rechenschaft zu geben.


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