Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Siebentes Kapitel

Die Tage nach dem Antrittskommers verflossen in ruhiger Gleichmäßigkeit, da die ganze Studentenschaft sich das Leben für das neue Semester einrichtete, die Neuangekommenen sich in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden hatten und das wissenschaftliche wie das gesellige Leben sich erst wieder in die glatten Geleise der täglichen Gewohnheit einreihen mußte. Aber auch diese Tage waren für den jungen Herrn von Sarkow voll der mannigfaltigsten Eindrücke, die sich in jener schönen Jugendzeit voll poetischen Schimmers und Dufts so tief in die Seele einprägen, daß ihre Bilder bis in das höchste Alter hinein immer die glänzende Farbenfrische behalten und in der Erinnerung den hellen Mittelpunkt des langen Lebens zu bilden scheinen, während ganze lange dazwischen liegende Jahre kaum aus den Nebeln dämmernder Vergessenheit auftauchen.

Der junge Mann, der so stolz und freudig die Renoncenfarbe der Saxoborussia auf seinem Haupte trug, besuchte, wie die meisten seiner Corpsgenossen, am Vormittag regelmäßig die Vorlesungen des Professors von Bangerow, dieses großen Rechtslehrers, der es so meisterhaft verstand, die trockene Wüste der Institutionen und Pandekten durch die immer frisch sprudelnden Quellen seines Geistes zu befruchten und in den starren juristischen Formen der römischen Welt die Wege des Menschengeistes in seinem Streben nach der Ordnung, Gerechtigkeit und Wahrheit zu verfolgen und nachzuweisen.

Mit Eifer gab er sich im Kreise seiner Genossen dem fröhlichen Corpsleben hin mit seiner ritterlichen Frische und mit all dem tollen, kecken Uebermut der überwallenden Jugendkraft – er lernte das eigne Ich, den eignen Willen unterordnen unter die freiwillig anerkannten Gesetze einer ebenbürtigen Gemeinschaft und dabei doch zugleich so sorgsam und streng die eigne Ehre und Würde zu vertreten und vor jedem Flecken zu bewahren. In ganz besonders inniger Freundschaft schloß er sich immer fester an seinen Hausgenossen, Luiz Antonio de Souza, an, und die tiefe Charakterverschiedenheit, die zwischen beiden bestand, knüpfte ihre Freundschaft enger und machte ihren Verkehr miteinander anziehender und reizvoller. Herrn von Sarkows norddeutsch-kalte Natur gab dem Grunde seines Wesens eine gewisse kontemplative Ruhe, die ihn vor jeder leidenschaftlichen Ueberreizung bewahrte und aus seiner jugendmutigen Lebensfreude sorglos heiteren Humor erwachsen ließ – der junge Brasilianer dagegen war in seinem ganzen Wesen von der tropischen Sonne durchglüht, wilde Flammen unbändiger Leidenschaft loderten aus den Tiefen seines Wesens auf und schienen oft seine Seele verzehren zu wollen, dabei aber sprühten diese Flammen in so wunderbar poetischem Farbenspiel, daß der kühle Nordländer oft vor den leidenschaftlichen Ergüssen seines Freundes bewundernd, wie vor einem immer von neuem überraschenden Phänomen, stand, erschreckt, neugierig und teilnehmend zugleich und in immer wachsender Zuneigung sich dem Freunde anschließend, wie man etwa einem Fieberkranken immer innigere Liebe und immer zartere Sorge zuwendet.

Fast an jedem Abend, wenn sie spät nach Hause zurückkehrten, kam Luiz Antonio in Herrn von Sarkows Zimmer, um mit ihm von seiner Liebe zu sprechen; bald klagte und jammerte er voll finsterer Verzweiflung – bald wieder strömte er, die finstere Zukunft vergessend, wie man im Rausch des frischen Lebens den langsam und sicher heraufziehenden Tod vergißt, all sein Entzücken, all seine Leidenschaft in jubelnder Wonne aus; immer aber kleidete sich seine Empfindung in so schöne, bald zart hingehauchte, bald flammend aufglühende poetische Form, daß Herr von Sarkow bewundernd lauschte und es im stillen bedauerte, daß mancher lyrische Dichter nicht aus diesem Feuerquell schöpfen könne. Selbst wenn Luiz Antonio, von seinem Gefühl fortgerissen, in seiner Muttersprache redete, so lauschte Herr von Sarkom tief bewegt dem melodischen Musikklange der portugiesischen Worte, ohne deren Sinn zu verstehen, bis dann endlich beide ihr Lager aufsuchten – Herr von Sarkow, um in festen, ruhigen Schlaf zu versinken, Luiz Antonio, um von seiner Liebe Schmerz und Glück weiterzuträumen.

An jedem Morgen, wenn er ausging, sah der junge Student in dem Wohnzimmer der Treubergschen Familie, deren Tür dann regelmäßig offen stand, Dorchen Treuberg am Fenster sitzen, vor dem sich außerhalb ein kleiner Spiegel befand, durch den man bis nach der Hauptstraße herauf die Vorübergehenden beobachten konnte; es war natürlich, daß er eintrat, um seiner anmutigen Wirtstochter guten Morgen zu sagen; bald hatte sich die Gewohnheit entwickelt, daß er lange vor dem Beginn des Kollegs herabkam und mit dem jungen Mädchen, das ihn pünktlich erwartete, ein reizendes Morgenstündchen verplauderte. War auch nicht immer wieder ein Garnknäuel aufzuwickeln, so nahm er doch seinen Platz vor dem Fenstertritt stets so nahe zu ihren Füßen ein, daß es nicht zu verwundern war, wenn seine Lippen zuweilen die Spitzen ihrer feinen Finger berührten, und während sie leicht und heiter miteinander plauderten, erzählten sich ihre Augen in stummer Sprache gar manche reizende und duftige Märchen, die zwar nicht so schwärmerisch und traurig waren, als Luiz Antonios nächtliche Seelenergüsse, aber doch voll lieblicher Poesie zwischen den jungen Herzen hin und her gaukelten wie der Schmetterling, der sich im Sonnenstrahl des Augenblicks auf der blühenden Rose wiegt, unbekümmert um den eisigen Wintersturm der Zukunft, der doch kommen muß, um sein kurzes Leben mit der ganz lichten und blühenden Frühlingswelt zu zerstören.

So kam er an einem Morgen herab und blieb unmutig an der Schwelle der offenen Tür des Wohnzimmers stehen. Dorchen Treuberg war nicht allein wie sonst, ihre Freundin Evchen war bei ihr und saß, dem Eintretenden neckisch entgegenlächelnd, vor dem Klavier; auf seinem eignen Platz aber, zu Dorchens Füßen, vor dem Fenstertritt, sah er den Studiosus Langenberg sitzen, dessen finsteres Gesicht leidenschaftlich bewegt schien und der eifrig zu dem jungen Mädchen sprach. Schon wollte Herr von Sarkow, erbittert über den Verlust der süßen Morgenstunde, mit kurzem Gruß vorübergehen, als Dorchen ihn hocherrötend, mit etwas gezwungen heiterer Miene anrief; zugleich sah sich Langenberg nach ihm um, und aus seinen Augen blitzte ihm so viel Haß und so viel feindliche Drohung entgegen, daß er diesem herausfordernden Blick nicht weichen konnte, selbst wenn er es über sich vermocht hätte, der lieblichen Bitte in Dorchens schönen Augen zu widerstehen. Er trat ein, begrüßte den Schwaben mit hochmütig kalter Zurückhaltung und begann mit den beiden Mädchen eine leichte, galante Plauderei, als ob niemand als sie weiter im Zimmer anwesend wäre, wobei er seine Aufmerksamkeit in besonders auffallender Weise Evchen Meier zuwendete, die es nicht unterließ, mit ihm so liebenswürdig als möglich zu kokettieren und ihrer Freundin von Zeit zu Zeit boshaft spöttische Blicke zuzuwerfen. Langenberg war verstummt und saß finster brütend da, während Dorchen, erbleichend und errötend, oft hörbar mit dem kleinen Fuß auf den Boden trat und mehrmals den Faden ihrer Arbeit zerriß.

Endlich, als er Evchen Meier, die sich nahe zu ihm herüberbeugte, einige leise Worte ins Ohr flüsterte, sprang Dorchen auf und rief:

»Mein Gott, ich habe vergessen, meinen Vogel zu füttern, der arme kleine Hans ist es nicht gewohnt, vernachlässigt zu werden, er kennt mich und weiß, daß ich nicht veränderlich und unzuverlässig bin wie viele andre Menschen – da schlägt er mit den Flügeln und sieht mich ganz zornig an, ich muß mein Unrecht gut machen – wollen Sie mir helfen, Herr von Sarkow?« fügte sie heftig, in fast befehlendem Ton hinzu.

»Gewiß, Fräulein Dorchen!« rief Herr von Sarkow, indem er ihr diensteifrig den Drahtkäfig abnahm, den sie von der Wand der Fensternische herabhob und in dem der kleine gelbe Kanarienvogel zwitschernd hin und her flatterte. Sie stellte den Käfig auf den Sofatisch in der Ecke des Zimmers, während Langenberg erbleichend die Lippen aufeinander preßte, und bald war sie mit Herrn von Sarkows Unterstützung eifrig beschäftigt, das kleine Futterkästchen zu füllen, den Trinknapf mit frischem Wasser zu versehen und einige Resedablüten zwischen dem Gitterwerk zu befestigen.

»Ich war so böse über den frühen Besuch,« flüsterte sie leise – »aber Sie scheinen ja recht froh zu sein, daß Sie Evchen hier gefunden,« fügte sie mit einem vorwurfsvollen Blick hinzu, der ihn aus nächster Nähe traf, da sich beide über den Käfig gebeugt hatten, in dem der kleine Vogel ihnen fröhlich zwitschernd seinen Dank für die ihm bewiesene Sorgfalt auszusprechen schien.

Er sah sie ganz glücklich an, und da sie gerade in diesem Augenblick einen Resedazweig durch das Gitter des Käfigs schlang, so griff er, um ihr behilflich zu sein, nach dem Zweige und beugte sich herab, als ob er den Duft der Blüte einsaugen wollte, dabei schlangen sich seine Finger um die ihrigen und seine Lippen ruhten lange auf ihrer Hand, die zitternd den kleinen Zweig immer nicht an die rechte Stelle zu bringen vermochte; doch schien ihr diese stumme Antwort auf ihre Bemerkung zu genügen, der Vorwurf verschwand aus ihrem von den gesenkten Wimpern beschatteten Blick, ein freundliches Lächeln spielte um ihre Lippen, und er fühlte einen leisen Druck ihrer schlanken Finger. Es war eigentümlich, wie langsam die Versorgung des kleinen Vogels vor sich ging, immer mußten die Näpfchen noch einmal wieder abgenommen und von neuem angehängt werden, immer wieder saß der kleine Blütenzweig noch nicht am rechten Orte fest, und so oft das Arrangement des Käfigs geändert und neu geordnet werden mußte, ebenso oft fanden sich ihre Hände zu einander, ebenso oft strömte aus seinen warmen Lippen heiße Glut zu ihrem klopfenden Herzen hin.

Evchen Meier hatte eine Zeit lang mit schalkhafter Miene dies anmutige Spiel verfolgt, das hinter dem Rücken des finster zur Erde blickenden Langenberg stattfand; endlich sagte sie lachend:

»Erzählen Sie mir etwas, Herr Langenberg – wir sind mit unsrer Unterhaltung auf einander angewiesen, die beiden dort haben so viel mit ihrem Käfig zu tun, daß sie keine Zeit für uns übrig haben – es ist freilich auch ein wichtiges Ding, für den armen kleinen Vogel zu sorgen, und dann,« fügte sie lachend hinzu, »ist es auch ein merkwürdiges Ding um den Käfig dort – du weißt, Dorchen, ich habe dir neulich eine Geschichte erzählt von dem Faden, auf dem die Feen ihren zauberischen Funken hin und her laufen lassen –! heute sehe ich, daß sie sich auch mit dem Draht des Käfigs beschäftigen – ich sehe da die Funken knistern und sprühen, da muß wohl Feenzauber im Spiele sein, wenn nicht etwa dein kleiner Vogel elektrisch geworden ist wie das Haar des Fuchses und der schwarzen Katzen.«

Dorchen warf ihr einen unmutig strafenden Blick zu.

»Ich bin fertig,« sagte sie, indem sie den Käfig emporhob, um denselben, während Herr von Sarkow ihren Arm stützte, wieder auf seinen Platz an der Wand zu hängen.

»Ich begreife nicht,« sagte Langenberg mit dumpfer Stimme, »wie Sie an dem Vogel in dem engen Käfig Freude finden können; das arme Tier ist eingesperrt und schmachtet in seiner Gefangenschaft trotz aller Leckerbissen, die Sie ihm reichen; geben Sie ihm die Freiheit, er wird tausendmal glücklicher sein bei der dürftigen Nahrung, die er sich mit freiem Flügelschlage in der weiten Natur nach eigner Wahl sucht.«

»O nein, Herr Langenberg, Sie haben unrecht,« sagte Dorchen, die bei dem grimmigen Klang seiner Stimme erschreckt zusammengefahren war – »Sie haben unrecht, mein Hans ist glücklich in seinem Käfig und sieht mich so freundlich an, er würde draußen in der Welt nichts anzufangen wissen und elend umkommen.«

»Besser umkommen in der Freiheit,« erwiderte Langenberg finster, »als in der Knechtschaft von Leckerbissen leben – das ist ja, wie es die Fürsten mit den Völkern machen,« fügte er höhnisch lächelnd hinzu – »sie sperren sie ein in den Käfig der Tyrannei und glauben sie glücklich zu machen, wenn sie die Gitter des Kerkers vergolden und ihnen je nach ihrer Laune ihr Futter zumessen. Es gibt freilich auch unter den Völkern arme Gimpel, die zufrieden sind mit dem Sklavenleben, weil sie im Käfig geboren sind und selbst die Erinnerung an die Freiheit nicht kennen – ja,« fuhr er heftiger fort, »auch unter den Menschen gibt es elende Fürstendiener, die stolz sind auf ihre Sklaverei und sich an dem Goldglanz der Kerkerstäbe erfreuen – aber dennoch erwacht immer mächtiger in den Völkern der Naturdrang nach Freiheit, und dennoch werden sie ihren Kerker einmal zersprengen, sie werden sich mit rauschendem Flügelschlag in den lichten Aether der Freiheit erheben und vielleicht ihre früheren Kerkermeister in den leeren Käfig sperren zu Spott und Schande.«

Herr von Sarkow hatte hoch aufgehorcht, als Langenberg immer bitterer und höhnischer sprach – seine Wangen röteten sich, seine Augen blitzten.

»Pfui, Herr Langenberg,« sagte Dorchen ängstlich und unruhig, indem sie sich bemühte, einen heitern, scherzenden Ton festzuhalten, kommen Sie schon wieder mit Ihrer Politik und Ihren demokratischen Geschichten? Ich habe Ihnen schon oft gesagt, daß mich das langweilt, und nun muß mein armes Vogelhänschen Ihnen gar noch Stoff dazu geben – sehen Sie nur, wie froh und zufrieden er in seinem Käfig ist,« fügte sie, auf den kleinen Vogel deutend, hinzu, der lustig an der Resedablüte pickte. Aber es gelang ihr nicht, das bedenkliche Gespräch auf ein harmloses Gebiet hinüberzuführen – Herr von Sarkow war vorgetreten, hochmütig kräuselte sich seine Lippe und in schneidend kaltem Ton sagte er:

»Herr Langenberg irrt sich, nur das niedrige und gemeine Federvieh muß in Käfige gesperrt werden; der edle Falke steigt von der Hand seines Herrn hoch in die Lüfte hinauf, das Wild zu jagen in der Freiheit des mutigen Kampfes, und dann kehrt er in freiem Gehorsam wieder auf die Hand seines ritterlichen Herrn zurück. So sind die Fürstendiener, kein Käfig engt sie ein, keine Gefangenschaft drückt sie, unter dem freien, sonnenlichten Himmel suchen sie in freudigem Gehorsam Ruhm und Ehre.«

Langenberg lachte höhnisch.

»Und wenn sie sich blutig gerauft haben zur Freude ihres Herrn,« sagte er, »dann zieht ihnen dieser wieder die Kappe der Knechtschaft über den Kopf – die sehr viel Aehnlichkeit hat mit der preußischen Pickelhaube.«

Flammenden Blicks, hochaufgerichtet trat Herr von Sarkow vor ihn hin.

»Halt, mein Herr!« rief er drohend und gebieterisch – »kein Wort weiter, ich bin Preuße, und in meiner Gegenwart darf niemand irgend eine Bemerkung über die Uniform meines Königs und Herrn machen, die die edelsten und besten Söhne meines Vaterlandes mit stolzer Freude tragen.«

»Ich habe keine Bemerkung über die preußische Uniform gemacht,« sagte Langenberg achselzuckend, indem er, ohne Herrn von Sarkow anzusehen, aufstand und seine Mütze nahm – »mag sie tragen, wem sie Freude macht, – aber so viel ist gewiß, daß die Pickelhaube eine ganz frappante Aehnlichkeit mit der Falkenhaube hat, die den gefangenen Vogel blendet und zur Knechtschaft dressiert.«

Er ging mit einem kurzen Gruß gegen die beiden erschrockenen Mädchen hinaus.

Schnell wie der Blitz eilte ihm Herr von Sarkow auf den Flur nach und vertrat ihm, ehe er noch die Haustür erreicht hatte, den Weg.

»Mein Herr,« sagte er mit gedämpfter Stimme, »die Aeußerungen, die Sie soeben zu machen die Dreistigkeit hatten, sind für mich persönliche Beleidigungen, und ich fordere Sie auf, sie auf der Stelle zurückzunehmen.«

»Und wenn ich das nicht tue?« fragte Langenberg.

»So werden Sie begreifen,« erwiderte Herr von Sarkow, »daß Sie mir Rechenschaft zu geben haben über eine Beleidigung, die weit über die Grenzen des Corpskomments hinausgeht.«

»Ich bin gewohnt, alles zu vertreten, was ich sage und tue,« antwortete Langenberg.

Ohne Gruß drängte er sich an Herrn von Sarkow vorbei und warf die Haustür klirrend ins Schloß.

Die beiden Mädchen standen aneinander gedrängt wie verschüchterte Tauben auf der Schwelle des Wohnzimmers.

»Herr von Sarkow – bitte, Herr von Sarkow, hören Sie!« rief Dorchen.

Bleich, aber ruhig lächelnd trat der junge Mann zu ihnen heran.

»Was haben Sie gehabt?« fragte Dorchen, indem sie ängstlich seine Hand ergriff – »o, ich bitte Sie, lassen Sie ihn gehen – es ist so ein wilder Mensch, ich fürchte mich immer vor ihm, wenn er kommt, er kann einmal seine demokratischen Reden nicht lassen – nicht wahr,« fragte sie bittend, »es ist nichts, Sie werden nicht weiter von der Sache mit ihm sprechen, es wird – es wird keine Folgen haben – nicht wahr. Sie versprechen mir das?«

»Seien Sie ganz ruhig, Fräulein Dorchen,« sagte Herr von Sarkow ganz heiter, »ich habe ihm meine Meinung gesagt, und Sie können gewiß sein, daß ich mit ihm nicht weiter über die Sache sprechen werde.«

»Ist das gewiß?« fragte Dorchen – »ganz gewiß – geben Sie mir Ihre Hand darauf?«

Er drückte ihre Hand und neigte den Kopf.

Noch einmal sah sie ihn besorgt und fragend an – aber seine lächelnde Miene schien sie zu beruhigen. Freundlich grüßend ging er davon, und als er sich an der Ecke der Straße noch einmal umsah, erblickte er in dem Fensterspiegel Dorchens liebliches Bild, wie sie ihm einen letzten Abschiedsgruß zuwinkte.

Als das Kolleg beendet war und die Saxoborussen sich in der Walzschen Konditorei zum Frühstück versammelten, führte Herr von Sarkow den Grafen Kronau in das kleine Hinterzimmer und teilte ihm das Vorgefallene mit.

Graf Kronau schüttelte bedenklich den Kopf.

»Das ist eine ernste Sache,« sagte er, »das kann mit einer gewöhnlichen Corpspaukerei nicht abgemacht werden. Du bist entschlossen, sie zu verfolgen?«

»Fest entschlossen,« erwiderte Sarkow – »entweder Widerruf und Entschuldigung vor Zeugen oder die schärfste Forderung.«

»Langenberg ist ein vortrefflicher Säbelschläger, du bist darauf noch nicht eingepaukt,« sagte er mitleidig, das hübsche, jugendfrische Gesicht des jungen Renoncen betrachtend.

»Dann wähle ich Pistolen,« sagte Sarkow, »das gleicht alles aus und scheint mir überhaupt für diesen Fall richtiger.«

»Gut also,« sagte Kronau, »das ist mir auch lieber so. Vor allem schweige jetzt gegen jedermann, auch gegen die Unsrigen; ich werde dein Sekundant sein und mit dem ersten Chargierten der Schwaben sprechen, damit alles mit strengster Diskretion behandelt wird. Ein Pistolenskandal wird ernst genommen, und wir müssen alle Vorsicht anwenden – vielleicht zieht Langenberg noch zurück, aber ich erwarte es kaum, er ist ein exaltierter Mensch voll revolutionärer Ideen.«

Beide traten wieder zu den übrigen, damit ein längeres Gespräch kein Aufsehen errege.

»Die Damen aus Mannheim sind heute nachmittag draußen in der Nähe von Weinheim, im Schlosse der Gräfin Waldburg,« sagte Franz von Helmholt; »sie haben uns bitten lassen, hinauszukommen – ich habe Fräulein von Herbingen einen Augenblick auf dem Bahnhof gesprochen, sie hat mir besonders aufgetragen, den kleinen Fuchs von Sarkow mitzubringen – was meint ihr, wenn wir hinausführen?«

Luiz Antonio und Graf Steinborn gingen sogleich bereitwillig auf den Vorschlag ein.

»Ich kenne die Gräfin Waldburg nicht,« sagte Herr von Sarkow zögernd.

»Dann machst du heute deinen Besuch,« rief Franz Helmholt, »du mußt doch dorthin und nimmst gleich die Gelegenheit wahr, ich werde dich vorstellen, und alles ist abgemacht. Wir haben gefrühstückt, laßt uns nicht erst zu Tisch gehen, um keine Zeit zu verlieren, und gleich von hier aus abfahren; die Damen kehren ohnehin früh nach Mannheim zurück, wir haben nur den Nachmittag für uns.«

Schnell wurden die Wagen bestellt, Fritz Helmholt und Graf Steinborn stiegen in den einen, Herr von Sarkow und Luiz Antonio in den andern, und in jenem schnellen Tempo, das die Heidelberger Kutscher stets innehielten, wenn die Saxoborussen ihre Fahrgäste waren, fuhr man auf der von hohen Walnußbäumen beschatteten Chaussee der Bergstraße nach Weinheim hin. Diesseits der Bergspitze, die die Ruine der alten Burg Windeck trägt und an deren Fuß sich das freundliche Städtchen Weinheim ausbreitet, lag das großartige Schloß der alten Gräfin Waldburg, im alten Feudalstil erbaut und von einem weiten, prachtvollen Park umgeben.

Nach kurzer Fahrt war man dort angelangt.

Als die Saxoborussen vor dem großen Portal ausstiegen, drückte Luiz Antonio Herrn von Sarkows Hand, und dieser fühlte, daß die Hand seines Freundes kalt und feucht war.

Die Gesellschaft befand sich in dem großen Gartensalon, dessen weitgeöffnete Türen die milde Luft des erwachenden Frühlings einströmen ließen und der eine weite Aussicht auf den sich mit dem ersten grünen Schimmer bekleidenden Park darbot.

Herr von Sarkow wurde der alten Gräfin, die ihn mit freundlicher Herzlichkeit empfing, vorgestellt und folgte dann einem lächelnden Wink des Fräuleins von Herbingen, um sich an die Seite der schönen Lehrmeisterin zu begeben, die so liebenswürdig seine Erziehung übernommen hatte. Luiz Antonio unterhielt sich mit einigen Herren, indem er ganz zitternd zu der schönen Frau von Wartenstein hinübersah, die unnahbar in einem Kreise von älteren Damen saß. Auch Herr von Wartenstein trat zu dem jungen Brasilianer heran und unterhielt sich in seiner strengen und gemessenen Weise herablassend freundlich mit ihm. Aber immer unruhiger wurde der junge Mann, immer unzusammenhängender antwortete er auf die Fragen und Bemerkungen, die Herr von Wartenstein an ihn richtete, denn es war ihm nicht möglich, auch nur einen Blick von derjenigen zu erhalten, der seine ganze Seele entgegenflog; die schöne Frau schien entschlossen, die Augen nicht von ihrem Schoß aufzuschlagen; sie spielte mit ihrem Fächer, eifrig mit den alten Damen an ihrer Seite sprechend, und wenn jemals ihre Augenwimpern sich erhoben, so streifte ihr Blick den jungen Dragoneroffizier, der auf dem Ball in Mannheim sie vergebens um einen Tanz gebeten hatte.

Immer unruhiger wurde Luiz Antonio, und als es ihm endlich möglich war, das Gespräch, das er kaum weiter zu führen vermochte, abzubrechen, ging er wie in einem verzweifelten Entschluß auf die schöne Frau zu, sie mit einer gleichgültigen Phrase, aber mit zitternder Stimme anredend. Sie antwortete ihm kühl, ohne die Augen aufzuschlagen. Nach einigen flüchtig gewechselten Worten rief sie den jungen Dragoneroffizier zu sich heran, indem sie ihn fast gewaltsam in die Unterhaltung hineinzog.

Luiz Antonio drehte sich heftig um – seine Lippen bebten und sein Gesicht wurde erdfahl. Herr von Sarkow, der ihn beobachtet hatte, zitterte vor einer heftigen Scene, auch Fräulein von Herbingen schien ähnliches zu fürchten. Schnell erhob sie sich und führte mit einem lachenden Scherzwort Luiz Antonio zur Seite, der seiner selbst kaum mehr mächtig war – eine wilde Lustigkeit schien sich seiner zu bemächtigen, laut und lebhaft begann er mit Fräulein von Heilungen sich zu unterhalten, und aus der kleinen Gruppe, die diese mit ihm und Herrn von Sarkow in einer Ecke des großen Saales bildete, erschallte wiederholt helles, fröhliches Gelächter, jedermann mußte glauben, daß der feurige Brasilianer dem schönen Fräulein von Herbingen seine lebhaften Huldigungen weihte, – selbst Herr von Sarkow wurde irre an seinem Freunde und konnte kaum ein leises Gefühl von Unmut überwinden, als er sah, daß seine schöne Erzieherin sich fast ausschließlich mit jenem beschäftigte.

Nun aber begann Frau von Wartenstein unruhig zu werden, sie schien kaum auf die galanten Worte des Dragoneroffiziers zu achten, ihre Blicke suchten, aber immer vergebens, Luiz Antonios Augen, und immer heftiger bewegte sich der Fächer in ihrer zitternden Hand. Herr von Wartenstein blickte immer finsterer zu seiner Gemahlin hinüber, – es schien, daß er ihre sichtbare Erregung der Unterhaltung mit dem Offizier zuschrieb; endlich trat er ziemlich brüsk zu ihr heran und begann ein allgemeines Gespräch, indem er den Dragoner in fast herausfordernder Weise zu übersehen sich den Anschein gab.

Fräulein von Herbingen bemerkte die nach allen Richtungen gespannte Situation.

»Wie wäre es,« sagte sie, indem sie schnell aufstehend sich der Gräfin Waldburg näherte, »wenn wir ein wenig Musik machten – Herr von Souza weiß so hübsche Lieder zu singen.«

Die Gräfin nickte zustimmend.

Luiz Antonio erklärte mit finsteren Blicken fast unhöflich, daß er heiser und keines Tones mächtig sei.

Da näherte sich ihm Frau von Wartenstein, begierig die Gelegenheit ergreifend, um das immer peinlicher werdende Gespräch mit ihrem Gemahl abzubrechen, und bat ihn lächelnd, zu versuchen, ob er nicht dennoch seiner Heiserkeit Herr werden könne.

Luiz Antonio zitterte bei ihrer Annäherung – einen Augenblick stand er verwirrt und unschlüssig da, dann aber trat er zum Flügel und begann nach einem kurzen Präludium in einer jener scharf accentuierten Melodien der altfranzösischen Romanzen zu singen:

»Dans un Moment de jalousie
J'ai cru pouvoir – pardonne moi –
Briser de charme de ma vie
Le charme, qui m'enchaîne à toi.
J'ai voulu fuir mon esclavage,
J'ai voulu bannir ton image –
Mais – un regard est tombé sur moi
Et mon âme entière a volé vers toi!
Je t'aime, – je t'aime,
Sans toi je ne peux vivre un jour –
Je t'aime, je t'aime,
Rends moi mon coeur ou rends moi ton amour!«

Er hatte die Augen niedergeschlagen, während seine anmutig weiche Stimme durch den Saal klang, nur bei den letzten Worten erhob sich sein glühender Blick zu Frau von Wartenstein, die lauschend seitwärts stand und nun das Zeichen zu lautem Beifall gab, in den die ganze Gesellschaft einstimmte. »Sehr schön,« sagte sie dann, »sehr schön – ich danke Ihnen, daß Sie meiner Bitte nachgegeben.«

Auch Herr von Wartenstein trat heran, um dem jungen Manne ein freundliches Kompliment zu sagen; dann aber wendete er sich wieder mit drohender Miene zu seiner Frau, als ob er die Annäherung des jungen Dragoners zurückweisen wollte.

»Wie wäre es mit einem Spaziergang im Park?« rief Fräulein von Herbingen. – »Kommen Sie, Herr von Sarkow, Sie waren noch niemals hier, ich werde Ihnen meine Lieblingsplätze zeigen – komm mit. Elise,« fuhr sie fort, den Arm der Frau von Wartenstein ergreifend, »und Sie, Herr von Souza, sollen uns ebenfalls begleiten. Sie haben so schön gesungen, daß Sie wohl eine Belohnung verdienen, und ich hoffe, es ist eine Belohnung für Sie, unser Kavalier zu sein.«

Eilig folgte Luiz Antonio den beiden Damen, die bereits an Sarkows Seite den Gartensaal verlassen hatten. Auch der Dragoneroffizier machte Miene, sich dem Spaziergange anzuschließen, aber Herr von Wartenstein, über dessen Gesicht bei Fräulein von Herbingens Aufforderung ein Schimmer zufriedener Zustimmung geflogen war, trat vor ihm in die Tür, den Ausgang mit seiner Person fast verschließend, und da die Damen sich mit schnellen Schritten bereits weit entfernt hatten, so wendete sich der Dragoner, unmutig seinen Schnurrbart streichend, wieder zu der übrigen Gesellschaft zurück.

Als die Damen mit den beiden Studenten die dunkeln Gänge des Parks erreicht hatten, nahm Fräulein von Herbingen Sarkows Arm und ging schnell voraus, so daß nach kurzer Zeit die beiden Paare durch eine ziemliche Entfernung voneinander getrennt waren. Fräulein von Herbingen plauderte heiter, neckisch und übermütig mit ihrem jungen Begleiter, der sich heute noch mehr als auf dem Ball vollständig von dem eigentümlichen und fast dämonischen Zauber ihres kühnen, stolzen Geistes und ihrer wechselvollen Laune bestrickt fühlte und kaum an seinen Freund dachte, der mit Frau von Wartenstein immer weiter zurückblieb und häufig auf dem gewundenen Wege hinter den Baumgruppen der Bosketts verschwand. »Unsre Lektion ist für heute beendet,« sagte Fräulein von Herbingen endlich, indem sie sich rückwärts wendete, »ich hoffe. Sie werden fleißig repetieren und über Ihrer Jurisprudenz meinen Unterricht nicht vergessen.«

»Die Gefahr des Vergessens ist auf seiten der Jurisprudenz,« rief Herr von Sarkow feurig, indem er einen heißen Kuß auf die schöne Hand drückte, die sie ihm reichte, aber schnell wieder entzog, um ihrer Freundin entgegenzugehen, die, an Luiz Antonio geschmiegt, mit strahlenden Augen zu ihm aufblickte und den Worten lauschte, die er, sich herabbeugend, ihr ins Ohr flüsterte.

Beide fuhren auseinander, als Fräulein von Herbingen mit Herrn von Sarkow ihnen entgegentrat.

»Scheint die Sonne noch so schön.
Einmal muß sie untergehn« –

trällerte Fräulein von Herbingen leichthin, »und die heutige Sonne sinkt in der Tat hinab; wir müssen uns zur Abfahrt rüsten, um den Zug nach Mannheim nicht zu versäumen.«

Die beiden Paare blieben bei einander, und Fräulein von Herbingens leichter Sicherheit gelang es, eine allgemeine heitere Unterhaltung fortzuführen, an der Luiz Antonio mit glückstrahlenden Blicken lebhaft teilnahm, während Frau von Wartenstein in schweigende Träumerei versank.

Man brach auf. Fräulein von Herbingen erbat sich die Begleitung der Frau von Wartenstein und teilte deren Gemahl ihrer Schwester, der Frau von Starkenburg, als Kavalier zu. Herr von Wartenstein, der außergewöhnlich heiter war und Fräulein von Herbingen für den Spaziergang in den Park, zu dem sie seine Frau entführt hatte, sehr dankbar schien, nahm das vorgeschlagene Arrangement bereitwillig an. und so fuhren denn die Wagen der Damen und der Heidelberger Studenten unmittelbar hintereinander ab.

Als man etwa eine Viertelmeile gefahren war, begann der Kutscher des Wagens, in dem Fritz Helmholt und der Graf Steinborn saßen, plötzlich in vollem Lauf seiner Pferde dahinzujagen, wahrend die beiden Herren ihn durch laute Zurufe zu immer größerer Eile antrieben. Der zweite Kutscher, solcher schwindelnden Wettfahrten, wie sie die Studenten häufig auszuführen pflegten, gewohnt, jagte ebenfalls wie toll voran, um den ersten Wagen zu überholen. Luiz Antonio achtete kaum darauf, er war zu sehr mit seinen Erinnerungen beschäftigt; Herr von Sarkow blickte besorgt in den dunkelnden Abend hinaus – ein einziger Stein im Wege mußte bei dieser rasenden Fahrt die Räder zertrümmern.

Da plötzlich jagte ein dritter Wagen hinter ihnen her, dessen Pferde, durch den tollen Lauf der beiden ersten Gespanne aufgeregt, jene ebenfalls zu überholen strebten. In wahnsinniger Eile jagten die Wagen vorwärts – der dritte hatte Herrn von Sarkow und Luiz Antonio bereits überholt – man hörte ängstliche Frauenstimmen in ihm; jetzt näherte er sich dem ersten Wagen, in wilder Eile wollten die Pferde vorbeistürmen, aber sie waren dem Graben an der Seite der Chaussee zu nahe gekommen – ein erschrockenes Aufsteigen der Pferde – ein gellender Angstruf, und der Wagen lag umgestürzt an dem Rande des Weges.

»Halt!« rief Herr von Sarkow, »halt, um Gottes willen!«

Mühsam brachte der Kutscher die Pferde zum Stehen.

Schnell waren die beiden jungen Leute zur Erde gesprungen und eilten dem umgestürzten Wagen zu. Aus ihm tauchte zuerst Fräulein von Herbingen auf, in heftigem Unwillen Herrn von Sarkow, der ihr die Hand bot, mit einer Flut von zornigen Worten überschüttend – Luiz Antonio beugte sich herab und hob in seinen Armen Frau von Wartenstein empor, die sich bleich und ängstlich an ihn anschmiegte und zitternd in seinen Armen ruhte.

»So machen Sie meinen Lehren Ehre?« rief Fräulein von Herbingen. »Ist es ritterlich, zwei Damen in solche Gefahr zu bringen um eines tollen Uebermutes willen?«

Herr von Sarkow kniete vor ihr nieder und sagte mit ganz zerknirschter Miene:

»Die Gefahr ist Gott sei Dank vorüber, bestimmen Sie selbst die Buße, mein gnädiges Fräulein – wenn Sie befehlen, werden wir uns sogleich mit unserm Wagen hier ebenfalls in den Graben stürzen – freilich,« fügte er seufzend hinzu, indem er bittend ihre Hand drückte, »hätten wir dann keinen Platz mehr, um Sie sicher nach Heidelberg zu bringen, denn Steinborn und Fritz Helmholt sind bereits in weiter Ferne verschwunden und kümmern sich wenig darum was hinter ihnen vorgeht.« Fräulein von Herbingen mußte über die jammervolle Miene des Herrn von Sarkow, aus der doch so viel heiterer Uebermut hervorblickte, laut lachen.

»Nein,« rief sie, »das geht in der Tat nicht – nicht Ihretwegen, Sie könnten sich zur gerechten Strafe für Ihre Unart Arm und Beine brechen, ohne daß ich Sie bemitleiden würde, aber die andern sind noch weit zurück, hier auf der offenen Landstraße können wir unmöglich bleiben, und in den Wagen mit den tollgewordenen Pferden setze ich mich nicht wieder. – Elise,« sagte sie, schelmisch zu ihrer Freundin hinüberblickend, die noch immer in Luiz Antonios Armen ruhte, »Elise scheint auch milde und zum Verzeihen geneigt zu sein, also steigen wir ein, wir sind ja auf Ihren Schutz angewiesen, der uns freilich nach dieser Probe sehr wenig Vertrauen einflößen kann.«

Herr von Sarkow untersuchte mit dem Kutscher, der nur einige leichte Beulen erhalten hatte, die Pferde; sie waren völlig unbeschädigt und standen zitternd und schnaubend da; auch an dem Wagen war nichts gebrochen, er wurde wieder aufgerichtet, und die beiden Damen stiegen zu den Studenten ein, die ihnen gegenüber auf dem Rücksitz Platz nahmen. In kurzem Trabe fuhr man auf der Straße nach Heidelberg weiter, während der Wagen der Frau von Wartenstein folgte. Der Unfall war bald vergessen, und fast schien es, als ob alle Beteiligten damit durchaus zufrieden seien: Herr von Sarkow und Fräulein von Herbingen sprachen laut und heiter miteinander in der eigentümlichen, halb leicht neckischen, halb feurig galanten Weise, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte – die flüsternde Unterhaltung zwischen Frau von Wartenstein und Luiz Antonio wurde durch das Rollen des Wagens übertönt, aber sie saßen nahe zu einander hinübergebeugt, trotz der herabsinkenden Dunkelheit mußten sie in ihren Augen lesen können, denn ihre Blicke lösten sich nicht voneinander, und Frau von Wartenstein schien es nicht zu bemerken, daß ihre Hand in der des jungen Mannes ruhte.

Als man auf dem Bahnhofe ankam, färbte höheres Rot die Wangen der schönen Frau, und Luiz Antonios Augen leuchteten in glücklichem Entzücken. Bald kamen die andern Wagen heran – der Dragonerleutnant hatte die Fahrt mit einigen alten Damen gemacht, und Herr von Wartenstein schien auch jetzt mit dem ganzen Arrangement ungemein zufrieden; er dankte Luiz Antonio und Herrn von Sarkow für den Beistand, den sie seiner Frau bei dem Unfall geleistet, den er von dem langsam fahrenden Kutscher erfahren hatte.

Die Gesellschaft trennte sich, der Zug fuhr nach Mannheim, Fräulein von Herbingen erlaubte Herrn von Sarkow, ihre Hand zu küssen, Frau von Wartenstein nahm durch eine stumme Verbeugung von Luiz Antonio Abschied. –

Die Saxoborussen begaben sich, da der Abend noch nicht weit vorgeschritten war, auf den Riesenstein. Sie fanden dort das ganze Corps versammelt und wurden mit vielen Ganzen begrüßt, die man ihnen von allen Seiten zutrank. Herr von Sarkow stimmte laut in die allgemeine Heiterkeit mit ein, während Luiz Antonio schweigend und träumerisch an seiner Seite saß und ihm von Zeit zu Zeit die Hand drückte, als müsse er dem Freunde in irgend einer Weise wenigstens ein äußeres Zeichen von dem Glück geben, das ihn erfüllte. Bald erschien der Kartellträger der Vandalen, die für die Corpspaukerei am nächsten Morgen ihren Bestimmtag hatten. Auf der Liste, die ohne Veränderung angenommen wurde, stand Prollmann mit Herrn von Sarkow, der ganz glücklich darüber war, so schnell eine Gelegenheit zu der ersten der drei Paukereien zu finden, die für die Erlangung des Corpsbandes notwendig waren. Der Kartellant blieb etwa eine halbe Stunde, von allen Seiten wurde ihm mit der bei solchen Gelegenheiten üblichen entgegenkommenden Höflichkeit zugetrunken. Bald wurde die Kneipe aufgehoben, da die Paukereien schon früh am nächsten Morgen beginnen sollten, und als Luiz Antonio seinem Freunde Sarkow, nachdem sie nach Hause zurückgekehrt waren, noch sein volles Herz ausschütten wollte, drängte dieser ihn sanft in sein Zimmer und sagte lächelnd:

»Träume, lieber Freund, träume, heute kann ich dich nicht anhören, ich bedarf des Schlafes, um morgen ein sicheres Auge und ein festes Handgelenk zu haben.«


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