Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Vierzehntes Kapitel

Die Diagnose des Doktor Gallus Meier bestätigte sich vollkommen; die Krankheit nahm ihren regelmäßigen Verlauf, und kein bedenkliches Symptom trat ein. Dennoch aber dauerte das starke Wundfieber mehrere Tage lang, während deren Herr von Sarkow fast unausgesetzt im Halbschlummer dalag. Wenn er auch in keine eigentlichen Phantasien verfiel, so bedurfte es doch, wenn er die Augen öffnete, häufig einige Zeit, bevor sein trüber Blick die Person an seinem Lager erkannte, und meist verfiel er schnell wieder in den leichten Schlaf, in dem er oft unzusammenhängende Worte bald leise flüsterte, bald heftig hervorstieß, je nachdem die Fieberträume ihm freundliche oder erschreckende Bilder zeigten. Dorchen unterstützte Luiz Antonio eifrig und treulich in der Pflege des Kranken. Die übrigen Saxoborussen durften während der ersten Zeit ihrem verwundeten Freunde nur ganz flüchtige Besuche machen, und auch bei diesen nur durch die Tür in das Krankenzimmer blicken, ohne die Schwelle zu überschreiten, um jede Aufregung zur Verhütung stärkeren Fiebers zu vermeiden; so blieben denn Dorchen und Luiz Antonio meist allein bei dem Verwundeten, und wenn Luiz Antonio, der die Nachtwache bei seinem Freunde mit keinem andern der Corpsbrüder teilen wollte, sich am Tage auf einige Stunden niederlegte, um der erschöpften Natur neue Kräfte zu geben, so holte Dorchen ihre Freundin Evchen Meier zu ihrer Gesellschaft herbei, und ganz leise flüsternd saßen dann die beiden jungen Mädchen neben dem Lager, jede Bewegung und jeden Atemzug des Kranken bewachend.

»Wie hübsch er ist,« sagte Evchen, als beide eines Nachmittags wieder allein an Herrn von Sarkows Bett saßen. »Es ist entsetzlich, wenn man daran denkt, daß diese unglückliche Kugel, die ihm den Arm zerfleischte, die Stirn oder das Herz hätte treffen können; wie er so bleich daliegt mit der Fieberröte auf den Wangen, er ist noch hübscher, als da er gesund war, man möchte ihn küssen –«

»Du?« fragte Dorchen, indem sie ihre Freundin mit großen Augen ganz starr ansah – »du –«

»Nun,« flüsterte Evchen lachend, »wenn ich es jetzt täte, so wäre es doch nur Mitleid mit dem armen Kranken, und du hättest nicht nötig, eifersüchtig zu sein.«

»Eifersüchtig – welche Torheit!« sagte Dorchen, indem sie verwirrt und errötend sich über die Eisschale beugte, um einen neuen Umschlag zu bereiten, »wie sollte ich eifersüchtig sein – wie magst du überhaupt solche Torheiten sprechen in dieser traurigen Zeit, da man doch noch immer nicht weiß, ob auch wirklich alles gut wird; mir kommt es immer so vor, als ob der Tod noch über ihm schwebte und als ob ich immer dableiben müßte, um alles Böse abzuwenden.«

Sie hatte das Leinentuch mit kleinen Eisstückchen gefüllt und legte den neuen kühlenden Umschlag auf Herrn von Sarkows heiße Stirn. Er schien die Wohltat zu empfinden, ein freundliches Lächeln flog über sein Gesicht, er öffnete halb die Augen, sein verwirrter Blick traf das über ihn gebeugte junge Mädchen, tief aufatmend sagte er:

»Du bist da. Agnes, – wie gut du bist, wie das kühlt!«

Dorchen zuckte zusammen und starrte ihn mit entsetzten Blicken an; der Kranke dehnte sich behaglich, seine Augen schlossen sich wieder, und er bewegte die linke Hand wie suchend aus der Decke.

»Er will dir die Hand reichen,« sagte Evchen, »so gib sie ihm. eine liebe Hand hat einen beruhigenden Einfluß auf einen Kranken.«

Sie faßte Dorchens Hand, um sie in die des Verwundeten zu legen, aber Dorchen riß sich heftig los und sank in ihren Stuhl nieder, indem sie, starr vor sich hinblickend, schmerzlich seufzte:

»Agnes, – Agnes!«

»Er wird an irgend einen Roman denken, den er gelesen hat,« sagte Evchen, »im Fieber verwechselt man die Namen.«

Dorchen schüttelte traurig den Kopf, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und noch einmal flüsterte sie ganz leise den Namen Agnes, den der Kranke mit so wundersam innigem Ton ausgesprochen hatte.

Herrn von Sarkows Hand schien immer noch etwas zu suchen, dann hob er sie zu seinen Lippen empor.

»Sieh doch,« sagte Evchen, »er hat Durst, seine Lippen glühen.« Schnell nahm sie das Arzneiglas und flößte dem Kranken etwas von dem kühlenden Trank ein, den der Arzt hatte bereiten lassen.

Jetzt öffnete Herr von Sarkow seine Augen groß und weit, sein trüber Blick wurde Heller und Heller.

»Ah, Fräulein Dorchen,« sagte er mit einer Stimme, in deren mattem Ton doch schon etwas von seiner früheren frischen Heiterkeit wiederklang, »Sie sind da und Fräulein Evchen auch – Sie sind also nicht mehr böse – Dank, tausend Dank für Ihre Güte.«

Kräftiger als vorher streckte er Dorchen seine Hand hin, und als sie ihm diese reichte, zog er sie an seine fieberheißen Lippen. Die Glut seines Atems schien durch ihre zitternde Hand zu ihrem Herzen zu strömen und in hellen Flammen auf ihren Wangen aufzuleuchten; schnell aber schlossen sich wieder seine Augen, und bald zeigten seine tiefen Atemzüge, daß er von neuem entschlummert sei.

»Nun,« flüsterte Evchen ihrer Freundin zu, die noch immer Herrn von Sarkows Hand hielt, »bist du nun zufrieden – jene Agnes, von der seine fiebernden Lippen sprachen, war eine Täuschung seiner kranken Phantasie; in seinem Herzen steht mit großen Buchstaben Dorchen geschrieben – mir hat er nicht einmal die Hand geküßt,« fügte sie neckend hinzu, »und ich habe ihm doch den erquickenden Trank gereicht, während du ihn hättest verschmachten lassen.«

Dorchen lächelte ihrer Freundin ganz glücklich zu, und als sie ihre Hand zurückzog, berührte sie in schneller Bewegung, wie von ihrem Gefühl hingerissen, die schmalen, bleichen Finger des Kranken mit ihren Lippen. Bald aber senkte sich dennoch wieder ein Schatten auf ihre Stirn, und als Luiz Antonio zurückkehrte, um seinen Platz wieder einzunehmen, saß sie wie in tiefes, grübelndes Sinnen versunken da, so daß es mehrfach einer Mahnung bedurfte, um sie an die Erneuerung der Umschläge zu erinnern.

Das Fieber verschwand, die Heilung schritt schnell fort; schon konnte Herr von Sarkow die Hand an dem verwundeten Arm wieder bewegen, doch durfte er sich noch nicht von dem Lager erheben, um seine Kräfte erst vollständig wieder zurückkehren zu lassen. Mit der wiederkehrenden Genesung wurde die unausgesetzte sorgsame Pflege überflüssig; die übrigen Freunde durften öfter, wenn auch nur einzeln und auf kurze Zeit, kommen, und sie machten von dieser Erlaubnis so viel als möglich Gebrauch, denn der Kranke mußte doch von allem genau unterrichtet werden, was in Heidelberg vorging. Er erfuhr denn, daß die Saxoborussen zweimal während seiner Krankheit ihren Bestimmtag gehabt, daß der Fuchs von Wilberg von einem Rhenanen eine Terz von fünf Nadeln erhalten, wegen der er jedoch nur zwei Tage das Zimmer gehütet habe; daß dafür aber der Fuchs von Steinwald einem andern Rhenanen eine Quart von zehn Nadeln gegeben, wonach also das Paukbuch immer noch einen ganz anständigen Ueberschuß aufzuweisen habe. Fritz Helmholt war in Mannheim gewesen und brachte von allen Herren und Damen der dortigen Gesellschaft teilnehmende Grüße; das Pistolenduell war allgemein bekannt geworden, da man bei dem nicht lebensgefährlichen Ausgange keine weitere Untersuchung und Verfolgung von seiten der Behörden fürchten durfte; die Sache hatte nicht wenig dazu beigetragen, das allgemeine Interesse, besonders der Damenwelt, für Herrn von Sarkow zu erhöhen; sogar die Großherzogin Stephanie hatte sich ungemein liebenswürdig nach ihm erkundigt und ihm besonders gnädige Wünsche für seine Genesung gesendet.

Unter all dieser lebhaften Bewegung, die mit der steigenden Genesung das Krankenlager des Verwundeten umgab, zog sich Dorchen mehr und mehr zurück; ihr Platz konnte ja dort nicht mehr sein, und so sehr sie sich auch über die Genesung des Freundes freute, so dachte sie doch oft mit wehmütiger Sehnsucht an die vergangenen stillen Tage zurück, in denen sie seinen Schlummer überwacht hatte und träumen konnte, daß er ihr ganz allein gehöre, daß sie allein das Recht habe, für ihn zu sorgen. Sie kam nur noch in den Morgenstunden, wenn keine fremden Besuche zu erwarten waren, in das Krankenzimmer; wenn sie Luiz Antonio dort fand oder wenn Evchen Meier sie begleitete, so blieb sie wohl längere Zeit da und plauderte fröhlich und heiter wie früher – traf sie aber Herrn von Sarkow allein, so floh sie schnell nach kurzem Gruß und flüchtigem Händedruck wieder davon, indem der Abschiedsblick ihrer rehbraunen Augen dem jungen Mann deutlich sagte, daß sie jetzt wohl noch lieber als sonst bei ihm geblieben sein würde, wenn es sich eben nur hätte schicken wollen.

Langenberg war kaum zu sehen; finster, mit gesenkten Blicken stürmte er die Treppen hinab; Dorchen schien er gar nicht zu sehen, wenn sie ihm zuweilen begegnete und scheu zur Seite blickte; auch den alten Treuberg grüßte er nur ganz flüchtig, als ob er jeden Versuch eines kurzen Gesprächs, wie er es wohl früher mit seinem Hauswirt geführt, zurückweisen wolle; dagegen empfing er häufiger noch als sonst Besuche von unbekannten Fremden, mit denen er lange in seinem Zimmer eingeschlossen blieb.

Fräulein Schönfeld hatte sich die Gunst des Publikums, die sich ihr bei ihrem Debüt als Käthchen von Heilbronn zugewendet, erhalten, aber sie hatte es zu keinem entschiedenen Siege über ihre Nebenbuhlerin gebracht; oft entspannen sich während der Vorstellungen kleine Kämpfe um die Siegespalme des Beifalls, aber da die Saxoborussen sich, an ihnen nicht mehr beteiligten, so führten sie zu keiner Entscheidung, und Fräulein Schönfeld mußte es sich gefallen lassen, die Herrschaft über das Heidelberger Publikum zu teilen, worein sie sich denn auch mit guter Miene ergab. Sie hatte von Herrn von Sarkows Verwundung gehört und sendete demselben ein Billet, in dem sie ihm ihre Teilnahme und ihren Wunsch einer schnellen Genesung aussprach; doch war dies Billet so kühl-höflich gehalten, daß man aus demselben deutlich entnehmen konnte, die Schauspielerin habe die Ueberzeugung gewonnen, es sei an dem jungen Mann keine feste Eroberung zu machen, und sie mochte wohl, da ihre beiden ersten Beschützer nun untätig geworden waren, irgend einen neuen, den Wechselfällen des Waffenspiels weniger ausgesetzten Verehrer zu suchen sich entschlossen haben.

Als Luiz Antonio, der das Billet während der ersten Tage des Wundfiebers seines Freundes empfangen hatte, diesem es später mitteilte, riß es Herr von Sarkow lachend in Stücke und schien wenig bekümmert darüber, daß der kleine Roman mit seiner hübschen Reisegefährtin bestimmt war, immer in der Einleitung stehen zu bleiben.

Schon war der Zeitpunkt bestimmt, an dem er sein Lager verlassen sollte, als am Tage vorher, während Dorchen und Evchen Meier ihren Morgenbesuch abstatteten, Luiz Antonio plötzlich in höchster Aufregung in das Zimmer eilte und rief:

»Sie kommen, sie sind da, sie wollen sehen, wie es dir geht – o, dafür würde ich mir auch eine Kugel durch den Arm schießen lassen!«

Die beiden Mädchen sprangen erschrocken auf und eilten durch den Salon davon, in dem man Tritte und Stimmen hörte. Herr von Sarkow richtete sich verwundert in seinen Kissen aus, aber ehe noch Luiz Antonio seine Frage beantworten konnte, erschienen auf der Schwelle des Zimmers Frau von Wartenstein mit Fräulein von Herbingen, hinter ihnen der Graf Schwertheim.

»Ich habe die Damen begleiten müssen,« sagte der Graf, »weil sie es sich durchaus nicht wollten nehmen lassen, sich selbst nach dem Befinden unsers Freundes zu erkundigen. Nun,« fügte er hinzu, Herrn von Sarkom die Hand schüttelnd, »ich sehe ja zu meiner Freude, daß alles gut geht, und die Damen werden hoffentlich beruhigt sein.«

Frau von Wartenstein begrüßte Herrn von Sarkow ebenfalls mit einigen freundlichen und teilnehmenden Worten, doch wendete sich ihr halbverschleierter Blick schnell wieder von ihm ab, um Luiz Antonio zu suchen. Fräulein von Herbingen trat heran und reichte dem Kranken ihre Hand, von der sie den grauen Handschuh abgestreift hatte; ihre Mime zeigte den ihr eigentümlich hochmütig spöttischen Ausdruck, aber als sie in Herrn von Sarkows blasses Gesicht sah, in dessen Augen die Aufregung und Verwirrung des Augenblicks noch einen leichten Nachschimmer des Fiebers aufleuchten ließ, da nahmen ihre Blicke eine eigentümliche Weichheit an, errötend schmiegte sie ihre Finger fester um Herrn von Sarkows Hand, und einen Augenblick schien sie ein Gefühl zu durchschauern, dessen sie nur mühsam Herrin zu werden vermochte; dann aber zog sie schnell ihre Hand zurück und sagte leichthin und neckend, aber doch mit einem fast vorwurfsvollen Ton:

»Wie es scheint, befand sich Herr von Sarkow während seiner Krankheit in so vortrefflicher und liebenswürdiger Gesellschaft, daß er unsers Besuchs wohl kaum bedurfte, ja, daß wir ihn vielleicht in angenehmerer Unterhaltung gestört haben.«

»Mein Freund Luiz Antonio,« sagte Herr von Sarkow ein wenig verlegen, »hat mich treu gepflegt, und die Familie meines Hauswirts hat ihm darin liebenswürdig beigestanden.«

»So, so,« sagte Fräulein von Herbingen mit einem etwas gezwungenen Lächeln – »es ist sehr angenehm, einen Hauswirt zu haben, zu dessen Familie so allerliebste Mitglieder gehören wie die beiden kleinen Mädchen, die ich von hier verscheuchte; bei solcher Pflege mag die Wunde am Arm wohl heilen, aber vielleicht wird das Herz schwerer verwundet.«

»Welch ein hübscher Salon!« sagte Frau von Wartenstein, ehe Herr von Sarkow antworten konnte, indem sie wie neugierig über die Schwelle trat, um sich, von Luiz Antonio geführt, in dem Wohnzimmer umzusehen. Graf Schwertheim folgte den beiden, und während er die Trinkhörner, die Schläger und die gemalten Tassen besah, fand die schöne Frau Zeit, mit den Augen und mit halbgeflüsterten Worten eine flüchtige Unterhaltung zu führen, die Luiz Antonio mit wonnigem Entzücken erfüllte.

»Ich freue mich herzlich Ihrer Waffenprobe,« sagte Fräulein von Herbingen mit einem Ton voll innigen Gefühls, der ihr sonst nicht eigen war, »hätte ich etwas davon gewußt, so würde ich Ihnen ein Band mit meinen Farben gegeben haben, die Farben der Damen sind ein schützender Talisman für den Ritter, der sie gläubig trägt. Ich bin stolz auf meine Erziehung – freilich, freilich,« fügte sie dann wieder in ihrer alten neckischen Weise hinzu, »haben Sie hier auf Ihrem Krankenlager schon wieder ähnliche Experimente gemacht wie neulich im Theater – nun,« fuhr sie lächelnd fort, als Herr von Sarkow, von ihrem eigentümlichen Zauber befangen, in der Tat fast wie ein auf verbotenen Wegen ertappter Schüler zu ihr aufsah – »nun, damit Sie nicht über jenen aufblühenden Knospen Ihre Lehrerin vergessen, die sich so viel Mühe mit Ihnen gegeben, nehmen Sie hier ein Erinnerungszeichen, das Sie an den schuldigen Gehorsam mahnen soll.«

Sie nahm von ihrer Brust eine voll aufgeblühte dunkelpurpurne Rose.

»Hier, das ist mein Symbol – die Zeit der knospenden Jugend liegt mir schon weit zurück,« sagte sie leise seufzend – »aber auch die volle Blüte hat ihren Reiz, sie ist die Königin der Blumen – die Königin der Schönheit – sie verlangt von ihren Vasallen Treue und Gehorsam.«

Sie hob die prachtvolle Blüte empor, als ob sie noch einmal den Duft einatmen wolle; einen Augenblick berührte sie diese mit ihren Lippen und reichte sie dann Herrn von Sarkow, der, ohne daß sie widerstrebte, einen langen Kuß auf ihre Hand drückte.

»Es ist Zeit, daß wir aufbrechen, mein gnädiges Fräulein,« sagte Graf Schwertheim, über die Schwelle tretend; »die Herren haben uns gesagt, daß der Arzt nur ganz kurze Besuche erlaubt habe.«

»Ich komme,« erwiderte Fräulein von Herbingen, indem sie Herrn von Sarkow zum Abschied noch einmal die Hand drückte mit einem Wunsch für seine Genesung und mit den leise geflüsterten Worten: »Treue und Gehorsam der Königin, deren Rosenkrone auch den strafenden Dorn birgt.«

Sie rief Frau von Wartenstein, die, von Luiz Antonio gefolgt, aus dem Salon kam, um sich ebenfalls von dem Kranken zu verabschieden, und Herr von Sarkow blieb allein, da sein Freund artigerweiser die Damen begleiten mußte. Er betrachtete in träumendem Sinnen die Rose in seiner Hand, der würzige Duft stieg zu ihm auf, und es schien ihm, als ob Fräulein von Herbingen die Zaubermacht, die sie über ihn ausübte, auf ihr Geschenk übertragen habe, – er glaubte eine hohe Gestalt in wallendem Purpurmantel, die die Züge der schönen Antonie trug, aus dem Blütenkelch emporschweben zu sehen, ihr Haupt trug eine Rosenkrone, sie stand vor einem schimmernden Thron, er trat vor sie hin in goldener Rüstung, um zur Ehre ihres Namens in den Kampf hinauszuziehen – er kniete auf die Stufen des Thrones nieder, sie reichte ihm ihre Hand, aber als er diese berührte, fühlte er einen stechenden Schmerz, mit leisem Aufschrei zuckte er zusammen, der Traum war verflogen, er hatte sich an einem Dorn der Rose gestochen, ein Blutstropfen hing an seinem Finger.

Als er aufblickte, sah er Dorchens Gesicht, sie sah ihn ein wenig bleich, mit vorwurfsvollen Blicken an; Evchen Meier stand schelmisch lächelnd hinter ihr.

»Wenn Sie so schönen und vornehmen Besuch erhalten,« sagte Dorchen, »so sind wir wohl überflüssig.«

Herr von Sarkow lächelte – das waren fast die gleichen Worte, wie sie Fräulein von Herbingen zu ihm gesprochen, – die liebliche Knospe und die volle, königliche Rose stritten um die Herrschaft – aber er fand nicht sogleich eine Antwort, das bescheidene Kind, trotz all ihrer lieblichen Anmut, verblaßte zu einem unscheinbaren Bild neben der Erinnerung an die stolze, dämonische Schönheit der glänzenden vornehmen Dame.

»Das war die Frau von Wartenstein,« sagte Dorchen. indem sie Herrn von Sarkow scharf fixierte – »sie war auch neulich in der Loge bei Ihnen im Theater, und Fräulein von Herbingen – sie ist so schön, aber ich würde mich fürchten vor ihren großen, drohenden Augen; – sie heißt Helene, nicht wahr?« fügte sie gleichgültig, aber mit leise zitternder Stimme hinzu.

Herr von Sarkow schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er, »Fräulein von Herbingen heißt Antonie.«

»Antonie!« rief Dorchen ganz glücklich, wahrend Evchen Meier sie kichernd anstieß – »wissen Sie das ganz gewiß, ich glaubte doch, sie hieße Helene?«

»Nein,« versicherte Herr von Sarkow, ganz zufrieden über diese Wendung des Gesprächs, »ich versichere Sie, Fräulein von Herbingen heißt Antonie.«

»Welch eine schöne Rose haben Sie da!« fuhr Dorchen fort, indem sie die Hand nach der Blume ausstreckte.

Herr von Sarkow reichte sie ihr zögernd.

»Wie man sich doch irren kann,« sagte Dorchen, den Kopf schüttelnd, »ich hätte darauf schwören mögen, daß Fräulein von Herbingen Helene heißt. Ich habe schon von ihr sprechen hören, als ich noch ein kleines Kind war, damals schon war sie die schönste Dame in Mannheim – sie kann nicht mehr jung sein –, es ist doch recht freundlich von ihr, daß sie sich Ihrer so mütterlich annimmt und in Ihrer Krankheit nach Ihnen zu sehen kommt.«

Herr von Sarkow überhörte diese kleine Bosheit, die Evchen Meier unendliches Vergnügen zu bereiten schien, denn er sah erschrocken, Haß Dorchen wie in der Zerstreuung die Rose in ihren Händen zerpflückte und die Purpurblätter auf den Boden umherstreute.

»Ach, mein Gott,« rief sie, »wie ich doch in Gedanken bin, da habe ich die schöne Rose zerrissen, schade um die prachtvolle Blume – nun habe ich Sie beraubt,« fügte sie, den entblätterten Stengel weit fortwerfend, hinzu, »eine so schöne Rose kann ich Ihnen freilich nicht wiedergeben, aber einen geringen Ersatz muß ich Ihnen doch bieten; nehmen Sie diese Veilchen,« sagte sie, ein kleines Bouquet von ihrer Brust lösend, das sie lächelnd und errötend Herrn von Sarkow reichte.

Er nahm die kleinen, süßduftenden Blumen – der Blutstropfen an seinem Finger fiel auf die blauen Kelche nieder – es schien ihm, als ob der Zauber gelöst sei. Das stolze Bild verschwand in der Ferne, Dorchens liebliches Gesicht leuchtete ihm so freundlich nahe entgegen – die zarte Knospe hatte den Sieg errungen über die stolze, vollblühende Rose.

»Wir müssen gehen,« sagte Dorchen, die ihre ganze Heiterkeit wiedergewonnen hatte, »komm Evchen, es kann Besuch kommen, wir dürfen nicht länger hier bleiben.«

Die beiden Mädchen eilten davon.

»Siehst du wohl,« sagte Evchen, als sie durch den Salon schritten, »es ist nur eine Phantasie gewesen, sie heißt nicht Agnes.«

»Nein, sie heißt nicht Agnes,« flüsterte Dorchen ganz glücklich, indem sie am Arm der Freundin die Treppe hinabstieg.

»Die Rose berauscht und verwundet,« sagte Herr von Sarkow sinnend – »das holde Veilchen grüßt freundlich herauf vom Rande des Weges, auf dem das Leben uns unaufhaltsam fortreißt – aber das Vergißmeinnicht blüht unverwelklich in der Tiefe des Herzens.«

Er nahm seine Uhrkette von dem Nachttisch neben seinem Bett und drückte das an dieser befestigte Medaillon an seine Lippen. –

Noch eine Zeitlang mußte Herr von Sarkow sich strenge Schonung auferlegen, um die Heilung seiner Wunde nicht zu unterbrechen; er durfte ausgehen, die Kollegien besuchen, auch wohl mit seinen Freunden bei Herrn Walz frühstücken, der ihn in herzlicher Freude zu seiner Genesung beglückwünschte; aber er durfte noch mehrere Tage lang die Kneipe auf dem Riesenstein nicht besuchen und mußte alle Aufregungen und Unregelmäßigkeiten vermeiden. Während dieser Zeit saß er denn auch viel in dem Wohnzimmer des Treubergschen Hauses neben Dorchen, die alles Schmollen vergessen hatte und ganz glücklich sich der schönen Zeit freute, in der ihr Freund ihr so viel mehr als sonst gehörte. Sie plauderten miteinander so herzlich und vertraulich wie übermütige Kinder, Evchen Meier sang ihnen kleine, volkstümliche Lieder, und Dorchen sah seufzend mit einem schmerzlichen Bedauern, über das sie sich selbst Vorwürfe machte, dem Tage entgegen, der ihren Freund wieder in das wilde, unruhige Studentenleben hinausführen würde.

Aber auch dieser Tag kam.

Eines Morgens konstatierte der Doktor Gallus Meier die völlige Vernarbung der Wunde, erklärte Herrn von Sarkow für völlig gesund und gestattete ihm, wieder ganz nach seiner Laune und Neigung zu leben.

Jubelnd verkündete der junge Mann diese frohe Botschaft seinen bei Herrn Walz zum Frühstück versammelten Freunden.

Graf Kronau trat zu ihm heran.

»Du sollst nicht mehr als Fuchs auf den Riesenstein kommen,« sagte er, »und heute abend deine Genesung schon als Corpsbursch feiern. Du hast dich bei deiner Paukerei mit Prollmann und bei dem Pistolenduell mit Langenberg ohne Tadel benommen; wir haben deshalb im Corpskonvent beschlossen, dir am Tage deiner vollständigen Genesung das Band zu geben. Komm mit zu mir, die Rezeption soll sogleich stattfinden.

Herr von Sarkow stand sprachlos vor Freude da, seine kühnsten Hoffnungen waren übertroffen. Graf Kronau benachrichtigte die übrigen, und alle begaben sich in die Wohnung des ersten Chargierten, während die Füchse, von denen jeder noch eine oder zwei Paukereien abzumachen hatte, ihnen ganz traurig nachsahen, wenn sie auch ihren bisherigen Genossen wegen seiner wohlverdienten Auszeichnung nicht zu beneiden vermochten.

Auf einem großen Tische im Salon des Grafen Kronau wurde, während Herr von Sarkow im Nebenzimmer zurückblieb, eine grüne Decke mit den Corpsfarben umsäumt ausgebreitet, zwei blanke Schläger wurden darauf ins Kreuz gelegt; die sämtlichen Corpsburschen nahmen um den Tisch Platz, die Chargierten in der Mitte. Graf Kronau schlug das große Statutenbuch des Corps auf und ließ dann Herrn von Sarkow hereinrufen.

In zitternder Erregung und mit einer Ehrfurcht, wie er sie vielleicht in seinem ganzen späteren Leben nie wieder empfinden sollte, hörte dieser die Verkündigung des Beschlusses über seine Aufnahme in das Corps und die Vorlesung der Gesetze an; dann legte er auf Graf Kronaus Weisung die rechte Hand auf die gekreuzten Schlägerklingen und sprach mit bebender Stimme dem Senior den Schwur nach, in dem er dem Bunde und dessen Gesetzen Verschwiegenheit und Gehorsam, den Brüdern Treue bis in den Tod gelobte.

Nachdem er dies Gelöbnis abgelegt, das so vielen edlen und treuen Herzen während eines langen Lebens freudigen Mut und feste Kraft in allen Kämpfen eines langen und wechselvollen Lebens verliehen, übergab ihm Graf Kronau das weißgrün-schwarzweiße Band und hieß ihn mit herzlicher Umarmung als Bruder willkommen; alle andern taten das Gleiche, und das Gefühl, nunmehr als berechtigtes Mitglied dem Corps anzugehören, dessen Band so viele junge, tapfere und stolze Herzen umschlang unter dem hellleuchtenden Strahl des unvergänglichen Sterns der Ehre, war für den durch seine Krankheit noch besonders erregbaren jungen Mann so überwältigend, daß seine Augen sich mit Tränen füllten und er kein Wort der Erwiderung auf die Glückwünsche seiner Freunde fand. Er nahm seinen Platz in der Reihe der andern ein, es wurden noch einige Angelegenheiten des Corpskonvents erledigt und dann begab man sich nach dem Hotel zum Badischen Hof, wo der kleine Moses dem neuen Corpsburschen, den er während seiner Krankheit regelmäßig, aber immer nur auf eine kurze Viertelstunde besucht hatte, freundlich wedelnd entgegensprang, als ob auch er ihm zu seiner neuen Würde Glück wünschen wolle.

Groß war Dorchens Freude, als Herr von Sarkow am Nachmittage mit dem Bande erschien; auch der alte Treuberg gratulierte.

Nürnberger, Rauchthaler und Lieber erschienen, der rote Schiffer trank unzählige Schoppen bei Walz und in allen möglichen andern Kneipen, bis er am Abend auf dem Riesenstein erschien, um die Fäxe auf das Wohl des neuen Corpsburschen einen feierlichen Salamander auf dem Boden des Fasses reiben zu lassen.


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