Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Viertes Kapitel

Die glänzenden Gesellschaftsräume in dem Hause des Grafen von Schwertheim in Mannheim strahlten in schimmerndem Kerzenglanz, und eine zahlreiche Gesellschaft bewegte sich in den mit üppigen Blattpflanzen und duftigen Blüten dekorierten Gemächern bei dem Klange der Ouvertüren und Symphonien, die die Kapelle aus dem Tanzsaal bis zum Beginn des Balles ertönen ließ. Man sah einen reizenden Flor von jungen Damen in einfachen und doch mit der in Süddeutschland so besonders heimischen Eleganz arrangierten Toiletten von duftig zarter Frische; Herren in schwarzen Ballanzügen und den kleinen Interimsuniformen der Hofchargen, mehr oder minder bedeckt mit heimischen und ausländischen Ordensdekorationen, Offiziere der in Mannheim und der Umgegend garnisonierenden Reiterregimenter; ältere Damen, strahlend im Glanz der Edelsteine, die sich in den alten Familien des süddeutschen Adels mehr noch wie anderswo als unantastbar vererbter Familienschmuck erhalten haben. Diese ganze Gesellschaft bewegte sich mit jener Leichtigkeit, die dem süddeutschen Leben überhaupt eigentümlich ist und in ihrer Anmut und Eleganz an die Gesellschaft des französischen ancien régime erinnert, während sie doch zugleich so viel rein deutsche Gemütlichkeit und Harmlosigkeit in sich schließt, – ein norddeutsches Ohr würde mit Verwunderung in dieser so distinguierten und hochvornehmen Gesellschaft die etwas breiten Klänge des schwäbischen Dialekts vernommen haben, in dem sich die jüngere Welt mit jener zwanglosen Freiheit unterhielt, die sich in einem Kreise zu entwickeln pflegt, dessen Mitglieder vielfach untereinander verwandt sind und sich fast sämtlich von Jugend auf kennen; die älteren Herren und Damen dagegen unterhielten sich fast ausschließlich in französischer Sprache, und auch die jüngeren Damen zogen die französische Konversation stets vor, wenn sie mit Fremden verkehrten, die nicht zu dem altgewohnten und eng in sich abgeschlossenen Zirkel gehörten.

Der Hausherr Graf Schwertheim war ein Mann von einigen vierzig Jahren. Er trug die kleine Uniform der Kammerherren, ein Ordensstern schimmerte auf seiner Brust. Sein etwas blasses, feingeschnittenes Gesicht mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart zeigte die kalte, fast strenge Ruhe eines am Hofe erzogenen und entwickelten Kavaliers, der gewohnt ist, unter gleichmäßigem Lächeln jede heftige und unruhige Regung zu verbergen; seine treuherzig und freundlich blickenden grauen Augen aber zeugten von Gutmütigkeit und Herzensgute, das dichte, kurzgelockte und leicht ergrauende Haar erinnerte ein wenig an eine gepuderte Perücke und gab seiner ganzen Erscheinung noch mehr das Ansehen eines Hofmannes aus dem vergangenen Jahrhundert.

Die Baronin von Starkenburg, die Gemahlin eines der großen Majoratsherren der Gegend, eine große, stolze Frau von etwa fünfunddreißig Jahren, machte die Honneurs des unverheirateten Festgebers, und beide hielten sich in dem großen, von der übrigen Gesellschaft nur hin und wieder noch betretenen Tanzsaal in der Nähe des nach dem Flur hinführenden Eingangs, um die Eintretenden zu begrüßen. In den Seitengemächern hatten sich einzelne Gruppen und Paare gebildet, die bald in buntem Wechsel sich schnell lösten und zusammenfanden oder auch zu längerem, vertraulichem Gespräche sich nach den von Blättern und Blüten überragten, lauschigen Eckplätzen zurückzogen; die jungen Herren suchten sich ihre Tänzerinnen für den Abend, und wer in die kleinen Geheimnisse dieser Gesellschaft eingeweiht war, der konnte aus den stolzen und fröhlichen oder niedergeschlagenen und enttäuschten Gesichtern der einzelnen manche Schlüsse auf die mehr oder minder aussichtsvollen Gefühle machen, die die verschiedenen jungen Herzen bewegten. Neben den eben der Kindheit entwachsenen Mädchen, die sich mit hochwichtigen Mienen zu flüsternden Gesprächen zusammenfanden, waren es besonders zwei Damen, die stets zahlreiche Gruppen von Herren um sich versammelten und augenscheinlich als die Schönheitsköniginnen der Gesellschaft anerkannt wurden.

Auf einer Causeuse inmitten eines Bosketts von blühenden Kamelienbäumen saß eine junge Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren, fast mondscheinartig beleuchtet von dem gedämpften Licht der Lampenkuppeln aus weißem Milchglas, die zwischen den grünen Blattern hervorragten. Ihre zierliche, fast zu schlanke Gestalt war eingehüllt in eine Robe von leichter silbergrauer Seide mit einer Garnitur von künstlichen Vergißmeinnichtblüten, auf denen ganz kleine Diamanten wie Tautropfen glänzten; um ihren schlanken Hals und ihre elfenbeinweißen Arme schmiegten sich mehrfache Perlenschnüre von außerordentlicher Schönheit. Ihr zartes Gesicht, von jenem leichten Rot überhaucht, wie es der Schimmer der Morgensonne zuweilen über die Blätter der weißen Rose ausgießt, hatte noch den vollen frischen Reiz der Jugend, und dennoch lag in ihren Zügen und in dem Lächeln ihres Mundes ein leichter Hauch von Melancholie, der im Verein mit dem bald schwermütig sinnenden, bald sehnsüchtig fragenden Blick ihrer dunkelblauen Augen ihrer ganzen Erscheinung den eigentümlichen Reiz eines ungelösten Rätsels gab. Ihr schönes dunkelblondes Haar umgab in einfachen Flechten ihre Stirn und war nur mit einem Kranz von Vergißmeinnicht geschmückt. Sie lehnte wie ermüdet in den Polstern, ihre ganze Erscheinung entsprach dem gedämpften Lampenlicht, dem Schimmer der Perlen und den zarten Blumen, die sie schmückten; sie erschien wie ein duftiges Märchenbild, das einem Elfenreigen in sommerlicher Mondnacht entschlüpft war, und hörte kaum auf die Worte, die die zahlreich sie umringenden Herren an sie richteten, hin und wieder nur durch ein flüchtiges Lächeln oder ein hingeworfenes Wort auf die eine oder die andre Bemerkung antwortend.

Frau von Wartenstein war sehr jung an ihren um mehr als zwanzig Jahre älteren Gemahl verheiratet, der eine Reihe von Jahren auswärtige Gesandtschaftsposten bekleidet hatte und nun auf seinem großen Majoratsbesitz lebte, während des Winters bald in Mannheim, bald in Karlsruhe der Gesellschaft sich anschließend, in der er durch seinen Namen und seinen Reichtum eine hervorragende Stellung einnahm. Die junge und schöne Frau war überall von den eifrigsten Huldigungen umringt, ihr Haus selbst war sowohl auf ihrem in einiger Entfernung von Heidelberg gelegenen Schlosse Trottlingen, als in der Stadt der Sammelplatz der eleganten Welt. Sie bewegte sich leicht und frei, aber weder die neidische Beobachtung der Damenwelt noch die auffallende und allgemein bekannte, wenn auch in die vornehmsten Formen beschränkte Eifersucht des Herrn von Wartenstein hatten auch nur den leisesten Anlaß zu einem Verdachte finden können, als ob das Herz der schönen jungen Frau jemals einen Ersatz für die strenge, wenn auch stets höflich aufmerksame Kälte zu suchen geneigt sei, mit der ihr so viel älterer Gemahl sie behandelte. Wohl hatte man sich mehrfach von unglücklichen Leidenschaften des einen oder des andern jungen Herrn der Gesellschaft für die reizende Frau von Wartenstein erzählt, aber sie selbst war stets jeder Nachrede unnahbar geblieben und hielt mit feinem Takt und sicherer Gewandtheit jede Annäherung der jungen Herrenwelt an der Grenze der einfachen, gesellschaftlich galanten Höflichkeit zurück.

Auch heute stand Herr von Wartenstein, ein großer, kräftig gebauter Mann mit einem strengen, kalten, aber edel geschnittenen Gesicht und glänzend schwarzem, sorgfältig frisiertem Haar auf der Schwelle des gleichen Zimmers, in dem seine Frau ihren Platz gewählt hatte; er unterhielt sich ruhig mit einigen Herren, aber dennoch blickten seine scharfen, dunkeln Augen zuweilen schnell aufblitzend zu seiner Gemahlin hinüber, und so wenig die schöne Frau auf das, was rings um sie her in der Gesellschaft vorging, zu achten schien, so zuckte sie doch jedesmal leicht zusammen, so oft ein schneller, forschender Blick ihres Gemahls wie ein aufsprühender Blitz zu ihr hinüberschoß. Obwohl sie ihr Auge niemals nach der Stelle hinwendete, wo ihr Gemahl stand, so schien sie dennoch jeden seiner Blicke wie durch einen magnetischen Einfluß peinlich zu empfinden, wenn auch wohl niemand in der sie umgebenden Gruppe die Wirkung dieses Einflusses bemerken mochte.

In einem Nebengemach stand, übergossen von dem strahlenden Licht eines prächtigen Lüster von Bergkristall, eine hochgewachsene Dame; in ihrer ganzen Erscheinung war sie von der Frau von Wartenstein so vollständig verschieden wie der hellleuchtende Tag von der duftig verschleierten Dämmerung. Fräulein Antonie von Herbingen, ebenso wie Frau von Wartenstein von einer dichten Gruppe von Herren umringt, die ihr ihre galanten Huldigungen darbrachten, war die Schwester der Frau von Starkenburg, die heute in dem Hause des Grafen Schwertheim die Honneurs machte; sie hatte mehrere Jahre an einem kleineren Hof Süddeutschlands gelebt, dessen regierende Fürstin ihre Jugendfreundin war und sie bei ihrer Vermählung gebeten hatte, unter dem Titel einer Ehrendame, in der Tat aber mehr als ihre Freundin und Vertraute, bei ihr zu bleiben. Vor kurzem nun war Fräulein von Herbingen zur großen Verwunderung der Gesellschaft, die sich allerlei flüsternde Vermutungen mitteilte, von jenem Hof zurückgekehrt, hatte ihre Wohnung bei ihrer Schwester genommen und richtete sich zu dauerndem Aufenthalt bei ihr ein, ohne daß jemals ein Wort über ihre Lippen kam, warum sie ihre bisherige so angenehme und ehrenvolle Stellung aufgegeben habe.

Sie war von außergewöhnlicher, blendender Schönheit, ihre hohe Gestalt überschritt trotz ihrer üppigen Fülle nicht die Grenzen anmutiger Eleganz; in ihrem Gesicht lag etwas von der stolzen Kühnheit des Adlers, und ihre dunkelbraunen Augen, aus denen leuchtende Flammen hervorzusprühen schienen, blickten so siegesgewiß, so frei und gebietend, als ob sie sicher sei, daß alles, was ihr nahte, ihrer Herrschaft sich unterwerfen müsse. Trotz dieser fast herausfordernden Sicherheit, die in ihrer Miene und Haltung lag, hatte ihre Erscheinung aber dennoch nichts unweiblich Abstoßendes; sie war in jeder Bewegung immer die vornehme Dame, die die Huldigung der Herrenwelt als einen schuldigen Tribut entgegennimmt, ohne daß sie jemals sich die Mühe gibt, diese Huldigung durch kleinliche Koketterie erringen zu wollen. Sie trug eine Robe von kirschroter Seide, die die prächtig reinen Farben ihres Teints noch glänzender hervortreten ließ; ein Collier von außergewöhnlich schönen und großen Rubinen, dessen einzelne Glieder je durch einen tadellosen Solitär zusammengehalten waren, umschloß ihren Hals; dunkelrote Rosen schmückten ihr schönes Haar, das in kurzen Locken über die reine Stirn herabhing; – so, wie sie dastand, mußte die farrenäugige Juno nach Homers Beschreibung auf den Höhen des Olymps erschienen sein, stolz herabblickend auf die Götter und Menschen zu ihren Füßen. Während Frau von Wartenstein halb zu träumen und oft kaum zu hören schien, was um sie her und zu ihr gesprochen wurde, ließ Fräulein von Herbingen die hellen Blicke ihrer glänzenden Augen rings umher schweifen; auf jede Bemerkung gab sie stets schlagfertig eine scharfe und sicher treffende Antwort, und jede Schmeichelei, jeder Ausdruck galanter Bewunderung aus dem Munde ihrer zahlreichen Verehrer fand stets eine hochmütig höhnische oder boshaft spöttische Erwiderung.

Ganz besonders traf dies letztere Schicksal die Huldigungen des Kammerherrn Baron Felseneck, der nicht müde wurde, ihr seine Bewunderung und Verehrung in schwärmerischer Weise auszudrücken und das Amt eines Cavaliere servente an ihrer Seite in Anspruch zu nehmen schien. Herr von Felseneck mochte fast fünfzig Jahre alt sein, aber seine außerordentlich elegante Toilette, sein volles, wohlgepflegtes Haar von hellblonder Farbe, in dem man die einzelnen etwa auftauchenden Silberfäden nicht zu unterscheiden vermochte, sein zierlich gelockter Backenbart, seine geschmeidige Gestalt und sein rosig blühender Teint unterstützten ihn vortrefflich in dem Bestreben, sein Alter etwas zurückzudatieren – er war alles in allem ein vollendeter Kavalier von ausgezeichneten Manieren, wenn auch seine großen, etwas vorstehenden wasserblauen Augen und das auf seinen Lippen festgebannte stereotype Lächeln nicht eben auf ein besonders reges geistiges Leben und auf die Neigung zur Anstrengung im Denken schließen ließen.

Während die Gesellschaft in den Salons sich bewegte, erschienen die beiden Brüder Fritz und Franz von Helmholt, Luiz Antonio de Souza, Herr von Lindenberg und Herr von Sarkow. Der letztere hatte mit dem in der Gesellschaft aufgewachsenen und mit einem großen Teil derselben verwandten Franz von Helmholt bei dem Grafen Schwertheim und in einigen andern der bedeutendsten Häuser seine Karte abgegeben und eine halbe Stunde später im Hotel die Karte des Grafen Schwertheim mit einer Einladung zum Ball erhalten. Graf Steinborn hatte die andern vorausgehen lassen und sich in sein Zimmer eingeschlossen, denn auch seine Freunde sollten niemand das Geheimnis seines Kostüms, in dem er die ganze Gesellschaft intriguieren wollte, verraten.

Graf Schwertheim begrüßte die jungen Leute herzlich, Herr von Sarkow wurde ihm und der Baronin von Starkenburg vorgestellt und mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit aufgenommen. Die Saxoborussen trugen zu dem Ballkostüm das Corpsband, mit dem Herr von Sarkow zu seinem großen Schmerz seine Brust noch nicht schmücken konnte. Als die jungen Leute in das Zimmer traten, in dem Frau von Wartenstein ihren Hof hielt, flammte eine flüchtige Röte auf den Wangen der schönen Frau auf; sie bedeckte, sich Kühlung zuwehend, ihr Gesicht mit dem Fächer von weißen Straußfedern, den sie spielend in der Hand hielt; Luiz Antonios dunkle Augen ruhten einen Augenblick glühend auf ihrer schönen Gestalt, aber sie schien die Eintretenden nicht zu beachten, die auf der Schwelle bei Herrn von Wartenstein stehen blieben, der sie freundlich, mit der wohlwollenden Herablassung eines älteren, hochstehenden Mannes begrüßte. Herr von Sarkow wurde ihm vorgestellt; er sprach einige Worte über seine Heimat und seine Familie mit ihm und führte ihn dann zu seiner Frau, um ihn ihr zu präsentieren. Nach einem kurzen, gleichgültigen Gespräch führte Franz Helmholt seinen jungen Freund in das nächste Zimmer, um ihn auch dem Fräulein von Herbingen zu präsentieren. Die Dame empfing die Vorstellung in der Haltung einer Königin, die prüfend eine in den Kreis ihrer Diener neu eintretende Erscheinung mustert. Herr von Sarkow, der ein wenig befangen, aber doch in der sicheren Haltung vor ihr stand, die die Gewohnheit der guten Gesellschaft verleiht, schien vor ihren Augen Gnade zu finden; sie unterhielt sich lange mit ihm, ohne daß irgend eine spöttische oder boshafte Bemerkung den Weg über ihre Lippen fand, und der Baron von Felseneck schüttelte dem jungen Manne, der von der gebietenden Dame seines Herzens so ausgezeichnet wurde, wiederholt herzlich die Hand. Er schien diese Auszeichnung für völlig ungefährlich zu halten und nicht daran zu denken, daß dieser junge Student, der in seinen Augen noch ein Kind war, mit ihm in die Schranken treten könne.

Luiz Antonio war ebenfalls in das Nebenzimmer getreten, er hatte mit Fräulein von Herbingen einige höfliche Begrüßungsworte gewechselt und wählte dann seinen Platz so, daß er durch die Portiere hindurch Frau von Wartenstein im Auge behalten konnte; auch die Blicke der schönen jungen Frau streiften häufig über die Federn ihres Fächers hin zu dem Brasilianer herüber, und sie schien noch gleichgültiger gegen die um sie her geführte Konversation zu werden.

Plötzlich machte sich eine lebhafte Bewegung in der ganzen Gesellschaft bemerkbar; alles drängte sich nach dem großen Tanzsaal hin, die Lakaien öffneten weit die Türflügel, Graf Schwertheim eilte die Treppe hinab, während Frau von Starkenburg langsam die ersten Stufen herabstieg. Bald darauf kehrte der Graf zurück; an seiner Seite, sich leicht auf seine Hand stützend und von Frau von Starkenburg mit tiefer Verbeugung begrüßt, erschien Ihre Königliche Hoheit die verwitwete Frau Großherzogin Stephanie, die geborene Gräfin Beauharnais, die Napoleon I. adoptiert und zur französischen Prinzessin erhoben hatte, um sie mit dem damaligen Erzgroßherzog von Baden zu vermählen. Nachdem sie an der Seite ihres Gemahls den badischen Thron bestiegen hatte und im Jahre 1818 Witwe geworden war, residierte sie in Mannheim und bildete dort den anziehenden und geistvollen Mittelpunkt der Gesellschaft. Sie war damals sechzig Jahre alt, aber noch von zierlich eleganter Gestalt und ebenso anmutiger als fürstlich würdevoller Haltung. Ihr blasses, feingeschnittenes Gesicht mit den lebhaften dunkeln Augen war ein Bild jener altfranzösischen Aristokratie, die unter den Stürmen der Revolutionen fast ganz verschwunden zu sein scheint und von der man in Frankreich selbst nur noch einzelne Ueberbleibsel in den Salons des Faubourg Saint-Germain findet. Auf den Lippen ihres feinen Mundes lag der Ausdruck verbindlichen Wohlwollens, vermischt mit einer gewissen wehmütigen Resignation, die die schmerzlichen Erschütterungen ihres wechselvollen Lebens, der Verlust ihrer beiden Söhne, die bald nach der Geburt gestorben waren, in ihr zurückgelassen hatten. Sie trug eine dunkelblaue Robe, ihr kaum noch ergrautes Haar war mit einem prachtvollen Diadem von Diamanten geschmückt, gleich schöne Steine funkelten in ihrem Collier und ihren Armspangen. Sie trat, die ehrerbietigen Grüße der Gesellschaft mit freundlichem Kopfnicken erwidernd, in den Saal und wendete sich bald zu einzelnen ihr näher bekannten Damen, um, von einer Gruppe zur andern fortschreitend, einen kleinen Cercle vor dem Beginn des Balles zu halten.

Graf Schwertheim führte Herrn von Sarkow heran, um ihn Ihrer Königlichen Hoheit vorzustellen. Die Großherzogin betrachtete mit freundlichem Wohlwollen den jungen Mann, der errötend und ein wenig verlegen vor ihr stand, da er zum ersten Male einer fürstlichen Dame von so hohem Range gegenübertrat.

»Il me fera plaisir de vous voir chez moi, Monsieur de Sarkow,« sagte sie mit der liebenswürdigsten Artigkeit, – »vous etes membre de la Saxoborussia?« fügte sie hinzu.

Herr von Sarkow bejahte, ganz erstaunt, daß die hohe Dame gerade diese Frage an ihn richtete. »Vous ne portez pas le ruban,« sagte die Großherzogin, »ah – je comprends,« fuhr sie lächelnd fort, »vous n'etes pas encore ce qu´on dit Corpsbursch.«

Sie sprach die deutschen Worte etwas langsam, mit eigentümlicher Betonung aus, während Herr von Sarkow in immer höhere Verwunderung über diese Kenntnis der studentischen Verhältnisse geriet und in seiner Verwirrung nur durch eine Verbeugung zu antworten vermochte.

»Eh bien,« sagte die Großherzogin freundlich, »je vous soubaite bonheur pour votre première Paukerei et je serais heureuse de pouvoir vous féliciter d´un bun succès.«

Sie wendete sich huldvoll grüßend ab und trat zu Fräulein von Herbingen, an deren Seite lächelnd und dienstbereit der Baron von Felseneck stand. Ihr Blick ruhte auf der schönen Gestalt mit traurig ernstem Ausdruck, als ob eine schmerzlich mitleidige Empfindung sie bewege, die die so schöne, so glänzende und so bewunderte Dame durchaus nicht zu rechtfertigen schien. Sie fragte mit leicht scherzendem Ton, ob der Baron Felseneck für seine treuen Ritterdienste noch immer keine Erhörung hoffen dürfe. Fräulein von Herbingen verneinte lachend mit großer Entschiedenheit, aber doch mit einem Blick auf ihren Verehrer, der dafür Sorge trug, daß der stets in seiner Brust glimmende Hoffnungsfunke wieder ein wenig lebhafter aufflammte. Die Großherzogin ging weiter. Trotz des heiteren Tons, in dem das flüchtige Gespräch geführt war, hätte doch ein aufmerksamer Beobachter bemerken können, daß über die lächelnden Gesichter der Großherzogin und des Fräulein von Herbingen ein schnell vorüberfliegender dunkler Schatten dahinzog, als ob beide mit peinlicher Empfindung die Grenzen eines düsteren Geheimnisses streiften, – nur der Baron Felseneck schien ganz glücklich, und als die Großherzogin vorübergegangen war, drückte er einen Kuß auf den duftigen Handschuh des Fräulein von Herbingen, wofür ihn diese mit einem leichten Fächerschlag bestrafte.

Die Großherzogin hatte ihren Cercle beendet. Die Musik ließ die vollen Töne einer Polonaise erklingen und der Graf Schwertheim näherte sich Ihrer Königlichen Hoheit mit der Bitte, ihm die Hand zur Eröffnung des Balles reichen zu wollen. Die Paare hatten sich geordnet, der Umgang begann. Als der Zug an der nach dem Eintritt der Herzogin verschlossenen Eingangstür des Saales vorüberging, öffnete sich diese plötzlich leise und vorsichtig, und herein trat halbgebückt und scheu eine schwarze Gestalt ganz eingehüllt in das Kostüm, das man mit dem Namen Chauve souris zu bezeichnen pflegt, einen Domino, dessen Kapuze den ganzen Kopf vermummt, und der nur die Fußspitzen frei läßt. Unter der Kapuze sah man eine schwarze Seidenmaske, aus deren Oeffnungen die Augen unheimlich hervorblitzten.

Die plötzliche Erscheinung dieser Gestalt, die, wie von dem strahlenden Lichte der zahlreichen Kerzen geblendet, langsam gegen die paarweis geordnete Gesellschaft heranschlich, war so außergewöhnlich und überraschend, daß die Großherzogin betroffen stehen blieb und das geheimnisvolle Wesen, das sich ihr fast unmittelbar gegenüber befand, voll Verwunderung betrachtete, während Graf Schwertheim mit Mühe eine ernste Mime behauptete, und in dem Zuge, der Ihrer Königlichen Hoheit folgte, die eigentümlichen Laute einer gewaltsam unterdrückten Heiterkeit sich vernehmen ließen.

»Was bedeutet das, Graf Schwertheim?« fragte die Großherzogin in französischer Sprache, indem sie, irgend eine scherzhafte Ueberraschung vermutend, lächelnd den Kopf schüttelte – »lebten wir in einem vergangenen Jahrhundert und wäre ich die Herrscherin eines großen Reiches, so könnte ich fast an eine blutige Verschwörung glauben und einen unter dieser schwarzen Hülle gezückten Dolch fürchten – oder haben Sie eine der Hexen von Endor hierhergerufen, um uns die Zukunft zu künden?«

»Herrlich – köstlich – ein unbezahlbarer Scherz,« hörte man ringsumher die leise kichernden Damen flüstern.

Fräulein von Herbingen, die nahe hinter der Großherzogin an der Seite des Herrn von Felseneck einherschritt, trat vor und sagte, die Hand ausstreckend:

»Wohlan, ich wage es, und bitte den großen Unbekannten, mir die Zukunft zu künden, wenn ihr dunkles Reich vor ihm seine Geheimnisse öffnet.«

Die schwarze Gestalt stand wie in die Erde gewurzelt, ihre Augen blickten aus der schwarzen Maske heraus entsetzt auf alle diese von unendlicher Heiterkeit strahlenden Gesichter.

»Graf Steinborn,« hörte man endlich eine von unterdrücktem Lachen fast erstickte Stimme rufen, und plötzlich brach die mühsam zurückgehaltene Heiterkeit in lautem Jubel aus, die Paare lösten sich. Alle drängten sich heran, und in großem Kreise den Vermummten umgebend, riefen die Damen lachend und in die Hände klatschend:

»Graf Steinborn – Graf Steinborn – guten Abend, Graf Steinborn!«

In einem Augenblick hatte der Vermummte den Domino abgerissen und von sich geschleudert; Graf Steinborn stand nun im Ballanzuge vor der in immer lautere Fröhlichkeit ausbrechenden Gesellschaft; seinen kleinen Schnurrbart aufwirbelnd, blickte er zornig umher, dann sagte er, sich tief vor der Großherzogin verneigend:

»Ich bitte Eure Königliche Hoheit untertänigst um Entschuldigung, es ist nicht meine Schuld, man hat mir gesagt, daß heute hier ein Maskenball stattfände –«

»Und,« fiel Fräulein von Herbingen lachend ein, »Graf Steinborn wollte im tiefsten Inkognito uns alle intrigieren; wir aber wollten ihm beweisen, daß unsre Augen scharf genug sind, um jede Maske zu durchdringen – oder sagen wir lieber, daß der Glanz seiner ausgezeichneten Person auch durch die dunkelste Hülle unverkennbar hervorstrahlt.«

»Eure Königliche Hoheit wollen mir also verzeihen,« sagte Graf Steinborn, dessen Gesicht sich bei der allgemeinen Heiterkeit immer mehr verfinsterte, »daß ich auf diese Weise hier eingetreten bin, es ist nicht meine Schuld – es war ein Scherz, den man sich mit mir erlaubt hat, und die einzige Bemerkung, die ich in diesem Augenblick noch hinzufügen darf, ist die, daß dieser Scherz in der Tat nicht zu den besten gehört.«

Er blickte bei den letzten Worten drohend umher und trat, zornig die Lippen zusammenpressend, mit einer tiefen Verbeugung zurück.

Eine tiefe, peinliche Stille folgte auf die frühere Heiterkeit; man begriff, daß der in harmlosem Uebermut begonnene Scherz ernste Folgen nach sich ziehen könne.

Die Großherzogin, die mit ihrem feinen Scharfblick die gespannte Situation erfaßte, trat einen Schritt vor und sagte mit lauter Stimme: »Nein, Graf Steinborn, ich kann Ihnen nicht recht geben, der Scherz war dennoch gut, denn er hat die ganze Gesellschaft erheitert und unserm Abend die fröhliche Laune gebracht, die wir festzuhalten uns bemühen wollen. Sie aber, mein lieber Graf, hat der kecke Scherz zum Löwen des Abends gemacht; – Sie wissen, daß der Löwe stolz die Pfeile abschüttelt und zertritt, die man gegen ihn abschießt, und die ihn kaum zu ritzen vermögen; hören Sie also, meine Herren und Damen,« fuhr sie mit unnachahmlicher Hoheit umherblickend fort, »ich erkläre den Grafen Steinborn für den Löwen unsers Festes, und da er das ist, so bitte ich ihn, mir die Hand zu reichen, um den Ball zu eröffnen. Treten Sie voran, Graf Schwertheim, und führen Sie unsern Zug.«

Die Musik, die bei der eigentümlichen Unterbrechung des Tanzes geschwiegen hatte, setzte wieder ein, Graf Steinborn ergriff die Hand der Großherzogin, stolze Freude strahlte von seinem Gesicht, aus dem aller Unmut verschwunden war. Graf Schwertheim trat halb rückwärts gewendet dem Zuge voran, die ganze Gesellschaft atmete erleichtert auf bei der glücklichen Wendung, die die Großherzogin mit so leichter, anmutiger Sicherheit der peinlich gespannten Situation gegeben hatte, und unter fröhlicher Unterhaltung wurde die Polonaise zu Ende getanzt, während der die Großherzogin durch ihre liebenswürdige Herablassung den Grafen Steinborn so entzückte und bezauberte, daß er allen Groll vergaß und nach Beendigung des Tanzes selbst von der Vortrefflichkeit des Scherzes, den man sich mit ihm erlaubt hatte, überzeugt zu sein schien; er eilte von einer Gruppe zur andern, lachte selbst am lautesten und herzlichsten über den Streich, den man ihm gespielt, und erreichte es dadurch in der Tat, daß er der Held des Abends wurde, und daß die sämtlichen Damen ihm durch das liebenswürdigste Entgegenkommen Ersatz für die peinliche Verlegenheit zu bieten suchten, die ihnen auf seine Kosten so viel Heiterkeit bereitet hatte.

»Bist du noch böse?« fragte Fritz Helmholt den Grafen Steinborn, als dieser einen Augenblick allein in dem Saal stand.

»Ich sollte es eigentlich sein,« erwiderte dieser, indem er mit gutmütigem Lachen drohend die Hand erhob, »aber ich darf es ja nicht mehr. Wir müßten eigentlich die Großherzogin zu unserm Ehrenmitglied ernennen, denn sie hat sich ein unsterbliches Verdienst um die Eintracht im Corps erworben.«

»Nun, es war wohl ein wenig stark,« erwiderte Fritz Helmholt, »aber wir wußten ja, daß du einen guten Scherz verstehst, und du weißt ja auch, daß wir es nicht böse gemeint haben, daß wir einer für alle und alle für einen stehen.«

Beide drückten sich herzlich die Hand; die Musik intonierte den ersten Walzer, die Großherzogin nahm auf einer für sie errichteten, mit Purpursammet überzogenen Estrade Platz, und die Paare ordneten sich im Umkreise des Saales.


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