Oskar Meding
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Oskar Meding

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XVIII.

Lorenzos Wunde heilte schnell und die Besorgnis, daß der gegen ihn geführte Dolch hätte vergiftet sein können, zeigte sich als unbegründet.

Er gewann durch die Anspannung seines Willens die volle Kraft wieder, um den Gefahren, welche trotz des augenblicklichen Sieges über die Verschwörung ihn und die Republik bedrohten, zu trotzen und diese Gefahren waren nicht gering.

Die Wut und die Erbitterung des Volkes dauerten fort. Jacopo de Pazzi war auf Lorenzos Verwendung in aller Stille in dem Familienbegräbnis der Kirche Santa Croce beigesetzt, das Volk aber verlangte stürmisch, daß der Verbrecher gegen die Republik in ungeweihter Erde neben der Stadtmauer eingegraben werden solle. Aber auch dort fand das bisher so hochstehende Haupt des Hauses Pazzi keine Ruhe, eine wilde Schar grub die Leiche wieder aus, schleifte sie durch die Straßen und warf sie endlich in den Arno. Nur mit Mühe und Vorsicht konnte das rachedurstige erbitterte Volk beruhigt und von weiteren Mordthaten zurückgehalten werden; denn man bedurfte ja notwendig der inneren Einigkeit, um dem drohenden äußeren Feind die Stirn zu bieten.

Von Rom kam die Nachricht, daß der Papst Sixtus in den höchsten Zorn über die Hinrichtung des Erzbischofs von Pisa und die Gefangenhaltung des Kardinals geraten sei. Er hatte bereits Befehl gegeben, den florentinischen Gesandten Donato Acciaiuoli gefangen zu setzen und war davon nur durch das feste Auftreten der Gesandten von Mailand und Venedig zurückgehalten, welche gegen eine solche Verletzung völkerrechtlichen Einspruch erhoben und erklärten, daß sie verlangten, die Gefangenschaft des florentinischen Gesandten zu teilen, wenn dieselbe wirklich zur Ausführung gebracht werden solle. Dagegen wurden die Beamten der Mediceischen Bank, sowie alle in Rom lebenden florentinischen Kaufleute im Castell San Angelo gefangen gesetzt und ihre Kassen mit Beschlag belegt.

Der Graf Girolamo Riario war nach Rom geeilt und schürte dort den Zorn des Papstes immer mehr, während er sein Doppelspiel fortsetzte und einen sicheren Boten an Lorenzo gesendet hatte, um demselben auch jetzt noch seine Vermittelung zur Versöhnung anzutragen. Dagegen wurden in Imola, wo die Gräfin Riario zurückgeblieben war, ringsumher immer mehr neu angeworbene Truppen zusammengezogen und die Befestigungen erweitert und verstärkt.

Von den Bundesgenossen schien wenig zu hoffen.

Zwar hatten die Gesandten von Mailand und Venedig dem hohen Rat ihren Abscheu über die verbrecherische That der Verschworenen ausgesprochen und Lorenzo Glückwünsche zu seiner Lebensrettung gebracht, aber sie hatten zugleich auch dringend geraten, den gerechten Forderungen des Papstes entgegenzukommen und alles zu vermeiden, was zu einem unheilbaren Bruch und einem Bürgerkrieg führen könne.

Die Signorie zeigte sich härter und unversöhnlicher als Lorenzo, der mit seinem weiten Blick die drohende Gefahr klarer übersah und einer Verständigung wenigstens nicht schroff entgegentrat, um den Gegnern keinen Vorwand zu geben.

Es war ein Dekret publiziert worden, das über das Haus der Pazzi ein grausames Urteil verhängte. Der Name der Familie und ihr Wappen sollte vollkommen verschwinden und jeder, der den Namen nur ausspreche, bestraft werden. Die Güter der Familie wurden eingezogen – wer sich mit den Mitgliedern auch nur verschwägern würde, sollte für immer von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen bleiben, alle welche sich wirklich an der Verschwörung beteiligt und durch die Flucht gerettet hatten, wurden an dem Turm des Regierungspalastes in Lebensgröße, mit dem Kopf nach unten gehängt, gemalt und Lorenzo konnte seinen Schwager Guiglielmo nur dadurch retten, daß er ihn bei Nacht und unter tiefstem Geheimnis nach einem entlegenen Landsitz bringen ließ. Dagegen wurden von Lorenzo lebensgroße Bildnisse nach dem Beschluß der Signorie von dem in der damals sehr gepflegten Kunst der Wachsbildnerei berühmten Orsini Benintendi hergestellt und in den Kirchen Santa Annuncia, der Madonna degli Angeli bei Assisi, sowie in der Klosterkirche in der Via San Gallo aufgestellt.

Das Bild in der letzteren wurde mit demselben Anzuge bekleidet, den Lorenzo getragen hatte, als der Dolchstoß gegen ihn geführt wurde.

Lorenzo entwickelte eine außerordentliche Thätigkeit. Er hatte sogleich Befehl gegeben, von allen Seiten her Lebensmittel nach Florenz zu schaffen, um nötigenfalls eine Belagerung aushalten zu können; die Thore wurden stark besetzt, alle verfügbaren Truppen zusammengezogen und zugleich Werber nach der Lombardei geschickt, um für hohen Sold Truppen anzuwerben und die Gesandten an allen Höfen erhielten den Auftrag, alles aufzubieten, um Verbündete zu gewinnen und namentlich Mailand und Venedig bei dem alten Bündnis festzuhalten und zu thätiger Hilfe zu bewegen. Cosimo mußte bei allen diesen wichtigen Geschäften Hilfe leisten und kam kaum dazu, sich dem Schmerz über Giovannas Verschwinden hinzugeben. Zugleich versäumte Lorenzo nichts, um die Möglichkeit einer versöhnenden Verständigung offen zu halten und die Fäden, die dahin führen könnten, zu erhalten. Er schrieb an den Grafen Girolamo einen Brief, in welchem er die Hinrichtung Monteseccos bedauerte und den vergeblichen Versuch mitteilte, das Leben des Capitano zu retten und erklärte sich auch dem neapolitanischen Gesandten Marino Tomacelli gegenüber bereit, die von dem König Ferrante angebotene Vermittlung anzunehmen, so daß er für alle Fälle wenigstens Zeit gewann, um alle Vorbereitungen zu treffen und vollkommen gerüstet in den Kampf zu treten, wenn derselbe dennoch unvermeidlich werden sollte.

Giulianos Leiche war in dem Prachtsaal des Mediceischen Palastes aufgebahrt. Der ganze Saal war mit schwarzem Tuch drapiert, zahlreiche Kerzen brannten auf hohen Kandelabern, die Priester verrichteten Gebete und die jungen Männer aus den vornehmsten Familien der Stadt hielten in Trauerkleidung die Wache bei dem Toten, der friedlich und ruhig, als ob er schliefe, in dem von reichem Blumenschmuck umgebenen Sarge ruhte.

Am Abend vor der feierlichen Beisetzung in der Gruft der Kirche San Lorenzo kehrte Lorenzo, nach einer langen Beratung in dem Palast der Signorie, zurück und begab sich, wie an jedem Abend, in den Totensaal, um am Sarge des Bruders sein Gebet zu halten.

Dann beauftragte er Cosimo, der ihn wie immer begleitete, Antonio de San Gallo und den Maler Sandro Botticelli, die er um ihren Besuch hatte bitten lassen, herbeizurufen.

Er drückte beiden schmerzlich bewegt die Hand und führte sie zu dem Katafalk.

»Ich hatte Euch gebeten,« sagte er zu Botticelli, »den Bruder zu malen, der damals noch in der Jugendblüte des Lebens stand – der Tod. hat ihn jählings getroffen, aber Ihr, edler Sandro, habt ihn gekannt in seiner Schönheit und Kraft, Ihr habt den leuchtenden Blick seiner Augen gesehen und ein Meister wie Ihr wird es vermögen, auch dem starren Antlitz des Toten das Leben wiederzugeben und seine geschlossenen Augen wieder leuchten zu lassen zu heiliger Erinnerung.«

»Gewiß werde ich das vermögen, erlauchter Lorenzo,« erwiderte Botticelli, indem er mit gefalteten Händen an den Sarg trat und wehmütig in Giulianos bleiches Antlitz blickte.

»So malt mir das Bild,« sagte Lorenzo, »und ich werde Euch' dankbar sein für die herrlichste Gabe, die mir je geboten ist. Und noch eine Bitte habe ich an Euch – es gilt noch eine Tote in lebendiger Erinnerung zu erhalten, Antonio wird Euch zu ihrer Bahre führen. Ihr habt sie freilich im Leben nicht gekannt, aber ich bitte Euch, sie zu malen nach den toten Zügen mit allem Liebreiz, der sie im Leben schmückte und von dem Euch Antonio sprechen wird, der ihr Freund war.«

»Ich werde thun, was meine Kunst vermag,« erwiderte Botticelli, »und ich hoffe, es wird mir gelingen.«

Lorenzo umarmte den Maler.

Dann fragte er Antonio:

»Habt Ihr alles vorbereitet, um der Armen auf dem Kirchhof des Klosters von San Donino ein einfaches aber würdiges Begräbnis zu gewähren?«

»Alles ist geschehen,« erwiderte Antonio, »und sie wird dort friedliche Ruhe finden nach der Unruhe ihres früh gebrochenen Lebens.«

»Ich danke Euch,« sagte Lorenzo, »es ist der letzte Freundschaftsdienst, den Ihr meinem Bruder erweist – geht also ans Werk, edler Meister und besiegt durch Eure Kunst den Tod!«

Er beugte noch einmal das Knie zu kurzem Gebet vor dem Sarge und ging dann stumm hinaus, während Sandro Botticelli seine Mappe zur Hand nahm, um noch einmal die Züge des Toten zu skizzieren.

Als Lorenzo in sein Zimmer zurückgekehrt war, legte er die Hand auf Cosimos Schulter und sah den jungen Mann mit schmerzlich liebevollen Blicken an.

»Ich habe Dir eine traurige Nachricht mitzuteilen, armer Cosimino, die ich noch zurückhielt, um Dir in der schweren Arbeit dieser Tage den Mut, den wir alle bedürfen, nicht erlahmen zu lassen. – Wir alle haben mit dem furchtbaren Schlag, der uns betroffen, teure Hoffnungen begraben, die meinigen sind zusammengebrochen am Sarge Giulianos, Du wirst es lernen müssen, eine teure Vergangenheit zu vergessen, um mir mit klarem Blick und mutigem Herzen zur Seite zu stehen und die Pflicht gegen das Vaterland zu erfüllen. Der falsche Malaspina,« fuhr er fort, während Cosimo angstvoll seinen Worten lauschte, »hat mir einen kalten und hochmütigen Brief geschrieben, in welchem er erklärt, daß er die Verbindung seiner Tochter mit meinem Neffen nicht mehr zulassen könne, da ich durch die Ermordung des Erzbischofs und die Gefangensetzung des Kardinals den gerechten Zorn Seiner Heiligkeit erweckt und er ein zu treuer Diener der Kirche und ihres geheiligten Oberhauptes sei, um sich mit einem Hause zu verschwägern, das dem römischen Hof feindlich entgegensteht. Ich mußte das wohl nach seiner feigen Flucht erwarten, aber es wird mir doch schwer, die Verachtung, welche seine Treulosigkeit verdient, nicht zum Zorn auflodern zu lassen. – Einen Mord nennt der Elende die Hinrichtung des Erzbischofs, welche ich nicht einmal befohlen, was sind denn die Dolchstöße, unter denen Giuliano sein Leben ausgehaucht und die auch mir den Tod bringen sollten? Mag er gehen, der Wortbrüchige, dahin, wo er meint, eine helle Sonne aufleuchten zu sehen, noch ist mein Stern nicht untergegangen und auch ihn wird die Rache treffen!«

»Verzeiht, mein Oheim,« sagte Cosimo mit ruhiger Fassung, »wenn ich die Rachegeister nicht auf den Vater meiner Giovanna herabzurufen vermag; er hat schwer gefehlt, aber nicht alle können groß und stark sein wie Ihr, die Wetterwolken steigen herauf und ziehen vorüber – ich vertraue auf die ewige Gerechtigkeit, daß auch wir stehen werden im Sturm und daß Euer Stern wieder hell strahlen wird – ich werde fest und mutig im Kampf stehen und der Liebe und Treue vertrauen, die nach den Wettern ihre Blüten wieder entfalten müssen.«

»Der Liebe und Treue vertrauen?« sagte Lorenzo mit bitterem Lachen, »Dein Vertrauen würde übel angebracht sein, denn Liebe und Treue haben keine Stätte im Hause der Malaspina. Hier lies – mit der Botschaft des Grafen habe ich auch einen Brief von Giovanna an Dich erhalten.«

Er reichte seinem Neffen das von Giovanna geschriebene Blatt.

Cosimo durchflog die wenigen Zeilen; sein Gesicht wurde totenbleich. Einen Augenblick stand er regungslos da, dann starrte er von neuem auf das Papier und sagte mit dumpfer Stimme:

»Bei Gott, es ist ihre Handschrift und dennoch, dennoch – es kann nicht wahr sein!«

»Nicht wahr sein, mein armer Cosimo?« sagte Lorenzo, »hältst Du nicht den Beweis der Wahrheit in Händen – warum sollte die Tochter anders sein wie der Vater, warum sollte sie die Treue halten, die sie doch wahrlich von ihm nicht gelernt? – Verachte und vergiß sie, wie ich den Vater verachten und vergessen will!«

Cosimo stand gebeugten Hauptes da, er vermochte auf die Worte seines Oheims keine Erwiderung zu finden, nach welcher sein gequältes Herz rang.

Ein Diener trat ein und meldete, daß Signora Lucretia um Gehör bitte. Wahrend sie auf Lorenzos Wink sogleich eingeführt wurde, wendete sich Cosimo nach kurzer Verbeugung zur Seite und wollte, immer auf das Papier in seinen Händen starrend, hinausgehen. Lorenzo aber befahl ihm zu bleiben und führte Lucretia artig zu dem Sessel neben seinem Schreibtisch.

Einen Augenblick schien sie befremdet über Cosimos verstörtes Aussehen. Dann aber sagte sie mit ihrer gewohnten heitern Ruhe, indem sie Cosimos Anwesenheit kaum zu beachten schien:

»Ich habe Nachrichten aus Rom für Eure Magnifizenz und habe keinen Augenblick zögern wollen, um Euch mitzuteilen, was der Kardinal Rodrigo mir durch meine Schwester Rosa für Euch aufgetragen hat.«

»Ich bin neugierig« erwiderte Lorenzo gespannt, »es thut wohl in dieser Zeit, in der so manches Vertrauen getäuscht wird, Freunde zu finden.«

»Ich kann Eure Magnifizenz versichern,« erwiderte Lucretia, »daß die Botschaft und der Rat, die ich Euch zu überbringen habe, aus wirklich freundlicher Gesinnung hervorgehen. Ich habe Euch zunächst zu melden, daß Eure Feinde in Rom mächtig sind und den Zorn Seiner Heiligkeit immer von neuem anschüren – ihnen allen voran steht der Graf Girolamo und der erste Rat des Kardinals ist der, daß Ihr keine falschen Worte von ihm glauben und keine Vermittlung von ihm annehmen mögt.«

»Ich habe der Falschheit genug kennen gelernt in dieser Zeit und kann Euch versichern, daß der Graf Girolamo der letzte ist, dem ich trauen möchte.«

»Der Papst,« fuhr Lucretia fort, »ist, wie ich Euch melden soll, tief erbittert und wenn er auf die Vorstellung einer großen Anzahl der Kardinale die gewaltsamen Maßregeln gegen Euren Gesandten zurückgenommen und den florentinischen Bankhaltern und Kaufleuten die Freiheit wiedergegeben, so ist dies nur geschehen, um Zeit zu gewinnen, damit er Euch um so sicherer mit den weltlichen und geistlichen Waffen treffen könne und darum rät Euch der Kardinal Rodrigo, daß Ihr jeden Vorwand zu einer Anklage beseitigen und Euren Freunden im heiligen Kollegium die Gelegenheit geben möget, den unversöhnlichen feindlichen Schritten entgegenzuwirken.«

»Und was soll ich thun?« fragte Lorenzo unwillig, »der Erzbischof von Pisa ist ohne mein Wissen gerichtet, ich würde sein Leben geschont haben und die Priester, welche selbst den mörderischen Dolch in ihrer Hand führten, sind dem gerechten Zorn des Volks zum Opfer gefallen. Der Papst selbst hätte über sie das Todesurteil sprechen müssen. Das ist vergangen und läßt sich nicht mehr ändern.«

»Doch,« fiel Lucretia ein, »der Kardinal Raffaello ist noch in Gefangenschaft, ohne daß ihm eine Schuld hat nachgewiesen werden können – darin erblickt der Papst einen Eingriff in seine Rechte und eine Auflehnung gegen die Kirche und das heilige Kollegium wird ihm in dieser Auffassung nicht unrecht geben können. Schon ist eine aus fünf Kardinälen bestehende Kommission ernannt, um wegen der Gefangenhaltung des Kardinals Raffaellu das richterliche Verfahren gegen die Republik zu beginnen oder eigentlich gegen Euch, erlauchter Lorenzo, denn Eure Feinde suchen Euch und die Republik von einander zu trennen und Euch allein die Schuld an allem, was geschehen, aufzubürden – der Rat, den ich Euch geben soll, geht nun dahin, den Kardinal Raffaello freizulassen und nach Rom zurückzusenden, damit werden Eure Freunde in dem heiligen Kollegium in den Stand gesetzt, auf Eure Seite zu treten und weitere Feindseligkeiten zurückzuhalten.«

»Und werden sie das vermögen,« fragte Lorenzo, »werden sie's ernstlich wollen, wenn der römische Hof starke Verbündete gewinnt? Und er wird sie gewinnen, ich weiß wohl, wie leicht der König Ferrante von Neapel durch die politische Kunst des römischen Hofs zu gewinnen ist und wie sehr sein Sohn, der Herzog von Kalabrien, danach dürftet, sich kriegerischen Ruhm zu erkämpfen. Ist da nicht,« sagte er, halb für sich sprechend, »der Kardinal Raffaello, der Neffe des Papstes, eine Bürgschaft, die ich nicht aus den Händen lassen sollte?«

»Ihr müßt wissen, was Ihr zu thun habt, erlauchter Lorenzo,« erwiderte Lucretia, »ich habe Euch nur den Rat des Kardinals Rodrigo mitzuteilen, der gewiß aufrichtig gemeint ist. Und noch soll ich Euch mitteilen, daß Ihr wohl darauf bedacht sein möget, die Bischöfe des florentinischen Gebiets fest an Euch zu schließen, denn in ihnen würdet Ihr die sicherste Stütze finden, wenn der Papst dennoch dahin gebracht werden sollte, die geistlichen Waffen gegen Euch zu brauchen.«

Lorenzo saß eine Zeitlang sinnend da, während Lucretias Blicke zu Cosimo hinüberschweiften, der auf einen Sessel niedergesunken war und von dem ganzen Gespräch nichts gehört zu haben schien.

»Ich danke Euch, edle Lucretia,« sprach Lorenzo endlich, »für Eure Botschaft und bitte Euch, auch dem Kardinal Rodrigo meinen Dank für die Freundschaft auszusprechen, die er mir in dieser ernsten Zeit beweist und die ich nicht vergessen werde. – Teilt ihm mit, daß der Kardinal Raffaello in Haft genommen worden sei, um sein Leben vor der Wut des erbitterten Volkes zu schützen und seine Unschuld nachzuweisen, er wird dem Papst am besten bezeugen können, daß auch ich von den versöhnlichsten Gesinnungen erfüllt bin und alle schuldige Ehrfurcht und Ergebenheit gegen das heilige Oberhaupt der Kirche unveränderlich bewahre. – Ich werde mit dem hohen Rat mich besprechen, um den Kardinal Raffaello, für dessen Sicherheit ich bürge, zur Verfügung des Papstes zu stellen, wenn man in Rom, ebenso wie es hier geschehen soll, alles Vergangene vergessen will. – Den Kardinal Rodrigo aber bitte ich, weiter für meine Sache zu wirken, soweit er es vermag und dieselbe als gerecht anerkennt. »Vielleicht,« fügte er mit besonderem Nachdruck hinzu, »wird einmal die Zeit kommen, in der ich auch ihm durch die That meine Freundschaft und Dankbarkeit beweisen und ihm behilflich sein kann, dem erlauchten Hause der Borgia den vollen Glanz wiederzugeben, der ihm zukommt und jetzt durch die Nepoten, durch den Grafen Girolamo und die zu ihm gehören, verdunkelt wird.«

»Ich bin glücklich über Euer Vertrauen,« erwiderte Lucretia, »und werde sogleich Eure Botschaft auf dem sichersten Wege nach Rom gelangen lassen. Doch mein Freund und Beschützer, der edle Cosimo,« fuhr sie fort, während Lorenzo sich erhob und ihr galant die Hand küßte, »scheint durch die ernste Zeit erschütterter als Ihr. Freilich wohl muß es ihn tiefer bewegen, für sein Vaterland zu sorgen, als den Degen gegen die Räuber zum Schutz einer Fremden zu ziehen, wie er es so fröhlichen Mutes that.«

Lorenzo blickte Cosimo, der bei Nennung seines Namens wie aus einem Traum aufgefahren war, sinnend an. Ein Gedanke schien in ihm aufzublitzen.

»Es ist nicht die Sorge um die drohende Gefahr,« sagte er, »welche meinen Cosimino erschüttert und ihm den fröhlichen Mut nimmt – er hat Schmerzliches erfahren und sein junges Herz glaubt eine Täuschung nicht überwinden zu können, wie sie doch keinem Menschen erspart bleiben kann. Er bedarf des Trostes und des stolzen Mutes, der zu verachten und vergessen lernen muß. Ihr habt Euch seine Freundin genannt und das seine, weibliche Gefühl wird es wohl besser verstehen, seine ermattende Seele zu erfrischen, als meine mahnenden Worte.«

»Bei Gott,« rief Lucretia, »ich bin seine Freundin, ich vergesse das Gelöbnis der Dankbarkeit nicht, ich werde glücklich sein, sie zu beweisen und Euch einen treuen und mutigen Mitkämpfer gegen Eure Feinde zu erhalten.«

»Du hörst es, Cosimo,« sagte Lorenzo, »geleite die edle Dame nach ihrer Wohnung zurück, ihr darfst du vertrauen und es wird dir wohl thun, für den Kummer deines Herzens Verständnis zu finden.«

Cosimo zuckte wie erschreckt zusammen.

Lucretia legte die Hand auf seinen Arm und er führte sie, von Lorenzo bis zur Thür begleitet, aus dem Gemach.

Schweigend schritten sie nebeneinander durch die langen Korridore bis zu Lucretias Gemächern.

Cosimo wollte sich hier mit einer stummen Verbeugung verabschieden, aber Lucretia erfaßte seine Hand und zog ihn mit sich.

Der Wohnraum, in welchen sie eintraten, bot ein Bild reizender Behaglichkeit. Die reiche und prächtige Ausstattung des Zimmers war zu wohnlicher Traulichkeit geordnet; an dem von der Decke herabhängenden Kristallkronleuchter waren nur einige Kerzen angezündet, andere brannten auf Girandolen in den Ecken, aber Schirme von mattroter Seide waren davor gestellt und dämpften das Licht; der Duft der überall verteilten Blumen mischte sich mit den seinen Aromen des Orients, welche die vornehmen Damen jener Zeit so sehr liebten und so geschickt zu verwenden verstanden. Das Prunkvolle Gemach zeigte das Walten einer weiblichen Hand und hatte den eigenartigen Reiz der Wohnung einer schönen Frau angenommen. Durch das geöffnete Fenster fielen die Strahlen des über die Baumkronen des Gartens heraufsteigenden Mondes herein und mischten sich mit dem gedämpften Kerzenlicht. Alles hier schien gemacht, um die Schönheit Lucretias mit einem zauberhaften Schimmer zu umgeben. Ihr edles Gesicht schien wie von Perlmutterglanz umflossen und ihre großen, dunklen Augen schienen an Glanz und Feuer das Kerzenlicht und den silbernen Schein des Mondes zu überstrahlen.

Bei dem Eintritt der Beiden hob sich aus einem niedrigen Lehnstuhl Piccolos kleine Gestalt.

Der Zwerg eilte freudig seiner Herrin entgegen, aber bei Cosimos Anblick verfinsterte sich sein Gesicht und leise vor sich hinmurrend trat er zurück.

»Geh', Piccolo,« sagte sie, »geh' in dein Zimmer, ich werde dich rufen lassen, wenn ich deiner bedarf!«

Der Zwerg stieß einen unwillig knurrenden Ton aus und sagte mit einem feindlichen Blick auf Cosimo:

»Ich habe Euch so lange erwartet und Euern Anblick ersehnt, um hier am fremden Ort und unter fremden Menschen wieder gesund und fröhlich zu werden und nun soll ich gehen – immer wieder gehen, als ob ich ein schlechter Diener wäre, wie andere und Ihr kein Vertrauen mehr hättet zu dem treuen Piccolo.«

»Du bist närrisch –« sagte sie ungeduldig.

Dann aber strich sie freundlich mit der Hand über sein kurzes Haar und fügte freundlich lächelnd hinzu:

»Ich weiß ja, daß du mir treu und ergeben bist und behandle dich niemals wie die anderen Diener. Aber nun geh' und warte, bis ich dich rufen werde.«

Piccolo ging murrend hinaus und warf heftig die schwere Thür hinter sich zu.

»Ihr habt den Kleinen gekränkt,« sagte Cosimo, »um meinetwillen und doch werdet Ihr meinen Kummer kaum bannen können.«

»Und warum nicht –« erwiderte sie, indem sie sich auf einen Divan niederließ, der, von blühenden Gewächsen umgeben, in einer Ecke des Gemachs stand. »Haltet Ihr meine Freundschaft für so schwach und kalt? – Setzt Euch zu mir und vor allem klagt mir Euer Leid, damit ich, wie es ein geschickter Arzt thun muß, in der Kenntnis der Krankheit die heilenden Mittel suchen kann.«

Sie streckte ihm die Hände entgegen und zog ihn zu einem Sessel neben ihrem Divan.

Die weiten Ärmel ihres dunkelblauen Gewandes waren von ihren Armen herabgesunken, ihre in weichem Glanz schimmernden Augen schienen ihn mit magnetischer Kraft anzuziehen.

Als er tief aufseufzend in den Sessel niedersank, entfiel seiner Hand, die sie mit warmem Druck umfaßte, ein Blatt.

Lucretia bückte sich schnell, hob das Blatt vom Boden auf und sagte:

»Ist dies die feindliche Waffe, welche Euer Herz verwundet hat? O, ich weiß, es wohl, ein Wort, sei es gesprochen oder geschrieben, vermag schärfer zu treffen, als die Spitze eines vergifteten Dolchs!«

Er schien erschrocken und machte eine Bewegung, als ob er das Papier wieder zurücknehmen wolle.

Dann aber sagte er seufzend:

»Ihr wißt, edle Lucretia, welches Glück mein Herz von der Zukunft erwartete – Ihr waret bei mir, als dieses Glück so plötzlich in die trübe Ferne hin verschwand – Ihr müßt meinen Schmerz begreifen, da ich es nun ganz verloren habe, – leset das Blatt und Ihr werdet erkennen, daß es keinen Trost für mich giebt.«

Sie durchflog schnell die Zeilen, ihre Augen blitzten auf und mit höhnischem Lächeln warf sie den Brief fort.

»Ich begreife es, mein armer Freund,« sagte sie, »daß solche Falschheit und Feigheit Euch tief verwundet hat, aber ich würde es nicht begreifen, wenn Ihr nicht in Euerm edlen Herzen den Balsam finden solltet, diese Wunde zu heilen. Schwer ist es gewiß zu verlieren, was uns teuer war, aber leicht ist es, den Verlust zu vergessen, wenn wir erkennen, daß wir nichts verloren haben und daß der Schatz, den wir zu besitzen meinten, nur schlechtes, glitzerndes Glas war, statt des echten Steins!«

Seine Wangen röteten sich. Vorwurfsvoll sah er sie an und sagte traurig:

»Falschheit und Feigheit meint Ihr, hätten diesen Brief diktiert? – Mögt Ihr es Feigheit nennen, wenn die Schwäche des Weibes, das ja zur Anlehnung an die männliche Kraft geschaffen ist, ermattet vor der Drohung und Verleumdung, der ja oft der männliche Sinn nicht zu widerstehen vermag.«

»Ja!« rief sie mit flammenden Blicken. »Ja, ich nenne es heuchlerische Falschheit und niedere Feigheit und, bei Gott! ich habe recht! – Bin ich nicht auch ein Weib und habe ich nicht darum das Recht, über weibliche Gefühle und weibliche Pflichten zu urteilen? Schon die Flucht dieser Giovanna, an die Euer Herz sich gehängt, war eine Feigheit in jenem Augenblick des Unglücks, aber damals war wenigstens ein Zwang unter den übermächtigen äußeren Eindrücken möglich. Jetzt aber einen solchen Brief zu schreiben in ruhiger und kalter Überlegung, das ist noch eine schimpflichere Feigheit, eine niedrige Treulosigkeit – nein, nein, nicht eine Treulosigkeit, denn niemals ist sie Euch treu gewesen, niemals hat sie Euch geliebt. Dies ist die Wahrheit, die sie jetzt Euch zeigt und die sie bisher unter falschem, heuchlerischem Schein verborgen hat. Ihr dürft, bei Gott! glücklich sein, daß sie Euch diese Wahrheit hat erkennen lassen, bevor ihr durch unauflösliche Bande mit ihr verbunden wurdet.«

Cosimo sah sie traurig an.

»Kaum kann ich Worte finden,« sagte er, »um Euch zu widersprechen, um sie zu verteidigen, die mir so weh gethan und doch vermag ich nicht an so viel Falschheit zu glauben. – O, es ist ja so schwer, da zu verachten, wo man anbetend zu dem Ideal der edelsten Wahrheit und Schönheit aufzublicken gewohnt war. Sie muß gezwungen, sie muß bethört sein – o, wenn ich sie nur sehen, wenn ich zu ihr sprechen könnte!«

»Sie würde Euch belügen, wie sie Euch bisher belogen hat« – rief Lucretia, »aber,« fügte sie höhnisch lachend hinzu, »davor hat sie sich geschützt, vielleicht fürchtet sie dennoch, Euch ins Auge zu sehen und vor Euch in ihrer wahren Gestalt dazustehen, darum ist sie geflohen, um Euch aus sicherer Ferne mit dem giftigen Pfeil zu treffen, von dem sie wohl wissen muß, wie schmerzlich er Euch verwunden würde. – Nein, Ihr dürft keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung für sie suchen, Ihr müßt Euch aufraffen zu männlichem Mut und die vergessen, die niemals Eurer Liebe wert war. Nennt mir die Macht auf Erden, die ein liebendes Herz zwingen könnte, ein heiliges Band zu zerreißen in einem Augenblick drohender Gefahr, der demselben erst die höchste und edelste Weihe geben soll! Ich bin ein Weib wie jene, aber ich schwöre Euch, wenn ich Euch liebte, wie sie es Euch geheuchelt, niemand hätte mich von Eurer Seite reißen können und keine Folter hatte mir die kalten, fast höhnischen Worte abzwingen können, die sie Euch wohl leichten Herzens geschrieben!«

Cosimo schauderte; er fand keine Entgegnung und sein schmerzvolles Gefühl neigte sich, ihren Worten recht zu geben.

Sie beugte sich zu ihm herüber und legte die Hände auf seine Schulter.

Er fühlte die feurige Glut ihrer Blicke, der Duft ihres Haares umfloß ihn und mit leiser Stimme sagte sie:

»Die Stunde des Unglücks würde mich an die Seite des Geliebten geführt haben und hätte ich mir mit dem Dolch in der Hand den Weg zu ihm bahnen müssen. – Neben ihm zu stehen in den Tagen des Kampfes, wäre mein Stolz und mein höchstes Glück gewesen, ein höheres Glück vielleicht, als das tändelnde Liebesspiel im rosigen Sonnenschein. In meinen Armen hätte er immer neuen Mut, immer frisch aufsprudelnde Kraft finden sollen, um den Blitzen des Wetters zu trotzen und wie Achill die Scharen der Feinde vor sich hinzutreiben. Je höher er sich emporgeschwungen hätte in Heldenkraft und Heldenmut, um so heißer hätte mein Herz ihm entgegengeschlagen und aus dem freundlichen Licht ruhiger und glücklicher Tage wäre meine Liebe aufgeschlagen zu lodernden Flammen, ihn immer höher zu begeistern.«

Sie hatte sich noch mehr ihm zugeneigt, ihr Atem strich über sein Haar, er fühlte ihre Lippen leise seine Stirn berühren.

Er kniete, wie von übermächtiger Zaubergewalt erfaßt, zu ihren Füßen nieder und drückte ihre Hände, welche von seiner Schulter herabsanken, an seine Lippen.

»Was die Liebe Euch versagt in treuloser Falschheit,« sagte sie mit leiser Stimme, deren Ton bis zu seinem Herzen drang, »das soll die Freundschaft Euch bieten, die keine Furcht und keine Falschheit kennt. – Ich weiß, was Ihr bedürft, um in stammender Begeisterung für die heilige Sache Eures Vaterlandes eine Täuschung zu vergessen, die Euch zur freundlichen Gewohnheit geworden war. Ich sehne mich, zu dem siegreichen Helden aufzublicken, der in Euch lebt und aus der weichen Träumerei erweckt werden muß, in die Euch eine Liebe ohne die Flamme des wahren himmlischen Feuers herabgezogen. Und, bei Gott! ich fühle mich stark genug in meiner Freundschaft, Euch erwachsen zu lassen zu dem Helden, zu dem ich demütig und auch stolz zugleich aufzublicken vermag. – Es ist nicht Hochmut, nicht Anmaßung, wenn ich Euch sage, daß ich gewiß bin, Euch nicht nur frischen Mut wiederzugeben, sondern auch das Vertrauen, daß es noch Wahrheit und Treue in den Menschenherzen giebt. Ich fühle Euer Leid mit Euch, aber jene die es Euch bereitet, ist solcher Schmerzen nicht wert, sie hat niemals begriffen, wie kostbar der Schatz Eurer Liebe ist und hat Euch niemals geliebt: Vergeht sie und denkt an den Kampf, der Euch eine Heldenbahn öffnet und an die Freundin, welche stolz ist Euch auf solcher Bahn zu sehen.«

Sie schlang, wie von innerer Bewegung fortgerissen, ihre Arme um seinen Nacken, zog ihn zu sich heran und hauchte einen Kuß auf seine Stirn.

Hochklopfenden Herzens schloß er sie in seine Arme und drückte sie feurig an seine Brust.

Schnell sprang er auf, seine Wangen glühten, seine Augen leuchteten in strahlendem Glanz.

»Ja,« rief er, »ich will mutig sein, ich will vergessen, der Kampf um das Vaterland soll mich auf dem Platze finden, den die Ehre und Pflicht mir anweist und soll mich wenigstens auf der Bahn der Helden sehen, bemüht ihrem Beispiel zu folgen, wenn es mir auch nicht gelingen sollte, es ihnen gleichzuthun. Vergessen sei die Vergangenheit, sie soll keine Macht mehr haben über mein Herz, das Ihr mit edlem Mahnruf wachgerufen aus der matten Träumerei! Der Zukunft nur sei mein Auge offen und ob sie mir schwere Wetter entgegensteigen läßt – die schwarzen Wolken umsäumt der lichte Goldglanz des Ruhmes und der Ehre.«

Auch Lucretia war aufgestanden; er hielt ihre Hand und senkte seine Blicke in ihre dunklen feuchtschimmernden Augen. »Ihr aber,« sagte er, »Ihr, die Ihr mich zu neuem Leben erweckt, die Ihr vor mir steht, wie die Göttin des Sieges und des Ruhmes, Ihr dürft mich nicht verlassen, Ihr müßt die heilige Flamme, die Ihr in meinem Herzen entzündet, anfachen zu immer hellerer Glut – Ihr müßt des Mannes Freundin bleiben, den Ihr aus dem weichen Knaben habt hervorwachsen lassen, wie einst die Göttinnen des Olymps herniederstiegen, um den Helden die Kraft und den Mut der Unsterblichen in das Herz zu gießen.«

»Ich habe Euch Freundschaft gelobt,« erwiderte sie, »als Ihr mir die Freiheit und das Leben gerettet, ich habe sie Euch gehalten, als Ihr sie kaum wert hieltet, Euch über einen verlorenen Traum zu trösten und bei Gott! ich werde sie Euch bewahren jetzt, da es gilt, den Kampfesmut zu begeistern zu unsterblichen Thaten!«

Sie legte die Hände auf seine Schultern und sah ihn mit stolzen, siegesfreudigen Blicken an und dabei schimmerte es zugleich so weich, so süß in ihren Augen, daß er, von entzückter Bewunderung durchschauert, sie an sich zog.

Einen Augenblick lehnte sie ihren Kopf an seine Brust, dann trat sie schnell zurück und sagte lächelnd:

»Was ich Euch sein will, Euch zu sein gelobe, das drücken die Töne besser aus als die Worte.«

Sie setzte sich nieder und nahm ihre Laute zur Hand. Heute aber rezitierte sie ihm keine Liebesklagen Petrarkas, ihre Stimme schwieg und nur ihre Hände bewegten die Saiten mit solcher Kraft und Sicherheit, wie man es diesen zarten Fingern kaum zugetraut hätte.

Bald schwollen die Töne an in schnellem Rhythmus, wie eine jubelnde Siegesfanfare, wie ein Triumphlied, das die Rückkehr der Helden begrüßt und dann wieder klang es unter ihren rosigen Fingerspitzen hervor, so weich und lieblich wie das sehnsüchtige Frühlingslied der Nachtigall oder das leise zärtliche Girren der Taube und ebenso wie es aus den Tönen klang, leuchteten ihre Augen bald in hellen Flammen auf, als ob sie Schaaren drohender Feinde entgegenblitzten, bald schimmerten sie wieder wie das rosige Morgenlicht, das die zarten Blütenkelche zu duftigem Erwachen öffnet.

Er lauschte andächtig den wundervollen Tönen, wie einem hohen Liede eines künftigen ihm neugeöffneten Lebens.

Als sie endlich schloß, beugte er das Knie vor ihr, küßte ehrerbietig ihr die Hand und ging dann schnell hinaus, als ob er keine Worte für seine Empfindung fände oder die Worte, die auf seinen Lippen zitterten, nicht auszusprechen wagte.

Sie blickte ihm mit ihren großen strahlenden Augen triumphierend nach.

»Er ist mein,« sagte sie leise, »ich habe sein Herz zum Leben erweckt und sein Leben wird mir gehören. – Er soll es nicht bereuen, denn ich will einen Helden aus ihm machen und nur meine Liebe kann ihn dazu erheben.«

Noch einmal klangen die Saiten unter ihren leise bewegten Fingern wie ein Zauberlied süßer Hoffnung.

Sie hörte Schritte auf dem Mosaikboden.

Schnell aufblickend, sah sie den Zwerg vor sich stehen.

»Du bist da, Piccolo?« fragte sie fast unwillig – »ich habe Dich noch nicht gerufen.«

Ich glaubte wohl ungerufen kommen zu dürfen,« erwiderte der Zwerg mit trotziger Miene, »da ich hörte, daß jener Cosimo über den Flur ging, und wenn ich nicht bei Euch sein darf, so lange er da ist, so bin ich damit ganz zufrieden, da ich nicht nötig habe, mich über ihn zu ärgern, der Euch schöne Worte vorschwatzt mit seinem milchbärtigen Gesicht.«

»Ich verbiete dir, Piccolo,« rief Lucretia streng, »so über einen edlen Herrn zu sprechen, der mein Freund ist und der immer gütig gegen dich war, – das ist undankbar und ungezogen von dir, Du bist verwöhnt durch meine Nachsicht, doch wenn du fortfährst solche Unarten zu begehen, so werde ich dich nicht mehr um mich dulden und dich fortschicken zu den anderen Dienern, zu denen du gehörst.«

»Nein,« rief Piccolo, »zu jenen gehöre ich nicht, ich gehöre zu Euch, meine edle Gebieterin, Euch allein will ich dienen und für Euch bin ich bereit, mein Leben zu lassen, das doch nur Wert hat, wenn ich Euch sehen und mit Euch dieselbe Luft atmen kann! – Ihm soll ich dankbar sein, weil er Euch und mich gerettet hat aus den Händen der Räuber, was Ihr ihm so hoch anrechnet, als eine gewaltige Heldenthat? Was bedeutet das für ihn,« fuhr er immer heftiger fort, »der groß und stark gewachsen ist durch die unverdiente Gunst der Natur und ein langes Schwert in seiner Hand führen kann. Was kann der arme Piccolo dafür, daß ihn die Natur, aus deren schöpferischer Hand so viel Schönheit quillt, wie eine böse Stiefmutter behandelt und zum Spott und Abscheu der Menschen in die atmende Welt gesetzt hat – dieser Menschen, die doch nichts vor ihm voraus haben, als ihre starken ebenmäßigen Glieder! Lehren sie nicht in den Kirchen, daß es die Seele sei, welche uns Gott ähnlich macht, da der Schöpfer sie uns mit seinem Lebensodem selbst eingehaucht, daß wir die Schönheit des Körpers verachten sollen, die uns mit den Tieren gemein ist? – Und bei Gott! meine Seele ist so gut als eine andere, und treuer ist sie gewiß in wahrer Ergebenheit für Euch!!« rief er, sich hoch aufreckend und den Arm mit einer pathetischen Geberde erhebend, die ein Lächeln auf ihre Lippen lockte – »bei Gott! wäre ich so stark und groß wie dieser Cosimo und schön wie es die Welt nennt, die sich um die Seele nicht kümmert, ich würde wie er mein Schwert gezogen und Euch aus den Händen der Räuber befreit haben, daß Ihr keinen anderen Beistand bedurft hättet. – Jetzt freilich, jetzt verspottet Ihr mich, den armen Zwerg und könnt das Lächeln nicht auf Euren Lippen zurückhalten, und doch ist meine Seele dieselbe in dem kleinen verkümmerten Leibe, der auf der Erde zurückbleiben und zu Staub werden wird, ebenso wie die großen Gestalten, die so stolz einherschreiten und doch nichts anderes in sich bergen wie der arme Zwerg. Wäre ich jenen gleich in der äußerlichen irdischen Gestalt, welche vor Gott nichts wert ist – dann würdet Ihr auch mich lieben, wie ich Euch liebe und lieben muß und nicht Jenem würdet Ihr Euer Herz schenken, der Euch dennoch nicht treu sein wird wie ich.« »Piccolo,« rief Lucretia zornig errötend, »du bist ein Narr, mehr als ein Narr, ein Unverschämter – du verdienst, daß ich dich peitschen ließe zur Strafe für solche Worte!«

»Thut es,« rief der Zwerg mit bitterem Lachen, »Ihr habt ja die Macht dazu, weil ich klein und schwach bin, aber doch bin ich besser als jener, der des Geschenks Eurer Liebe nicht wert ist.«

Sie blickte drohend in das leidenschaftlich erregte Gesicht des Zwergs, ein heftiges niederschmetterndes Wort schien auf ihren Lippen zu schweben. Dann aber schimmerte wehmütiges Mitleid aus ihren Augen, sie winkte Piccolo zu sich heran und sagte sanft:

»Ich verachte dich nicht, du weißt es wohl, wegen deiner kleinen Gestalt und ich glaube an deine treue Ergebenheit, aber du hast unrecht, diejenigen zu beneiden und zu hassen, denen der Zufall reichere Gaben gewährt als dir und der edle Cosimo Rucellai hat dir niemals Böses gethan, dich niemals verspottet, warum willst du ihn hassen, warum sprichst du so schlecht von ihm?«

Der Zwerg blickte finster zu Boden.

Dann schlug er seine kleinen Augen mit einem wunderbar innigen, schmerzvollen Blick zu ihr auf.

»Ich hasse ihn,« sagte er, »weil Ihr ihn liebt!«

Sie lächelte mit einem Ausdruck, bei dem sich das Gesicht des Kleinen noch mehr verdüsterte.

»Und wolltest du mir,« fragte sie mit neckendem Ton, als ob sie dem Gespräch eine scherzhafte Wendung geben wollte, »nicht gewähren, was doch der ärmsten Bäuerin gegeben ist, wie den Töchtern der Fürsten und Könige – und warum meinst du denn, daß ich diesen gerade nicht lieben sollte? Wäre er's nicht, so wäre es ein anderer – meine Schwester denkt doch lange daran, mir einen Gemahl zu suchen«

»Mag sie's thun,« rief Piccolo, »mag sie Euch einen Fürsten finden, der eine Krone auf Euer Haupt setzt, er wird Euch Glanz und Ehre bringen und Euer stolzes Herz erfreuen und ich werde Euch dienen, wie ich Euch jetzt diene; aber diesen hier, diesen liebt Ihr, ich weiß es, ich habe es in Euern Augen gelesen, wenn Ihr ihn anseht, in dem Erröten Eurer Wangen, wenn sein Name genannt wird und Ihr seine Schritte hört. – Nicht seine Herrin seid Ihr, er ist Euer Gebieter, vor dem Ihr demütig in den Staub sinkt – das zerreißt mir das Herz, denn kein anderer soll auf Euch herabblicken dürfen, zu der mein armes einsames Herz anbetend sich wendet, wie zu einer Heiligen des Himmels – er nicht, der eine andere vor Euch geliebt hat, wie mir die Diener hier erzählt haben, ihm könnt Ihr nicht Alles sein auf Erden, er wird auch nach Euch eine andere lieben können und Euch vergessen wie jene, die er vor Euch geliebt hat! – Der arme Piccolo aber würde dann nur mit Euch sterben können, da er es ja nicht vermag, das Schwert zu führen, um Euch zu rächen.«

Lucretia war erbleicht.

Sie stützte den Kopf in die Hände.

»Eine andere nach mir lieben und mich vergessen, wie er jene vergaß« – flüsterte sie leise, »und hat er sie vergessen?«

In finsteres Grübeln versunken faß sie eine Zeitlang da. Dann aber schüttelte sie den Kopf und sagte mit stolz aufleuchtendem Blick:

»Er wird, er muß sie vergessen. Kann sie ihn lieben wie ich – kann die Flamme ihrer Liebe ihm voranleuchten auf dem Wege zum Heldenruhm? Sie wird einen anderen finden, an dessen Seite sie auf dem glatten ebenen Weg des ruhigen Lebens dahinzieht. – Komm her, Piccolo,« sagte sie, freundlich den Zwerg zu sich heranwinkend und ihm die Hand reichend, »du weißt, daß ich dich nicht verspotte wegen deiner kleinen Gestalt, daß ich die Menschenseele, die Gott dir eingehaucht, in dir achte und ehre und dein treues Herz wert halte.«

»Das weiß ich,« rief Piccolo, auf die Knie niedersinkend, »das weiß ich, meine edle Herrin.«

»Und darum,« fiel sie ernst ein, »mußt du mir dankbar sein und zu mir stehen in dieser falschen Welt. Wenn du meinst, daß ich Cosimo liebe, der doch niemals dich verspottet hat, so darfst du gewiß sein, daß er den Menschen in dir achtet, wie ich. Wenn ich ihn liebe, so wird er mein Herr sein und einen Unwürdigen liebe ich nicht, und dann, mein guter Piccolo, muß er auch dein Herr sein, du mußt ihm gehorchen wie mir und ihm die Treue halten in deinem ganzen Leben, – Versprich mir das und ich gelobe dir, daß du unser Freund sein sollst vor allen anderen, die sich erhaben denken über dich in ihrer Kraft und Schönheit, unter der sich doch keine Seele birgt wie die deine.«

Der Zwerg blickte zu ihr auf, sein Gesicht zuckte in gewaltigem inneren Kampf, aber unter ihrem Blick gebannt beugte er sich auf ihre Hand nieder und sagte mit thränenschwerer Stimme:

»Ich gelobe es, meine edle Herrin! Kann denn der arme, kleine Piccolo Eurem Gebot ungehorsam sein? – Ich will ihm gehorchen, ich will ihm treu sein und Gott bitten, daß er niemals Eure Liebe verraten möge!«

Sie zuckte zusammen, als sie den heißen Kuß seiner Lippen auf ihrer Hand fühlte, als ob sie vor seiner Berührung sich entsetzte; aber nur langsam zog sie ihre Hand zurück, strich freundlich über sein krauses Haar und lehnte sich dann wieder in die Kissen ihres Divans zurück, indem sie wie träumerisch lächelnd die Saiten ihrer Mandoline erklingen ließ.

Piccolo aber sprang schnell auf und eilte, sein von Thränen überströmtes Gesicht von ihr abwendend, hinaus.


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