Oskar Meding
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Oskar Meding

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V.

In dem Palast der Medici, über dessen Portal sich das in Stein gehauene Wappen mit den fünf Kugeln, die man als Pillen zu deuten pflegt, und den drei Straußfedern erhob, herrschte ein reges Leben, Boten kamen und gingen, in den Arkaden wandelten Gelehrte und Künstler in lebhaften Gesprächen auf und nieder, und Gruppen von Magistratspersonen, in ihren Gewändern von Samt und Brokat, mit den scharlachroten Kappen auf den ernsten Häuptern, sprachen in verschiedenen Gruppen über die Angelegenheiten der Stadt und des Staates, welche mit allen politischen Fragen der damaligen Zeit auf das innigste verknüpft waren.

In einem von all dieser unruhigen Bewegung fern abliegenden Teile des weit ausgedehnten Palastes, der von den großen, sorgfältig gepflegten Gärten umgeben war, befand sich die Wohnung Lorenzos des Prächtigen, des Hauptes des Mediceischen Hauses, dessen Blicke weit hinaus reichten über die ganze damalige Welt, dessen Worte geachtet und gefürchtet wiederhallten in Venedig und Genua, in Mailand und Neapel, in Frankreich und Deutschland, und vor allem am päpstlichen Hof zu Rom.

Es war eine ganz seltsame, kaum sonst noch vorkommende Stellung, welche das Haus der Medici sich seit mehreren Generationen in seiner Vaterstadt Florenz und den von dieser abhängigen Gebieten geschaffen hatten, und welche nach Pierro de' Medicis Tode durch die Signorie, dem hohen Rat der Republik, des Verstorbenen beiden Söhnen, Lorenzo und Giuliano übertragen war, eine Stellung, die kaum anderswo etwas vergleichbar Ähnliches fand.

Die venetianische Republik wählte ihren Dogen, der während der Dauer seines Amts in der That die souveräne Macht der Repräsentation ausübte. In Mailand hatte sich der Condottiere de Sforza durch sein Schwert zum Herrn aufgeschwungen und die erbliche souveräne Stellung mit dem Herzogstitel für sich und seine Familie eingenommen.

In Florenz aber bestand die vollkommen demokratische Republik in all ihren Formen, Gesetzen und durch die Volkswahl besetzten Ämtern weiter, und dennoch waren die Medici, ohne einen eigentlichen Platz in der verfassungsmäßigen Staatsform einzunehmen, die wirklich regierenden Herren, indem sie alle Staatsbeamten ernannten und auch die Repräsentation übten. Äußere Titel und Zeichen der fürstlichen Würde wiesen sie auf das bestimmteste zurück und erhielten dadurch in dem Volke selbst die Anhänglichkeit und die Bereitwilligkeit, sich unter ihre Macht zu stellen. In dem Verkehr mit den auswärtigen Staaten, den das damalige Florenz in ausgedehntester Weise unterhielt, wurden die Gesandten zwar von der Signorie ernannt, aber in der Wahl ihrer Person behielten die Medici freie Hand, und von diesen erhielten sie ihre Befehle und Instruktionen, ebenso wie die Vertreter der auswärtigen Mächte in feierlicher Audienz der Signorie ihr Beglaubigungsschreiben überreichten, dann aber in allen diplomatischen Verhandlungen nur mit den Medici verkehrten.

Dies Verhältnis entsprach auch vollkommen dem Entstehen der Mediceischen Macht. Anders wie in Mailand, wo der erste Sforza als Soldat die Herzogskrone sich erobert hatte, war die Stellung der Medici in Florenz aus ihrer Geldmacht hervorgewachsen. Die Mediceische Bank hatte ihre Filialen in ganz Italien und ganz Europa, und ein unermeßlicher Reichtum war dem Hause durch den klugen und kühnen Betrieb seiner Geschäfte erwachsen. Sie hatten diese Geldmacht in kluger Berechnung dazu benutzt, ihre Vaterstadt zu schmücken und zu einem berühmten Sitz der Künste und Wissenschaften zu machen, und fast alle Bürger von Florenz, und die niedrigsten nicht ausgenommen, erhielten von ihnen Unterstützungen und Darlehen, indem sie überall eintraten, wo Not und Elend zu lindern oder zu verhüten war und wo Handwerk und Gewerbe der Unterstützung durch Kapitalmittel bedurfte. Die Blüte von Florenz war größtenteils ihr Werk und die patriotische wie persönliche Dankbarkeit des Volkes ließ sich darum die Herrschaft des freigebigen Hauses um so williger und freier gefallen, als die Feinde der Medici, zu denen, mehr oder weniger offen auftretend, die sogenannten alten Geschlechter gehörten, welche vordem die ausschließliche Macht in Händen hielten, danach trachteten, auch in Florenz eine oligarchische Verfassung nach venetianischem Muster herzustellen, durch welche dann alle Gewalt sich in einem bestimmt abgeschlossenen Kreise vereinigt haben würde. Das Volk erblickte also gerade in der Herrschaft der Medici einen Ausfluß und eine Bürgschaft seiner eigenen Freiheit und Selbstbestimmung und trat um so entschiedener für deren, auf demokratischer Grundlage aufgerichtete Stellung ein. Als nach dem Tode Pierros de'Medici dessen beide Söhne die Nachfolge seiner Macht und Würde übernahmen, trat ohne besondere Festsetzung und Vereinigung der ältere Lorenzo durch die Überlegenheit seiner Geistes- und Charaktereigenschaften allein an die Spitze der Regierung. Er besaß einen kaltberechnenden Geist, für weitblickende Berechnung und geduldiges Abwarten der getroffenen Maßregeln in den Geschäften wie in der Politik wie geschaffen, während Giuliano eine poetisch angelegte, zu idealer Schwärmerei und dabei zu üppigem frischen Lebensgenuß neigende Natur war, von dem sich Lorenzo nach seiner Naturanlage sowie wegen seiner von Jugend auf zarten und leicht erschütterten Gesundheit zurückhielt, wenn er auch eine äußerlich würdige und glänzende Repräsentation liebte, so daß ihm damals schon der Beiname »des Prächtigen« gegeben war, der ihm in den Annalen der Geschichte geblieben ist.

Durch eine Reihe von Vorgemächern, welche mit Kunstschätzen aller Art angefüllt waren und in ihrer reichen Ausstattung einen Beweis für die Prachtliebe ebenso wie für den seinen Geschmack des merkwürdigen Mannes ablegten, der mit fürstlicher, selbstherrlicher Macht die florentinische Republik beherrschte, gelangte man in das Arbeitszimmer Lorenzos, einen großen, durch die nach dem Garten hin gehenden Fenster hell erleuchteten Raum, der von den glänzenden Wohnräumen, mit denen er durch eine Galerie in Verbindung stand, sehr verschieden war. Zwar sah man auch hier den gediegenen Reichtum und den feinen Geschmack, welcher den ganzen Mediceischen Palast auszeichnete, in dem kunstvollen Mosaikfußboden von verschiedenfarbigem Marmor, in den kostbaren orientalischen Teppichen, den wenigen, aber auserlesenen Meisterwerken der Malerei und Bildhauerkunst und den schweren Kronleuchtern von gediegenem Silber und edlem Krystall. Aber zugleich mußte man auch die Stätte einer außerordentlich regen und vielseitigen geistigen Arbeit erkennen. Ein großer Schreibtisch von kunstvoll geschnittenem Holz stand im hellen Licht des einen Fensters. Auf demselben lagen Rechnungsbücher und Aktenstücke in großer Zahl, aber in musterhafter Ordnung. Auf einem anderen Tische, der auf silbernen Löwenfüßen ruhte, befand sich eine Anzahl alter Handschriften, auch ein Exemplar der Biblia sacra latina in zwei großen Foliobänden, dem damaligen hervorragendsten Werk der im schnellen Aufschwunge befindlichen Buchdruckerkunst, sowie verschiedene Handschriften, Zeichnungen, Modelle und Entwürfe für Bauten und Kunstwerke. Auf einem dritten, etwas kleineren Tische lagen Notenblätter aus Pergament, in den heutzutage so seltsam erscheinenden schwerfälligen und geschnörkelten Notenschriften jener Zeit, sowie Liedertexte in italienischer und lateinischer Sprache, darüber hing eine Chitara und eine Mandoline von kostbarer Arbeit, diese beiden, damals zur Begleitung des Gesanges beliebtesten Saiteninstrumente.

Dies alles bewies, daß das Haupt des Mediceischen Hauses und der florentinischen Republik ebensowohl die ernsten Geschäfte, wie die Künste und Wissenschaften aller Art beherrschte und mit Verständnis und Eifer pflegte, wie auch, daß sein klarer Geist alle diese verschiedenen Gebiete seiner Thätigkeit in musterhafter Ordnung zu begrenzen und auseinander zu halten verstand.

Lorenzo selbst saß vor seinem Schreibtisch in einem bequemen Lehnstuhl, dessen gepolsterte Armstützen in vergoldete Satyrköpfe ausliefen und dessen Rücklehne durch Brokatkissen ausgefüllt war.

Er war damals kaum neunundzwanzig Jahre alt, doch schien er älter durch seine etwas zusammengesunkene Haltung und die kränkliche Blässe seines eigenartigen Gesichts, das auf den ersten Anblick fast häßlich erscheinen konnte. Das dunkle, schwärzlich gebräunte Haar hing nach damaliger Sitte in der Mitte gescheitelt über den Kopf und den Nacken und bis zur Schulter ziemlich glatt und kaum gelockt herab und begann sich über der breiten Stirn etwas zu lichten. Die etwas tief liegenden Augen unter dunklen, meist wie grübelnd zusammengezogenen Brauen waren eines unendlich verschiedenen Ausdrucks fähig, bald blickten sie kalt und streng, wie scharf prüfend und berechnend, bald finster und stolz, und dann wieder konnten sie so klar und so freundlich leuchten, daß sie alle Herzen gewannen; seine Nase sprang stark hervor, aber ohne die kühne Biegung, welche an den Adler erinnert; sein Mund war groß und etwas zur Seite gezogen; die Unterlippe sprang stark hervor, das starke Kinn zeugte von Willenskraft und Energie, und doch konnte dieser an sich so unscheinbare Mund, der in der Ruhe einen fast abstoßenden Ausdruck zeigte, beim Sprechen im Verein mit dem wechselvollen Ausdruck der Augen eine Beredsamkeit üben, der selten jemand widerstand und die auch die entschiedensten Gegner zu überzeugen, oder doch zu überreden vermochte.

Lorenzo trug einen weiten, bis weit über die Knie hinabreichenden und um die Hüften von einem mit goldenen Zierraten geschmückten Ledergürtel zusammengehaltenen Rock, der mit kostbarem Pelzwerk gefüttert und am Halse und an den weiten Ärmelaufschlägen besetzt war. An dem Gürtel hing die Geldtasche von feinem Leder mit goldenem Verschluß und das Taschentuch von feinem Leinen.

Er war über seinen Schreibtisch gebeugt und hatte sich in die Prüfung eines großen Buches vertieft, in welchem auf Pergamentseiten Zahlen auf Zahlen sich aneinander reihten.

Endlich lehnte er sich zurück und blickte mit dem finsteren Ausdruck, den seine Augen immer bei tiefem Nachdenken einnahmen, eine Zeitlang zur Decke des Zimmers hinauf.

»Es ist kein besonders sicheres Geschäft,« sagte er, »das die Bank von Lyon uns da vorschlägt, die Sicherheiten sind nicht stark und können gar leicht ihren Wert verlieren, wenn der König von Frankreich, dessen Wort nicht eben gar sichere Bürgschaft bietet, sie eines Tages nicht erfüllen will, und vierzigtausend Goldgulden sind eine starke Summe, aber der König braucht das Geld – wenn wir ihm beistehen, es zu schaffen, so wird er dankbar sein, um so mehr, weil er uns künftig noch einmal zu gebrauchen denkt, und auch sonst hat er uns nötig, denn immer richtet sich noch sein Blick nach Neapel. Wenn ich auch niemals die Hand dazu bieten werde, dem Anjou dorthin den Weg zu öffnen, so ist es doch sehr nützlich, den Faden in der Hand zu halten, denn des Königs Ferrante von Arragon bin ich nicht sicher. – Wenn wir die Hilfe verweigern, wird der König Ludwig unser Feind werden, und vielleicht ein schlimmerer Feind – das aber darf nicht sein, wir haben der Feinde genug, die dem Papste helfen möchten, uns in einen eisernen Gürtel einzuengen und allmählich in seine Dienstbarkeit zu zwingen, darum muß es geschehen, das Geld muß der Politik dienen, und sollte uns ein Verlust treffen, so wird die Politik wieder die Wege bieten, um ihn zu ersetzen.«

Schnell entschlossen schlug er mit einem zierlichen Klöpfel auf eine goldene Glocke und befahl dem unmittelbar darauf eintretenden Diener, in der reichen Livree des Mediceischen Hauses, seinen Bruder Giuliano zu bitten, daß er sich einen Augenblick zu ihm bemühen wolle.

Während er den Gerufenen erwartete, trat er zu dem zweiten Tisch und prüfte sorgsam einen auf einem großen Pergament gezeichneten Plan.

»Das ist vortrefflich,« sagte er, »ganz nach meinen Gedanken. Dieses reizende Poggio cajano ist von wunderbarer Schönheit, was die Natur dort so verschwenderisch gegeben, verdient wohl, daß die Kunst das ihrige thut und an keinem anderen Ort kann ich würdiger einen Herrensitz erbauen, wie er dem Namen meines Hauses geziemt. Das alles ist vortrefflich angelegt und ich kann kaum etwas daran ändern, aber eins ist vergessen: Wenn ein hochragendes und stolzes Schloß sich dort erhebt, so dürfen die Ställe so nicht stehen bleiben, die Viehzucht aber muß dort zu immer steigender Höhe gebracht werden, ich habe schon meinen Plan gemacht, immer vorzüglichere Kühe dort zu vereinigen, das Heu ist von ausgezeichneter Güte und jetzt schon sind die Käse unübertrefflich, so daß, wenn der Betrieb immer weiter ausgedehnt wird, die beträchtliche Käse-Einfuhr aus der Lombardei ganz überflüssig werden muß. Die Wirtschaft soll dem Glanze festen Boden schaffen, aber doch soll sie in ihrer Form sich dem Glanze anpassen.«

Er betrachtete sinnend den Bauplan.

»So wird es gehen,« sagte er, »in einiger Entfernung von dem Platz des Herrenhauses ist eine Erhöhung, welche vor aller Feuchtigkeit schützt, dort sollen die Stallgebäude errichtet werden, hohe Mauern sollen sie umringen und ein Graben den ganzen Hügel umziehen, damit um so sicherer die Wasser des Ombrone nicht dort eindringen können, es sollen hohe Türme an den Ecken der Mauern sich erheben und dann wird das Ganze aussehen, wie ein stolzes Castell, das zu dem Herrensitze paßt und die Schönheit der Natur noch mehr erhöhen wird.«

Er nahm einen Stift und entwarf eine flüchtige Zeichnung in einer Ecke des Pergamentblattes.

Während er noch so beschäftigt war, öffnete der Diener die Thür und Giuliano de' Medici trat ein.

Er war vier Jahre jünger als Lorenzo, sah aber neben dessen etwas gebückter und kränklicher Erscheinung sehr viel jugendlicher aus; seine hohe Gestalt war kräftig und dabei doch schlank und geschmeidig gewachsen; sein edel geschnittenes Gesicht, mit dem bräunlich dunklen Teint hatte noch den vollen Schmelz der Jugend, sein schwarzes Haar fiel in vollen Locken über den Nacken herab und seine tief dunklen Augen konnten ebenso feurig und leidenschaftlich auflodern, als in sanfter Freundlichkeit die Herzen gewinnen. Er trug den damals modischen eng anliegenden Anzug, mit den zweifarbigen Tricotbeinkleidern, welche in den Schuh ausliefen und ein weites pelzverbrämtes Überwams mit den herabhängenden Ärmeln, in kostbarem Gehänge den zierlichen Stoßdegen und im Gürtel den kleinen Dolch.

Giulianos Kleidung glänzte in Purpur und Goldbrokat und war mit kostbaren Stickereien geschmückt, so daß er mit heiterem Lächeln eintretend, ganz das Bild eines frischen fröhlichen Lebemannes bot, der im glücklichen Genuß seiner Jugend, seines Reichtums und seiner hohen Stellung, sich um die Sorgen des Lebens zu kümmern, keine Neigung hatte.

Er eilte zu seinem Bruder, umarmte ihn zärtlich und sagte, auf das Pergament blickend, mit dem sich dieser beschäftigte:

»Ah, mein teurer Lorenzo, du baust wie ich sehe, dein Poggio cajano – wenn du mich hast zu dir bitten lassen, um dafür meinen Rat einzuholen, dann werde ich dir kaum dienstbar sein können, du verstehst das alles viel besser als ich und mich kannst du höchstens brauchen, wenn es gilt, für die fröhliche Einweihung des fertigen Baues ein Fest vorzubereiten und anzuordnen.«

»Nun hoffentlich,« sagte Lorenzo lächelnd, »werde ich dazu bald deinen Rat einholen, heute wollte ich allerdings, als ich dich zu mir bitten ließ, nicht von Poggio cajano mit dir sprechen, sondern dir mitteilen, daß ich es für zweckmäßig halte, das von der Bank von Lyon gewünschte Geschäft, das dir ja bekannt ist, dennoch abzuschließen, um dem Könige von Frankreich gefällig zu sein, den wir uns nicht zum Feinde machen dürfen und dessen Hilfe wir vielleicht einmal brauchen können, wenn unsere Feinde hier uns zu mächtig und gefährlich werden.«

»Ich bitte dich, Lorenzo,« fiel Guiliano ungeduldig ein, »entscheide das alles nach deinem Willen. Du hast den ruhigen klaren Geist, der vorwärts und rückwärts blickt, während mich das unruhig schlagende Herz mit dem Augenblick verbindet. Du beherrschst deine Zeit, um alle diese schwierigen Fragen der Politik durchzuarbeiten und übersehen zu können, während ich von der flüchtigen Stunde abhängig bin und es noch niemals vermocht habe, die Zeit meinem Willen unterzuordnen. Hat auch die Signorie uns beiden die Führung des Staates anvertraut, im ehrfurchtsvollen Andenken an unseren Vater – so bist du doch allein der Herr und weißt, daß ich mich in allem deinem Willen füge, wie es meine Pflicht ist dem älteren und mir soweit überlegenen Bruder gegenüber. – Ordne also auch dies wie du willst, ich will die Freundschaft mit dem Könige von Frankreich erhalten, wenn ich auch nicht wünschen kann, daß wir jemals seine Hilfe gegen unsere Landsleute anrufen möchten, ich bin Italiener vor allem und meine ganze Sehnsucht geht dahin, daß unser Vaterland seine Einigkeit finde und damit seine gefürchtete Macht in Europa.«

Lorenzo blickte finster vor sich nieder, aber er schien keine Neigung zu haben, auf den von seinem Bruder berührten Gegenstand einzugehen.

»Ich werde also die Sache nach deiner Zustimmung ordnen, vielleicht kannst du dann, wenn das Geschäft ausgeführt ist, dem König Ludwig XI. einen Besuch machen. Die Reise nach Frankreich wird dich zerstreuen, einer glänzenden Aufnahme bist du gewiß und du wirst vielleicht auch Gelegenheit haben, dich über den Zukunftsgedanken zu unterrichten, über den ich mit dir sprechen wollte, als ich dich zu mir bitten ließ.«

»Eine Reise nach Frankreich,« sagte Giuliano, wie erschrocken, »ja, ja, das wäre sehr schön, aber doch – nicht jetzt – in der winterlichen Jahreszeit.«

»Nein, nein,« sagte Lorenzo lächelnd, »nicht jetzt, du sollst das schöne Frankreich im besten Frühlingskleide sehen, das die Natur in kurzem anlegen wird – wenn also dein Herz hier noch gefesselt ist, so mache dir keine Sorge, ich weiß, daß solche Fesseln bei dir von schnell verblühenden Blumen gewunden und nicht von Erz geschmiedet sind.«

»Du spottest mit Unrecht,« erwiderte Giuliano errötend, »habe ich auch oft wohl mich leichtsinnig von flüchtigen Leidenschaften hinreißen lassen, so ist doch mein Herz auch ernster und dauernder Neigungen fähig.«

Lorenzo zuckte die Achseln mit einer Miene, als ob er den Worten seines Bruders nicht zu viel Glauben zu schenken geneigt sei.

»Doch nun laß uns ernsthaft reden,« sagte er dann, und höre an, was ich über deine Zukunft gedacht habe, da ich mich ja doch mit der Zukunft meines leichtsinnigen nur dem Augenblick lebenden Bruders beschäftigen muß.«

Giuliano unterdrückte nur mit Mühe eine peinliche Verlegenheit und leise seufzend folgte er seinem Bruder, der sich wieder vor seinen geschäftlichen Schreibtisch niederließ, um demselben gegenüber auf einem kleinen Sessel Platz zu nehmen.

»Ich muß dich wohl anhören, Lorenzo,« sagte er, »und dir dankbar sein für deine Sorge, lieber aber wäre es mir freilich, wenn du die Zukunft der Zeit überließest und mir das Spiel mit der so reizvollen und dabei so flüchtigen Gegenwart gönnen wolltest.«

»Nein,« sagte Lorenzo kopfschüttelnd, »wer so hoch gestiegen ist wie wir, der darf keinen Augenblick die Zukunft aus den Augen lassen. Die Freude an der Gegenwart will ich dir nicht trüben, aber wir dürfen nicht vergessen, daß unser Glück und unsere Macht der Feinde genug hat und jeder von uns muß daran denken, das Glück durch Klugheit zu ergänzen und der Macht immer festere Wurzeln zu schaffen. Der Papst war geneigt,« fuhr er ernst fort, »dir den Kardinalshut zu geben und wenn du dich entschließen kannst, die Weihe zu empfangen –«

»Niemals, mein Bruder, niemals!« rief Guiliano eifrig, »ich würde ein schlechter Priester sein und weder dem heiligen Kollegium, noch unserem Hause Ehre machen. – Mein Sinn und mein Herz sind weltlich, ganz weltlich, und meine Pflicht gegen den Ernst des Lebens möchte ich lieber und besser mit dem Degen in der Hand, als unter dem Priestergewande erfüllen.«

»Nun,« sagte Lorenzo, »ich will nicht in dich dringen – wohl wünsche ich für unser Haus die höchste geistliche Würde nicht nur um der Ehre des Augenblicks, sondern wieder auch um der Zukunft willen; ein Kardinal vom Hause Medici darf wohl die Hoffnung hegen, auf unsere Macht und unsere Verbindung gestützt, die dreifache Krone auf sein Haupt zu setzen und den Stuhl St. Peters zu besteigen und dann erst werden wir auf der Höhe stehen, die wir erreichen müssen, weil wir sie erreichen können, denn dann erst können wir das letzte Ziel unseres Strebens mit fester Hand erfassen, auf die politische und geistliche Macht gestützt, Italien zu dem ihm gebührenden Rang in Europa zu erheben, den ich für unser Vaterland ersehne wie du.«

»Ich bewundere deinen kühnen und weitschauenden Geist,« sagte Giuliano, »aber nicht ich kann dessen Werkzeug sein, nicht ich würde es vermögen, mir den Weg zum Stuhle St. Peters zu bahnen und selbst wenn dies gelänge, so würde ich nicht vermögen, die schwere Last einer solchen Pflicht gegen die Kirche und gegen unser Haus zu erfüllen.«

»Ich weiß es leider,« sagte Lorenzo seufzend, »und darum mag für jetzt nicht weiter davon die Rede sein, man muß niemand auf einen Weg drängen, den er seiner Natur nach nicht bis zum Ziele zu verfolgen imstande ist – was heute nicht gelingt, kann sich vielleicht erfüllen, wenn Gott meinen kleinen Giovanni am Leben erhält, den ich von früher Jugend auf für meine Pläne vorbereiten und erziehen will. Du aber, mein Bruder, mußt dennoch an die Zukunft denken, oder mir erlauben, es für dich zu thun. Du mußt dich vermählen, um den dauernden Bestand unserer Familie fester zu sichern und zugleich durch deine Gemahlin für den Glanz und die Macht unseres Hauses zu sorgen.«

Giuliano erbleichte und zuckte wie in jähem Schreck zusammen. »Vermählen, mein Bruder,« sagte er, »jetzt schon in der Blüte meines Lebens? – Daran will und mag ich nicht denken, dazu ist ja noch Zeit, noch lange Zeit.«

»Es muß sein,« sagte Lorenzo streng und ich habe bereits ernstlich darüber nachgedacht. Ich hoffe und glaube, daß du lange und glücklich leben wirst, aber das menschliche Dasein hängt an einem Hauch und wir müssen kalt und ruhig für die Zukunft Vorsorge treffen. Ich habe für dich im Auge eine Prinzessin von Savoyen, ebenso auch eine Tochter des Königshauses von Neapel und vielleicht auch würde für eine königliche Prinzessin von Frankreich der kluge Ludwig es als eine Ehre und einen Vorteil erachten, einem Medici die Hand zu reichen. Ich habe mich durch meine gute Clarice mit dem fürstlichen Hause Orsini verbunden, das uns wohl nützlich und behilflich ist auf unserm aufwärts steigenden Wege, nun wollen wir durch dich königliches Blut mit unserem Hause verbinden.«

Giuliano hatte finster zu Boden geblickt.

»Glaube mir,« sagte er dann, »Lorenzo, daß ich ganz den edlen Stolz verstehe, der dich erfüllt, aber auch in dieser Richtung würde ich nicht zu deinem Werkzeug taugen. – O ich bitte dich, laß mir meine Freiheit, die ich zum Leben bedarf, wie der Vogel die Luft und das Sonnenlicht und vertage auch diese Pläne für deinen ältesten Sohn Pierro, der jetzt schon als sechsjähriger Knabe zeigt, daß er Verständnis dafür haben würde.«

»Die Freiheit?« sagte Lorenzo, »ich meine, du würdest sie nicht beschränken lassen, auch wenn du meinem Willen folgst.«

»Nein, nein,« rief Giuliano, indem er wie beteuernd die Hand erhob, wenn ich die Treue vor dem Altar gelobt, so würde ich sie halten, unverbrüchlich halten« –

»Und,« fuhr Lorenzo fort, »du würdest wohl noch immer eine Zeit lang deine Freiheit genießen können, denn die Damen, an die ich für dich gedacht, sind noch zu jung, um wirklich in die Ehe zu treten. Das aber hindert nicht, daß der Bund geschlossen wird. Wenn sie in einigen Jahren herangewachsen sind und dann dein Herz gewinnen, so ist es um so besser für dich und für sie, aber entscheidend darf dem Herz nicht für die Verbindung eines Hauses wie das unsrige sein. Du weißt es wohl, daß es keine schwärmerische Liebe war, die mich mit Clarice zusammengeführt und dennoch bin ich glücklich mit ihr in herzlicher Einigkeit und mache sie glücklich, besser vielleicht als wenn in unserer beider Herzen eine schnell aufflammende Leidenschaft zu früher Asche zusammengesunken wäre!«

»Du, mein Bruder,« sagte Giuliano, »du bist anders wie wir übrigen Menschen, du bist Herr über dich und gebietest dir selbst ebenso unerbittlich und unumschränkt wie den anderen, aber ich, o nein, ich vermag es nicht zu thun, was dir ein Leichtes ist – laß mir die Freiheit meines Herzens und meines Geistes, so allein kann ich dir dienen.«

Er erfaßte die Hand seines Bruders und blickte bittend in dessen Augen.

Aber ehe Lorenzo antworten konnte, trat der Diener ein und meldete, daß der edle Herr Cosimo Ruccellai soeben von Rom angekommen sei und Seine Magnificenz um Gehör bitte.

»Cosimina hier,« rief Lorenzo schnell aufspringend, »so plötzlich und unerwartet? – Das bedeutet etwas Außergewöhnliches – er soll kommen – sogleich kommen! Bleibe, Giuliano, was er bringt, erfordert wohl schnelle Entschlüsse, denn sonst hätte ihn der ruhige und vorsichtige Tornabuoni nicht so plötzlich hierher gesendet.«

Der Diener, welcher schnell davon geeilt war, öffnete die Thür und Cosimo Ruccellai trat in Reisekleidern mit gespornten Reitstiefeln von weichem Corduanleder ein.

»Verzeiht, mein erlauchter Oheim,« sagte er, »daß ich vor Euch erscheine, ohne mich umgekleidet zu haben, aber mein Oheim Giovanni befahl mir so schnell als möglich zu reisen und ohne Verzug euch seine Botschaft zu bringen.«

Lorenzo umarmte den jungen Mann und setzte sich dann, nachdem dieser auch von Giuliano herzlich begrüßt war, wieder in seinen Lehnstuhl nieder.

»Und deine Botschaft, Cosimino?« fragte er mit seiner gleichmäßig ruhigen Miene, aber mit fast ungeduldig bewegtem Ton.

Cosimo nahm aus einer starken, an seinem Gürtel hängenden Ledertasche den Brief Turnabuonis und reichte ihn Lorenzo, der schnell das große Siegel löste und aufmerksam das Schriftstück durchlas, während Giuliano leise flüsternd nach dem Ergehen und dem Leben der Freunde in Rom fragte.

»Girolamo Riario,« sagte Lorenzo, indem er Tornabuonis Brief auf den Schreibtisch niederlegte, »verlangt dringend die Beschaffung der dreißigtausend Goldgulden zum Ankaufe von Imola, obgleich ihm Tornabuoni nach meiner Weisung erklärt hat, daß diese Beschaffung unmöglich sei, Tornabuoni rät, dem Papst dennoch willfährig zu sein.«

»Mein Oheim Giovanni,« fiel Cosimo ein, »hat mir aufgetragen, Euch, erlauchter Lorenzo, seine Meinung und Gründe noch mündlich auszusprechen.«

Lorenzo nickte mit dem Kopfe und hörte ruhig und unbeweglich zu, als ihm Cosimo Tornabuonis Auftrag ausrichtete.

»Und was meinst du, Giuliano?« fragte Lorenzo.

Giuliano, der nur flüchtig zugehört hatte, erwiderte: »Ich möchte fast meinen, daß Tornabuoni nicht ganz unrecht hat, des Papstes Feindschaft kann uns gefährlich werden und eine französische Hilfe, wenn wir dahin gedrängt werden, sie anzurufen, vielleicht unserem ganzen Vaterlande noch gefährlicher.«

»Verzeiht,« sagte Cosimo, »wenn ich Euch bitte, ehe Ihr weitere Entschlüsse faßt, noch dieses zweite Schreiben zu empfangen, das mir ein eilender Bote überbrachte, als ich schon auf der Reise war.

Lorenzo nahm aus den Händen des jungen Mannes den zweiten Brief und während er denselben durchlas, wurde sein Gesicht bleich und bleicher, seine Züge verfinsterten sich und zornig flammten seine Augen auf, als er das Schriftstück auf den Tisch warf.

»Was Tornabuoni fürchtete,« rief er, »ist geschehen, die Feindschaft des Papstes ist erklärt, er hat unserem Hause das Schatzmeisteramt des apostolischen Stuhls abgenommen.«

Giuliano fuhr erschrocken zusammen.

Auch Cosimo zitterte bei dieser Botschaft, die er, ohne sie zu kennen, überbrachte.

»Das ist fast eine Kriegserklärung,« sagte Giuliano, »wäre es nicht dennoch klug, mein Bruder, einzulenken, und der Feindschaft des Papstes, die einen Mittelpunkt für alle unsere Gegner bildet, den Boden zu entziehen.«

»Niemals!« rief Lorenzo heftig. »Einem Schlag ausweichen kann klug sein, sich ihm aber zu beugen, wenn er einmal gefallen, das wäre eine Niederlage, von der wir uns niemals wieder erheben könnten. Wenn Girolamos Zwingburg an unseren Grenzen steht und der Papst einmal seinen Willen durch rücksichtslose Drohung gegen uns durchgesetzt, dann ist es erreicht, was sie in Rom anstreben, dann sind wir herabgedrückt zu Vasallen und es ist aus für immer mit der Freiheit und der Selbständigkeit der florentinischen Republik, welche wir doch berufen sind, zum Mittelpunkt der einigen Macht Italiens zu erheben und ein Bollwerk zu begründen gegen die geistliche Übergewalt des römischen Stuhls, der nur dann seine Aufgabe richtig und dauernd erfüllen kann, wenn er sich, mit uns vereinigt, auf die in festem Bunde geeinte Macht der italienischen Völker stützt, statt seine Kräfte zu zersplittern und Fürstentümer aufzurichten für die unwürdigen Nepoten, die wie unersättliche Blutegel des Vaterlandes Kraft aussaugen und Italien zu immer tieferer Schwäche herabsinken lassen, Jetzt ist der Augenblick gekommen, dem Papste zu zeigen, daß er keine Macht und kein Recht hat über die Grenzen der Kirche hinaus, daß wir wohl seine treuen Diener sein wollen, wo es die Kirche und Italien gilt, aber nicht die Sklaven seiner Willkür, um unwürdige Günstlinge mit Reichtum und Ehre zu überhäufen. Wenn wir ihm dies einmal mit Nachdruck zeigen, so wird man sich in Rom für gewarnt halten, man wird von solchen Herrschergelüsten abstehen und man wird, wenn auch vielleicht erst unter dem künftigen Papst, erkennen, daß der heilige Stuhl eine bessere Stütze seiner Weltstellung in einem freien Italien findet.«

»Verzeih', mein Bruder,« sagte Giuliano schüchtern, »wenn ich nicht ganz deiner Meinung sein kann. Den Papst herauszufordern, ist eine schwere und ernste Sache, seine Macht ist groß und wird verstärkt durch alles, was uns ohnehin feindlich ist – wohl würde ich ganz wie du denken, wenn es sich darum handelte, einen Eingriff in die Rechte der Republik oder irgend eines anderen italienischen Gebiets zurückzuweisen, dann würden wir wenigstens zahlreicher Zustimmung sicher sein, hier aber gilt es nur eine Gefälligkeit, die der Papst von uns verlangt und die er auch von seinem Schatzmeister zu verlangen sich berechtigt fühlt, bei dieser Gelegenheit einen großen Kampf herbeizuführen, zu dem es wohl kommen dürfte, da der Papst die Sache ja, wie sein Beschluß beweist, sehr ernst zu nehmen scheint, will mir bedenklich vorkommen und ich fürchte, daß die Signorie unsere herausfordernde Haltung nicht verstehen und wohl auch nicht billigen wird.«

»Das glaube ich nicht,« sagte Lorenzo, »ich werde mit Soderini sprechen und er wird uns begreifen, aber wir dürfen uns auch von einer gewissen Zaghaftigkeit der Signorie nicht abhängig machen; – hier handelt es sich um eine Angelegenheit unseres Hauses, um ein Bankgeschäft, das dem Urteil der Signorie nicht unterliegt und da der böse Willen und die Feindschaft des Papstes sich überall zeigt, so kommt es vor allen Dingen darauf an, mutig und fest dem ersten Angriff zu trotzen, je länger wir zögern, um so kühner werden unsere Feinde werden. Mein Entschluß ist unwiderruflich, ich fühle mich stark genug, dessen Folgen und die Verantwortung dafür zu tragen und du, mein Bruder, davon bin ich überzeugt, wirst mir bei ruhigem Nachdenken beistimmen.«

»Wann stimme ich dir nicht bei, teurer Lorenzo?« sagte Guiliano, »deine Meinung ist ja immer die richtige und wenn es darauf ankommt, die Verantwortung zu tragen und mutig den Feinden entgegenzutreten, so weißt du wohl, daß ich stets an deiner Seite stehe und nur danach mich sehne, mit dem Schwerte verfechten zu können, was dein klarer Geist für Recht erkannt hat.«

»Gut also,« sagte Lorenzo, dessen erregtes Gesicht wieder seine gewohnte Ruhe annahm, »ich werde meine Antwort an Tornabuoni aufsetzen und auch dem Papste ehrerbietig, aber ohne demütigende Bitte, schreiben. – Eine Verletzung der Form oder eine Nichtachtung des Oberhauptes der Kirche soll er uns nicht vorwerfen können, habe ich ihm dies doch schon bewiesen, indem ich Francesco Salviati die Besitzergreifung des erzbischöflichen Stuhls von Pisa gestattet, obgleich auch jene Ernennung, trotz der Versicherung des Grafen Girolamo ein Beweis der Feindschaft und eine Kränkung für uns wie für die florentinische Republik in sich schloß, da die Salviati sowohl unsere Feinde sind als die Feinde der Verfassung. Morgen wird meine Antwort bereit sein und du kannst deine Rückreise nach Rom antreten, Cosimino, wenn die Erschöpfung deiner Kräfte nicht einer längeren Ruhe verlangt.«

»Durchaus nicht,« rief Cosimo, »ich bin bereit, sofort wieder zu Pferde zu steigen und nach Rom wieder zurückzukehren, denn Giovanni Tornabuoni hat mir Eile befohlen,« fügte er hinzu, dem forschenden Blick ausweichend, den Lorenzo bei seiner feurigen Erklärung auf ihn richtete.

»Nun gar so eilig ist es nicht,« sagte Lorenzo lächelnd, »da ich ja ohnehin nicht imstande bin, Tornabuonis Rat zu folgen und etwas in der Sache zu ändern, bis morgen kannst du dich immer ausruhen und deine Ungeduld zurückhalten, die, wie es scheint, durch einen starken Magnet erregt wird, der dich nach Rom zurückzieht.«

Cosimo neigte errötend den Kopf, ohne zu antworten.

»Lege also deine Reisekleider ab,« sagte Lorenzo, »und besuche deine Eltern, die sich freuen werden, dich zu begrüßen, am Abend wirst du uns hier alle im Kreise der Familie und der Freunde zusammenfinden, und kannst uns von Rom erzählen. Der Markgraf Gabriele Malaspina ist auf einige Tage hier, er wird erfreut sein, durch dich von seiner Gemahlin und seiner Tochter zu hören, mit denen du ja wohl bei Tornabuoni verkehrt hast.«

»Der Markgraf Malaspina,« rief Cosimo hoch erglühend, »o, mein erlauchter Oheim, du weißt also –«

»Ich weiß es,« erwiderte Lorenzo mit scheinbarer Gleichgültigkeit, »daß die Markgräfin und ihre schöne Tochter Giovanna in Rom sind und daß du dem Markgrafen doch gewiß Grüße von ihnen zu bringen hast.«

»Mein Gott,« stammelte Cosimo, »nicht das – doch freilich, du kannst ja nicht mehr wissen und doch mußt du es wissen, sogleich wissen, da ich ja nur wenig Zeit hier habe und die Anwesenheit des Markgrafen sich so glücklich fügt – du mußt wissen, daß das Bild der so liebreizenden Giovanna mich hierher begleitet hat und daß ich nur glücklich werden kann, wenn ich die Hoffnung mitnehmen darf, daß du und der Markgraf der Liebe, die nie aus meinem Herzen weichen wird und die Giovanna mit mir teilt, eure Zustimmung gewähren wollt.«

»So, so,« sagte Lorenzo lächelnd, »nun da werde ich wohl dafür sorgen müssen, daß du ohne Kummer und so ruhig wie es einem Überbringer ernster Botschaften geziemt, nach Rom zurückkehren kannst. – Ich, mein guter Cosimo, werde dir nicht entgegen sein und was den Markgrafen betrifft, so wirst du ja Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen und ich werde gern dein Anwalt sein.«

»O, mein Oheim,« rief Cosimo, indem er mit stürmischer Aufwallung Lorenzos Hand an seine Lippen drückte, »wie soll ich dir jemals danken für so viel Güte – o wie glücklich wird Giovanna sein, die mit Thränen von mir Abschied nahm, wenn ich ihr so gute Botschaft zurückbringen kann!«

Er drückte auch Giulianos Hand, der mit wehmütigem Lächeln und leise seufzend in sein glückstrahlendes Gesicht sah und dann verabschiedete er sich auf Lorenzos Mahnung, seine Reisekleider abzulegen und seine Eltern aufzusuchen.

»Er ist glücklich,« sagte Lorenzo, ihm nachblickend, »bei ihm steht die Politik und das Herz in schönem Einklang! Das Haus Malaspina ist mächtig und einflußreich, eine Verbindung mit demselben soll eine neue Wurzel bilden, die den Stamm unsers Hauses fest und stark macht, den Feinden zu widerstehen, ich wünsche für ihn, daß das Herz seine Blüte bewahrt im Sturm des Lebens.

Der Diener öffnete die Thür und Lorenzos Gemahlin, Clarice, aus dem Hause Orsini, trat ein.

Sie war, ohne besonders schön zu sein, eine vornehme Erscheinung, mit freundlich sanftem Gesicht, ihre dunkelbraunen Haare waren von einem reichen Stirnbande zusammengehalten, in dem Nacken durch einen geflochtenen Knoten vereinigt, ihr reicher Anzug, von golddurchwirkter grauer Seide, mit den Ärmeln, deren Ober- und Unterteil durch Bandschleifen zusammengehalten wurde und aus deren Öffnungen das Hemd von feinem Leinen in lang gebauschten Falten herabhing, schloß sich ihrem anmutig schlanken Wuchs an und die reich gestickte Schleppe ließ ihre nicht große Gestalt höher und würdevoller erscheinen.

Sie führte den kleinen dreijährigen Giovanni, ein liebliches Kind mit großen sinnenden Augen, an der Hand. Neben ihr schritt der sechsjährige, Pierro der schon die enganschließende ritterliche Kleidung, aber ohne Degen und Dolch trug und dessen scharf geschnittenes Gesicht einen lebhaften Geist und eine fast trotzige Willenskraft zeigte.

Ihr folgte ein junger Mann von etwa siebenundzwanzig Jahren, mit einem seinen geistig belebten und von langgelocktem dunklen Haar umrahmten Gesicht, der mit weltmännischer Eleganz den weiten Überwurf trug, der bei den Gelehrten jener Zeit Sitte war.

Lorenzo ging seiner Gemahlin entgegen, küßte ihr mit galanter Artigkeit die Hand und sein meist kaltes und strenges Gesicht nahm einen Ausdruck inniger herzlicher Freude an, als er liebkosend über Pierros lockiges Haar strich und sich dann herabbeugte, um den kleinen Giovanni zu sich emporzuheben und zu küssen.

Dann schüttelte er kräftig die Hand des jungen Mannes und sagte:

»Ich danke dir, meine teure Clarice, daß du die Güte hast, mir die Kinder zuzuführen, das ist ein freundlicher Lichtblick in der kalten und öden Welt der Geschäfte, an deren Berechnung das Herz keinen Teil hat und doch muß aus dem Herzen die beste Kraft emporsteigen, um den Kampf mit allen Sorgen mutig und freudig bestehen zu können.«

»Ich weiß es,« sagte Clarice, »daß du dich stets freust, die Kinder zu sehen und immer erlaubst, sie zu dir zu führen, wenn du auch mit ernsten Arbeiten beschäftigt bist, heute aber hatte ich einen ganz besonderen Anlaß, sie dir zu bringen. Pierro ist fleißig gewesen und versteht es, wie unser gelehrter Politiano mir sagt, ohne Fehler einen griechischen Vers zu sprechen, der ihm zugleich eine Regel seines Lebens sein soll.«

»Ich bin begierig zu hören« – sagte Lorenzo heiter, indem er freundlich Politiano zunickte, dem er die Leitung der Erziehung seines Sohnes bereits in dessen zartem Alter übertragen hatte.

Der kleine Pierro trat vor seinen Vater und recitierte mit seiner Kinderstimme fehlerlos und in vollkommen richtigem Accent den griechischen Hexameter, in welchem Homer von dem jungen Achill sagt, daß er von dem Streben erfüllt gewesen sei: »immer der Beste zu sein und vorzustreben den Andern –« »Bravo!« sagte Lorenzo, »ich sehe, daß du gute Fortschritte machst in der edlen, griechischen Sprache, vergiß auch den Sinn nicht und laß die Worte, die du eben gesprochen, die Regel deines Lebens bilden, dann wirst du stets die Pflicht zu erfüllen wissen, die dir deine Geburt auferlegt. Und Euch, mein teurer Politiano, danke ich für Eure Mühe und für die Wahl des ersten griechischen Verses, den Pierro mir vorgetragen.«

»Meine ganze Kraft gehört Euch, erlauchter Lorenzo,« erwiderte Politiano, indem er die Hand auf sein Herz legte, »und ich werde sie anwenden, so gut ich's vermag, um Eure Kinder Euch gleich zu machen im edlen Wissen und im mächtigen Schaffen.«

Giuliano hatte ebenfalls seine Schwägerin und seinen Neffen, sowie Politiano, mit dem er durch besondere Freundschaft verbunden war, herzlich begrüßt, aber er schien von unruhigen Gedanken bewegt und nahm nur zerstreut an der leichten und heiteren Unterhaltung teil, welche sich vorzüglich um das Spielen und Lernen der Kinder bewegte.

Als Madonna Clarice sich mit ihren Kindern zurückzog, sagte Giuliano:

»Verzeih', mein Lorenzo, wenn ich heute Abend erst spät zu deiner Gesellschaft komme, ich habe mit einigen Freunden eine Partie verabredet, die ich nicht aufgeben kann und die mich etwas länger in Anspruch nehmen wird, aber ich werde immer noch Zeit haben, mit dem guten Cosimino zu plaudern.«

»Du bist völlig Herr deiner Zeit,« erwiderte Lorenzo, »und hast wahrlich nicht nötig, dich zu entschuldigen, stehen wir nicht ganz gleich nach dem Willen unsers Vaters? – Freue dich deiner Jugend mehr als es mir vergönnt war und meine Neigung es verlangte, aber vergiß nicht, was wir gesprochen, ich werde weiter darauf zurückkommen. Die Botschaft, die wir heute aus Rom bekommen, macht es uns um so notwendiger, auch bei unseren Familienverbindungen die Politik nicht aus den Augen zu lassen.«

Giuliano drückte seufzend die Hand seines Bruders und ging schweigend hinaus.

Lorenzo blickte ihm kopfschüttelnd nach.

»Sein Wesen gefällt mir nicht« – sagte er. »Wohl gönne ich ihm von Herzen den schäumenden Becher der freudigen Jugendlust, fast möchte ich ihn beneiden um seinen fröhlichen Sinn und seine unerschütterliche Gesundheit, aber in dem Rausch des Augenblicks darf die ernste Pflicht des Lebens nicht vergessen werden. Er war erschrocken, seine Blicke wurden trübe, als ich von meinen Plänen sprach, – das war nicht nur die Scheu vor den goldenen Fesseln, wie er sagt, deren Last er wohl so schwer nicht nehmen wird. – Sollte das tändelnde Spiel bei ihm Ernst geworden sein, verhängnisvoller Ernst und an sein Herz eine Kette gehängt haben, die ihn herabziehen will von der Bahn, die ihm sein Blut und sein Name vorzeichnet? Ich habe das alles bisher nicht beachtet, man hat mir wohl erzählt von allerlei Herzensneigungen und leichten Verbindungen, die mir gleichgiltig waren, aber ich werde ihn beobachten und von falschen Wegen zurückhalten, dazu habe ich das Recht und die Pflicht, da ich doch weit über den Unterschied der Jahre hinaus älter bin als er und ihm auch den Vater ersetzen muß.«

Er verschloß die Bücher auf seinem Arbeitstisch und nahm wieder den Bauplan von Poggio cajano zur Hand, um die begonnene Zeichnung fortzusetzen.


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