Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Achtes Capitel.

Während die Fürsten Deutschlands im Conferenzsaal des Bundespalais versammelt waren und beschlossen, den König von Preußen nochmals zu ihren Berathungen einzuladen, stand der alte Herr Jakob Sebastian Partner in seinem Arbeitszimmer vor dem, auf dem Pult aufgeschlagenen großen Rechnungsbuch; er hatte von dem englischen Hause die Antwort erhalten, daß es ganz unmöglich sei, bis zum Schluß des Monats auch nur einen Theil der fälligen Zahlungen zu leisten.

Lange war der alte Herr mit diesem Brief in der Hand im Zimmer auf- und niedergegangen, immer und immer wieder, wie mechanisch, die Zeilen überlesend, welche ihm mittheilten, daß auch diese letzte Hoffnung, sich aus seinen Verlegenheiten zu ziehen, fehlgeschlagen sei; dann war er wieder hingetreten vor das große Hauptbuch mit seinen Zahlenreihen, von neuem rechnend und wieder rechnend, ob es möglich sei, durch Zusammenfassung aller seiner Aktiva der immer näher drohenden Gefahr die Spitze zu bieten. Sein sonst so ruhiges, festes Gesicht zuckte in nervöser Aufregung, sein Blick haftete starr und brennend auf den Seiten des Buches, welche ihm die unerbittlichen Zahlen zeigten und die Hand, welche mit der Spitze des Bleistifts diesen Zahlenreihen folgte, schwankte in zitternder Bewegung.

»Wenn es mir gelingt,« sagte er endlich, von seinem Pult zurücktretend und langsam durch das Zimmer schreitend, – »wenn es mir gelingt, alle meine Aktiva zu realisiren, was aber ohne große Verlust in diesem Augenblick nicht möglich sein wird – wenn ich mein Haus zu seinem Werthe verkaufen kann – was auch in der kurzen Frist sehr schwer sein dürfte, dann kann ich den Zusammenbruch vermeiden und die kaufmännische Ehre meines Namens retten, – aber,« sagte er mit tiefem, schmerzlichem Seufzer, »dann bleibt mir auch eben wenig mehr als dieser Name und die unbefleckte Firma und ich, der ich mich sicher fühlte auf dem Fundament des festen ruhigen Besitzes, muß von neuem anfangen für den Erwerb, vielleicht für die Bedürfnisse des Lebens zu arbeiten; das ist hart, sehr hart! – härter noch für meine Kinder als für mich. –

»Doch,« sagte er dann, sich fest und stolz emporrichtend, »vor allen Dingen gilt es, den Muth nicht zu verlieren, und das traurige Geheimniß meiner Lage fest in mich zu verschließen, damit wenigstens das Aeußerste vermieden wird, denn hätte man eine Ahnung von meiner Lage, so würde es mir niemals gelingen, meine Aktiva auch nur annähernd ihrem Werth gemäß zu realisiren.«

Abermals schritt er, in tiefe Gedanken versunken, durch die ganze Länge seines Zimmers auf und nieder, zuweilen die Lippen in leisem Selbstgespräch bewegend und halblaute Worte vor sich hin murmelnd, und wenn er an dem Bilde seiner Schwester vorüberging, so schaute er mit einem eigenthümlich fragenden und zweifelnden Blick darauf hin, als ob sich in seinem Innern in diesem Augenblick, in welchem die feste Grundlage seiner bürgerlichen Existenz unsicher zu schwanken begann, die Erinnerung regte an ein Herz, welches er einst seinem starren Trotz geopfert.

Der Eintritt des alten Dieners erweckte ihn aus seinen Gedanken.

Verwundert blickte er auf, als jener ihm meldete, daß der Handelsmann Davidsohn draußen sei und den Herrn Partner zu sprechen wünsche. Er schien geneigt, diesen Besuch, der ihn in einem so ernsten Augenblick störte, abzuweisen, dann aber sprach er in kurzem Ton:

»Lasse Sie ihn eintreten, doch sagen Sie ihm, daß ich beschäftigt bin und nicht viel Zeit habe.«

Nach einigen Augenblicken trat der alte Jude in das Zimmer; er trug einen Rock von feinerm Tuch als gewöhnlich, einen glatt gebürsteten Hut in der Hand und verneigte sich mit einer gewissen ehrerbietigen Unterwürfigkeit vor dem allgemein bekannten und geachteten Handelsherrn, welcher mit vornehmer und kalter Zurückhaltung seinen Gruß erwiderte.

»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie störe in Ihren Geschäften,« sagte der alte Davidsohn, indem der scharfe Blick seines klugen Auges mit dem Ausdruck sympathischen Wohlgefallens die feste und kräftige Gestalt des Herrn Partner umfaßte, »aber ich habe zu sprechen mit Ihnen über eine wichtige und ernste Angelegenheit und möchte Sie bitten mir zu schenken ein freundliches und geneigtes Gehör.«

»Meine Zeit ist sehr gemessen,« sagte der alte Partner kurz und kalt, »und wenn die Angelegenheit, von der Sie mit mir sprechen wollen, auch für mich wichtig ist,« fügte er mit Betonung hinzu, »so bin ich gern bereit, Sie anzuhören, bitte aber doch, daß Sie sich möglichst kurz fassen wollen.«

»Die Sache, die ich möchte besprechen mit Ihnen, Herr Partner,« fiel der alte doch ein, »ist von sehr großer Wichtigkeit für Sie wie für mich und sie ist wohl werth, daß Sie eine Stunde Ihrer Zeit opfern, – es betrifft Ihren Sohn Ferdinand, der oft gekommen ist in meinen Laden, um zu kaufen von meinen Antiquitäten, alte Waffen und Bilder, wofür er hat ein großes Verständniß und wovon ich habe in meinem Geschäft die gediegenste und reichhaltigste Auswahl.«

Herr Partner sah zuerst ganz erstaunt den Juden an, dann spielte ein leichtes, flüchtiges Lächeln um seine Lippen und er sprach mit ruhiger Stimme:

»Ich kenne die Vorliebe meines Sohnes für alte Raritäten und Kunstsachen; es ist dies eine ziemlich unnütze Passion, indessen ist die harmlos und unschädlich und ich habe nichts dagegen, wenn er dieser Neigungen nachgiebt; er hat wahrscheinlich Einkäufe bei Ihnen gemacht, welche seine Mittel übersteigen, und so wenig ich es im Allgemeinen liebe, daß er irgend welche, auch die kleinsten Schulden macht, so würde ich sie doch in diesem Falle nicht zu ernst nehmen – sagen Sie mir, um was es sich handelt und wir wollen die Sache erledigen.« –

»O nicht doch, nicht doch mein hochverehrter Herr Partner,« rief der alte Davidsohn, die Hand erhebend, »Ihr Herr Sohn ist so pünktlich mit Zahlungen gewesen in allen Geschäften, die ich mit ihm gemacht habe, wie ein alter Kaufmann und es ist nicht deshalb, daß ich hierher komme, um mit Ihnen zu sprechen.«

Herr Partner blickte abermals erstaunt und fragend auf: »Aber was?« sagte er.

»Herr Partner,« fiel Davidsohn ein, indem er einen Schritt näher zu dem alten Herrn heran trat, »wie Sie haben einen Sohn, so habe ich eine Tochter, ein einziges Kind, welches ist die Freude meines ganzen Lebens – meine Tochter Lea,« fuhr er schneller sprechend, fort, als wolle er in raschem Entschluß sofort den peinlichen Gegenstand seines Besuches erfassen, »hat oft gesehen in meinem Laden Ihren Sohn Ferdinand, wenn er zu mir gekommen ist wegen meiner Antiquitäten und die beiden jungen Leute haben sich lieb gewonnen, wie das natürlich ist bei zwei jungen Herzen, welche beide sind feurig und voll Leben und Einbildungskraft. – Ich habe nichts davon bemerkt,« fuhr er fort, wie abwehrend die Hand gegen Herrn Partner ausstreckend, der bei diesen Worten die Stirn runzelte, mit zornigem Ausdruck die Lippen auf einander preßte und leicht mit dem Fuß auf den Boden trat – »ich habe nichts davon bemerkt, denn wenn ich etwas gesehen hätte, so würde ich schon längst verhindert haben, daß beide junge Leute sich einander hätten nähern können – bis gestern ich sie habe überrascht und habe bemerkt, wie es zwischen ihnen gestanden und da ist Ihr Herr Sohn als ein braver, junger Mann, wie ich ihn immer gekannt habe, vor mich hingetreten und hat ehrlich und offen bei mir angehalten um die Hand meiner Tochter Lea.«

Ein zorniger Blick zuckte bei diesen Worten aus den Augen des Herrn Partner, ein leichtes Zittern lief durch seine fest aufgerichtete Gestalt, seine Lippen öffneten sich zu einer heftigen Erwiderung, aber er bezwang sich, schwieg einen Augenblick und sprach dann mit kaltem Ton:

»Mein Sohn ist nicht majorenn und steht unter meiner väterlichen Gewalt; Sie werden begreifen, daß er nicht in der Lage ist, über seine Zukunft ohne meine Einwilligung Entschlüsse zu fassen.«

»Das ist es, was ich sogleich habe zu mir selber gesagt,« erwiderte der alte Davidsohn, »und was ich auch ausgesprochen habe Ihrem Herrn Sohn; ich habe gefordert von ihm sein Ehrenwort, nicht wieder zu sehen meine Tochter ohne meine Erlaubniß, dann habe ich ihm versprochen, was ich auch halte für meine Pflicht gegen meine einzige Tochter – ich habe ihm versprochen,« fuhr er ein wenig zögernd und mit einer gewissen befangenen Scheu in das starre und unbewegliche Gesicht des Herrn Partner blickend fort – »ich habe ihm versprochen, zu Ihnen zu gehen, Ihnen mitzutheilen, was vorgefallen ist zwischen mir und Ihrem Sohn und Sie zu fragen, ob Sie sind einverstanden mit seiner Bewerbung um die Hand meiner Tochter, denn Sie werden verstehen,« sprach er, indem der Ausdruck von Selbstgefühl und Würde an die Stelle seiner bisherigen Zurückhaltung trat, »daß ich nicht kann zugeben eine Bewerbung um mein Kind von Seiten Ihres Sohnes ohne Ihre Billigung und Genehmigung; daß ich auch nicht kann dulden ein ferneres Liebesverhältniß zwischen den jungen Leuten, wenn ich nicht sehe, daß dasselbe führt zu einem ehrlichen und ordentlichen Ende.«

»Und Sie glauben,« fuhr Herr Partner, indem ein beinahe höhnisches Lächeln um seine Mundwinkel zuckte, – »Sie glauben, daß ich meine Einwilligung geben würde zu diesem unüberlegten und jugendlich thörichten Schritt meines Sohnes?« –

»Ich glaube nichts,« erwiderte der alte Davidsohn, »und habe nichts glauben können, weil ich nicht die Ehre gehabt habe, Sie zu kennen, aber meine Pflicht ist es, Sie zu fragen und mich mit Ihnen zu verständigen, denn wenn mein Kind kann glücklich werden durch die Liebe, welche es in seinem Herzen trägt, so würde ich meinerseits nicht versagen meine Einwilligung zu einer Verbindung mit Ihrem Sohn, den ich für einen braven und rechtlichen jungen Mann halte.«

»Mein lieber Herr Davidsohn,« sagte der alte Partner, mit Mühe seine zornige Erregung unterdrückend und den Ton seiner Stimme gewaltsam dämpfend, »Sie werden mit mir darüber einig sein, daß die Ehe eine Verbindung ist, welche für das Leben geschlossen wird und bei welcher nicht eine Aufwallung der jugendlichen Phantasie maßgebend sein kann, daß bei dieser Verbindung vor allen Dingen die Gleichheit der äußeren Verhältnisse und der Lebenslage maßgebend sein muß, wenn nicht später bittere Reue dem unüberlegt geschlossenen Bündniß folgen soll; wenn zwei junge Leute so verschiedenen und so scharf von einander abgeschlossenen Lebenskreisen angehören wie Ihre Tochter und mein Sohn, so kann eine Verbindung zwischen ihnen niemals zu einem guten Ende führen.«

»Das ist wahr,« sagte der alte Davidsohn, indem er seine gekrümmte Gestalt mit einem gewissen Selbstgefühl aufrichtete, »es ist wahr, Herr Partner, ich bin nur ein unscheinbarer Handelsmann und Sie sind ein großer Kaufherr, aus altem, vornehmem Bürgergeschlecht, aber ich kann Ihnen sagen, daß meine Tochter eine Erziehung gehabt hat, wie nur immer ein Kind aus dem besten Hause sie hat haben können und dann,« fuhr er fort, noch einen Schritt näher zu Herrn Partner tretend und ein wenig die Stimme dämpfend, »ich kann Ihnen sagen im Vertrauen und ich weiß, daß Sie werden machen keinen Gebrauch von meiner Mittheilung, – ich kann Ihnen sagen, daß das Geschäft, was ich habe getrieben so lange Jahre, mir hat einen schönen Gewinn gebracht und daß die Tochter des alten Davidsohn nicht arm und mittellos einziehen wird in das Haus ihres Mannes. Wenn wir sollten sprechen über die Mitgift, die ich geben werde meinem einzigen Kind, dem ja doch nach meinem Tode Alles gehört was ich besitze, so werden Sie sehen, daß meine Tochter nicht zurücksteht hinter vielen vornehmen Damen, die einhergehen in Seide und Sammet und prangen mit Gold und Juwelen.«

Herr Partner trat einen Schritt zurück als wolle er auch äußerlich die Annäherung des alten Juden zurückweisen und in einem vollkommen ruhigen und höflichen, aber ebenso kalten und abwehrenden Ton sprach er:

»Die Heirath meiner Kinder ist für mich kein Geldgeschäft; es ist nicht das, was ich vorhin gemeint, es ist die vollkommen verschiedene Lebensstellung, welche meinen Sohn von Ihrer Tochter trennt und dann,« fuhr er fort, indem er dem alten Juden fest und fast starr in's Gesicht blickte, »bin ich erstaunt, daß Sie, der Israelit, von dem ich überzeugt bin, daß er mit Ueberzeugung seinem Glauben anhängt, an den Unterschied der Religion nicht gedacht haben, welcher eine unausfüllbare Kluft zwischen den jungen Leuten bildet.«

»Wohl habe ich daran gedacht,« erwiderte der alte Davidsohn, »aber ich habe nicht finden können, daß diese Kluft soll unausfüllbar sein, denn ich würde meiner Tochter erlauben überzutreten zum Christenthum, um zu folgen der Wahl ihres Herzens.«

Der Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung erschien auf dem Gesicht des alten Herrn Partner.

»So leicht würde es Ihnen werden,« sagte er, »Ihr Kind ausscheiden zu sehen aus Ihrer Religion um eines äußeren Glückes willen; so wenig werth ist Ihnen der Glaube Ihrer Väter, daß Sie ruhig zusehen könnten, wie Ihre einzige Tochter diesen Glauben aufgiebt und sich einem Bekenntnisse zuwendet, das Sie als Irrlehre verdammen müssen!«

Der alte Jude schwieg einen Augenblick; ein tiefer Ernst legte sich über seine Züge und aus seinem gewöhnlich so scharf und listig blickenden Auge leuchtete ein fast wehmüthiger Schimmer milder Weichheit.

»Verdammen?« – sagte er mit sanfter Stimme, »ich bin nicht so schnell fertig mit dem Verdammen dessen, was anderen Menschen heilig ist, – nicht so schnell fertig, wie es oft gewesen sind die christlichen Priester, und wenn mein Kind in seinem Herzen die Ueberzeugung gewinnen kann, daß der Jesus von Nazareth, welchen meine Vorfahren gehalten haben für einen falschen Propheten, wirklich ist der Messias, dessen Erscheinen ist vorher verkündet worden von den gotterleuchteten Sehern meines Volkes, so kann sie werden aus voller Ueberzeugung eine Christin, ohne daß sie verleugnen oder verdammen dürfte den Glauben ihrer Väter, denn die Offenbarung des alten Testaments ist heilig für den Juden wie für den Christen und der Gott, zu dem wir beten, ist derselbe in unserm Tempel wie in den Kirchen der Christen.«

»Ich achte und ehre,« sagte Herr Partner, immer mit demselben kalten Ton, »den Juden und seinen Glauben, wenn er von demselben durchdrungen ist und an ihm festhält; ich war nur,« sagte er ein wenig anhaltend, als suche er das rechte Wort für seine Gedanken, – »ich war nur – erstaunt von Ihnen zu hören, daß der Unterschied der Religion bei einer Verbindung für das ganze Leben Ihnen nur als ein so geringfügiges Hinderniß erschien, für mich,« fuhr er fort, »würde dieses Hinderniß das unübersteiglichste von allen sein und niemals würde ich erlauben, daß mein Kind aus äußeren Rücksichten den Glauben verließe, der mich mit ihm in gemeinsamem Gottesdienst vereinigt.«

»Aus äußeren Rücksichten,« sagte der alte Davidsohn immer mit demselben sanften, wehmüthigen Ausdruck, »aus äußeren Rücksichten habe ich nicht gesagt daß meine Tochter sollte verlassen den Glauben ihrer Väter, aber wenn sie sich überzeugt in ihrem Herzen, daß der Glaube ihres Geliebten auch ihr kann Trost, Beruhigung und Erquickung bringen in den Wechselfällen des Lebens, dann werde ich wahrlich nicht in starrer Härte sie festhalten wollen in einer Religion, welche sie von dem Glück ihres Herzens trennt.«

Herr Partner schüttelte schweigend den Kopf.

Bevor er Etwas erwidern konnte, sprach der alte Davidsohn lebhaft weiter:

»Ich glaube nicht, daß ich mich trennen muß von meinem Kinde für die Zeit und für die Ewigkeit, wenn sie sich wendet zu dem Christenglauben, während ich fortfahre, zu Gott zu beten in dem Tempel meiner Väter, – ich kann mir nicht denken,« sprach er mit bewegter Stimme, »daß die Schranken, welche hier auf Erden aufgerichtet sind zwischen den einzelnen Religionen und Confessionen, hinaufreichen sollen bis in den Himmel und daß nicht sollen Juden und Christen dereinst einmüthig sich versammeln können um den Thron des allmächtigen Gottes, der ja doch nur einer und derselbe ist für alle geschaffene Creatur. Ich bin geboren und bin aufgewachsen in dem Glauben meiner Väter, aber ich habe nicht verschlossen mein Auge und meinen Geist den Lehren des Christenthums; kann ich wissen, kann ich entscheiden,« fragte er, »ob der Rabbi Jesus von Nazareth gewesen ist der wirkliche Messias? Aber das weiß ich, das kann ich fühlen und empfinden, daß vieles, was er gesagt hat und was geworden ist zur Glaubenslehre der Christen, daß das groß ist und erhaben und daß es kommt von dem Gott, der in seiner Liebe und Güte die Welt erschaffen hat und der bei Abraham und Jakob gewesen ist in seiner Weisheit und Barmherzigkeit; aber,« sagte er, die Hand auf die Brust legend, »ich fürchte mich nicht, daß ich dereinst bei dem Gericht sollte verworfen werden, weil mein schwacher irdischer Geist nicht hat erkennen können die wahre und richtige Religion. Der Messias der Christen lehrt die Liebe, die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, die Liebe der Menschen untereinander; glauben Sie, daß, wenn er einst sitzen wird zu Gericht neben dem allmächtigen Gott, wie die Schriften des Christenthums es verkünden, glauben Sie, daß er verwerfen wird den alten Davidsohn, weil dessen Haupt nicht benetzt ist mit dem christlichen Taufwasser? – wenn ich kann sprechen zu ihm: Herr, ich habe gelebt in dem Glauben meiner Väter, ich habe Deinen Namen nicht bekannt auf Erden, aber ich habe gehandelt nach meinen Kräften um die Gebote zu erfüllen, welche Gott uns gegeben, ich habe Niemandem Böses gethan mit Willen und Absicht, ich habe geholfen und beigestanden meinem Nebenmenschen, so viel es in meiner Macht gewesen ist und habe kein ungerechtes Gut erworben – glauben Sie, daß ich dann könnte verworfen werden, weil ich gelebt habe in meinem Irrthum, der mir ist überkommen von tausendjährigen Generationen meiner Vorfahren, oder glauben Sie, daß mein Kind könnte getrennt werden auf ewig von mir, weil sie hat auf Erden in einem andern Tempel gebetet als ihr Vater? Nein,« rief er lebhaft, »das glaube ich nicht, der ewige Gott der Juden und der Christen wird Keinen verwerfen, der die Gebote seiner Religion erfüllt hat und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und gelebt hat auf Erden. – Darum,« sprach er nach einer kurzen Pause, »werde ich meiner Tochter nicht entgegentreten, wenn sie glaubt, in der Religion ihres Geliebten Trost und Befriedigung zu finden – was ihr bisher heilig war, bleibt ihr ja auch ferner heilig, sie hat Nichts zu verleugnen oder abzuschwören und der Glaube ihres Vaters begleitet sie ja auch in die Religion hinüber der sie sich zuwendet, wenn ihre Seele die Botschaft des christlichen Evangeliums gläubig in sich aufnimmt.«

Herr Partner hatte zuerst verwundert den immer wärmer gesprochenen Worten des alten Davidsohn zugehört; der kalte, fast feindlich abwehrende Ausdruck seines Gesichts war ganz allmälig verschwunden und hatte einer freundlichen, wohlwollenden Theilnahme Platz gemacht. Als Davidsohn geendet, trat der alte Herr auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sprach mit sanfterer Stimme als gewöhnlich:

»Ich achte und ehre die Ansichten, welche Sie so eben ausgesprochen haben und ich muß Ihnen aufrichtig zugestehen, daß dieselben mit dem wahren Sinn und Geist des Christenthums mehr übereinstimmen, als die exclusive Intoleranz, der man leider so häufig begegnet. Ein Wechsel der Religion aus Ueberzeugung, und ich glaube, daß nur von einem solchen die Rede bei Ihrer Tochter sein könnte, würde bei mir kein unübersteigliches Hinderniß bilden; aber,« fuhr er fort, indem seine Gesichtszüge wieder den Ausdruck harter und kalter Entschlossenheit annahm, »es ist nicht die Religion allein, welche zwischen meinem Sohn und Ihrer Tochter steht, die äußeren Verhältnisse in der ganzen Lebensstellung der jungen Leute, – ich sage das nicht um Sie zu kränken, oder um mich zu überheben,« schaltete er mit milderem Tone ein, »sind so durchaus verschiedene, die beiderseitigen Verwandtschafts-Beziehungen würden in solcher Disharmonie mit einander stehen, daß mein Sohn durch eine solche Verbindung den Kreisen, in welchen er geboren ist und in welchen seine Lebensthätigkeit, wenn sie fruchtbar und nützlich sein soll, eingeschlossen bleiben muß, vollständig entfremdet werden würde. Wenn der erste Rausch der Liebe verflogen ist, so werden diese Verhältnisse ihre lähmende und schließlich erdrückende Kraft fühlen lassen und zu dem Unglück der beiden jungen Leute, zu einem verfehlten Leben führen; ich habe über die Abgrenzungen der Stände in der menschlichen Gesellschaft meine festen und unumstößlichen Grundsätze, sie mögen hart und starr erscheinen, aber sie sind richtig und ich kann in meinem eigenen Hause und in meiner eigenen Familie nicht von dem abgehen, was ich für mein Leben als Norm erkannt und festgestellt habe. Aufrichtig und ehrlich sage ich Ihnen daher: ich kann zu der Verbindung, von welcher Sie mir gesprochen, meine Zustimmung nicht geben; Sie werden meine Gründe verstehen und auch, wenn Sie dieselben nicht billigen, die Offenheit und Freimüthigkeit achten, mit welcher ich Ihnen dieselben ausspreche.«

Der alte Davidsohn blickte traurig zu Boden.

»Ich bin nicht gekommen, Herr Partner,« sagte er dann, »um Sie zu überreden und es liegt mir fern, meine Tochter, die einzige Freude meines Lebens, das Juwel meines Herzens, einzudrängen in Ihre Familie, denn auch ich hätte es lieber gesehen, wenn meine Tochter geblieben wäre in dem Kreise, in welchem sie geboren, und wenn die Wahl ihres Herzens gefallen wäre auf einen Mann aus meinem Stamm, aber ich habe Mitleid gehabt mit den beiden jungen Herzen, welche sich einander zugewendet haben in aufrichtiger und treuer Zuneigung, – es soll nicht sein,« sagte er seufzend, »ich bedaure von Herzen die armen jungen Leute; – ich achte Ihren Willen und Sie können überzeugt sein, daß ich niemals dulden werde eine weitere Verbindung zwischen meiner Tochter und Ihrem Sohn gegen den Willen seines Vaters, denn die Achtung und Ehrfurcht vor den Eltern ist einer der ersten und heiligsten Grundsätze in meinem Volk. Leben Sie wohl, Herr Partner und mögen Sie nie bereuen, daß Sie geopfert haben das Glück zweier Herzen, den Grundsätzen, welche entstanden sind aus den Verhältnissen des irdischen Lebens, welche Gott aber nicht gekannt hat, als er die Menschen schuf nach seinem Ebenbilde.«

Er verneigte sich und verließ, sich langsam zur Thüre wendend, das Zimmer. Herr Partner blickte ihm sinnend nach.

»Es ist ein wunderbares Verhängniß,« sagte er, »daß von allen Seiten die festen Regeln angegriffen werden, welche ich für das Leben als maßgebend erkannt habe – und das gerade in einem Augenblick, in welchem die Grundlage zu schwanken beginnt, auf der ich mein eigenes Leben erbaut habe.«

Nachdenklich schritt er auf und nieder.

Er war einige Zeit allein geblieben, da öffnete sich schnell die Thüre seines Zimmers und mit dem Ausdruck lebhafter, aber gewaltsam niedergehaltener Aufregung trat sein Sohn Ferdinand ein.

Der alte Herr sah ihn erstaunt an; es war etwas Ungewöhnliches in dem streng geordneten Leben dieses Hauses, daß der Sohn so plötzlich und unerwartet zu seinem Vater kam, zu einer Zeit, welche dieser seinen Geschäften bestimmt hatte und in welchen er, nach der feststehenden Regel des Hauses, nicht gestört werden durfte.

»Mein Vater,« sagte Ferdinand mit einer mühsam zu ruhigem Ton gedämpften Stimme »ich muß mit Dir über eine für mich hochwichtige und für mein ganzes Leben entscheidende Angelegenheit sprechen.«

Der alte Herr blickte streng und kalt zu dem aufgeregten jungen Mann hinüber.

»Es muß eine sehr ernste Angelegenheit sein,« sagte er, »welche Dich zu so außergewöhnlicher Stunde zu mir führt – zu einer Stunde, in welcher Dein Platz auf dem Comptoir ist, um Dich vorzubereiten, die Geschäfte unseres Hauses zu führen, welches dereinst das Deinige sein wird.«

»Die Angelegenheit ist wichtig,« erwiderte Ferdinand, »denn von ihrer Entscheidung wird es abhängen, ob mein Leben der Thätigkeit von der Du selbst eben gesprochen hast künftig gewidmet bleiben soll oder nicht.«

Herr Partner schlug die Arme untereinander und sah seinen Sohn fragend an, während zugleich die Adern seiner Stirn anzuschwellen schienen.

»Du weißt, mein Vater,« sagte der junge Mann mit sanfter und ruhiger Stimme, »daß alle meine Neigungen mich zu einer andern Lebensthätigkeit hinziehen, als es diejenige ist, der Dein Wille mich bestimmt hat; ich habe mich diesem Willen unterworfen, nicht aus Furcht vor Deinem Zorn,« sagte er, den Kopf emporwerfend, »sondern aus Achtung, aus Liebe, aus kindlicher Ergebenheit. Wenn ich aber die schwere Last meines Berufs ertragen soll, der meinen Neigungen widerstrebt, so habe ich um so höheren Anspruch darauf, für mein Herz und mein inneres Leben Glück und Befriedigung zu erlangen; mein Herz hat gewählt – Du weißt es, der Vater meiner Geliebten ist so eben bei Dir gewesen; ich kann und werde meiner Liebe niemals untreu werden und ich komme zu Dir, mein Vater, um Dich um Deinen Segen für diese Liebe zu bitten. Ich will mich,« fuhr er warm und innig fort, »in Allem Deinem Willen fügen, Du sollst mit mir zufrieden sein; ich will die ganze Kraft meines Geistes auf die Thätigkeit richten, die Du mir vorgezeichnet hast, aber ich bitte Dich, gieb mir in dem einen Punkt die Freiheit und das Glück, in dem einen Punkt, der meine ganze Hoffnung für mein künftiges Leben bildet – segne meine Liebe.«

In heftiger Bewegung näherte er sich seinem Vater, ergriff dessen Hand und drückte seine Lippen darauf, dann sah er ihn aus thränenschimmernden Augen, mit einem Blick voll banger Erwartung fragend an. Der alte Herr blieb kalt und unbeweglich.

»Wenn Herr Davidsohn,« sagte er, »Dir seine Unterredung mit mir mitgetheilt hat, so wird er Dir auch gesagt haben, daß ich ihm meinen festen Entschluß und die Gründe für denselben ausgesprochen habe; Du weißt, daß ich einen auf richtige und wohlüberlegte Gründe gestützten Entschluß niemals ändere.«

Tiefer Schmerz zuckte aus dem Gesicht des jungen Mannes, seine feucht schimmernden Augen flammten in wilder Aufregung.

»Ist das Dein letztes Wort?« fragte er mit einer Stimme, die in einem fast zischenden Ton aus seinen Lippen hervordrang.

»Es ist mein letztes und unwiderrufliches Wort,« sagte der alte Herr, »und Du wirst,« fügte er in etwas milderem Ton hinzu, »später einsehen, daß ich Recht habe.«

Ferdinand trat einen Schritt von seinem Vater zurück, tiefe Blässe bedeckte sein Gesicht, das Blut entwich aus seinen Lippen, seine Augen blickten starr und brennend und mit leiser, durch die gewaltige Bewegung seines Innern rauh klingender Stimme sprach er:

»So höre auch mein letztes und unwiderrufliches Wort: ich habe die kindliche Pflicht erfüllt bis zur Grenze des Möglichen; sie kann nicht so weit gehen, daß ich auch das Glück meines Herzens und die stillen Blüthen meiner Seele, welche mir Ersatz geben sollten für Alles was ich geopfert, zertreten lasse; Du hast mir diese einzige Bitte, die ich für meine Zukunft an Dich gestellt, versagt. Ich nehme meine Freiheit zurück, die Du mir verweigerst; ich entsage dem Namen, den Du mir gegeben; ich entsage Allem, was als Deinem Sohne das Leben mir bieten kann; ich werde einsam und allein in die Welt hinaus treten, einsam und allein den Kampf mit dem Leben aufnehmen, um mir den Platz zu erobern, und sei es der kleinste und unscheinbarste, den Platz auf dem ich Mensch, frei und glücklich sein darf.«

»Entsagst Du auch,« fragte der alte Herr mit vor Zorn bebender Stimme, »der Pflicht der Dankbarkeit? – Entsagst Du auch den Geboten Gottes, welche Dir befehlen, Deine Eltern zu ehren und ihnen zu gehorchen?« –

Der junge Mann schwieg einen Augenblick. Die wilde Aufregung verschwand aus seinem Blick, aber in noch festerer Entschlossenheit spannte sich seine Züge:

»Die Pflicht der Dankbarkeit und die Achtung vor Dir, mein Vater, wird unzerstörbar in mir leben – auch die Liebe zu Dir,« fügte er mit weichem Ton hinzu, »werde ich niemals vergessen; Gott möge verhüten, daß das Unglück jemals Dein Haupt berührt; wenn es geschehen sollte, so wird meine Kraft, meine Arbeit, mein Herz Dir gehören, aber meine Freiheit muß ich mir erringen, mein Glück mir selbst begründen, da Du es mir versagst.«

In rascher Bewegung wendete er sich um und verließ das Zimmer. Das alte Herr machte eine unwillkürliche Bewegung, als wollte er ihm nacheilen und ihn zurückhalten – doch er hielt an sich, blieb eine Weile schweigend stehen und ließ sich dann mit einem tiefen, schmerzlichen Athemzug in einen der großen, mit Leder überzogenen Lehnstühle niedersinken.

»Er wird gehen,« sagte er mit dumpfem Ton, »mein Blut ist in ihm lebendig; er wird sich nicht beugen und keinen Kampf, keine Noth und keine Entbehrung scheuen; – und müßte ich ihn nicht verachten, wenn er es thäte?« sagte er noch leiser.

Er schlug den trüben Blick zu dem Bilde seiner Schwester auf und sah lange schweigend auf dasselbe hin, während von Zeit zu Zeit schwere Seufzer aus seiner Brust emporstiegen, dann bedeckte er das Gesicht mit den Händen, ließ den Kopf auf die Brust sinken und flüsterte in tiefem schmerzlichem Ton: »ich habe meinen Sohn verloren!« –

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