Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Sie gingen eine Zeit lang inmitten der langsam dahinströmenden Menge, wendeten sich dann durch einige freiere Straßen und traten endlich in jene alte krumme und enge Judengasse ein, welche in früheren Zeiten wie das Ghetto in Rom, Abends durch ein Gitter geschlossen wurde, um die israselitischen Schutzgenossen von der christlichen Bevölkerung zu trennen, – jene alte schmutzige Gasse, aus welcher die gewaltige Dynastie des »großen Barons« hervorging, welche das Reich der Börsenwelt mit sicherem Scepter beherrscht und deren Macht unerschütterlicher dasteht, als manche aus der Geschichte der Jahrhunderte emporgewachsene Throne.

»Sie haben mit neulich von einem schönen alten Dolch gesprochen, Herr Davidsohn, den Sie entdeckt,« sagte der junge Partner, als sie in die enge Gasse einbogen, – »Sie wissen, wie sehr ich mich für alte Waffen interessire – ich möchte ihn sehn, – haben Sie ihn schon?«

»Ich haben ihn erworben.« sagte der Alte mit einem scharfen schnellen Seitenblick, – »er ist theuer genug gewesen, – wenn ich ihn auch für seinen Werth noch billig gekauft habe, – der Griff ist von Benvenuto Cellini, Sie werden sich selbst überzeugen, – und ich möchte das Stück gern Ihnen überlassen, – ich mag es gern, daß wirkliche Kunstwerke in rechte Hände kommen – und Sie verstehen so etwas zu schätzen und zu würdigen.«

»Gewiß« rief Ferdinand, – bei mir findet eine solche Waffe ihren rechten Platz und das rechte Verständniß für ihren Werth, – ich bin sehr begierig sie zu sehn und mich zu überzeugen,« fügte er lächelnd hinzu »ob sie wirklich aus Benvenuto Cellinis Meisterhand hervorging.«

»Ueberzeugen werden Sie sich,« sagte der alte Davidsohn mit einem überlegenen Lächeln, – »täusche ich mich doch niemals in solchen Dingen, – ich kenne die Regeln der Herrn Kunstkritiker nicht, und die Merkzeichen, die sie erfunden haben für die Werke der großen Meister, – aber ich habe das im Blick, – und was Benvenuto Cellini ciselirt hat, – das kenne ich unter tausend Nachahmungen heraus, ebenso jede Leinwand über die der Pinsel der großen Meister ist hingefahren. Gehen Sie nur immer hin in mein Haus,« sagte er dann sehen bleibend, – »und sehen Sie sich den Dolch und noch einige schöne Sachen, die ich bekommen habe, – meine Lea wird sie Ihnen zeigen, – ich habe noch einen Geschäftsgang zu machen, hier in der Nähe, wollen Sie mich erwarten, so können wir gleich Handels einige werden, – wo nicht, so sprechen wir in diesen Tagen darüber.«

Er grüßte den jungen Mann mit einer Mischung von wohlwollender Vertraulichkeit und von jener zurückhaltenden Unterwürfigkeit, welche den handeltreibenden Mitgliedern des so lange unterdrückten israelitischen Volkes eigen geblieben ist, und wendete sich rückwärts zum Ausgange der engen Judengasse.

Ferdinand Partner und die schöne Lea gingen einige Schritte schweigend nebeneinander weiter; aus dem Auge des jungen Mannes streifte bisweilen ein feuriger Blick über die schlanke geschmeidige Gestalt des Mädchens hin, welche zu Boden sah und erröthete als ob sie jenen Blick fühlte.

An allen Fenstern der schmalen, dunkeln, hochgiebeligen Häuser, erschienen neugierige Köpfe. Weiber, bald jung und reizend in jener eigenthümlichen Schönheit der orientalischen Race, bald alt und häßlich, gelb wie Mumien, unter den verhüllenden Kopftüchern hervorblickend, – Kinder, schmutzig und bleich, mit grellen, großen Augen, sahen hinab auf die schöne Tochter des alten Davidsohn, welche Jedermann kannte, und mancher freundliche Gruß wurde ihr zugenickt, – manches feindliche und hämische Wort aber auch über sie geflüstert, als man sie daher gehen sah in der Begleitung des jungen eleganten Mannes, dessen ganze Erscheinung zeigte, daß er hier nicht heimisch war.

»Sie sind nicht befriedigt Fräulein Lea,« sagte Ferdinand, »Sie haben nur wenig gesehen von dem Einzuge der Fürsten, – Sie müssen morgen die Auffahrt ansehn, dann wird die ganze Herrlichkeit auf einem Punkte vereinigt sein.«

»O ich bin schon zufrieden mit dem was ich gesehen,« sagte das junge Mädchen lebhaft, – »ich bin glücklich, einmal wieder einen Blick hinaus gethan zu haben in jene Welt da draußen, die mir so fremd ist, und nach der ich doch so große Sehnsucht fühle, hier in meiner stillen Welt, aus der ich doch so selten hinaus komme. Ich liebe die freie Luft, das Treiben fröhlicher Menschen – und ich habe« fuhr sie wehmüthig fort, »mein ganzes Leben hier in dieser engen Gasse verbracht, im einsamen Hause meines Vaters, – unter den alten Gemälden und Waffen und Meubeln vergangener Zeiten. Freilich erzählen mir alle diese Sachen gar wunderbare Dinge von dem reichen feurigen Leben in der großen Welt und an den Fürstenhöfen der vergangenen Jahrhunderte, – ich sehe diese alten Portraits herabschauen von dem vergoldeten Getäfel der hohen Wände in den alten prächtigen Schlössern, – ich sehe diese Waffen an der Seite hoher Rittergestalten mit seidenen Mänteln und wallenden Federn, – und auf den hochlehnigen, geschnitzten Stühlen sehe ich reizende Damen sitzen, Pagen knieen zu ihren Füßen und sinnig blickende Sänger begleiten ihre lieblichen Romanzen mit den Klängen der alten Mandolinen, welche in den Ecken des Ladens meines Vaters stehen.

»Aber das Alles,« sagte sie seufzend, »sind doch nur Gestalten meiner Phantasie, – sie verfliegen wie der Hauch in der Luft, sobald die Wirklichkeit an mich herantritt, und ich sehne mich so sehr einmal in lebendiger Wahrheit zu schauen, was meine stillen einsamen Träume belebt. Darum habe ich den Vater gebeten mich hinauszuführen, um einmal wenigstens im flüchtigen Vorbeischauen den Glanz der fürstlichen Hohen des Lebens zu erblicken. – Von der Erinnerung an so einzelne Blicke in das glänzende leuchtende Leben muß ich lange zehren,« sagte sie wehmüthig, – »ich bin ja dann wieder immer allein.« –

»Sie sind immer allein?« fragte der junge Mann im Tone eines leichten Vorwurfs.

»Ich war immer allein,« – sagte sie leise, indem ein flüchtiger Blick zu ihm hinüberglitt und ein reizendes Lächeln um ihre Lippen spielte.

Sie waren vor einem kleinen Hause angekommen, das zwischen zwei größeren Gebäuden ein wenig zurücktrat. Das Erdgeschoß hatte neben der Thüre ein großes, bis zur Hälfte hinauf vergittertes Fenster, hinter welchem man bunt durcheinander aufgestellt, alte Bilder, Waffen und Geräthe aller Art erblickte. Hinter diesem Fenster war ein kleineres mit weißen Vorhängen verdeckt. Damit war die ganze Breite des Hauses ausgefüllt, – im oberen Stock war ein Fenster mehr, –die hellgeputzten Scheiben, reine weiße Vorhänge und einige blühende Blumen auf den Fensterbrettern unterschieden dies kleine Haus vortheilhaft von den meisten andern Gebäuden in der Straße, welche düster und unwohnlich schon von außen erschienen.

Das junge Mädchen zog einen Glockendraht neben der verschlossenen Thür, – eine alte Frau mit gelbem runzeligem Gesicht und scharfen dunkeln Augen öffnete und die beiden jungen Leute traten in den Laden, der trotz des Lichtes, das durch das verhältnißmäßig große Fenster hereindrang, einen finstern, fast unheimlichen Eindruck machte. Wie vor dem Fenster, so standen an allen Wänden Antiquitäten aller Art umher, – in den Ecken sah man zusammengestellte Rüstungen in gespenstischer Starrheit mit den leeren Helmöffnungen dastehn, Glasmalereien, schräg gegen das Licht gehängt, warfen ihre buntfarbigen Reflexe an die Wände und über den Boden hin, – es war ein Raum, in welchem man in einsamer Dämmerstunde von unwillkürlichen Schauern ergriffen werden konnte, wenn alle diese Gegenstände, deren jeder mit der Geschichte des Lebens längst verstorbener Menschen verbunden gewesen, in ihrer stummen Sprache zu der ängstlich lauschenden Seele zu reden begannen.

Eine dumpfe Moderluft füllte diesen Raum, den die schöne Lea rasch durchschritt, um die Thür zu einem kleinen dahinter liegenden Stübchen zu öffnen das den vollsten Gegensatz zu dem Laden bildete.

Einige hübsche, freundliche Landschaftsbilder schmückten die mit hellgrauen Tapeten überzogenen Wände, ein einfacher Sopha stand der Thür gegenüber, ein Lehnstuhl, neben dem Fenster mit den weißen Vorhängen, davor ein kleiner Tisch mit einem Buch und einer weiblichen Arbeit, – und in einem schönen alten Krystallkelch ein Bouquet frischer Blumen. Ein einfacher dunkler Teppich bedeckte den Boden.

Dies war der Raum, in welchem das junge Mädchen den größten Theil des Tages zubrachte, – hier saß sie bei ihrer Stickerei oder in träumendem Sinnen zurückgelehnt, – während ihr Vater im Laden mit dem Aufputzen oder Ordnen der Gegenstände seines Handels sich beschäftigte, von hier trat sie seufzend in den Laden, wenn der Alte seine kurzen Geschäftsgänge machte, um eintretenden Käufern Auskunft zu geben – und die meisten Besucher des Verkaufslocals hatten erstaunt aufgeblickt, wenn in diesem düsteren Magazin, angefüllt mit den Resten der vergangenen Jahrhunderte, plötzlich diese frische, duftige Mädchengestalt erschien, hervortretend aus dem zierlichen und wohnlich ansprechenden Raume, der sich hinter dem Ladengewölbe öffnete.

Das junge Mädchen warf Hut und Tuch auf einen Stuhl in ihrem kleinen Cabinet und wendete sich dann schnell um, nach dem Laden hin, mit den Worten: »Jetzt will ich Ihnen den Dolch zeigen, von dem Sie mit dem Vater gesprochen.« –

Ferdinand Partner war ihr gefolgt und als sie sich umwendete, stand er in der schmalen Thür ihr unmittelbar gegenüber, sie mit einem Blicke betrachtend, in welchem halb muthwilliger Scherz, halb tiefe, innige Liebe lag.

»Ich verlange meinen Durchgangszoll,« rief er, die Arme ausbreitend. Sie blickte ihn mit schalkhaftem Lächeln an, und mit einer raschen Biegung ihre schlanken geschmeidigen Körpers wollte sie unter seinem Arm durchschlüpfen, – aber schnell neigte er sich herab, schlang seine Arme um ihre Schultern und bedeckte ihr Gesicht, das sie nicht abwendete, mit glühenden Küssen.

Dann führte er sie zurück in das kleine Cabinet, – drückte sei sanft auf das Sopha nieder und ließ sich zu ihren Füßen auf die Kniee sinken. Er faltete seine Hände auf ihrem Schooß – sie streichelte sanft sein Haar und einige Minuten lang blickte sie sich schweigend in die Augen, Eines in den Anblick des Andern versunken.

»Welch ein Glück meine süße Lea,« rief er endlich, – »daß ein freundliches Schicksal uns heute einige Augenblicke für unsere Liebe gewährt, – kaum hätte ich heute Hoffnung gehabt, Dir einige liebe Worte zu sagen – und wie habe ich gedürstet nach Deinen Blicken und nach Deinen süßen Lippen.« –

Sie sah ihm lange mit schwärmerisch verklärtem Blick in die Augen, – dann zog eine trübe Wolke über ihre so reinen kindlichen Züge, die jedes Gefühl und jeden Gedanken ihres Innern wiederspiegelten und mit einem tiefen Seufzer sprach sie leise:

»Du hast die große weite und reiche Welt, – das Leben steht Dir offen mit seinem Licht und seinem Glanz, – Dir sind die Augenblicke unserer Liebe ein süßes Spiel, eine freundliche Abwechselung mit andern Genüssen des Lebens, – aber ich bin allein, – immer allein in der abgeschlossenen Einsamkeit, – für mich sind die Momente, da ich Dich habe und das Glück der Liebe aus Deinen Augen sauge, Alles was ich besitze, – Du bist meine Welt, mein Leben, mein Licht und meine Wärme, – würdest Du verschwinden aus meiner Existenz, – es wäre aus mit mir, – ganz aus, – es wäre der Tod oder der Wahnsinn.«

Und in stürmischer, glühender Zärtlichkeit beugte sie sich zu ihm herab, faßte sein Haupt mit beiden Händen und küßte sein Haar, seine Augen, seinen Mund.

Dann hielt sie seinen Kopf etwas zurück und sah ihm lange in die Augen, als wolle sie den Blick in die Tiefen seiner Seele tauchen.

»Siehst Du,« sagte sie mit wehmüthigem Tone, – »wenn Du bei mir bist, dann bin ich so innerlich glücklich, – dann vergesse ich Alles in meiner Liebe, dann sehe ich nur Dich und mich in der Welt, – aber wenn Du fort bist, – wenn ich allein bin, – und ich bin so oft und so lange allein, dann sage ich mir, daß das Alles nicht dauern kann, daß mein Leben zurücksinken muß in die kalte Nacht, – daß wir uns trennen müssen, – und dann bin ich sehr, sehr unglücklich.«

»Uns trennten?« rief Ferdinand, indem er ihre Hände sanft von seinem Haupte nahm und an die Lippen drückte, »uns trennen? Und warum? Zweifelst Du an meiner Liebe?«

»Du gehörst einer andern Welt an,« sagte sei immer in demselben traurigen Ton, »glaubst Du, daß Dein Vater, der stolze Bürger, der fest und unbeugsam ist wie Eisen, so sagen Alle von ihm, daß er Dir erlauben wird in sein Haus die Jüdin, die Tochter des Antiquitätenhändlers aus der alten Gasse zu führen, auf welche die hochmüthige Bürgerschaft von Frankfurt mit Verachtung herabblickt? Und Du selbst,« sprach sie weiter, »würdest Du dem Vorurtheil der Welt trotzen wollen? Würdest Du durch das Leben an Deiner Hand ein Weib führen wollen, dem die Frauen Deiner Welt mit Achselzucken begegnen würden? O,« rief sie mit schmerzlichem Ton, »das Alles ist sehr traurig.«

Rasch sprang der junge Mann empor.

Seine Augen flammten und mit bewegter Stimme rief er:

»Für wie klein und schwach hältst Du meine Liebe, daß Du mir zutrauen kannst, ich würde sie hinwerfen können – diese Liebe, die mir die schönste Blüthe des Herzens ist – aus feiger Furcht vor den Vorurtheilen der Welt; wahrlich, es würde mich weniger kränken, wenn Du mich für fähig hieltest, Dir untreu zu werden um einer anderen Liebe willen, aber zu glauben, daß ich wie ein zitternder Schulknabe von Dir schleichen würde aus Angst vor meinem Vater, aus Angst vor den Blicken meiner Sippschaft, das ist ein Gedanke, den Du nicht hegen solltest.«

In zitternder Erregung blickte er zu Boden, zornig zitterten seine Lippen.

»Verzeih',« sprach sie leise mit bittend gefalteten Händen, »wenn die schwarzen Gedanken, die in einsamen Stunden mich quälen, mir auf die Lippen getreten sind –«

Er setzte sich neben sie, legte sanft den Arm um ihre Schultern und sprach in innigem Ton:

»Glaube mir, daß ich Allem, Allem trotze um Deinetwillen, siehst Du, meine Geliebte, mein Herz, mein ganzes Wesen gehört der Welt nicht an in der ich lebe, ich habe den Hauch des freien Geisteslebens eingeathmet im Kreise von Freunden, die anderen Kreisen angehörten als ich, mein Herz glüht vor Begeisterung für die Kunst, für ein hohes edles Streben im Reiche des Wissens, des Schaffens für die ewigen Güter der Menschheit – und dem Willen meines Vaters gemäß muß ich meine Kraft aufreiben in der gleichmäßigen ermüdenden Arbeit für den materiellen Erwerb. Ich habe mich unterworfen, ich habe meine Begeisterung und meine Sehnsucht dem Willen meines Vaters zum Opfer gebracht, nicht,« rief er stolz den Kopf emporwerfend, »weil ich mich fürchte, allein und mittellos den Kampf mit dem Leben aufzunehmen, o, ich würde auch in Armuth und Entbehrung glücklich sein können, nein, ich habe mich unterworfen, weil ich meinen Vater achte und ehre, weil ich begreife, daß er von seinem Standpunkte aus Recht hat, weil ich für mich die Pflicht erkenne, mich der Ruhe und dem Frieden meiner Familie zum Opfer zu bringen – und wird mir doch einst – wenn auch in späterer Zeit, Freiheit und Muße bleiben um auch meinen Neigungen zu leben.

»Doch,« rief er, sich höher aufrichtend, »wenn ich dem Willen meines Vaters und der Pflicht gegen meine Familie mich unterwerfe und einen Lebensberuf auf mich nehme der meinem inneren Sehnen und Streben so gar nicht entspricht, wenn ich meinen Geist in die Fesseln einer lähmenden und drückenden Arbeit schlagen lasse, so verlange ich für mein Herz die Freiheit und das Glück. Die Poesie und ihre Blüthen, denen ich in der großen Arbeit des Lebens entsage, will ich wenigstens im Innern meines Hauses an meinem Heerde halten und pflegen, hier will ich dem Ideal einen Tempel bauen, in dem ich mich stärke und von Neuem weihe zur Erfüllung der strengen und ernsten Pflicht. Und die Priesterin dieses Tempels sollst Du mir sein, meine geliebte Lea,« sagte er, sie innig an sich drückend mit einem Kuß auf ihr dunkles Haar, »aus Deinen Augen will ich den heiligen Rausch trinken mit durstigem Blick, der die im irdischen Staub ringende Seele mit den Gebieten der ewigen Schönheit verbindet.«

Das junge Mädchen erzitterte in seinem Arm. Fast ängstlich schlug sie die Augen empor.

»Kann ich Dir das sein,« hauchte sie leise, »ich, die Tochter des verachteten Volkes?«

»Ich will Dich auf meinen Armen durch das Leben tragen und will Dich schützen gegen jeden bösen Blick und jeden Hauch der Mißachtung,« rief er laut, »das schwöre ich Dir, und bald, bald soll es klar werden und mein Vater, der seinen Willen so fest hält, soll sich auch meinem festen Willen gegenüber finden in offener Erklärung, – er wird auch meinen Willen achten, – und sollte es nicht sein, so werde ich meinen Weg gehen, nur das Eine werde ich niemals thun; – Dich zu verlassen! Glaubst Du mir, meine Geliebte,« fragte er, ihren Kopf emporrichtend und ihr in die Augen schauend, »vertraust Du mir für alle Zukunft?«

»Ich glaube und vertraue,« sagte sie mit klarer Stimme, indem sie ihre Arme um seine Schultern legte.

Und in langem Kusse brannten ihre Lippen aufeinander.

»Aber,« sagte sie dann, ihn sanft zurückdrängend, »Du mußt den Dolch ansehen, wenn der Vater kommt, mußt Du doch das Werk Benvenuto Cellini's kennen.«

Lächelnd erhob sie sich und ging in den Laden. Mit glücklichen Blicken folgte er den geschmeidigen Bewegungen der schlanken, zierlichen Gestalt.

Sie kehrte zurück, nachdem sie einen Augenblick auf einem Tisch in der Nähe des großen Fensters gesucht hatte und brachte einen dreischneidigen, italienischen Dolch mit schön ciselirtem Griff und eben solcher Scheide. Der junge Mann ergriff die Waffe und betrachtete sie aufmerksam mit Kennerblick.

»Herrlich, wunderbar schön gearbeitet,« rief er, »Dein Vater hat Recht, das ist ein Meisterstück.«

Er zog langsam den Dolch aus der Scheide. Die haarscharfe Spitze der Klinge funkelte im letzten Strahl der Abendsonne, der zwischen den alten Häusern her durch das Fenster hereinfiel.

»Diese Waffe hat eine Geschichte,« sagte er sinnen, »eine furchtbare Geschichte vielleicht! – Blut, edles Blut gewiß mag durch diese Klinge geflossen sein, die gezückt wurde in der Hand der Eifersucht oder der Rache. Dieser kalte, glänzende Stahl hat unerbittlich ein warmes, fühlendes, hoffendes und liebendes Herz durchstoßen und ist die Ursache gewesen zu unendlichen Thränen und bitterem Jammer. Die Menschengeschlechter, in deren Schicksale dies kalte Werkzeug des Verhängnisses einst zerstörend eingriff, sind versunken in Staub und Asche, ihre Geschichte, mit allem Lieben und allem Leiden, ist verweht in die öde Leere der Vergessenheit und diese Waffe, dieses todte, willenlose Instrument menschlicher Leidenschaft glänzt heute noch ebenso wie damals, sie wird als Schmuck ein freundliches Zimmer zieren und dieser schöne Griff, an welchem eines großen Meisters kunstgeübte Hand edle Gedanken zu edler Form bildete, welche dann in krampfhaftem Griff die heiße Hand der wilden Leidenschaft umfaßte, er wird ruhig daliegen, eine Freude der Kunstkenner, bis vielleicht in anderen Generationen das Verhängniß ihn abermals mit dem Blute warmer Herzen bespritzt.

»Fast macht es traurig,« sagte er leiser, »wenn man die Unvergänglichkeit der todten Dinge betrachtet, gegenüber der flüchtig dahinwehenden Existenz der Menschen, die sich für die stolzen Könige der Schöpfung halten, während der kurzen Augenblicke, die sie auf dieser Erde wandeln.«

Das junge Mädchen hatte sich vorgebeugt und betrachtete, seinen Worten zuhörend, die schöne Waffe, er machte eine leichte Bewegung, der Dolch entglitt seiner Hand und mit einem kurzen Schrei sprang sie zurück.

Die Waffe hatte im Fallen ihre Hand gestreift, hellrothe Blutstropfen rieselten an ihrem feinen, weißen Finger herab.

»Mein Gott,« rief er, »wie ungeschickt war ich, bist Du tief verwundet?«

»O, es ist nichts,« sagte sie lächelnd, »ein kleiner Riß, die Klinge hat mich eben nur gestreift.«

Er hatte ihre Hand ergriffen und prüfte den blutenden Finger. Es war in der That nur ein kleiner Riß in der Haut, er hob die Hand an seine Lippen und sog den Blutstropfen auf.

»Um Gotteswillen,« rief sie, »was thust Du, man hat in früheren Zeiten solche Waffen vergiftet!«

»Sei unbesorgt,« sagte er lächelnd, »die Zeit, welcher der Stahl widerstand, würde das Gift nicht auf der Klinge gelassen haben.«

Das Blut war gestillt. Er umwickelte den Finger mit ihrem Taschentuch.

»Du hast vorhin an der Festigkeit und der Dauer meiner Liebe gezweifelt,« sagte er, ihr liebevoll in die Augen blickend, »jetzt bist Du meiner sicher, ich habe Dein Blut getrunken, das bindet mich für immer und ich kann niemals von Dir lassen.«

Mit schwärmerischem Blick warf sie sich in seine Arme. Er drückte sie fest an sich und Brust an Brust standen sie schweigend in langer Umarmung.

Die Thür des Ladens, welche sie beim Eintritt nur angelehnt, hatte sich geöffnet, der alte Davidsohn trat ein und erblickte in der Mitte des Ladens stehen bleibend die jungen Leute in dieser Stellung.

Das halb gutmüthige, halb sarkastische Lächeln verschwand von seinen Lippen, seine dunklen Augen blickten düster auf das Paar hin, finstere Falten zogen sich auf seiner Stirn zusammen.

Er machte eine unwillkürliche Bewegung. Lea fuhr zusammen und richtete den Kopf empor. Mit einem leisen Ausruf des Schreckens riß sie sich los und stand in tiefer Verwirrung, zitternd und erröthend mit zu Boden gesenkten Blicken da.

Der junge Mann trat dem alten Davidsohn ruhig und freien Blickes entgegen.

»Herr Partner,« sagte der Alte mit leicht bebender Stimme, »ich habe stets eine besondere Vorliebe und Achtung für Sie gehabt, weil Sie ein kluger und bescheidener junger Mann sind, nicht wie andere Leute Ihres Alters und weil ich Sie für einen ehrenhaften Mann hielt; es thut mir leid, es thut mir wahrlich leid, daß Sie im Stande gewesen sind das Vertrauen eines alten Mannes zu täuschen und mein Kind, das Kleinod meines Lebens, zum Spiel und Zeitvertreib einer Laune zu machen, weil es,« fügte er bitter hinzu: »das Kind eines Juden, die Tochter eines verachteten Stammes ist. Und Du, meine Tochter,« sprach er mit tief schmerzlicher Bewegung, »wie konntest Du Deine Ehre und die Ehre Deines Vaters so vergessen?«

»Mein Vater,« – stammelte das junge Mädchen, den Blick wie hülfeflehend auf ihren Geliebten richtend.

Dieser ergriff ihre Hand und trat vor den Alten hin.

»Herr Davidsohn,« sagte er ernst und fest, »wenn Sie mein Gespräch mit Ihrer Tochter gehört hätten, so würden Sie den Vorwurf, den Sie mir gemacht, nicht ausgesprochen haben. Ich liebe Ihre Tochter und bitte Sie um ihre Hand. Ob und wann mein Vater mich in den Stand setzen wird, einen eigenen Heerd zu begründen, weiß ich nicht, daß es er kann, wissen Sie, und könnte er es nicht, so habe ich soviel gelernt, um mir selbst eine Stellung und Brod zu erringen – wir sind beide jung und könnten warten.«

Das Gesicht des Alten war während der Rede des jungen Mannes immer heller und freundlicher geworden.

»Mein lieber Herr,« sagte er nach einem kurzen Schweigen, »was Sie mir sagen, freut mich von Herzen um Ihretwillen, denn ich glaube an die Wahrheit Ihrer Worte, es freut mich, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe und daß Sie ein ehrlicher Mann sind. In der Sache aber,« fuhr er achselzuckend fort, »ändert Ihre ehrliche Absicht nichts. Sie und meine Tochter, – das ist unmöglich.«

»Und warum?« fragt Ferdinand in ruhigem Ton. –

»Da ist zuerst, sehen Sie,« sagte der alte Davidsohn, »die Religion –«

Der junge Mann richtete den Blick fragend und bittend auf Lea.

»– doch,« fuhr der Alte fort, »das ist eine Sache zwischen mir und meiner Tochter, darüber will ich jetzt nicht weiter sprechen, dann aber, ist da Ihr Herr Vater, Sie kennen ihn, ich weiß, wer er ist und wie er ist. Glauben Sie, daß Ihr Herr Vater jemals zugeben eine Verbindung seiner Sohnes mit der Tochter des jüdischen Handelsmannes?«

Der junge Mann zögerte einen Augenblick.

»Ich werde mit meinem Vater sprechen,« sagte er, »und wenn er –«

»Halt,« fiel der alte Jude ein, »ich werde Ihnen sagen meine ernste und feste Meinung: – nicht Sie sollen sprechen mit Ihrem Herrn Vater, das würde geben einen harten Zusammenstoß und ein Unglück, ich werde sprechen mit ihm, als ehrlicher Mann zu einem ehrlichen Mann, und wenn Ihr Vater Ja sagt zu Ihrer Verbindung, dann wollen wir weiter reden über das Uebrige; versprechen Sie mir auf Ihr Wort, daß Sie meine Tochter nicht wollen wiedersehen, bevor ich mit Ihrem Vater gesprochen?«

»Und wenn er Nein sagt?« fragte Ferdinand zögernd.

»Ich werde Ihnen mittheilen, was er wird gesagt haben,« erwiderte der Alte, »und dann Ihnen auch sagen meine weitere Meinung. Geben Sie mir Ihr Wort?«

»Ich gebe es,« sagte Ferdinand.

»Lebe wohl, meine Lea,« rief er dann, das junge Mädchen stürmisch in die Arme drückend, »Nichts kann mein Herz von Dir trennen, fasse Muth und glaube an mich!«

Er drückte die Hand des Alten und verließ schnell das Haus.

»Mein Vater,« rief das junge Mädchen, »verzeihe mir, ich habe nicht anders gekonnt!«

»Du hast gethan,« sagte er mit weichem Ton, »was der Beruf ist Deines Geschlechts, Vater und Mutter zu verlassen und dem Manne zu folgen, zu dem Dein Herz Dich zieht, der Gott unserer Väter möge geben, daß der Zug Deines Herzens Dich nicht zu schwerem Leid und Kummer geführt hat.«

»Bleibe allein,« sagte er dann, »Du hast es nöthig, Dich zu sammeln und in Dich selbst einzukehren, gehe hinauf in Dein Zimmer, der Gott Abraham's sei über Dir mit seinem besten Segen.«

Er legte ihr die Hand auf das Haupt, schweigend beugte sie sich zusammen und ging hinaus.

Der Alte setzte sich in einen alten, hochlehnigen Stuhl, das scharfe, kluge Gesicht hob sich eigenthümlich hervor aus dem dunklen Schnitzwerk von Eichenholz, gedankenvoll richtete er den Blick durch das Fenster hinauf zu dem kleinen Stück blauen Himmels, das zwischen den hohen Häusern in die enge Straße hineinschaute, und im stillen Selbstgespräch bewegte er seine Lippen.

»Da kommen sie zusammen,« sagte er leise, »die Gewaltigen der Erde, und alles Volk läuft ihnen nach, und mit menschlichen Satzungen wollen sie die Welt glücklich machen, und was die armen Menschenherzen quält in ihrem Ringen auf Erden, das kann doch allein der ewige Gott, der gewaltige Herr der Heerscharen lenken und führen zu Frieden und Segen. Er soll mein Hort sein und das Vertrauen auf ihn die Leuchte meiner Seele, – wie er gesungen hat, der königlich Sänger, der große Fürst meines Volkes.«

Er faltete die Hände über seine welken, gerunzelten Züge legte sich ein Schimmer der Verklärung, sein Auge strahlte in gläubiger, frommer Begeisterung als er langsam die Worte des Psalmisten sprach:

»Du lässest Brunnen und Bäche quellen und lässest die mächtigen Ströme versiegen, Tag und Nacht ist Dein, Du lässest die Sonne und die Sterne des Himmels ihren festen Bahnen folgen, o, laß den Geringen nicht in Schande davon gehen, denn die Armen und Elenden rühmen Deinen Namen.


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