Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Viertes Capitel.

In dem großen Vorzimmer der Staatskanzlei am Ballhofsplatz zu Wien saßen neben dem runden Tisch, welcher von großen Lehnstühlen umgeben unter dem lebensgroßen Bilde des Kaisers Franz Joseph steht, zwei Personen im eifrigen Gespräch. Die eine dieser Personen war ein Mann von etwa einundfünfzig Jahren, lang und hager, mit trockenem, krankhaft gelblichem, bartlosem Gesicht. Eine steife, bureaukratische Ruhe lag in dem Ausdruck seiner Züge und allen seinen Bewegungen.

Dieser Mann war der Hofrath Freiherr von Biegeleben, der Departementsrath für die Bearbeitung der deutschen Angelegenheiten im Ministerium des Aeußern.

Neben ihm saß, bequem in den Fauteuil zurückgelehnt, ein Mann, welcher in seiner ganzen Erscheinung den vollkommensten Gegensatz zu Herrn von Biegeleben bildete. Er mochte in der Mitte der vierziger Jahre stehen, sein Ausdruck und seine Haltung aber zeigten jene gewisse leichte und bequeme Beweglichkeit, welche ein steter Verkehr mit der Welt hervorzubringen pflegen, und welche dem ganzen Wesen eine jugendliche Frische geben, die es schwer macht, beim ersten Anblick sich ein bestimmtes Urtheil über das Alter der Person zu bilden. Sein kräftiges marquirtes Gesicht von kurzem, dichtem Haar und dunklem Vollbart umgeben, war bräunlich gefärbt durch den Einfluß der Sonne und der Luft; seine ganze Haltung und selbst sein einfacher Morgenanzug aus gleichfarbigem dunklem Stoff hatte eine Art von fast rücksichtsloser Nachlässigkeit, wie man sie bei den Amerikanern zu finden pflegt, welche die vielen oft kleinlich einengenden Rücksichten der Verhältnisse des europäischen Continents nicht kennen. Fast im Widerspruch zu dieser praktisch einfachen äußern Erscheinung des Mannes schien der schwärmerische, träumende Blick seiner dunkeln Augen zu stehen, welche gedankenvoll auf den Hofrath von Biegeleben gerichtet war.

Es war der bekannte Julius Fröbel, welcher nach längerem Aufenthalt in Nordamerika nach Deutschland zurückgekehrt, eine lebhafte Thätigkeit in der großdeutschen Partei entwickelte.

»Sie müssen nicht vergessen,« sagte Herr von Biegeleben mit seiner trockenen etwas leisen Stimme, »daß wir mit gegebenen Verhältnissen zu rechnen haben und daß die Prinzipien, welche in Amerika in freier und ursprünglicher Natürlichkeit das öffentliche Leben durchdringen, bei uns nur vorsichtig und langsam eingeführt werden können, wenn sie nicht gefährliche Zerstörungen hervorrufen sollen. Ich glaube deshalb, daß Sie dem Werke der Bundesreform, wie wir es im Sinne haben, Ihre Unterstützung leihen können, auch wenn dasselbe nicht in allen Punkten der Anschauungen entspricht, welche Sie vielleicht über die Entwicklung der deutschen Zustände haben mögen.«

»Meine Ansichten,« erwiderte Herr Fröbel, »sind mit den Jahren bedeutend ruhiger geworden, und ich habe durch langen Aufenthalt unter den Amerikanern diesen wahren matter of fact men gelernt, das praktisch Erreichbare dem theoretisch vielleicht Besseren vorzuziehen. Ich wünsche für mein deutsches Vaterland das größt mögliche Maß von Freiheit, die größt mögliche Einheit nach Außen und in den Verkehrsverhältnissen des national-ökonomischen Lebens, zugleich aber größt mögliche autonome Selbstständigkeit in dem innern Leben der einzelnen Stämme; ich bin tief davon durchdrungen und habe mich in Amerika noch mehr davon überzeugt, daß der germanische Charakter die föderative Staatenbildung verlangt, damit jede individuelle Besonderheit der viel gegliederten Stämme sich ungehindert und frei auszuleben im Stande ist. Ich sehe außerdem vollkommen ein, daß wie in Amerika jede Initiative in der fortschreitenden Entwicklung des Staatslebens von unten, vom Volke, dem selbstregierenden Souverain kommt, daß umgekehrt in Deutschland solche Initiative nur von den Fürsten ausgehen kann. Eine zeitgemäße Reform des Bundes ist eine Nothwendigkeit, Volk und Regierung scheinen darüber einig zu sein. Preußen repräsentirt seinem Wesen und seiner Geschichte gemäß den centralisirten, militairischen Einheitsstaat, – jede Reform des Bundes welche von dort ausgehen würde, müßte daher dasselbe Princip für das Gesammtleben Deutschlands maßgebend werden lassen, und damit würde nach meiner Ueberzeugung die Entwicklung des nationalen Lebens auf falsche und verderbliche Bahnen gedrängt.

»Denn wenn das deutsche Volk so lange auf Preußen als auf den Hort seiner Zukunft geblickt hat, so ist dies die Folge einer seit langer Zeit kunstvoll und geschickt geführten literarischen Agitation, welche es verstanden hat, Preußen als den Vertreter aller liberalen Ideen hinzustellen. Oesterreich dagegen ist der geborene Repräsentant des Föderalismus, auf den es schon in seinem eigenen, inneren Staatsleben mit Nothwendigkeit hingewiesen ist. Oesterreich hat bis jetzt das Prinzip der Freiheit und des Fortschritts mit äußerster Strenge zurückgewiesen, und dadurch eine feindliche Antipathie im deutschen Volke gegen sich erregt. Wenn Oesterreich nun seine schroffe Zurückhaltung gegen die Ideen des Fortschritts aufgiebt, wenn es gelingt, dies dem deutschen Volk zur Ueberzeugung zu bringen, wenn Preußen gezwungen wird, wahrhaft liberalen Propositionen gegenüber bestimmt Farbe zu bekennen, so bin ich nicht zweifelhaft darüber, daß das Vertrauen des deutschen Volkes der österreichischen Bundesreform die kräftigste Unterstützung gewähren wird, und daß der Kaiser von der Nation als ihr frei erkorener Führer auf den Schild gehoben werden wird.«

Der Hofrath von Biegeleben hatte, während Fröbel sprach, mehrmals langsam den Kopf auf und nieder bewegt; als Jener schwieg, erhob er die rechte Hand in einer geraden Bewegung, welche an den Gestus eines Professors auf dem Katheder erinnerte und sprach:

»Es freut mich sehr, daß wir uns in unseren Grundauffassungen über die Verhältnisse so vollständig begegnen. Um jenes Vertrauen der Nation, das Sie mit Recht als die Bedingung des Gelingens unseres Werkes bezeichnen, sicher und schnell zu gewinnen, dürfen wir als Interpreten unserer Absichten Männer, welche das Vertrauen des Volkes besitzen, und einen der bedeutendsten dieser Männer,« fügte er mit einer steifen Verbeugung hinzu, »habe ich die Ehre, vor mir zu sehen. Ich habe nach den von Ihnen ausgesprochenen Ansichten die Ueberzeugung, daß Sie gern dahin wirken werden, um in der Presse und in den großdeutschen Vereinen unser Werk vorzubereiten. Eine fest organisirte Thätigkeit in dieser Beziehung müßte aber sehr schnell und kräftig in's Werk gesetzt werden, da wir bald mit unserem Plane hervorzutreten beabsichtigen. Ich darf bemerken,« fuhr er fort, »daß die Mittel für eine ausgedehnte Agitation im weitesten Maße zu Gebote stehen werden.«

Julius Fröbel nickte leicht mit dem Kopf.

»Eine solche Agitation,« sagte er, »wird um so weniger Schwierigkeiten haben, als die bereits bestehende Organisation der großdeutschen Vereine uns weit verzweigte Verbindungen in die Hand giebt, nur müßte man genau die Vorschläge kennen, mit welchen Sie hervortreten werden, denn es ist nach meiner Ueberzeugung und Erfahrung die beste und richtigste Taktik für jede Regierung, dasjenige als Postulat der öffentlichen Meinung aufstellen zu lassen, was man durchzuführen beabsichtigt.«

»Ich glaube, daß es keinen Zweifel haben wird,« erwiderte Herr von Biegeleben, »Ihnen alle erforderlichen Mittheilungen zu machen, wobei es natürlich Ihrer Discretion überlassen bleiben müßte, Alles so einzurichten, daß über das Projekt selbst als solches keine vorzeitige Diskussion eröffnet wird.«

Ein scharfer Glockenzug ertönte.

Einige Augenblicke darauf trat ein alter Thürsteher der Staatskanzlei ein und sprach:

»Seine Excellenz lassen die Herren bitten.«

Zugleich öffnete er die dem äußern Eingang des Wartesaals gegenüberliegende Thüre.

Herr von Biegeleben erhob sich.

»Erlauben Sie, daß ich Sie führe,« sagte er zu Herrn Fröbel, schritt demselben voran durch einen zweiten kleineren Salon und trat in das Cabinet des Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten, dasselbe Cabinet, in welchem eine lange Reihe österreichischer Staatsmänner die so wechselnden Geschicke des Kaiserstaates geleitet haben. Dies Cabinet war ein großer Raum, die hohen Fenster durch einfache Vorhänge halb verdeckt, Aktenrepositorien und Bücherschränke an den Wänden; ein großer Schreibtisch in der Mitte des Zimmers; vor demselben saß in einem runden Lehnstuhl der Minister des Aeußern und des kaiserlichen Hauses Graf von Rechberg und Rothenlöwen.

Der Graf war damals ein Mann von siebenundfünfzig Jahren. Seine äußere Erscheinung war fast unscheinbar zu nennen, die Haltung seiner kleinen Gestalt und der Ausdruck seines blassen, kleinen, faltigen Gesichts trugen das Gepräge halb aristokratischer Abgeschlossenheit, halb bureaukratischen Mißtrauens; sein ergrauendes Haar war kurz geschnitten, und seine kleinen scharfen Augen blickten forschend und zugleich abwehrend durch die Gläser einer feinen Brille.

Der Minister erhob sich beim Eintritt der beiden Herren, und vor seinem Schreibtisch stehen bleibend, begrüßte er dieselben mit einer ruhigen, gemessenen Verbeugung.

Auf einen mehr befehlenden als verbindlichen Wink seiner Hand, rückte Herr von Biegeleben Herrn Fröbel einen der neben dem Schreibtisch bereit stehenden Stühle hin; Graf Rechberg setzte sich nieder und die Herren nahmen ihm gegenüber Platz.

»Herr Julius Fröbel,« sagte der Baron von Biegeleben, seinen Begleiter vorstellend, »der mit den Gedanken des kaiserlichen Cabinets über die Neugestaltung der Verhältnisse in Deutschland vollkommen einverstanden und bereit ist, dieselben durch seine Feder und seinen persönlichen Einfluß in den politischen Kreisen Deutschlands zu unterstützen.«

Graf Rechberg neigte ein wenig den Kopf, ohne daß ein Zug seines Gesichts sich veränderte, und sprach mit klarer Stimme jedes Wort deutlich und scharf betonend:

»Ich freue mich, daß unsere Ideen über die Regeneration Deutschlands richtiges Verständniß und Anerkennung bei einem Manne finden, der einst in erster Reihe unter den Gegnern Oesterreichs stand.«

Herr Fröbel hatte den Grafen mit dem tiefen Blick seiner sinnenden Augen betrachtet, eine leichte Verstimmung war auf seinem Gesicht bemerkbar, und mit einer gewissen selbstbewußten Zurückhaltung erwiderte er:

»Ich war der Gegner Oesterreichs, so lange Oesterreich dem naturgemäßen Fortschritt Deutschlands zur autonomen Freiheit sich entgegenstellte und seine ganze Kraft einsetzte, um die deutschen Zustände in einer traurigen und widernatürlichen Stagnation zu erhalten; wenn Oesterreich heute diejenigen Principien, die ich für die richtigen erkannt und denen ich stets treu geblieben bin, durchzuführen unternimmt, so werde ich sein eifrigster und treuester Freund sein.«

Ein höfliches Lächeln wie ein Wintersonnenstrahl spielte um die Lippen des Grafen.

»Herr von Biegeleben hat Ihnen unsere Gedanken über die mögliche Reform der Bundesverfassung mitgetheilt?« fragte er.

»Ich habe Eurer Excellenz nicht vorgreifen wollen,« sagte der Hofrath von Biegeleben sich verbeugend.

Der Minister nahm ein Heft von seinem Schreibtisch, durchblätterte dasselbe flüchtig und sprach dann zu Herrn Fröbel gewendet:

»Es wird mir sehr angenehm sein, wenn Sie die Güte haben wollen, dies Memoire und die Grundzüge des Verfassungsentwurfs genau zu prüfen, und mir Ihre Ansicht über den Inhalt und die Fassung auszuarbeiten. Sie werden noch besser, als wir hier in der Kanzlei, beurtheilen können, was bei dem deutschen Volke auf Zustimmung zu rechnen hat; ich lege einen großen Werth darauf, daß der Eindruck unseres Schrittes, wenn wir handeln, bei der öffentlichen Meinung ein günstiger sei.«

»Ich werde den Entwurf eingehend prüfen und meine Meinung ebenso freimüthig aussprechen, als sorgfältig begründen,« erwiderte Herr Fröbel.

Graf Rechberg zögerte ein wenig, immer die Blätter des Memoires hin und her wendend.

»Die Hauptpunkte,« sagte er, »auf welche ich das Augenmerk gerichtet habe, sind die obere Leitung und die Executive der Bundesangelegenheiten; diese scheinen mir am Besten in die Hände eines Directoriums gelegt zu werden, welches aus Oesterreich, Preußen, Bauern und zwei andern durch Wahl aus den übrigen Souverainen hervorgehenden Gliedern zu bestehen hätte. Ein solches Directorium, das durch Majorität entschiede, würde schneller und leichter zu Entschlüssen gelangen, und dieselben sicherer und kraftvoller zur Ausführung bringen, als die schwerfällige Maschinerie der Bundesversammlung.«

»Ganz sicher,« rief Herr Fröbel, »und ich bin besonders erfreut darüber, daß Eure Excellenz die Absicht haben, Baiern eine eigene Stellung neben den beiden Großmächten zu geben.«

– »Ohne eine solche Stellung würden wir auf die Mitwirkung Baierns nicht rechnen können,« sagte Herr von Biegeleben.

»Und eine solche besondere verbindende und vermittelnde Stellung entspricht vollkommen den thatsächlichen Verhältnissen – die Trias –«

Graf Rechberg zuckte leise zusammen, sein Blick richtete sich scharf und durchdringend auf den Sprechenden.

»Sie halten die Trias-Idee für ausführbar und heilsam?« fragte er.

»Ich halte sie für ausführbar,« erwiderte Herr Fröbel lebhaft, »und für heilsam, heilsam für Deutschland, und ganz besonders nützlich für Oesterreich.«

»Für Oesterreich?« fragte Graf Rechberg.

»Für Oesterreich besonders,« sagte Herr Fröbel, »vorzüglich wenn die Trias, wie das nach Eurer Excellenz Bedeutung vorauszusetzen ist, sich in natürlicher Agglomeration um Baiern gruppirt. Die deutschen Mittelstaaten werden, wenn auch Baiern die Ehrenstelle unter ihnen einnimmt, doch den eigentlichen Kern der Macht in dieser dritten Gruppe bilden, und die Mittelstaaten werden – mehr oder weniger in ihrer souverainen Selbstständigkeit durch Preußen bedroht – stets dem österreichischen Einfluß folgen und etwaige sonderpolitische Neigungen, wenn sie in Baiern auftauchen könnten, paralysiren.«

»Man hat aber an eine andere Trias auf rein militairischer Grundlage gedacht, die sich als unabhängige Macht zwischen die beiden Großmächte stellen sollte. Es sind von Hannover aus Sondirungen vorgenommen.«

»Ich kenne diese Ideen,« sagte Herr Fröbel, »sie sind in sich logisch und hervorgegangen aus dem tiefen Gefühl der Schwäche, welches die Mittelstaaten erfüllt und sie um ihre Existenz besorgt macht, ein Gefühl, das in Hannover durch dessen exponirte Lage zwischen den beiden Hälften der preußischen Monarchie ganz besonders lebendig erhalten wird, indeß diese konnten nur eine Bedeutung haben unter den heutigen Verfassungszuständen des deutschen Bundes; bei einer engeren festeren und leichter beweglichen Organisation desselben würden die jeden Sinn und jede Berechtigung verlieren, außerdem weiß und durch Gespräche, die ich in Hannover selbst mit den einflußreichsten und dem Könige am nächsten stehenden Personen hatte, daß die hannöverschen Sondirungen dem Projecte, einer festgeschlossenen Triasarmee, sehr wenig praktischen Boden geschaffen haben.«

Graf Rechberg schwieg.

»Sie werden also die Güte haben,« sagte er nach einer Pause, »mir Ihre Ansichten und modifizirenden Vorschläge über das Directorium und seine Zusammensetzung auszuarbeiten. Der zweite sehr wesentliche Punkt ist die Volksvertretung am Bunde, das nationale Parlament, welches dem Directorium zur Seite stehen soll.«

Herr Fröbel hörte mit gespannter Aufmerksamkeit.

»Nachdem die constitutionelle Regierungsform in Oesterreich und Preußen, sowie in allen andern deutschen Staaten eingeführt ist – –«

»Außer Mecklenburg und Bückeburg,« sagte Herr Fröbel lächelnd.

– – »so ist es ein innerer Widerspruch,« fuhr Graf Rechberg ohne eine Bewegung seines Gesichts fort, »daß der Deutsche Bund, also die Gesamtheit constitutioneller Staaten eine absolut monarchische Verfassung beibehalte. Sollen seine Maßregeln das Vertrauen des Volkes haben, so müssen sie mitberathen werden von den Vertretern der Nation, deren Mitwirkung zugleich den Fürsten die bedenkliche und gehässige Verantwortung abnimmt.«

Herr von Biegeleben hatte mehrmals zustimmend genickt, während der Minister sprach; forschend blickte er auf Fröbel, der erwartungsvoll zuhörte.

»Ich bin deshalb der Meinung, daß ein Bundesparlament durch Delegirte aus den Volksvertretungen der einzelnen Länder gebildet werde, um nach constitutionellen Grundsätzen an den Bundesbeschlüssen, über die finanziellen und Verkehrsfragen insbesondere, mitzuwirken.«

»Ich stimme der Auffassung Eurer Excellenz vollkommen zu,« rief Herr Fröbel lebhaft. »Nach wahrhaft demokratischen Grundsätzen,« fuhr er fort, »welche meines Erachtens zum Heil der Dynastieen selbst in das monarchische Staatsleben eingeführt werden müssen, sollte ich allerdings directe Wahlen aus dem Volke unmittelbar für das deutsche Parlament wünschen, allein ich muß Eurer Excellenz offen bekennen, daß ich in Amerika von der hohen Bedeutung des Föderalismus für alle Völker germanischer Race mich überzeugt habe, und daß ich gerade ich Deutschland die Aufrechterhaltung der föderalistischen Autonomie der Stämme, auch unter der festen nationalen Einheit für eine Lebensbedingung halte; das föderalistische Princip wird aber nur durch ein Delegirtenparlament gewahrt werden, die besonderen Eigenthümlichkeiten des Stammeslebens werden dadurch zu Ausdruck und Geltung kommen und die Bundesregierung wird von einer zu scharfen Centralisation zurückgehalten werden!«

»Da Sie mit den Hauptgesichtspunkten meines Planes einverstanden sind,« sagte Graf Rechberg, »so werden Sie gewiß in den übrigen Theilen des Entwurfs keine Bedenken finden; ich bitte Sie um eine recht baldige Prüfung und Ausarbeitung Ihrer Kritik.«

Er reichte Herrn Fröbel das Memoire.

»Sie werden die Güte haben,« fuhr er fort, »mit dem Herrn Hofrath von Biegeleben die speciellen Maßregeln zu verabreden, um den Gedanken der Reform in seiner Allgemeinheit und in seinen einzelnen Theilen der öffentlichen Meinung zugänglich zu machen, ohne jedoch über das Project selbst und dessen praktische Verwendung zu sprechen, denn ich halte es für nothwendig, daß dasselbe schnell und unvorbereitet zur Berathung gestellt werde, um feindliche Einflüsse auszuschließen.«

»Ich theile auch diese Ansicht Eurer Excellenz vollkommen,« sagte Herr Fröbel, »damit ist jedoch ein Punkt berührt, über den ich mit eine Aufklärung erbitten möchte, die Frage nämlich, in welcher Form das Reformprojekt zur Berathung und Beschlußfassung gebracht werden solle. Wenn dasselbe auf diplomatischem Wege den Ministerien der Bundesstaaten mitgetheilt wird, so ist kaum ein anderer Erfolg vorauszusehen, als eine unendliche Fluth von Depeschen, Kritiken und Gegenentwürfen und als Endresultat würde die Bundesreform das Schicksal des Thurmes von Babel theilen; träte die Frage aber in Form eines Antrages vor die Bundesversammlung, so wird die Geschäftsbehandlung abermals jedes praktische Resultat unmöglich machen, abgesehen davon, daß jede Verfassungsänderung nach der Bundesacte Stimmeneinheit erfordert. Glauben Eure Excellenz, daß Preußen ein Reformproject annimmt, welches seinen traditionellen Bestrebungen für alle Zeit unüberwindliche Schranken entgegenstellt und Oesterreich im modernen Staatslebens Deutschlands die Kaiserstellung wieder giebt, welche das Haus Habsburg im römischen Reich einnahm und welche es verlor, weil es das nationale Band nicht zu erhalten verstand, das die Theile des Reiches zusammenhalten sollte? Und,« fuhr er fort, »nähme ich selbst an, daß trotz aller Hindernisse, trotz der Schwerfälligkeit der formellen Geschäftsbehandlung ein Bundesbeschluß zu Stande käme, daß man über die Bedingung der Stimmeneinhelligkeit hinwegginge, – wenn nur Preußen die Anerkennung eines solchen Beschlusses verweigerte, halten Eure Excellenz es für möglich, daß man das Berliner Cabinet im Wege der Bundesexecution zur Durchführung der in Frankfurt beschlossenen Bundesreform zwingen könne?«

Graf Rechberg schwieg einen Augenblick. Forschend ruhte das Auge des österreichischen Ministers auf dem Genossen Robert Blums, der da vor ihm saß und der dem deutschen Volke das Ergebniß der politischen Combinationen der Staatskanzlei interpretiren sollte.

»Ich glaube, Excellenz,« sagte Herr von Biegeleben, »daß wir Herrn Fröbel gegenüber, der uns seine freie und überzeugungsvolle Unterstützung gewähren will, vollkommen offen und rückhaltslos sprechen sollten, denn nur dann wird diese Verständigung völlig wirksam werden können.«

Graf Rechberg schwieg noch immer, der alte Diplomat aus der Schule der Staatsmänner, welche die Unnahbarkeit der Cabinette als oberstes Dogma der politischen Hierarchie anerkannt hatten, konnte es nicht so leicht fassen, mit dem Manne der Revolution über die geheimen Pläne der Staatskanzlei zu sprechen.

Nach wenigen Augenblicken aber bewegten sich seine Gesichtszüge wie durch den Impuls eines festen Willens und indem er den Blick kalt und ruhig auf Herrn Fröbel richtete, sprach er:

»Auch meiner Erwägung sind die Gesichtspunkte, welche Sie soeben bezeichnet haben, nicht fremd geblieben, und ich glaube, daß alle Bedenken, welche Sie mit vollem Recht erhoben haben, durch den Gedanken beseitigt werden, welchen ich in Betreff der Durchführung der Verfassungsreform des Deutschen Bundes Seiner Majestät dem Kaiser zu unterbreiten mir erlaubt habe.«

Eine tiefe Stille herrschte einen Augenblick in dem Cabinet. Herr von Biegeleben hatte den Kopf auf die Brust sinken lassen, ohne daß die gerade Haltung seines Oberkörpers sich geändert hatte.

Julius Fröbel beugte sich vorwärts und der brennende Blick seines Auges hing an den Lippen des Ministers.

»Ich habe geglaubt,« sagte Graf Rechberg mit leicht gedämpfter Stimme, als befürchte er, daß diese Mauern, in deren Kreis schon so oft die Geheimnisse der Politik Europa's durch die Luft gezittert hatten, seinen Gedanken einen Weg in die profane Welt da draußen öffnen möchten, »ich habe geglaubt, dem Kaiser empfehlen zu sollen, daß Seine Majestät unmittelbar und persönlich die Fürsten Deutschlands nach Frankfurt zusammen rufen und ihnen als souverainer Präsident des deutschen Bundes seine Vorschläge persönlich mittheilen solle. Aller diplomatische Depeschenwechsel wird unendlich vereinfacht, die Verständigung erleichtert, und vor Allem wird das erreicht werden, daß, wenn die Fürsten selbst einen Beschluß fassen, wenn sie durch ihr persönliches Wort gebunden sind, die Durchführung ihres Beschlusses gegen jeden Widerspruch auf jede Gefahr hin gesichert erscheint.

»Ich glaube,« fuhr er fort, »daß einer Einladung Seiner Majestät des Kaisers jeder Souverain in Deutschland folgen wird, ganz besonders, wenn der Druck der öffentlichen Meinung der kaiserlichen Autorität zur Seite steht.«

Julius Fröbel hatte in immer steigender Erregung den Worten des Ministers zugehört, sein Auge leuchtete in flammender Gluth, seine Lippen zitterten.

Als der Graf geendet hatte, stand er in lebhafter Bewegung auf und rief:

»Eure Excellenz haben allerdings das Mittel gefunden – das einzige Mittel vielleicht – um in großartiger, würdiger und sicherer Weise die Reform des Bundes durchzuführen – die Fürsten selbst unter dem mächtigen Eindruck der kaiserlichen Initiative werden die Vorschläge nicht in kleinlich büreaukratischem Geiste prüfen, – die werden sich in souverainer Selbstständigkeit über die Fesseln der Geschäftsordnung hinwegsetzen und werden im Hauch der nationalen Begeisterung Beschlüsse fassen, zu deren Vorbereitung auf diplomatischem Wege man Jahre gebraucht hätte. Das Volk und seine laute Sympathie wird ihnen zur Seite stehen, sie werden selbst und persönlich auf die politische Bühne treten vor den Augen der ganzen Nation und sie werden der Nation verantwortlich sein für die Durchführung dessen, was sie beschlossen. Dann man Preußen sich entgegenstemmen, so viel es will, die deutschen Fürsten und das deutsche Volk werden die Reform des Bundes durchführen über alle Widersprüche und Hindernisse hinweg, und wenn Preußen sich ausschließen sollte, so wird das eigene Volk dort sich erheben und die antinationale Politik der Regierung zerbrechen unter der Wucht seines Zorns. Ich sehe,« fuhr er begeistert fort, »den alten Glanz Deutschlands sich wieder erheben, und die glänzend wieder erstehende Kaiserherrlichkeit des Hauses Habsburg wird der Lohn sein für sein großherziges Vorgehen!«

Graf Rechberg erhob sich, ein Lächeln stolzer Befriedigung lag auf seinem Gesicht.

»Ich nehme Ihre freudige und begeisterte Aufnahme meiner Gedanken als eine Bürgschaft dafür an, daß das deutsche Volk, mit dessen Denken und Fühlen Sie so genau vertraut sind, auch seinerseits Oesterreich auf dessen neuen Wegen mit Vertrauen und Sympathie entgegen kommen werde und hoffe, bald von Ihnen zu hören – und Sie wieder zu sehen,« fügte er nach kurzem Zögern hinzu.

Herr von Biegeleben und Julius Fröbel verließen das Zimmer.

Graf Rechberg blieb allein.

Er trat an eines der hohen Fenster und folgte nachdenklichen Blickes dem Zuge der Wolken, welche sich gewitterschwer über der Bastei und der Hofburg zusammenballten.

»Schwüle Wetter,« sprach er leise, »liegen über Deutschland, die alten Einrichtungen können nicht bestehen in der heutigen Zeit, der erste Blitzstrahl würde sie zertrümmern. Jener alte Feind Oesterreichs liegt auf der Lauer, um das zu vollenden, was im siebenjährigen Kriege einst begonnen wurde – und dieser Feind ist gefährlicher denn je, denn dieser Ministern, den ich in Frankfurt kennen gelernt in seiner zähen und unbeugsamen Willenskraft, ist ganz der Mann, um über alle Schranken hinweg das Werk des zweiten Friedrich fortzusetzen. Zur Entscheidung muß es kommen zwischen Preußen und Oesterreich – Deutschland hat nicht Raum für Beide – und nicht Abwehr und Vertheidigung kann uns schützen, nur kühner Angriff kann Oesterreich den Sieg bringen und der Augenblick dazu kommt vielleicht nie so günstig wieder als jetzt. So lange hat Preußen sich als den Vertreter liberaler Ideen des Fortschritts hingestellt, heute ist dieser Nimbus gefallen, der innere Conflict zwischen der Regierung und den Abgeordneten hat das preußische Volk und ganz Deutschland gegen die Berliner Regierung erbittert, Oesterreich kann heute die populäre Sympathie mit einem Schlage erringen und für immer seine mächtige Führerschaft in Deutschland wieder aufrichten!«

Stolzer blickte sein Auge, und ein freudiger Schimmer erhellte die Züge seines kalten strengen Gesichts.

»Freilich,« sprach er dann seufzend, »ist es ein bedenkliches Spiel – ein gefährliches Spiel vielleicht, diese Ideen des Fortschritts zu entfesseln, welche man so lange hier zurückgehalten hat und es will mich fast Furcht anwandeln bei der Unterstützung von Männern wie dieser Fröbel, welche einst an der Zertrümmerung und Erniedrigung Oesterreichs arbeiteten! Doch,« rief er, »man muß die Zeit erfassen, wie sie ist und ihre Mächte sich dienstbar machen, – das einzige, alle anderen Rücksichten überragende Ziel ist ja die Wiederaufrichtung der alten mächtigen Herrschaft Oesterreichs – und Oesterreichs Kraft kann nur wieder erstarken, wenn es seine Hand gebietend über Deutschland ausstreckt, dann werden die Mächte Europas wieder in Ehrfurcht vor dem Kaiser sich beugen! O, daß es mir gelingen könnte, heute in kühnem Aufschwung das Unglück Oesterreichs zu rächen, das vor hundert Jahren vollendet wurde, daß der Kaiser, umringt von Deutschlands Fürsten, die Gründungsacte des neuen Deutschlands in die Wagschale werfen könnte, als Gegengewicht gegen jenes unselige Document des Friedens von Hubertusburg.

»Um dies Ziel zu erreichen, muß Alles geschehen,« sagte er mit einem Blick auf die höher hinaufsteigenden Wolken, »und wenn dann die Wetter hinaufziehen, so wird Oesterreich stark genug sein, um ihnen zu trotzen; alle Kräfte müssen entfesselt werden, um den Augenblick zu benutzen, und« rief er, die Hand ausstreckend, indem ein Zug von energischer Entschlossenheit um seinen Mund sich legte, »flectere si nequeo superos, – Acheronta movebo


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