Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Fünftes Capitel.

Kaiser Franz Joseph von Oesterreich saß in seinem Wohn- und Arbeitszimmer im kaiserlichen Schloß von Schönbrunn. Wie Alles in dieser mächtigen, weit und groß angelegten Residenz der großen Maria Theresia Zeugniß ablegte von der Vorliebe der Kaiserin-Königin für gediegene und geschmackvolle fürstliche Pracht, so war auch das Zimmer des Kaisers glänzender ausgestattet als sein Arbeitscabinet in der Hofburg zu Wien.

Die großen Fensterflügel waren weit geöffnet und ließen die Aussicht auf den wunderbar schönen weiten Platz vor der Parkseite des Schlosses frei, an dessen hohen grünen Wänden von gleichmäßig geschnittenen gewaltigen Bäumen die alten mythologischen Marmorstatuen in stiller Ruhe dastehen, während sich im weiten Hintergrunde über der Tritonengrotte auf sanft ansteigender Anhöhe die Gallerie und Kuppel der Gloriette erhebt, von welcher die Kaiserin-Königin hinüberblickte nach dem Stephansthurm, der sich seitwärts aus dem Häusermeer von Wien erhebt.

Ueber die leise sich bewegenden Wipfel der Bäume und über die großen, in den sammetgrünen Rasenflächen sich ausdehnenden Blumenparterres strich der Morgenwind hin und trug den aus kühlen Baumschatten und aus so vielen Blumenkelchen steigenden Duft in das stille kaiserliche Zimmer.

Vor dem mit reichen Vergoldungen verzierten Schreibtisch, auf welchem – in Mappen geordnet, die täglich aus Wien eingehenden Berichte der Minister und Immediatsachen lagen, saß der Kaiser in einem Lehnstuhl, der wie das ganze Ameublement des Zimmers das Gepräge der Zeit Maria Theresia's trug. Das frische blühende Gesicht des Kaisers trug noch den Hauch der Jugend auf seinen Zügen und einen Rest jenes Ausdruck weicher, fast kindlicher Anmuth, der dem Monarchen, als er in so jugendlichem Alter unter so schwierigen Verhältnissen den Thron Rudolphs von Habsburg bestieg, die Sympathie aller Herzen erwarb. Ueber dieser Jugendfrische lag jedoch ein Schleier sinnender Melancholie; das früher so fröhliche Auge blickte tief ernst und der volle Bart gab dem Kaiser etwas männlich Kräftiges, das die Würde der ganzen Erscheinung vermehrt, ohne ihrer liebenswürdigen Anmuth Eintrag zu thun.

Der Kaiser trug nach der Sitte der österreichischen Armee den weiten grauen Militair-Ueberrock und las aufmerksam das damals verbreitetste Wiener Blatt »die Presse«.

Nachdem er lange und mit ernster Aufmerksamkeit den Leitartikel des Journals gelesen, indem er zuweilen wie betroffen von der einen oder der andern Stelle lebhaft mit der Hand auf den Oberschenkel schlug, warf er endlich das Blatt auf den Tisch hin und lehnte sich seufzend in seinen Lehnstuhl zurück.

»Wie schwer ist es doch,« sagte er, den Kopf auf die Brust senkend, »die öffentliche Meinung zu befriedigen, diese gewaltige Macht, welche mit tausend Zungen spricht und deren Worte von einem Ende des Reichs bis zum andern in einem Augenblick gehört werden, und wie traurig ist es, daß diese furchtbare Macht in den Händen von Menschen ist, denen, so gut sie es immer meinen mögen, doch der freie Blick von der Höhe fehlt, um die so schwierigen und verwickelten Verhältnisse der Politik beurtheilen zu können!

»Da verlangt man von mir, daß ich sogleich Rußland den Krieg erklären soll zur Wiederherstellung von Polen –,« er nahm das Blatt wieder in die Hand und warf einen Blick hinein, »denn, sagt man, der bewaffnete Friedensstand koste 123 Millionen und das sei zu viel für papierne Demonstrationen, entweder solle also die Regierung Ernst machen, oder gewärtigen, daß ihr jene 123 Millionen für die Armee nicht wieder bewilligt werden. – Wie denken sich,« rief er, »diese Leute eine militairische Action. Glauben sie, daß Rußland und Oesterreich allein in der Welt wären, oder daß Oesterreich stark genug sei, der ganzen Welt zum Trotz allein einen Krieg zu beginnen? England verhält sich negativ und will aus dem Kreis der papiernen Demonstrationen nicht hinausgehen, Frankreich spielt ein vollkommen unklares Spiel, und da soll ich allein die furchtbaren Wechselfälle eines Krieges heraufbeschwören, während Oesterreich noch an den Wunden des italienischen Feldzuges blutet! – Dieses italienischen Feldzuges,« sagte er mit düsterem Blick, indem er die Lippen zusammenpreßte, »der die eiserne Krone von meinem Haupte riß. Und wenn abermals das Glück sich gegen mich erklärte – das Glück ist mir nicht hold,« sprach er leise mit tief traurigem Lächeln, »und felix Austria ist mein Reich in meiner Hand nicht mehr, – würden die, die jetzt zum Kriege treiben, nicht die Ersten sein, mich zu verurtheilen, daß ich ihrem Rathe gefolgt bin?

»Meine Vorfahren,« fuhr er nach tiefem, schweigendem Nachdenken fort, »haben den Wappenschild von Habsburg mit reichen Kronen geschmückt, sollte ich dazu bestimmt sein, eine dieser Kronen nach der andern zu verlieren?«

Abermals schwieg er lange.

»Ja,« rief er dann, indem ein leuchtender Glanz aus seinem Auge strahlte, »wenn es mir gelingen könnte, jene höchste und herrlichste Krone meinem Hause wieder zu erringen, welche einst im alten Römersaal zu Frankfurt das Haupt meiner kaiserlichen Ahnen schmückte, die weithin schimmernde Krone des neuerstandenen Reiches der deutschen Nation, dann könnte ich verschmerzen, was ich verloren, dann könnte ich mit siegreicher Kraft es wieder gewinnen! Man sagt mir, daß das mein Beruf sei. O, daß man Recht hätte, an Muth soll es mir nicht fehlen, Alles zu unternehmen, um dies Ziel zu erreichen und den alten Glanz meines Hauses wiederherzustellen.«

Sein Auge richtete sich träumerisch über die Bäume des Parks nach der im Sonnenlicht weiß schimmernden Gloriette auf der Höhe hin, dann blickte er lange auf ein schönes Brustbild der Kaiserin Maria Theresia, das an der Wand seinem Schreibtisch gegenüber hing.

»Sie war eine Frau,« sagte er leise, »und ihrer weiblichen Hand gelang es, Oesterreich aus tiefer Noth und Gefahr wieder empor zu heben zu Glanz und Macht, und wenn sie auch Schlesien verlor, so hinterließ sie doch ihrem Nachfolger ihre Krone strahlender und reiner denn je vorher, warum sollte mir nicht gelingen, was zarte Frauenhand vollbringen konnte? Wäre es eine Wahrheit, das bange Gefühl in meiner Brust, das mich so oft beschleicht und mein Herz mit Schauern erfüllt, das Gefühl, das wie eine Ahnung mir sagt, daß ich bestimmt sei, Oesterreich Unglück zu bringen!«

Er stand auf und blickte hinaus in den blühenden Park.

»Sie hatte freilich den großen Kaunitz zur Seite,« sagte er seufzend, »diesen Vorgänger Metternichs, der in seiner Schule gelernt hatte, Oesterreich zu regieren! Ist denn,« rief er schmerzlich, »das Geschlecht der großen Staatsmänner ausgestorben? Ich such nach einem Kaunitz, nach einem Metternich, seit Schwarzenberg dahin ging, aber ich finde sie nicht. Ich achte Rechberg's Charakter, ich muß Schmerlings Intelligenz anerkennen, aber ihr Rath giebt mir nicht die ruhige Sicherheit, auf dem rechten Wege zu sein; Oesterreich schwankt und wankt in unruhiger Bewegung innen und außen, und doch, das fühle ich, ist die Ruhe und Beharrlichkeit unsere Kraft!

»Abermals stehe ich vor großen Fragen, warum fehlt mir der sichere und klare Staatsmann, der mit dem kategorischen Imperativ überzeugungsvoller Wahrheit mich hinweist auf die Bahn, die ich befolgen soll?

»Schmerling,« fuhr er nachdenklich fort, »drängt zu scharfem Vorgehen für Polen, und fast möchte ich glauben, daß die kriegerische Stimmung der Presse von der Inspiration seiner Ideen nicht fern ist. Rechberg warnt vor den Westmächten und vor dem Bruch mit Rußland, in den Gründen von Beiden liegt viel Wahres, wo aber,« rief er, die Hände in einander faltend und den Blick aufwärts richtend, »wo aber liegt die absolute Wahrheit, die ich so gern erkennen möchte, um sie zum Heile Oesterreichs zur That werden zu lassen?

»Und zu allen diesen Schwierigkeiten tritt noch die mexikanische Krone, welche die Hand Napoleons meinem Bruder anbietet.

»Es liegt in mir wie eine Mahnung, ihn abzuhalten von dem abenteuerlichen Zug in das ferne Land, in welchem dieser französische Imperator ihm eine glänzende Mission zeigt – hat er mir nicht auch in Villafranca schimmernde Bilder der Zukunft gezeigt, zu deren Verwirklichung er niemals ernsthaft die Hand bieten will?

»Doch der hochstrebend ehrgeizige Sinn meines Bruders ist geblendet von jener großen Mission und sehnt sich danach, seine Kräfte an derselben zu messen; ist es nicht besser, daß er auf dieser Bahn sich versucht, als daß er hier eingeschlossen bleibt in die Grenzen einer Stellung, für die er zu groß – oder die für ihn zu klein ist, ein fortwährendes Ziel für die Blicke aller Derjenigen, die mit meiner Regierung unzufrieden sind?«

Der Kammerdiener meldete:

»Seine kaiserliche Hoheit der Kronprinz.«

Das Gesicht des Kaisers, eben noch so trübe und sorgenvoll, überzog sich mit einem heitern Lächeln, Glück und Freude strahlten aus seinen Augen.

Rasch trat er der Thüre entgegen, durch welche der fünfjährige Kronprinz Rudolph – ein schöner blonder Knabe in einem Sommeranzug von weißem Piqué mit blauen Schleifen hereinsprang. Der Prinz hatte einen kleinen zierlichen Säbel umgegürtet und hielt in der Hand ein ebenso kleines sauber gearbeitetes Gewehr.

Hinter dem Kronprinzen erschien seine Aja, die Baronin von Welden, in einfacher Morgentoilette und blieb in ehrerbietiger Verneigung gegen den Kaiser in der Nähe der Thüre stehn.

Der Prinz eilte seinem Vater entgegen, küßte ihm die Hand und rief mit seiner hellen Kinderstimme:

»Guten Morgen, kaiserlichen Majestät – guten Morgen, mein lieber, lieber Papa.«

Der Kaiser nahm das Kind in seine Arme, hob es empor und küßte es mit inniger Zärtlichkeit, wobei der kleine Prinz sorgfältig sein Gewehr festhielt.

»Guten Morgen, Baronin Welden,« sagte Franz Josef, nachdem er seinen Sohn wieder auf die Erde niedergesetzt hatte, trat der Dame entgegen und reichte ihr mit freundlichem Gruß die Hand.

»Sie wollen mit dem Prinzen in den Garten?« fragte er, »die freie Luft von Schönbrunn thut ihm wohl.«

»Zu Befehl, kaiserliche Majestät,« erwiderte die Aja, »der Prinz treibt schon sehr früh zum Hinausgehn, er ist kaum im Zimmer zu halten.«

»O Papa,« rief der Kronprinz, »es ist so schön in meinem kleinen Garten, ich lerne jetzt das Exerciren, der große Hauptmann von der Arcièrengarde lehrt es mich, ich kann es schon ganz gut.«

Zwei Schritte von dem Kaiser zurücktretend machte er mit seinem kleinen Gewehr einige Griffe und präsentirte dann vor seinem Vater.

»Vortrefflich, vortrefflich,« rief der Kaiser mit glücklichem Blick auf das Kind, indem er die Hand salutirend an die Stirn legte.

»Aber Papa, kaiserlich Majestät,« fragte der Prinz mit ernste Wichtigkeit, »jetzt da ich exerciren kann, bitte ich auch um eine Uniform, ich habe doch das Recht dazu, da ich Oberst bin –«

Der Kaiser lachte.

»Wir werden sehen,« sagte er, »zunächst mußt Du erst ganz gut reiten lernen, aber,« fuhr er fort, indem er sich herabbeugte und dem Prinzen die Hand auf die Schulter legte – »weißt Du denn auch, wo Du Oberst bist?«

»Oberst-Inhaber des Infanterie Regiments Nr. 19.« rief der Knabe, das Gewehr anziehend und die Hand zum Salut erhebend.

Der Kaiser küßte ihn auf die Stirn.

Dann drehte er ihn gegen die Wand, deutete auf das Bild, das dort hing und fragte:

»Weißt Du auch, wer das ist?«

Der Kronprinz blickte einige Augenblicke zu dem Bilde auf, dann sagte er ernst:

»Das ist die große Kaiserin Maria Theresia; sie sieht zwar ein wenig anders hier aus als auf dem andern Bilde, das man mir gezeigt, aber ich kenne sie doch – an den großen Augen, – sie ist schön,« – sprach er weiter, immer das Bild anschauend, »– ich habe noch ein Bild gesehn, das so schöne Kaiseraugen hat, das ist Rudolph von Habsburg –«

»Unser Stammvater,« sagte der Kaiser, »dessen Namen Du trägst und dem ähnlich zu werden, Du Dir viel Mühe geben mußt –«

»O, das will ich thun, Papa,« rief der Prinz mit leuchtendem Blick, indem er sich, so hoch er konnte, aufrichtete, »Rudolph von Habsburg haben die Fürsten bedient und der Kurfürst von Brandenburg hat ihm das Waschbecken gehalten,« sagte er ganz stolz über seine Kenntniß; dann blickte er nachdenklich zu seinem Vater empor und sagte: »Warum ist das nicht mehr so, warum hält Dir der Kurfürst von Brandenburg nicht mehr das Waschbecken?«

Der Kaiser wurde ernst, er blickte trübe vor sich nieder.

»Die Zeiten ändern sich, mein Sohn,« sagte er, »was früher Sitte war, ist es heute nicht mehr –«

»O,« rief der kleine Prinz, indem er sein Gewehr auf den Boden stieß, »es soll wieder Sitte werden, ich bin auch ein Rudolph von Habsburg und wenn ich einmal Kaiser bin, dann sollen mich die Fürsten bedienen und der Kurfürst von Brandenburg soll mit das Wachbecken halten!«

»Geh jetzt, mein Sohn,« sagte der Kaiser, indem er die Hand auf das blondgelockte Haar des Knaben legte, »geh jetzt und lerne fleißig exerciren, dann lerne alle Deine Lectionen sehr gewissenhaft und eifrig, damit Du einst dem großen Rudolph nachstreben kannst.«

Der Prinz küßte die Hand seines Vaters und sprang zur Thür hinaus, die Aja verneigte sich tief vor dem Kaiser und wollte ihrem Zögling folgen.

»Frau Baronin von Welden,« sagte der Kaiser mit freundlichem Ernst, »ich bitte Sie, streng darüber zu wachen, daß der Prinz ähnliche Aeußerungen, wie ich sie so eben von ihm gehört, niemals in Gegenwart fremder Personen mache.«

Höflich grüßend entließ er die Dame.

»Der Kurfürst von Brandenburg soll ihm das Waschbecken halten,« sagte er dumpf, als er allein war. »Kindlicher Traum von alter Kaiserherrlichkeit! Aber,« rief er laut, »muß dieser Traum nicht das Herz jedes Habsburgers erfüllen, in kindlichem Spiel als Knabe, in ernstem Ringen und Streben als Mann?«

»Wohlan, was ich dazu thun kann, dem kleinen Rudolph von Habsburg einst des großen Ahnherrn Macht und Glanz als Erbe zu hinterlassen, das soll geschehen!«

Er warf einen Blick auf eine Rococostutzuhr auf seinem Schreibtisch.

»Es ist Zeit,« rief er, »die Minister dürfen nicht warten.«

Er bewegte eine kleine goldene Handglocke, der Kammerdiener nahm ihm den bequemen weiten Ueberrock ab und reichte ihm die graue Generaluniform, die der Kaiser rasch anzog und um seine schlanke Gestalt zuknöpfte. Dann schnallte er den Säbel an, ergriff das Käppi und durch die von dem Kammerdiener geöffnete Thür trat der dienstthuende Flügeladjutant, Major Graf Fünfkirchen, in dienstlicher Haltung die Befehle des Kaisers erwartend.

»Zur Hofburg,« sagte Franz Josef, stieg die Treppe hinab und setzte sich in den einfachen zweispännigen Wagen, der schon am großen Ausgang hielt.

Graf Fünfkirchen folgte ihm, der Jäger mit dem hochwehenden Federbusch sprang auf den Bock und an den präsentirenden Wachen vorbei, zwischen den Obelisken am äußern Thor, die noch die französischen Adler Napoleons I. tragen, hindurch, rollte der leichte Wagen im schnellsten Trabe der Stadt zu.

In das Vorzimmer vor dem kaiserlichen Cabinet, vor dessen Thür der dienstthuende Arcièrengardist auf- und niederging, trat ein ziemlich großer, kräftig gebauter, aber nicht starker Mann, ein, der seinem Aussehn nach etwa fünf und fünfzig bis sechzig Jahre als sein mochte.

Ein voller, blonder, ergrauender Backenbart umrahmte das große und starke Gesicht. Unter dem leicht grauen, an den Schläfen vorgekämmten Haar wölbte sich eine hohe aber nicht sehr breite Stirn, die Augen blickten streng und fest gerade aus, starke Falten lagen zwischen den etwas zusammengezogenen Brauen. Die starke Nase sprang weit hervor, die großen vollen Lippen waren fest geschlossen und von den Nasenflügeln und den Mundwinkeln herab liefen tief eingegrabene Züge zum stark vorspringenden und leicht gespaltenen Kinn herunter, dessen kräftige Wölbung aus der hohen weißen Kravatte hervortrat.

Dies ganze stark markirte und außergewöhnliche Gesicht drückte in seinem unteren Theil energische Willenskraft, Selbstbewußtsein, fast Trotz aus, ohne daß jedoch von der Stirn herab und aus den Augen das klare Licht des Genius leuchtete, dem Willen und der Kraft den Weg erhellend.

Dieser Mann, der da im kleinen Interimsfrack der Minister, den großen Stern des Leopoldsordens auf der Brust, in das kaiserliche Vorzimmer trat, war der Geheime Rath und Staatsminister, Ritter Anton von Schmerling, der neueste Arzt, den der Kaiser Franz Josef, der Stimme der öffentlichen Meinung folgend, zur Heilung der kranken Austria berufen hatte, und der nun die Schäden des Reiches durch die constitutionelle Centralisation zu bessern versuchte, welche er an die Stelle des früheren absolutistischen Einheitsstaates setzen wollte.

Herr von Schmerling grüßte den Arcièrengardisten höflich, wechselte einige flüchtige Worte mit ihm und setzte sich dann an einen Tisch in der Nähe des Fensters, einige Papiere aus seiner Mappe hervorziehend und aufmerksam betrachtend.

Er mochte etwa eine Viertelstunde im Vorzimmer gewesen sein, als der Flügeladjutant Graf Fünfkirchen eintrat.

»Ist Seine Majestät angekommen?« fragte der Minister, den höflichen Gruß des Grafen artig erwidernd.

»Seine kaiserliche Majestät sind so eben in Ihr Cabinet getreten und haben mir befohlen, Eure Excellenz sogleich einzuführen – Seine Majestät haben dabei die Hoffnung ausgesprochen, daß Eure Excellenz noch nicht lange gewartet hätten.«

»Ich bin so eben gekommen,« sagte der Minister, während ein freundlicher Schimmer auf seinem ernsten Gesicht den angenehmen Eindruck bekundete, den die rücksichtsvolle kaiserliche Höflichkeit auf ihn gemacht.

Graf Fünfkirchen trat nach einem kurzen Schlag an die Thür in das Cabinet des Kaisers und führte unmittelbar darauf den Staatsminister von Schmerling ein.

Der Kaiser begrüßte denselben mit ausgesuchter Artigkeit, ohne daß jedoch die souveraine Würde, welche ihm, wenn er wollte, so sehr zu Gebote stand, einen Augenblick der liebenswürdig freundlichen Herzlichkeit gewichen wäre, welche er im Verkehr mit seinen Vertrauten zeigte.

Herr von Schmerling nahm dem Schreibtisch des Kaisers gegenüber Platz und stellte seine Mappe neben sich auf den Boden.

Der Kaiser erwartete schweigend den Vortrag des Ministers.

Derselbe sprach, auf einen Bericht blickend, den er aus seinen Papieren nahm, mit einer klaren und festen Stimme:

»Ich habe Eurer Majestät zu meinem Bedauern von einer gewissen Schwierigkeit zu berichten, die sich in Siebenbürgen zeigt.«

Der Kaiser hörte gespannt zu und beugte sich über den Tisch nach Herrn von Schmerling hinüber.

»Wie Eurer Majestät bekannt,« fuhr Herr von Schmerling fort, »theilt sich die Bevölkerung Siebenbürgens in Magyaren und Sachsen in getrennten Gebieten, und in Rumänen, welche unter den Sachsen wohnen. Um bei den Reichstagswahlen, bei welchen ich sehr wesentlich auf die Siebenbürgischen Wahlresultate rechnete, den Erfolg zu sichern, habe ich Eure Majestät gebeten, allen denen, welche acht Gulden Steuer zahlen, das Wahlrecht zu geben und es ist diese Bestimmung zum Gesetz erhoben. Dadurch wurden die Rumänen, meist arme Leute, wahlberechtigt und sie mußten nach aller Voraussicht mit den Sachsen stimmen –«

»Der Bischof Schaguna hatte das bestimmt in Aussicht gestellt,« fiel der Kaiser ein.

»Leider, kaiserliche Majestät,« sagte Herr von Schmerling, »scheint der griechische Bischof Schaguna anderen Sinnes geworden, oder von anderen Einflüssen umgarnt worden zu sein, denn plötzlich macht sich unter den Rumänen eine Bewegung bemerkbar, welch die bisherigen Erwartungen zweifelhaft werden läßt.«

»Wie das?« fragte der Kaiser.

»Die Rumänen treten mit der Forderung hervor, ein Stück von Siebenbürgen, das von ihnen vorzugsweise bewohnt wird, herauszuschneiden und ihnen eine selbstständige Stellung und Verwaltung zu geben, – die Magyaren haben sich in einer, von ihrem Standpunkt aus ganz richtigen Taktik, beeilt, diese Forderung der Rumänen zu unterstützen und so ist zu besorgen, daß bei den Wahlen durch die Verbindung der Rumänen und Magyaren sich eine Majorität gegen die Sachsen bildet.«

Der Kaiser schlug lebhaft mit der Hand auf den Oberschenkel.

»Wieder ein Stein, der in dem Gebäude wankt,« rief er, »wird denn Oesterreich niemals zur Ruhe und zum Abschluß seines Verfassungslebens kommen?«

»Ich zweifle daran nicht, Majestät,« sagte Herr von Schmerling mit ruhigem Lächeln, »nie läßt sich ein Gebäude aus so verschiedenartigen Bausteinen ohne Schwierigkeiten aufführen, man muß beobachten und nachhelfen wo es nöthig ist.«

»Aber der Bischof Schaguna,« rief der Kaiser, »hat so oft seine Ergebenheit versichert; wie ist es möglich, daß er jetzt im Moment der Entscheidung abfällt und Forderungen unterstützt, von denen früher nicht die Rede war?«

»Gerade die Haltung des Bischofs Schaguna, Majestät,« sagte Herr von Schmerling, »giebt dieser Sache eine über die augenblicklich entstehende Verlegenheit hinausgehende Bedeutung. Ich glaube, hier ein in die Erscheinung tretendes Kennzeichen jener Propaganda zu sehen, welche sich überall in den Bevölkerungen der slavischen Nationalität und insbesondere des griechischen Ritus zeigt, und welche von St. Petersburg aus geleitet wird.«

Der Kaiser ließ schweigend den Kopf auf die Brust sinken.

»Es ist nicht zu verkennen, daß das russische Cabinet mit großer Geschicklichkeit und mit vorsichtigster Vermeidung alles compromittirenden Hervortretens dennoch alle Fäden der panslavistischen Bewegung in den Händen hält und leitet und daß dabei wesentlich der griechische Clerus thätig ist.

»Die Verlegenheit in Siebenbürgen, welche uns in diesem Augenblick berichtet wird, ist ein solcher und zwar sehr feindseliger Schachzug gegen uns, denn man weiß in Petersburg jedenfalls sehr gut, daß wir auf die Siebenbürgischen Wahlen für den Reichsrath gerechnet haben.«

»Wir sind feindlich gegen Rußland in der polnischen Frage aufgetreten,« sagte der Kaiser, »man rächt sich in St. Petersburg.«

Herr von Schmerling blickte erstaunt auf.

»Und was denken Sie, daß geschehen muß?« fragte der Kaiser wie mechanisch, während sein gedankenvoll vor sich hin gerichteter Blick einem inneren Ideengange zu folgen schien.

»Vorläufig die Wahlen zu vertagen und eine Transaction zu versuchen,« sagte Herr von Schmerling, »man muß versuchen auf die Rumänen und auf Schaguna einzuwirken; durch die Behörden und geschickte Agenten wird das möglich sein. Vielleicht wird es zweckmäßig sein, den Bischof zu veranlassen, daß er selbst hierher komme –«

»Versprechen Sie sich einen Erfolg davon?« fragte der Kaiser.

»Die Rumänen sind jedem Einfluß leicht zugänglich,« erwiderte Herr von Schmerling, »und wenn es gelingt, den Bischof zu gewinnen oder von weiteren Agitationen abzuhalten –«

»Das Letztere dürfte nicht leicht sein, wenn, wie Sie voraussetzen, russische Einflüsse bei ihm mächtig sind –«

»Damit, Majestät, komme ich auf die wichtige politische Seite dieses siebenbürgischen Incidenzfalles, der in seiner localen Beziehung nur eine untergeordnete jedenfalls vorübergehende Bedeutung haben würde. Eure Majestät haben vorhin selbst die Gnade gehabt, zu bemerken, daß man sich in St. Petersburg dafür rächen wolle, daß Oesterreich in der polnischen Frage feindlich gegen Rußland aufgetreten sei –«

»So sind Sie der Meinung, daß man sich von den Westmächten zurückziehen und sich Rußland nähern sollte?« fragte der Kaiser rasch.

»Das nicht, kaiserliche Majestät,« erwiderte Herr von Schmerling betroffen, »ich möchte im Gegentheil der Ansicht sein, fester und energischer als bisher mit den Westmächten voranzugehn und dem russischen Cabinet definitiv und bestimmt zu zeigen, daß Oesterreich gesonnen sei, jede feindliche Agitation zurückzuweisen, noch besser derselben für immer unwiderstehliche Schranken entgegen zu stellen.«

Der Kaiser sann einen Augenblick nach.

»Die Westmächte,« sagte er dann, »sind aber selbst nicht fest entschlossen, etwas Ernstes zu thun; sie benutzen die polnische Frage, um Rußland Verlegenheiten zu bereiten, vielleicht um sich selbst einige Sympathieen zu verschaffen, aber sie werden schwerlich zu positiver Action vorgehen wollen. – England wenigstens hält sich trotz aller Depeschen voll tönender Worte sehr vorsichtig zurück und Frankreich –

»Jedenfalls,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »ist es für jene Mächte unendlich leichter, ihre Sympathieen für Polen zu manifestiren, als für Oesterreich, das die unter Umständen sehr gefährliche Nachbarschaft Rußlands in unmittelbarer Nähe hat.«

»Ich weiß sehr wohl, kaiserliche Majestät,« sagte Herr von Schmerling mit ein wenig schärferer Betonung, »daß Graf Rechberg diese Ansichten hat, indeß vermag ich dieselben nicht zu theilen.

»Frankreich,« fuhr er fort, »zögert, weil es Englands, besonders aber, weil es Oesterreichs nicht vollkommen sicher ist, Napoleon aber steht zu der polnischen Frage ein wenig wie zu der italienischen – er hat gewisse persönliche Verpflichtungen, die ihn drücken und die ihm vielleicht persönliche Gefahren bringen können; er will aber, und das ist erklärlich und begreiflich, sich nicht in eine ernste Action engagiren, ohne einer nachhaltigen Allianz sicher zu sein. So lange er dieselbe nicht hat, hält er sich die Verständigung mit Rußland offen, seine natürliche Allianz ist Oesterreich, aber, verzeihen Eure Majestät, wir können Frankreich seine Vorsicht und Zurückhaltung nicht vorwerfen, so lange vorsichtige Zurückhaltung die Politik Oesterreichs bestimmt.«

»Kann man Napoleon III. trauen?« fragte der Kaiser.

»Gewiß da,« erwiderte Herr von Schmerling, »wo sein Interesse so laut und kategorisch spricht als in diesem Falle. Wo fände Frankreich eine so natürliche, so sichere und so vortheilhafte Allianz als diejenige mit Oesterreich?« fuhr er lebhaft fort, »und wo fände Oesterreich eine bessere Stütze als in Frankreich? Es ist nicht meine Idee, die ich ausspreche, Majestät, sondern die des großen Kaunitz. Daß die französische Revolution die Früchte jener Idee nicht reifen ließ, ist kein Fehler des Gedankens selbst.


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