Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Zehntes Capitel.

Die alte Krönungs- und Kaiserstadt Frankfurt war in lebhafter Bewegung. Wie ein Blitz war in das ruhige Sommerleben der Frankfurter die Nachricht hineingefahren, daß der Kaiser von Oesterreich die deutschen Fürsten allesammt zu einem großen Congreß in die Stadt geladen, in welcher so viele seiner Vorfahren sich mit der kaiserlichen Krone des deutschen Reichs geschmückt hatten und auf dem Balcon des Römers vom jubelnden Volke begrüßt waren.

Wie längst verklungene Sagen waren die Erinnerungen an die alte Kaiserherrlichkeit begraben gewesen im Schooße der Zeiten, wohl kannte jeder Frankfurter die Legende von den vergangenen großen Tagen, aber das waren eben vergangene Dinge, auf die man stolz war, deren Denkmäler man den Fremden zeigte, die aber doch mit dem Leben und den Interessen von heute Nichts mehr zu thun hatten.

Nun aber wurden sie plötzlich wie durch das erweckende Zauberwort einer wunderthätigen Fee lebendig, jene alten Bilder der Vergangenheit. Wieder sollt der Kaiser in Glanz und Herrlichkeit einziehen in die Thore von Frankfurt, wieder sollten ihn in schimmerndem Kreise die Fürsten von Deutschland umgeben, der alte Römer sollte seinen Staub abschütteln, er sollte nicht mehr eine merkwürdige Reliquie sein, welche neugierige Reisende mit philosophischen Bemerkungen über die Vergänglichkeit irdischer Größe besuchten; nein, er sollte von Neuem erglänzen im flimmernden Kerzenlicht, erfüllt vom Duft der Speisen und edlen Rebengewächse, und um den Kaiser versammelt sollten alle die großen und kleinen Souveraine der deutschen Nation sich in dem althistorischen Raume vereinen zum prächtigen Mahle.

Die Frankfurter alle glaubten zu träumen bei dieser Nachricht, welche die ganze Stadt in eine dumpfe Gährung versetzte.

Es war in den ersten Tagen weniger die politische Bedeutung dieser Fürsten-Zusammenkunft, welche die Gemüther bewegte. Wohl suchten die Großdeutschen die österreichische »Kaiserthat« als die Wiedergeburt Deutschlands zu nie geahnter Macht und Größe darzustellen, wohl äußerten die Anhänger des Nationalvereins ihre bitteren Zweifel am Erfolge einer Vereinigung der Fürsten ohne Zuziehung der Vertreter des Volkes; wohl schüttelten viele der ruhigen alten Bürger von Frankfurt den Kopf über diesen Fürstentag, der den Schützen-, Sänger- und Turnertagen folgte, das Alles aber bewegte sehr wenig die große Mehrheit der Bewohner der alten Krönungsstadt. Sie belebte die Neugier, die glänzenden Bilder, von denen sie aus der Väter Tagen so viel hatten erzählen hören, nun mit eigenen Augen zu sehen und all die fürstliche Herrlichkeit auf einem Punkte vereint zu erschauen, welche sonst ihren Glanz auf so viele Höfe vertheilte.

Und in diesem Sinne hatte auch der Senat der Freien Stadt die Botschaft des Kaisers erfaßt und den Bürgern mitgetheilt. Aus den Maueranschlägen, welche er überall anheften ließ, sprach keine politische Tendenz, keine Beziehung auf die Reformideen, der Senat rief in den Bürgern nur den Geist der großen Vergangenheit der Stadt wach, und den Stolz, daß diese Vergangenheit sich neu beleben solle, er sprach die Erwartung aus, daß die Stadt Frankfurt wie in alter Zeit in würdiger Gastfreundschaft den Kaiser und die deutschen Fürsten empfangen werde.

Und großartig waren die Vorbereitungen zu diesem Empfange. Die Einundfünfziger des Bürgerausschusses hatten dem Senat unbedingten Credit bewilligt zum festlichen Empfang der Fürsten, und wunderbar war, was man sich erzählte von den Vorbereitungen um Römer, von den Decorationen des Saales und dem Tafelschmuck, von den mächtigen Küchen im Souterrain, in denen die Gebrüder Drexel aus dem Hôtel de Russie ihr Generalstabsquartier nahmen und in denen an gewaltigem Spieß das historische Ochsenviertel an einem Feuer von ganzen Scheiten Buchenholz sich drehen sollte. Im Hofe des Bundespalais in der Eschenheimer Gasse, in welchem der Kaiser von Oesterreich seine Residenz aufschlagen sollte, standen in 120 Kisten und Koffern verpackt die Geräthschaften des kaiserlichen Haus- und Hofhaltes und fast mit Befremden sah man auf diesem Palais, der Residenz der Bundes-Versammlung, deren Beschlüsse einst die deutsche Bewegung verfehmten, die schwarz-roth-goldene Fahne langsam am Flaggenstocke des Portals emporsteigen und weithin im Hauche des Windes sich entrollen.

So stieg das Hochgefühl des patriotischen Stolzes immer höher im Herzen der Frankfurter, immer mehr vergaß man die staatsrechtlichen Fragen und Schwierigkeiten der Reform, man sah nur das große historische Ereigniß der persönlichen Vereinigung der Fürsten, und man begeisterte sich an diesem Ereigniß, man erfüllte sich immer mehr mit dem Vertrauen, daß die Zusammenkunft der Souveraine, welche zum ersten Male unter der schwarz-roth-goldenen Fahne tagen sollten, Deutschland Heil bringen würde.

So kam der Tag heran, an welchem der Kaiser kommen sollte. Schon hatten in den letzten Tagen die Fürsten ihre Vorbereitungen treffen lassen, um in der Freien Reichsstadt würdig und großartig zu erscheinen.

Die Equipagen und Pferde waren angekommen, die Wohnungen in den Hôtels oder den Privathäusern prachtvoll eingerichtet, man hatte so viel gehört und wieder gehört von all' den außergewöhnlichen und wundervollen Dingen, daß man immer gespannter wurde die Könige und Fürsten nun endlich selbst einziehen zu sehen.

Schon am frühen Morgen, – um 6 Uhr war bereits der Herzog von Coburg angekommen, den die Frankfurter vom Schützenfest her kannten und der von den Sachsenhäusern lebhaft begrüßt wurde, – schmückten sich zunächst die Hôtels mit Wappen und Fahnen, die Gesandtschaften und Consulate zogen ihre Fahnen auf, die Bürger folgten und bald prangten alle Straßen, durch welche der Kaiser und die Fürsten vom Bahnhofe zu ihren Wohnungen fahren sollten, im prachtvollsten Schmuck von Fahnen, Blumen und Teppichen.

Die Menge, die auf den Straßen umherwogte, wurde immer dichter und nach dem Main-Neckarbahnhofe zu, auf welchem der Kaiser ankommen sollte, auf der Promenade entlang bis zum Taunusthor war die Menschenmasse fast undurchdringlich.

Die ganze Stadt war in einer fast fieberhaften Bewegung und was von ihren Bewohnern nicht auf den Straßen sich befand, das schien an den dichtbesetzten Fenstern das seltene Schauspiel zu erwarten, in welchem die allerdurchlauchtigsten Fürsten von Deutschland die handelnden Personen sein sollten.

Auch in dem Hause des Herrn Jakob Sebastian Partner an der Zeil war die gewöhnliche Ruhe des täglichen Lebens unterbrochen. Die Bureaus waren geschlossen und die Commis entlassen, um den Einzug des Kaisers und der Fürsten ansehen zu können.

Aus dem mittleren Fenster des Hauses wehte eine große Fahne in den Frankfurter Stadtfarben, dies war der einzige Schmuck, durch welchen der alte, feste Bürger der freien Stadt seine Theilnahme an dem Besuche der erlauchten Gäste zeigte, weder schwarz-roth-goldene Fahnen noch Blumen zierten sein Haus; er hielt eben auch im Aeußeren fest an dem Grundsatz, der Bürger soll zu seiner Stadt halten und sich nicht hineinziehen lassen in die großen Kämpfe der Politik der Fürsten.

An den Fenstern des Wohnzimmers sah man die Frau Partner mit ihrer Tochter und ihrer Nichte, einige Bekannte des Hauses, ältere Damen und junge Mädchen waren gekommen, um von diesen so bequem gelegenen Fenstern aus das Treiben auf den Straßen anzusehen, auch Herr Guenther war da und stand hinter Emma, welche bleich und schweigend dasaß, gleichgültig auf die Straße hinschauend und hin und wieder mit stummem Kopfnicken oder einem einsilbigen Wort die Bemerkung beantwortend, welche Herr Guenther mit gleichmäßig höflichem Lächeln an sie richtete.

Fräulein Bertha versuchte durch einen etwas gezwungenen Humor die gedrückte Stimmung, welche an diesem Fenster herrschte, ein wenig zu beleben, allein es gelang ihr nur wenig und ihr lachender Blick verschleierte sich oft trübe, wenn er sich auf das bleiche, traurige Gesicht ihrer Cousine richtete.

Der alte Herr Partner aber stand, während so bewegtes Leben die Stadt durchrauschte, einsam und allein in einem Zimmer des zweiten Stockwerks, vor dem Pulte am Fenster. Keinen Blick warf er hinab nach dem Treiben da unten auf er Straße, starr und brennend ruhte sein Auge auf der aufgeschlagenen Seite eines großen Buches, das ihm eine lange Folge untereinander stehender Zahlenreihen zeigte.

Das sonst so sichere, feste und selbstbewußte Gesicht zeigte einen diesen Zügen fremden Ausdruck hastiger Unruhe, er bewegte zitternd die Lippen, während sein Blick wieder und immer wieder die Zahlenreihen überflog.

»Es ist ein unerwarteter und schwerer Schlag,« sagte er endlich, tief aufseufzend, indem er von dem Pulte zurücktrat und mit großen Schritten im Zimmer auf- und niederging, »ein unerwarteter und schwerer Schlag, die Zahlungseinstellung dieses Hauses Pierson und Coombe in London; es ist das erste Mal, daß mich eine solche Calamität trifft, und mit Schaudern denke ich daran, daß die Firma Jacob Sebastian Partner in Verlegenheiten kommen soll. Doch bin ich nicht unvorsichtig gewesen, dieses Londoner Haus war so gut und sicher, wie nur eins der Welt es sein konnte, die amerikanischen Verhältnisse, der Bürgerkrieg haben es in seine Verlegenheiten gestürzt, ich bin auch überzeugt, daß es die Krisis überstehen wird, ich kann es nicht zum Concurse drängen, denn damit ist Nichts erreicht, ich verliere Alles vielleicht, während ich wahrscheinlich Alles retten kann, wenn ich ihm Frist gewähre! Aber,« sagte er wieder, vor sein Buch hintretend, indem er mit den Fingern in zitternder Unruhe auf dem Randes des Pultes trommelte, »aber meine eigenen Verpflichtungen – die einzige Unvorsichtigkeit, die ich mir vorwerfen kann, liegt vielleicht darin, daß ich zu ausgedehnt mich mit diesem einen Londoner Hause eingelassen habe, daß ich mich von ihm abhängig machte und meine Fonds zu sehr dorthin engagirte, so daß mir keine Mittel disponibel bleiben, um meine Verpflichtungen am Schlusse des Monats zu erfüllen.«

Er ergriff eine Feder und fuhr, fortwährend die Lippen bewegend, über die Zahlenreihen auf beiden Seiten des aufgeschlagenen Buches.

Einzelne Schweißtropfen perlten an der Wurzel seiner Haare. Die Adern seiner Stirn schwollen an, seine Lippen bebten.

»Da steht es,« sagte er mit dumpfer Stimme, »da steht es vor mir mit der unerbittlichen Logik der Zahlen, daß der alte Jacob Sebastian Partner, dessen Wort und Unterschrift an allen Börsen baares Geld ist, daß er seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann, daß die Firma zusammenbrechen muß, die ich rein und unbefleckt von meinem Vater überkommen habe! Und vielleicht,« fuhr er die Lippen zusammenpressend fort, »handelt es sich nur um eine kurze Spanne Zeit, um eine flüchtige Frist, die das Londoner Haus bedarf, um die augenblickliche Krisis zu überwinden.«

Er ging wieder im Zimmer auf und nieder.

»Der größte Wechsel,« sagte er, »den ich zu zahlen habe, ist in den Händen von Herrmann Böhmer hier, ein gutes Haus, der Mann ist ein guter Bekannter von mir seit Jahren; es ist bitter und hart für meinen Stolz,« rief er, mit dem Fuß auf die Erde stampfend, »eine Frist nachzusuchen, aber gerade diesem Manne und diesem Hause gegenüber kann ich es am leichtesten, er ist brav und verschwiegen, ein guter Frankfurter Bürger und sein Geschäft wird ihm erlauben, die Frist zu gewähren, seine Zahlungen fallen, so viel mir bekannt, auf spätere Termine. Ich werde ihm die die Lage der Verhältnisse mittheilen, das Haus Pierson und Coombe hat mir mit ehrenhafter Offenheit seine Bücher extrahirt, er wird sich überzeugen, daß es auch sein Vortheil ist, jenem Hause und mir Zeit zu gewähren und selbst, wenn das Londoner Haus wirklich fällt, ich kann mich halten und den Verlust verschmerzen, wenn ich nur vier Wochen Zeit habe. Ja, ja,« sagte er, die Hände auf dem Rücken kreuzend und in tiefem Sinnen das Haupt auf die Brust senkend, »der Schritt, so schwer und demüthigend er ist, muß gethan werden, ich muß Sicherheit haben, daß ich in Ruhe die Ultimoregulirung erwarten kann, oder ich muß versuchen, andere Wege einzuschlagen, um mich zu retten. Morgen sogleich will ich den schweren Gang thun.«

Er ging wieder auf und nieder und blieb vor dem Bilde seiner Schwester stehen, das vor dem Sopha hing.

Lange betrachtete er dies Bild, eine ungewöhnliche Weichheit schimmerte aus seinem Blick.

»Du arme Schwester,« sagte er mit leiser Stimme, »Du hast mich oft getröstet in den kleinen Kümmernissen der Kinderzeit, die mir doch damals so ernst und schwer erschienen, Du hast mir Muth eingesprochen und mir zur Seite gestanden in treuer Freundschaft; ich bin hart gegen Dich gewesen, ich habe mich von Dir gewendet, weil Dein Herz Dich hinriß, den Besitz und den fest begründeten Bürgerstand zu verlassen und Deiner Liebe zu folgen zu einem jener Menschen, die den Luftgebilden der Phantasie ihre Kraft widmen. Mir hat oft das Herz weh gethan, aber ich habe mein Gefühl geopfert dem Grundsatz, den ich für recht und wahr hielt. Will das Schicksal mich strafen und mir die Grundlage des festen Besitzes zerstören, auf die ich so stolz war?«

Lange stand er abermals schweigend vor dem Bilde.

»Nein, nein,« rief er dann, »es wird, es muß Alles gut werden, es ist eine vorübergehende Calamität, und im schlimmsten Falle wird die Welt sich überzeugen, daß ich rechtlich und vorsichtig gehandelt habe. Mein Stolz freilich muß sich beugen, das thut mir weh, sehr weh!«

Er ließ sich langsam in einen der lederüberzogenen Lehnstühle sinken und blickte finster zur Erde.

Die Thür öffnete sich, – der alte Diener des Hauses trat ein. Herr Partner richtete sich langsam auf und blickte ihn fragend an.

»Herr Herrmann Böhmer ist draußen und wünscht den Herrn Partner zu sprechen.«

Der alte Herr zuckte zusammen. Eine fahle Blässe erschien plötzlich auf seinem sonst so gesund gerötheten Gesicht, angstvoll blickte sein Auge empor.

Dann erhob er sich schnell gefaßt, durch eine kräftige Willensanstrengung nahmen seine Züge ihren gewöhnlichen Ausdruck wieder an und in ruhigem Tone sprach er:

»Es wird mir angenehm sein, Herrn Böhmer zu empfangen.« Der alte Diener verschwand.

»Was heißt das?« murmelte er, »gerade heute – in diesem Augenblick – was kann – –«

Er trat einige Schritte zur Thüre und reichte in würdevoller Höflichkeit dem eintretenden Besuche die Hand.

Herr Böhmer ergriff diese Hand mit abgemessener Verbeugung und setzte sich dann dem alten Herrn gegenüber in den tiefen Lehnstuhl. Er war ein langer hagerer Mann von etwa funfzig Jahren, – das dünne ergraute Haar bedeckte nur spärlich die Schläfe, das Gesicht war trocken, scharf und spitz, die kleinen Augen blickten klar, ernst und kalt gerade aus, – die Haltung der ganzen schwarz gekleideten Gestalt war steif und fast starr.

»Ich fürchtete schon,« sagte er mit einer trockenen, klaren Stimme, »Sie nicht zu Hause zu treffen, da Alles ausgezogen ist, um den Kaiser zu sehn – und ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie gerade heute aufsuche, – aber eine Sache, von der ich es für meine Pflicht hielt, Sie sogleich zu unterrichten ––«

»Ich bitte,« sagte Herr Partner höflich, indem sein Blick forschend auf seinem Gaste ruhte – »Ihr Besuch ist mir jederzeit angenehm und wie Sie sehen,« fuhr er mit leicht sarkastischem Lächeln fort, – »bin ich nicht mit ausgezogen, um mich auf den Straßen drücken zu lassen für den Anblick eines kaiserlichen Einzugs, – ich bin der Meinung, daß die Bürger der Freien Stadt keinen Grund haben zu allzugroßer Begeisterung für diese Fürstenvereinigung. Was die hohen Herren berathen werden, wird schwerlich großen Einfluß haben auf das Wohl unserer Stadt und darum läßt mich die ganze Sache sehr kalt. Ich habe dafür gestimmt, dem Senate unbedingten Credit für einen würdigen Empfang zu geben, – denn ein solcher ziemt sich für die freie Reichsstadt den Fürsten – unsern Verbündeten gegenüber« – sagte er stolz, – im Uebrigen aber halte ich es für sehr bedenklich, demonstrativ Partei zu nehmen in dem Streit, der Deutschland theilt und in welchem in letzter Instanz doch die Macht von Preußen und Oesterreich sich gegenüber steht.«

Er öffnete langsam seine Dose und hielt sie seinem Gaste hin, der mit leichter Verneigung eine Prise nahm. »Ganz meine Meinung, – ganz meine Meinung, mein lieber Herr Partner,« sagte Herr Böhmer vorsichtig den Tabak einsaugend, – »auch ich kann nicht begreifen, wohin das führen soll, daß wir uns für die sogenannte Bundesreform echauffiren – und das gerade in einer Zeit, in welcher der bürgerliche Geschäftsmann wahrlich seine ganze Kaltblütigkeit und Ueberlegung nöthig hat, um allen Widerwärtigkeiten zu begegnen, welche die amerikanischen Wirren uns bereiten. Ich selbst bin von diesen Widerwärtigkeiten unangenehm betroffen, und es ist gerade deshalb, daß ich Sie aufsuche.«

Herr Partner verneigte sich und verhüllte den unruhigen Blick seines Auges unter den herabsinkenden Lidern.

»Sie wissen,« fuhr Herr Böhmer fort, »daß in meinen Händen ein zum Monatsschluß fälliger Wechsel auf Ihr Haus sich befindet.«

Herr Partner neigte den Kopf zum Zeichen, daß ihm die Verbindlichkeiten seines Hauses sehr wohl bekannt seien.

»Obgleich eigentlich keine Verpflichtung dazu besteht,« fuhr Herr Böhmer fort, »so haben Sie doch nach den bisherigen Geschäftsgewohnheiten Grund und Berechtigung anzunehmen, daß dieser Wechsel in meinen Händen bleiben würde.«

Herr Partner neigte abermals den Kopf – seine Lippen zitterten fast unmerklich.

»Ich halte mich daher für verpflichtet, Ihnen mitzutheilen,« sprach Herr Böhmer weiter, – »daß ich den Wechsel begeben habe.«

Fast gewaltsam hielt Herr Partner die Augen auf den Boden geheftet, um Nichts von dem Ausdruck seiner Blicke gewahren zu lassen.

»Sie haben ihn in Cours gesetzt?« fragte er in ruhigem Tone. –

»Das nicht eigentlich,« sagte Herr Böhmer, – »ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, – wozu unter alten Geschäftsfreunden ein Hehl daraus machen? – daß einige nicht eingegangene Forderungen mich in Verlegenheit setzten, – ich bedurfte baares Geld und da sich mir die Gelegenheit bot, – Herr Menzel – Menzel und Bendemann – wünschte ein festes Papier auf den Monatsschluß zu erwerben, so habe ich den Wechsel begeben.« –

»An Menzel und Bendemann?« fragte Herr Partner schnell mit bebender Stimme, indem wie unwillkürlich sein Auge sich mit angstvoll erregtem Blick aufschlug.

»Ja,« sagte Herr Böhmer, und sah scharf und forschend in das erregte Gesicht des alten Herrn, – »ich bin überzeugt, daß Ihnen das in keiner Weise unangenehm ist, und nur weil ich bisher in unserem Geschäftsverkehr die Wechsel niemals aus den Händen gab, habe ich mich für verpflichtet gehalten –«

Herr Partner hatte seine Fassung wieder gefunden, nur die Spitzen seiner Finger zitterten leicht.

»Ich bitte Sie, lieber Herr Böhmer,« sagte er mit leichter Verneigung – »kein Wort weiter, – es ist ja,« fuhr er lächelnd fort, – »für mich ganz gleich ob meine Kasse am Monatsschluß die Zahlung an die ihrige oder an diejenige des Herrn Menzel leistet, – Ich danke Ihnen für die freundliche Rücksicht, daß Sie mich benachrichtigt haben.« – – Herr Böhmer stand auf.

»Ich habe gehört,« sagte er, »daß Sie in nähere Verbindung mit Herrn Guenther treten werden?« –

»Herr Guenther scheint eine solche zu wünschen,« antwortete der alte Herr, – » und ich meinerseits bin nicht abgeneigt –«

»Ein vortrefflicher Mann,« sagte Herr Böhmer, mehreremale mit dem Kopfe nickend, »ein solides Haus, – ich würde Ihnen Glück wünschen können, mein werther Freund – bald darf man ja wohl sagen Herr Senator?«

»Ich wünsche und erwarte keine äußere Ehre,« erwiderte Herr Partner ruhig, – »das Bewußtsein, nach meinen geringen Kräften für das Wohl meiner Vaterstadt und ihrer Bürger zu arbeiten, genügt mir.«

»Doch die äußere Anerkennung wird nicht fehlen, – und was ich dazu thun kann, davon dürfen Sie überzeugt sein, wird geschehen.«

Er schüttelte die Hand des alten Herrn, der ihn nach der Thür hin geleitete und verließ das Zimmer.

»Es ist nicht Alles richtig mit ihm,« flüsterte er die Treppe hinabsteigend, – »es ist Etwas an der anonymen Warnung, die mir gestern zugegangen, – er war stark in London engagirt, – hm hm, – es würde mir leid thun, – es war ein gutes und solides Haus, – immerhin bin ich froh, den Wechsel begeben zu haben, – zwar wundert es mich, daß der sonst so vorsichtige Menzel, – – – doch das ist seine Sache, – ich bin in Sicherheit.«

Er trat auf die Straße und schritt durch die dichten Menschenmassen über die Zeil dahin.

Kaum war Herr Partner in seinem Zimmer allein, so brach seine mühsam bewahrte Fassung zusammen.

Zitternd, – erschöpft, mit hochathmender Brust sank er in seinen Lehnstuhl zusammen, matt ließ er die gefalteten Hände in seinen Schooß sinken.

»So ist denn auch die Hoffnung mir genommen, – das Schicksal kommt meinem Schritt zuvor, – dieser Böhmer, bei dem ich Hülfe zu finden hoffte durch Zeitgewinn, hat meinen Wechsel begeben. –– Und an Menzel und Bendemann,« sagte er tonlos, – »Menzel ist einer der thätigsten Agitatoren des großdeutschen Vereins, – er ist mein Todfeind, – bei ihm ist keine Hülfe zu finden, keine Frist zu erreichen, – er wird mit triumphirender Freude meine Noth begrüßen.«

Er sprang auf und trat wieder vor sein Buch. Wieder durchlief er – mit brennendem Blick der Federspitze folgend, die Zahlenreihen.

»Wenn ich für die kleineren Posten Frist gewinnen könnte,« sprach er endlich, – »so könnte ich mir auch helfen, – aber,« rief er die Feder heftig niederwerfend, – »soll ich meine Lage so vielen Fremden mittheilen, – das wäre schon dem Bankerott gleich. – Einem alten Geschäftsfreund hätte ich mich eröffnen können, – aber so – nein, nein – es geht nicht.

»Wie aber,« fuhr er fort, – »wie kommt gerade Menzel dazu in diesem Augenblick einen Wechsel von mir zu kaufen? – Nachdem gerade vor Kurzem von Neuem die dringende Aufforderung an mich herangetreten ist, mich an der großdeutschen Bewegung zu betheiligen? – Was heißt das, – sollte hier ein anderer Grund vorliegen – sollte –«

Er ging in finsterem Nachdenken auf und nieder.

»Wenn das wäre,« sprach er dumpf, »wenn hier ein böser Plan vorhanden wäre, – wenn meine Feinde eine Ahnung hätten von den peinlich gespannten Verhältnissen, in denen ich mich befinde, – dann wäre keine Rettung!«

»Guenther,« sprach er nach längerem Schweigen, – »sein Haus ist vortrefflich rangirt, – er kann von den auswärtigen Krisen nicht berührt werden, so viel ich weiß, – er könnte mir helfen, – – aber – aber – welche Demüthigung.«

Eine unruhige Bewegung der Menschenmassen machte sich von unten herauf vernehmbar, – verworrene Stimmen drangen herauf, – es schien, daß diese ganze Menschenmenge in rascher Bewegung fortdrängte, laute Rufe tönten aus der Ferne herüber.

»Da stürmen sie hin,« sagte der alte Herr bitter, »um die Fürsten zu begrüßen, die daher kommen zu einer Berathung, deren Resultat keines Menschen, keiner Familie, keines Hauses Wohl fördern wird, – sie enthusiasmiren sich für ein politisches Schattenbild, das vor ihnen hergaukelt, und für das Unglück eines Bürgers, der sein ganzes Leben in fester Arbeit den wirklich nützlichen und praktischen Dingen gewidmet hat, würden sie alle nur Hohn und Spott, höchstens ein Lächeln kalten Mitleids haben. –

»So ist die Welt,« sagte er achselzuckend. – »Ich war stolz bisher, allein zu stehn und Niemand zu bedürfen, – wenn das Unglück an uns herantritt, thut es weh allein zu stehn, – und ich bin allein selbst in meinem Hause, – ich habe sie alle meinem Herzen fern gehalten, die mir zunächst stehen in der Welt, – jetzt stehe ich in trauriger Einsamkeit da – allein mit dem Unglück, das mir naht.«

»Doch,« rief er sich stolz aufrichtend, »noch habe ich die Kraft und den Muth dem Unglück zu trotzen, – noch habe ich Zeit – und die Zeit ist viel, wenn man sie mit festem Willen benutzt, – ich will wenigstens Alles thun um dem Schlag zu begegnen, der mir droht – ich werde dem englischen Hause schreiben, daß es Alles aufbieten möge, um einen Theil der Verpflichtungen zu erfüllen, – ich werde ein Inventar alles Besitzthümer aufstellen, die ich im Nothfalle realisiren kann, – mein Haus –«

Er seufzte tief auf.

»Mein Haus, – das Haus meiner Vorfahren,« sprach er mit weichem Ton. –

»Doch,« rief er dann, »was bedeutet das Haus, wenn es sich um den Namen, um die Ehre handelt.«

Festen Schrittes trat er zu seinem Pult, – schloß das große Buch und legte es bei Seite.

Dann ergriff er einen Bogen Papier und begann mit klarem Blick und ruhiger sicherer Hand zu schreiben.


Ende des ersten Bandes.


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