Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Durch die geöffnete Thür trat ein schlanker Mann von etwa fünf und dreißig Jahren in das Cabinet,. er trug einen eleganten schwarzen Morgenanzug, sein bleiches Gesicht war von aristokratischem Schnitt, ein kleiner Schnurrbart bedeckte die leicht aufgeworfene Oberlippe und die dunkeln, schwarzen Augen blickten voll Feuer und Intelligenz umher. Der Eintretende verneigte sich in den Formen der besten Gesellschaft vor dem Minister, trat zu dem selben heran und überreichte ihm ein versiegeltes Papier. Lord Palmerston öffnete dasselbe schnell und ließ den Blick über die wenigen Zeilen hinfliegen, die es enthielt.

»Sie kommen aus Warschau,« fragte er, indem er dem Fremden einen Sessel neben dem Schreibtisch bezeichnete und sich setzte.

»Der Führer des polnischen Aufstandes,« erwiderte dieser, indem er den Platz dem Lord gegenüber einnahm, »haben mich hierher gesendet, um Eurer Lordschaft zunächst zu danken, für die große Theilnahme, die Sie bisher unsrer Sache zugewendet haben und zugleich die Bitte auszusprechen, daß diese Theilnahme sich nunmehr in entscheidenden Schritten bei dem Petersburger Cabinet bethätigen möge. Der Aufstand ist fest organisirt, an allen Punkten wird die russische Macht durch den kleinen Krieg in Schach gehalten, und wir haben die Nachricht empfangen, daß auch in der Ukraine unter einzelnen Kosackenstämmen der Aufstand gegen die russische Herrschaft beginnt. Es ist jetzt der Augenblick gekommen, in welchem ein festes und entschiedenes Eingreifen der europäischen Mächte einen gewaltigen Eindruck auf das Cabinet von St. Petersburg machen muß; – die russische Regierung wird gezwungen werden in nächster Zeit, mit der Anspannung aller ihrer Kräfte, an der Niederwerfung Polens zu arbeiten und,« sprach er mit einem tiefen Seufzer, »es ist allerdings kein Zweifel, daß wir endlich, trotz der tapfersten Gegenwehr vernichtet werden müssen, wenn Rußland die Freiheit gelassen wird, seine ganze Uebermacht schrankenlos gegen uns zu gebrauchen. Ein wirklich ernstes Wort der Großmächte wird dies verhindern; wenn Rußland fürchten muß bei jedem weiteren Schritt, den es gegen uns thut, zugleich die Flotten Englands und die Armeen Frankreichs sich gegenüber zu sehen, so wird es entweder sogleich zu einer Anerkennung unserer Rechte gedrängt werden, oder doch jedenfalls sich gezwungen sehen, den Kampf gegen uns nur mit äußerster Vorsicht führen, um nach andern Seiten hin seine Kräfte für mögliche Conflikte frei zu halten.« –

Er schwieg einen Augenblick.

»Ich komme jetzt von Paris,« sprach er weiter, als Lord Palmerston nichts erwiderte und nur fortfuhr ihn mit dem Ausdruck höflichster Aufmerksamkeit anzusehen, »ich komme von Paris, und habe dort sowohl in der öffentlichen Meinung als in den höchsten Kreisen des Kaiserreichs eine unendlich warme und lebendige Sympathie für unsere Sache gefunden, – die Regierung selbst aber zögert, und der Kaiser, obgleich er ebenfalls die lebhafteste Theilnahme für unsre Sache empfindet und ausspricht, glaubt nicht handeln zu können, wenn er nicht der rücksichtslosen Mitwirkung Englands vollkommen sicher ist. Von Eurer Lordschaft also,« fuhr der Pole mit lebhafter, bewegter Stimme fort, »hängt jetzt das Schicksal meines Vaterlandes ab, von Ihren Lippen kann das Wort unserer Wiedergeburt ertönen. Geben Sie dem Kaiser Napoleon die Versicherung Ihres ernsten Willens, mit ihm gemeinschaftlich, fest und entschieden gegen Rußland vorgehen zu wollen, so wird er nicht länger zögern können, selbst wenn er es wollte, und das Petersburger Cabinet wird hinter den einzelnen Streifcorps der polnischen Insurrektion die geschlossene Phalanx der beiden ersten Mächte Europa's erblicken.«

Lord Palmerston hatte dem Sprechenden ruhig und unbeweglich zugehört, kein Zug seines Gesichts veränderte sich und mit klarem Blick, dessen fast gleichgültige Ruhe eben so sehr geeignet war die inneren Gedanken des Ministern zu verhüllen, als es die geschlossenen Augenlider hätten thun können, erwiderte er:

»Ich habe vom ersten Auftauchen der polnischen Bewegung an derselben die größte Theilnahme zugewendet, und meiner Einwirkung ist es, wie Sie wissen, vorzugsweise gelungen, das gleichmäßige Vorgehen Frankreichs, Oesterreichs und Englands für Ihre Sache zu bewirken. Sie müssen anerkennen, daß ich als Minister Englands dazu am wenigsten politische Veranlassung und vertragsmäßiges Recht hatte. Ein Wiedererstehen des Königreichs Polen würde für England kaum ein fester und wirksamer Alliirter sein können; die Lage, so wie die Geschichte Polens weist auf enge Verbindung mit Frankreich hin und Frankreich würde das Land sein, welches den wesentlichsten politischen Nutzen aus der Wiederherstellung Polens ziehen müßte. Wenn ich mit besonderer Wärme für die Sache Ihres unglücklichen Vaterlandes eingetreten bin, so habe ich mehr im Interesse der Humanität gehandelt, als daß ich bestimmte politische Zwecke Englands verfolgt hätte. – Ich habe Recht daran gethan, denn es ist die Sache des freien englischen Volkes, überall den unterdrückten, nach Freiheit ringenden Völkern freundlich die Hand zu reichen – indessen Sie werden begreifen, daß ich ohne ganz bestimmte, materielle Interessen meines Landes zu verfolgen, England nicht anders als mit der vollkommenen Sicherheit mächtiger Alliancen in einen ernsten Krieg verwickeln darf, und daß außerdem ein solcher Krieg auch nicht ohne eine vertragsmäßige und völkerrechtliche Berechtigung heraufbeschworen werden darf. Es ist nun ganz unzweifelhaft, daß die eigentliche, unmittelbare Berechtigung zur Einmischung in die polnischen Angelegenheiten unter den drei cooperirenden Mächten ausschließlich Oesterreich zusteht, welches bei der Theilung Polens mitgewirkt hat und welches einen bedeutenden Antheil polnischen Gebiets unter seiner Herrschaft hält. Die Dings stehen nun augenblicklich so, daß jedes weitere scharfe Vorgehen in St. Petersburg fast unmittelbar den Krieg zur Folge haben müßte. Was den Kaiser Napoleon betrifft, so hätte ich das vollkommene Recht, die Anschauung, die Sie mir als bei ihm vorhanden bezeichnet haben, vielmehr als die Meinige in Anspruch zu nehmen. Kann ich energisch vorgehen, ohne daß ich seiner consequenten und rücksichtslosen Unterstützung vollkommen sicher bin? – Und habe ich diese Sicherheit? Sie werden selbst den unsicher schwankenden Charakter des Kaisers kennen, Sie werden wissen, wie leicht und oft seine Ideen abspringen, abseits von dem Wege, den er zu verfolgen scheint, Sie werden selbst wissen, wie unergründlich tiefe Abgründe sich im Innern dieser merkwürdigen Natur verbergen und so möchte es mir vielleicht mehr anstehen, die kräftige Initiative von ihm zu erwarten, um demnächst gegen jede Isolirung gesichert zu sein, in welcher ich der englischen Politik nur Verlegenheit bereiten, Ihrer Sache aber keinen ernsten Vortheil bringen könnte. – Doch davon abgesehen,« fuhr er fort, »der wichtigste Faktor bei einem ernsten Vorgehen bleibt Oesterreich, das vertragsmäßig befugt ist, wie man ja auch in Petersburg selbst anerkennt, über die polnische Frage zu sprechen und das auf der andern Seite durch seine geographische Lage allein im Stande ist, wirksam und unmittelbar in die Ereignisse einzugreifen. Was können England und Frankreich thun –,« sagte er mit leichtem Achselzucken, »– Flotten an die russischen Küsten schicken, –Armeen dort ausschiffen? – das Alles erfordert viel Zeit und kann nur dann von ernster Wirkung sein, wenn zu gleicher Zeit im Herzen der Bewegung selbst eine feste Macht Rußland gegenübertritt. Wenn nun aber die Haltung des Kaisers Napoleon eine unsichere und schwankende ist, so ist diejenige Oesterreichs geradezu zweideutig; die österreichische Regierung hat mit uns gemeinschaftlich Noten in St. Petersburg übergeben; – was können diese Noten helfen, so lange Galizien nicht der polnischen Nation wiedergegeben wird, so lange man dort die Bewegung niederhält und fesselt, so lange man die, über die Grenzen kommenden Polen in die Festungen einschließt? – Von Galizien aus muß die wahre, nachhaltige Kraft des polnischen Aufstandes kommen, und so lange Oesterreich diese zweifelhafte, doppelseitige Haltung beobachtet, ist es für England und Frankreich beinahe unmöglich wirksam einzugreifen.«

»Aber,« fiel der Abgesandte der polnischen National-Regierung ein, welcher mit dem Ausdruck mühsam unterdrückter Ungeduld den Ausführungen des Lords zugehört hatte, »aber wenn Frankreich und England ernstlich vorgehen und eine bestimmte Aufforderung zum ernsten Anschluß an ihre Aktion nach Wien gelangen lassen –«

»Das wird sehr wenig Erfolg haben,« fiel Lord Palmerston ein, »ähnliche Schritte, die ja doch immer nur in der höflichsten Form geschehen können, sind bereits gethan worden, ohne daß es gelungen ist, das österreichische Cabinet aus seiner schwankenden und etwas zweideutigen Haltung herauszudrängen.«

»– Aber was könnte man denn zur Förderung der Sache thun?« fragte der polnische Emissär. »Eure Lordschaft werden mir zugeben müssen, daß die Sache, so wie sie jetzt liegt, nicht liegen bleiben darf. Es wäre dann in der That besser gewesen,« fuhr er mit ernstem Tone fort, indem er das blitzende Auge scharf auf den Minister richtete, »es wäre dann in der That besser gewesen, die Frage jetzt nicht angerührt zu haben, als nach so viel vergossenem Blut Polen von Neuem durch die russische Uebermacht niedertreten zu lassen.«

Lord Palmerston blickte nachdenkend vor sich hin. »Was zu thun ist,« sagte er dann, »muß in diesem Augenblick von Ihrer Seite geschehen. Sie, mein Herr, sind in Paris gewesen und jetzt zu mir gekommen, gehen Sie nach Wien, oder senden Sie Jemand Anders aus Ihrer Mitte dorthin, der mit den Verhältnissen und den geheimen, bewegenden Triebfedern dort genau bekannt ist, – denn gerade diese geheimen Triebfedern spielen in Wien eine große und entscheidende Rolle – und suchen Sie die österreichische Regierung, insbesondre den ritterlichen Sinn des Kaisers, das Gefühl der Kaiserin für die polnische Sache zu erwärmen. Noch besser aber,« fuhr er fort, indem er mit einem leichten Blinzeln der Augenlider zu seinem Besuch hinüberblickte, »noch besser, geben Sie den Dingen eine Wendung, welche das österreichische Cabinet zwingt, offen und klar Stellung zu nehmen und Farbe zu bekennen.«

»Und wodurch könnte das geschehen,« fragte der Pole mit gespannter Aufmerksamkeit.

»Wenn,« sprach Lord Palmerston in etwas leiserem Ton, aber jedes Wort scharf und klar hervorhebend, »wenn die Bewegung in Galizien selbst sich mit nachhaltiger Kraft und Energie erhebt, wenn man von dort aus die Unterstützung Polens in Rußland verlangt und thatsächlich organisirt, wenn es möglich ist, den leitenden Sitz der National-Regierung nach Galizien zu verlegen, dann würde man in Wien sehr bald gezwungen sein, eine ganz klare und unzweideutige Stellung einzunehmen; man müßte entweder sich vor den Augen von ganz Europa zum Schergen Rußlands machen und dazu wird der ritterliche Sinn des Kaisers niemals seine Zustimmung geben, oder man würde zum offenen und unwiderruflichen Bruch mit Rußland gedrängt, die feste und energische Aktion würde dann von selbst kommen und – ich wiederhole es Ihnen, mein Herr, – die bestimmte und entschiedene Initiative Oesterreichs wird die unbedingte Unterstützung Englands und dann, wie ich glaube versichern zu können, auch Frankreichs finden. Der Schwerpunkt Ihrer Thätigkeit also liegt in diesem Augenblick in Wien und in Galizien und je schneller Sie dort handeln, um so größere Dienste werden Sie der Sache Ihres Landes leisten.«

Der Pole erhob sich.

»Eure Lordschaft haben vollkommen Recht,« rief er, indem ein freudiger und hoffnungsreicher Ausdruck auf seinen vorhin so traurig ängstlichen Gesichtszügen erschien, »ich eile, Ihren Rath zu befolgen; ich hoffe, daß Sie in kurzer Zeit den thatsächlichen Beweis unserer eifrigen Bemühungen sehen werden.«

»Seien Sie meiner innigsten Theilnahme für Ihre Sache versichert«, sagte Lord Palmerston, indem er dem Fremden voll warmer Herzlichkeit die Hand reichte. Dieser verließ ganz glücklich, strahlend von Hoffnung und froher Zuversicht das Cabinet des Ministers. Lord Palmerston blickte ihm lange mit dem Ausdruck einer gewissen wehmüthigen Theilnahme nach.

»Wie werden Nichts erreichen, diese armen Schwärmer,« sagte er, »der Ausgang dieser Revolution wird derselbe sein, wie derjenige aller früheren Erhebungen, da wird viel Blut vergebens vergossen, fast könnte man traurig werden beim Anblick so heldenmüthiger, unnützer Aufopferung, aber die Verschwörungen und Kämpfe bilden ja eine Lebensbedingung dieser eigenthümlichen Race der Polen; aufhören wird das nicht, so lange noch ein Rest dieses Volkes besteht. Da ist es denn doch ein Gebot der politischen Klugheit, dieses unvertilgbare Element der Unruhe so zu benutzen, daß es ein Faktor wird, durch welchen man den Gegnern schadet und Gefahr drohende Combinationen unmöglich macht; jener unergründliche Träumer an der Seine fühlt sich belästigt durch die englische Allianz, die wie eine Kette an seinen Fuß gelegt ist, welche er nach sich ziehen muß auf seinen dunkeln und verborgenen Wegen. Er möchte sich mit Rußland über den Orient verständigen; nun,« fuhr er lächelnd fort, »das ist jetzt für lange Zeit verhindert; diese polnische Frage, von welcher er sich den Gefühlen des französischen Volkes gegenüber nicht vollständig lossagen kann, hat eine Kluft gegraben zwischen ihm und dem Cabinet von St. Petersburg, welche so leicht nicht auszufüllen sein wird.«

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begann aufmerksam, die Depeschen zu lesen, welche in geordneter Reihenfolge dort ausgebreitet waren. –

»Die Gesandten von Wien und Berlin,« sagte er nach einiger Zeit sich in seinem Sessel zurücklehnend, »hegen Besorgnisse wegen der Fürstenconferenz in Frankfurt – dieses wunderbaren Werks österreichischer Staatsklugheit,« fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu – –

»– Sie glauben, daß eine gewaltige und mächtige Einigung Deutschlands aus dieser persönlichen Berathung der Fürsten hervorgehen könne, denen das deutsche Volk eine große Sympathie entgegenträgt – sie stehen eben unter dem Eindruck der in Deutschland in diesem Augenblick hochgeschraubten öffentlichen Stimmung.

»Da wird die Idee angeregt,« sagte er, flüchtig auf einen der vor ihm liegenden Berichte blickend, »hinzuweisen auf die europäische Garantie der Bundesverfassung und eine vorläufige Verwahrung einzulegen gegen jede Aenderung derselben! –Wie thöricht wäre es in diesem Augenblick die Finger in die Deutschen Angelegenheiten zu stecken und für einen Vertrag einzutreten, der in Deutschland selbst so äußerst unpopulär ist und der im Grunde genommen für die übrigen Mächte Europas in seiner passiven Defensivkraft zuweilen schon ein lästiges Hinderniß gebildet hat. – Von Paris aus scheint man Aeußerungen in diesem Sinne gemacht zu haben; – gut,« fuhr er fort, sich die Hände reibend, »das wird die Animosität zwischen Deutschland und Frankreich vermehren. England hat wahrlich keinen Grund, sich für die Bundesverträge auch nur formell zu interessiren, nachdem es ruhig zugesehen hat wie so viele andere Bestimmungen der Wiener Congreßakte aus dem europäischen Völkerrecht verschwunden sind.« –

»Eine größere Einigung Deutschlands befürchten sie – ganz das Gegentheil wird eintreten, der scharfe Antagonismus zwischen Preußen und Oesterreich wird durch diesen bestimmten Anlauf des Wiener Hofs zur Erreichung der Suprematie in Deutschland noch mehr geschärft werden und alle diese Fürsten, welche sich heute mit so großer étalage von Pracht und Prunk um den Kaiser von Oesterreich versammeln, werden sich in weiser Vorsicht zurückziehen, wenn der König von Preußen fortfährt, sich der ganzen Sache fern zu halten, wie er es thun muß, wenn er nicht mit der ganzen geschichtlichen Entwicklung seines Staates in Widerspruch gerathen will. Die Uneinigkeit in Deutschland wird sich vergrößern und selbst die passive Kraft dieser Bundes-Institution wird zerbröckeln, in diesen Prozeß aber einzugreifen, liegt wahrlich nicht in Englands Interesse; – er mag sich ruhig vollziehen, je mehr die Andern sich untereinander streiten, um so mächtiger sind wir.« –

Der Huissier trat ein und überreichte dem Minister eine Karte.

»Le Commandeur de Klindworth,« las der Lord, ein Lächeln flog über seine Züge und schnell aufstehend sagte er: »Führen Sie den Herrn herein.«

Durch die geöffnete Thür trat ein Mann, hoch in den sechsziger Jahren; die nicht große kräftige und untersetzte Gestalt war eingehüllt in einen langen und weiten, fast bis zum Kinn herauf zugeknöpften Ueberrock. Aus dem weißen Halstuch erhob sich ein kurz auf den Schultern sitzender, beinahe eckig geformter Kopf mit kurzen, grauen Haaren, das auffallend häßliche Gesicht mit lang überhängender, fleischiger Nase und großem breiten Mund trug den Ausdruck einer hohen Intelligenz und aus den grauen, scharf beobachtenden Augen blitzte ein noch jugendliches Feuer und ein kritisch sarkastischer Geist; die sehr großen, abstehenden Ohren gaben der ganzen Erscheinung dieses merkwürdigen Kopfes ein noch eigenthümlicheres Aussehen.

»Wie geht's, mein teurer Mr. Klindworth?« sagte Lord Palmerston dem eintretenden freundlich die Hand reichend, welche dieser mit einer Mischung von Vertraulichkeit und ehrerbietiger Bescheidenheit ergriff. »Ich habe Sie lange nicht gesehen; Sie haben lange keine Inspektionsreise der europäischen Cabinette vorgenommen,« fügte er lächelnd hinzu. »Was machen Sie, wo leben Sie? Setzen Sie sich zu mir und erzählen Sie mir, wie es in Europa aussieht, denn Niemand weiß das besser als Sie.« Der Staatsrath Klindworth setzte sich dem Lord gegenüber, neigte den Kopf etwas vorn über und indem er mit seinem listig beobachtenden Blick zu dem englischen Staatsmann aufsah, erwiderte er, die beiden Hände mit den kurzen Fingern auf der Brust faltend, mit einer leisen aber eindringlichen Stimme in englischer Sprache:

»Ich weiß gar nichts, Mylord; ich lebe von der Welt zurückgezogen in Stuttgart und habe nur eine kleine Reise gemacht, um meine Tochter in Paris zu besuchen, da habe ich denn die Gelegenheit benutzt, ein wenig über den Kanal zu fahren, um Ihnen meine Hochachtung auszudrücken, zugleich kann ich nicht läugnen, daß ein wenig Neugier sich in mir regte, zu erfahren, wie denn eigentlich die Angelegenheiten unseres Welttheils stehen. Ich hoffte, daß Eure Lordschaft aus alter Freundlichkeit für mich vielleicht geneigt sein würden, meine Neugier zu befriedigen.«

Lord Palmerston blickte den früheren Staatsrath des Herzogs Carl Eugen von Braunschweig und späteren Agenten Metternichs aus dem Winkel seines Auges lächelnd an.

»Stuttgart,« sagte er, »ist allerdings keine Warte für den Ueberblick über die Lage der Politik, aber ein Mann wie Sie wird es, wie ich glaube, auch dort möglich zu machen wissen, wenigstens von Zeit zu Zeit zu sehen und zu hören, wie es in der Welt aussieht. – Seine Majestät der König von Württemberg,« fuhr er fort, voll und gerade in das Gesicht des Staatsraths blickend, – »ist ein sehr erleuchteter Herr und ihm entgeht so leicht nichts von dem was sich in der politischen Welt begiebt.«

Klindworth sah einen Augenblick zu Boden, trommelte mit den Fingern der linken Hand auf der Oberfläche der rechten und erwiderte in einfach naivem Ton:

»Seine Majestät der König von Württemberg beehrt mich allerdings zuweilen mit der Mittheilung seiner Ideen und erlaubt mir, ihm auch die Meinigen vorzutragen, auch bin ich in der letzten Zeit in Wien gewesen und Alles was ich dort gesehen und gehört habe, hat in mir noch mehr den Wunsch wach gerufen, Eure Lordschaft so competentes und hoch bedeutungsvolles Urtheil über die Lage der Dinge zu vernehmen.«

»Sie wissen,« sagte Lord Palmerston mit freier Offenheit, »daß ich niemals mit meiner Ansicht zurückhalte und,« fügte er, leicht den Kopf neigend, hinzu, »daß es mir ein besonderes Vergnügen macht, meine Ideen mit Ihnen auszutauschen; es giebt so viele Fragen, welche in diesem Augenblick unerledigt auf dem grünen Tisch der europäischen Diplomatie liegen,« sagte er dann, »welche von diesen hat denn bei Ihrem Aufenthalt in Wien vorzugsweise Ihr Interesse und Ihre Neugier erregt?«

»Eure Lordschaft wissen,« sagte Klindworth mit einem scharfen Blick von unten herauf, »daß ich ein Mann der Stabilität bin, die Revolution und Alles was damit zusammenhängt, ist mir ein horreur, und so habe ich denn mit großem Erstaunen und, wie ich sagen muß, wider Willen bemerkt, daß man in Wien in einer Weise mit der polnischen Revolution coquettirt, die sehr wenig mit den alten Traditionen der Staatskanzlei übereinstimmt.«

»Was wollen Sie,« sagte Lord Palmerston, »die Lage Polens ist wirklich eine sehr unglückliche und die Behandlung dieses armen Landes durch die russische Regierung macht es, wie ich glaube, gerade im Interesse der europäischen Ruhe den übrigen Mächten zur Pflicht, in Petersburg zu interveniren.«

Klindworth ließ den Kopf auf die Brust sinken und bewegte ihn leicht hin und her.

»Eine Intervention in Rußland,« sagte er, »das ist ein sehr ernstes Wort, das jedoch nur dann eine Bedeutung haben kann, wenn hinter den diplomatischen Unterhaltungen und hinter den Depeschen die Waffenmacht der Intervenirenden steht.«

»Und glauben Sie,« fragte Lord Palmerston rasch, »daß man in Oesterreich Bedenken tragen würde, diese Waffenmacht nachdrücklich zu gebrauchen?«

Klindworth erhob den Kopf, sah scharf und forschend mit einem schnell heraufblitzenden Blick in das Gesicht des Lords und erwiderte:

»Das würde davon abhängen, ob die englischen Flotten und die französischen Armeen in der Aktion gegen Rußland vorangingen.«

»Oesterreich,« sagte Lord Palmerston in leicht hingeworfenem, gleichgültigen Ton, »hat jedenfalls das erste und wichtigste Interesse, so wie auch das vorzugsweise Recht sich in die polnische Sache zu mischen, – die anderen Mächte kommen erst in zweiter Linie – England eigentlich in der dritten, denn die alte Sympathie Frankreichs für Polen –«

»Wird den Kaiser Napoleon niemals veranlassen,« fiel Klindworth schnell ein, »auch nur einen Mann für Polen marschiren zu lassen, – – er sucht Alliancen, und wenn er in dieser Beziehung auch noch zu keinem festen Entschluß gekommen sein mag, so wird er doch weder die Möglichkeit einer Verbindung mit Rußland noch einer solchen mit Oesterreich definitiv ausschließen.«

»Sie glauben also?« sagte Lord Palmerston.

»Daß von Frankreich aus nichts für Polen geschehen wird,« erwiderte Klindworth, »und daß Oesterreich leicht in eine sehr isolirte Lage kommen könnte, wenn es weiter auf diesem bedenklichen Wege vorschreitet, auf welchem es zugleich den Brand in sein eigenes Haus trägt.«

Lord Palmerston blickte nachdenklich vor sich hin.

»Ich will ganz offen gegen Sie sein,« sagte er dann, »auch würde es mir bei Ihrem Scharfblick wenig nützen, wenn ich es nicht wäre; ich kann meinerseits im Interesse Englands weder eine enge Verständigung Oesterreichs mit Rußland noch mit Frankreich wünschten. Diese polnische Frage schließt eine solche aus, deswegen ist mir eine wirksame Handhabe zur Vermeidung continentaler Coalitionen, die ja auch den Traditionen, in denen Sie leben und den Anschauungen, welche ich als die Ihrigen kenne, widersprechen. Glauben Sie mir die Versicherung geben zu können, daß eine Separat-Alliance zwischen Oesterreich und Frankreich, der man in Wien, wie ich weiß, an gewisser Stelle sehr geneigt ist, ausgeschlossen bleibt, daß ebenso wenig innige Beziehungen zu Rußland eintreten, so habe ich wahrlich kein Interesse, Oesterreich auf der Bahn der Unterstützung des polnischen Aufstandes mitzuziehen oder voran zu drängen.«

»Auf Eure Lordschaft bestimmte Frage will ich eine ebenso bestimmte Antwort geben,« sagte Klindworth.

»Im Rathe des Kaisers Franz Joseph,« fuhr er nach einem kurzen Nachdenken fort, »stehen sich zwei Anschauungen scharf entgegen, die eine neigt zur Wiederherstellung guter Beziehungen mit Rußland, – sie wird nicht durchdringen, weil man in Petersburg den Undank Oesterreichs nicht vergessen hat und weil man dort auch Preußen zu nahe steht – die andere will die alten Kaunitz'schen Ideen ausführen und eine Alliance mit Frankreich herstellen, – sie wird ebenfalls nicht durchdringen, weil die persönlichen Gesinnungen des Kaisers diesen Ideen zu sehr entgegen laufen und namentlich seit Villafranca ein tiefes Mißtrauen gegen die französische Politik und ihren geheimnißvollen Vertreter bei ihm besteht.«

»Und was wird geschehen?« fragte Lord Palmerston.

»Nichts,« erwiderte Klindworth mit einem raschen, eigenthümlich ausdrucksvollen Blick.

Lord Palmerston lächelte und schwieg einige Augenblicke. –

»Mein lieber Staatsrath,« sagte er dann, »Sie haben mir vorhin Ihre Neugier ausgesprochen, zu wissen, was in der europäischen Politik geschehen werde und haben die polnische Frage als den nächsten Gegenstand dieser Neugier bezeichnet. Sie begreifen, daß ich Ihre Frage nur in Betreff meiner und in Betreff Englands beantworten kann und da ich, wie Sie wissen, Sie als ein Muster von Geist und Scharfsinn betrachte und überzeugt bin, daß Niemand es besser versteht, seine Gedanken in das kürzeste und treffendste Wort zu kleiden, so werden Sie mir erlauben, Ihnen auf Ihre Frage dieselbe Antwort zu geben, welche ich so eben aus Ihrem Munde vernommen habe.«

»Und diese Antwort heißt?« fragte Klindworth mit einem kaum merklichen Lächeln seiner breiten Lippen.

»Sie sagten so eben: »»nichts««, erwiderte Palmerston, sich leicht verneigend.

Klindworth nickte mit dem Kopf.

»Ich kann Eure Lordschaft versichern,« sagte er dann, »daß man in Wien sehr erfreut seit wird, dieses Wort zu vernehmen und daß ich, so weit man auf meine geringe und unmaßgebliche Ansicht Gewicht legt, Alles thun werde, damit in den alten Beziehungen Oesterreichs und Englands die Grundsätze erhalten bleiben, welche in der Staatskanzlei maßgebend waren, als dort noch der helle und klare Geist Metternichs die Leitung führte.«

»Ist es mir gelungen,« fuhr Lord Palmerston in heiterem Tone fort, »Ihre Neugier in einem Punkte zufrieden zu stellen, so werden Sie mir vielleicht erlauben, auch meinerseits einen gleichen Dienst von Ihnen zu erbitten.«

»Wenn es in meinen Kräften steht, so haben Eure Lordschaft über mich zu verfügen,« erwiderte Klindworth.

Lord Palmerston sah ihn einen Augenblick gerade an und sprach dann:

»Das ruhige Stillleben in Frankfurt am Main ist plötzlich auf eine für ganz Europa überraschende Weise unterbrochen; während dort früher in gemüthlicher Gleichmäßigkeit die Gesandten des Bundestages ihre Sitzungen hielten und in unzerstörbarer Beharrlichkeit die Instruktionen ihrer Regierung erwarteten, während das Auge des Staatsmannes, oft von den aufzüngelnden Flammen in andern Theilen Europa's geblendet, ausruhen konnte auf dem friedlichen Bilde des Deutschen Bundeslebens, ist dort jetzt plötzlich ein kaum noch dagewesenes Schauspiel glänzender Bewegung sichtbar. Die sämmtlichen Souveraine Deutschlands, außer dem König von Preußen, sind um den Kaiser versammelt; der Glanz einiger dreißig Höfe entwickelt sich vor den Augen der erstaunten Frankfurter –

– Ein unerhörtes Ereigniß! Am grünen Conferenztisch sitzen die regierenden Herren selber zusammen, um zu debattieren über die Paragraphen einer neuen Deutschen Verfassung, ohne daß sie nöthig haben,« sagte er mit feinem Lächeln, »auf Instruktionen zu warten. Sie werden begreifen, daß dies plötzliche und unerwartete Schauspiel jeden Staatsmann auf das Höchste interessiren muß – Sie kommen aus Deutschland, Sie kommen aus Wien, Sie werden die Frage erklärlich finden, die ich an Sie stellen möchte: was bedeutet das Alles?«

Klindworth trommelte mit den Fingern auf der Brust, er ließ den Kopf herabsinken, seine breiten Lippen öffneten sich zu einem halb ironischen, halb verächtlichen Lächeln, von unten herauf sah er mit fast schalkhaft listigem Ausdruck zu Lord Palmerston empor und sprach:

»Es ist eine merkwürdige und selten vorkommende Erscheinung, daß in einer Unterredung mit einem so großen Staatsmann wie Eure Lordschaft auf alle aufgeworfenen Fragen ein einziges Wort im Stande ist, die Antwort zu geben. Das kleine, so wenig bedeutende Wort, welches schon zweimal zwischen uns diesen Dienst geleistet hat, bietet sich auch jetzt wieder mir dar als der treffendste und kürzeste Ausdruck, um Ihre Frage zu beantworten. Eure Lordschaft erinnern sich –«

»Daß dieses kleine Wort heißt: »Nichts«, erwiderte Lord Palmerston, laut lachend.

»Das heißt,« sagte Klindworth, indem sein Gesicht einen ernsten, beinahe traurigen Ausdruck annahm, »nichts für heute, aber unendlich viel für eine frühere oder spätere, jedenfalls nicht allzu ferne Zukunft.«

»Wie das?« fragte Lord Palmerston befremdet.

»Dies Ereigniß in Frankfurt,« fuhr Klindworth in demselben traurigen Tone fort, »welches heute spurlos wie eine fata morgana vorüberfliegen wird, muß in einer späteren Folge einen blutigen und furchtbaren Zusammenstoß herbeiführen, Eure Lordschaft können überzeugt sein, daß die Antwort, welche Preußen auf diesen am grünen Tisch gemachten Angriff dereinst giebt, mit eisernem Griffel auf blutige Schlachtfelder geschrieben werden wird, und daß unter der entsetzlichen Erschütterung dieser Katastrophe die bisherige Ordnung in Deutschland, ja vielleicht in Europa zusammenbrechen wird.«

Lord Palmerston schüttelte ungläubig den Kopf.

»Dahin wird es nie kommen,« sagte er, »Preußen wird seine Existenz niemals in einem so furchtbaren Entscheidungskampf auf's Spiel setzen und wenn es je einen Anlauf dazu nehmen sollte, so wird er ohne Folgen bleiben, denken Sie an Bronzell, an Olmütz –«

»Damals hatte Preußen,« fiel Klindworth ein, »den Minister noch nicht, der heute an der Spitze dieser bis an die Zähne bewaffneten Macht steht, diesen Herrn von Bismarck, den die ganze europäische Diplomatie nicht nach seinem wahren Werth schätzt, diesen Mann, der vor nichts zurückschreckt, der mir ein Gräuel ist, weil er sich nicht besinnen wird mit rücksichslosem Tritt die Gewebe der alten Staatskunst zu zerreißen, aber dem, – wenn sich das übrige Europa nicht ermannt zu gleicher Willens- und That-Kraft – die Zukunft gehört.«

Lord Palmerston schüttelte abermals ungläubig den Kopf.

»Doch,« sagte Klindworth, »Eure Lordschaft wissen, daß es mein oberster Grundsatz ist, in der Politik Schritt vor Schritt vorzugehen und alle Sprünge zu vermeiden; es würde zu nichts führen, Conjekturen über die Zukunft aufzustellen. Für jetzt bin ich glücklich, daß die Wißbegierde, welche mich hierher trieb, eine erfreuliche Befriedigung gefunden hat, daß es mir vergönnt war, auch Ihnen eine zufriedenstellende Antwort zu geben und Ihnen persönlich von Neuem meine tiefste Verehrung auszusprechen.«

Er erhob sich.

»Ich bedaure, daß Sie sich so selten sehen lassen,« sagte Lord Palmerston artig, »denn aus jeder Unterredung mit Ihnen geht man klarer und klüger hervor.«

»Eure Lordschaft sind zu gütig,« erwiderte Klindworth, sich demüthig verneigend, »wenn die Ereignisse, die ich vorherzusehen glaube, eintreten, werde ich vielleicht öfter Gelegenheit haben, mich Ihnen persönlich in Erinnerung zu bringen, und dies ist der einzige Gesichtspunkt, der mich in dem, was ich vorhersehe, mit einiger Befriedigung erfüllen kann.«

»Ich bitte Sie,« sagte Lord Palmerston, – »wenn Sie Gelegenheit haben,« – schaltete er mit feinem Lächeln ein, »den König von Württemberg und ebenso allen Personen, die sich in Wien meiner freundlich erinnern wollen, meine angelegentliche Empfehlung zu überbringen.«

Klindworth verneigte sich abermals und verließ das Kabinet.

Lord Palmerston setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und fuhr in der Durchsicht der Depeschen fort.


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