Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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»Frankreich, kaiserliche Majestät, darf Italien nicht zu consolidirter Macht anwachsen lassen, dazu bedarf es der Allianz Oesterreichs; es muß dem russischen Vordringen nach Mitteleuropa einen festen Wall entgegen setzen, dazu bedarf es eines starken, mächtigen Oesterreichs, es muß die offensive preußische Macht von der Leitung der deutschen Angelegenheiten zurückdrängen, dazu muß es Oesterreichs Stellung in Deutschland stärken und befestigen, und ich bin überzeugt, Majestät, wenn wir Frankreich aufrichtig und entschieden die Hand reichen, so wird Napoleon nicht nur die deutsche Stellung Oesterreichs gegen jeden Angriff vertheidigen, sondern auch die Gelegenheit benutzen, vielleicht sogar herbeiführen, um frühere Verluste des Hauses Habsburg nach der deutschen Seite hin wieder zu ersetzen –«

»Das hat er mir in Villafranca gesagt und versprochen,« sagte der Kaiser halblaut, doch nicht so leise, daß seine Worte dem Ohre des Staatsministers entgangen wären.

»Dazu aber muß eine feste Allianz geschlossen werden,« fuhr er fort, »mit gegenseitigen Garantieen und mit bestimmten Zielen.«

»Und dazu halten Sie die Basis der polnischen Frage für geeignet?« fragte Franz Joseph.

»Sie bildet im Augenblick die Grundlage der Annäherung,« erwiderte Herr von Schmerling, »an die Vereinbarung über ein gemeinsames durch bestimmte Verpflichtungen geregeltes Zusammengehn in dieser Frage können zugleich Verhandlungen mit bestimmten Zielen über die deutschen und italienischen Angelegenheiten geknüpft werden.«

»Und im Augenblick,« fragte der Kaiser, »was wollten Sie mir rathen, wir sprachen von der Agitation in Siebenbürgen –«

»Es ist eine vortreffliche Gelegenheit, Majestät,« erwiderte der Staatsminister, »um auf den versteckten Angriff einen festen Schlag zu versetzen.«

»Nun?« fragte der Kaiser.

»Es sind drei Interpellationen im Abgeordnetenhause des Reichsraths angemeldet, bei deren Beantwortung die Regierung Gelegenheit haben wird, durch entschiedene Erklärungen einen festen Standpunkt einzunehmen und der russischen Regierung weitaus größere Verlegenheiten zu bereiten, als sie uns, wie ich glaube, in Siebenbürgen hervorgerufen hat.«

Der Kaiser hatte aufmerksam zugehört. Er schwieg einen Augenblick, dann bewegte er rasch die Glocke auf seinem Schreibtisch.

»Ist Graf Rechberg da?« fragte er den eintretenden Kammerdiener.

»Zu Befehl, kaiserliche Majestät.«

»Ich lasse ihn bitten,« sagte der Kaiser.

Der Kammerdiener trat in das Vorzimmer und öffnete unmittelbar darauf dem Minister der Auswärtigen Angelegenheiten die Thür.

Herr von Schmerling erhob sich.

Der Kaiser trat dem Graf Rechberg einen Schritt entgegen und reichte ihm huldvoll die Hand. Die Begrüßung des alten österreichischen Aristokraten durch seinen Monarchen hatte den Charakter freundlicher offener Herzlichkeit und zeigte Nichts von jener ausgesuchten, aber etwas kalt abwehrenden Höflichkeit, mit welcher der Staatsminister empfangen worden war.

Die beiden Minister wechselten eine Verbeugung und nahmen auf einen Wink des Kaisers ihm gegenüber Platz.

»Der Herr Staatsminister,« begann der Kaiser, »hat mir soeben von einigen Interpellationen im Reichsrath gesprochen, welche die auswärtige Politik berühren, und ich habe deswegen gewünscht, in Ihrer Gegenwart, lieber Graf, die Sache zu berathen.«

Graf Rechberg verneigte sich und blickte mit seinen scharfen, kalten Augen zu Herrn von Schmerling hinüber.

Dieser ergriff ein Papier und auf dasselbe blickend sprach er mit deutlicher und klarer Betonung:

»Zunächst, Majestät, handelt es sich um eine Interpellation des Grafen Tinti, betreffend die von russischen Truppen bei Gelegenheit der Verfolgung polnischer Insurgenten verübten Grenzverletzungen. Graf Tinti meint, daß die österreichische Regierung keine zufriedenstellende Genugthuung erhalten habe.«

Graf Rechberg machte eine Notiz auf ein Blatt Papier.

»Sodann,« fuhr Herr von Schmerling fort, »wird Graf Adam Potocki und Graf Eugen Kinski wegen der Internirungen der Flüchtlinge und wegen der militärischen Maßregeln in Krakau interpelliren.«

»Kaiserliche Majestät,«, sagte Graf Rechberg, »von diesen Interpellationen gehört nur diejenige wegen der Grenzverletzungen unmittelbar zu meinem Ressort und ich werde dieselbe, mit Eurer Majestät Erlaubniß, selbst beantworten. Den Inhalt meiner Antwort kann ich Eurer Majestät sogleich mittheilen, da mir der Gegenstand vollkommen gegenwärtig ist. Ein russischer Capitain hatte einen Flüchtling über die Grenze verfolgt und arretirt. Die russische Regierung hat sich entschuldigt, den Capitain bestraft, und vor Allem den arretirten Flüchtling in Freiheit gesetzt. Das ist Alles, was ich nach dem Völkerrecht verlangen konnte, und die einfache Mittheilung dieser Thatsache wird zur Beantwortung der Interpellation genügen.

»Die Internirungen,« fuhr er fort, »gehören ihrer Ausführung nach zum Ressort des Polizeiministers, doch beruhen sie auf internationalem Recht. Der Waffengebrauch des Militairs in Krakau ist rein innere Sache und Herr von Meesery hat zu beurtheilen gehabt, ob derselbe nothwendig war, wie ich überzeugt bin, da das Militair mit Steinwürfen angegriffen wurde.«

»Der Staatsminister meint,« sagte der Kaiser, »daß die Interpellationen im Sinne einer entschiedenen Frontstellung gegen Rußland beantwortet werden müßten.«

»Ich kenne, Majestät,« sagte Graf Rechberg kalt und ruhig, »die Gründe, welche in der liberalen Presse für eine solche Parteinahme gegen Rußland angeführt werden, ich theile die Ueberzeugung von ihrer Richtigkeit nicht. Wollen Eure Majestät ohne festen Rückhalt an Frankreich und England, Rußland zum Aeußersten reizen, so würde Oesterreich einen Feind in unmittelbarer Nähe gewinnen, ohne der schützenden Allianzen sicher zu sein.«

»Jene Allianzen abzuschließen, dürfte aber in diesem Augenblick in unsere Hand gegeben sein,« sagte Herr von Schmerling.

»Ich glaube das nicht, Majestät,« erwiderte Graf Rechberg, den Blick auf den Kaiser gerichtet, »und ich würde, wenn es der Fall wäre, Eurer Majestät gewiß nicht rathen, sie auf Grund der polnischen Frage zu schließen oder anzubahnen.

»Eure Majestät wissen,« fuhr er fort, »daß ich Allerhöchstdenselben gerathen habe, die österreichische Politik in der polnischen Frage den Westmächten anzuschließen, um auf dieselben einen mäßigenden Einfluß zu üben.«

Herr von Schmerling zuckte mit leichtem Lächeln die Achseln.

»Niemals aber darf, meiner Ueberzeugung nach, ein Schritt geschehn, der eine wirkliche Anerkennung der polnischen Revolution indirect in sich schlösse, denn darin läge die Anerkennung des Nationalitäten-Princips, das uns die Lombardei gekostet, das Venetien bedroht und dessen Consequenzen gerade dem österreichischen Kaiserreich besonders gefährlich sind.«

Der Kaiser nickte, wie unwillkürlich zustimmend, mit dem Kopf.

»Besonders aber würde,« fuhr Graf Rechberg fort, »eine offene und unversöhnlich feindliche Stellung gegen Rußland, namentlich in der polnischen Frage, das Petersburger Cabinet zu einem ebenso offenen und festen Anschluß an Preußen treiben; wenn dann aber Eure Majestät die Reform des Deutschen Bundes angreifen wollten, so würde die Feindschaft Rußlands sehr schwer ins Gewicht fallen.«

»Nicht so schwer,« sagte Herr von Schmerling, als auf der andern Seite der Werth einer festen Allianz Frankreichs –«

»Die uns,« fiel Graf Rechberg, immer den Kaiser anblickend, schnell ein, »um alle in letzter Zeit mühsam erworbenen Sympathieen in Deutschland bringen würde, und dem Reformproject und der österreichischen Initiative jede Aussicht auf Erfolg entziehen müßte. – Ich aber, kaiserliche Majestät,« fuhr er fort, »kann kein Heil für die Zukunft Oesterreichs voraussehn, als wenn es seine unerschütterliche Machtstellung in Deutschland für immer neubegründet. Von Deutschland aus ist Oesterreich geworden, als deutsche Kaiser haben Eurer Majestät Vorfahren den Glanz des Hauses Habsburg und seine Reiche geschaffen und erhalten, und nur an der Spitze deutscher Macht und deutschen Geistes würden Eurer Majestät Nachfolger als deutsche Fürsten und so Gott will als deutsche Kaiser die verschieden gearteten Reiche Ihres Hauses in Sicherheit beherrschen. Sowohl die Feindschaft mit Rußland als die Allianz mit Frankreich aber macht es uns unmöglich, Oesterreichs Macht in Deutschland für die Zukunft zu begründen, und darum kann ich Eurer Majestät nur von beiden abrathen, ich kann auch als Minister Eurer Majestät meine Stellung als deutscher Edelmann nicht vergessen, mein deutsches Blut nicht verläugnen.«

Herr von Schmerling preßte die Lippen auf einander, die Falten zwischen seinen Augenbraunen zogen sich ein wenig zusammen und leicht zitterten seine Nasenflügel.

»Auch ich bin ein Deutscher, Majestät,« sagte er, »vom Geiste deutscher Bildung durchtränkt, aber wenn mich meine nationale Sympathie zu Deutschland hinzieht, so bin ich doch als Minister Eurer Majestät vor allem Oesterreicher, ganz und gar Oesterreicher,« sagte er mit voller Betonung, »und ich kann mich um so mehr mit vollem Bewußtsein und mit bestem Gewissen auf diesen Standpunkt stellen, als ich überzeugt bin, daß nur das starke, innerlich kräftige, geeinigte Oesterreich seine Stellung in Deutschland in alter Größe und Herrlichkeit wieder gewinnen kann.«

Der Kaiser, welcher vorgebeugt da gesessen hatte, schweigend zuhörend, erhob den Kopf und blickte mit dem Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit zu Herr von Schmerling hinüber.

»Nach meiner Ueberzeugung, Majestät,« fuhr der Staatsminister fort, »ist es die große Aufgabe, von deren Erfüllung die Zukunft abhängt, Oesterreich auf dem Boden der liberalen Forderungen der Zeit ebenso zu einem einigen homogenen Staatskörper zu concentriren, wie dies zu Metternich's Zeit im Geiste des damaligen absoluten Regimentes der Fall war; dann aber Oesterreichs Machtstellung in Europa durch starke und feste Allianzen wieder herzustellen, und so im Innern stark, nach Außen mächtig hinein zu greifen in die deutschen Verhältnisse, dann wird es gelingen können, die Hand auszustrecken nach der alten Kaiserkrone des Hauses Habsburg.

»Warum,« fuhr er fort, »hat Oesterreich seine historische Stellung in Deutschland verloren? – Weil von Außen her seine europäische Macht durch den ersten Napoleon erdrückt wurde, – warum schwankt der 1815 neu gegründete Einfluß Oesterreichs in Deutschland? Weil seit 1848 Oesterreichs Macht in Europa Schlag auf Schlag erlitten hat!«

Er hielt einen Augenblick inne.

»Ich möchte auf die Fragen, welche der Herr Staatsminister so eben stellte, eine andere Antwort geben,« sagte Graf Rechberg, indem sich sein Gesicht leicht röthete und seine Stimme etwas lebhafter klang als sonst, »Oesterreich hat die Kaiserkrone verloren und sieht jetzt seine Stellung in Deutschland bedroht, weil es nicht verstanden hat, den deutschen Geist zu erfassen, und die nationalen Interessen und Hoffnungen an seinen Namen zu knüpfen, weil es Deutschland fremd geworden ist, durch die Beziehungen seiner außerdeutschen Länder, weil es Preußen den freien Spielraum gelassen hat, ohne historische Berechtigung sich der deutschen Nation als den Führer auf den Bahnen des deutschen Geistes hinzustellen –«

»Was Preußen gewiß nie gelungen wäre,« fiel Herr von Schmerling ein, »wenn es nicht vor den Augen Deutschlands da gestanden hätte, als fest concentrirte und consolidirte Militairmacht, geachtet und gefürchtet in Europa und stark genug seine Ansprüche durch materielle Mittel und militairische Macht zu unterstützen.«

»Eure Majestät,« fuhr er fort, »wollen dem deutschen Bunde ein Project zur Reform vorlegen, Preußen wird, das steht wohl so ziemlich fest, dieser Reform seine Zustimmung versagen, es wird also, wenn die ganze Sache irgend praktische Bedeutung gewinnen soll, und das muß sie doch, wenn nicht der letzte Einfluß Oesterreichs in Deutschland verschwinden soll, es wird also endlich darauf ankommen, das Gewicht der Macht in die Waagschale zu werfen, und glauben Eure Majestät nicht, daß die Fürsten und Völker Deutschlands lieber dem mit Frankreich und England alliirten Oesterreich folgen würden, als dem Oesterreich, das nach allen Seiten hin isolirt dasteht? – Und zu solcher Isolirung führt die Politik, welche, zwischen Rußland und den Westmächten schwankend, auf keiner Seite Freundschaft erwirbt, schließlich aber die Feindschaft beider.«

Der Kaiser, welcher immer gespannter zugehört hatte, war bei den letzten Worten leicht erröthet und ein schnell unterdrückter Ausdruck von Unmuth erschien auf seinem Gesicht.

»Ich kann unmöglich voraussetzen,« sagte Graf Rechberg, »daß der Herr Staatsminister Oesterreich eine Politik bis in ihre Consequzenzen würde anrathen wollen, welche sich über alles bestehende Vertragsrecht hinwegsetzt und doch im Grunde geradezu die Revolution unterstützen würde; denn die polnische Frage ist die Revolution, und nur weil sie die Revolution ist, findet sie die Theilnahme der Massen.«

»Sie ist die Revolution,« sagte Herr von Schmerling, »gegen einen historischen Act, der eine selbstständige Nation vernichtete, gegen einen Act, den die große Maria Theresia nur mit tiefem Widerstreben vollzog, und von welchem sie in prophetischem Geist traurige Folgen vorhersah. – Wenn übrigens der Herr Graf von Rechberg einen Reform des deutschen Bundes in's Leben rufen will, so steht derselbe vor einem stärkeren Eingriff in ein viel legitimeres Vertragsrecht –«

»Der Herr Staatsminister vergißt,« sagte Graf Rechberg kalt und stolz, »daß das Reformproject des deutschen Bundes in legaler Weise den deutschen Fürsten vorgelegt werden soll –«

»Und der Herr Graf wird mir erlauben zu bemerken,« warf Herr von Schmerling ein, »daß nach der Verfassung des deutschen Bundes das Veto eines einzigen, des kleinsten deutschen Fürsten genügt, um jede Veränderung der Bundesverfassung unmöglich zu machen. Preußen wird das Veto einlegen, dann wird also die Alternative vorhanden sein, daß entweder Oesterreich, die alte Kaisermacht, die Präsidialmacht des deutschen Bundes, die mitteleuropäische Großmacht mit seinen Vorschlägen einfach ad acta gelegt wird, oder daß es die Fürsten Deutschlands um sich vereinigt und seine zurückgewiesenen Vorschläge mit dem Schwerte in der Hand zur That werden läßt. Dann aber,« fuhr er mit einem Zug feiner Ironie um den starken Mund fort, »dann begeht Oesterreich einen Act der Revolution gegen die Bundesacte, welche ihrerseits wieder einen integrirenden Theil der wiener Congreßacte bildet, des heiligsten legitimsten und feierlichsten Vertrages im neuern Völkerrecht, eines Vertrages, dessen Geltung und Berechtigung gewiß weit weniger anfechtbar ist als diejenige des Vertrages über die Theilung von Polen, welcher Oesterreich zum Mitschuldigen seines Erbfeindes machte.« –

Graf Rechberg schwieg. Seine Züge blieben unbeweglich und seine Lippen schlossen sich noch fester als gewöhnlich auf einander. Sein Blick ruhte fest und ruhig auf dem Kaiser, auf dessen Gesichtszügen der Ausdruck widersprechender Gefühle sichtbar war.

Seine Majestät erhob sich.

»Es freut mich,« sagte er, »daß ich die Ansichten der beiden Herren vernommen habe, welche ja einig darüber sind, daß Oesterreich groß und mächtig in Deutschland auf der althistorischen Basis sich wieder erheben soll, nur weichen sie in den Meinungen über die Wege ab, die zu diesem Ziel führen. Wo aber dasselbe Ziel den Geist erfüllt und dieselbe Liebe die Herzen wärmt, da wird die endliche Verständigung und der endliche Erfolg nicht fehlen.«

»Nur, Majestät,« sagte Herr von Schmerling, »müßte die größte Gefahr in politischen Dingen vermieden werden, zwei Wege auf einmal zu verfolgen, denn dann würde das Ziel sicher verfehlt werden.«

Der Kaiser biß leicht in seinen Schnurrbart.

»Was die Interpellationen betrifft,« sagte er, »über welche Sie mir Vortrag gehalten haben, Herr Staatsminister, so geht mein Entschluß dahin, daß dieselben zunächst rein vom sachlichen Rechtsstandpunkt aus beantwortet werden, ich möchte der Vorsicht halber die so schwierigen Fragen der auswärtigen Politik von den Discussionen der Kammern ganz fern halten.«

Der Staatsminister verneigte sich schweigend.

»Und in Betreff der Rumänen vertraue ich auf Ihre Geschicklichkeit,« fuhr Franz Josef fort, »lassen Sie den Bischof Schaguna kommen, er wird Ihrem persönlichen Einfluß nicht widerstehen,« fügte er mit liebenswürdigem Lächeln hinzu.

Abermals verneigte sich der Staatsminister ernst und ruhig, ohne daß die höfliche Bemerkung des Kaisers einen Eindruck auf seinem Gesicht erscheinen ließ.

Eine kleine Pause trat ein.

Herr von Schmerling erhob sich.

»Ich hoffe, Sie bald wieder zu sehen,« sagte der Kaiser verbindlich, »um Weiteres über den Verlauf der Dinge im Reichsrath zu hören.«

Mit huldvollem Lächeln erwiderte er die tiefe Verbeugung des Staatsministers, der sich ernst und schweigend zurückzog.

Nach seiner Entfernung blieb der Kaiser einige Augenblicke stumm und nachdenklich auf seinem Stuhl.

»Herr von Schmerling, kaiserliche Majestät,« sagte Graf Rechberg, »ist zu sehr gewöhnt, auf die Stimme der öffentlichen Meinung zu hören, nach der täglich wechselnden Strömung der so leicht veränderlichen Ansicht des Publikums kann man aber die auswärtige Politik nicht bestimmen, welche auf den Vertragsrechten und der unveränderlichen Grundlage der Geschichte beruht.«

Der Kaiser neigte gedankenvoll das Haupt.

»Und doch,« sprach er dann, »liegt etwas Wahres in dem, was er sagte. Kann denn die Reform des Bundes durchgeführt werden, ohne einen revolutionären Eingriff in das Vertragsrecht?«

»Wenn die Fürsten und das Volk von Deutschland in großer Majestät einig sind über das, was das Wohl der Nation erfordert, und wenn dann Preußen sich diesen einigen Beschlüssen entgegenstellt, dann, Majestät, tritt das ewige Recht der nationalen Geschichte vor das Recht der geschriebenen Verträge, das alte Recht der deutschen Kaiser vor das Recht des Bundestags, und eine Kaiserthat wird es sein, dies Recht zur Geltung zu bringen, und die Nation zu Größe und Macht zu führen!«

Eine freudige Begeisterung erleuchtete das Gesicht des Kaisers.

»Ja,« rief er, »die Geschichte meiner Vorfahren legt mir eine heilige Mission auf und ich will sie erfüllen. Auch Rudolph von Habsburg mußte über Rechte hinwegschreiten, um das neue Recht der Nation herzustellen!«

Ein tiefes Schweigen herrschte einen Augenblick in dem Cabinet.

»Ist der Verfassungsentwurf des Bundes nunmehr ausgearbeitet?« fragte der Kaiser.

»In wenigen Tagen werde ich denselben Eurer kaiserlichen Majestät zur definitiven Genehmigung vorlegen,« erwiderte Graf Rechberg.

»Sie wissen,« sagte der Kaiser, »daß ich in acht Tagen nach Gastein zum Könige von Preußen gehe, bis dahin möchte ich klar sein über alle Details des Prospectes, denn,« fügte er etwas zögernd hinzu, »es wird doch nicht zu vermeiden sein, mit dem Könige über die Sache zu sprechen.«

»Ich würde Eurer Majestät dringend abrathen,« sprach Graf Rechberg lebhaft, »in der persönlichen Unterhaltung mit dem Könige weiter zu gehen als bis zu allgemeinen Erörterungen über die Nothwendigkeit einer Bundesreform und über die Zweckmäßigkeit einer persönlichen Berathung der deutschen Fürsten. Beide Punkte dürften in ihrer Allgemeinheit kaum einen Widerspruch hervorrufen, jedes Eingehen auf die einzelnen Punkte der Vorschläge würde dem Gegner Waffen in die Hände geben, welche er bei den übrigen Fürsten des Bundes zum großen Schaden des Planes gebrauchen könnte.«

Der Kaiser sagte abermals etwas zögernd: »Ich muß Ihnen aufrichtig aussprechen, lieber Graf, daß es meinem persönlichen Gefühle ein wenig widerstrebt, mit dem Könige doch eigentlich verstecktes Spiel zu spielen, ich wollte diese persönliche Zusammenkunft wäre gerade in diesem Augenblick nicht nöthig, ich habe persönlich eine große Zuneigung zum Könige, ich kann es nicht läugnen, sein gerades ritterliches Wesen imponirt mir und berührt mich sympathisch –«

»Eure kaiserliche Majestät dürfen nicht vergessen,« fiel Graf Rechberg ein, als der Kaiser abbrechend schwieg, »daß Preußen der ewige Gegner der Oesterreichischen Macht ist, daß die Reform des Bundes gegen die Preußischen Bestrebungen sich richtet und dieselben für immer in die Schranken der Unmöglichkeit einschließen soll, mag der gegenwärtige Träger jener feindlichen Macht Eure Majestät noch so freundlich und sympathisch ansprechen, die Tradition und die historische Aufgabe Oesterreichs steht höher, ebenso wie der König von Preußen gewiß Seine persönlichen Rücksichten stets denjenigen Principien unterordnen wird, welche man die Politik Friedrich des Großen nennt.«

Der Kaiser seufzte.

»Bereiten Sie also Alles so vor,« sagte er, »daß unmittelbar nach meinem Besuch in Gastein die Einladungen an die Fürsten ergehen können.«

»Zu Befehl, kaiserliche Majestät.« –

»Der Erzherzog Maximilian wünscht dringend die mexikanische Krone anzunehmen,« sprach der Kaiser nach einer kurzen Pause.

»Der Herzog von Gramont hat ebenfalls im Namen des Kaisers Napoleon den dringenden Wunsch ausgesprochen, daß der Erzherzog zur Herstellung geordneter Zustände in Mexiko und zur Stärkung des monarchischen Princips auf der anderen Seite des Oceans die Hand biete und daß Eure Majestät Allerhöchst Ihre Genehmigung dazu geben möchte.«

»Ich muß gestehen,« fuhr er fort, als der Kaiser schwieg, »daß es mir tief widerstrebt, einen Erzherzog von Oesterreich auf diesen phantastischen Thron steigen zu sehen, der keine anderen Stützen hat, als die französischen Bayonette.«

»Aber der Erzherzog wünscht ein Feld für seine thatendurstige Kraft und glaubt, es dort zu finden.«

»Sollte für einen Prinzen des kaiserlichen Hauses sich in Oesterreich nicht genug Spielraum für edle und große Thätigkeit finden?« fragte Graf Rechberg.

»Wir bedürfen Frankreichs,« sprach der Kaiser langsam.

»Ich verkenne gewiß nicht die Nützlichkeit guter Beziehungen, ja selbst einer Allianz mit Frankreich,« sagte Graf Rechberg, »aber ich möchte lieber, daß um diese Allianz von Frankreich geworben würde, wenn Oesterreich an der Spitze des neu belebten Deutschlands steht, als daß wir jetzt der Rücksicht auf die doch noch unsichere Allianz einen Erzherzog opfern.«

»Opfern!?« rief der Kaiser betroffen.

»Der Erzherzog wird auf dem Thron von Mexiko seine Kraft, seinen Namen, vielleicht sein Leben opfern – und vergeblich! Das ist meine Ueberzeugung,« sagte Graf Rechberg mit festem Ton.

Der Kaiser senkte schweigend den Blick zur Erde.

»Ich möchte,« sprach er dann, »daß in einem Memoire alle Bedenken zusammengefaßt würden, welche der Annahme der mexikanischen Krone entgegenstehen, daß alle Gefahren klar entwickelt würden, denen sich der Erzherzog aussetzt, und daß dies Memoire meinem Bruder mitgetheilt würde.«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte Graf Rechberg.

»Dann wird wenigstens meinerseits Alles geschehen sein,« fuhr der Kaiser fort, »um jede Verantwortung für unglückliche Consequenzen des Unternehmens zurückweisen zu können! Zugleich aber müßte man das Unternehmen des Erzherzogs, wenn er sich trotzdem dazu entschließt, von Oesterreich trennen, der Erzherzog müßte auf alle seine Successionsrechte an die Krone Oesterreichs verzichten, das ist ja fast immer geschehen, wenn die Prinzen eines regierenden Hauses fremde Kronen annahmen.«

Er blickte erwartungsvoll auf den Minister.

»Befehlen Eure Majestät, daß eine Urkunde in diesem Sinne entworfen und dem Erzherzog als Bedingung Allerhöchst Ihrer Zustimmung vorgelegt werden soll?« fragte der Graf.

»Ja,« antwortete der Kaiser.

»Ich werde Herrn von Meysenburg damit beauftragen,« sagte Graf Rechberg, »in wenigen Tagen sollen Eure Majestät den definitiven Entwurf der Reformacte erhalten,« fuhr er aufstehend fort.

»Leben Sie wohl, lieber Graf,« sprach der Kaiser, ihm freundlich und herzlich die Hand drückend, »wir haben schwere Tage vor uns, seien Sie meiner Dankbarkeit für Ihre viele Mühe versichert!«

»Meine Kraft gehört Eurer Majestät, der Größe Oesterreichs und der Macht Deutschlands durch Oesterreich!« erwiderte Graf Rechberg mit dem Ausdruck warmen Gefühls in der Stimme.

Er verließ das Cabinet.

Der Kaiser blickte ihm einen Augenblick in tiefem Sinnen nach, dann setzte er sich an seinen Tisch und begann mit pünktlichster Genauigkeit die Papiere zu durchlesen, welche ihm geordnet und nummerirt mit kurzer Angabe des Inhalts dorthin gelegt waren.


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