Guy de Maupassant
Mont Oriol
Guy de Maupassant

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IV

Die beiden Oriol hatten noch lange mit einander geredet, als die Mädchen schon zu Bett gegangen waren. Sie waren ganz aufgeregt über den Vorschlag Andermatts und suchten nach Mitteln, ihn noch mehr zu reizen, ohne ihre Interessen dabei zu schädigen. Als praktische Bauern, die wußten was sie wollten, wogen sie alle Vorteile genau ab, da sie in einem Lande, wo die Mineralquellen überall längs der Bäche nur so sprudelten, nicht durch zu hohe Forderungen diesen unerwarteten Liebhaber, der sich gewiß nicht so leicht wieder finden würde, vor den Kopf stoßen durften. Andererseits wollte man ihm auch wiederum die Quelle nicht gänzlich überlassen, aus der immerhin unausgesetzt Gold strömen konnte, das sah man ja an Royat und Châtel-Guyon.

Sie suchten also nach einem Mittel, den Wunsch des Bankiers zu helleren Flammen anzufachen. Sie erdachten sich eine Reihe von Gesellschaften, die mit demselben Wunsch an sie herangetreten, eine ganze Folge von ungeschickten Lügen, deren Haltlosigkeit sie wohl fühlten, aber sie waren unfähig, geschicktere zu erfinden.

Sie schliefen kaum die Nacht. Am anderen Morgen, als der Vater zuerst auf war, fragte er sich, ob etwa die Quelle nicht über Nacht verschwunden wäre. Es war nach alledem immerhin möglich, daß sie ebenso, wie sie gekommen, auch wieder fort in die Erde versickert und nicht mehr aufzufinden war. Unruhig erhob er sich, die Furcht des Geizhalses packte ihn. Er rüttelte seinen Sohn wach und teilte ihm seine Befürchtung mit, und der große Kuluß streckte seine Beine aus dem grauen Laken und zog sich schnell an, um mit dem Vater hinzugehen und nachzusehen. Jedenfalls wollten sie Feld und Quelle ein wenig in Ordnung bringen, die Steine wegnehmen, das Wasser hübsch reinlich machen und putzen wie ein Stück Vieh, das man verkaufen will.

Sie nahmen also ihre Hacken und Schaufeln und gingen nebeneinander mit ihren langen schaukelnden Schritten hin. Sie sahen nicht um sich, so ganz waren sie bei dem Geschäft, und nur mit einem kurzen Wort sagten sie den Nachbarn und Freunden, denen sie begegneten, guten Morgen. Als sie auf der Straße nach Riom standen, warteten sie erregt und forschten schon von weitem, ob sie auch das Wasser sprudeln und in der Morgensonne leuchten sähen.

Die Straße war leer, weiß, staubig, neben ihr floß der weidenbesetzte Bach hin. Unter einem Busch gewahrte Oriol plötzlich zwei Beine, als sie dann ein paar Schritt nähergekommen waren, erkannten sie den alten Clovis, der am Wegesrand saß, während seine Krücken neben ihm im Grase lagen. Der Alte war gelähmt, man kannte ihn im ganzen Land, durch das er seit zehn Jahren müde und langsam hinirrte, auf seinen Holzbeinen, wie er es nannte. Er war früher Wild- und Fischdieb gewesen, war oft erwischt und verurteilt worden und hatte durch das lange Liegen im taufeuchten Grase und seine nächtlichen Fischraubzüge, bei denen er manchmal bis zum halben Leibe im Bach watete, das Reißen bekommen, so schleppte er sich nun wie eine Krabbe hin, die ihre Füße verloren hat. Er ging, indem er das rechte Bein wie einen Lumpen hinter sich herzog und das linke eingeknickt erhob. Aber die jungen Leute im Land, die heimlich den Mädchen oder den Hasen nachstiegen, versicherten, daß man den alten Clovis manchmal schnell und geschmeidig wie einen Hirsch im Unterholz und in den Lichtungen verschwinden sähe, und daß sein Rheumatismus nur eine Spiegelfechterei der Polizei gegenüber wäre. Kuluß vor allem behauptete steif und fest, er hätte ihn nicht einmal, sondern fünfzig Mal gesehen, wie er ruhig seine Krücken unter dem Arm getragen.

Der alte Oriol blieb dem Landstreicher gegenüber stehen, plötzlich von einem Gedanken erfaßt, noch unsicher, denn das Denken ging in seinem dicken Auvergnatenschädel langsam vor sich. Er sagte zu ihm:

– Guten Morgen!

Der andere antwortete:

– Guten Morgen.

Dann sprachen sie über das Wetter, über die Weinblüte und noch dies und jenes. Und da Kuluß vorausgegangen war, so holte ihn der Alte mit langen Schritten ein. Die Quelle lief noch immer, jetzt ganz klar, und der Boden des Loches war rötlich, von einem schönen, dunklen Rot, offenbar von reichlichem Eisenniederschlag. Die beiden Männer blickten sich lächelnd an und begannen die Ränder des Loches zu reinigen und die Steine aufzulesen, die sie auf einen Haufen warfen. Dann fanden sie die Überreste des toten Hundes und vergruben ihn scherzend. Plötzlich aber ließ der alte Oriol seine Hacke sinken, ein frohes, triumphierendes Lächeln legte sich um seine Lippen und um das verschmitzte Auge, und er sagte zu seinem Sohn:

– Du komm mal mit!

Der andere folgte, sie gingen wieder die Straße auf demselben Weg zurück. Der alte Clovis sonnte noch immer seine Glieder und seine Krücken. Oriol blieb vor ihm stehen und fragte:

– Was meenste, willste hundert Francs verdienen?

Der andere antwortete vorsichtig nichts. Der Bauer fuhr fort:

– Hundert Francs?

Da entschloß sich der Landstreicher und brummte:

– Nu, was soll ich denn davor tun?

– Nu, mei Alter, paß mal uf, was du machen mußt.

Und er erklärte ihm lange, mit allerlei Bosheiten, mit Doppelsinn und unzähligen Erörterungen, wenn er darauf eingehen wollte, täglich von elf bis zwölf Uhr eine Stunde lang in dem Loch, das Kuluß und er graben wollten neben der Quelle, zu baden und dann nach vier Wochen gesund zu sein, würde er ihm die hundert Francs in gutem Gelde geben.

Der Krüppel hörte mit dummem Ausdruck zu, dann sagte er:

– Na, wenn das ganze Apothekerzeug mir nischt geholfen hat, dann wirds Ihr Wasser ooch nich.

Aber Kuluß wurde plötzlich wütend:

– Hör mal, Du alter Betrüger, Deine Krankheit die kenn mer, die kenn mer ganz genau, was haste denn abends um elf neilich im Holz von Comberombe getrieben?

Der Alte antwortete lebhaft:

– Das is nu nich wahr!

Aber Kuluß wurde erregt:

– Was, das is nich wahr? Du bist nicht über Mannezats Graben gehuppt in das Loch?

Der andere antwortete energisch:

– Das is nu nich wahr!

– Is es etwa nich wahr, daß ich noch gerufen hab: die Pulizei! Die Pulizei? un daß Du davongeloofen bist?

– Das is nich wahr!

Der große Jakob wurde wütend, fast drohend und rief:

– Na nu, nich wahr? Du olles Stelzbeen paß mal uf, wenn ich Dich nachts noch mal im Holz oder am Wasser erwische, verstehste, da wer ich wohl noch längere Beene haben als Du, dann binde ich Dich an irgend eenen Boom bis zum Morgen un dann rufe ich das ganze Dorf, un dann kloppen mir Dich!

Aber der alte Oriol unterbrach seinen Sohn und sagte ganz milde:

– Hör mal Clovis, een Versuch kostet doch nischt. Wir machen Dir'n Bad, Kuluß und ich, vier Wochen lang mußt Du jeden Tag rin, und ich geb Dir davor nich hundert, nee ich geb Dir zweehundert, nu hör mal, un wenn De am Ende der vier Wochen geheilt bist, kriegste noch fünfhundert, verstehste wohl? Fünfhundert in gutem Gelde und noch zweehundert macht siebenhundert, also zweehundert für vier Wochen baden, fünfhundert für die Heilung un nu hör mal zu: wenn die Krankheet etwa wieder kommt so im Herbst, da können wir nischt davor, das Wasser hat nu doch mal geholfen.

Der Alte antwortete ganz ruhig:

– Na, da will ich schon, wenns nischt helft, dann werden wir ja sehen!

Und die drei Leute drückten einander gegenseitig die Hand, um den Handel als abgeschlossen gelten zu lassen, dann kehrten die beiden Oriol zu ihrer Quelle zurück, das Bad des alten Clovis zu graben.

Während einer Viertelstunde arbeiteten sie schon, da hörten sie Stimmen auf der Straße; es war Andermatt und Doktor Latonne. Die beiden Bauern blinzelten sich an und hörten auf zu arbeiten. Der Bankier kam zu ihnen, drückte ihnen die Hand, dann blickten alle stumm auf das brodelnde Wasser. Es bewegte sich, als wäre ein großer Herd darunter, warf Blasen, strömte Gas aus und floß dann durch ein winziges Rinnsal, daß es sich schon gegraben, zum Bach hinab.

Oriol sagte plötzlich mit stolzem Lächeln auf den Lippen:

– Eisen is drin, was, Eisen!

In der That war jetzt schon das ganze Loch rot und selbst die kleinen Steine, über die das Wasser lief, schienen wie mit einer leisen Purpurschicht überzogen. Doktor Latonne antwortete:

– Das bedeutet weiter nichts, es handelt sich um die anderen Mineralien.

Der Bauer antwortete:

– Nu, Kuluß un ich haben gestern abend noch ä Glas getrunken, und uns hat's schon ganz frisch gemacht was Junge?

Der große Sohn antwortete überzeugt:

– Nu natürlich hat's uns frisch gemacht!

Andermatt blieb unbeweglich stehen, einen Fuß am Rande des Loches, er wendete sich zu dem Arzt:

– Wir müssen etwa sechs mal so viel Wasser haben für meine Zwecke, nicht wahr?

– Ja, so ziemlich.

– Meinen Sie, daß man das findet?

– Ja, ich weiß nicht.

– Na, ich denke auch, ich kann das Terrain nur definitiv kaufen, wenn wir erst einmal anderwärts gegraben haben. Wenn ich die Analyse kenne, müßte zuerst ein notarieller Kaufvertrag gemacht werden, der aber erst in Wirksamkeit tritt, wenn die fortgesetzten Bohrungen zu unserer Zufriedenheit ausfallen.

Der Alte Oriol wurde unruhig, er verstand das nicht. Da erklärte ihm Andermatt, daß eine einzige Quelle nicht genüge, und setzte ihm auseinander, er könne nur den Kauf abschließen, wenn er noch mehr fände, er könne aber diese anderen Quellen nur suchen wenn er das Vorkaufsrecht habe.

Die beiden Bauern waren sofort überzeugt, daß ihr Grund und Boden noch so viele Quellen enthielt, wie Weinstöcke, man brauche nur zu graben und man würde sie schon finden. Andermatt sagte ganz einfach:

– Na, wir werden sehen!

Der alte Oriol tauchte seine Hand ins Wasser und erklärte:

– Gott verdimm mich, das ist heiß! Da kann man gleich ä Ei kochen, viel heißer wie die Bonnefille.

Nun benetzte auch Doktor Latonne seinen Finger und gab zu, daß das möglich wäre. Der Bauer fuhr fort:

– Un dann hat sie ooch viel besseren Geschmack, sie stinkt nich so wie die andere. Ich gäb mei Wort, sie is gut. Ich kenne doch die Quellen hier seit fufzig Jahren, daß ich sie loofen sehe, aber so eene hab' ich noch nie gesehen.

Er schwieg ein paar Sekunden, dann sagte er:

– Ich sag's ja nich, um sie zu rühmen, da können Se sicher sein, ich möchte Sie's beweisen, daß Sie's selbst sehen, die richtige Apothekerprobe an irgend eenen Kranken, ich wette, die heilt jede Lähmung, so heiß is se und so gut schmeckt se, wolln wir wetten?

Er schien nachzudenken, blickte zu den benachbarten Bergspitzen auf, ob er nicht den gewünschten Gelähmten finden könne und da er ihn dort nicht entdeckte, ließ er die Augen auf die Straße sinken. In einer Entfernung von zweihundert Metern konnte man am Wegesrand die beiden gelähmten Beine des Landstreichers unterscheiden, dessen Körper hinter dem Weidenstrunk verborgen lag. Oriol legte die Hand über die Augen und fragte seinen Sohn:

– Du, liegt nich der alte Clovis da?

Kuluß antwortete lachend:

– Ja, ja, natierlich! Der looft nicht so schnell davon wie ein Hase.

Da ging Oriol einen Schritt auf Andermatt zu und sagte mit fester, ernster Überzeugung:

– Heeren Sie mal, mei Herr, heeren Sie: da ist nun ä Gelähmter, der Herr Doktor kennt ihn ja ganz gut, un der is es wirklich, der hat nich eenen Schritt mehr gemacht seit zehn Jahren, was meenen Sie, Herr Doktor?

Latonne bezeugte:

– Ja wenn Sie den heilen, dann will ich einen Franc für jedes Glas zahlen.

Dann wandte er sich zu Andermatt:

– Der alte Kerl hat tüchtigen Rheumatismus, eine Art Zusammenziehung des linken und vollkommene Lähmung des rechten Beines. Na, ich meine, der ist unheilbar.

Oriol hatte ihn sprechen lassen, nun sagte er langsam:

– Na Herr Doktor, wollen wir mal bei dem eenen Monat lang probieren? Ich sage ja nicht, daß es glückt, versprechen thu ich's ja nicht, ich meene bloß, wir versuchen es mal. Hören Se mal, Kuluß un ich wollten eben hier en Loch für die Steine machen, na, Gott nu werden mer ä Loch für den alten Clovis machen, da mag er jeden Tag eene Stunde drin sitzen un wir können ja sehn.

Der Arzt murmelte:

– Sie könnens ja versuchen, ich bürge dafür, daß es nicht hilft!

Aber Andermatt war schon ganz gepackt durch die Hoffnung auf eine beinahe wunderbare Heilung, er stimmte dem Bauern bei, und alle vier kehrten zu dem alten Landstreicher zurück, der noch immer unbeweglich in der Sonne lag.

Der alte Wilddieb begriff die List und that, als wolle er nicht. Lange ließ er sich zureden, endlich war er bereit, aber nur unter der Bedingung, daß Andermatt ihm täglich zwei Francs für jede Stunde geben mußte, die er im Wasser zubrachte; und die Sache wurde abgeschlossen. Es wurde sogar ausgemacht, daß, sobald das Loch gegraben sei, der alte Clovis sofort noch an diesem Tage das Bad nehmen mußte. Andermatt wollte ihm Kleider verschaffen, daß er sich nachher umziehen könne, und die beiden Oriol wollten ihm einen alten Schäferkarren, der in ihrem Hofe lag, bringen, wo der Alte seine Lumpen wechseln konnte.

Dann kehrten der Bankier und der Arzt zum Dorf zurück. Am Eingang trennten sie sich, der eine ging zu seinen Patienten, der andere, um seine Frau zu erwarten, die gegen halb zehn ins Kurhaus kommen wollte. Sie erschien beinahe im selben Augenblick, rosig vom Kopf bis zu den Füßen, mit einem rosa Hut, rosa Schirm, das Gesicht rosig angehaucht wie das Morgenrot. Sie kam dahergehüpft wie ein Vögelchen von Stein zu Stein springend ohne die Flügel zu heben. Sie rief, sobald sie ihren Mann gesehen:

– Ach, ist das reizend hier! Ich bin glückselig!

Die paar Badegäste irrten traurig durch den kleinen Park und drehten sich um, als sie vorübergingen, und Petrus Martel, der in Hemdsärmeln aus dem Billardzimmerfenster lag und seine Pfeife rauchte, rief seinen Freund Lapalme, der in einer Ecke vor einem Glas weißen Wein saß und meinte mit schnalzender Junge:

– Gott verdamm mich, die ist nobel!

Christiane trat in das Kurhaus, grüßte mit einem Lächeln den Kassierer, der links am Eingang saß, und sagte: »Guten Morgen« zu dem alten Schließer rechts. Dann streckte sie ihre Karte der Badefrau entgegen und folgte ihr zu einem Korridor, auf den die Thüren der Badezellen mündeten. Man ließ sie eintreten in eine ziemlich geräumige mit kahlen Mauern, darin stand ein Stuhl und ein Spiegel, während eine große ovale Öffnung im Fußboden, von gelber Cementfarbe wie der Boden auch, als Badewanne diente. Die Frau öffnete den Hahn, und das Wasser schoß durch ein kleines, rundes, vergittertes Loch im Grunde der Höhlung empor, die bald bis zum Rande hinauf gefüllt war und die vor dem Überlaufen geschützt wurde durch einen Ausflußkanal in der Wand.

Christiane, die ihre Kammerjungfer im Hotel gelassen, dankte für die Bemühung der Auvergnatin, ihr beim Auskleiden zu helfen, und blieb allein, nachdem sie gesagt, sie würde klingeln, wenn sie irgend etwas brauchte. Sie entkleidete sich langsam, indem sie auf die kaum merkliche Bewegung des in der Wanne hin und her schwankenden klaren Wassers sah. Als sie ganz entkleidet war, tauchte sie einen Fuß ein, und ein wohliges Gefühl durchschauerte sie. Dann streckte sie das eine Bein zuerst in das Wasser, folgte mit dem andern und setzte sich in der köstlichen Wärme dieses durchsichtigen Bades in diese Quelle, die über sie hinlief, um sie herumglitt und ihren ganzen Körper mit kleinen kohlensauren Kügelchen bedeckte, längs der Beine, längs der Arme und den Busen.

Sie blickte erstaunt auf diese unzähligen kleinen Luftkügelchen, die sie vom Kopf bis zu den Füßen in einen Küraß von Perlen hüllten, und diese Perlen, so klein, stiegen unausgesetzt an ihrem weißen Fleisch empor, um an der Oberfläche des Wassers sich zu verflüchtigen, von anderen vertrieben, die ihnen folgten. Sie entstanden auf der Haut wie kleine Früchte, reizende unfaßbare Früchte an diesem zarten, rosigen, frischen Körper, der im Wasser die Perlen zu gebären schien.

Christiane fühlte sich wohl darin, so weich, so mollig, so köstlich, von dem bewegten Wasser gestreichelt und umarmt, von dieser Flut, die in Erregung gebracht ward durch die Quelle, die unter ihr sprudelte, und durch die Öffnung an der Seite der Badewanne wieder hinausfloß, so daß sie immer unbeweglich, beinahe ohne nachzudenken hier drin hätte liegen bleiben können.

Das Gefühl eines ruhigen Glückes, gestimmt aus Behaglichkeit und Wohlsein, Gesundheit, heimlicher Freude und stiller Heiterkeit überkam sie mit der wunderbaren Wärme des Bades, und sie träumte wie eingelullt durch das Plätschern der übervollen Flut, die da abfloß. Sie träumte davon, was sie nachher machen wollte, was morgen, träumte von den Spaziergängen, von ihrem Bruder und ihrem Vater und von diesem großen jungen Mann, zu dem, seit der Geschichte mit dem Hunde, manchmal ihre Gedanken glitten. Sie liebte so heftige Menschen nicht, kein Wunsch bewegte ihre Seele, ruhig war ihr Herz in diesem lauen Wasser, kein Wunsch, außer dem unbestimmten Gedanken an ein Kind. Kein Wunsch, ihr Leben möchte sich anders gestalten, kein Wunsch nach Aufregung oder Leidenschaft, sie fühlte sich wohl, glücklich und zufrieden.

Da erschrak sie, man öffnete die Thür; es war die Auvergnatin, die die Wäsche brachte. Die zwanzig Minuten waren vorüber, sie mußte sich nun anziehen. Sie war beinahe traurig, beinahe betrübt über dieses Erwachen, sie hätte am liebsten die Frau gebeten, sie noch ein paar Minuten im Bade zu lassen, aber dann überlegte sie, daß dieser Spaß sich täglich wiederholen würde, und sie entstieg dem Wasser und warf das gewärmte Badetuch um, das ihr beinahe zu heiß vorkam.

Als sie davonging, öffnete Doktor Bonnefille die Thür seines Sprechzimmers, bat sie einzutreten, indem er förmlich grüßte. Er fragte, wie es ihr ginge, befühlte ihren Puls, ließ sich die Zunge zeigen, fragte, ob sie Appetit hätte, wie sie verdaute, wie sie schliefe, dann begleitete er sie bis an die Thür und sagte:

– Na, es geht ja ganz gut! Es geht ja ganz gut! Bitte empfehlen Sie mich Ihrem Herrn Vater, übrigens einer der charmantesten Herren, die ich in meiner Laufbahn je kennen gelernt habe.

Sie trat ein wenig gelangweilt hinaus, und vor der Thür gewahrte sie den Marquis, der sich mit Andermatt, Gontran und Paul Brétigny unterhielt. Ihr Mann, in dessen Kopf jeder neue Gedanke unausgesetzt hin und her summte wie eine Fliege, die in ein Glas gesperrt ist, erzählte ihr die Geschichte von dem Gelähmten und wollte wieder hingehen, um zu sehen, ob der Landstreicher auch das Bad nähme. Die anderen begleiteten ihn, um ihm einen Gefallen zu thun, und Christiane nahm ihren Bruder beim Arm, blieb mit ihm etwas zurück, und als sie ein Stück von den anderen entfernt waren, sagte sie:

– Höre mal, ich wollte gern mit Dir über Deinen Freund sprechen. Übrigens er gefällt mir nicht sehr. Sag mal, was ist denn das eigentlich für ein Mensch?

Gontran, der Paul seit Jahren kannte, erzählte mit Wonne von dieser leidenschaftlichen, derben und doch offenen Natur. Er sagte, es wäre ein kluger Mensch, der alles mit Begeisterung anpackte, jeder Idee ginge er nach, er wüßte sich nicht zu zähmen, noch sich zu beherrschen, noch durch Überlegung eine Empörung, einen Wunsch einzudämmen. Er verstände sein Leben nicht methodisch zu leiten nach vernünftigen Gedanken, er folgte nur seinen Einfällen, seien sie nun gut oder schlecht, sobald ein Wunsch, ein Gedanke, irgend etwas seine exaltierte Natur einmal gepackt hatte. Er hatte sich schon siebenmal duelliert, denn er beleidigte ebenso leicht die Leute, wie er deren Freund ward. Er war unsinnig verliebt gewesen in Frauen aller Art und mit derselben Leidenschaft wiedergeliebt worden, ob es nun eine Konfektioneuse gewesen, die er von ihrem Geschäft abgeholt, oder eine Schauspielerin, die er entführt. Ja entführt! Am Abend nach einer Premiere, als sie eben in ihr Coupé steigen wollte, um nach Haus zurückzukehren, hatte er sie auf die Arme genommen, mitten durch die erstaunten Leute getragen, in einen Wagen gesetzt, der im Galopp davonfuhr, sodaß man ihnen nicht folgen, noch sie einholen konnte. Und Gontran schloß:

– Kurz und gut, er ist ein wirklich guter Kerl, aber gänzlich verrückt, übrigens sehr reich, zu allem fähig, wenn er den Kopf verloren hat.

Christiane antwortete:

– Er riecht so eigentümlich, sehr gut, nach was denn?

Gontran antwortete:

– Ich weiß nicht, er wills nicht sagen, ich glaube das Parfüm kommt aus Rußland; die Schauspielerin, seine Schauspielerin, von der ich ihn jetzt heile, hat es ihm verschafft. Ja, ja, es riecht sehr gut.

Auf der Straße befanden sich eine Menge von Badegästen und Bauern, denn jeden Morgen ging man gewöhnlich vor dem Frühstück diesen Weg. Christiane und Gontran holten den Marquis, Andermatt und Paul ein, und sie sahen bald an der Stelle, wo gestern noch der Fels gestanden, einen mit einem grauen Filzhut bedeckten menschlichen Kopf mit langem, weißen Bart, der aus der Erde zu wachsen schien, wie der Kopf eines Enthaupteten, der dort gewachsen war gleich einer Pflanze. Um ihn herum standen Winzer und sahen unbeweglich zu, da die Auvergnaten keine Spötter sind, während drei dicke Herren aus den Hotels zweiter Klasse lachten und Scherze machten.

Oriol und sein Sohn standen daneben und starrten den Landstreicher an, der in seinem Loche saß auf einem Stein, bis zum Kinn vom Wasser umspült. Es war, als ob ein mittelalterlicher Verbrecher wegen irgend einer seltsamen Art von Hexerei seine Strafe erleidet. Er hatte seine Krücken nicht losgelassen, die neben ihm schwammen. Andermatt sagte erfreut:

– Bravo! Bravo! So sollten es alle Leute hier machen, die leidend sind.

Und er beugte sich zu ihm nieder und brüllte ihn an, als ob er taub wäre:

– Geht's Ihnen gut?

Der Kerl der durch das heiße Wasser ganz den Verstand zu verlieren schien, antwortete:

– Ich gloobe, ich schmelze, Gott verdimm mich, ist das heiß!

Und der alte Oriol erklärte:

– Je heißer desto gesünder!

Eine Stimme sagte hinter dem Marquis:

– Was ist denn da los?

Und Herr Aubry-Pasteur, immer außer Atem, stand da. Er kam von seinem täglichen Spaziergang. Da erklärte Andermatt den Heilungsversuch, aber der Alte schrie:

– Gott verdimm mich, is das heiß!

Er wollte aus dem Wasser und verlangte, man solle ihm helfen und ihn herausziehen. Der Bankier beruhigte ihn endlich, indem er ihm noch zwanzig Sous für jedes Bad mehr versprach.

Man stand um das Loch herum, in dem die grauen Lumpen, mit denen dieser alte Lump bedeckt war, zu schwimmen schienen. Eine Stimme rief:

– Die Suppe möchte ich nich fressen!

Ein anderer antwortete:

– Na und das Fleisch ooch nich!

Der Marquis meinte, daß die Kohlensäure-Bläschen zahlreicher, größer und lebhafter wären in dieser neuen Quelle, als in den Bädern. Die Lumpen des Landstreichers waren damit bedeckt, und die kleinen Kugeln stiegen in solcher Menge zur Oberfläche, daß das Wasser von zahllosen Ketten durchzogen schien, von endlosen Rosenkränzen aus ganz kleinen runden Diamanten, die die strahlende Sonne am Himmel glitzern ließ wie Brillanten. Da sagte Aubry-Pasteur lachend:

– Hören Sie nur mal, was sie im Kurhaus angestellt haben. Sie wissen, daß man eine Quelle einfängt wie einen Vogel in eine Art Käfig oder vielmehr in eine Glocke, das nennt man, sie fassen. Also letztes Jahr passierte folgendes mit der Quelle, die die Bäder speist. Die Kohlensäure, leichter wie das Wasser, sammelte sich oben unter der Glocke, und als sie zu stark wurde, trat sie wieder in die Bäder zurück und noch kräftiger aus den Badewannen, erfüllte die Kabinen und machte die Patienten krank. Innerhalb zwei Monaten gab es beinahe drei Unglücksfälle. Da fragte man mich wieder, und ich erfand einen ganz einfachen Apparat aus zwei Rohren gebildet, die getrennt das Gas und die Flüssigkeit unter die Glocke brachten, um sie nachher im Bade sofort wieder zu mischen und so dem Wasser die ursprüngliche Gestalt zurückzugeben unter Vermeidung der Kohlensäuregefahr.

Aber mein Apparat hätte tausend Francs gekostet und nun denken Sie mal, was da der Bademeister gemacht hat. Er hat einfach in die Glocke ein Loch gebohrt, um das Gas abzuleiten, das natürlich davonflog, und nun werden kohlensaure Bäder verzapft, die gar keine Kohlensäure enthalten oder wenigstens so wenig, daß nicht viel damit los ist.

Alle Welt war empört, man lachte nicht mehr, man blickte ganz neidisch auf den Gelähmten, man hätte am liebsten eine Hacke genommen, um sich ein Loch neben dem des andern zu graben. Andermatt aber nahm den Ingenieur beim Arm, und sie gingen eifrig sprechend davon. Ab und zu blieb Aubry-Pasteur stehen, er schien mit seinem Stock auf dem Boden zu zeichnen und der Bankier notierte etwas in einem Notizbuche.

Christiane und Paul Brétigny hatten eine Unterhaltung begonnen. Er erzählte von seiner Reise in der Auvergne, was er dort gesehen und gehört, er liebte das Land, war sehr begeistert und sagte:

– Gnädige Frau, mir ist es so, als wäre mein Körper förmlich offen, alles strömt in mich hinein, packt mich, daß ich weinen muß oder die Zähne aufeinanderbeißen. Sehen Sie mal, wenn ich da drüben den Abhang erblicke oder die Bäume, die sich den Berg hinaufziehen, dann ist es, als ob in meinen Augen der ganze Wald säße, er dringt in mich hinein, er nimmt mich vollkommen gefangen, er läuft durch mein Blut, mir ist es, als ob ich ihn äße, als ob er meinem Leib erfüllte, ich werde selbst Wald.

Er lachte, indem er das erzählte, öffnete seine großen, runden Augen und sah abwechselnd auf den Wald und auf Christiane, die überrascht, erstaunt und sehr eindrucksfähig, sich genau wie der Wald von diesem gierigen, heißen Blick eingesogen fühlte.

Paul fuhr fort:

– Und wenn Sie wüßten, welches Glück ich meiner Nase verdanke. Ich trinke förmlich die Luft, ich berausche mich daran, ich lebe davon und ich fühle alles was ist, alles, alles. Ich will Ihnen das mal erklären.

Haben Sie, seitdem Sie hier sind, nicht diesen köstlichen Wohlgeruch bemerkt, dem kein anderer zu vergleichen ist, so fein, so leicht, daß er beinahe ist, wie soll ich es Ihnen ausdrücken, körperlos? Überall findet man ihn wieder, und nirgends ist er zu packen. Man weiß nicht, woher er kommt, noch niemals habe ich etwas Köstlicheres empfunden. Nun, das ist einfach der Duft des blühenden Weines. Vier Tage lang habe ich darnach gesucht. Ist es nicht köstlich, gnädige Frau, zu wissen, daß der Weinstock, der doch den Wein giebt, den Wein, den nur erlesene Geister recht begreifen und genießen können, uns auch den köstlichsten und verwirrendstcn Geruch verschafft, den nur die raffiniertesten Nervenmenschen begreifen.

Und dann, erkennen Sie nicht den gewaltigen Duft der Kastanien, den süßen der Akazien, das Aroma der Berge, des Grases, des Grases, das so köstlich, o so köstlich riecht und das doch niemand bemerkt?

Sie war ganz erstaunt, diese Dinge zu hören. Nicht, weil sie so übernatürlich waren, sondern sie erschienen ihr so gänzlich anders, als alles, was sie bisher um sich herum vernommen, daß sie ganz verwirrt, bewegt und fast erschrocken war.

Er sprach immer weiter mit seiner ein wenig dumpfen, aber warmen Stimme:

– Und dann, spüren Sie nicht auch in der Luft, auf den Straßen, wenn es warm ist, einen leisen Geruch von Vanille? Ja, nicht wahr? Nun, das ist, das ist – ich wage es gar nicht, Ihnen zu sagen.

Jetzt lachte er, und plötzlich streckte er die Hand aus und sprach:

– Sehen Sie mal!

Eine ganze Reihe von Heuwagen kam daher, von je zwei nebeneinandergespannten Kühen gezogen; die Tiere gingen langsam hin, die Stirn tief, den Kopf unterm Joch gebeugt, die Hörner durch ein Holzbrett verbunden, und unter ihrem Fell sah man die Knochen ihrer Beine sich bewegen. Vor jedem Gespann ging ein Mann in Hemdsärmeln mit einem schwarzen Hut, einen Stock in der Hand, mit dem er den Gang der Tiere regelte; von Zeit zu Zeit drehte er sich um, und ohne je zu schlagen, berührte er die Schulter oder die Stirn einer Kuh, die ihre großen Augen schloß und seinem Winke folgte.

Christiane und Paul traten zur Seite, um sie vorüberzulassen, er aber sagte:

– Riechen Sie?

Sie war erstaunt:

– Was denn, das riecht nach Stall!

– Ja, das riecht nach Stall, und alle diese Kühe, die die Chausseen entlangschreiten, denn hier giebt es ja keine Pferde in der Gegend, verstreuen überall auf der Straße diesen Stallduft, der sich mit dem feinen Staube vermischt und dem Windhauch etwas wie Vanille-Geruch verleiht.

Christiane murmelte etwas angeekelt:

– Ach!

Er sagte:

– Bitte, ich mache nur eine Analyse wie ein Apotheker. Jedenfalls befinden wir uns hier in dem köstlichsten, nervenberuhigendsten Lande, das ich je gesehen. Und die Limagne und die Limagne, und die Limagne! O davon will ich gar nicht sprechen, die muß ich Ihnen zeigen, passen Sie auf, da werden Sie staunen!

Der Marquis und Gontran holten sie ein. Der Marquis schob seinen Arm in den seiner Tochter und führte sie denselben Weg zurück zum Frühstück, indem er sagte:

– Hört mal Kinder, das geht euch alle drei an. William, der verrückt ist, sobald er eine Idee hat, schwärmt nur noch von der Stadt, die er bauen will, und dazu möchte er die Familie Oriol gewinnen, er möchte also gern, daß Christiane die Bekanntschaft der Töchter macht, um festzustellen, ob sie überhaupt gesellschaftlich möglich sind. Aber der Vater darf nichts davon merken. Da ist mir eine Idee gekommen: wir wollen ein Wohlthätigkeitsfest arrangieren. Du, mein Kind, mußt zum Herrn Pfarrer gehen, und ihr sucht dann gemeinschaftlich zwei aus der Gemeinde, um mit Dir das Geld einzusammeln. Du begreifst schon, welche Du Dir bezeichnen lassen sollst. Ihr Männer aber müßt im Kasino eine Tombola veranstalten unter Beihilfe von Petrus Martel und seiner Truppe und dem Orchester, und wenn die kleinen Oriols nett sind – man sagt ja, sie seien im Kloster erzogen – so wird Christiane sie gewinnen.

 


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