Guy de Maupassant
Mont Oriol
Guy de Maupassant

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II

Das Frühstück dauerte lange, wie es eben an der Table d'hôte Sitte ist. Christiane, die all die Gesichter nicht kannte, sprach mit ihrem Vater und ihrem Bruder. Dann ging sie hinauf, um sich etwas auszuruhen, bis der Fels gesprengt werden sollte.

Lange vor der angegebenen Zeit war sie schon bereit und zwang alle anderen aufzubrechen, um ja nicht die Explosion zu verfehlen. Am Ausgang des Dorfes erhob sich in der That ein Hügel, beinahe ein Berg, den sie, in der glühenden Sonne einem kleinem Pfade zwischen den Weinbergen folgend, erklommen.

Als sie auf dem Gipfel angekommen waren, stieß die junge Frau einen Ruf des Erstaunens aus angesichts des weiten Blickes, der sich vor ihnen aufthat. Da dehnte sich eine unendliche Ebene, die beinahe den Eindruck eines Meeres machte. Sie erstreckte sich, von leisem Dunst verschleiert, bis zu ganz fernen Bergen, die man kaum unterscheiden konnte, fünfzig oder sechzig Kilometer vielleicht weit, und in dem glitzernden feinen Dunst, der auf dem weiten Lande lag, gewahrte man Städte, Dörfer, Wälder, große, gelbe, viereckige Flecken: die Roggenfelder, große, grüne, viereckige: die Wiesen. Fabrikanlagen mit roten Schornsteinen und schwarzen spitzen Kirchtürmen, aus Lava der einstigen Vulkane erbaut.

– Drehe Dich um! – sagte der Bruder. Sie wandte sich um, und hinter sich sah sie den gewaltigen Berg mit seiner Menge einzelner Krater. Zuerst kamen die Niederungen von Enval, eine große Flutwelle von Grün, in der man kaum die einzelnen Einschnitte sah. Das Meer von Bäumen stieg die Hänge hinan bis zum ersten Krater, der die Aussicht auf die darunter liegenden raubte.

Aber da man sich gerade auf der Linie befand, wo sich Ebene und Berg trennt, so sah man bis Clermont-Ferrand und in der Ferne am blauen Himmel seltsame Gipfel wie gewaltige Beulen, erloschene tote Vulkane, und ganz weit, weit dort zwischen zwei Spitzen noch einen anderen, noch höheren, rund majestetätisch und auf seinem Gipfel etwas Seltsames, fast wie eine Ruine. Es war der Puy de Dôme, der König der Berge der Auvergne, breit und gewaltig, und auf seinem Kopf, gleich einer Krone, die Riesen dorthin gestellt, die Reste eines römischen Tempels.

Christiane rief:

– Ach hier werde ich glücklich sein!

Und sie fühlte sich schon glücklich, jenes Wohlsein durchströmte ihr Körper und Seele, das einen tiefer atmen läßt, das einen leichter und glücklicher macht, wenn man plötzlich ein Land betritt, das den Augen wohlthut, das einen bezaubert und erheitert, das über einen Gewalt zu haben scheint, für das man sich geboren fühlt.

Man rief sie:

– Gnädige Frau! Gnädige Frau!

Und sie erblickten, ein Stück entfernt, Doktor Honorat, an seinem großen Hut kenntlich. Er lief herbei und führte die Familie auf die andere Seite des Hanges auf einen Rasenfleck neben einem kleinen Gebüsch, wo schon einige dreißig Personen warteten, Fremde und Bauern durcheinander. Zu ihren Füßen senkte sich der Abhang bis zur Straße von Riom, von den Weidenstämmen beschattet, die an dem schmalen Bach wuchsen, und mitten auf einem Weinberge am Ufer des Baches erhob sich ein spitzer Fels. Zwei Männer lagen ihm zu Füßen, als beteten sie. Das war der Fels. Die beiden Oriol, Vater und Sohn, steckten eben die Lunte an. Auf der Straße stand eine Menge Neugieriger und um sie herum spielten eine Anzahl Knaben.

Doktor Honorat hatte für Christiane einen bequemen Punkt zum Zusehen ausgesucht, sie setzte sich, klopfenden Herzens, als solle sie mit dem Fels auch die Menschen in die Luft fliegen sehen. Der Marquis, Andermatt und Paul Brétigny streckten sich ins Gras neben der jungen Frau, während Gontran stehen blieb. Er sagte in seinem spöttischen Ton:

– Nun lieber Doktor, Sie haben wohl viel weniger zu thun wie Ihre Kollegen, die doch gewiß keine Minute verlieren können, um dieses kleine Fest mitzumachen.

Honorat antwortete gutmütig:

– Ich bin nicht weniger beschäftigt, ich kümmere mich nur weniger um meine Patienten. Dann unterhalte ich meine Patienten lieber, als daß ich ihnen Pillen verschreibe.

Er hatte ein Wesen, das Gontran gefiel. Es kamen moch mehr Menschen, Nachbarn von der Table d'hôte: die Damen Paille, zwei Witwen, Mutter und Tochter, die Monécu, Vater und Tochter, und ein dicker, kleiner Kerl, der wie ein geplatzter Dampfkessel fauchte, Herr Aubry-Pasteur, früher Bergwerks-Direktor, der in Rußland ein Vermögen erworben. Der Marquis und er waren hier gute Freunde geworden. Er setzte sich mit großer Mühe, indem er sich erst vorsichtig umsah, sodaß Christiane lachte.

Gontran war ein Stückchen fortgegangen, um die anderen Neugierigen zu betrachten, die, wie sie, hierher gekommen. Paul Brétigny erklärte Christiane Andermatt die Gegend, die Orte, die man sah. Zuerst ein roter Ziegelfleck in der Ebene: Riom, dann Ennezat, dann Maringues, Lezoux, eine Menge von Dörfern, kaum zu unterscheiden. Nur kleine, dunkle Flecken in dem weiten, grünen Tuch, das hier ausgespannt lag, und endlich in der Ferne, ganz in der Ferne am Fuß der Berge von Forez behauptete er Thiers zu sehen. Er sagte ganz erregt:

– Sehen Sie, gnädige Frau, wo ich hinzeige, dazwischen, ich sehe es ganz genau!

Sie sah nichts, aber sie wunderte sich nicht darüber, daß er es entdeckte, denn er hatte einen Blick in seinen runden, starren Augen, daß man ihnen die Schärfe eines Krimstechers zutraute. Er sagte:

– Vor uns mitten in der Ebene fließt der Allier, aber man kann ihn nicht sehen, es ist zu weit, dreißig Kilometer von hier.

Sie versuchte auch garnicht, zu entdecken, was er erklärte, all ihre Gedanken und ihre Aufmerksamkeit waren auf den Fels gerichtet. Sie sagte sich, daß in ein paar Augenblicken dieser große Stein nicht mehr da sein würde, daß er in Atome zerspringen müßte, und ein unbestimmtes Mitleid mit dem Fels überkam sie, das Mitleid eines kleinen Mädchens für die zerbrochene Puppe. Der Stein war so lange schon da, und dann war er auch hübsch und sah so nett aus.

Die beiden Männer, die jetzt aufgestanden waren, häuften nun zu seinen Füßen Steine zusammen mit heftigen Bewegungen wie Bauern, die es eilig haben. Die Menge auf der Straße hatte sich unausgesetzt vermehrt und war näher herangekommen, um besser zu sehen. Die Jugend wagte sich bis an die beiden Arbeiter heran, lief und bewegte sich um sie, und von dem entfernten Standpunkte Christianes aus schienen die Leute winzig, wie Eidechsen, wie Ameisen bei der Arbeit.

Das Stimmen-Gesumm stieg, ab und zu kaum zu erkennen, dann wieder lebhafter, zu ihnen empor, aber in der Luft so zerstreut und verflüchtigt, wie ein Staub von Geräuschen.

Auf dem Hügel wuchs gleichfalls die Menge. Unausgesetzt kamen die Menschen vom Dorf und besetzten den Abhang über dem zum Tode verurteilten Felsen. Man rief sich an; die in einem Hotel zusammen wohnten, traten zusammen, Klassen und Kasten bildeten sich.

Die lebhafteste Gruppe war die der Schauspieler und Musiker, deren Präsident und Leiter Petrus Martel vom Odéon war, der wegen dieses Schauspiels wahrhaftig seine geliebte Billardpartie hatte schwimmen lassen. Er trug einen Panamahut und hatte einen Rock aus schwarzem Alpacca umgehangen, unter dem wie eine große Beule der Bauch hervortrat, denn er fand hier auf dem Lande eine Weste unnütz. Der schnurrbärtige Schauspieler nahm die Stellung eines Leiters an, erklärte und kritisierte alle Bewegungen der beiden Oriol. Seine Untergebenen: der Komiker Lapalme, der lange Petitnivelle und die Musiker: der Maёstro Saint-Landri, der Pianist Herr Javel, der riesige Flötist Noirot, der Contre-Baß Nicordi umgaben ihn und hörten zu.

Vor ihnen saßen drei Frauen, von drei Sonnenschirmen beschattet, eine in weiß, eine in rot, eine in blau, die in der grellen Mittagssonne seltsam strahlend die französischen Farben darstellten. Es waren: Fräulein Odelin, die junge Schauspielerin, ihre Mutter – nur gepumpt, wie Gontran sagte – und die Buffetdame aus dem Café, die gewöhnliche Begleiterin dieser Damen. Die Zusammensetzung der Sonnenschirme in den Nationalfalben war eine Erfindung von Petrus Martel, der, als er bei Saison-Beginn gesehen, daß die beiden Odelins einen blauen und einen weißen Sonnenschirm hatten, seiner Buffetdame einen roten schenkte.

In ihrer Nähe zog eine andere Gruppe die Aufmerksamkeit und die Blicke auf sich: die der Küchenchefs und der Bediensteten der Hotels, acht an der Zahl. Denn ein förmlicher Kampf hatte sich entsponnen zwischen dem Küchenpersonal, das ganz in weiß erschien, um die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich zu ziehen. Sie standen aufgereiht da; und das Tageslicht fiel auf ihre weißen platten Mützen, sodaß sie aussahen, halb wie ein seltsamer Stab von Weißen Ulanen, halb wie eine Abordnung von Köchen.

Der Marquis fragte Doktor Honorat:

– Wo kommen die Leute nur alle her? Ich hätte es gar nicht für möglich gehalten, daß in Enval so viele Menschen sind.

– O, sie sind von überall hergekommen, aus la Roche-Pradière, aus Saint-Hippolyte, denn hier in der Gegend ist schon lange von der Sprengung die Rede, und dann ist der alte Oriol eine Berühmtheit, eine angesehene Persönlichkeit durch seinen Einfluß und sein Geld. Übrigens der echte Auvergnate, ganz Bauer geblieben, der selbst noch arbeitet, der Gold auf Gold häuft, klug, voller Pläne und Zukunftsgedanken für seine Kinder.

Da kam Gontran aufgeregt, mit leuchtenden Augen, und sagte halblaut:

– Paul, Paul, komm doch mal schnell mit, ich will Dir zwei hübsche Mädchen zeigen, ich sage Dir, sie sind reizend!

Der andere blickte auf:

– Mein Alter, ich befinde mich ganz wohl hier, ich bewege mich nicht vom Fleck!

– Du stehst Dir sehr im Licht, sie sind reizend!

Dann hob er die Stimme:

– Der Doktor muß mir sagen, wer sie sind, zwei junge Mädchen, achtzehn, neunzehn Jahre alt, so eine Art Halbdamen aus der Gegend hier, ganz komisch angezogen, mit schwarzen Kleidern, engen Ärmeln, sie haben beinahe etwas an, wie eine Klosteruniform.

Doktor Honorat unterbrach ihn:

– Na nu weiß ich schon, das sind die Töchter des alten Oriol, zwei hübsche Mädel. Sie sind bei den schwarzen Damen von Clermont erzogen, die werden schon gute Partien machen. Das sind zwei Typen, wirklich zwei Typen unserer Rasse. Die richtigen Auvergnatinnen, denn ich bin Auvergnate, Herr Marquis. Ich werde Ihnen mal die beiden Mädel zeigen.

Gontran schnitt ihm das Wort ab:

– Sind Sie Hausarzt bei den Oriols?

Der andere begriff die Bosheit und antwortete einfach:

– Selbstverständlich!

Der junge Mann fuhr fort:

– Wie haben Sie sich denn eingeschmeichelt bei den reichen Patienten?

– Indem ich ihnen vielen, vielen guten Wein verordnete.

Und er erzählte Einzelheiten über die Oriols. Er war übrigens weitläufig mit ihnen verwandt und kannte sie schon lange. Der Alte, ein Original, war sehr stolz auf seinen Wein; er besaß einen Weinberg, dessen Produkte von der Familie und deren Gästen ganz allein getrunken wurden. In manchen Jahren gelang es ihm, den Ertrag dieses Elite-Weinberges alle zu kriegen, in anderen wieder gelang es nur sehr schwer. Gegen Mai oder Juni, wenn der Alte merkte, daß es nicht möglich sein würde, alles zu trinken was noch übrig blieb, fing er an, seinem Sohn, dem Kuluß, zuzureden:

– Na Junge, nu mal ran!

Und dann begannen sie literweise den roten Saft durch die Kehle zu gießen von früh bis abends. Zwanzig mal wärend jeder Mahlzeit sagte der Alte in ernstem Ton:

– Nu mal ran!

Und wenn die ganze Alkoholmenge ihm ins Blut gegangen war und ihn hinderte zu schlafen, stand er nachts auf, zog seine Unterhosen an, steckte eine Laterne an, weckte den Kuluß, und dann gingen sie in den Keller, nachdem sie aus dem Eßzimmer ein Stück Brot mitgenommen hatten, das sie in ihre Gläser tauchten, die sie immer wieder am Faß selbst füllten. Und wenn sie so viel getrunken hatten, daß der Wein ihnen im Leib schwappte, klopfte der Alte jedesmal an das Holz, um zu lauschen, ob der Wein abgenommen hätte.

Der Marquis fragte:

– Sind das die zwei, die am Fels arbeiten?

– Ja, gewiß!

Gerade in diesem Augenblick entfernten sich die beiden Männer mit großen Schritten von dem Pulver-geladenen Fels, und die ganze Menschenmenge um sie herum rannte spornstreichs davon wie eine fliehende Armee. Sie liefen gegen Riom und Enval zu und ließen den gewaltigen Fels, der auf einer kleinen rasenbewachsenen Senkung stand, denn er schnitt die Weinberge mitten durch, ganz allein.

Die Menschenmenge oben auf dem Hügel, die jetzt ebenso zahlreich war wie die unten, zitterte vor Vergnügen und Ungeduld. Da tönte Petrus Martels gewaltige Stimme:

– Achtung, die Lunte brennt!

Christiane überlief es vor Aufregung, und der Doktor murmelte hinter ihr:

– O wenn sie die ganze Lunte angelegt haben, die sie kauften, dann dauert es gewiß noch zehn Minuten.

Aller Augen richteten sich auf den Stein, und plötzlich näherte sich ihm ein kleiner, schwarzer Hund. Er lief um den Stein herum, schnüffelte, fand offenbar irgend eine verdächtige Fährte, denn er begann, so laut er konnte, zu kläffen, die Pfoten starr und steif, die Haare auf dem Rücken gesträubt, den Schwanz gerade ausgestreckt, die Ohren aufgerichtet.

Ein grausames Lachen lief durch die Menge, man hoffte, er würde nicht zeitig genug fortlaufen. Dann riefen ihn ein paar Stimmen, um ihn fortzulocken, einige Männer pfiffen, man versuchte Steine nach ihm zu werfen, die aber auf der Hälfte des Weges liegen blieben. Doch der Hund bewegte sich nicht mehr, er starrte wütend den Fels an.

Christiane begann zu zittern. Eine furchtbare Angst erfaßte sie bei dem Gedanken, das arme Tier zerfetzt zu sehen. Sie fand kein Vergnügen mehr daran, sie wollte fort, sie sagte nervös stammelnd:

– Mein Gott, mein Gott, das arme Tier wird totgemacht, das mag ich nicht sehen! Ich will nicht, ich will nicht! Wir wollen fortgehen!

Ihr Nachbar, Paul Brétigny war aufgestanden und ohne ein Wort zu sagen, lief er auf den Fels zu, so schnell ihn seine langen Beine trugen. Man schrie entsetzt auf, die Menge wogte hin und her vor Schreck, und der Köter, der den großen Mann auf sich zukommen sah, floh hinter den Fels. Paul verfolgte ihn, der Hund lief wieder auf die andere Seite, und eine Minute oder zwei rannten sie um den Stein herum, bald rechts bald links, als ob sie Kämmerchenvermieten gespielt hätten.

Als der junge Mann sah, daß er das Tier nicht erwischen konnte, stieg er den Abhang wieder hinauf, der Hund verfiel in seine alte Wut und bellte den Fels wieder an. Wütende Zurufe empfingen den unvorsichtigen, ganz außer Atem ankommenden jungen Mann, denn die Menschen verzeihen nie dem, der sie hat erzittern machen.

Christiane erstickte fast vor Bewegung, sie hielt beide Hände auf ihr klopfendes Herz, sie hatte so den Kopf verloren, daß sie fragte:

– Sie sind doch hoffentlich nicht verletzt?

Aber Gontran, ihr Bruder, rief wütend:

– Der Kerl ist blödsinnig! Der macht immer solchen Unsinn! Das ist der verrückteste Mensch, den ich kenne!

Doch der Boden bewegte sich und schwankte, eine gewaltige Detonation zitterte durch das ganze Land, und während einer langen Minute tönte es in den Bergen wider, indem von allen Seiten wie Kanonenschüsse das Echo klang. Christiane sah nichts weiter als einen Regen von Steinen, der niederfiel, und eine hohe Säule, die in sich selbst zusammenbrach. Und sofort stürzte sich die Menge von oben wie eine gewaltige Woge mit wildem Geschrei auf den Fels los. Die Knaben sprangen und stürmten den Abhang hinunter, hinter ihnen das Regiment der Schauspieler, Petrus Martel an der Spitze. Es war, als würden die drei Trikolore-Sonnenschirme bei diesem Vorwärtsstürmen mit fortgetragen und alles: Männer, Frauen, Bauern, Bürger rannten, einzelne fielen hin, standen wieder auf, liefen abermals davon, während auf der Straße die beiden Menschen-Mengen, die noch eben furchtsam zurückgewichen waren, jetzt wieder aufeinander anprallten, zusammenstießen und sich am Ort der Explosion mischten.

– Wir wollen ein bißchen warten, – sagte der Marquis, – bis die Neugierde gestillt ist, und dann sehen wir es uns an.

Der Ingenieur, Herr Aubry-Pasteur, der mit großer Mühe aufgestanden war, antwortete:

– Ich kehre auf dem Fußweg zum Dorf zurück, ich habe jetzt hier nichts mehr zu suchen.

Er reichte dem Marquis die Hand, grüßte und ging.

Doktor Honorat war verschwunden. Man sprach von ihm, der Marquis sagte zu seinem Sohn:

– Du kennst ihn erst seit drei Tagen und ziehst ihn auf! Du wirst ihn noch beleidigen.

Aber Gontran zuckte die Achseln:

– Ach, der ist viel zu sehr Philosoph dazu, ich gebe Dir die Versicherung, er ärgert sich nicht. Wenn wir beide allein sind, macht er sich über alle Welt lustig, seine Kranken und den Brunnenschwindel an der Spitze.

Während dessen war die Erregung unten gewaltig. Dort wo der Fels verschwunden war, drängte sich die Riesenmenge, wogte, schrie in einer gewissen Bewegung und unerwartetem Staunen. Andermatt, der immer thätig und neugierig war, fragte:

– Was haben sie denn nur? Was haben sie denn nur?

Gontran erklärte, er würde nachsehen, und er ging davon, während die Sache jetzt Christiane nicht mehr interessierte. Sie dachte daran, daß die Lunte nur ein wenig kürzer hätte zu sein brauchen und ihr großer, verrückter Nachbar wäre getötet worden, wäre durch die Sprengung in Fetzen gerissen, nur weil sie für das Leben des Hundes gefürchtet. Sie meinte, dieser Mann müsse in der That heftig und leidenschaftlich sein, um sich so ohne jeden Grund der Gefahr auszusetzen, wenn eine unbekannte Dame nur einen Wunsch ausdrückte.

Auf der Straße sah man Leute nach dem Dorf zurücklaufen, und der Marquis fragte, nun selber neugierig:

– Was ist denn los?

Andermatt konnte es nicht mehr aushalten und ging den Abhang hinab. Gontran machte ihnen von unten ein Zeichen, zu kommen. Paul Brétigny fragte:

– Gnädige Frau, darf ich Ihnen den Arm geben?

Sie nahm den Arm, und sie fühlte, daß er stark war wie Eisen, und wenn ihr Fuß auf den harten Flächen ausglitt, stützte sie sich auf den Arm mit vollkommener Sicherheit, wie auf ein Geländer. Gontran war ihnen entgegengekommen und rief:

– Eine Quelle! Es ist eine Quelle! Die Explosion hat eine Quelle freigelegt!

Und sie mischten sich unter die Menge. Da gingen die beiden jungen Leute, Paul und Gontran voraus, drängten die Neugierigen, indem sie sie anstießen, bei Seite und ohne sich an der Anderen Schimpfen zu kehren, bahnten sie Christiane und ihrem Vater einen Weg.

Sie kamen durch einen Haufen von spitzen Steinen, zersprengt, schwarz von Pulver, und standen nun vor einem Loch voll schlammigen Wassers, das Blasen warf und nach dem Bach zu abfloß, über die Füße der Neugierigen hinweg. Andermatt war schon da, er hatte sich durch Zureden, wie nur er es konnte, durchgedrängt und starrte aufmerksam auf das Wasser.

Doktor Honorat, der ihm gegenüberstand auf der anderen Seite des Loches, blickte auch mit mißmutigem Staunen darauf. Andermatt sagte zu ihm:

– Man müßte mal kosten, es ist vielleicht mineralhaltig.

– Ganz bestimmt mineralhaltig, das sind sie alle hier! Bald giebts mehr Quellen als Kranke!

Der andere antwortete:

– Aber man muß mal probieren.

Der Arzt schien keine Eile zu haben:

– Man muß jedenfalls warten, bis das Wasser reinlich geworden ist.

Und jeder wollte die Quelle sehen. Die hinten standen, stießen die vorderen bis in den Schmutz, ein Kind fiel hinein, und man lachte. Oriol Vater und Sohn standen da und blickten mit ernstem Ausdruck auf dieses unerwartete Ereignis; sie wußten noch nicht recht, was sie davon denken sollten.

Der Vater war ein großer, magerer, vertrockneter Mann, mit knochigem Kopf und dem ernsten, bartlosen Gesicht des Bauern. Der Sohn noch größer, ein Riese, war auch mager, trug aber einen Schnurrbart und sah halb aus wie ein Unteroffizier, halb wie ein Winzer.

Das Wasser schien noch mehr Blasen zu werfen, die Flut zu wachsen. Eine Bewegung ging durch das Publikum: Doktor Latonne erschien, ein Glas in der Hand. Er schwitzte, war außer Atem und blieb ganz niedergeschmettert stehen, als er seinen Kollegen Doktor Honorat erblickte, der einen Fuß auf den Rand der neuen Quelle gesetzt hatte, wie ein General, der als erster die eroberte Festung betritt. Er fragte, nach Atem schnappend:

– Haben Sie schon gekostet?

– Nein, ich warte bis es reinlich ist.

Da tauchte Doktor Latonne das Glas hinein und trank mit jener wichtigen Miene wie Weinkenner, wenn sie den Rebensaft prüfen, dann erklärte er:

– Ausgezeichnet!

Das verpflichtete zu nichts. Er hielt seinem Konkurrenten das Glas hin:

– Wollen Sie?

Aber Doktor Honorat liebte offenbar nicht Mineralwasser, denn er antwortete lächelnd:

– Danke, Ihr Urtheil genügt ja, ich kenne den Geschmack!

Er kannte den Geschmack aller, und er nützte sie auch, aber auf andere Art. Dann wandte er sich zum alten Oriol:

– Na, so gut wie Ihr Wein wird es doch nicht.

Der Alte fühlte sich geschmeichelt.

Christiane hatte genug gesehen und wollte fort. Ihr Bruder und Paul bahnten ihr wieder einen Weg durch die Menge, sie folgte ihnen, auf den Arm ihres Vaters gestützt. Plötzlich glitt sie aus. Sie wäre fast gefallen, und als sie zu Boden blickte, merkte sie, daß sie auf ein Stück blutiges Fleisch getreten voll schwarzer Haare und Schlamm. Das war ein Überrest des Hundes, der bei der Explosion zerrissen und von der Menge unter die Füße getreten worden war. Sie rang nach Atem, so erschrocken, daß sie die Thränen nicht zurückhalten konnte, und flüsterte, indem sie sich mit dem Taschentuch über die Augen fuhr:

– Armes Tier! Armes Tier!

Sie wollte nichts mehr hören, wollte nach Haus und sich einschließen. Dieser Tag, der so schön begonnen, endete schlecht für sie. War es eine Vorahnung? Ihr Herz schlug mit lauten Schlägen.

Sie waren jetzt allein auf der Straße und bemerkten nun vor sich einen Cylinder und die beiden Schöße eines Gehrockes, die wie zwei schwarze Flügel flatterten. Es war Doktor Bonnefille, der zuletzt benachrichtigt worden und nun herbeilief, ein Glas in der Hand, wie Doktor Latonne. Als er den Marquis sah, blieb er stehen:

– Was ist denn dran? Was ist denn dran, Herr Marquis? Eine Quelle, eine Mineralquelle?

– Ja, lieber Doktor!

– Eine starke Quelle?

– Gewiß!

– Sind sie da?

Gontran antwortete:

– Natürlich, Doktor Latonne hat schon die Analyse gemacht!

Da rannte Doktor Bonnefille weiter, während Christiane, ein wenig zerstreut und durch die komische Erregung des Mannes erheitert, sagte:

– Gut, ich will nicht ins Hotel, setzen wir uns ein wenig in den Park.

Andermatt war zurückgeblieben und sah zu, wie das Wasser quoll.

 


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