Guy de Maupassant
Mont Oriol
Guy de Maupassant

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III

An der Table d'hôte im Splendid-Hotel ging es diesen Abend hoch her. Die Geschichte des Felsens und der Quelle belebte die Unterhaltung. Es saßen nicht viel Leute bei Tisch, vielleicht zwanzig, leidende Menschen, Kranke, die, nachdem sie alle möglichen Bäder durchprobiert hatten, nun eben ein anderes versuchten.

An der Ecke, wo die Andermatts und die Ravenels saßen, hatten noch Platz genommen: die Monécus, ein kleiner weißer Mann mit seiner Tochter, einem großen blassen Mädchen, das ab und zu mitten während der Mahlzeit aufstand, fortging und ihren Teller halbgefüllt zurückließ; dann der dicke Aubry-Pasteur, der ehemalige Ingenieur; darauf die Chaufour, ein schwarz gekleidetes Ehepaar, das man den ganzen Tag über in den Anlagen des Parkes hinter einem kleinen Wagen erblickte, in dem ihr verwachsenes Kind gefahren ward; endlich die beiden Damen Paille, Mutter und Tochter, beide Witwen, groß, stark, rund, überall, vorn und hinten. Gontran sagte von ihnen:

– Es ist doch klar, sie haben ihre Männer aufgefressen, und nun haben sie Magenschmerzen.

Sie waren in der That wegen eines Magenleidens hier. Weiter am Tisch sah man ein ziegelrotes Gesicht: Herrn Riquier, der auch an schlechter Verdauung litt. Dann ein paar farblose Menschen, jene Stammgäste, die, zuerst die Frau, dann der Mann in die Speisesäle der Hotels treten, an der Thür schon grüßen und leise und verlegen sich setzen.

Die ganze andere Hälfte des Tisches war leer, obgleich gedeckt worden war für etwa noch kommende Gäste.

Andermatt erzählte lebhaft. Er hatte den ganzen Nachmittag mit Doktor Latonne gesprochen über große Projekte, Enval betreffend. Der Doktor hatte ihm mit Begeisterung die erstaunliche Wirkung des Brunnens auseinandergesetzt, der ganz bedeutend kräftiger wirke, als der in Châtel-Guyon, zu dem jedoch seit zwei Jahren etwa die Mode neigte. Da lag also rechts das elende Nest Royat, das Riesen-Geschäfte machte und links das Nest Châtel-Guyon, das seit kurzer Zeit denselben Weg ging. Was hätte man erst aus Enval machen können, wenn mans nur richtig anfing. Er sagte und wendete sich zu dem Ingenieur:

– Ja wissen Sie, darin beruht alles, das »richtig anfangen«. Alles in der Welt hängt nur von der Geschicklichkeit, vom Kampf und vom Mut ab. Um einen Badeort in die Höhe zu bringen, muß man ihn nur zu lanzieren wissen, das ist die ganze Kunst; und um ihn zu lanzieren, muß man die Pariser Ärzte dafür interessieren. Wissen Sie, mir glückt alles, was ich unternehme, weil ich immer das praktische Mittel suche, das einzige, das in jedem einzelnen Falle, der mir vorliegt, den Erfolg in sich trägt. Solange ich es noch nicht erkannt habe, thue ich nichts. Allein die Thatsache, daß das Wasser gut ist, genügt mir nicht, das Wasser muß auch getrunken werden, und um es trinken zu lassen, genügt es garnicht, in den Zeitungen selbst Lärm zu schlagen, man muß die Kunst verstehen, das ganz diskreter Weise von den einzigen Leuten sagen zu lassen, die wirklich auf die Kranken Einfluß haben, auf die Kranken, die wir hier brauchen, auf das gläubige Publikum, das die Medikamente zahlt, nämlich: von den Ärzten! Bei Gericht redet man nur durch den Mund des Verteidigers, hört nur ihn und versteht nur ihn; mit Kranken soll man nur durch den Arzt sprechen, sie hören nur auf den Arzt.

Der Marquis, der die weitspannenden Ideen seines Schwiegersohnes sehr bewunderte, rief:

– Das stimmt! Das stimmt! Du bist übrigens gerade der Rechte dazu.

Andermatt fuhr dadurch angeregt fort:

– Ich sage Ihnen, hier liegen Millionen begraben, es ist eine wundervolle Gegend, ein entzückendes Klima, ein einziges ist bedenklich: Wird es für ein großes Bad genügend Wasser geben? Denn was man halb macht, geht immer schief, wir müssen ein großes, großes Kurhaus bauen und dazu brauchen wir viel Wasser, unbedingt genug Wasser, um zweihundert Badewannen zu gleicher Zeit zu speisen. Es muß schnell und ununterbrochen fließen, und die neue Quelle mit der alten zusammengethan würde nicht für fünfzig Personen genügen, da mag Doktor Latonne sagen, was er will.

Herr Aubry-Pasteur unterbrach ihn:

– Ach Gott, Wasser verschaffe ich Ihnen, so viel Sie wollen!

– Andermatt fuhr auf:

– Sie?

– Ja gewiß ich! Das setzt Sie in Erstaunen? Nun, ich werde es Ihnen klar machen. Voriges Jahr war ich zu derselben Zeit hier wie jetzt, denn ich befinde mich hier in Enval sehr wohl. Da eines Morgens, als ich ruhig in meinem Zimmer saß, kam ein dicker Mann zu mir, der Präsident des Verwaltungsrats des Bades, er war sehr erregt, ich will Ihnen erzählen warum.

Der Bonnefille-Brunnen hatte plötzlich so wenig Wasser, daß man fürchtete, er möchte ganz versiegen. Da er wußte, daß ich Minen-Ingenieur gewesen bin, fragte er mich, ob es Mittel gäbe, die Sache wieder in Schwung zu bringen. Ich untersuchte also die geologische Beschaffenheit der Gegend, Sie wissen, daß überall in den früheren Erd-Perioden verschiedene Bewegungen und Zustände des Bodens hervorgerufen worden sind. Es handelt sich also darum, zu finden, wo das Mineralwasser herkommt, durch welche Schichten, welches die Richtung dieser Schichten ist, ihr Ursprung, ihre Eigenart.

Ich untersuchte also zuerst genau das Bad, und da entdeckte ich in einer Ecke das alte Rohr einer Badewanne, das nicht mehr gebraucht wurde und bemerkte, daß es schon beinahe durch die Salze verstopft war. Wenn das Wasser also, indem es Salz absetzte, die Leitungsrohre verstopfte, so mußte es selbstverständlich in der natürlichen Leitung im Boden – da es Granitboden ist – ebenso geschehen. Der Bonnefille-Brunnen war also verstopft, das war die ganze Geschichte.

Man mußte ihn an einer anderen Stelle zu fassen suchen. Alle Welt hätte das nun über dem Punkt, wo er entsprudelt, versucht, aber nachdem ich einen Monat lang die Sache studiert, meine Beobachtungen angestellt und überlegt, suchte ich ihn und fand ihn auch, fünfzig Meter tiefer. Nun hören Sie warum.

Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß man zuerst den Ursprung, die Eigenart, die Richtung der Schichten im Granit, durch die das Wasser kommt, feststellen muß, und es war mir leicht, zu finden, daß diese Schichten nicht wie gewöhnlich vom Berge zur Ebene hinabgingen in dem Neigungswinkel, sondern zwischen den einzelnen Granitschichten immer weiter emporklommen, und ich fand auch den Grund zu diesem seltsamen Phänomen, daß das Wasser nicht hinab, sondern hinauf floß.

Früher befand sich die Limagne, diese weite sandige Ebene, deren Ende man kaum sieht, auf demselben Niveau wie das Plateau, auf dem die Berge ruhen, aber durch die Beschaffenheit ihrer geologischen Unterlagen senkte sie sich und zog die Berge in die Bewegung mit hinein, wie ich Ihnen vorhin auseinandergesetzt habe. Nun geschieht folgendes: Das Mineralwasser entspringt in den früheren alten Kratern einstiger Vulkane. Das Wasser, das von sehr weit herkommt, wird unterwegs kalt und tritt kalt, wie gewöhnliche Quellen, an die Oberfläche, dasjenige aber, das von näheren Punkten herkommt, sprudelt noch warm an der Oberfläche in den verschiedenen Temperaturen, je nach Entfernung des Herdes. Und es legt folgenden Weg zurück: Es sinkt bis zu unbekannten Tiefen, bis es auf die Schichten der Limagne trifft; die kann es nicht durchbrechen; bei dem großen Druck sucht es nun einen Ausweg, findet Spalten im Granit, dringt hinein, steigt in ihnen empor bis es die Erdoberfläche erreicht, dann nimmt es seine alte Richtung wieder auf und rinnt im gewöhnlichen Bachbett zur Ebene hinab.

Ich muß hinzufügen, daß das Wasser, welches wir kennen, nicht mal der hundertste Teil der Mineralwässer dieses Thales ist, wir sehen bloß die, deren Ausganspunkt sich an der Oberfläche befindet, die anderen und die dort ans Licht treten, wo eine dicke bewachsene und bebaute Erdfläche darüber liegt, verlieren sich in der Erde, die sie ganz aufsaugt. Daraus schließe ich nun, daß: erstens um Wasser zu erhalten, es einfach genügt, es zu suchen, indem man die Lagen und die Richtung der obersten Granitschichten aufsucht. Zweitens um Wasser weiter laufen zu lassen es genügt, die Risse davor zu behüten, daß sie von den sich absetzenden Salzen verstopft werden, das heißt die kleinen künstlichen Brunnen, die gebohrt werden, ordentlich erhalten. Drittens, daß, um eine Nachbarquelle zum Versiegen zu bringen, man einfach bohren muß bis zu denselben Granitrissen unterhalb aber nicht oberhalb. Unter diesen Gesichtspunkten ist die heute entdeckte Quelle wundervoll gelegen. Wollte man ein neues Bad gründen; so müßte es ein paar Meter von jener Stelle geschehen.

Alles schwieg, als er aufhörte zu sprechen, Andermatt war sehr zufrieden und sagte nur:

– Ja so ist es, wenn man einen Blick hinter die Coulissen thut, ist das ganze Wunder gelöst. Sie sind ja ein wundervoller Mann, Herr Aubry-Pasteur!

Außer ihm hatte nur der Marquis und Paul Brétigny verstanden, Gontran allein hatte nicht zugehört. Die anderen starrten mit offenem Mund und Ohr den Ingenieur an und machten vor Erstaunen dumme Gesichter. Die Damen Paille vor allen Dingen, die sehr fromm waren, fragten sich, ob diese Erklärung eines von Gott geschaffenen Wunders nicht irreligiös wäre. Die Mutter meinte sagen zu müssen:

– Gottes Wege sind wunderbar!

Die Damen mitten am Tisch gaben durch Kopfnicken ihre Zustimmung, sie fühlten sich auch beunruhigt durch diese ihnen unverständliche Erklärung.

Herr Riquier, der Ziegelfarbene, erklärte:

– Ob die Brunnen von Enval nun von Vulkanen kommen oder wo anders her, jedenfalls haben sie mir die zehn Tage, die ich hier bin, absolut noch nichts genützt.

Herr und Frau Chaufour protestierten aber eifrig im Interesse ihres Kindes, das schon anfing, das rechte Bein zu bewegen, was seit den sechs Jahren, die es krank war, noch nicht geschehen.

Riquier antwortete:

– Nun, das beweist einfach, daß wir nicht alle an derselben Krankheit leiden und beweist noch nicht, daß der Brunnen von Enval gegen Magenleiden indiziert ist.

Er schien wütend zu sein über seinen neuen vergeblichen Heilungsversuch. Aber Herr Monécu nahm auch das Wort im Namen seiner Tochter und erklärte:

– Seit acht Tagen fängt sie auch schon an, Speisen bei sich zu behalten, ohne genötigt zu sein, bei jeder Mahlzeit zu verschwinden.

Die Tochter errötete und senkte ihr Gesicht auf den Teller. Auch den Damen Paille ging es besser. Da wurde Riquier wütend und wandte sich plötzlich zu den beiden:

– Bitte meine Damen, leiden Sie am Magen?

Sie antworteten zugleich:

– Ja, Verdauungsstörungen.

Er wäre beinahe vom Stuhl aufgesprungen und stammelte:

– Sie! Sie!? Man braucht Sie doch bloß anzusehen! Sie, Sie wollen Magenschmerzen haben? Meine Damen, Sie essen eben zu viel!

Die Mutter Paille wurde wütend und antwortete:

– Nun bei Ihnen ist die Sache ja nicht zweifelhaft, Sie haben ja allerdings das typische Äußere des Magenkranken. Das Wort ist garnicht so unrichtig, daß zur Liebenswürdigkeit ein gesunder Magen gehört.

Eine alte sehr magere Dame, von der niemand wußte wie sie hieß, sagte ganz bestimmt:

– Ich glaube, allen würde der Brunnen besser bekommen, wenn der Küchenchef ein wenig darauf achten würde, daß er für Kranke kocht. Wir bekommen aber Dinge vorgesetzt, die kein Mensch verdauen kann.

Und nun war plötzlich der ganze Tisch einig. Allgemeine Empörung richtete sich gegen den Hotelbesitzer, der Langusten gab, Wurst oder Kohl, ja wahrhaftig, Kohl und Würstchen, die unverdaulichsten Dinge der Welt und das für Leute, denen die drei Ärzte Doktor Bonnefille, Doktor Latonne und Doktor Honorat nur weiches, mageres, zartes Fleisch und frische Gemüse verordnet hatten.

Riquier zitterte vor Wut:

– Sollten die Ärzte sich nicht lieber um das Essen in den Bädern kümmern, statt diesen wichtigen Punkt einfach einem ungebildeten Menschen zu überlassen? So bekommen wir zum Beispiel täglich harte Eier, Anchovis und Schinken als hors d'oeuvre.

Herr Monécu unterbrach ihn:

– O bitte, meine Tochter verträgt nur Schinken gut, der ihr übrigens von Mas-Roussel und von Rémusot verordnet worden ist.

Riquier schrie:

– Schinken! Schinken! Hören Sie mal, das ist Gift!

Und plötzlich war der ganze Tisch in zwei Lager geteilt, die einen für, die anderen gegen Schinken, und über die Speisen begann ein endloser Streit, der sich täglich wiederholte. Sogar über die Milch sprachen sie ganz erregt, denn Riquier konnte nicht ein Glas trinken, ohne sofort krank zu werden.

Aubry-Pasteur antwortete ihm, – er empörte sich nun auch darüber, daß man Sachen beanstandete, die er gern mochte:

– Aber hören Sie mal, verehrter Herr, wenn Sie an Dyspepsie und ich an Gastralgie leiden, dann bedürfen wir eben so verschiedener Nahrung, wie ein Kurzsichtiger und ein Weitsichtiger andere Brillen brauchen, obgleich einer wie der andere anormale Augen hat.

Er fügte hinzu:

– Ich bin am Ersticken, wenn ich ein Glas Rotwein getrunken habe, und ich glaube, es giebt für den Menschen nichts Schlechteres als Wein, die Wassertrinker werden hundert Jahre alt, während wir . . . .

Gontran antwortete lachend:

– Na hören Sie mal, ohne Wein und ohne Weiber wäre doch das Leben schrecklich langweilig!

Die Damen Paille senkten die Augen, sie tranken reichlich sehr guten Bordeaux ohne Wasser, und ihr doppeltes Witwentum schien den Schluß zu erlauben, daß sie das Gleiche ihren Männern angeraten, denn die jüngere war erst zweiundzwanzig, die Mutter kaum vierzig Jahre alt.

Aber Andermatt, der sonst auch viel schwatzte, blieb schweigend und nachdenklich sitzen. Plötzlich fragte er Gontran:

– Weißt du, wo die Oriol wohnen?

– Ja, man hat mir vorhin ihr Haus gezeigt.

– Kannst du mich mal nach Tisch hinbringen?

– Gewiß, ich gehe sogar sehr gern mit, ich würde riesig gern die beiden Mädel wiedersehen!

Und sobald das Essen beendet war, gingen sie davon, während Christiane, die müde war, sowie der Marquis und Paul Brétigny sich für den Rest des Tages auf ihre Zimmer zurückzogen.

Andermatt nahm seines Schwagers Arm:

– Mein lieber Gontran, wenn der Alte vernünftig, ist und wenn die Analyse das bewahrheitet, was Doktor Latonne hofft, werde ich wahrscheinlich hier eine große Gründung machen, einen Badeort. Ich will einen Badeort lanzieren.

Er blieb mitten auf der Straße stehen und faßte seinen Begleiter am Rock:

– Oh ihr versteht ja garnicht, wie amüsant Geschäfte sind, nicht Geschäfte von Kaufleuten und Krämern, große Geschäfte, unsere! Ja, ja, mein Lieber, wenn man das richtig versteht, so liegt darin alles, was die Menschen wollen, es ist zu gleicher Zeit Politik, Krieg, Diplomatie, alles alles. Man muß immer nur finden, erfinden, alles verstehen, alles vorher sehen, alles kombinieren, alles wagen . . . . Die großen Kämpfe werden heutzutage mit Geld ausgefochten, für mich sind die Frankenstücke nichts anderes wie Soldaten mit roten Hosen, die Zwanzigfrancsstücke schöne Leutnants, die Banknoten von hundert Francs Haupleute, die von tausend Generäle, und ich kämpfe, weiß der Teufel, ich kämpfe von früh bis abends gegen alle Welt und mit aller Welt, das nenne ich leben, das nenne ich groß und weit leben, wie einst die Mächtigsten dieser Erde, denn jetzt sind wir die Mächtigsten, die einzigen wahr und wahrhaftig Mächtigen.

Sieh mal dieses arme Dorf an. Daraus mache ich eine große Stadt mit großen, überfüllten Hotels, mit Aufzug, Dienerschaft, Wagen, einer Menge reichen Leuten von einer Menge armer Leute bedient und alles das, weil mir's eines Abends in den Sinn gekommen ist mit Royat rechts und Châtel-Guyon links zu konkurrieren, mit dem Mont Dore, mit La Bourboule, Châteauneuf, Saint Nectaire die da hinter uns liegen, mit Vichy uns gegenüber. Und mir wird's glücken, weil ich das Mittel kenne, das einzige Mittel, ich habe es plötzlich klar erkannt wie ein General die schwache Stelle des Feindes. In unserem Beruf muß man ebensowohl die Menschen zu leiten wissen, sie zu etwas begeistern wie sie niederzwingen. Gott, ist das Leben herrlich, wenn man so was machen kann! Meine Badegründung giebt mir jetzt für drei Jahre Amusement!

Und dann sieh mal so ein Glück: muß ich gerade diesen Ingenieur finden, der uns bei Tisch die fabelhaften Aufschlüsse gab. Fabelhafte Sachen, mein Alter! Das System ist ja so klar wie der Tag. Paß mal auf, nun ruiniere ich das alte Bad und brauche es gar nicht mal mehr zu kaufen.

Er hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, und sie gingen langsam die Straße nach Châtel-Guyon hinauf.

Gontran pflegte ab und zu zu versichern: »Wenn ich in die Nähe meines Schwagers komme, ist es mir, als hörte ich in seinem Kopf ganz genau das Geräusch der Spielsäle von Monte-Carlo, das Geräusch des Goldes, das hin und her rollt, gesetzt, abgezogen, verdoppelt gewonnen oder verloren wird!«

Andermatt glich in der That einer seltsamen menschlichen Maschine, nur gebaut, um zu berechnen und Geld hin und her zu bewegen. Übrigens bildete er sich mit einer gewissen Koketterie etwas auf seine Fähigkeiten ein und rühmte sich, auf den ersten Blick den wirklichen Wert jedes x-beliebigen Gegenstandes schätzen zu können.

So nahm er alle Augenblicke, wo er sich nur befand, irgend einen Gegenstand, betrachtete ihn, drehte ihn um und um und erklärte: »Das ist so und so viel wert!«

Seine Frau und sein Schwager, denen diese Art und Weise Spaß machte, unterhielten sich manchmal damit, ihn zu betrügen, irgend ein ausgefallenes Stück ihm zu zeigen und ihn zu bitten, er möchte es schätzen. Wenn er dann ihrem seltsamen Fund ganz erstaunt gegenüberstand, wollten sie sich ausschütten vor Lachen.

Auch in Paris blieb Gontran manchmal mit ihm auf der Straße vor einem Laden stehen und wollte von ihm den genauen Wert eines ganzen Schaufensters wissen, oder eines lahmen Gaules, oder etwa eines Umzugswagens mit allen Möbeln darin.

Eines Abends bei einem großen Diner bei seiner Schwester bat er William inständigst, ihm zu sagen, was etwa der Obelisk auf dem Concordienplatz wert wäre. Als der andere dann irgend eine Zahl genannt, wollte er genau dasselbe für die Solferinobrücke wissen und für den Triumphbogen. Dann schloß er ganz ernst:

– Du könntest ein sehr interessantes Buch schreiben, über den reellen Wert aller bedeutenden Denkmäler der Erde.

Andermatt ärgerte sich nie und war zu allen Scherzen zu haben, als überlegener, selbstsicherer Mann der er war. Als aber Gontran eines Tages fragte:

– Und wieviel bin ich denn wert? – weigerte sich William zu antworten, und als dann sein Schwager immer weiter bat: »Höre mal, wenn mich Räuber gefangen nähmen, was würdest Du denn anlegen, um mich auszulösen?«

– Nun, – nun – lieber Freund, einen Wechsel!

Und sein Lächeln war so vielsagend, daß der andere erschrocken nicht mehr fragte.

Übrigens liebte Andermatt selber Kunstgegenstände, denn er hatte einen feinen Geist, sammelte sie sehr geschickt mit jenem natürlichen Instinkt, den er auch bei allen Geschäftssachen hatte.

Sie kamen jetzt vor ein Haus, das gut bürgerlich aussah. Gontran glieb stehen und sagte:

– Hier ist's!

An einer schweren Eichenthür hing ein eiserner Klöppel, sie klopften, und eine alte magere Person öffnete. Der Bankier fragte:

– Herr Oriol da?

Das Weib sagte:

– Treten Sie näher!

Sie traten in die Küche, eine geräumige Bauernküche, wo noch unter einem Kessel das Feuer glühte, dann führte man sie in das zweite Zimmer daneben, wo die Familie Oriol vereint war. Der Vater schlief in einem Stuhl, die Füße auf einen anderen gelegt. Der Sohn hatte beide Ellbogen auf den Tisch gestemmt und las das Petit Journal mit großer Aufmerksamkeit, und die beiden Mädchen arbeiteten am Fenster an ein und derselben Stickerei, je von einer Seite beginnend.

Sie standen zuerst auf, beide zugleich, erschrocken über den plötzlichen Besuch, dann hob der große Jakob den Kopf, ganz rot durch die Anstrengung des Lesens, und endlich wachte der alte Oriol auf und zog nach einander beide Beine vom zweiten Stuhl zurück.

Das Zimmer war ganz kahl, mit getünchten Wänden und Steinfliesen. Es enthielt Strohstühle, eine Kommode, vier Ansichten von Epinal unter Glas und große weiße Vorhänge. Alle blickten sich an und die Dienerin, die die Röcke bis zu den Knien aufgeschürzt hatte, wartete neugierig an der Thür.

Andermatt stellte sich vor, nannte seinen Namen und den seines Schwagers, des Grafen Ravenel, machte den beiden jungen Mädchen eine tiefe Verbeugung, setzte sich dann ruhig und sagte:

– Herr Oriol, ich möchte von Geschäften mit Ihnen reden. Ich will weiter keine Umschweife machen, ich will Ihnen einfach sagen, um was es sich handelt. Sie haben vorhin in Ihrem Weinberg eine Quelle entdeckt, die Analyse des Wassers wird in den nächsten Tagen fertig sein, wenn es nichts wert ist, trete ich natürlich zurück, enthält es aber das, was ich hoffe, so schlage ich Ihnen vor, ich will Ihnen das Feld und das Grundstück mit allem daranstoßenden abkaufen. Überlegen Sie es sich, kein anderer wie ich kann das machen, was ich Ihnen anbiete, kein anderer.

Die frühere Gesellschaft steht nahe vor dem Bankrott, sie wird also nicht mehr auf den Gedanken kommen, ein neues Kurhaus zu bauen, und der Krach dieses Unternehmens wird wohl keine anderen Leute zu einem neuen Versuch reizen. Antworten Sie mir heute nicht, sprechen Sie mit Ihrer Familie. Wenn die Analyse beendigt ist, nennen Sie mir bitte Ihren Preis. Paßt er mir, sage ich ja, paßt er mir nicht, sage ich nein und gehe meiner Wege. Ich handle nie.

Der Bauer, in seiner Weise auch Geschäftsmann und gerissen wie nur je einer, antwortete höflich, er würde sich die Sache überlegen, er fühle sich sehr geehrt, er würde nachdenken und bot ein Glas Wein an.

Andermatt nahm an, und da es dunkel wurde, sagte Oriol zu seinen Töchtern, die wieder begonnen hatten zu arbeiten und auf ihre Stickerei gebeugt waren:

– Ihr kennt anfunzeln!

Beide zugleich standen auf, gingen ins Nebenzimmer und kamen zurück, die eine zwei brennende Kerzen in den Händen, die andere vier niedrige armselige Gläser. Die Lichte waren noch nie angezündet und Papierrosetten darum, sie standen offenbar als Schmuck auf dem Kamin im Zimmer der beiden Mädchen.

Da erhob sich der ›Kuluß‹, denn nur Männer pflegten in den Keller hinabzugehen. Andermatt kam auf eine Idee:

– O könnten wir nicht mal Ihren Keller sehen? Sie sind die ersten Weinbauer hier in der Gegend, da muß er sehr interessant sein!

Oriol fühlte sich geschmeichelt und führte sie hinab, indem er mit einem Leuchter vorausschritt. Sie gingen durch die Küche, stiegen dann in einen Hof hinab, wo man in der halben Dämmerung noch geleerte Fässer stehen sah, und in einer Ecke gewaltige Mahlsteine, ein Loch in der Mitte, wie Räder eines antiken riesigen Wagens. Ferner eine Weinpresse mit den hölzernen Schrauben, die braunen Glieder glänzend vom Gebrauch und hinausleuchtend aus der Dunkelheit beim Schein des Lichtes. Dann allerlei landwirtschaftliche Geräte, deren durch die Erde glattgeschliffene Eisen blitzten wie Kriegswaffen. Alle diese Gegenstände erhellten sich allmählich, während der Alte ihnen näherkam und vorbeiging, indem er das Licht in der einen Hand hielt und die andere dagegen als Windschirm.

Es duftete nach Wein, nach gekelterter und getrockneter Traube. Sie kamen an die Thür, die mit zwei Schlössern verschlossen war. Oriol öffnete, hob plötzlich das Licht über den Kopf und zeigte eine lange Reihe von Fässern, auf denen eine zweite Reihe kleinerer lag. Er bedeutete, daß dieser Keller sich noch tief in den Berg hineinzöge. Dann erklärte er, was jedes einzelnes Faß enthielt, alle erster Klasse. Als sie dann an das Familienfaß gekommen, fuhr er liebkosend, wie über die Kruppe eines Pferdes, mit der Hand darüber und sagte stolz:

– Davon werd' ich Sie mal zu kosten gäben, so ä Wein giebts nirgends, in Bordeaux keenen und nirgends.

Denn er liebte, wie die Landleute, den Wein vom Faß. Kuluß folgte ihm, beugte sich nieder, drehte den Hahn auf, während der Vater mit Aufmerksamkeit leuchtete, als handele es sich um eine schwierige, feine Arbeit. Das Licht schien ihnen ins Gesicht, auf den Kopf des Alten und den Unteroffiziers-Schädel des Jungen. Andermatt flüsterte Gontran ins Ohr:

– Das ist ja der reine Teniers!

Der junge Mann antwortete leise:

– Mir sind die Mädel lieber!

Dann kehrten sie ins Haus zurück. Man mußte von dem Wein trinken, viel trinken, um den beiden Oriols Freude zu machen. Die Mädchen hatten sich dem Tisch genähert und setzten ihre Arbeit fort, als ob niemand dagewesen wäre. Gontran blickte sie unausgesetzt an, er fragte sich, ob sie Zwillinge wären, so sahen sie einander ähnlich. Aber dann sah er, daß die eine etwas stärker, kleiner und die andere etwas vornehmer ausschaute. Ihr braunes, nicht schwarzes Haar lag eng an den Schläfen und leuchtete leise bei jeder Bewegung ihrer Köpfe. Sie hatten ein wenig starke Kinnladen und die etwas kräftige Stirn der Auvergnaten, die stark hervortretenden Backenknochen, aber einen reizenden Mund, ein wunderhübsches Auge, Augenbraunen wie Striche gezogen und einen köstlich frischen Teint.

Wenn man sie so sah, fühlte man, daß sie in diesem Hause nicht erzogen sein konnten, sondern in einer eleganten Pension, im Kloster, wo die reichen, vornehmen Mädchen der Auvergne hingingen, und daß sie dort die Manieren der guten Gesellschaft angenommen.

Aber Gontran ekelte sich vor dem Weinglas das vor ihm stand und stieß Andermatt mit dem Fuß an, daß sie gehen wollten. Er erhob sich endlich, beide drückten kräftig den Bauern die Hand, grüßten wieder die jungen Mädchen, dieselben antworteten diesmal, leicht mit dem Kopf nickend, ohne sich zu erheben.

Sobald sie auf der Straße standen, fing Andermatt an zu sprechen:

– Na, mein Alter, ist das nicht eine merkwürdige Familie? Den Sohn brauchte der Alte im Weinberg, da wurde ein Mann gespart, – blödsinnige Sparsamkeit, – na, ganz wurscht, er ist da geblieben, das ist die Volksseite. Die Mädchen aber sind mehr auf Seite der Gesellschaft gekommen, sie gehören schon beinahe dazu. Wenn sie nun noch gute Heiraten machen, sind sie genau dasselbe, wie eine unserer Frauen, wahrscheinlich sogar besser wie die meisten. Mir macht es Spaß, solche Leute zu sehen, so etwa wie ein Geologe ein Tier aus der Tertiärzeit.

Gontran fragte:

– Welche gefiel Dir besser?

– Welche? Wieso denn, wer denn? welche?

– Nun von den beiden Mädchen.

– Ach so, ach, das weiß ich nicht, ich habe sie nicht verglichen. Aber das kann Dir doch ganz gleich sein, Du hast doch nicht scharf auf eine von ihnen.

Gontran begann zu lachen:

– Nein, aber mir macht es Spaß mal frische, wirklich frische, natürliche Mädchen zu sehen, wie man sie bei uns nie sieht. Ich sehe sie gern, denn wie du einen Teniers liebst, giebt es für mich nichts köstlicheres, als ein hübsches, junges Mädchen, ganz gleich wo und woher sie stammt. Ich sammle nicht, ich bewundere, ich bewundere leidenschaftlich wie ein Künstler, mir macht es eben Spaß. Übrigens kannst Du mir fünftausend Francs pumpen?

Der andere blieb stehen und fragte sehr energisch:

– Wieder?

Gontran antwortete ganz einfach:

– Immer!

Dann setzten sie ihren Weg fort. Andermatt sagte:

– Zum Teufel noch mal, wo läßt Du denn das Geld!

– Ich gebe es aus.

– Aber Du schmeißt es mir so hinaus!

– Lieber Freund, mir macht das Ausgeben genau so viel Spaß, wie Dir das Einnehmen.

– Ja das ist ganz gut, aber Du verdienst keins!

– Das ist richtig. Man kann eben nicht alles machen. Du verstehst es, zu verdienen und kannst absolut nicht ausgeben, bei Dir ist das Geld nur gut, um zu hecken! Ich verstehe es nicht, zu gewinnen, aber ich kanns wundervoll ausgeben, und mir bereitet es Wonnen, die Du nicht mal dem Namen nach kennst. Wir waren geradezu geboren zur Schwagerschaft, wie ergänzen einander wundervoll!

Andermatt brummte:

– Du bist ja verrückt. Nein, fünftausend bekommst Du nicht, aber ich pumpe Dir fünfzehnhundert, weil ich Dich vielleicht, vielleicht in ein paar Tagen brauche.

Gontran antwortete ganz ruhig:

– Na also, dann nehme ichs als Anzahlung an.

Der andere klopfte ihm, ohne zu antworten, auf die Schulter.

Sie kamen an den Park, wo Lampions überall an den Ästen der Bäume hingen. Die Kurkapelle spielte etwas Klassisches langsam, das zu hinken schien, voll Pausen, von den vier Musikern ausgeführt, die müde davon waren, hier immer zu spielen von früh bis abends in dieser Einsamkeit nur angesichts der Blätter und des Baches, müde, den Klang von zwanzig Instrumenten ausfüllen zu sollen, müde vielleicht auch, daß sie am Ende des Monats nicht bezahlt wurden, denn Petrus Martel suchte ihnen immer statt des Geldes Weintrauben oder Schnäpse aufzuhängen, die die Badegäste doch nicht kauften.

Durch die Musik hindurch klang der Ton vom Billard, das Zusammenklappen der Kugeln und die Stimmen die da riefen:

– Zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig!

Andermatt und Gontran gingen hinauf. Herr Aubry-Pasteur und Doktor Honorat saßen neben der Musik und tranken ihren Café.

Petrus Martel und Lapalme spielten ihre ewige Partie, und die Buffetdame fuhr aus dem Schlummer auf und fragte:

– Wünschen die Herren etwas?

 


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