Guy de Maupassant
Ein Menschenleben
Guy de Maupassant

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VIII

Rosalie hatte das Haus verlassen, und Johanna machte die schmerzhafte Zeit der Schwangerschaft durch. Sie empfand keine Freude bei dem Gedanken an ihre Mutterschaft: zu viel Kummer hatte sie gehabt. Sie erwartete ohne Spannung und Ungeduld ihr Kind, immer noch von unsäglichen Qualen gebeugt.

Langsam war es Frühling geworden, die kahlen Bäume zitterten in dem immer noch frischwehenden Winde, aber im nassen Gras in den Gräben, wo die Herbstblätter faulten, begann die gelbe Primel zu sprießen. Von der ganzen Ebene, von den Hofräumen der Meierhöfe, von den getrockneten Feldern stieg ein feuchter Duft empor, etwas wie Gährung, und eine Menge kleiner, grüner Spitzen schossen aus der braunen Erde auf und leuchteten in den Sonnenstrahlen.

Ein dickes, mächtiges Weib war an Rosaliens Stelle gekommen und führte die Baronin bei ihrer eintönigen Promenade in ihrer Allee, wo ihr nachschleppender Fuß immer eine schwarze, nasse Spur zog.

Papachen gab Johanna den Arm, der jetzt das Gehen sauer wurde und die immer leidend war, und Tante Lieschen, die beunruhigt und verstört war wegen des kommenden Ereignisses, hielt ihr auf der andern Seite die Hand, innerlich ganz beschäftigt mit dem Wunder, das da vorging und das sie nie kennen lernen sollte.

So gingen sie stundenlang dahin, indem sie kaum sprachen, während Julius zu Pferde die Gegend durchstreifte, denn plötzlich hatte er daran Geschmack gefunden.

Nichts störte mehr ihr einsames Leben. Der Baron, seine Frau und der Vicomte machten den Fourvilles, die Julius schon gut zu kennen schien, ohne daß es eigentlich herauskam woher, einen Besuch. Ein anderer förmlicher Besuch wurde mit den Brisevilles gewechselt, die immer noch in ihrem verwunschenen Schloß vergraben waren. Eines Nachmitttags gegen vier Uhr, als zwei Reiter, Herr und Dame, im Trab in den Hof vor dem Schloß einbogen, kam Julius ganz erregt in Johannas Zimmer:

– Schnell, schnell, komm herunter, die Fourvilles sind da. Sie kommen nur als Nachbarn, ganz einfach, weil sie Deinen Zustand kennen. Sage, daß ich ausgegangen bin, aber daß ich bald wieder zurück käme. Ich muß mich ein bißchen anziehen.

Johanna kam erstaunt herunter. Eine junge, hübsche, bleiche Frau mit leidendem Ausdruck, exaltiertem Blick und so mattblondem Haar, als wäre nie ein Sonnenstrahl darauf gefallen, stellte ruhig ihren Mann vor, eine Art Riesen und Menschenfresser, mit mächtigem, rotem Schnurrbart. Dazu sagte sie:

– Wir haben mehrmals Gelegenheit gehabt, Ihren Herrn Gemahl zu treffen, und wir wissen durch ihn, wie leidend Sie sind. Aber wir wollten doch nicht länger zögern, unsern nachbarlichen Besuch zu machen, ganz sans façon, Sie sehen ja, wir sind zu Pferde gekommen. Übrigens haben wir neulich das Vergnügen gehabt, den Besuch Ihrer Frau Mutter und des Barons zu erhalten.

Sie hatte mit unendlich vornehmer, liebenswürdiger Unbefangenheit gesprochen. Johanna war gewonnen und sofort für sie eingenommen. Die wird meine Freundin, dachte sie bei sich.

Graf Fourville dagegen hatte etwas von einem Bären, den man in einen Salon läßt.

Sobald er sich gesetzt hatte, legte er seinen Hut auf den nächsten Stuhl, wußte zuerst nicht, was er mit seinen Fingern anfangen sollte, stemmte sie auf die Kniee, dann auf die Lehnen des Sessels, und endlich faltete er die Hände, wie zum Gebet.

Da trat Julius ein. Johanna war ganz erstaunt, sie kannte ihn gar nicht wieder. Er hatte sich rasiert, war schön, elegant, verführerisch, wie zur Zeit ihres Brautstandes. Er drückte dem Grafen, der bei seinem Kommen aufgestanden war, die große, haarige Hand und küßte die Hand der Gräfin; dabei trat eine leichte Röte auf ihre bleichen Wangen, und sie blinzelte mit den Augen.

Julius sprach und war liebenswürdig wie früher, und seine großen Augen, die Spiegel der Seele, hatten wieder einen zärtlichen Ausdruck bekommen. Sein Haar, das vorhin noch ganz wild, wüst und ungepflegt gewesen war, hatte plötzlich unter der Behandlung von Bürste und Haaröl weiche, glänzende Wellen angenommen.

Im Augenblick, als die Fourvilles fortgingen, wandte sich die Gräfin zu ihm:

– Lieber Vicomte, wollen Sie Dienstag einen Spazierritt mit uns machen?

Dann, während er sich verbeugte und murmelte: »Gewiß Gräfin,« nahm sie Johannas Hand und sagte mit zarter, eindringlicher Stimme und liebenswürdigem Lächeln:

– O, wenn Sie wieder gesund sind, machen wir alle drei Ausflüge zu Pferde. Das wird reizend, wollen Sie?

Sie hatte mit anmutiger Bewegung die Schleppe des Reitkleides aufgenommen, dann sprang sie leicht wie ein Vogel in den Sattel, während ihr Mann, nachdem er linkisch gegrüßt, sein großes normannisches Reittier bestieg, auf dem er saß wie ein Centaur.

Als sie an der Ecke verschwunden waren, rief Julius, der ganz begeistert zu sein schien:

– Das sind doch reizende Leute, diese Bekanntschaft müssen wir pflegen.

Johanna, die auch guter Laune war, sie wußte nicht warum, antwortete:

– Die kleine Gräfin ist wirklich reizend! Ich fühle, daß ich sie liebhaben werde. Aber der Mann ist eine Art Runks! Wo hast Du sie denn kennen gelernt?

Er rieb sich fröhlich die Hände:

– Ich habe sie zufällig bei Brisevilles getroffen. Der Mann scheint allerdings etwas derb zu sein, er ist ein fanatischer Jäger, aber ein echter Edelmann.

Und bei Tisch waren sie fast heiter, als ob ein heimliches Glück ins Haus gekommen wäre.

Bis in die letzten Frühlingstage geschah nichts Neues weiter.

Eines Dienstags abends, als sie unter der Platane saßen, am Garten-Tisch, auf dem zwei Gläschen standen und eine Likörflasche, stieß Johanna plötzlich einen Schrei aus, wurde bleich und preßte die beiden Hände an den Leib. Ein plötzlicher, scharfer Schmerz hatte sie durchlaufen, war aber sofort wieder vergangen.

Nach zehn Minuten kam ein neuer Schmerzensanfall, der länger dauerte, obgleich er weniger heftig war.

Mit Mühe nur ging sie in's Haus, halb getragen von ihrem Vater und ihrem Mann. Der kurze Weg von der Platane bis ins Zimmer erschien ihr endlos, und unwillkürlich stöhnte sie und verlangte zu sitzen, gequält durch ein unerträgliches Gefühl der Schwere im Leib.

Des Kindes Ankunft wurde erst Ende September erwartet, es war also noch nicht so weit; aber da sie eine Fehlgeburt fürchteten, wurde schnell angespannt, und der alte Simon fuhr im Galopp davon, um den Arzt zu holen.

Dieser kam gegen Mitternacht und erkannte auf den ersten Blick die Anzeichen einer Frühgeburt.

Im Bett hatten die Schmerzen etwas nachgelassen, aber eine furchtbare Angst bedrückte Johanna, eine verzweiflungsvolle Schwäche ihres ganzen Wesens, etwas wie ein Vorgefühl des geheimnisvollen Hauchs des Todes.

Es giebt solche Augenblicke, wo er uns so nahe streift, daß sein Atem uns das Herz erstarren macht.

Das Zimmer war voll Menschen. Mutting rang nach Atem, in einem Stuhl liegend. Der Baron, dessen Hände zitterten, lief immerfort hin und her und brachte allerlei Gegenstände geschleppt, befragte den Arzt und verlor den Kopf. Julius ging mit verstörter Miene, aber innerlich ganz ruhig auf und ab, und die Witwe Dentu stand am Fußende des Bettes mit einem für die Gelegenheit passenden Gesicht, dem Gesicht einer erfahrenen Frau, die nichts mehr in Verwunderung setzt.

Als Krankenpflegerin, Hebamme, Totenfrau, die in Empfang nehmend, die ins Leben traten, deren ersten Schrei sie hörte, deren jungen Leib sie mit dem ersten Wasser wusch, die sie in die ersten Windeln wickelte – und mit derselben Ruhe dem letzten Röcheln, dem letzten Schauer derjenigen beiwohnend, die aus dem Leben gingen, die sie mit dem Totenhemd bekleidete, deren verwelkten Leib sie mit Essig wusch, die sie in die letzten Linnen bettete – sah sie mit unerschütterlichem Gleichmut allem entgegen, was Tod und Geburt betraf.

Die Köchin Ludwine und Tante Lieschen blieben diskret an der Thür im Flur, und ab und zu stieß die Kranke einen leichten Schrei aus.

Zwei Stunden lang konnte man meinen, daß es noch lange dauern würde, aber gegen Tagesanbruch wurden plötzlich die Schmerzen wieder heftiger bald unerträglich, und Johanna, der, wie sehr sie auch dagegen ankämpfte, zwischen den zusammengepreßten Zähnen ein Schmerzensschrei entfloh, dachte unausgesetzt an Rosalie, die nicht gelitten hatte, kaum gestöhnt, und deren Kind, der Bastard, mühelos und ohne Schmerz in die Welt getreten war.

In ihrer armen, gequälten Seele zog sie immerfort Vergleiche und fluchte Gott, den sie bisher für gerecht gehalten. Sie war empört über die sündhafte Ungerechtigkeit des Schicksals und die verbrecherischen Lügen derer, die von Gerechtigkeit und Güte predigen.

Ab und zu ward der Anfall so stark, daß ihr die Gedanken ganz schwanden. Sie hatte keine Kraft mehr, kein Leben in sich, sie wußte nur, daß sie furchtbar litt.

In den Augenblicken, wo sie etwas ruhiger wurde, mußte sie immer Julius ansehen, und ein anderer Schmerz, ein seelischer, packte sie, wenn sie an den Moment dachte, wo ihr Mädchen zu Füßen desselben Bettes niedergesunken war, das Leben gebend dem Bruder des Wesens, das sie so leiden machte. Peinlich genau erinnerte sie sich der Blicke, der Worte, der Bewegungen ihres Mannes gegenüber dem Mädchen, das dort gelegen, und nun las sie auf seinen Zügen, als ob seine Gedanken ihm auf der Stirn geschrieben stünden. Sie las dieselbe Langeweile, dieselbe Gleichgiltigkeit in ihnen, für sie, wie für jene andere, dieselbe Sorglosigkeit des Egoisten, den die Vaterschaft nervös macht.

Aber da packte es sie wieder fürchterlich, ein so heftiger, grausiger Krampf, daß sie sich sagte: »Ich sterbe, ich sterbe.«

Nun kam eine fürchterliche Empörung über sie: der Wunsch allen zu fluchen, ein wütender Haß gegen diesen Mann, der sie so behandelt, und gegen dieses Kind, das sie tötete.

In höchster Anstrengung streckte sie sich, um die Last von sich zu stoßen, und plötzlich war es ihr, als ob ihr Inneres sich gewaltsam entleere, und der Schmerz ließ plötzlich nach.

Die Wärterin und der Arzt standen über sie gebeugt, damit beschäftigt, etwas fortzunehmen, und bald zuckte sie zusammen unter jenem Geräusch, das sie schon einmal gehört. Dann bohrte sich ihr der kleine Weheruf, das zarte Wimmern eines neugeborenen Kindes in die Seele, in ihren geschwächten Körper, in ihr Herz, und sie wollte in unwillkürlicher Bewegung die Arme ausstrecken.

Sie war so glückselig. War es nicht ein neuer Ruf zum Glück, den sie gehört? Und befreit, beruhigt, fühlte sie sich im Augenblick glücklich wie nie in ihrem Leben, Herz und Leib erwachten wieder: sie war Mutter. Sie wollte ihr Kind sehen. Es hatte keine Haare, keine Nägel, da es zu früh geboren war. Aber als sie dieses Menschenlärvchen sich bewegen sah, sah, daß der Mund sich öffnete, daß es sich regte, daß dieses welke Geschöpfchen da ein Gesicht schnitt und lebte, kam eine unbändige Freude über sie, und sie fühlte, daß sie gerettet sei, daß sie nun gegen alle Verzweiflung gefeit war, daß sie da in den Händen etwas hielt, das sie lieben konnte, das ihr Leben ausfüllen würde.

* * *

Von nun an hatte sie nur noch einen Gedanken: ihr Kind.

Sie ward plötzlich eine fanatische Mutter und um so mehr, als sie sich in ihrer Liebe enttäuscht fühlte, in ihren Hoffnungen betrogen.

Sie mußte immer die Wiege nahe an ihrem Bett haben, und als sie aufstehen konnte, saß sie ganze Tage lang am Fenster, neben dem Bettchen ihres Kindes, das sie wiegte.

Sie war eifersüchtig auf die Amme, und wenn das kleine dürftige Wesen seine Arme ausstreckte und nach der Brust verlangte, blickte sie, bleich geworden, zitternd die kräftige ruhige Bäuerin an, mit dem Wunsche, ihr den Sohn wegzureißen und diese Brust, an der er gierig trank, zu schlagen und mit den Nägeln zu zerfleischen.

Dann stickte sie, um ihn zu putzen, die schönsten Sachen selbst, alles mit dem größten Luxus. Er wurde in eine Wolke von Spitzen gehüllt und bekam warme, wundervolle kleine Mützchen.

Sie sprach nur noch davon und unterbrach plötzlich die Unterhaltung, um irgend ein Spitzchen, ein Lätzchen oder ein besonders schön benähtes Band zu zeigen.

Sie hörte nichts von dem, was um sie herum vorging, begeisterte sich über jedes Stückchen Wäsche, das sie selbst lange säumte und in den Händen hin und her wendete, es genau zu betrachten; dann fragte sie wohl plötzlich:

– Glaubt ihr nicht, daß ihm das stehen wird?

Der Baron und Mutting lächelten über diese fanatische Zärtlichkeit, aber Julius, dessen Lebensgewohnheiten dadurch gestört wurden und der sich in seiner Wichtigkeit im Hause durch die Ankunft dieses kreischenden, allmächtigen Tyrannen geschmälert fühlte, war unbewußt eifersüchtig auf dieses kleine Menschenkind, das ihm seinen Platz im Hause raubte, und wiederholte oft ungeduldig:

– Sie ist doch langweilig mit ihrem Wurm!

Bald war sie so von dieser Liebe in Anspruch genommen, daß sie ganze Nächte an der Wiege saß, zu beobachten wie der Kleine schlief. Da sie aber bei dieser leidenschaftlichen, krankhaften Bewunderung selbst die Kräfte verlor, gar keine Ruhe mehr fand, ganz matt und mager wurde, und anfing zu husten, so verlangte der Arzt, daß sie von ihrem Sohn getrennt würde.

Sie ward böse, weinte, flehte, aber man blieb ihren Bitten gegenüber taub. Die Wiege wurde nun jeden Abend neben das Bett der Amme gestellt, und allnächtlich stand die Mutter mit bloßen Füßen auf und lauschte am Schlüsselloch, um zu hören, ob ihr Kind ruhig schlafe, ob es nicht aufgewacht, ob es nichts brauche.

So fand sie Julius einmal, als er spät heimkehrte, da er bei Fourvilles gegessen, und von nun ab schloß man sie in ihrem Zimmer ein, um sie zu zwingen, im Bett zu bleiben.

Die Taufe fand gegen Ende August statt. Der Baron und Tante Lieschen standen Pate, und das Kind bekam die Namen Peter Simon Paul: Paul als Rufname.

In den ersten Septembertagen reiste sang- und klanglos Tante Lieschen ab, und man bemerkte ihre Abwesenheit eben so wenig, wie ihre Gegenwart.

Eines Abends erschien der Pfarrer nach Tisch. Er war wie verlegen, als hätte er ein Geheimnis, und nach einer Reihe von Redensarten bat er, die Baronin und ihren Mann einen Augenblick unter vier Augen sprechen zu dürfen.

Langsamen Schrittes gingen sie alle drei die große Allee hinab, während Julius, der mit Johanna allein geblieben, erstaunt, beunruhigt und erregt war durch diese Geheimthuerei.

Er wollte den Priester begleiten, als der sich empfahl, und sie verschwanden zusammen nach der Kirche zu, von der das Abendläuten klang.

Es war kühl, beinahe kalt, und sie kehrten bald in den Salon zurück.

Sie waren alle ein wenig eingenickt, als plötzlich Julius mit hochrotem Gesicht und empörter Miene zurückkehrte. Von der Thür aus rief er seinen Schwiegereltern zu, ohne an Johannas Gegenwart zu denken:

– Donnerwetter, ihr seid wohl verrückt, diesem Mädchen zwanzigtausend Franken nachzuschmeißen?

Sie waren so erstaunt, daß niemand antwortete, und er fuhr brüllend vor Wut fort:

– Das ist doch eine unerhörte Dummheit, ihr wollt uns wohl keinen Pfennig mehr übriglassen?

Da versuchte der Baron, der die Fassung wieder gewonnen hatte, ihm ins Wort zu fallen, und rief:

– Schweig, denke daran, daß Du vor Deiner Frau sprichst.

Er entgegnete wütend:

– Das ist mir ganz wurscht, übrigens weiß sie ja, was los ist! Das ist geradezu ein Diebstahl an ihr.

Johanna ward aufmerksam, aber sie wußte nicht, wovon die Rede war und stammelte:

– Was ist denn eigentlich?

Da wandte sich Julius an sie und nahm sie gewissermaßen zur Zeugin, daß sie beide betrogen seien in ihren Hoffnungen; er erklärte ihr kurz den Plan, Rosalie zu verheiraten, und daß man ihr dazu den Hof Barville schenken wolle, der mindestens zwanzigtausend Franken wert sei. Dann sagte er:

– Meine Liebe, Deine Eltern sind verrückt, sind ja geradezu irrsinnig. Zwanzigtausend Franken! Sie sind ja nicht ganz richtig! Zwanzigtausend Franken für einen Bastard!

Johanna hörte ohne Gemütsbewegung und ohne Zorn zu, sie war selbst erstaunt über ihre Ruhe, nun ganz gleichgiltig gegen alles, was nicht ihr Kind betraf. Der Baron rang nach Atem, er wußte nicht, was er sagen sollte. Endlich platzte er 'raus und schrie, indem er mit dem Fuße aufstampfte:

– Überlege Dir, was Du sagst! Wer ist denn daran schuld, daß das Mädchen Geld bekommen muß? Von wem hat sie denn das Kind? Du wolltest sie wohl jetzt sitzen lassen?

Julius war erstaunt über die Heftigkeit seines Schwiegervaters, blickte ihn stumm an und sagte dann etwas ruhiger:

– Aber fünfzehntausend Franken hätten doch auch gereicht. Sie haben alle Kinder, ehe sie sich verheiraten, ob es nun von dem ist oder von jenem, bleibt sich doch ganz gleich. Wenn ihr einen von euren Höfen im Werte von zwanzigtausend Franken schenkt, so bedeutet das doch außer der Schädigung später für uns, noch aller Welt ins Gesicht rufen, was da passiert ist. Ihr hättet doch wenigstens an unsren Namen und an unsre Stellung denken können.

Er sprach in ernstem Ton, wie jemand, der weiß, daß er recht hat und daß seine Ausführungen den Nagel auf den Kopf treffen. Der Baron, den diese unerwartete Beweisführung verwirrte, blieb mit offenem Munde vor ihm stehen. Da fühlte Julius, daß er gewonnenes Spiel hatte und zog nun seinen Schluß daraus:

– Glücklicherweise ist noch nichts abgemacht. Ich kenne den Burschen, der sie heiraten soll, es ist ein guter Kerl, ich will mit ihm sprechen und die Sache arrangieren. Ich werde es schon machen.

Dann ging er schnell davon, da er wahrscheinlich fürchtete, den Streit fortzusetzen, und indem er sich freute, daß alle schwiegen, weil er das für Zustimmung nahm.

Sobald er verschwunden war, rief der Baron außer sich vor Zorn und Empörung:

– Nein, das ist zu stark, wahrhaftiger Gott!

Aber als Johanna aufblickte und das verstörte Gesicht ihres Vaters sah, fing sie plötzlich an zu lachen, zu lachen wie früher, wenn sie irgend etwas Komisches erlebt:

– Papa, Papa, hast Du gehört, wie er sagte: Zwanzigtausend Franken! Zwanzigtausend Franken!

Und Mutting, bei der das Lachen eben so schnell kam wie das Weinen, ward plötzlich in der Erinnerung an das wütende Gesicht ihres Schwiegersohnes, an seine empörten Worte und an seine heftige Weigerung, daß das von ihm verführte Mädchen Geld erhalten sollte, das ihm gar nicht gehörte, und glückselig über Johannas gute Laune, von einem solchen Lachanfall gepackt, daß ihr die Thränen in die Augen traten.

Da ward der Baron auch angesteckt, und alle drei lachten sich nun, wie in schönen vergangenen Tagen, halb krank.

Als sie ein wenig ruhiger geworden waren, sagte Johanna erstaunt:

– Es ist doch merkwürdig, mir ist es ganz gleich, mir ist es ganz gleich. Mir kommt er jetzt wie ein Fremder vor. Ich kann gar nicht glauben, daß ich seine Frau bin. Seht ihr, mir machen seine . . . seine . . . seine . . . Unzartheiten Spaß.

Und ohne recht zu wissen warum, umarmten sie sich nun lächelnd und ganz gerührt.

Zwei Tage später, nach dem Frühstück, als Julius eben fortgeritten war, erschien ein großer Bursche von zweiundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren in einer ganz neuen blauen Bluse, frisch gesteift, mit Ballonärmeln, die am Handgelenk zugeknöpft waren, kam verstohlen durch das Thor, als wäre er dort seit dem Morgen versteckt gewesen, glitt am Grenzgraben der Couillards entlang, lief um das Schloß herum und näherte sich schleichenden Fußes dem Baron und den beiden Damen, die immer noch unter der Platane saßen.

Als er sie sah, nahm er seine Mütze ab und trat, mit verlegener Miene grüßend, näher, und wie er nahe genug war, um verstanden zu werden, stotterte er:

– Gut'n Dag ooch Herr Baron und meine Herrschaften!

Als aber niemand mit ihm sprach, stellte er sich vor:

– Ich bin nämlich der Disiderius Lecoq!

Da der Name ihnen nichts sagte, fragte der Baron:

– Was wünschen Sie?

Da ward der Bursche verlegen. Er stammelte, indem er abwechselnd die Augen niederschlug und wieder hob und von seiner Mütze in der Hand, bis zum Giebel des Schlosses hinauf schweifen ließ:

– Nämlich der Herr Pfarrer hat mir was gesagt wegen der Geschichte.

Dann schwieg er in der Furcht, gegen sein Interesse zu viel zu sagen.

Der Baron fragte, ohne recht zu verstehen:

– Ja was denn für eine Geschichte? Ich weiß von nichts.

Da senkte der andere die Stimme und entschloß sich, zu sprechen:

– Die Geschichte mit Ihrem Mädchen, . . . der . . . Rosalie.

Johanna, die nun erriet, stand auf und ging mit ihrem Kinde auf dem Arm davon, und der Baron sagte:

– Treten Sie näher!

Dann deutete er auf den Stuhl, von dem seine Tochter eben aufgestanden war.

Der Bauernbursche setzte sich sofort und meinte:

– Sie sein sehr liebenswürdig!

Dann wartete er, als hätte er nichts weiter zu sagen. Nach langem Stillschweigen entschloß er sich endlich, indem er zum blauen Himmel aufblickte, zu sagen:

– Ganz scheenes Wetter heite! Für die Zeit! Aber man hat doch nischt dervun, da doch schun gesäet ist!

Und er schwieg wieder. Der Baron wurde ungeduldig und ging direkt auf die Frage ein, indem er trockenen Tones begann:

– Also Sie wollen Rosalie heiraten?

Der Bursche ward sofort unruhig, weil ihn das aus seiner normannischen Vorsicht brachte und antwortete etwas lebhafter, aber immer mißtrauisch:

– Das kummt druff an, vielleicht ja, vielleicht ooch nee.

Der Baron, der sich über diese Ausflüchte ärgerte, polterte nun los:

– Himmel Sakrament, so antworten Sie doch offen. Kommen Sie wegen der Sache oder nicht? Nehmen Sie das Mädchen oder nicht?

Der Bursche blickte ganz erschrocken auf seine Stiefel:

– Wenn's so is, wie der Herr Pfarrer sagt, will ich se nehmen, aber wenn's richtig is, was der Herr Julius sagt, nehm ich se nich!

– Was hat Ihnen Herr Julius gesagt?

– Herr Julius hat mer doch gesagt, ich sull bloß fufzehntausend Franken kriegen, und der Herr Pfarrer hat mer gesagt, ich sull zwanzigtausend Franken kriegen. Für zwanzigtausend mache ich mit, für fufzehntausend nich.

Da fing die Baronin, in ihren Stuhl versunken, über das ängstliche Benehmen des Bauern an, ganz leise zu lachen. Der Bursche blickte sie von der Seite an, mit unzufriedenem Ausdruck, weil er diese Heiterkeit nicht verstand, und nun wartete er ab, was noch kommen sollte.

Den Baron setzte dieses Handeln in Verlegenheit, deshalb machte er der Sache ein Ende, indem er bestätigte:

– Ich habe dem Herrn Pfarrer gesagt, daß Sie den Hof Barville bekommen sollen auf Lebenszeit, dann geht er auf das Kind über. Er ist zwanzigtausend Franken wert, und was ich sage, bleibt so. Sind Sie also nun einverstanden oder nicht?

Der Bursche lächelte mit ergebenem und zufriedenem Ausdruck und ward plötzlich gesprächig:

– Da will 'ch nur glei ja sagen, das hat mich doch bloß irre gemacht. Wie der Herr Pfarrer mit mir geredt hat, hab 'ch glei mitmachen wull'n. Weeß Gott! Und dann hab 'chs doch dem Herrn Baron recht machen wull'n, der mir das schon mal vergelten wird, und da hab 'ch mir gesagt, 's is doch richt'g, wenn man sich emal angaschiert unter anständ'gen Leiten, da werd mer ooch handelseenig. Aber da is der Herr Julius gekumm'n, und da warens nur noch fufzehntausend. Da hab 'ch mir gesagt, da muß 'ch doch erscht mal hören und bin her gekummen. Es is nich, daß 'ch kee Vertraun gehabt hätte, aber man muß doch mal sehen, wie de Sache is. Man kann doch gut Freind sein, wenn man sei Geschäft ehrlich miteinander abmacht. Nich wahr, Herr Baron?

Er mußte unterbrochen werden, sonst hätte er immer weiter geschwatzt, und der Baron fragte:

– Wann wollen Sie denn heiraten?

Da ward der Bursche plötzlich wieder verlegen, furchtsam und sagte endlich:

– Nu wenn mer ee kleenes Papierchen dariber machten.

Diesmal ward der Baron böse:

– Himmel Donnerwetter, Sie kriegen doch den Heiratskontrakt, das genügt doch!

– Aber mer könnt'n doch immer was Schriftlichs uffsetzen, schaden kanns doch ni.

Der Baron stand auf, der Sache ein Ende zu machen:

– Sagen Sie ja oder nein, und zwar sofort! Wenn Sie keine Lust mehr haben, sagen Sie es mir, ich habe einen andern Bewerber.

Da ängstigte sich der schlaue Normanne vor dem etwaigen Konkurrenten und hielt die Hand hin, wie beim Kuhhandel:

– Nu schlagen Sie ein, Herr Baron, abgemacht! Ee Schuft, wer zurücktritt!

Der Baron schlug ein. Dann rief er Ludwine. Am Fenster erschien der Kopf der Köchin.

– Bringen Sie mal eine Flasche Wein, wir wollen trinken, um das Geschäft zu begießen.

Dann ging der Bursche mit leichteren Schritten davon.

Julius ward von dem Besuche nichts gesagt. Der Kontrakt ward im Geheimen festgesetzt, und nachdem einmal das Paar aufgeboten war, fand die Hochzeit an einem Montagmorgen statt.

Eine Nachbarin trug das Wurm zur Kirche hinter dem jungen Paare her, wie ein sicheres Unterpfand auf künftiges Glück, und niemand in der Gegend wunderte sich weiter darüber. Man beneidete nur Desiderius Lecoq. Er »legte sich eben in ein gemachtes Bett,« sagte man mit verständnisinnigem Lächeln, aber ohne jede sittliche Entrüstung.

Julius machte eine fürchterliche Szene, die die Anwesenheit seiner Schwiegereltern in Les Peuples abkürzte. Ohne zu große Traurigkeit sah sie Johanna abreisen, denn Paul war für sie eine unerschöpfliche Quelle des Glückes geworden.

 


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