Guy de Maupassant
Ein Menschenleben
Guy de Maupassant

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IV

Eines Morgens trat der Baron in Johannas Zimmer ehe sie noch aufgestanden, und sagte, indem er sich am Fußende des Bettes niederließ:

– Vicomte von Lamare hat uns um Deine Hand gebeten.

Sie wollte ihr Antlitz unter der Decke verstecken. Ihr Vater fuhr fort:

– Wir haben gesagt, wir würden ihm nachher die Antwort geben.

Sie konnte vor Bewegung keinen Atem bekommen. Nach einer Minute fügte der Baron lächelnd hinzu:

– Wir wollten nichts thun, ohne Dich erst zu fragen. Mama und ich haben nichts gegen diese Heirat, aber wir wollen Dich nicht etwa dazu überreden. Du bist viel reicher als er, aber wenn es sich um das Lebensglück handelt, spielt das Geld keine Rolle. Er hat keine Verwandten mehr, wenn Du ihn also heiratetest, so würden wir einen Sohn in die Familie bekommen, während Du bei einem andern als unsre Tochter in eine fremde Familie treten würdest! Der junge Mann gefällt uns. Glaubst Du, daß er Dir auch gefallen könnte?

Sie stammelte, bis zu den Haarwurzeln hinauf errötend:

– Ich will, Papa.

Und Papachen flüsterte, indem er ihr immer lächelnd in die Augen blickte:

– Das haben wir geahnt, mein Fräulein.

Bis zum Abend brachte sie die Zeit hin, als wäre sie trunken. Sie wußte nicht, was sie that. Mechanisch nahm sie ein Ding nach dem andern vor und fühlte sich wie zerschlagen vor Müdigkeit, ohne daß sie einen Schritt gegangen.

Gegen sechs Uhr, als sie mit Mutting unter der Platane saß, kam der Vicomte.

Johannas Herz fing stürmisch an zu schlagen. Der junge Mann trat auf sie zu, er schien nicht erregt zu sein. Als er vor ihnen stand, nahm er die Finger der Baronin und küßte sie, dann zog er die zitternde Hand des jungen Mädchens an die Lippen und drückte einen langen, zärtlichen Kuß darauf.

Und die glückselige Zeit des Brautstandes begann. Sie flüsterten allein miteinander in den Ecken des Salons oder saßen im Park am Grabenrande, vor ihnen die wilde Haide. Manchmal gingen sie in Muttings Allee spazieren, er sprach ihr von der Zukunft, während sie auf die staubige Spur des nachschleppenden Fußes der Baronin blickte.

Nachdem die Sache nun einmal entschieden, wollte man auch alles schnell seinen Gang gehen lassen. Sie kamen überein, daß die Hochzeit in sechs Wochen, am 15. August stattfinden, und das junge Paar sofort auf die Hochzeitsreise gehen sollte. Johanna wurde gefragt, nach welchem Land sie reisen wollte, und sie entschied sich für Korsika, wo man mehr für sich sein würde, als in den italienischen Städten.

Ohne zu große Ungeduld erwarteten sie den Augenblick, aber sie fühlten sich voll köstlicher Zärtlichkeit und reinsten Glückes, und sie genossen den wundersamen Reiz unschuldiger Liebkosungen, eines Händedrucks, eines so langen, leidenschaftlichen Blickes, daß die Seelen sich zu mischen schienen und der unbestimmte Wunsch, ganz ineinander aufzugehen, sie dabei quälte.

Es wurde beschlossen, niemanden zur Hochzeit einzuladen als Tante Liese, die Schwester der Baronin, die in einem Kloster in Versailles als Pensionärin lebte.

Nach dem Tode ihres Vaters hatte die Baronin die Schwester bei sich behalten wollen, aber die alte Jungfer hatte die fixe Idee, daß sie allen Menschen zur Last fiele, daß sie unnütz wäre und im Weg, und zog sich in eines jener Klöster zurück, die alleinstehenden Leuten gegen Bezahlung eine Heimstätte gewähren.

Ab und zu brachte sie einmal vier Wochen oder zwei Monate in der Familie zu. Sie war ein kleines Dämchen, das wenig sprach, sich immer zurückzog, nur zu den Mahlzeiten erschien, dann auf ihr Zimmer ging, wo sie sich immerfort einsperrte.

Sie sah gutmütig und etwas ältlich aus, obgleich sie nur zweiundvierzig Jahre zählte. Ihr Auge hatte etwas Weiches und Trauriges, sie hatte nie in der Familie etwas gegolten. Als sie ganz klein war, hatte man sie kaum geliebkost, sie war nicht hübsch, nicht ausgelassen, still und sanft hielt sie sich bei Seite. Das war an ihr hängen geblieben, und auch als junges Mädchen kümmerte sich niemand um sie. Sie war wie ein Schatten, ein Hausstück, ein lebendiges Möbel, das man gewohnt ist, täglich zu sehen, ohne daß man sich weiter darum kümmert. Ihre Schwester betrachtete sie, wie sie es im väterlichen Hause gewohnt gewesen, als ein Geschöpf ohne jede Bedeutung, das seine Existenz verfehlt hat, sie ward mit rücksichtsloser Familiarität behandelt, worunter sich eine Art wegwerfender Güte verbarg. Sie hieß Lieschen, und dieser jung und geziert klingende Name schien sie zu stören. Als man merkte, daß sie keinen Mann fand und wohl nie einen finden würde, ward aus Lieschen Liese. Seitdem Johanna geboren worden, war sie »Tante Liese« geworden, eine bescheidene, nette, furchtbar schüchterne Verwandte, die selbst gegen ihre Schwester und ihren Schwager so war, obgleich die beiden sie liebten, aber doch mit ziemlich oberflächlicher Zuneigung, die aus gleichgiltiger Zärtlichkeit bestand, aus unbewußter Sympathie und aus natürlicher Güte.

Manchmal, wenn die Baronin von weit zurückliegenden Dingen aus ihrer Jugend sprach, sagte sie, um den Zeitpunkt zu bezeichnen:

– Es war damals, als Liese ihren Rappel hatte.

Mehr wurde nie gesagt. Dieser Rappel war wie von einem geheimnisvollen Schleier umgeben.

Eines Abends hatte sich Liese, die damals zwanzig Jahre alt war, ohne daß man wußte warum, ins Wasser gestürzt. Kein Ereignis in ihrem Leben, nichts in ihrem Benehmen ließ diesen verrückten Streich voraussehen. Schon halb tot, hatte man sie herausgezogen, und ihre Verwandten waren entsetzt, statt nach der geheimen Ursache der That zu suchen. Sie begnügten sich damit immer vom Rappel zu sprechen, wie sie etwa von dem Malheur des Pferdes Coco redeten, das sich ein paar Tage vorher in einer Radspur das Bein gebrochen hatte, sodaß es hatte getötet werden müssen.

Seit dieser Zeit wurde Lieschen, oder bald darauf Liese, wie ein ganz klein wenig schwachsinnig behandelt. Die milde Mißachtung, die sie ihren nächsten Angehörigen einflößte, teilte sich langsam ihrer ganzen Umgebung mit. Sogar die kleine Johanna kümmerte sich mit jenem natürlichen Ahnungsvermögen der Kinder nicht um sie, kam nie zu ihr ans Bett, ihr guten Morgen zu sagen, und betrat nie ihr Zimmer. Es war, als ob das Stubenmädchen, Rosalie, die dieses Zimmer zu besorgen hatte, ganz allein wüßte, wo sie überhaupt gebettet war.

Wenn Tante Liese zum Frühstück ins Eßzimmer kam, ging die Kleine aus Gewohnheit zu ihr und bot ihr die Stirn zum Kuß. Das war alles.

Wollte jemand etwas von ihr, so wurde einer der Dienstboten geschickt, um sie zu holen, und war sie nicht da, so kümmerte man sich weiter nicht darum. Man dachte nie an sie, nie wäre jemandem der Gedanke gekommen, beunruhigt zu fragen:

– Herr Gott, ich habe doch Liese heute früh noch gar nicht gesehen?

Sie hatte nirgends einen Platz in der Welt, sie war eines jener Wesen, das sogar die Menschen nicht kennen, die ihm doch nahe stehen. Ihr Tod hätte im Hause keine Lücke hinterlassen. Sie verstand weder in das Dasein, noch in die Lebensgewohnheiten, noch in das Herz derjenigen zu dringen, in deren Kreis sie lebte.

Die Worte »Tante Liese« erweckten keinen freundlichen Widerhall in andern Menschen. Es war, als wenn man die Worte »die Kaffeekanne« oder »die Zuckerdose« ausgesprochen hätte.

Sie huschte immer mit kleinen, eiligen, lautlosen Schritten hin, sie machte nie Lärm, stieß nie irgendwo an und schien den toten Dingen die Eigenschaft, keinen Laut von sich zu geben, abgelauscht zu haben. Ihre Hände waren wie aus Watte, so leicht und zart faßte sie alles an.

Gegen Mitte Juli traf sie ein, ganz verstört über den Gedanken dieser Heirat. Sie brachte eine Menge Geschenke mit, die, weil sie von ihr stammten, kaum einen Eindruck machten, und am Tage nach ihrer Ankunft merkte man schon gar nicht mehr, daß sie da war.

Aber in ihr gährte eine außergewöhnliche Bewegung, ihre Augen und ihre Blicke verließen das Brautpaar nicht. Mit sonderbarer Ausdauer und fieberhafter Thätigkeit arbeitete sie in ihrem Zimmer, wo niemand hinkam, wie eine einfache Näherin an Johannas Aussteuer.

Alle Augenblicke zeigte sie der Baronin Taschentücher, die sie selbst gesäumt hatte, Servietten, deren Monogramm sie gestickt, und fragte:

– Adelaide, ist das gut so?

Und Mutting antwortete, indem sie den Gegenstand gleichgiltig betrachtete:

– Gieb Dir doch nicht solche Mühe, meine arme Liese.

Eines Abends, gegen Ende des Monats an einem erstickend heißen Tage, stieg der Mond auf in einer jener klaren, milden Nächte, die einen seltsam bewegen, weich stimmen, begeistern und alles, was von stiller Sehnsucht in der Seele ruht, erwecken. In den schweigenden Salon strömte die milde Luft von den Feldern. Die Baronin spielte mit ihrem Mann im Rundschein, den der Lampenschirm auf den Tisch warf, langsam eine Partie Karten. Tante Liese saß neben ihnen und strickte. Die jungen Leute standen am offnen Fenster und blickten in den mondhellen Garten hinaus. Der Schatten der Linde und Platane fiel auf den großen Rasenplatz, der sich beleuchtet und leuchtend bis zum ganz dunklen Park erstreckte.

Durch den süßen Reiz dieser Nacht, diese nebelhafte Helle, die auf Bäume und Beete fiel, mächtig angezogen, wandte sich Johanna zu ihren Eltern um:

– Papachen, dürfen wir ein bißchen draußen auf dem Rasen vor dem Schloß spazieren gehen?

Der Baron antwortete, ohne sich im Spiel stören zu lassen:

– Geht nur Kinder!

Sie gingen und begannen langsam auf dem großen, hell beleuchteten Rasenstück bis zu dem kleinen Wäldchen hinten auf und nieder zu schreiten.

Die Zeit verstrich, ohne daß sie dachten, wieder hinein zu gehen. Die Baronin war müde und wollte zu Bett:

– Wir müssen die Verliebten herein rufen.

Der Baron warf einen Blick auf den erleuchteten Garten, in dem die beiden Schatten langsam umherwandelten:

– Ach laß sie doch, es ist so wundervoll draußen. Liese erwartet sie schon, nicht wahr Liese?

Die alte Jungfer hob ihre unsteten Augen und antwortete mit ihrer schüchternen Stimme:

– Ja, natürlich, ich will sie erwarten.

Papachen half der Baronin aufstehen und sagte, selbst etwas ermattet von der Hitze des Tages:

– Ich gehe auch zu Bett. – Und er ging mit seiner Frau davon.

Nun stand ihrerseits Tante Liese auf, ließ auf der Stuhllehne die angefangene Arbeit liegen, lehnte sich ans Fenster und blickte in die wundervolle Nacht hinaus.

Das Brautpaar ging ununterbrochen auf dem Rasenplatz auf und ab, vom Wäldchen bis zum Haus, vom Haus bis zum Wäldchen. Sie drückten sich die Hände und sprachen nicht mehr, als wären sie geistesabwesend, ganz ergriffen vom Zauber der Nacht.

Johanna bemerkte plötzlich am Fenster die Gestalt der alten Jungfer, von der Lampe hinter ihr hell abgezeichnet; da sagte sie:

– Da sieh mal, Tante Liese sieht uns zu.

Der Vicomte blickte auf und sagte in jenem gleichgiltigen Ton, der ganz gedankenlos klingt:

– Ja, Tante Liese sieht uns zu.

Und sie ließen sich nicht stören, weiter zu träumen, langsam dahinzuschlendern und sich zu lieben.

Aber der Tau war schon aufs Gras gesunken, und ein kühler Hauch überlief sie.

– Wir wollen lieber hineingehen, sagte sie. Sie drehten um.

Als sie in den Salon traten, strickte Tante Liese wieder. Sie beugte sich auf ihre Arbeit, und ihre dürren Finger zitterten, als wären sie sehr müde.

Johanna näherte sich ihr:

– Tante, wollen wir nicht schlafen gehen?

Die alte Jungfer erhob ihre Augen, sie waren rot, als hätte sie geweint. Das Liebespaar achtete nicht darauf, aber der junge Mann bemerkte plötzlich, daß die dünnen Schuhe des jungen Mädchens ganz naß geworden waren. Besorgt und zärtlich fragte er:

– Frierst Du nicht an Deinen lieben kleinen Füßchen?

Da begannen plötzlich die Finger der Tante so zu zittern, daß ihr die Arbeit entfiel, der Wollknäul rollte zu Boden, sie verbarg schnell ihr Gesicht in den Händen und fing an krampfhaft und laut zu schluchzen.

Die Brautleute blickten sich erschrocken an, und plötzlich kniete sich Johanna hin, öffnete die Arme und sagte ganz erschrocken:

– Aber, was hast Du denn? Was hast Du denn, Tante Liese?

Da stammelte das arme Wesen mit thränenerstickter Stimme, zusammenzuckend in ihrem Leid:

– Weil, wie er Dich gefragt hat . . . . . . Frierst Du nicht an Deinen . . . . . . Deinen . . . . . . kleinen Füßchen . . . ich gedacht habe . . . . so was hat mir nie jemand gesagt, mir nie . . . . nie . . .

Johanna war überrascht und voll Mitleid, und dennoch kam ihr fast das Lachen bei dem Gedanken, daß jemand Tante Liese seine Liebe erklären könnte. Auch der Vicomte hatte sich abgewandt, seine Heiterkeit zu verbergen.

Aber die Tante stand plötzlich auf, ließ den Wollknäul am Boden liegen, den Strickstrumpf auf dem Stuhl und entfloh ohne Licht die dunkle Treppe hinan, indem sie sich nach ihrem Zimmer tastete.

Die beiden jungen Leute waren allein, sie blickten einander lachend, zärtlich an. Johanna sagte:

– Die arme Tante!

Julius meinte: – Sie scheint heute ein bißchen verdreht zu sein!

Sie hielten einander an den Händen und konnten sich nicht entschließen, sich zu trennen, und leise, ganz leise tauschten sie vor dem leeren Stuhl, den eben Tante Liese verlassen, den ersten Kuß.

Am andern Tage dachten sie an die Thränen der alten Jungfer nicht mehr. Die beiden letzten Wochen vor der Hochzeit war Johanna ziemlich still und ruhig, als ob sie müde sei von all den süßen Träumen.

Am Tage, als es nun so weit war, fand sie auch keine Zeit nachzudenken, ihr schien bloß, als wäre ihr ganzer Körper leer, als wären Fleisch, Blut, Knochen geschmolzen unter der Haut, und wenn sie etwas anfaßte, merkte sie, wie ihre Finger zitterten.

Erst in der Kirche, während des Gottesdienstes, fand sie sich wieder.

Sie war verheiratet, verheiratet! Die Dinge, Bewegungen, Ereignisse, die einander gefolgt waren seit Tagesanbruch, erschienen ihr wie ein Traum, ein wirklicher Traum. Es giebt Augenblicke, wo alles um uns her sich verändert zu haben scheint. Jede Bewegung gewinnt eine neue Bedeutung, sogar die Stunden scheinen nicht mehr ihren Lauf zu gehen.

Sie war wie betäubt, vor allem erstaunt. Noch am Tage vorher war nichts in ihrem Dasein verändert, nur die ewige Hoffnung ihres Lebens kam näher und näher, daß sie sie fast berührte. Als Mädchen war sie gestern eingeschlafen, heute war sie nun Frau.

Sie hatte also die Schwelle überschritten, welche die Zukunft mit allen Freuden, allem ersehnten Glück zu bergen scheint. Ihr war, als hätte sich ein Thor vor ihr geöffnet und als träte sie in das »Ersehnte« ein.

Die heilige Handlung ging ihrem Ende entgegen, sie traten in die fast leere Sakristei, denn es war niemand eingeladen worden. Dann gingen sie wieder hinaus.

Als sie am Portal erschienen, erklang ein furchtbares Getöse, sodaß die Braut zurückfuhr und die Baronin laut aufschrie. Es war eine Gewehrsalve, die die Bauern abgefeuert, und nun hörte bis zum Schloß die Schießerei nicht mehr auf.

Ein Imbiß war bereit für die Familie, den Ortspfarrer und den von Yport, die jungen Ehegatten und die Zeugen, die sie unter den Großbauern der Nachbarschaft gewählt.

Dann wurde ein kleiner Spaziergang im Garten gemacht, um das Hochzeitsmahl zu erwarten. Der Baron und die Baronin, Tante Liese, der Ortsvorstand und Pfarrer Picot liefen Muttings Allee auf und ab, während in der gegenüber der andere Priester auf und nieder schritt und in seinem Brevier las.

Auf der andern Seite des Schlosses hörte man die lärmende Fröhlichkeit der Bauern, die dort im Schatten der Bäume Apfelwein tranken.

Alle Bewohner des Ortes in ihren Sonntagskleidern füllten den Hof; die jungen Burschen und die Mädchen jagten einander.

Johanna und Julius durchschritten das Wäldchen, stiegen auf den Grenzwall, und blickten beide stumm auf das Meer hinaus. Es war ein wenig frisch, trotzdem es Mitte August war, der Nordwind blies, und am klaren, blauen Himmel leuchtete grell die Sonne.

Die jungen Leute gingen, um Schutz zu finden, durch die Haide und wandten sich rechts, nach dem gewundenen, baumbestandenen Thal, das nach Yport hinunter führt. Sowie sie das Dickicht erreicht hatten, traf sie kein Sonnenstrahl mehr, und sie verließen die Straße, um in einen schmalen Pfad einzubiegen, der in das Blättermeer führte. Sie hatten kaum nebeneinander Platz, da fühlte sie, wie sich sein Arm langsam um ihre Taille legte.

Sie sagte nichts, das Herz schlug ihr, ihr stockte der Atem. Tief herabhängende Äste streiften ihr Haar, sie mußten sich oft bücken, um durch zu kommen. Sie riß ein Blatt ab, auf dem zwei Herrgottskäferchen, wie zwei zarte kleine rote Muschelchen saßen, und sagte ganz unschuldig:

– Da ein Pärchen!

Julius berührte ihr Ohr mit den Lippen: – Heute abend wirst Du meine Frau.

Obgleich sie während ihres Landaufenthaltes viel kennen gelernt hatte, dachte sie doch nur an die Poesie der Liebe und war überrascht.

Seine Frau? War sie denn das nicht schon?

Da begann er sie kurz, glühend auf Schläfe und Hals, wo sich die ersten Härchen lockten, zu küssen. Dieser Kuß des Mannes, den sie nicht kannte, ließ sie jedesmal zusammenzucken. Instinktiv beugte sie den Kopf nach der andern Seite, um dieser Liebkosung auszuweichen, die ihr dennoch angenehm war.

Aber plötzlich befanden sie sich am Waldessaum. Sie blieb stehen, sie ängstigte sich doch, fort zu sein, was sollten die andern denken, und sie sagte:

– Wir wollen umkehren.

Er zog den Arm, den er um ihre Taille gelegt, zurück, und als sie sich umdrehte, standen sie sich einander so nahe gegenüber, daß sie ihren Atem gegenseitig im Gesicht spürten und sie blickten sich an, mit jenem starren, erforschenden, ergründenden Blick, in dem zwei Seelen glauben in eine überzugehen. Sie suchten in ihren Augen, hinter ihren Augen, in jenen unergründlichen Tiefen des Wesens zu lesen, sie erforschten einander in stummer, beweglicher Frage. Was würden sie eines für das andere bedeuten? Wie würde dieses Leben werden, das sie heute miteinander begannen? Welche Freuden, welches Glück, oder welche Ernüchterung würden sie in diesem langen, untrennbaren Beieinandersein, das die Ehe war, finden? Und es war ihnen beiden, als hätten sie einander noch nicht gesehen.

Plötzlich legte Julius beide Hände auf die Schultern seiner Frau und küßte sie, wie er sie noch nicht geküßt, mitten auf den Mund mit einem heißen Kuß. Dieser Kuß strömte durch ihren Körper und ging ihr durch Adern und Nerven und traf sie so seltsam, daß sie Julius mit beiden Armen verzweifelt zurückstieß, sodaß er beinahe gefallen wäre.

– Wir wollen gehen, wir wollen gehen, laß uns gehen, stammelte sie.

Er antwortete nicht, aber er nahm ihre beiden Hände und behielt sie in den seinen. Bis zu Haus sprachen sie kein Wort. Der Nachmittag erschien ihnen lang.

Bei sinkender Nacht setzten sie sich zu Tisch.

Gegen normannische Sitte war das Diner einfach und ziemlich kurz. Eine Art Verlegenheit lähmte die Gäste. Nur die beiden Priester, der Ortsvorstand und die vier Pächter, die eingeladen worden waren, gerieten ein wenig in jene fröhliche Laune, die beim Hochzeitsmahl herrschen soll.

Das Lachen schien erstorben, ein Wort des Ortsvorstands führte es zurück. Es war halb neun Uhr, der Kaffee sollte getrunken werden. Draußen unter den Apfelbäumen begann der ländliche Tanz, durch das offene Fenster übersah man das ganze Fest. An den Zweigen hingen Papierlaternen und beleuchteten die Blätter graugrün. Bauern und Bauermädchen drehten sich im Kreis und brüllten eine Art wüster Tanzweise, die schwach von den Klängen zweier Violinen und einer Klarinette, die man auf einen Küchentisch als erhöhtes Orchester gesetzt hatte, begleitet wurde.

Der laute Gesang der Bauern übertönte manchmal vollkommen den Klang der Instrumente. Die zarte Instrumentalmusik, zerrissen durch das wüste Gebrüll, schien in Fetzen vom Himmel zu fallen, nur in Bruchstücken einzelner, verstreuter Noten.

Zwei große Fässer, von zwei Fackeln hell beleuchtet, spendeten der Menge zu trinken. Zwei Mägde spülten unaussetzt in einem Troge Gläser und Schalen, um sie dann, noch wassertriefend, unter die Hähne zu halten, aus denen der rote Strahl des Weines und der goldene des reinen Apfelweines schoß, und die durstigen Tänzer, die stillen Alten, die schwitzenden Mädchen drängten sich herbei und streckten die Arme aus, um ein Trinkgefäß zu erwischen und sich, den Kopf hintenüber gebeugt, das Getränk, das sie am liebsten hatten, in die Kehle zu gießen.

Auf einem Tische standen Butter, Brot, Käse, Würste. Jeder aß von Zeit zu Zeit einen Bissen, und unter dem erleuchteten Blätterdach gab dieses gesunde, derbe Fest den trübseligen Gästen im Saale die Lust ein, auch zu tanzen, aus der Wölbung dieser mächtigen Tonnen zu trinken und dazu ein Stück Butterbrot mit roher Zwiebel zu essen.

Der Ortsvorstand, der mit seinem Messer den Takt schlug, rief:

– Jesses nochmal, das ist aber fein heute. So etwa, wie die Hochzeit von Kanaak.

Ersticktes Gelächter erscholl. Aber Pfarrer Picot, ein geschworener Feind der staatlichen Obrigkeit, entgegnete:

– Sie meinen, Kana!

Der andere wollte davon nichts wissen:

– Ne, Herr Pfarr', ich verschtehe schon, wenn ich Kanaak sage, is 's äm Kanaak!

Man stand auf, ging in den Salon, dann mal wieder zu der angetrunkenen Menge draußen, und endlich zogen sich die Gäste zurück.

Der Baron und die Baronin hatten leise einen Streit miteinander. Madame Adelaide, mehr außer Atem denn je, schien das nicht thun zu wollen, was der Baron von ihr verlangte. Endlich sagte sie fast laut:

– Nein lieber Freund, das kann ich nicht, ich wüßte wirklich nicht, wie ich das anfangen sollte.

Da ließ sie Papachen plötzlich stehen und ging zu Johanna:

– Kleine, wir wollen mal ein bißchen mit einander spazieren gehen.

Sie antwortete ganz ernst:

– Wie Du willst Papa. – Und sie gingen hinaus.

Sobald sie draußen vor der Thür waren auf der Seite nach dem Meer zu, blies ihnen ein trockener Wind, einer jener Sommerwinde, die schon etwas vom Herbst an sich haben, entgegen.

Wolken jagten über den Himmel, bedeckten die Sterne und enthüllten sie dann wieder.

Der Baron preßte den Arm seiner Tochter an sich und drückte ihr zärtlich die Hand. Sie gingen ein paar Minuten so dahin, er schien verlegen und unentschlossen, endlich entschied er sich, zu beginnen.

– Mein kleines Hannchen, ich habe eine schwierige Pflicht zu erfüllen, die eigentlich der Mama zukommt, aber da sie nicht will, so muß ich es eben thun. Ich weiß nicht, was Du von den Dingen der Existenz weißt; es giebt Sachen, die man den Kindern sorgfältig verbirgt, vor allem den Mädchen. Mädchen, die reinen Geistes bleiben sollen, von tadelloser Unberührtheit bis zur Stunde, da wir sie dem Manne geben, der für ihr Glück zu sorgen hat.

Er zuerst soll den Schleier lüften, der über das süße Geheimnis des Lebens gebreitet liegt. Aber, wenn noch nie ein Gedanke an derartiges die jungen Mädchen berührt hat, werden sie sich oft durch die etwas brutale Wirklichkeit, die hinter diesen Träumen verborgen liegt, verletzt fühlen, sogar körperlich verletzt, und ihrem Gemahl verweigern, was das Gesetz, menschliches wie natürliches, ihm als sein gutes Recht zuspricht. Liebes Kind, ich kann Dir nicht mehr sagen, aber vergiß nur das eine nicht, daß Du Deinem Manne ganz und gar gehörst.

Was wußte sie wohl? Was ahnte sie? Sie fing an zu zittern. Eine bedrückende, schmerzliche Melancholie überfiel sie, beinahe wie ein Vorgefühl.

Sie gingen wieder hinein. An der Thür des Salons wartete ihrer eine Überraschung. Frau Adelaide schluchzte an Julius' Brust. Der geräuschvolle Thränenausbruch, der ihr entströmte, schien ihr zu gleicher Zeit aus Nase, Mund und Augen zu kommen, und der junge Mann stützte linkisch und verlegen die dicke Frau, die sich in seine Arme geworfen, um ihm die geliebte, süße, angebetete kleine Tochter ans Herz zu legen.

Der Baron trat hinzu: – Aber bitte, nur keine Szene jetzt, keine Weichheit.

Er nahm seine Frau, drückte sie in ihren Stuhl, während sie sich das Gesicht wischte. Dann wandte er sich zu Johanna:

– Nun küß mal schnell die Mama und dann geh schlafen.

Selbst den Thränen nahe, umarmte sie ihre Eltern und entfloh.

Tante Liese hatte sich schon auf ihr Zimmer zurückgezogen. Der Baron und Julius blieben mit der Baronin allein, und sie waren alle drei so verlegen, die beiden Männer im Frack dastehend und nicht wissend, wohin sie blicken sollten, Frau Adelaide immer noch wortlos schluchzend, in den Stuhl hingegossen. Als die Verlegenheit unerträglich ward, fing der Baron an, von der Reise zu sprechen, die die jungen Leute in ein paar Tagen antreten sollten.

Johanna ließ sich in ihrem Zimmer von Rosalie entkleiden, der auch die Thränen nur so herunterliefen, und die umhertastenden Hände trafen weder die Senkel noch die Nadeln, und sie schien noch bewegter zu sein, als ihre Herrin. Aber Johanna dachte kaum an die Thränen ihres Mädchens. Ihr schien, als wäre sie auf einer andern Welt, auf einem andern Gestirn, getrennt von allem was sie kannte, von allem was sie geliebt. Ihr ganzes Leben, ihr ganzes Denken schien ihr umgestürzt, und sie stellte sich sogar die seltsame Frage: »Liebte sie eigentlich ihren Mann?« Er erschien ihr plötzlich wie ein Fremder, den sie kaum kannte. Vor drei Monaten noch wußte sie nicht, daß er überhaupt existierte, – und jetzt? Jetzt war sie seine Frau! Wozu das? Warum so schnell in die Ehe stürzen, wie in ein Loch, das sich vor unsren Füßen aufgethan.

Sobald sie im Nachtgewand war, legte sie sich zu Bett, und das etwas frische Laken, das ihre Haut erschauern ließ, fügte noch ein Gefühl von Kälte zu dem der Einsamkeit und Traurigkeit hinzu, das seit zwei Stunden auf ihrer Seele lastete.

Immer noch weinend lief Rosalie davon, und Johanna wartete. Sie erwartete ängstlich mit verzagtem Herzen jenes unbestimmt erratene und durch die verlegenen Worte des Vaters angekündigte, geheimnisvolle große Geheimnis der Liebe.

Ohne daß sie gehört hatte, daß jemand die Treppe herauf gekommen, klopfte es dreimal leise an die Thür. Sie zitterte entsetzlich und antwortete nicht. Man klopfte wieder, dann knarrte das Schloß. Sie versteckte den Kopf unter den Decken, als ob ein Dieb eingedrungen wäre. Leise klangen Stiefel auf dem Parquet, und plötzlich berührte etwas ihr Bett.

Sie bekam einen nervösen Schreck und stieß einen leisen Schrei aus, und als sie den Kopf unter der Decke hervor streckte, sah sie Julius vor sich stehen, der sie anblickte.

– Du hast mich so erschreckt, sagte sie.

Er gab zurück:

– Du erwartetest mich also nicht?

Sie antwortete nicht. Er war im Frack, und sah hübsch aus mit seinem ernsten Gesicht. Sie empfand eine fürchterliche Scham, vor diesem so tadellos angezogenen Mann so dazuliegen.

Sie wußten nichts zu sagen oder zu thun, und in dieser ernsten, entscheidenden Stunde, von der das geheime Glück des ganzen Lebens abhing, wagten sie es nicht einmal, sich anzusehen.

Er fühlte vielleicht unbestimmt, welche Gefahr in diesem Kampfe liegt und welch starke Selbstbeherrschung, welch geschickte Zärtlichkeit nötig war, um die feine Scham und alle die zarten Gefühle einer jungfräulichen, von Träumen erfüllten Seele nicht zu verletzen.

Da nahm er behutsam ihre Hand und küßte sie, er kniete vor ihrem Bett, wie vor einem Altar, nieder und sagte kaum hörbar:

– Willst Du mich lieb haben?

Sie war plötzlich beruhigt und hob vom Kopfkissen ihr spitzenumgebenes Köpfchen, indem sie lächelte:

– Ich liebe Dich ja schon, Du lieber Freund!

Er legte die kleinen, feinen Finger seiner Frau an seinen Mund und sprach mit durch diesen Knebel gedämpfter Stimme:

– Willst Du mir auch beweisen, daß Du mich liebst?

Sie antwortete wieder ganz verwirrt, ohne recht zu verstehen, was sie sagte, und indem sie der Worte ihres Vaters gedachte:

– Ich bin Dein, lieber Freund!

Er bedeckte ihre Hand mit feuchten Küssen, stand langsam auf und näherte sich ihrem Gesicht, das sie wieder zu verstecken suchte.

Plötzlich griff er über das Bett hinüber, umarmte seine Frau über der Decke, während der andere Arm unter das Kopfkissen glitt. Er hob es mit ihrem Kopf und fragte ganz leise:

– Willst Du mir dann ein wenig Platz an Deiner Seite machen?

Sie hatte Angst, eine instinktive Angst, und stammelte:

– O bitte noch nicht.

Er schien enttäuscht zu sein, etwas erkältet, und begann wieder, zwar noch in bittendem Ton, aber dringender:

– Warum später, wenn wir es doch schließlich thun?

Sie war böse über diese Worte, aber unterwürfig und resigniert, wiederholte sie zum zweiten Male:

– Ich bin Dein!

Da verschwand er schnell im Toilettenzimmer, und sie hörte deutlich seine Bewegungen, das Ausziehen von Kleidern, das Klimpern von Geld in der Tasche und das Aufschlagen der Stiefel.

Und plötzlich kam er eilig in Unterbeinkleidern und Strümpfen durch das Zimmer, um seine Uhr auf den Kamin zu legen, dann kehrte er wieder um, lief in das kleine Nebenzimmer, kramte dort noch eine Weile, und Johanna warf sich schnell auf die andere Seite und schloß die Augen, als fühlte sie, daß er käme.

Sie duckte sich zusammen, als wollte sie aus dem Bett springen, als sich plötzlich gegen ihr Bein ein anderes kaltes behaartes Bein schob, und das Gesicht in den Händen, bereit zu schreien vor Angst und Entsetzen, rückte sie ganz weit hinein ins Bett.

Da nahm er sie in die Arme, obgleich sie ihm den Rücken kehrte und küßte wütend ihren Hals, die losen Spitzen ihres Nachthäubchens und den gestickten Kragen des Hemds.

Sie bewegte sich nicht, ganz starr vor Schrecken, als sie eine kräftige Hand fühlte, die nach ihrer zwischen den Ellbogen versteckten Brust tastete. Bei dieser heftigen Bewegung atmete sie schnell, hatte Lust aufzuspringen, davonzulaufen durch das Haus, sich irgendwo einzuschließen, weit fort von diesem Mann.

Er bewegte sich nicht. Sie fühlte seine Wärme im Rücken, da ward ihr Entsetzen gelinder, und sie dachte plötzlich daran, daß sie nur sich umzudrehen brauchte, um ihn zu umarmen. Endlich schien er unruhig zu werden und sagte mit betrübter Stimme:

– Willst Du denn nicht meine kleine Frau sein?

Sie flüsterte zwischen den Fingern hindurch: – Bin ich es denn nicht schon? Er antwortete mit leisem Ton und einem Schimmer von Unwillen:

– Aber nein, mein Kind, Du machst Dich ja lustig über mich.

Sie war ganz erschrocken über den unzufriedenen Ton seiner Stimme, und plötzlich drehte sie sich zu ihm um, ihn um Verzeihung zu bitten. Er umschlang sie heftig, heißhungrig, und mit schnellen Küssen, mit beißend wütenden Küssen bedeckte er ihr Gesicht und ihren Hals, indem er sie erstickte in Zärtlichkeiten. Sie hatte die Hände geöffnet und blieb wie tot bei seinem Angriff. Sie wußte nicht mehr, was sie that, was er that, ihr war, als wären ihr die Sinne geschwunden.

Was darauf geschah? Sie hatte kaum eine Erinnerung daran, denn sie war wie besinnungslos. Es war ihr nur, als überhäufte er ihre Lippen mit dankbaren Küssen. Dann sprach er mit ihr und sie antwortete. Dann näherte er sich ihr wieder, aber sie stieß ihn mit Entsetzen zurück und endlich, müde der vergeblichen Anstrengungen, blieb er unbeweglich auf dem Rücken liegen.

Da dachte sie nach. Sie sagte sich, verzweifelt bis in die Tiefen ihrer Seele, ernüchtert nach einem so ganz anders geträumten Rausch, nach einer süßen Erwartung, die sie getragen, nach einer Glückseligkeit, die zerstört war: – Das nennt er seine Frau sein! Das! Das!

Und verzweifelt blieb sie lange so liegen, indem sie die Blicke über die Tapeten gleiten ließ, über die alte Liebeslegende an den Wänden ihres Zimmers.

Aber als Julius nichts mehr sprach und sich nicht mehr bewegte, wandte sie den Blick langsam zu ihm und sah, daß er schlief. Er schlief mit halboffnem Munde und ruhigen Zügen. Er schlief!

Sie konnte es nicht glauben. Sie fühlte sich empört, fast mehr dadurch beleidigt, daß er schlief, als durch seine Roheit. Konnte er in solcher Nacht schlafen?

Was zwischen ihnen geschehen war, war also nichts Besonderes für ihn. Ach, es wäre ihr lieber gewesen, er hätte sie geschlagen, überwältigt, mit verhaßten Liebkosungen gequält, bis zur Bewußtlosigkeit.

Unbeweglich auf einen Arm gestützt, zu ihm geneigt, blieb sie so und hörte zwischen seinen Lippen den Atem gehen, der manchmal wie Schnarchen klang.

Es ward Tag, zuerst trübe, dann heller, dann rosenfarben, dann leuchtend hell.

Julius schlug die Augen auf, gähnte, reckte die Arme, blickte seine Frau an, lächelte und fragte:

– Hast Du gut geschlafen, liebes Kind?

Sie antwortete:

– Jawohl, und Du?

Er sagte:

– Ganz ausgezeichnet! Dann wandte er sich zu ihr, küßte sie und fing an, ruhig zu schwatzen.

Er setzte ihr seinen Lebensplan auseinander, sprach etwas von Sparsamkeit, und da dies Wort sich öfters wiederholte, verwunderte dies Johanna. Sie hörte ihm zu, ohne eigentlich recht zu verstehen, was er da sagte, blickte ihn an, dachte plötzlich an tausend Dinge, die geschehen, und die ihr kaum recht zu Sinn gekommen.

Es schlug acht Uhr. – O wir müssen aufstehen, wir würden uns lächerlich machen, wenn wir so lange liegen blieben.

Er stand zuerst auf; als er sich angezogen hatte, half er artig seiner Frau bei allen Einzelheiten ihres Anzugs und erlaubte nicht, daß sie Rosalie rief.

Johanna zeigte sich erst zum Frühstück, und der Tag verstrich wie gewöhnlich, als ob nichts Neues geschehen wäre. Es war nur ein Mensch mehr im Hause.

 


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