Guy de Maupassant
Ein Menschenleben
Guy de Maupassant

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V

Vier Tage später kam der Reisewagen, der sie nach Marseille bringen sollte.

Nach den Ängsten des ersten Abends hatte sich Johanna schon an Julius gewöhnt, an seine Küsse, an seine Zärtlichkeiten, obgleich ihr Widerwille bei ihren intimen Berührungen sich noch nicht gemindert.

Sie fand ihn hübsch und sie liebte ihn ja; sie ward wieder heiter und glücklich:

Das Abschiednehmen war kurz und ohne Trauer, nur die Baronin schien bewegt zu sein, und im Augenblick, wo der Wagen sich in Bewegung setzte, legte sie einen großen Geldbeutel, der schwer war wie Blei, in die Hände der Tochter, mit den Worten:

– Das ist für Deine kleinen Ausgaben als junge Frau.

Johanna that ihn in ihre Handtasche, und die Pferde zogen an.

Gegen Abend frug Julius:

– Wieviel hat Dir denn Deine Mutter in diesem Geldbeutel gegeben?

Sie dachte nicht mehr daran und schüttete ihn auf ihrem Schoß aus. Ein Goldstrom ergoß sich: zweitausend Franken! Sie klatschte in die Hände: – Davon mache ich aber Dummheiten. – Und damit schloß sie das Geld wieder ein.

Nach achttägiger Fahrt in fürchterlicher Hitze kamen sie in Marseille an.

Und am andern Tag trug sie der »König Ludwig,« ein kleiner Dampfer, der nach Neapel fuhr und in Ajaccio anlegte, nach Korsika.

Korsika! Das Korsika der Dichter, der Räuber, der Berge! Die Heimat Napoleons! Es schien Johanna, als wäre sie nicht mehr in der Wirklichkeit, sondern in wachem Traum.

Seite an Seite standen sie auf dem Deck und sahen die Küsten der Provence verschwinden. Das Meer streckte sich unbeweglich wie erstarrt, in tiefem Azur, wie gehärtet von dem glühenden Sonnenlicht, unter dem unendlichen Himmel aus, in einem Blau, das fast übertrieben schien.

Sie sagte:

– Erinnerst Du Dich noch an unsre Bootfahrt mit dem alten Lastique?

Statt zu antworten, küßte er sie schnell aufs Ohr.

Die Räder des Dampfers peitschten das Wasser und störten seinen tiefen Schlaf, und hinter ihnen zog eine Schaumspur, eine lange, bleiche Straße hin, in der das aufgewirbelte Wasser wie Champagner moussierte, bis sich die Kielspur des Schiffes ganz in der Ferne verlor.

Plötzlich sprang am Vorderteile, nur ein paar Klafter entfernt, ein Riesenfisch, ein Delphin, aus dem Wasser. Dann schoß er, den Kopf voran, wieder ins Wasser. Johanna war ganz erschrocken, schrie auf und barg sich an Julius' Brust. Darauf lächelte sie über ihre Angst und beobachtete ängstlich, ob das Tier nicht wieder erschien. Nach ein paar Minuten schoß es wieder hervor, wie ein großes, aufgezogenes Spielzeug mit Uhrwerk, dann tauchte es wieder unter, kam von neuem an die Oberfläche, darauf erschienen zwei, dann drei, endlich sechs, die um das schwere Schiff herumzuhüpfen schienen, als ob sie ihren mächtigen Bruder, den hölzernen Fisch mit eisernen Flossen, begleiten wollten.

Sie zeigten sich rechts vom Schiff, kamen dann links wieder zum Vorschein, manchmal alle zusammen, dann wieder einer nach dem andern und schossen spielend, in fröhlicher Verfolgung, in einem mächtigen Satz, der einen großen Bogen beschrieb, in die Luft, um wieder unterzutauchen.

Johanna klatschte in die Hände und zuckte ganz glückselig jedes Mal zusammen, wenn die riesengeschwänzten Schwimmer erschienen. Ihr Herz klopfte in toller, kindlicher Freude.

Plötzlich verschwanden sie, man sah sie noch einmal, ganz weit nach dem offnen Meer zu, und dann nicht wieder. Ein paar Sekunden war Johanna traurig darüber.

Der Abend kam, ein stiller, süßer, heiterer Abend, voll Helligkeit und glücklichem Frieden. Nichts regte sich in Luft und Wasser. Diese unendliche Ruhe des Meeres und des Himmels teilte sich auch den Seelen mit, die keine Erregung störte.

Die Sonne sank langsam drüben nach dem unsichtbaren Afrika, dem Afrika, der glühenden Erde, deren Hauch man schon zu spüren meinte, nieder, aber ein frischer Luftzug, der daheim kaum ein Lüftchen gewesen wäre, traf das Gesicht, als das Gestirn untergegangen.

Sie wollten nicht in die Kajüte gehen, wo es nach allen unangenehmen Düften der Dampfboote roch, und streckten sich in die Mäntel gewickelt, Seite an Seite auf dem Verdeck aus. Julius schlief sofort ein, aber Johanna, die das Neue der Reise reizte und erregte, behielt die Augen offen. Das gleichmäßige Geräusch der Räder wiegte sie ein, und über sich sah sie Legionen von Sternen, klar und flimmernd an diesem reinen, südlichen Himmel.

Gegen Morgen nickte sie ein. Lärm und Stimmen weckten sie auf. Die Matrosen reinigten singend das Schiff. Sie weckte ihren unbeweglich schlafenden Mann und sie standen auf.

Gierig sog sie die salzige Seeluft ein, die sie durchströmte bis in die Fingerspitzen, überall war nur Meer, und doch dämmerte vorn etwas Großes, etwas noch Unbestimmtes im Licht des erwachenden Tages; etwas wie zusammengeballte Wolken, spitz und zersägt, schien auf der Flut zu liegen. Dann ward es deutlicher. Am hellen Himmel zeichneten sich die Formen immer mehr ab. Eine lange Kette von seltsamen, spitzen Bergen tauchte auf: Korsika im leichten Nebelschleier.

Und dahinter stieg die Sonne empor und zeichnete alle die Bergspitzen dunkel ab, dann begannen alle die Gipfel aufzuflammen, während der übrige Teil der Insel noch in den Dämpfen lag.

Der Kapitän, ein alter, kleiner Mann, dunkelbraun von Wind und Wetter, erschien auf Deck, und mit seiner durch dreißig Jahre Kommandoton und durch das Schreien im Sturm heiseren Stimme sagte er zu Johanna:

– Riechen Sie das alte, brave Land?

Sie roch in der That einen fremdartigen, sonderbaren, starken Pflanzengeruch.

Der Kapitän fuhr fort:

– Das ist Korsika, das so riecht! Ein ganz eignes Parfüm, wie bei einer hübschen Frau! Wenn ich zwanzig Jahre nicht wieder hinkäme, erkennte ich's auf fünf Meilen gleich wieder. Ich bin daher. Er da unten auf Sankt Helena spricht immer von dem Duft seines Heimatlandes. Er ist nämlich von meiner Familie.

Und der Kapitän zog den Hut, um Korsika zu grüßen und grüßte da drüben am Horizont den großen gefangenen Kaiser, der aus seiner Familie stammte.

Johanna war so bewegt, daß sie fast geweint hätte.

Julius stand neben seiner Frau, hielt sie um die Taille gefaßt, und beide blickten in die Weite, um Korsika zu sehen.

Endlich entdeckten sie ein paar Felsen in Pyramidenform, die das Schiff bald umkreiste, um in einen mächtigen Meerbusen einzulaufen, von einer Menge hoher Gipfel umgeben, deren Hänge mit Moos bedeckt schienen.

Der Kapitän deutete auf das Grün und sagte:

– Das ist das Dickicht.

Je näher sie dem Lande kamen, desto mehr schien sich der Kreis der Berge hinter dem Schiff zu schließen. Es schwamm langsam dahin in der blauen See, deren Flut so durchsichtig war, daß man ab und zu den Grund sah.

Und plötzlich erschien hinten im Hafen, am Ufer des Meeres und am Fuß der Berge, ganz weiß die Stadt.

Im Hafen lagen ein paar kleine, italienische Schiffe vor Anker. Vier oder fünf Boote kamen und umkreisten den »König Ludwig«, um seine Passagiere abzuholen.

Julius, der das Gepäck zusammensuchte, fragte leise seine Frau:

– Nicht wahr, wenn ich dem Stewart zwanzig Sous gebe, ist's genug.

Seit acht Tagen fragte er immerfort in dieser Weise, und sie litt jedesmal darunter.

Ungeduldig antwortete sie:

– Wenn man nicht weiß, ob man genug giebt, giebt man lieber zu viel!

Immerfort stritt er sich mit Hotelbesitzern und Kellnern, mit Kutschern und allen Leuten, die etwas verkauften, und wenn er etwas abgehandelt hatte, sagte er jedesmal zu Johanna, indem er sich die Hände rieb:

– Ich mag nicht betrogen werden!

Sie zitterte immer, wenn die Rechnung kam, denn sie wußte schon, wie er über jeden einzelnen Ansatz seine Bemerkungen machte. Dieses Schachern und Feilschen demütigte sie, und sie ward dunkelrot unter dem verächtlichen Blick der Dienstboten, die ihrem Manne nachsahen, das unanständige, knappe Trinkgeld in der Hand. Und nun stritt er sich wieder mit dem Bootsführer, der sie ans Land brachte.

Der erste Baum, den sie sah, war eine Palme.

In einem großen, leeren Hotel, an der Ecke eines mächtigen Platzes, stiegen sie ab und ließen sich das Frühstück bringen.

Sobald sie fertig waren, und Johanna aufstehen wollte, um ein wenig durch die Stadt zu bummeln, nahm sie Julius beim Arm und flüsterte ihr zärtlich ins Ohr:

– Wollen wir nicht ein bißchen zu Bett gehen, Kleine?

Sie war erstaunt:

– Schlafen, aber ich bin nicht müde.

Er umschlang sie:

– Ich möchte gern, begreifst Du nicht? Zwei Tage schon . . .

Sie ward purpurn vor Scham und stammelte:

– Aber jetzt, was soll man denn von uns denken? Was sollen die Leute sagen? Du kannst doch nicht jetzt am hellenlichten Tag ein Zimmer verlangen, ich bitte Dich Julius . . .

Aber er fiel ihr ins Wort:

– Das ist mir ganz gleich, was die Leute im Hotel sagen und denken. Du wirst gleich sehen, wie schnuppe mir das ist. – Und er klingelte.

Sie sagte nichts mehr und schlug die Augen nieder, seelisch und körperlich empört über diesen unausgesetzten Wunsch ihres Mannes, sich immer nur mit Ekel ergebend, resigniert aber gedemütigt nachgebend, indem sie darin etwas Tierisches, Erniedrigendes, Schmutziges sah.

Ihre Sinne schliefen noch, und er behandelte sie, als hätte sie seine Gluten geteilt.

Als der Kellner kam, verlangte Julius, daß sie auf ihr Zimmer geführt würden. Der Mann, ein richtiger Korse, bärtig bis zu den Augen hinauf, verstand nicht und sagte, das Zimmer würde zur Nacht bereit sein.

Julius aber ward ungeduldig und erklärte:

– Nein, sofort, wir sind müde von der Reise und wollen uns ausruhen.

Da glitt ein Lächeln über das Antlitz des Bediensteten, und Johanna wäre am liebsten davongelaufen.

Als sie eine Stunde später wieder herunterkamen, wagte sie kaum an den Leuten, die ihr begegneten, vorüber zu gehen, sie meinte sie müßten hinter ihrem Rücken lächeln und flüstern. Und sie trug es Julius innerlich nach, daß er sie nicht begriff, daß er nicht die feine Scham, nicht den Takt hatte; und zwischen sich und ihm fühlte sie wie einen Schleier, eine Kluft, indem sie zum ersten Male ahnte, daß zwei Menschen nie einander, bis in ihre Seele, bis in die Tiefe ihrer Gedanken erforschen, daß sie nebeneinander hergehen können, oft Arm in Arm, aber nie eins, und daß das Tiefste, Innerste eines jeden von uns im Leben doch ewig einsam bleibt.

Sie verweilten drei Tage in der kleinen Stadt, die in der Tiefe ihres blauen Golfes versteckt, im Schutz ihrer Bergwände, die niemals einen Windhauch hinein ließen, heiß war wie ein Hochofen.

Dann wurde der Reiseplan festgesetzt, und um allen Schwierigkeiten gewachsen zu sein, entschlossen sie sich, Pferde zu mieten. Sie nahmen also zwei kleine, unermüdliche, korsische Hengste mit blitzenden Augen und machten sich eines Morgens bei Tagesanbruch auf den Weg.

Ein Führer auf einem Maultiere begleitete sie und trug die Vorräte, denn in diesem wilden Lande giebt es keine Wirtshäuser.

Zuerst folgte die Straße dem Hafen und verschwand dann in einem nicht sehr tiefen Thal, das zu den hohen Bergen führte. Manchmal kamen sie durch fast ausgetrocknete Gebirgsbäche, nur der letzte Rest eines Wässerchens sickerte noch unter den Steinen wie ein verstecktes Tier und gluckste leise.

Das unbebaute Land schien ganz kahl zu sein, die Abhänge waren mit hohem Gras bedeckt, das in dieser heißen Jahreszeit ganz gelb geworden. Ab und zu begegnete man einem Gebirgsbewohner, sei es zu Fuß, sei es auf seinem kleinen Pferde, oder seitwärts sitzend auf einem kleinen Esel, der nicht größer war, wie ein Hund. Alle trugen ein geladenes Gewehr auf dem Rücken, alte, verrostete Waffen, aber doch furchtbar in ihrer Hand.

Der scharfe Geruch der aromatischen Pflanzen, mit denen die Insel bedeckt ist, schien die Luft zu verdicken.

Die Straße folgte langsam steigend in langen Windungen dem Berge. Die Gipfel aus rotem oder bläulichem Granit gaben der Gegend etwas Märchenhaftes, und an den niedrigeren Hängen sahen die riesigen Kastanienwälder aus, wie kleine, grüne Gebüsche, so gewaltig sind hier die Höhenverhältnisse.

Ab und zu streckte der Führer gegen die zerrissenen Berge die Hand aus und nannte einen Namen. Johanna und Julius blickten hin, sahen nichts Besonderes, bis sie endlich etwas Graues entdeckten, wie einen Steinhaufen, der vom Gipfel abgebröckelt zu sein schien. Es war ein Dorf, eine kleine, granitene Ortschaft, die dort oben lag, angeklebt wie ein richtiges Vogelnest, an den riesigen Bergen fast verschwindend.

Das lange Schrittreiten machte Johanna fast ungeduldig. – Wir wollen etwas schneller reiten, sagte sie und trieb ihr Pferd an; aber als sie ihren Mann nicht neben sich galoppieren hörte, drehte sie sich um und fing sofort laut an zu lachen, als sie ihn in langen Sätzen herankommen sah, totenbleich, die Hände in der Mähne des Pferdes fest gekrallt. Bei seinem guten Aussehen, seiner schönen ritterlichen Gestalt, war seine Ungeschicklichkeit und Angst um so komischer.

Da fingen sie an langsam zu traben, der Weg führte jetzt zwischen zwei unendlichen Reihen von Buschwerk dahin, die gleich einem Mantel die ganzen Berge bedeckten. Das war das korsische Dickicht, jenes undurchdringliche Dickicht, gebildet aus Eichen-, Wachholder-, Erdbeerbüschen, Mastiks, Alaternen, Laichkraut, Lorbeer-, Myrten- und Buchsbäumen, die ineinander gewachsen, sich wie Haare verwirrten. Dazu Waldreben und riesige Farrenkräuter, Jelänger-Jelieber, Rosmarin, Dornen und Dornengestrüpp, die die Bergrücken mit undurchdringlicher Decke überzogen.

Sie hatten Hunger. Der Führer holte sie ein und brachte sie an eine jener reizenden Quellen, die in diesen zerklüfteten Bergen so häufig sind. Ein schmaler, eisigkalter Wasserstrahl, der aus einem kleinen Felsspalt brach und über ein Kastanienblatt lief, das irgend ein Vorübergehender dahin gelegt, um die kleine Quelle bequem bis in den Mund des Durstigen zu leiten, erquickte sie.

Johanna fühlte sich so glücklich, daß sie an sich halten mußte, um nicht laut aufzujubeln.

Sie setzten ihren Ritt fort und den Golf von Sagone umkreisend, stiegen sie wieder hinab.

Gegen Abend kamen sie durch Cargese, ein griechisches Dorf, das einst Flüchtlinge gegründet, die aus ihrem Vaterland vertrieben worden. An einem Brunnen standen große, schöne, schlanke Mädchen mit länglichen Händen, feiner Taille, wundervoll graziös. Julius rief ihnen guten Abend zu. Sie antworteten in singendem Ton in der harmonischen Sprache ihres ehemaligen Vaterlandes.

Als sie nach Piana kamen, mußten sie in einem Hause um Gastfreundschaft bitten, wie in alten Zeiten und in einsamen Gegenden. Johanna zitterte vor Freude, während sie warteten, bis die Thür sich öffnete, an welche Julius geklopft. Ja, das war einmal eine Reise mit allen Überraschungen unentdeckter Straßen.

Sie kamen gerade zu einem jungen Ehepaar. Man empfing sie, wie wohl einst die Patriarchen den von Gott gesandten Gast empfingen. Sie schliefen auf einer Schütte Mais in dem alten, baufälligen Hause, in dessen Gebälk die Bohrwürmer ihre langen Gänge zogen, so daß es schien, als ob das ganze Haus lebte und atmete.

Bei Tagesanbruch brachen sie auf und befanden sich bald vor einem Wald, einem wirklichen Wald von rotem Sandstein; da standen Spitzen, Säulen, Kirchtürme, wundersame Gestalten die der Zahn der Zeit, der nagende, rüttelnde Sturm, die Seeluft aus den Felsen gefressen hatten.

Diese wundersamen Felsgebilde waren bis zu dreihundert Meter hoch, schmal, abgerundet, schlank, gewunden, ungestalt, phantastisch und seltsam. Sie glichen Bäumen, Pflanzen, Tieren, Monumenten, Menschen, Mönchen in langen Gewändern, gehörnten Teufeln, riesigen Vögeln, eine ganze Welt von Spuk-Gestalten, die irgend eine eigenwillige Gottheit in Stein verwandelt.

Johanna sprach nicht mehr, ihr war das Herz beklommen. Sie nahm Julius Hand, drückte sie, im Bedürfnis, jemand zu fühlen und zu lieben angesichts der Schönheit der Natur.

Und plötzlich, als sie aus diesem Chaos traten, lag ein neuer Meerbusen vor ihnen, rings von blutroter Granitwand eingerahmt.

Im blauen Meer spiegelten sich die scharlachnen Felsen. Johanna stammelte:

– O Julius!

Sie fand keine anderen Worte, sie war ganz weich vor Bewunderung, die Kehle ihr wie zugeschnürt. Zwei Thränen standen in ihren Augen. Er sah sie erstaunt an und fragte:

– Was hast Du denn, Kindchen?

Sie wischte die Wangen, lächelte und sagte mit leise bebender, zitternder Stimme:

– Nichts! Ich bin nervös, ich weiß nicht, es hat mich so gepackt! Ich bin so glücklich, daß mir die geringste Sache solchen Eindruck macht!

Er begriff diese weibliche Nervosität nicht, die zitternden Stimmungen, die durch ein nichts in Schwingung gebracht werden und die der Enthusiasmus packt wie eine Katastrophe, die ein unbestimmter Eindruck aus Rand und Band bringt, vor Freude wie Verzweiflung.

Diese Thränen erschienen ihm lächerlich, und nur mit dem schlechten Weg beschäftigt, sagte er:

– Paß lieber auf Dein Pferd auf!

Auf beinahe ungangbarem Pfade stiegen sie zum Golf herab, dann wandten sie sich rechts, um das dunkle Thal Ota zu durchschreiten.

Aber der Weg war beschwerlich. Julius schlug vor:

– Wir wollen doch zu Fuß hinauf. – Sie war einverstanden, sie freute sich mit ihm allein zu sein nach der eben durchgemachten Gemütsbewegung.

Der Führer ging mit den Pferden voran, und sie folgten langsam.

Der Berg war gespalten von oben bis unten, der Weg führt in diese Kluft hinein, zwischen zwei gewaltigen Mauern hin, und ein Gebirgsstrom braust daneben. Eisig ist die Luft, der Granit scheint ganz schwarz und, daß man oben einen schmalen Streifen vom blauen Himmel sieht, setzt ganz in Staunen.

Plötzlich klang ein Rauschen, und Johanna fuhr zusammen. Sie blickte auf, ein Riesenvogel flog aus einem Spalt. Es war ein Adler. Seine ausgebreiteten Schwingen schienen die beiden Seitenwände zu berühren, und er stieg zum Himmel empor, wo er verschwand.

Weiter oben teilte sich der Riß im Berge, zwischen den beiden Schluchten führte der Weg im steilen Zick-Zack empor. Johanna eilte leichten Fußes voraus, unter ihren Füßen rollten die Steine, und furchtlos beugte sie sich über den Abgrund. Er folgte ihr außer Atem, den Blick zu Boden gesenkt, weil er fürchtete, schwindlig zu werden.

Plötzlich überflutete sie die Sonne, daß sie meinten aus der Hölle zum Himmelslichte emporzusteigen. Sie hatten Durst, und eine feuchte Spur zeigte ihnen durch ein Steinlabyrinth den Weg zu einer winzigen Quelle, die ein Stück durch einen gehöhlten Baumstamm geleitet war, zum Gebrauch der Hirten. Rings wuchs dichtes Moos. Johanna kniete nieder, um zu trinken, und Julius folgte ihrem Beispiel.

Und wie sie die Frische des Wassers genossen, umfaßte er sie und suchte ihr den Platz streitig zu machen. Sie widerstand, ihre Lippen trafen sich, prallten ab, und während des Kampfes erwischten sie, eines um das andere, einmal den schmalen Ausfluß der Röhre und hielten ihn mit den Zähnen, um nicht los zu lassen, und der kalte Wasserstrahl, der immerfort mit dem Munde gefaßt und wieder losgelassen wurde, teilte sich und floß wieder zusammen, bespritzte Gesicht, Hals, Kleider, Hände. Kleine Tröpfchen glitzerten wie Perlen in ihrem Haar, und dazwischen küßten sie sich in dem Gespritzer.

Plötzlich kam Johanna auf einen Liebesgedanken; sie füllte den Mund mit der klaren Flut, blies die Backen auf, wie einen Gummiball und deutete Julius an, daß sie ihm Mund an Mund zu trinken geben wollte. Lächelnd, zurückgebeugt mit offenen Armen hielt er ihr die Lippen hin und trank an dieser lebendigen Quelle mit einem tiefen Zug, der seine Wünsche erregte.

Johanna schmiegte sich an ihn mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit, ihr Herz klopfte, ihr Busen hob sich, ihre Augen schienen überzugehen, als würden sie feucht, und sie sagte leise:

– Julius, ich liebe Dich! – Und während er sie an sich zog, beugte sie sich zurück und barg ihr schamgerötetes Gesicht in den Händen.

Er warf sich auf sie, umarmte sie glühend. In nervöser Erwartung atmete sie kurz, und plötzlich stieß sie einen Schrei aus, wie vom Donner gerührt durch die Empfindung, die sie durchströmte.

Sie brauchten lange, um die Höhe des Aufstiegs zu gewinnen, so erregt war sie und solche Schwere lag ihr in den Gliedern. Erst abends kamen sie nach Evisa zu Paoli Palabretti, einem Verwandten ihres Führers.

Er war groß und hielt sich etwas gebeugt, mit dem traurigen Ausdruck des Lungenkranken. Er führte sie in ihr Zimmer, ein armseliges, kahles Gemach, aber das immerhin für dieses Land, wo Luxus unbekannt ist, ganz erträglich war. Und in seiner Sprache, einem korsischen Platt, ein Mischmasch von französisch und italienisch, drückte er ihnen seine Freude aus, sie bei sich aufzunehmen.

Da unterbrach ihn eine helle Stimme, und eine kleine Bauernfrau mit großen, schwarzen Augen, sonnenverbranntem Gesicht, schlanker Taille und die bei fortwährendem Lachen die Zähne zeigte, trat vor, küßte Johanna und schüttelte Julius die Hand, indem sie sagte:

– Guten Tag meine Dame, guten Tag mein Herr! Geht es Ihnen gut?

Sie nahm Hüte und Shawls und legte sie mit einem Arm fort, denn den andern trug sie in einer Binde. Dann sagte sie zu ihrem Mann:

– Geh mit ihnen spazieren bis zum Essen.

Herr Palabretti gehorchte sofort, nahm die beiden jungen Leute rechts und links und zeigte ihnen das Dorf. Er ging und sprach langsam, hustete häufig und meinte:

– Die Luft im Thal ist so kühl, das ist mir auf die Brust gegangen.

Unter Riesenkastanien führte er sie einen Weg, plötzlich blieb er stehen und sagte mit seiner monotonen Aussprache:

– Hier ist mein Vetter Johann Rinaldi von Mattias Lori getötet worden. Sehen Sie, ich stand ganz nahe bei Johann, da erschien Mattias zehn Schritte vor uns und rief: »Johann, geh nicht nach Albertacci, geh nicht hin, Johann, oder das sage ich Dir, ich schieße Dich über´n Haufen!« Ich nahm Johanns Arm und bat: »Johann, geh nicht hin, er macht's wahr.« Es war wegen eines Mädchens, dem sie beide nachstellten, Pauline Sinacoupi. Aber Johann rief: »Mattias, ich geh´ hin, Du hinderst mich nicht dran.«

Da schlug Mattias sein Gewehr an, ehe ich meines an die Backe reißen konnte, und schoß. Johann sprang mit beiden Füßen in die Luft, wie ein Kind, das über ein Seil springt. Jawohl, ganz genau so, und er fiel und stürzte auf mich, sodaß mir mein Gewehr aus der Hand geschlagen wurde und bis zu der großen Kastanie da drüben rollte. Johann hatte den Mund weit offen, aber er sagte kein Wort mehr, er war tot.

Die jungen Leute blickten erschrocken den ruhigen Zeugen dieses Verbrechens an. Johanna fragte:

– Und der Mörder?

Paoli Palabretti bekam einen Hustenanfall, dann sagte er:

– Er ist in die Berge entflohen. Das Jahr darauf hat ihn mein Bruder erschossen. Wissen Sie, mein Bruder Philippi Palabretti, der Bandit!

Johanna schauderte:

– Ihr Bruder ist ein Bandit?

Der Korse sagte, und stolz leuchteten seine Augen:

– Jawohl, und ein berühmter! Er hat sechs Gendarmen umgebracht; er ist mit Nikolaus Morali, als sie in Niolo eingeschlossen waren, nachdem sie sich sechs Tage verteidigt hatten und fast verhungert waren, gestorben.

Dann fügte er mit resigniertem Ausdruck hinzu:

– Das bringt das Land so mit sich, – in demselben Ton, wie er vorhin gesagt: Die Luft ist so frisch im Thal.

Darauf kehrten sie heim zum Essen, und die kleine Korsikanerin behandelte sie, als ob sie sie schon seit zwanzig Jahren kennte.

Aber eine Unruhe ließ Johanna nicht los. Würde sie wohl in Julius' Armen diese seltsame, plötzliche Sinnlichkeit wieder finden, die sie auf dem Moos an der Quelle gepackt?

Als sie allein im Zimmer waren, zitterte sie noch immer, unberührt von seinen Küssen zu bleiben, aber sie bekam bald Gewißheit. Und das war ihre erste Liebesnacht.

Und am andern Tage, als sie fort mußten, konnte sie sich nicht entschließen, dieses einfache Haus zu verlassen, wo, wie es schien, ein neues Glück für sie begonnen.

Sie zog die kleine Frau ihres Wirtes in ihr Zimmer und bat sie, daß sie ihr doch sagen möchte, was sie ihr, sobald sie wieder nach Paris kommen würde, schenken dürfe, ein Andenken nur, dem sie fast abergläubische Bedeutung beilegte.

Die junge Korsikanerin wehrte sich lange dagegen und wollte nichts annehmen. Endlich war sie einverstanden und sagte:

– Gut, schenken Sie mir eine Pistole, eine ganz kleine Pistole.

Johanna riß die Augen auf, die andere fügte leise, ganz nahe an ihrem Ohr hinzu, etwa wie man ein süßes, geheimes Geständnis macht:

– Ich will meinen Schwager totschießen.

Und lächelnd löste sie die Binde vom Arm, den sie nicht benutzte und zeigte ihr rundes, weißes Fleisch, das an mehreren Stellen von Dolchstichen durchbohrt war.

– Wenn ich nicht ebenso stark gewesen wäre, wie er, sagte sie, hätte er mich getötet. Mein Mann ist nicht eifersüchtig, der kennt mich, und dann wissen Sie, er ist krank, und das macht ihn ruhig. Übrigens bin ich eine anständige Frau. Aber mein Schwager glaubt alles, was ihm erzählt wird, er ist eifersüchtig für meinen Mann, und er fängt sicher wieder an. Wenn ich aber eine kleine Pistole hätte, wäre ich ruhig, weil ich weiß, daß ich mich rächen kann.

Johanna versprach die Waffe zu schicken, und küßte zärtlich die neue Freundin. Dann gingen sie fort.

Die übrige Reise war wie ein Traum, eine unausgesetzte Liebkosung. Sie sah nichts, nicht die Landschaft, nicht die Menschen, nicht die Orte, wo sie sich aufhielten, sie sah nur noch Julius.

Da begann die kindische, reizende Heimlichkeit der Liebe, kleine, thörichte Worte wurden gewechselt, und sie nannten einander mit allen möglichen Kosenamen.

Als sie nach Bastia kamen, mußten sie den Führer bezahlen. Julius suchte in der Tasche, und da er das nötige Geld nicht gleich fand, sagte er zu Johanna:

– Du brauchst ja die zweitausend Franken Deiner Mutter doch nicht, gieb mir sie doch in meinen Gürtel, da sind sie sicherer, und da brauche ich nicht erst wechseln zu lassen.

Und sie gab ihm den Geldbeutel.

Sie kamen nach Livorno, besuchten Florenz, Genua, und eines Morgens, als der Mistral blies, waren sie wieder in Marseille.

Seit ihrer Abreise von Les Peuples waren zwei Monate verstrichen. Man schrieb den 15. Oktober. Johanna traf der starke, kalte Wind, der von dort oben, von der fernen Normandie zu kommen schien, und stimmte sie traurig.

Julius schien seit einiger Zeit verändert zu sein, müde und gleichgiltig. Sie befürchtete etwas, aber sie wußte nicht was.

Sie richtete es so ein, daß sie noch vier Tage warteten, ehe sie heimkehrten. Sie mochte dieses wunderschöne Sonnenland nicht verlassen, es war ihr, als ob hiermit die Zeit des Glückes für sie vorbei wäre.

Endlich reisten sie ab. In Paris wollten sie alle Einkäufe machen für ihre endgiltige Einrichtung in Les Peuples, und Johanna freute sich, dank Mamachens Geschenk, allerlei schöne Dinge mitbringen zu können; aber zuerst dachte sie an die Pistole, die sie der jungen Korsikanerin in Evisa versprochen.

Am Tage nach der Ankunft sagte sie zu Julius:

– Mein Liebling, bitte gieb mir doch das Geld, das ich von Mama bekommen habe, ich möchte Einkäufe machen.

Mit unzufriedenem Ausdruck wandte er sich zu ihr:

– Wieviel brauchst Du?

Sie war erstaunt und sagte:

– Ja, so viel Du willst.

Er antwortete:

– Ich will Dir hundert Franken geben, aber verplempere sie nicht.

Sie wußte nicht mehr, was sie sagen sollte, sie war wie auf den Mund geschlagen, endlich meinte sie zögernd:

– Aber ich habe Dir doch das Geld gegeben, um . . . . Er ließ sie nicht ausreden:

– Ja gewiß, ob ich es habe, oder ob Du es hast, ist doch ganz gleich, da wir doch eine Kasse haben. Ich schlage Dir ja nichts ab, ich gebe Dir ja hundert Franken.

Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie die fünf Goldstücke, aber sie wagte nicht mehr, um Geld zu bitten, und kaufte nur die Pistole.

Acht Tage später reisten sie nach Les Peuples.

 


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