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Fünfzehntes Kapitel.

Indessen sah der Wirt, daß der Spaß am Ende zu weit ging und sich allzu sehr in die Länge zog. Er trat zu Renzo hin, bat die andern höflich, ihn in Frieden zu lassen, schüttelte ihn beim Arm und wollte ihm zu verstehen geben, es sei Zeit, schlafen zu gehen. Es gelang aber erst nach längerem Zureden, Renzo zum Aufstehen zu bewegen. Er brachte ihn mit vieler Mühe zur Türe hinaus, zog ihn mit noch größerer Mühe die schmale hölzerne Treppe empor und brachte ihn in das Zimmer, das er ihm bestimmt hatte. Beim Anblick des Bettes, das ihn erwartete, freute sich Renzo und sah liebevoll den Wirt mit einem Augenpaar an, welches bald ungewöhnlich blitzte, bald, wie ein Paar Johanniswürmchen, sich verdunkelte; dabei suchte er sich im Gleichgewichte zu erhalten und streckte die Hand nach der Wange des Gastwirtes aus, um sie, zum Zeichen der Freundschaft und der Erkenntlichkeit, zwischen Zeige- und Mittelfinger zu fassen; es ging aber nicht. – »Wackerer Schenkwirt,« brachte er endlich denn doch hervor; »ich sehe, daß du ein rechtschaffener Mann bist; 's ist christlich gehandelt, einem guten Jungen ein Bett zu verschaffen; aber die Fuchsfalle da von Namen und Zunamen, die war nicht nach rechtschaffener Leute Art. Zum Glück versteh ich meinerseits mich auch auf 'nen Pfiff ...«

»Jetzt bei der Hand! Zieht Euch aus, geschwind!« sagte der Wirt und unterstützte seinen Rat durch tätigen Beistand. Es tat not. Als Renzo sich das Wams ausgezogen hatte, nahm der Wirt es und fuhr sogleich mit den Händen in die Taschen, um zu sehen, ob auch wohl das Zechgeld drin steckte. Er fand Geld; da er aber der Meinung war, der Gast würde am andern Morgen ganz andre Dinge zu tun haben, als an Bezahlung zu denken, und das Geld dürfte wahrscheinlich in Hände fallen, aus welchen ein Gastwirt es nicht mehr herausbekäme, so überlegte er, was er zu tun hätte, und wollte einen andern Versuch wagen.

»Ihr seid ein guter junger Mensch, ein Ehrenmann,« sagte er, »nicht wahr?«

»'n guter Mensch, ein Ehrenmann,« antwortete Renzo, indem er mit den Fingern noch immer an den Knöpfen zu tun hatte, die aus ihren Löchern nicht heraus wollten.

»Gut,« antwortete jener, »macht also jetzt die kleine Rechnung richtig; denn morgen muß ich beizeiten Geschäfte halber aus dem Hause gehen ...«

»'s ist billig,« äußerte Renzo. »Bin ein pfiffiger Schelm, doch ein ehrlicher Kerl. Aber das Geld! Eh geschwind, wir wollen das Geld suchen!«

»Ich bin dabei,« sagte der Wirt. Indem er darauf seine ganze listige Gewandtheit, seine ganze Geduld, seine ganze Schlauheit in Bewegung setzte, kam er endlich damit zustande und steckte die Zeche ein. »Hilf mir ein bißchen mich ganz ausziehen, Wirt,« sagte Renzo. »Ich fühl's selber, daß mir ein mächtiger Schlaf in den Gliedern steckt.«

Der Wirt leistete ihm den verlangten Dienst, legte ihm noch überdies die Kissen unter dem Kopfe zurecht und warf ihm ein oberflächliches Gutenacht hin; denn schon lag Renzo schnarchend da. Es beherrscht aber den Menschen eine unerklärliche Anziehungskraft, welche ihm für einen Gegenstand des Ärgers dieselbe Aufmerksamkeit wie für einen Gegenstand der Liebe abnötigt und vielleicht nichts andres ist als das Bestreben, was gewaltsam auf unser Gemüt wirkt, näher kennenzulernen. Daher auch der Wirt einen Augenblick stillstand, den Gast, so zuwider er ihm auch war, zu betrachten; er hielt ihm die Laterne vors Gesicht und breitete die Hand über die Flamme, um sie desto heller hinleuchten zu lassen; es war ungefähr dieselbe Stellung, in welcher Psyche gemalt wird, wenn sie verstohlen die Züge des unbekannten Gatten belauscht. – »Närrischer Märchenvogel!« sagte er halblaut zu dem armen Schläfer, »du bist gerade darauf losgegangen, dir dein Unglück auf den Hals zu ziehen. Morgen wirst du mir wohl schon sagen können, wie's schmeckt. Ungeschliffene Bauernkerle, wollt in der Welt umherziehen und wißt nicht einmal, wo die Sonne aufgeht, stürzt euch und euren Mitmenschen in Wirrwarr!«

So gesprochen oder gedacht, zog er die Lampe zurück, setzte sich in Bewegung, ging zum Zimmer hinaus und verschloß von draußen die Türe mit dem Schlüssel. Auf dem Absatz der Treppe rief er die Wirtin, befahl ihr, die Kinder einem Dienstmädchen zu übergeben und so lange in der Küche an seiner Statt ein wachsames Auge zu haben. – »Ich muß ausgehen,« sagte er, »um eines Fremden willen, der mir da zu meinem Unglück ins Haus geraten ist.« Und nun teilte er ihr im Auszuge das unangenehme Ereignis mit. Darauf trat er mit ihr in die Küche, warf einen Blick umher, um sich zu überzeugen, ob nichts Neues von Bedeutung vorgefallen, nahm von einem Pflock Hut und Mantel herunter, holte aus einem Winkel einen Knüttel und machte sich auf den Weg. Aber schon während dieser Vorkehrungen hatte er den Faden der Anrede, welche er an Renzos Bett gehalten, in der Stille wieder aufgefaßt und verfolgte ihn, indem er durch die Straße wanderte.

»Was für 'nen starrsinnigen Kopf der Bursch aus dem Gebirge auf dem Rumpfe trägt!« – Denn so emsig auch Renzo seine Heimat zu verschweigen suchte, so verriet sich doch das Gebirgsland in Worten, Aussprache, Anblick und Handlungen von selbst. – »Mit meiner Klugheit, mit meiner guten Vernunft hab ich heiler Haut den gefährlichen Tag überstanden, und nun kommst du mir am Abend noch auf den Hals, mir die Eier im Korb zu zerquetschen. Fehlt's denn in Mailand an Gasthöfen, daß du gerade über meine Schwelle hereinstolpern mußtest? Wärst du noch wenigstens allein gekommen, so hätt ich für den Abend ein Auge zugedrückt und's morgen früh dir zu verstehen gegeben. Aber nein, Herr, kommst in Gesellschaft, und in Gesellschaft eines Häscherhauptmanns, um den Kohl noch fetter zu machen.«

Bei jedem Schritte begegnete der Gastwirt auf seinem Wege einsamen Wandrern, auch wohl zweien oder vieren, welche murmelnd umherzogen. Als er in seiner stummen Rede gerade bei obigem Punkte stand, sah er eine Runde von Soldaten daherkommen; er schlich sich seitwärts, schielte, da sie vorüberschritten, nach ihnen hin und dachte weiter: »Da sind die Narrenruten. Und du, Esel, du, weil du einen Haufen Leute hast Lärm machen hören, setzest dir in den Kopf, daß die Welt umgekehrt werden müsse. Willst durch die Welt reisen und dein großes Maul mit herumtragen, und weißt nicht einmal, daß einer vor allen Dingen nicht öffentlich davon sprechen muß, wenn er die Welt nach seinem; Kopfe drehen und die Verordnungen in den Sack stecken will. Und wenn ein armer Gastwirt sich nach dir bequemte und seine Gäste nicht nach ihrem Namen fragte, weißt du denn, Dummkopf, was für 'ne Schüssel man ihm da vorsetzen täte? ›Jedem der oben genannten Gastgeber und Schenkwirte bei Strafe von dreihundert Scudi geboten.‹ Wie sauer muß sich einer dreihundert Scudi werden lassen! und um sie so hübsch dann an den Mann zu bringen! ›Davon zwei Drittel für die Königliche Kammer zurückzulegen, und das übrige für den Kläger oder Angeber.‹ Ein schönes Puppenspiel! ›Und wenn er nicht zahlen kann, fünf Jahre auf die Galeere, oder eine größere Strafe, an Eigentum oder Leibe, nach dem Gutachten seiner Exzellenz.‹ Schönen Dank, Eurer Gnaden gar sehr verbunden!«

Bei diesen Worten betrat der Gastwirt die Schwelle des Palastes, in welchem der Hauptmann der Gerechtigkeit wohnte.

Wie in allen andern Kanzleien herrschte auch hier eine außerordentliche Geschäftigkeit; überall erteilte man emsig die zweckmäßigsten Befehle, um dem folgenden Tage zuvorzukommen, den Gemütern, die zu neuer Empörung neigten, den Vorwand und die Kühnheit zu nehmen und die Gewalt in den Händen, welche sie auszuüben hatten, sicherzustellen. Man sann auch darauf, hin und wieder einem Aufruhrstifter zu Leibe zu gehen, und diese Rolle wurde vorzüglich dem Hauptmann der Gerechtigkeit zuerkannt. Seine Spürhunde waren vom ersten Augenblick des Tumultes an auf den Beinen gewesen, und jener Ambrogio Fusella, wie er sich nannte, war, nach dem Zeugnis des Wirtes, ein verkappter Häscherhauptmann, herumgeschickt, um eben diesen oder jenen auf der Tat zu ertappen, damit man ihn hernach wiedererkennen, beim Flügel fassen und festsetzen konnte; in der Stille der Nacht oder am folgenden Tage wollte man diese Strafopfer überraschen. Nachdem dieser Fusella die ersten paar Worte von Renzos Predigt gehört, hatte er ihn auf der Stelle als einen Sündenbüßer aufgezeichnet; er schien ihm ein willkommener Verbrecher und der Fall geeignet. Wie wir gesehen haben, konnte er die sichere Kunde über seinen Namen und sein Vaterland nebst hundert andern schönen Vermutungen nach Hause bringen; als daher der Gastwirt ankam, um zu melden, was er von Renzo wußte, wußten sie hier schon mehr als er. Er trat in das gewöhnliche Zimmer und machte seine Anzeige, wie ein Fremder bei ihm eingekehrt sei, der durchaus nicht mit seinem Namen habe herauswollen.

»Habt Eure Schuldigkeit getan, uns davon Nachricht zu geben,« sagte ein Kriminalnotar, indem er die Feder niederlegte, »wir wußten aber schon davon.«

Ein schöner Wirrwarr, dachte der Wirt, hier will's große Pfiffigkeit.

»Und den hochverehrten Namen wissen wir auch,« fuhr der Notar fort.

Teufel! brach der Gastwirt bei sich selbst los, den Namen! Wie müssen sie das angestellt haben?

»Ihr aber,« nahm der andre mit ernster Miene das Wort, »Ihr sprecht nicht ganz aufrichtig mit uns.«

»Was hätt ich denn mehr zu sagen?«

»Ah, wir wissen ganz wohl, daß der Mensch in Euer Gasthaus eine Menge von gestohlenem Brot mitgeführt hat, bei der Plünderung mittels Diebstahls und Aufruhrs an sich gebracht.«

»Tritt einer mit 'nem Brot im Sack herein,« antwortete der Wirt, »so kann ich's doch nicht raten, wo er's hergekriegt hat! Denn wenn's auch auf Tod und Leben dabei ankäme, kann ich dennoch sagen, ich hab nur ein einziges Brot in seiner Hand gesehen.«

»Ihr könnt aber doch nicht leugnen,« äußerte der Notar, »daß Euer Gast da die Verwegenheit gehabt hat, gegen die Verordnungen beleidigende Reden zu führen und sich gegen das Wappen Seiner Exzellenz mit frevelhafter Ungebührlichkeit zu benehmen.«

»Um Verzeihung, gnädiger Herr, wie kann er nur mein Gast sein, wenn ich ihn zum erstenmal vor Augen sehe? 's ist der Teufel, mit Verlaub zu sagen, der ihn mir ins Haus geschickt hat, und wenn ich ihn kennte, so sehen Eure Gnaden wohl, hätt ich nicht nötig gehabt, ihn nach seinem Namen zu fragen.«

»Was macht Euer Gast jetzt?« fragte der Notar weiter. »Läßt er noch immer nicht ab, zu lärmen, die Leute aufzuwiegeln und Empörung anzuzetteln?«

»Der Fremde, meinen Eure Gnaden? Der ist schlafen gegangen.«

»Habt also viel Volk bei Euch? Genug, gebt acht, daß er sich nicht unversehens wegmacht.«

Soll ich den Häscher spielen? dachte der Wirt; indessen antwortete er darauf weder mit Ja noch mit Nein.

»Genug. Eure Anzeige wollen wir einstweilen beiseitelegen; wenn hernach die Sache zur Sprache kommt, so werdet Ihr in den Stücken, um welche man Euch etwa befragen wird, der Gerechtigkeit umständlichere Auskunft geben.«

»Was weitere Auskunft hab ich zu geben?« fragte der Wirt. »Ich weiß nichts, hab kaum den Kopf, nach meinen eigenen Angelegenheiten zu sehen.«

»Gebt nur acht, ihn nicht weggehen zu lassen.«

»Der erlauchte Herr Hauptmann werden sich, hoff' ich, erinnern, daß ich auf der Stelle mich hier eingefunden habe, um meine Schuldigkeit zu tun. Ich küsse Eurer Gnaden die Hände.« –

Mit dem Anbruch des Tages schlief Renzo schon seit sieben Stunden und hatte die Augen noch immer dicht geschlossen, als man ihn zweimal gewaltsam bei den Armen schüttelte und eine Stimme, die von der Fußseite des Bettes her »Lorenzo Tramaglino!« rief, ihn gleichsam ins Leben zurück erweckte. Er ermunterte sich, bewegte die Arme und öffnete mit Mühe die Augen. Da erblickte er gerade vor sich einen schwarzgekleideten Mann und zu beiden Seiten des Kopfkissens einen Bewaffneten. Die Überraschung, die Schlaftrunkenheit, die Schwere des Kopfes nach dem Rausch traten zusammen, und so lag er mehrere Sekunden wie bezaubert da; er glaubte zu träumen, und da ihm der Traum nicht gefiel, so rüttelte er sich gleichsam, um sich zu wecken.

»Habt Ihr endlich einmal verstanden, Lorenzo Tramaglino? « fragte der Mann im schwarzen Mantel, derselbe Notar vom vorigen Abend. »Auf, geschwind, steht auf und kommt mit uns!«

»Lorenzo Tramaglino?« sagte Renzo. »Was soll das heißen? Was wollt Ihr von mir? Wer hat Euch meinen Namen gesagt?«

»Kein Geschwätz und aufgestanden!« sagte einer der Häscher, die ihm zur Seite standen, und faßte ihn von neuem beim Arm.

»Ha, was ist das für'n Gewaltstreich?« schrie Renzo und zog den Arm zurück. »He, Wirt!«

»Wollen wir ihn im Hemde wegschaffen?« fragte einer der Häscher, sich zum Notar wendend.

»Habt Ihr verstanden?« fragte dieser den Jüngling. »Das geschieht mit Euch, wofern Ihr nicht augenblicklich aufsteht, um mit uns zu kommen.«

»Und warum denn das?« fragte Renzo.

»Warum? Das sollt Ihr beim Herrn Hauptmann der Gerechtigkeit zu hören bekommen,« erwiderte jener.

»Ich? Ich bin ein ehrlicher Mensch, hab nichts getan und muß mich wundern ...«

»Desto besser, desto besser für Euch; so kommt Ihr nach ein paar Worten davon und könnt Euren Geschäften nachgehen.»

»Lassen Sie mich aber jetzt in Frieden,« sagte Renzo, »ich hab mit der Gerechtigkeit nichts zu schaffen.«

»Rasch, dem Ding ein Ende gemacht!« sagte einer der Häscher.

»Tut Eure Schuldigkeit,« gebot der Notar den Häschern, und diese legten sogleich Hand an, um Renzo aus dem Bett zu nehmen.

»Eh, geht einem rechtschaffenen Menschen nicht zu Leibe! Ich versteh selbst, mich anzuziehen.«

»Also zieht Euch an und steht gleich auf!« befahl der Notar.

»Ich bin dabei,« antwortete Renzo. Somit griff er nach den Kleidern, die hier und dort auf dem Bette, wie die Trümmer eines gescheiterten Schiffes am Strande, umherlagen. Während er sie anzulegen begann, fuhr er im Reden fort: »Zum Hauptmann der Gerechtigkeit will ich aber nicht gehen. Ich hab nichts mit ihm zu tun. Da mir aber doch ungerechterweise so ein Schimpf einmal angetan wird, so will ich zu Ferrer gebracht werden. Den kenn ich, ich weiß, daß er ein redlicher Mann ist, und er hat mir manches zu verdanken.« »Ja, ja, junger Mensch, Ihr sollt zu Ferrer geführt werden,« entgegnete der Notar. Unter andern Umständen würde er über eine solche Forderung von Herzen gelacht haben; es war aber zum Lachen keine Zeit. Schon als er gekommen war, hatte er in den Straßen verschiedene Bewegungen bemerkt und nicht recht unterscheiden können, ob sie die Überbleibsel der gestrigen, nicht vollständig unterdrückten Empörung waren, oder ob eine neue sich damit anließ; Bürger strömten hervor, man gesellte sich zusammen, lief in Eile hin und her oder stand in kleinen Haufen nebeneinander. Auf dem Zimmer horchte er, ohne sich's merken zu lassen, nach der Straße hin und glaubte das Gewühl lauter werden zu hören. Es war ihm also darum zu tun, bald fertig zu werden; indessen wollte er den Sträfling gern auf friedlichem Wege fortschaffen; denn mußte man gewalttätig mit ihm zu Werke gehen, so konnte man nicht wissen, ob man auf der Straße nicht mit dreien statt mit einem zu schaffen haben würde. Mit einem Blick bedeutete er also den Häschern, sie müßten Geduld haben und den jungen Menschen nicht aufbringen; er für sein Teil gab sich Mühe, ihn mit guten Worten zu besänftigen. Renzo dagegen faßte, während er sich ankleidete, die verworrenen Erinnerungen vom vorigen Tage ziemlich wieder auf und erklärte sich ungefähr, daß die Verordnungen und die Geschichte mit seinem Namen die Ursache des ganzen unangenehmen Abenteuers sein müßten; aber woher in aller Welt wußte der Schwarzmantel seinen Namen? Dann ward er gleichfalls den steigenden Lärm auf der Straße gewahr. Er sah dem Notar ins Gesicht und bemerkte gar bald das unsichere Schwanken, welches zu verbergen der Mann sich vergebens bemühte. Der Lärm draußen wurde so laut, daß der Notar sich bewogen fühlte, das Vorsatzfenster wegzunehmen und einen Blick hinauszuwerfen. Da sah er einen Haufen von Bürgern, welche auf den Befehl, sich zu zerstreuen, der Soldatenrunde anfangs mit bösen Ausdrücken geantwortet hatten und endlich murrend auseinandergingen; daß aber die Soldaten mit sehr gesitteter Höflichkeit vorwärtszogen, das dünkte den Notar ein tödliches Zeichen. Er setzte das Fenster wieder hin und stand einen Augenblick zweifelhaft da, ob er sein Geschäft im Zimmer rasch ausführen oder den jungen Menschen in den Händen der beiden Häscher lassen sollte, um selbst zum Hauptmann der Gerechtigkeit zu laufen und dort von dem Ereignis Bericht abzustatten. – Aber, fiel ihm bald ein, er wird mir vorhalten, ich sei ein unnützer Hase, ein Schuft; ich hätte dem Befehl Genüge leisten müssen. Wir stecken einmal im Tanz, und so müssen wir springen. Hol der Satan das Handwerk!

Renzo war auf den Beinen, neben ihm standen die beiden Trabanten. Der Notar gab ihnen einen Wink, sie möchten nicht zu hart mit ihm umgehen, und sagte dann: »Benehmt Euch ordentlich, junger Mann; kommt!«

Darauf winkte der Notar einem der Häscher, welcher zur Treppe hinab vorangehen sollte; hinter ihm her führte er den Gefangenen, dann kam der andre Freund, und endlich setzte er selbst sich in Bewegung. Als sie in der Küche unten waren, sagte Renzo: »Und wo hat sich denn der verwetterte Schenkwirt verkrochen?« Indessen winkte der Notar den Häschern zum zweitenmal; diese faßten darauf den Jüngling jeder bei einer Hand und banden ihn eiligst mit gewissen Werkzeugen, welche eine heuchlerische Redekunst, um sich glimpflich auszudrücken, Handkrausen zu nennen pflegt.

Renzo wehrte sich dagegen und rief: »Was ist das für 'ne Verräterei? Einem rechtlichen Menschen ...!« Der Notar aber, der für jeden traurigen Umstand seine guten Worte bei sich führte, sagte: »Habt Geduld, sie tun ihre Schuldigkeit. Was wollt Ihr? 's sind alles Formalitäten; wir können auch die Leute nicht immer so behandeln, wie's uns unser Herz sagt. Wo wir nicht tun wollten, wie uns befohlen wird, tät's uns übel ergehen, übler als Euch. Habt Geduld!«

Während er sprach, drehten die beiden Helfershelfer die Handkrausen einmal herum. Renzo gab sich zufrieden, wie ein störrisches Pferd, welches die Lippen ins Gebiß eingeklemmt fühlt, und schrie: »Geduld!«

»Wackerer junger Mann!« sagte der Notar, »das ist die rechte Manier, um gut davonzukommen. Was wollt Ihr? 's ist 'ne Plackerei? Das seh ich auch. Aber benehmt Ihr Euch gut dabei, so seid Ihr's in 'nem Augenblick los. Und da ich sehe, daß Ihr gut aufgelegt seid, so hab ich auch Lust, Euch Beistand zu leisten, und will Euch einen Rat, zu Eurem eigenen Besten, an die Hand geben. Glaubt mir, ich weiß in solchen Dingen Bescheid; geht geraden Schrittes fort, ohne umherzusehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen; so sieht keiner nach Euch hin, keiner merkt, was vorgeht, und Eure Ehre nimmt keinen Schaden. Binnen einer Stunde seid Ihr in Freiheit; 's gibt so viel zu tun, daß sie von selbst sich fördern, Euch loszuwerden, und dann werd ich reden. Der Gang geschieht in Eurer eigenen Angelegenheit, und keiner soll's erfahren, daß Ihr in den Händen der Gerechtigkeit gewesen seid.«

Dessenungeachtet glaubte Renzo von all den schönen Worten nicht ein einziges; weder daß der Notar es besser als die Häscher mit ihm meinte, noch daß er sich seiner Ehre so eifrig annahm oder die Absicht, ihm Beistand zu leisten, wirklich hatte; nicht das geringste. Er begriff ganz wohl, wie der gute Mann aus Furcht, es könnte sich unterwegs eine passende Gelegenheit zu seinem Entwischen einstellen, mit den schönen Beweggründen hervorgerückt war, um ihn von der Wahrnehmung und Benutzung seines Vorteils abzulenken. So bestimmten die sämtlichen Ermahnungen unsren Jüngling nur um so nachdrücklicher, nicht darauf zu hören und, was er sich schon halb und halb vorgenommen hatte, gerade das Gegenteil zu tun.

Sie waren demnach kaum auf der Straße, so fing Renzo an, die Augen nach allen Seiten umherzuwerfen; er drehte und sperrte sich, streckte den Kopf vorwärts und spitzte die Ohren. Es fand indes kein besonderes Zusammenlaufen statt; auf manchem Gesicht ließ sich wohl ein leichter Anflug von empörungssüchtigem Bestreben lesen; doch ging jeder geradeswegs seine Straße, und einen eigentlichen Aufruhr gab's nicht.

»Hübsch klug, hübsch klug!« murmelte der Notar hinten. »Eure Ehre, die Ehre, mein Sohn!« – Als aber Renzo, auf drei Leute hinhorchend, die mit glutroten Gesichtern daherkamen, von einer Bäckerei, von verstecktem Mehl und Gerechtigkeit reden hörte, fing er an, mit dem Gesicht ihnen Zeichen zuzuwinken, und hustete ganz anders, als man nach einer Erkältung pflegt. Die Bürger sahen aufmerksamer auf das Geleite hin und blieben stehen; mit ihnen standen andre still, welche dazukamen; noch andre, die schon vorübergegangen, wandten sich nach dem Gezischel um, kehrten zurück und folgten dem Zuge auf den Fuß.

»Habt acht auf euch!« flüsterte der Notar. »Vernünftig, junger Mann! Es macht sich immer schlimmer für Euch, seht Ihr; verderbt Eure Sache nicht selbst; Eure Ehre, Euer guter Ruf!« – Die Häscher hielten durch Augenwinke miteinander Rat; sie glaubten – wir Menschen sind alle einem Fehltritt ausgesetzt – glaubten, die Sache recht gut zu machen, und zogen die Handkrause an.

»Au! au!« schrie der Gepeinigte. Auf das Geschrei sammelte sich das Volk dichter umher, von allen Seiten der Straße lief es zusammen, das Geleite sah sich gehemmt.

»'s ist ein liederlicher Mensch,« flüsterte der Notar den Nächsten um ihn zu, »ein Räuber, der auf frischer Tat ertappt worden ist. Zurück, bitt' ich, Platz für die Gerechtigkeit!«

Renzo aber ward die günstigen Umstände gewahr, sah die Häscher blaß werden, sah sie wenigstens außer Fassung und dachte: Wenn ich mir jetzt nicht helfe, ist's mein Schaden. Er erhob also auf der Stelle die Stimme: »Kinder, sie schleppen mich fort, weil ich gestern Brot und Gerechtigkeit gerufen habe. Ich hab nichts verbrochen, bin ein ehrlicher Mensch; steht mir bei, verlaßt mich nicht, Kinder!«

Ein beifälliges Gemurmel, dann ein deutlicheres Geschrei zu seinen Gunsten war die Antwort. Die Häscher befehlen anfangs, dann raten sie, endlich bitten sie die Nächsten, wegzugehen und sie durchzulassen; die Menge aber dringt statt dessen immer enger auf sie ein. Jene sehen die schlimmen Anstalten, lassen die Handkrausen fahren und haben nichts Besseres zu tun, als, unter dem Haufen sich verlierend, unbemerkt davonzuschleichen. Der Notar wünschte sehnlich dasselbe; mit dem schwarzen Mantel aber kam sich's so leicht nicht weg. Der arme Mann, mit bleichem Gesicht und zerknirschtem Herzen, suchte geduckt zusammenzuschrumpfen und schleifte sich gewunden seitwärts, um aus dem Gedränge hinauszuschlüpfen; er konnte aber die Augen nicht emporrichten, ohne sich zwanzig auf dem Halse zu sehen. Er gab also sich alle mögliche Mühe, für einen Ausländer genommen zu werden, welcher, zufällig dort vorübergehend, mit einemmal, wie ein Strohhalm im Eise, in dem Gedränge sich eingeklemmt sah; so kam er Gesicht gegen Gesicht einem Menschen gegenüberzustehen, der ihn mit böserer Miene als die übrigen scharf ansah; er suchte daher im Gesicht ein Lächeln aufzutreiben und fragte mit einer eigentümlich tölpelhaften Miene, was denn das für ein Tumult sei?

»Du verwünschter Rabe!« antwortete dieser.

»Verwünschter Rabe!« scholl es umher. »Verwünschter Rabe!«

Mit dem Geschrei verdoppelten sich die Stöße; währenddessen gelang ihm teils mittels der eigenen Beine, teils mittels fremder Ellenbogen, was ihm für den Augenblick am meisten am Herzen lag, aus dem Gedränge herauszukommen.


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