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Zwölftes Kapitel

Zur Probe kam heute niemand, nicht einmal Emmy. Was war ihr geschehen? Auch von dem unwandelbar treuen Kessel hätte Gabriele nicht erwartet, daß er fortblieb.

Der Dichter hatte sich wenigstens entschuldigt, er sei noch ermüdet von gestern. Zuweilen gebe es in seiner Laufbahn gewisse Aufgaben, die ihn noch tiefer anstrengten als andere. Rätselhafterweise gehöre zu ihnen diese gegenwärtige. So sein Brief.

Gabriele las in ihrer Rolle und fragte sich, was Heines sagen wollte. Vorausgesetzt, daß er bei seinem kaiserlichen Paar von Anfang an nur an sie selbst und Pidohn gedacht hatte, war es vielleicht anstrengend, sie beide in diesen Rollen zu vereinigen, aber sicher hatte er auch seine Freude dabei. Sie glaubte nicht ohne weiteres, wie die anderen, an seine unbefleckte Weihe. Vielleicht ahnte er nicht, was er tat, aber er tat es.

Sie lag im Schlafzimmer auf dem Sofa, ihr hingestreckter Arm folgte der geschweiften Lehne. Im Schlafzimmer war es kühl, das Licht aus dem Garten dämmerte grünlich. Die Luft strich von beiden Seiten hindurch, bei der Stille und Verlassenheit ließ sich vieles bedenken. Gabriele bedachte immer alles in Gesprächen mit denen, die zugegen waren – und auch mit den anderen.

In ihren Gedanken wendete sie sich an Leutnant von Kessel:

›Sie wagen mir nicht mehr allein unter die Augen zu treten seit Ihrem dummen Kuß.‹

Jetzt wußte Gabriele wieder von dem Kuß, der schon vergessen gewesen war.

›Sie tun auch recht daran, fortzubleiben. Aber ist es nicht doch schade? Schade um alle die hübsche Romantik, die wir versäumt haben. Was sagen Sie? Doch, doch, sie ist schon versäumt. Da hilft es nichts, daß Sie untröstlich meinen Fuß bewundern.‹

Sie zog den Fuß unter das Kleid.

›Denn jetzt, lieber Fritz, gehe ich mit Herrn Pidohn auf Abenteuer – große, schreckliche, wunderbare Abenteuer. Sie aber heiraten eine gute Frau.‹

Sie schluchzte einmal auf.

›Verzweifeln Sie an uns nicht! Es gibt Frauen, die einzig für Sie leben werden. Nur ich habe meine eigene Welt. Wie komme ich zu Pidohn?‹

Sie zog die Brauen zusammen, aber es nützte nichts.

›Ich weiß es nicht‹, gestand sie. ›Er ist im Grunde mein Feind, wie am ersten Tag. Wenn ich ihn los sein könnte ... Ach! Sie wollten wirklich? Ihn herausfordern? Tun Sie's! Dazu sind Sie wie geschaffen. Sie sind mein Bravo. Fordern Sie ihn! Wir werden sehn, wie es kommt ... Nein, lassen Sie es. Ich bin nicht blutgierig, und dann wäre es ganz umsonst. Sie werden ihn nicht treffen, denn er ist nicht umzubringen. Das weiß niemand besser als ich‹, schloß sie traurig.

Eine Weile hörte sie nur den jungen Leutnant murmeln – ihren Namen und seine Anbetung. Es tat so wohl, daß sie die Augen schloß.

›Nein, nein‹, dachte sie schwach. ›Das war in anderen Zeiten gut. Es ist nicht ernst gemeint.

Gestehen Sie doch‹, sagte sie zu Leutnant von Kessel, ›daß es Ihnen nicht mehr ernst damit ist. Sie hätten vielleicht mein Freund werden können – ohne den dummen Kuß. Dann hätten Sie mich geschützt anstatt meines Mannes, der mich nicht mehr schützt. Er will von mir nichts wissen. Er hält es mit Pidohn.‹

Zornig schob sie ihr Tüchlein zwischen die Zähne und biß hinein.

›Und Sie, Fritz? Ich fürchte, daß Sie es mit Emmy halten. Lieben Sie denn Emmy? Hüten Sie sich! Sie wollen sich vor mir nur retten! Freilich ist sie eine gute Partie. Sie sind auch praktisch. Es bleibt doch schade um unsere hübsche Romantik.‹

Ihr Besucher schien aufzustehn und Abschied zu nehmen. ›Gut. Lassen auch Sie mich allein. Wen habe ich noch?‹

 

Hier hörte sie hüsteln. Sie sah auf. Vor ihr stand Pidohn.

»Ich bin es wirklich«, sagte er, den Kopf im Nacken, hochgemut und gnädig.

»Wie kommen Sie herein?« stammelte sie.

Ihre erste Regung war gewesen: vom Sofa auf! Dann blieb sie aber liegen, er sollte nicht sehn, daß sie sich fürchtete.

»Wie ich hereinkomme?« wiederholte er. »Bei lauter offenen Türen! Sie schliefen und hörten nichts, Frau Konsul. Vielleicht hörten Sie mich auch, wer kann das bei Ihnen wissen. Hier ist sogar zuviel Luftzug, wenn man schnell gegangen ist.«

»Schließen Sie die Tür!«

Aber sie lag im Schlafzimmer, bei geschlossener Hintertür konnten die Mädchen nicht mehr hören, was hier geschah.

»Die vordere«, rief sie.

Nun kam vielleicht Jürgen von vorn und fand sie eingeschlossen mit Pidohn.

»Wozu überhaupt«, sagte sie unzufrieden. »Ich brauche Luft. Sie nicht? Sie sind dick geworden, Pidohn!«

»Ich finde, daß es mir steht«, sagte er und besah sich von Kopf bis Fuß im Pfeilerspiegel.

»Ich trage einen hellen Anzug, zum erstenmal seit –«

Er brach ab. Sie vermutete sofort: seit seiner Entlassung, jener Entlassung.

»Bleiben aber, als ob Sie in Schwarz gingen«, warf sie hin und drehte sich, die Füße fester angezogen, der Lehne des Sofas zu.

»Ein schöner Empfang! Ich mache mich frei für die Probe, ich verlasse mich auf die Pünktlichkeit der anderen, die samt und sonders weniger zu tun haben als ich.«

»Damit haben Sie recht. Die Geschäftsleute hätte ich noch zuerst entschuldigt.«

»Was fangen wir an?« fragte er erhaben.

Sie wies auf den Boden. Das Rollenheft war hingefallen. Er bückte sich denn auch. Er sagte sogar »danke« und zeigte, ein Bein nach hinten ausgestreckt, seine körperliche Gewandtheit.

»Wir probieren zusammen«, bestimmte sie, stand auch schon glücklich auf den Füßen. Sogleich verriet sie eine Art Ironie.

»Jetzt geraten Sie, bitte, in Verfall. Sie müssen endlich Ihrem Napoleon näherkommen.«

»Ich kann nicht verfallen, Madame. In Ihrer Gegenwart werde ich im Gegenteil jung und unternehmend.«

»Das sind Erinnerungen«, sagte sie herrisch. »Sie dürfen nicht hoffen, sie wieder zu beleben. Jeder zehrt an sich, und Sie haben sich aufgezehrt. Für Ihre Person wird in dieser Welt nichts mehr verändert werden. Kein Hund wird sich auf seinem Platz umdrehen«, rief sie aufstampfend.

»Warum sprechen Sie zu mir so hart?«

»Weil Sie besiegt sind. Unrecht haben von jeher die Besiegten. Nichts stößt mich ab, wie ein Geopferter.«

»Die Börse war ausgezeichnet!« rief Pidohn.

»Sie sind bei Sedan geschlagen worden«, sagte sie.

»Ach! Napoleon – Sie meinen Napoleon.«

»Wen meinen Sie? Lernen Sie doch endlich Ihre Rolle! In unserem ersten Auftritt halte ich Ihnen Ihre wirkliche Lage vor, damit Sie tun, was ich will.«

»Ich weiß. Daraus wird nichts.«

»Dann spreche ich aber mit Kaiser Wilhelm und mit seinem Adjutanten. Konsul West spielt den Adjutanten.«

»Hat er etwas gegen uns?«

»Die beiden wollen nicht, daß wir als die Herren nach Paris zurückkehren. Ich soll nicht machen können aus Ihnen, was ich will. Genug, man bringt mich dahin, daß ich mich dem Unglück ergebe und Sie liebe, wie Sie sind.«

»Wie bin ich? Nicht schön?«

»Wahrhaftig nicht. Legen Sie sich auf das Sofa!«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie sind schwer krank. Sie halten es nicht mehr aus, zu stehn. Ächzen Sie doch!«

Er ächzte, schloß die Augen und zuckte mit dem hingewälzten Körper – war aber geschmackvoll genug, die Beine nicht auf das Polster zu ziehn.

Sie beugte sich in gemessener Entfernung über ihn.

»Erkennen Sie mich? Ich bin bei Ihnen wie einst während der gefährlichen Anfänge Ihrer Macht. Sie stürzen nicht ohne mich. Nur in meiner Begleitung werden Sie wieder zum Abenteurer und Verbannten. Sie sind krank? Ich trage es mit Ihnen. Arm? Selbst das. Wir haben Verbrechen begangen, wir waren edel und groß, uns haben die Gipfel des Glückes gegrüßt. Jetzt in das Elend mit dir und in den Sturm von Suturp! Untergehn! Mit dir untergehn!«

»In welchen Sturm? Wie war das?«

Sie erschrak. Sie wollte nachsehn, ob das Wort tatsächlich in der Rolle stand. Er umfaßte aber ihr Handgelenk, Widerstand war umsonst, er zog sie neben sich.

»Kindchen«, sagte er. »Sie haben den Kopf voll Romantik.«

Er streichelte ihre Hand, eingeschüchtert hörte sie zu.

»Was stellen Sie sich eigentlich vor, wenn ein Herr wie der Kaiser Napoleon ins Unglück kommt? Hat er darum weniger zu essen? Oder nicht mehr das persönliche Prestige, auf das die Leute ihm Geld geben? Die Hauptsache bleibt das persönliche Prestige, und das behalten wir. Verlassen Sie sich darauf!« Wobei er freilich stöhnte.

Er beugte sich vor, etwas seitwärts, ihren Knien entgegen.

»Man muß nur manchmal nach Chislehurst. Oh, ich kenne England.«

Sie wußte seit jener Spazierfahrt, was er von England kannte.

Er sagte, auch dies zuerst noch breit, dann mit abnehmender Deutlichkeit:

»Es darf aber niemals die Endstation sein. Heiter! Immer weiter!«

Auf ihre Knie fiel plötzlich sein Kopf, ein überaus schwerer Kopf. Sie empfing ihn mit einem erschreckten Aufseufzen, wäre auch emporgeschnellt, nur der schwere Kopf verhinderte es.

 

Pause, – und da er sich nicht regte, überkam sie große Neugier, ihn zu berühren, seine braune Haut, das Negerhaar. Du armes Ungeheuer, von der Stadt abergläubisch verehrt und bereichert, da liegst du endlich, hast den weiten Weg hinter dir, die Millionen, das Zuchthaus und noch mal Millionen. Grade der eilige Geschäftsmann kommt zur Probe, ruht hier seinen Kopf aus. Die Haare glänzen.

Ihre Fingerspitzen tasteten. ›Nicht hart, wie ich dachte. Die Kopfhaut zwischen den Löckchen ist sogar weiß.‹

Die Fingerspitze drang flüchtig dort ein. Schnell prüfte sie auch die Wange, – bevor das Untier etwa zuschnappte. Verwitterte Wange, fremd und rührend fühlst du dich an. Armer Backenbart, jetzt sah sie ihn angewachsen, Haar für Haar, künftig konnte sie einstehn für seine Echtheit.

Auf einmal begriff sie, daß der große Mann an sie fortwährend gedacht haben mußte, als an die Zuflucht. Inzwischen tat er stolz und unabhängig, handhabte Menschen wie dafür geschaffen, wußte im Grunde aber jeden Augenblick, wer ihm zuletzt einzig bleiben werde. Schon seit Suturp fürchtete er dieses Ende – so sehr, wie er es herbeisehnte. Denn er liebte sie, in diesem Augenblick war sie davon überzeugt.

Daß er sich noch immer nicht regte! Sie streckte den Hals vor, so sah sie die Gruppe im Spiegel. Es konnte Dalila mit Simson sein. Dann hätten die Philister hinter dem Vorhang gewartet. Das Sofa stand an dem Vorhang, der Schlaf- und Wohnzimmer trennte, jetzt aber halb fortgezogen war. Nur das Sofa ward von ihm verdeckt.

Sie wollte in die Falten fassen, der Kopf auf ihren Knien aber erschwerte jede Bewegung.

»Gehn wir doch weiter!« schlug sie vor. »Napoleon in seiner Schwäche zeigen Sie richtig.«

»Nicht wahr? Das ist mir gelungen.«

Er richtete sich auf.

Schnell gefaßt, wollte er alles, was sein Anfall von Schwäche verraten hatte, wieder zurücknehmen. Da erblickte sie aber mit eigenen Augen das Zeugnis der Wahrheit. Dies hätte er nicht leugnen können, nicht diesen nassen Fleck aus Schweiß und Tränen, wo noch soeben sein Gesicht lag – auf ihrem Knie.

Hier hatte sie zugleich den Zusammenbruch und das Bekenntnis. Er lachte breit, um nichts zuzugeben; zuletzt klappte aber seine Stimme nur noch nach, wie von ihm selbst vergessen.

»Geben Sie sich keine Mühe mehr«, sagte sie wohlmeinend, ja, aufmunternd, denn ihm ging es so schlecht. Ausdrücklich achtete sie darauf, ihn nicht durch Ironie in Verlegenheit zu setzen.

Auch er selbst hatte nur das Bestreben, sich schnell wieder ernst zu nehmen. Daher ward er galant. Er rückte sich zurecht auf dem Sofa, küßte ihr die Hand und behauptete:

»Ich sollte mir keine Mühe mehr geben – mit was? Aus mir zu machen, was ich sein will? Das müssen wir wohl alle bis zum letzten Wank, Madame. Wie könnten wir sonst mit schönen Damen plaudern. Als wenn nicht auch die schönen Damen selbst –. Nur Sie allein sind in all und jedem echt, Madame.«

Seine Lippen krochen, warm und tierisch anzufühlen, langsam ihr Handgelenk hinan, wobei sie auch noch sprachen.

»Sollte es eine Schande sein, wenn ich von den Illusionen anderer Menschen lebe, da doch selbst die schönen Damen in alle Ewigkeit nur davon leben? Eines Tages verliert jeder die Illusion. Nur ich bei Ihnen nie«, sprach er, mit einem Arm auf den Sitz gestützt, zu ihr hinauf.

»Nur ich bei Ihnen nicht.«

Dies Wort klang verlangend, schmerzlich und sogar drohend – nur dies Wort, aber wog es nicht alles auf, was an gemeinen Worten vorausging? Ihre ganze Natur erbebte von unsicherem Gefühl für den wechselvollen Mann, der bald ihr Mitleid, bald ihr Entsetzen herausforderte. Jetzt machte er sich unmöglich, jetzt brachte er fertig, daß sie mit ihm empfand. ›Ich schweige‹, dachte sie. ›Ich weiß nie, was aus ihm wird, wenn ich spreche.‹

Aber schwieg sie auch, webte hier doch grünliche Dämmerung, und von den Lichtstrahlen, die der Garten einließ, sprühte da und dort aus Metall oder Glas ein einzelnes Feuer auf. Sagte sie auch kein Wort, handelte doch statt ihrer die Stille. Es handelten die bevorstehenden Veränderungen, ihre eigene Verlassenheit, seine im Schatten des Unglücks unausweichliche Gestalt. Alles dies handelte, solange sie schwieg. Es mußte verstummen, wenn ein Wort fiel.

Sie fühlte: ›kein Wort!‹ und genoß angstvoll den Aufschub, im Grunde schon versichert, wenn sie abrechneten und zum Ergebnis kämen, werde es Trennung sein.

Gleich darauf ward dann auch der Mann gewahr, wo er sich befand, in einem Schlafzimmer mit absichtsvoller Beleuchtung, und die Frau war entblößt. Ihr Kleid lag bis unter die Brust verschoben, er selbst hatte es vom Arm entfernt, dies Licht aber machte aus ihrer Haut das Fell der Venus selbst. Pidohn erinnerte sich seit seiner frühen Vergangenheit eines Ortes, wo die Damen in ähnlicher Form angeboten worden waren. Er hatte es nie vergessen und bis jetzt nicht wiedergefunden.

Er versuchte, den lockenden Körper an sich zu ziehn. Da sie sich wehrte und erbittert fortstrebte, erreichten seine Anstrengungen nur, daß der gebauschte, faltenreiche Überwurf ihres Kleides sein Gesicht in sich verfing. Er sah nichts mehr, erstickte und ließ sie endlich selbst los, stieß sie sogar ungesittet von sich.

»Flegel!« sagte sie.

»Kommen Sie gefälligst nicht mit Kleidern, in denen man erstickt! Wir waren verabredet«, behauptete er ungesittet.

»Wozu?« fragte sie hochmütig.

»Theater zu spielen natürlich. Unterzugehn in Suturp. Reine Romantik, gute Frau!«

Er verfolgte sie durch das Zimmer. Sie konnte es nicht verlassen, wie sie war, mit den Spuren dieses Vorgangs. Er wußte es. Als er sie erreicht hatte, wagte er die erste vollkommen entschlossene Bewegung. Sie tat, als gäbe sie ihm nach, flüsterte aber in sein Ohr.

»Achtung, der Vorhang! Er bewegt sich, man sieht uns zu!«

Da er fluchte, aber sie nicht losließ, erfand sie gleich das Gefährlichste.

»Es ist mein Mann. In der nächsten halben Stunde sind Sie ruiniert.«

Dies wirkte. Sein Druck ward schwächer, sie konnte sich befreien.

»Weiter!« befahl sie. »Wir probieren die letzte Szene.«

Sie selbst begann schon, gleichzeitig bedeckte sie sich mit einem Umhang.

Sie sagte, daß sie ihn für so krank nicht gehalten habe. Sie sagte es dringlich, um ihn von seinen unternehmenden Gedanken abzubringen.

»Sie sind mir solange noch nie als das Opfer der Ereignisse erschienen. Ich traute Ihnen noch immer einige Macht über sie zu, besonders, wenn ich selbst Ihnen die Hand führte.«

Da Pidohn gekränkt verneinte, bat sie:

»Lassen Sie uns heute offener sprechen, als wir gewohnt sind. Wir haben einander zu oft getäuscht, daher vielleicht all unser Unglück.«

»Ich will es von Ihnen nicht hoffen«, sagte er, nach wie vor unsicher im Text. Eine gewisse schicksalhafte Schläfrigkeit der Rolle half ihm seine Fehler zu verdecken.

Sie erinnerte ihn ernst:

»Wir haben unseren Sohn. Er allein würde es lohnen, daß wir zusammenhalten bis ans Ende.«

»Für dich ist das Ende fern«, sagte er plötzlich mit echtem Vorwurf und einem Blick aus der Tiefe.

»Nur du«, betonte er, »wirst bei unserem Sohn sein, damit er der Fürst werde, der ich hätte sein wollen.«

»Sie waren der Schiedsrichter der Welt«, mahnte sie höflich. »Liegt es an uns oder nur an dieser milderen Stunde, daß wir alles einst Besessene jetzt fast schon entbehren können?«

Er stöhnte, schwankte, und man glaubte, ihn fahl werden zu sehn.

»Wenn du es sagst! Du, mein Ehrgeiz selbst, das eigene, schönere Bild meines Ehrgeizes!«

Sie sah: ein herrlicher Napoleon! Aber sie wußte kaum noch, was sie sah, sie erlebte es zu sehr. Auch seine Roheit vorhin ging in das Erleben der Rolle mit über.

»Spiegelte ich deinen Ehrgeiz wider«, rief sie, »so vergiß nicht, daß du in allem, allem aus mir dasselbe machtest was ich aus dir. Nie haben zwei Wesen allein und ständig gefährdet wie wir, unter den Blicken der Welt, die ihren Sturz erwartete, einander Glück bringen müssen. Wer hätte es uns sonst gebracht? Es war doch unser Reich – nicht ihres, nur unseres.«

»Es ist wahr«, sagte er schleppend, »daß deine Augen mir Lebensfeuer ins Innere strahlten.«

Seine eigenen waren undurchsichtig. Sie aber öffnete die ihren blau und glanzvoll. Sie stand sicher vor ihm, blond, von höchster irdischer Schönheit, die Dauer verspricht. Gleichzeitig schwebte dennoch alles, was er von ihr sah, schwebte unter dem Himmel, wie das Licht, und mußte ihm daher wohl auch untergehn.

»Ich wurde sogar leichtsinnig«, erklärte sie, »weil es doch immer nur auf unser Glück ankam. Denke an die Attentate! Wir kamen mit dem Leben davon, weil wir –«

»Uns liebten«, schloß er, dumpf aufrauschend.

Sie hörte nicht die Verzweiflung des Wortes, sie wollte aus Güte so viel nicht hören. Sie begütigte.

»So ist es auch geblieben. Unsere Liebe, mein Herr und Mann! Wenn nicht sie noch immer – oh, etwas unbenutzt für täglich, aber wenn nicht unsere alte Liebe mit uns handelte, in einem so erstaunlichen Unglück wie diesem, hätten wir gewiß nicht mehr zueinander gefunden.«

Er dachte, daß sie ihn eigentlich doch nur hatte von hier entführen wollen, um die Regierung ihres Sohnes aufzurichten, indes er selbst noch lebte und zusehn sollte. Jetzt erwähnte sie ihre Liebe von einst, erinnerte sich ihrer sogar wirklich. Er war so traurig nie gewesen seit seiner Niederlage. Den Kopf gesenkt, rollte er eine Zigarette.

Er faßte zusammen.

»Wir herrschten. Wir täuschten einander, entgingen gemeinsam dem Tode. Hast du nicht auch krankhafte Züge bekommen, die mir zu gut bekannt sind?«

»Ja, doch. Ich sehe Gestalten, die nicht da sind.«

»Alte Gefährten, alte Feinde –«

»Dich selbst!« rief sie.

»Als ob ich schon tot wäre«, murmelte er. Seine grauen Augen zeigten endlich Bewegung, etwas wie eine tief verschleierte Drohung.

»Ich danke nicht ab«, behauptete er.

Sie sagte so weich wie kühn:

»Grade das! Tu grade das! Oh! Ich weiß noch, ich kam mit ganz anderen Plänen. Jetzt aber will ich einzig, daß wir den Frieden suchen, uns auslöschen, soviel wir können. Ich will dir die Hand halten –«

Er verstand: beim Sterben.

»Es ist jetzt schwerer geworden, als es war«, antwortete er, so wach wie bisher nie.

»Sie haben mir alles, seit Sie hier sind, viel schöner und viel schmerzlicher gemacht, Eugénie.«

»Geben Sie alles dahin in dem Augenblick, da es noch einmal schön und fast noch Wirklichkeit ist.«

»Nein.«

Dies kam mit harter Stimme, mit der Stimme eines fest entschlossenen Lebenden, der plötzlich die Geduld verliert. Keineswegs klang es mehr wie aus dem bewegten Traum, worin Napoleon und seine Gattin handelten. Sie sah ihn an und sah Pidohn. Er trug wieder ganz die Züge Pidohns, die sie eine Zeitlang vergessen hatte, – nur freilich den Bart Napoleons. Dies war merkwürdig, er sprach mit der gewohnten groben, fetten Stimme Pidohns, dazu aber der fremde graue Bart, an den er nicht zu denken schien.

»Das wäre noch besser! Ich soll fort, abdanken nennen Sie es. Ich soll der Sündenbock sein, während alle Leute Mitschuld haben. Abdanken, verschwinden, wie? Nach Suturp? Wie?«

Sie versuchte noch zu sagen: »Dem Unglück gewachsen sein durch Lauterkeit und Ernst.«

Aber er fuhr dazwischen.

»Nichts davon! Lauterkeit! Das hörte ich in meinem Leben immer, wenn man mich los sein wollte. Ernst! Dann lachten die anderen. Diesmal nicht, ich bleibe. Ich weiß von ihnen zu viel. Was faul ist, haben die ersten Herren mit mir zusammen gemacht, voran Herr Konsul West, Madame. Sie glauben wohl, die Obrigkeit wird nichts eiliger haben, als Herrn Konsul West mit mir einzusperren?«

Hier erschrak er. Er hatte an das Sofa gestoßen, der Vorhang schaukelte. Pidohn fiel es ein, wer dahinter hätte zuhören sollen. Sogleich verzerrte er wohl höhnisch das Gesicht, zog sich aber doch mehrere Schritte zurück.

»Das Unglück!« sagte er: Selbstgespräch, aber in Richtung des Vorhanges. »Ich kenne es. Mag jetzt einmal Konsul West es kennenlernen. Er wird sehn, daß es von Großartigkeit nichts hat. Zu ihm jedenfalls kommt es schlicht und hausbacken, er wird schon sehn. Großartig – dafür müßte man selbst erst Nummer eins sein. Ich, wenn ich wollte, könnte einen Sturz vollführen mit Geschmetter, in Glanz und Pracht.«

›Und alles sah nur so aus dank dem Bart?‹ dachte Gabriele. ›Im hellen Sommeranzug zwar, aber doch der Bart.‹ Zum Glück lenkte dies Rätsel sie ab.

Da machte Pidohn eine eitle Wendung nach dem Spiegel und erblickte sich. Er wußte nicht gleich, wer es war, und erschrak, wie zuerst vor dem schaukelnden Vorhang. Dann riß er den falschen Bart ab, seine beiden echten richteten sich befreit wieder auf. Pidohn lachte.

»Ich war es!« lachte er. »Ich Schelm! Immer nur ich, Madame. Sie dachten, ich würde mich mit Ihnen unter die Katarakte des Schicksals begeben, während ich endlich auf trockenem Boden gelandet war und bürgerlich dahinlebte! So soll es bleiben, ich bin hier eingewöhnt, so soll es immer bleiben. Wir sind mitnichten dumm genug, daß wir selbst bezahlen. Diesmal tun es andere.«

Sie wollte jetzt dennoch das Zimmer verlassen, er aber vertrat ihr nochmals den Weg; es geschah vorn, bei dem Vorhang.

»Auch Sie, Madame, bezahlen für mich. Werden sich noch freuen, wenn Sie weiter meinen Umgang genießen, geschäftlich und – anders.«

Er kniff ein Auge zu.

»Solch ein gewöhnlicher Schuft?« sagte sie.

»Ein guter Bürger vielmehr. Will das ehrbarste Leben führen in hiesiger Stadt. Hält sich weiter bestens empfohlen. Die Abenteurerin sind Sie! Nur Sie! Sie wollen uns beide in die bekannt nichtswürdige Welt jagen, von der ich grade genug hatte. Wen haben Sie hier versteckt?« schrie er plötzlich wütend.

Er packte den Vorhang, streckte den Kopf hinaus, war aber schneller, als man irgend erwartet hätte, wieder drinnen. Diesmal wich er sogar bis an das Ende des Zimmers.

»Ich gehe – hier hinten durch«, hauchte er versagend. »Durch den Garten, wenn Sie erlauben. Wir sind wohl grade fertig.«

»Noch mit keinem Menschen war ich dermaßen fertig«, sagte sie so schwer im Ton, wie sie irgend konnte.

»Was hatten Sie dann gedacht?« fragte Pidohn. Er kam nicht mehr näher, ging aber auch nicht.

»Bei Ihnen, Madame, war für mich niemals etwas zu machen. Meinen Sie, ich wußte das nicht? Sie lieben doch Ihren Mann.«

Er erhob die Stimme, man sollte ihn sogar durch Vorhänge hindurch genau verstehn.

»Ich habe mir Mühe gegeben, Sie zu unterhalten – ebensoviel Mühe, wie Geld zu verdienen für den Gemahl. Das ist alles, das ist bei allen Heiligen meine ganze Rolle hierselbst.«

Er wurde väterlich, schmunzelte sogar, rührte sich aber nicht. In den Pausen zwischen seinen Sätzen horchte er gespannt.

»Jetzt suche ich neues Geld, und einem Biedermann wie mir kann es gar nicht fehlen.«

Unversehens hielt er wieder den falschen Bart in der Hand.

»Auch gut«, raunte er. »Auch nicht schlecht, ihn für alle Fälle bei mir zu tragen ... Ihrem Mann aber bestellen Sie nur –«

Dies laut, gradezu markig, als Schlußwort:

»Alles ist gerettet!«


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