Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Kapitel.
Sankt Nikolaus Tag

Der Herbst mit seinen Freuden war dem lustigen Kleeblatt wie im Fluge dahingegangen, und schon war der Winter mit Eis und Schnee, mit Kälte und Sturm eingezogen.

Neue Freuden blühten den Kindern der kleinen Stadt, und schon schmiedete man neue Pläne, hegte Wünsche für das kommende Weihnachtsfest.

Besonders Lotte, die an ihrem letzten Geburtstage ein paar kostbare neumodische Schlittschuhe erhalten hatte, konnte die Zeit nicht erwarten, um diese blanken Stahlschuhe anzulegen.

Zugleich hatte sie von ihrer Mutti ein reizendes marineblaues Tuchkostüm mit grauem Pelzbesatz und ebensolchem Mützchen erhalten, nun trachtete sie darnach, sich damit zu schmücken, nun ja, um auch den Neid der besitzlosen Klasse, in diesem Falle, um Hilde und Aennys Neid hervorzurufen. Lotte hatte es ihren Schulgefährtinnen niemals vergessen, daß sie über das rußige Handwerk ihres Vater gespottet hatten, nun konnte sie über die beiden Mädchen triumphieren, denn keine besaß solch ein Paar Schlittschuhe noch ein gleiches elegantes Schlittschuhkostüm.

Doch nicht allein fröhliche, lustige Tage und Stunden winkten dem Kleeblatt, nein, zum ersten Male trat auch der Ernst des Lebens an sie heran.

Karlhans, der Aelteste des Kleeblatts, besuchte seit Wochen den Unterricht beim Prediger. Kommende Ostern wurde er eingesegnet.

Da waren nun in der Familie auch ernste Besprechungen abgehalten worden, denn Karlhans mußte sich nun für irgend einen Beruf entscheiden.

Eigentlich hatte sein Vater andere Pläne mit seinem einzigen Jungen gehabt, doch Karlhans bestand darauf, das Handwerk seines Vaters zu erlernen, und da er groß und kräftig war, zu Ostern als Lehrling in die Schmiede unter Jatkos Leitung einzutreten.

»Wenn ich ausgelernt habe, besuche ich, um mich weiter fortzubilden, die Schmiedeschule in Erfurt. Später kann ich dann noch irgend welche Technische Hochschule besuchen oder im Ausland meine Kenntnisse vervollkommnen.«

Vor der Hand sollte nun Karlhans erst eingesegnet werden, dann blieb ihm immer noch Zeit, seine Pläne für die Zukunft auszubauen und mit Hilfe seines Vaters in die Wirklichkeit umzusetzen.

»Handwerk hat einen goldenen Boden,« dieser Ausspruch seines Vaters hatte sich fest in Karlhans' Kopf eingehämmert, und der alte Jatko bestärkte den heranwachsenden Knaben in diesem Entschlusse.

So war der Nikolaustag herangekommen. In der kleinen Thüringerstadt feierte man noch in fast allen Häusern diesen Tag durch Beschenken der Kinder.

Auch in der Schmiede wurde die alte Sitte aufrecht erhalten, und Eddy verlebte seit Jahren diesen Tag in Gesellschaft seiner beiden Gespielen.

Wenn dann die frühe Dämmerung herabsank, wenn das Licht der Lampe das trauliche Wohnzimmer erhellte, dann saßen die Eltern mit ihren Kindern, zu denen sich Eddy stolz rechnete, um den runden Tisch versammelt.

Vater Hildebrandt erzählte dann wohl aus alten, lange vergangenen Zeiten, von alten Sitten und Gebräuchen, auch wohl aus seinen Wanderjahren, wie er damals, das Ränzchen auf dem Rücken, durch das schöne, deutsche Vaterland gewandert war, bis hinab nach dem sonnigen Süden, in das Land Italia. Lieber noch hörten die Kinder Geschichten aus der alten Chronik ihres Vaterstädtchens, oder sie lauschten voller Aufmerksamkeit des Vaters Worte, wenn er ihnen über irgend welche Probleme der neuesten Forschungen und Erfindungen Aufklärungen gab.

Meister Hildebrandt hatte in seiner Jugend viel gesehen, mit offenen Augen für alles Schöne und Gute die Welt durchstreift und sich durch Lesen fortgebildet. Nun blieb ihm Zeit und Muße, an den langen Winterabenden aus dem Schatze seines Wissens und seiner Erinnerungen mitzuteilen.

Frau Hildebrandt saß und strickte lange graue Wollstrümpfe, denen sie durch dunkelrote Ränder und Spitzen ein zierliches Aussehen verlieh.

Manchmal hielt auch Lotte eine Handarbeit in den Händen, doch sobald sie eifrig zuhörte, dann ließ sie ihre Arbeit in den Schoß sinken.

Zuhören und Arbeiten war nicht ihre Art.

Auch heute am Nikolaustage saß die Familie um den Tisch. Es hatte tagsüber geschneit, noch sauste der Wind um die Hausecken und rumorte in dem Kamin.

Drunten in der Schmiede war das Feuer heute schon zeitig am Nachmittage gelöscht und Feierabend geboten worden.

Das Abendmahl war vorüber, nur noch eine stattliche Schüssel mit Nüssen und ein Körbchen voll rotwangiger Aepfel standen auf dem Tische.

»Vater, wird der Nikolaus heute zu uns kommen?« fragte Lotte mit einem Blick nach der Zimmertür, hinter der soeben ein starker Lärm hörbar wurde.

»Ich denke, er wird wohl heute noch einmal kommen, um Abschied von euch zu nehmen, ihr seid nun zu groß gewachsen, er hat es mehr mit den kleinen Kindern zu tun, die noch folgen und beten lernen müssen, sonst klopft er ihnen mit der Rute die Fingerchen.«

Lotte lachte hell auf, der Gedanke, mit der Rute etwas auf die Finger zu bekommen, war doch zu gespaßig.

»Er wird uns doch etwas bringen?« forschte Lotte weiter.

»Vielleicht, wer kann das wissen,« meinte der Vater. »Ob Sankt Nikolaus heute guter Laune ist?«

»Vater, woher schreibt sich die Sitte des Nikolaustages?« fragte Karlhans, der bisher geschwiegen und vor sich hingeschaut hatte.

»Sankt Nikolaus,« nahm Vater Hildebrandt das Wort, »wird in der griechischen Kirche stark verehrt. Er soll bald nach Christi in Patera in Lycien geboren sein. Lycien liegt in Kleinasien, ihr könnt es euch nachher auf der Karte suchen, am Lycischen Meere. Seine Bewohner nannten sich Lycier, das heißt: Lichtleute, Leute, die aus dem Osten hereingewandert sind. Griechische Kultur fand früh bei ihnen Eingang, so auch das Christentum. Nikolaus war der Legende nach Bischof von Myra. Zur Zeit, als Kaiser Diocletianus zu Rom als Kaiser herrschte, befahl er eine grausame Christenverfolgung. Auch Bischof Nikolaus wurde eingekerkert. Er fand erst unter Kaiser Konstantin seine Freiheit wieder. Seine Name wird auf dem Konzil zu Nicäa genannt, wo er sich als Bekämpfer der Arianer bemerklich machte. Nach seinem Tode wurde er heilig gesprochen und ihm der 6.Dezember als Festtag geweiht. Nach und nach, erst in der Schweiz und den Niederlanden, dann auch in größeren Teilen von Deutschland Besonders Süddeutschland. hatte sich die Sitte eingebürgert, an diesem Tage die Kinder zu beschenken, ihnen so ein kleines Vorweihnachtsfest zu widmen.«

»Aber dann braucht man sich doch vor dem Nikolaus nicht zu fürchten,« warf Eddy ein.

»Ist ja auch nicht nötig, denn er straft nur faule und schlechte Kinder, die guten erhalten ihre Belohnung.«

»Aber weshalb erscheint er dann in solch furchterregender Gestalt?« fragte Lotte weiter.

»Diese Vermummung stammt aus alter Zeit. Man liebte es damals, zu solchen drastischen Mitteln zu greifen, um dem Nikolaus etwas Geheimnisvolles, ja einen unheimlich schrecksamen Anstrich zu verleihen, und da er nur im Winter erscheint, so war es ganz natürlich, daß Sankt Nikolaus sich in Pelze hüllte und eine große Pelzkappe über den Kopf zog.«

Noch während Vater Hildebrandt die letzten Worte sprach, vernahm man schwere Tritte auf der Treppe. Dann schlürften sie über den Vorsaal, eine Hand klopfte Einlaß begehrend gegen die Tür.

Unwillkürlich bedeckte Lotte ihr Gesicht mit beiden Händen, ja selbst Eddy und Karlhans empfanden plötzlich ein unheimliches Frösteln über den Rücken.

»Herein! Immer herein!« rief der Vater. Da tat sich die Tür auf, und eine überlebensgroße Männergestalt erschien auf der Schwelle.

Ein langer schwarzer Pelzmantel hüllte sie ein, auf dem Kopfe, das Gesicht war mit einer schwarzen Larve verdeckt, saß eine mächtig große Pelzmütze.

In der einen Hand hielt der Nikolaus einen Stab, in der anderen einen Deckelkorb.

»Nikolaus! Nikolaus!« riefen die Kinder, welche ihren Schreck überwunden hatten.

»Zum letzten Male komme ich heute zu euch,« klang es rauh und fremd hinter der Maske hervor. »Niemals habt ihr mir Aerger bereitet, deshalb sollt ihr heute noch ein schönes Geschenk erhalten.«

Zugleich kramte der Nikolaus in seinem Deckelkorbe.

»Lottchen, tritt her, hier nimm als Angedenken an den Nikolaus dieses Kästchen. Hebe es fein auf und lege deine liebsten Schätze hinein.«

Mit einem Knicks nahm Lotte ihr Geschenk in Empfang.

»Hier, Eddy, du forschest gern in den Büchern, lerne aus dieser Schrift, wie man leben soll, um glücklich zu werden. Und nun zu dir, mein Karlhans. Hier schau her, dieser Hammer, diese Zange, dieses Hufeisen, sie bilden das Wappen der Schmiede. Ich bringe sie dir, werde ein tüchtiger, wackerer Meister, Handwerk hat einen goldenen Boden.«

Die drei Kinder standen in sprachlosem Erstaunen vor dem Nikolaus, der sprach heute so ganz anders, er warf weder Aepfel noch Nüsse in das Zimmer, und der Hokuspokus, der sonst seine Person umschwebte, war heute verschwunden. Würdevoll war sein Wesen, von einer stillen Traurigkeit durchweht.

.

»Und nun lebt wohl, Kinder. Wir sehen uns niemals wieder. Werdet glücklich und gedenkt der Tage eurer Kindheit mit reinem Herzen und voller Freuden.«

Ohne sich länger aufzuhalten, verließ Nikolaus das Wohnzimmer.

Karlhans wollte ihm nachstürzen, doch ein Wink seines Vaters bannte ihn auf der Stelle.

»Nicht stürmisch den Schleier lüften,« sagte der Vater. »Morgen, beim hellen Tagesschein, magst du dir Nikolaus aufsuchen. Heute würdest du die Poesie der alten Sitte verletzen. Beherzigt, Kinder, was der Alte euch sagte, und bewahrt seine Worte in euren Herzen.«

Lotte hatte ihr Kästchen genau betrachtet.

»Schau nur, Vater, wie zierlich die eisernen Stäbchen unter einander verbunden sind. Ein kleines Meisterstück, ich will es wohl in Ehren halten,« setzte sie fast andächtig hinzu.

Eddy stand am Tische. Das volle Licht der Lampe bestrahlte das Titelblatt seines Buches. Er las: ›Aus Fürst Bismarcks Leben und Erinnerungen.‹ Woher ahnte Nikolaus, daß ich gerade dieses Buch so brennend gern zu besitzen wünschte?«

Frau Hildebrandt lächelte.

»Freue dich deines Geschenkes, mein lieber Eddy, und laß alles Grübeln über das Woher beiseite.«

»Aber ich habe das schönste Geschenk erhalten,« schwärmte Karlhans, seinen Hammer schwingend. »Mein erstes Werkzeug, und hier ein glückbringendes Hufeisen. Vater, wie danke ich dir,« rief er, sich ungestüm in die Arme seines Vaters werfend.

»Mir danke nicht,« erwiderte dieser ernster, als er bisher gesprochen; »aber durch die Tat kannst du deinen Dank abstatten. Du wünschtest das Schmiedehandwerk zu erlernen. Das ist nicht leicht, es verlangt die Hingabe eines ganzen Menschen; denn in unserer Zeit genügt es nicht, nur den Hammer zu schwingen, das Eisen zu schmieden, sondern Kopf und Herz müssen dabei sein und ihr Ja und Amen zum Gelingen eines Werkes geben.«

»Vater, ich will dir und dem Handwerk Ehre machen.«

Eine Weile blieb es still im Zimmer nach diesen Worten, dann aber erschien Frau Hildebrandt, gefolgt von Lotte wieder. Auf einem Tablett standen feingeschliffene Gläser, mit duftendem Punsch gefüllt, dessen feines Aroma das Zimmer füllte.

Bald saß man wieder um den Mitteltisch, und die Lampe bestrahlte frohe Gesichter.

»Lotte, spiel uns etwas vor,« meinte die Mutter nach einer Weile. Ohne sich im geringsten zu zieren, erhob sich Lotte, sie hatte ja schon lange auf diesen Wunsch ihrer Mutter gewartet.

Eddy lief an das Instrument, er zündete geschickt und flink die beiden Klavierkerzen an.

Lotte suchte nicht lange, sie kannte den Geschmack ihrer Mutter, welche die feinen, schlichten und doch zum Herzen gehenden Melodien Meister Wolfgang Amadäus Mozarts bevorzugte.

Nun schwieg das Gespräch. Meister Hildebrandt hatte sich seine kurze Pfeife, seinen Nasenwärmer, wie er sie nannte, angezündet und bald wogten die duftigen Wellen des feinen Tabaks durch das Zimmer. Behaglich in seinen Stuhl zurückgelehnt, lauschte er den Klängen der beliebten F-dur Sonate. Besonders der Anfang, das Alegro, mit seinem sanft wiegenden Takte, fand Vater Hildebrandts Beifall, während die zarter veranlagte Hausfrau mehr für das Adagio schwärmte. Frau Hildebrandt hatte selbst ihr Strickzeug aus der Hand gelegt, das Klappern der Stricknadeln sollte nicht den Eindruck des Musikstückes stören. Eddy postierte sich hinter Lotte, um ihr die Blätter zu wenden, nur Karlhans schien am wenigsten für Musik übrig zu haben, er stand am Seitentisch und hielt sein Handwerkszeug in der Hand, er prüfte die Schwere des Hammers und die scharfen Kanten der Kneifzange. Karlhans war die Musik des Blasebalges, das Singen und Schwirren des glühenden Eisens lieber als alle Sonaten der Welt; doch er schwieg, um die Weihe des Augenblickes nicht zu stören.


 << zurück weiter >>