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1. Kapitel.
Der Tanzbär

Sie kommen, sie kommen!«

Mit Windeseile pflanzte sich dieser Ruf von Mund zu Munde. Eine fröhliche Kinderschar wirbelte in dichtem Durcheinander den Bürgersteig entlang.

Einzeln, zu zweien und dreien untergefaßt, aus den weit offenstehenden Türen der Miethäuser, aus den stillen, nur mit einzeln stehenden Landhäusern besetzten Straßen drängte und schob sich die Kinderwelt. Lustschreie erfüllten die sonnige Frühlingsluft.

Knaben schwenkten ihre Mützen, die Mädchen winkten und lächelten voller überschäumender Lust.

Aller Blicke waren nach einer Biegung der Hauptstraße gerichtet, von dorther klang dumpfer Trommelwirbel, untermischt mit hellem Geschrei aus frohbewegten Kinderkehlen.

»Sie kommen, sie kommen!« rief ein niedliches blondes Mädchen. Ihre Wangen glühten vor Daseinsfreude, ihre blonden, über den Rücken hinabhängenden Zöpfe flatterten, und ihre in derben Lederschuhen steckenden Füßchen, schienen kaum das Straßenpflaster zu berühren. Lotte Hildebrandt glühte vor Erwartung, ein wonniger Taumel hatte sie erfaßt.

Der Trommelwirbel klang lauter, er nahm an Stärke zu. Und gleich darauf traten die so sehnlichst Erwarteten in die Erscheinung.

Ein weithin schallender Jubelschrei begrüßte sie.

Voran schritt ein breitschulteriger Mann. Auf dem Kopfe trug er einen verbeulten, von Regen und Sonnenschein stark mitgenommenen breiten Filzhut. Rote Beinkleider und eine blaue Husarenjacke vervollständigten seinen Anzug. Hohe Stulpenstiefel, mit schief getretenen Absätzen, gaben seiner Erscheinung eine etwas martialische Note.

An einer Kette führte er einen mittelgroßen schwarzen Bären, der beständig mit dem Kopfe wackelnd, dicht neben seinem Herrn und Gebieter hinschritt.

Ein ebenso bunt gekleideter jüngerer Mann trug, an einem Gurt um den Hals hängend, die große Trommel, auf der ein niedliches Aeffchen saß und nach allen Seiten Grimassen schnitt. Den Schluß bildete ein vielleicht zwölf Jahre alter Knabe, der zwei Messingbecken hielt.

Bum! Bum! Bum! dröhnte die Trommel, der Knabe schlug die Becken gegeneinander, und dazwischen quiekte ein mißgestimmter Leierkasten, den ein altes Weib auf einem kleinen Wagen vor sich her schob.

Trotzdem schien dieser Höllenlärm den Kindern großen Spaß zu bereiten. Vor, seitlich und hinter der Spielgruppe marschierte die Straßenjugend.

Plötzlich stockte der Zug. Der Bärenführer entlockte seiner Flöte seltsame Töne, und sofort erhob sich der Bär auf seine Hinterfüße. Er drehte seinen plumpen Körper nach der Melodie um, und als sein Herr und Gebieter die Kette etwas verlängerte, konnte er sich der dicht gedrängten Kinderschar nähern.

Ein angsterpreßter Schrei aus hundert Kehlen beantwortete dieses Gebaren. Einen Augenblick drängten die Zunächststehenden zurück, doch bald wieder flutete die Schar der Neugierigen um den Bärenführer mit seinem schwarzen Zögling.

Die kleine blonde Lotte hatte sich in die vorderste Reihe gedrängt; zwar verlor auch sie auf Minuten den kecken Mut, doch als sie ihren Bruder Karlhans dicht neben sich stehen sah, da flog ein schelmisches Lächeln über ihr hübsches Kindergesicht, und sie bog sich vor, um den zottigen Pelz des Bären mit ihrer kleinen Hand zu streicheln, doch sofort fühlte sie sich zurückgerissen, und als sie sich erstaunt, ob dieses Zwischenfalles, umschaute, blickte sie in das schreckverzogene Gesicht eines zarten blonden Knaben, der mit Karlhans in gleichem Alter stand, aber viel zierlicher und zarter als der kleine untersetzte Karlhans gebaut war.

»Eddy, was willst du?« fragte Lotte schnell.

»Du sollst den schmutzigen Bären nicht anfassen, solche Tiere sind tückisch, er könnte dich beißen.«

»Angsthase,« lachte Lotte, »mich beißen, na, dazu gehören immer zwei, einer der beißt und eine, die sich beißen läßt.«

»Trotzdem –«

Eduard Hoffmann, der Spielgefährte Lottes, kam mit seinem Einwurf nicht zu Ende; der Bärenführer hieß die Kinder zurücktreten, der Mann mit der Trommel trat auf seinem Wink vor, und der Knabe mit den Messingbecken folgte. Jetzt saß der Affe auf der Mütze des Trommlers, er reckte seine Händchen nach allen Seiten, zog sein buntes Mützchen und begrüßte sichtlich belustigt die Umstehenden.

»Achtung, meine Herrschaften!« schrie der Bärenführer mit lautschallender Stimme. »Ich bitte um geneigtes Gehör. Ich will Ihnen meinen weltberühmten Tanzbären vorführen. Er hat sich mit Erfolg vor Fürsten und Grafen produziert. Mein Petz ist ein gelehriger Herr,« fuhr er fort, »und er wird sich zuerst als Grotesktänzer zeigen.«

Lautlose Stille folgte diesen Worten. Erwartungsvoll lauschten die Kinder, denen sich auch einige Erwachsene zugesellt hatten.

Der Bär stand unbeweglich wie eine Holzfigur, seine kleinen, dick umbauschten Augen hingen, wie gebannt, an seinem Herrn. Dieser setzte seinem Zögling eine bunte Kappe auf den Kopf, gab ihm einen dünnen Holzstab in die Vorderpfoten, dann setzte er seine Flöte wieder an die Lippen, der er nun eine ganz eigenartige Melodie entlockte.

Sofort bewegte der Bär seinen dicken Kopf nach dem Takte der Musik, er ließ ein zufriedenes Grunzen hören, dann folgten die Arme, und zuletzt bewegte er seinen massigen Körper nach dem Takte der Tanzweise. Sein Tanz war nichts weniger als graziös, doch die Zuschauer wurden höchlichst davon befriedigt.

Selbst Lotte Hildebrandt schaute wie gebannt nach dem Tanzbären, so daß sie nicht bemerkte, wie Eduard sich näher zu ihr hingedrängt hatte, wie nun sein Gesicht sich leicht verfärbte, und er sich sichtlich unbehaglich in dieser Umgebung fühlte. Nur der Wunsch, Lotte nicht allein in der sie umflutenden Menge und in der gefahrvollen Nähe des Bären zu lassen, ließ ihn auf seiner Stelle ausharren.

»Komm, Lotte, du hast das Untier nun lange genug bewundert,« redete er seiner Gespielin zu, doch Lotte antwortete nicht auf seine dringende Bitte, sie schüttelte nur abwehrend den blonden Kopf.

Dann, als der Bär seinen exotischen Tanz beendet hatte, und sich die Straßenkünstler wieder unter dem Bum, Bum, Bum der großen Trommel in Bewegung setzten, da hielt Eduard seine Freundin am Aermel fest.

»Hast du noch nicht genug an den dummen Faxen?« schalt Eddy. »Komm, wir wollen in unserem Garten spielen, meine Schwester hat mir ein neues Federballspiel aus der Stadt mitgebracht. Wir wollen –«

»Das hat Zeit bis morgen,« entschied Lotte, rasch wandte sie den Kopf, und nun umspielte ein spöttisches Lächeln ihre vollen, roten Lippen.

»Wenn es dir keinen Spaß macht, den Tanzbären zu sehen, so geh, ich halte dich nicht; aber ich lasse mir mein Vergnügen durch deine albernen Reden nicht verkürzen.«

Jeder Zoll eine beleidigte Dame, drehte sich Lotte um und folgte, ohne Eduard weiter zu beachten, den weiterziehenden Straßenkünstlern.

Wie verblüfft, keines Wortes mächtig, stand Eduard einen Augenblick, dann aber drängte er rückwärts und war bald hinter den hin und her wogenden Kindern verschwunden.

»Laß die dumme Lotte laufen,« klang es dicht an seiner Seite.

»Ach du, Karlhans, dir behagt dieser gräßliche Spektakel auch nicht. Lotte ist mal wieder störrisch, wie ein hartmäuliger Gaul,« setzte Eduard hinzu, doch aus dem Tone, mit dem er die letzten Worte sprach, klang nicht nur ein Tadel, sondern viel mehr eine schmerzliche Betrübnis hervor.

»Wird schon wieder vernünftig werden,« tröstete Karlhans seinen Freund. »Lotte ist eben unberechenbar, wie die andern Mädchen auch, ich mag diese Zierpuppen alle nicht leiden.«

»Aber Lotte ist doch keine Zierpuppe,« verteidigte Eduard seine abwesende Gespielin.

»Na freilich, eine Zierpuppe ist sie nicht,« erwiderte der Bruder mit dem Brustton innigster Ueberzeugung, »aber sie will nun immer kommandieren, wir sollen nach ihrer Pfeife tanzen, und du läßt dich von ihr um den kleinen Finger wickeln. Mußt ihr mal forsch entgegentreten und ihr den Herrn der Schöpfung zeigen.«

»Aber, Karlhans, wie könnte ich –«

Der Angeredete ließ seine Blicke über die zierliche Gestalt seines Gefährten schweifen, freilich, Eduard Hoffmann, der einzige Sohn des Amtsvorstehers, war nicht geschaffen, der forschen, flotten Lotte mit Erfolg entgegen zu treten.

»Laß den Kopf nicht hängen, komm, wir wollen uns das neue Federballspiel betrachten, was stehen wir hier auf der staubigen Straße in der Sonne. In euerm Garten ist es kühl; ich denke, an der geschützten Stelle nahe dem Warmhause muß es schon reife Erdbeeren geben. Die wollen wir mal versuchen.«

Eduard blickte nachdenklich vor sich hin, dann schritt er neben Karlhans der stillen Nebenstraße zu, in der das Haus des Amtsvorstehers Hoffmann lag. Doch ehe sie in die Straße abbogen, blieb Eddy noch einmal stehen und schaute die Hauptstraße entlang, die jetzt still und einsam lag, nur aus der Ferne klang dann und wann ein schwacher Trommelwirbel herüber.

»Wollen wir nicht auf Lotte warten?« Schüchtern, fast zaghaft klangen diese Worte.

»Warte bis du schwarz wirst, ich mache solchen Unsinn nicht mit. Auf ein Mädchen warten, hier, wie ich das finde! Sollte mir einfallen, ich bin Gymnasiast –« schloß Karlhans, sich hoch emporrichtend. »Lotte besucht noch die Kleinkinderschule.«

Von diesem letzten Beweis ihrer männlichen Würde überzeugt, schloß sich Eduard seinem Gefährten an; doch blieb er noch verschiedene Male stehen und schaute sehnsuchtsvoll zurück.

»Sei kein Frosch, Eddy!« ermunterte Karlhans seinen Gefährten.

»Aber weißt du, das Federballspiel wollen wir heute doch im Kasten lassen; Lotte hatte es sich sehnlichst gewünscht, damit zu spielen.«

»Na, dir ist weder zu raten, noch zu helfen, dann komm, wir wollen uns bei den Erdbeeren schadlos halten.«

Rasch verschwanden die beiden Knaben in der stillen Seitenstraße, auf der keine Miethäuser, sondern nur Familienhäuser mit großen Gärten lagen.


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