Mackay
Die Menschen der Ehe
Mackay

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XXI.

Er war in seinem Hotel gewesen, hatte seine Sachen gepackt und seine Rechnung bezahlt. Dann war er zum Bahnhof hinaufgestiegen und hatte zwei Billets erster Klasse nach Paris gelöst. Er wußte, wann er extravagant sein durfte. Heute. Im Wartesaal hatte er von dem alten Zeitungsverkäufer, – er erkannte auch ihn wieder –einem alten Original, Fahrplan und Zeitungen gekauft.

Nun ging er auf dem Perron auf und ab mit großen und unregelmäßigen Schritten.

Er wußte, sie würde kommen, denn sie hatte es gesagt. Eher ging die Welt unter, als daß sie ihr Wort nicht hielt.

Und dennoch quälte ihn die Unruhe, die Unruhe der Erwartung.

Noch war die zehnte Stunde lange nicht gekommen. Der große Zeiger auf der weißen Uhr hatte kaum die Sechszahl erreicht. Er wußte, daß sie auch nicht früher kommen würde, als sie gesagt; und doch kehrten seine unruhigen Blicke immer wieder zu der schwarzen, gähnenden Oeffnung des Aufstiegs zurück, aus welcher von Zeit zu Zeit die Menschen emporstiegen: Beamte, Reisende, Kofferträger, ein buntes Durcheinander …

Der sommerliche Abend lag schwül unter dieser weiten Halle, die das Dröhnen der Züge und hundert Rufe durchtönten und erzittern machten. Ein und aus rasselten die Züge. Nur das Gleis für den Expreßzug, der hier drei Minuten halten sollte, blieb frei. Die von den Rädern abgeschliffenen Schienen glänzten weiß.

Grach hatte alles vergessen, was er heute gesehen – außer ihr.

Nur an sie dachte er noch und an sein Glück.

Er nannte nicht viel sein eigen. Jeder seiner Jugendfreunde in dieser Stadt lebte sicher besser als er, und unter allen diesen Menschen hätte wohl nicht einer mit ihm getauscht.

Und doch war er ein seliger Mann. Denn er war ein freier Mann.

Niemand hatte ihm zu befehlen, und niemandem hatte er zu gehorchen. Er konnte gehen und kommen, wie er wollte. Die ganze Welt war sein.

Nicht zu hassen und nicht zu verspotten, nicht zu beneiden, nein, zu bemitleiden waren sie, die Menschen dort unten in der Stadt, die nur ein Glück und nur eine Zufriedenheit kannten: Geld, Geld, Geld zusammenzuscharren in mühseligem Erwerben, dem alle große Freude fehlte: die Freude des echten Genießens! …

Und er wandte sich ab von ihnen.

Mit jeder Minute, die der zehnten Stunde nahte, wurde er ruhiger. Seine Schritte wurden langsamer.

Als der Zeiger auf der Uhr den erwarteten Punkt ereicht hatte, lehnte er sich mit verschränkten Armen an einen Pfeiler und ließ keinen Blick mehr von der Treppe des Aufgangs.

Viele und verschiedene Menschen stiegen noch in den nächsten Minuten vor ihm empor und gingen an ihm vorüber. Wohl an die hundert. An keinem blieb sein Auge haften.

Dann aber sah er sie: langsam und sicher hob sich ihre hohe, stolze, jetzt in einen grauen Staubmantel gehüllte, geliebte Gestalt von Stufe zu Stufe.

Ihre Blicke waren gesenkt, und noch bemerkte sie ihn nicht.

Er ging ihr entgegen.

Ende.


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