Mackay
Die Menschen der Ehe
Mackay

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XIV.

Er erkannte sie sofort.

Nur eine Frau war ihm im Leben begegnet, welcher dieser feste, stolze Gang, diese aufrechte, und doch graziöse Haltung eigen war: Dora Syk. Sie mußte seine Schritte gehört haben, denn sie wandte sich um.

Zu gleicher Zeit streckten ihre Hände sich einander entgegen und faßten sich mit starkem, freundschaftlichem Druck.

Die Freude, sich wiederzusehen, war auf beiden Seiten gleich groß und ehrlich. Gleich war aber auch bei beiden eine gewisse Verlegenheit: man war hier auf fremdem Boden und wußte im ersten Augenblick nicht recht, wie man es dem Anderen klar machen sollte, weshalb man hier war… .

Dort, wo ihre eigentliche Heimat war, in der großen, weiten Welt, in dem Getriebe der ungeheuren Stadt, in den schrankenlosen Verhältnissen, deren Physiognomie wechselte wie der schwankende Tag, in der großen, geistigen Bewegung, waren sie sich zuerst begegnet, hatten sie sich gesehen, sich gesprochen, waren sie schnell wieder auseinander gerissen, hatten sich nicht vergessen, aber auch kaum mehr aneinander gedacht, vielleicht nur deshalb, weil sie keine Zeit dazu hatten.

Seinen Namen hörte sie oft: er wurde überhaupt viel genannt; ihren Namen hatte er lange gekannt, ehe er sie sah, denn er war eine Zeitlang viel genannt worden. Es war gewesen, als sie einundzwanzig Jahre alt war und ihr erstes Werk Aufsehen erregte. Vor etwa sechs Jahren.

»Franz Grach« –

»Dora Syk« –

Sich hier wiederzusehen, war für beide eine ganz außergewöhnliche Ueberraschung, und indem sie nach einem Wort suchten, um dieselbe auszudrücken, fingen sie beide plötzlich an zu lachen und gaben sich nochmals die hand, wie um sich zu vergewissem, daß sie es wirklich waren.

»Fräulein Dora Syk!« rief er aus. »Also deshalb hört man nichts mehr von Ihnen –«

»Es ist sehr eigenthümlich, daß wir uns hier treffen,« sagte sie, indem sie ihre Hand zurückzog.

»Nicht so sehr, was mich betrifft: bin ich doch hier in der Stadt meiner Jugend. Ich bin nämlich hier erzogen.«

»So. Und ich erziehe jetzt hier.«

Er fuhr zurück.

»Das ist schrecklich. Wen erziehen Sie denn?«

Sie lachte herzlich. »Kinder«, sagte sie, »Mädchen von zwölf und dreizehn Jahren.«

»In der höheren Töchterschule?« –

»Ja, in derselben«, entgegnete sie, und immer noch lag Lachen um ihren Mund. »Ich bewundere die Treue Ihres Gedächtnisses. Wie lange waren Sie nicht hier?« –

»Fast ein Jahrzehnt nicht. – Hören Sie:

Der Herr segne Deinen Ausgang und –«

»Und deinen Eingang – ja, so steht es über dem Thore geschrieben.«

»Lachen Sie doch nicht, Fräulein Syk! Ich weiß, was es heißen will, Lehrerin an dieser Schule zu sein – für Sie ist es unwürdig.«

»Nein,« sagte sie schnell und wurde ernst, »es ist nicht unwürdig, um sein Brot zu arbeiten. Aber eines ist sicher: es ist lähmend, weil es unnütz, total unnütz ist. Denn ich bin gehindert, das zu sagen, was ich sagen möchte, wenn ich auch nicht gezwungen bin, zu sagen, was ich nicht sagen will … Unwürdig? – Nein, das Schweigen der Machtlosigkeit ist nie unwürdig.«

Er sah sie inmitten dieser Gesellschaft, die er kannte – die Personen konnten sich geändert haben, die Tendenzen nie: der Direktor ein Pietist, die Lehrer zu halben Weibern geworden in ihrer falschen Stellung zwischen lauter Unterröcken, die Lehrerinnen alte Jungfern, verbittert die einen, emanzipiert im unguten Sinne die anderen – und er hörte nicht auf das, was sie ihm entgegnete.

»Wie können Sie hier leben?« – rief er fast heftig. »Wie können Sie sich stellen zu diesen Mumien –«

»Sehr gut. Sie hassen mich so, daß wir fast nie zusammen sprechen –«

»Ja, was sollten Sie auch zusammen sprechen!« rief er. »Und machen Sie mir nur nicht vor, daß es anders ist mit dieser entzückenden Jugend, ich kenne sie, diese unreife Gesellschaft, schlimmer als die Buben sind sie: kokett schon, noch mit der Puppe im Arm, neugierig, naschhaft, und ganz schon von dieser entsetzlichen Schwatzhaftigkeit der Alten, dieser Schwatzhaftigkeit der Leere, die nichts zu sagen weiß und immer plappert, plappert – o, ich habe sie eben drei Stunden lang gehört! –«

Sie ging ruhig weiter, aber sie antwortete ihm nicht mehr. Ihr Beispiel, dachte er da, dieses herrliche Beispiel der Kraft und Gesundheit, der Vorurteilslosigkeit und Schönheit, des Geschmacks und der Gesundheit der Harmonie, ihr Beispiel, sollte wenigstens nicht dieses schweigend wirken? Und er fragte sie danach.

Mit einiger Ungeduld lehnte sie seine weiteren Fragen ab. Auch ihr Beispiel nicht, sie sagte es schon. Es war kein Boden bereitet.

Er merkte plötzlich, daß sie litt, und ward still.


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