Mackay
Die Menschen der Ehe
Mackay

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X.

Ihre Schönheit hatte alles gehalten, was sie versprochen hatte. Schon als Kind war dieselbe gradezu auffallend, trotzdem sie weder graziös und fein, noch von irgendwie eigenartigem Liebreiz gewesen war. Aber ihr blonde Haar konnte heute kaum reicher sein, als es damals gewesen war, und der feuchte Glanz ihrer blauen Augen, der ihm heute nur ein Zeichen trübseliger Langeweile schien, war ihm und Anderen – denn die halbe Klasse war in sie verliebt – damals schwärmerische Idealität und echt weibliches Hingebungsbedürfniß gewesen.

Nicht für lange.

Aber es gab eine kurze Zeit in seiner Jugend – es war zwei Jahre vor ihrer Trennung –, da war ihm das ständige Zusammenleben mit ihr unter den blinden Augen der Mutter sehr gefährlich geworden.

Seine Sinne erwachten und verlangten nach ihr. Ihre beständige Nähe brachte sie in Aufruhr und hielt sie wach.

Den ganzen Sommer hindurch verbrachte er in qualvoller Aufregung, in einem beständigen Zwiespalt, der seiner energischen Natur schwerer zu ertragen war als Alles.

Sie war ihm gleichgültig. Alles, was sie sprach, ließ ihn kalt. Ihr Benehmen gegen ihre Mutter empörte ihn mehr wie je, wenn er sich auch niemals thätlich darum kümmerte, was zwischen diesen beiden Personen vorging. Ihr Kokettieren mit seinen Kameraden, welche sich über das eitle Mädchen lustig machten, fand er lächerlich – und doch beschäftigte sie ihn. Er träumte von ihr. Er glaubte sie in den Armen zu halten. Er haschte nach ihrer Hand, wenn sie allein waren, und er war ruhiger, wenn sie ihm dieselbe nicht entzog. Er war öfter um sie, als je zuvor. Die Mutter freute sich darüber, daß das sonst so kühle Verhältniß zwischen Schwester und Bruder sich besserte.

Eine unheimliche Gluth ging von ihr aus, die ihn wahnsinnig machte. Tage konnten vergehen, ohne daß sie ihm gefährlich war, aber dann kam immer wieder eine Stunde, in welcher er von ihrer Seite aufspringen mußte, weil er es nicht mehr ertragen konnte, sie zu sehen, ohne sie an sich zu reißen.

Er fürchtete sich vor sich selbst; aber vor ihr graute ihm.

Ein später Abend brachte die Erlösung. Sie saßen zusammen in der Laube bei einer trübe brennenden Lampe. Die Mutter hatte sich gähnend und seufzend zur Ruhe begeben. – Es war ein Abend voll wunderbarer Weichheit der Luft. Der Glanz der Sterne war feucht und tief.

Sie wagte es zu bleiben. Sie spielte mit dem Feuer in verzehrender Neugier.

Er las in einem Buche und hielt den Kopf gesenkt, um sie nicht ansehen zu müssen. Er hatte noch zu lernen und glaubte, sie würde gehen.

Sie aber ging nicht, sondern beugte sich noch weiter vor, mit ihrer weichen Stimme, welche sie von ihrer Mutter geerbt hatte, eine gleichgültige Frage stellend.

Fast berührten sich ihre Stirnen. Da riß er ihren Kopf mit einer jähen Bewegung an sich und bedeckte ihr Gesicht mit unzähligen Küssen: er küßte ihre Augen, ihre Wangen, ihren Mund, ihren Hals.

Sie wehrte sich, aber nur schwach. Während sie sich indessen – ein halb ernstliches, halb freudiges Erschrecken heimlich überwindend – in der Ueberlegenheit der Frau fragte, ob sie ihn gewähren lassen solle, fühlte sie, wie er sie plötzlich losließ und von sich stieß.

Wenn sie oft nachher – nachdenklich über diese jähe Veränderung seines Wesens in dieser Minute – sich einbilden wollte, es sei ein moralischer Antrieb gewesen, der ihn so plötzlich von ihr gerissen, so irrte sie sich völlig.

Ein Duft war von ihr ausgegangen, als er an ihren Lippen hing und in ihren Haaren wühlte, der ihn plötzlich ernüchtert hatte. Derselbe Duft, der ihn betäubt hatte in der Ferne und ihn angezogen, stieß ihn ab, als er in nächster Nähe auf seine Sinne wirkte. Es war direkter Widerwille, der ihn erfaßte – unerklärlich, aber zwingend.

Eben noch über Alles begehrenswerth, war sie ihm jetzt so gleichgültig, wie nur je zuvor.

Hurtig raffte er seine Bücher zusammen und eilte mit einem schnellen »Gute Nacht!« in das Haus.

Sie sah ihm nach und verstand ihn nicht.

Ihr Zauber war völlig gebrochen.

Sie merkte es sofort am nächsten Tage.

Sie bot viel auf, um ihn wieder zu gewinnen. Aber nichts mehr gelang ihr.

Im Laufe der nächsten beiden Jahre, in welchen sie wieder nebeneinander herlebten, vergaßen sie fast die Szene dieses Abends.

Auch er wurde ihr gleichgültig.

Sie dachte bereits an ihren zukünftigen Gatten, wenn sie die Männer sah, welche sich um ihre Schönheit drängten.

Sie wählte sich einen der ältesten unter ihnen und fast den reichsten.

An ihren Halbbruder dachte sie erst wieder, als die Langeweile ihrer Tage sie nach neuen Sensationen suchen ließ, und die Neugierde neue Nahrung für ihre klatschhafte Zunge verlangte.


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