Mackay
Die Menschen der Ehe
Mackay

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XII.

Grach ging, ohne eigentlich zu wissen, wohin. Während er noch in Gedanken versunken war, die ihm in diesen Stunden gekommen und die er nun weiter und zu Ende dachte, während er so in Gedanken zu Boden sah, ging er ganz instinktiv die Wege, welche zur Höhe des Berges zwischen den Gärten und ihren Mauern hinführten, und welche er so zahllose Male als Kind und als Knabe im Spiele gelaufen, lernend, erzählend, mit Kameraden und allein, traurig und fröhlich gegangen war.

Er sah nicht, wohin er ging. Nur in’s Freie, hinaus, fort aus der Albernheit dieser Enge, die ihn eben stundenlang umschnürt gehalten hatte!

Er war wie zerschlagen.

Seit Jahren hatte ihn nichts, keine Unterredung, keine Diskussion, keine Verhandlung, so ermüdet, wie die Unterhaltung dieses Nachmittags.

Ihm war, als habe er Zückerwasser trinken müssen, in großen Quantitäten, ein Glas nach dem andern. Ihm war als sei er umhergetappt in schwülen und haltlosen Nebeln, als habe er etwas Weiches, Zerrinnendes zwischen seinen Fingern gehalten, etwas, das formlos war und keine Gestalt annehmen wollte, er mochte bilden, wie er wollte.

Es war die Moral der Bourgeoisie gewesen, mit der er eben diesen Kampf gekämpft hatte, diese satte, selbstgefällige, verächtliche Moral, die keinem Gedanken Stand hielt, an jeder Wahrheit genäschig schleckte und alles, alles, alles herunterzog in den Staub ihrer Mittelmäßigkeit. Er haßte sie, diese Menschen, er fühlte erst jetzt, wie sehr er sie immer gehaßt hatte: ihre Anschauungen, ihre Sitten, ihre Gewohnheiten, ihr heuchlerisches Weinen und ihr oberflächliches, humorloses Lachen!

Was wollte denn diese Frau eigentlich?

Hatte sie nicht alles, was ein Mensch nur an äußerlichem Glücke begehren konnte?

Sie war schön. Sie war noch jung. Sie war reich. Aber sie hatte einen Mann, der wohl zuweilen eine eigene Meinung zu haben sich erlaubte; einen Mann, der sie nicht so befriedigte, wie ihre Natur es verlangte. Nun, warum ging sie nicht von ihm, wenn sie es bei ihm nicht mehr »aushalten« konnte?

Nichts hielt sie, als die kindischen Anschauungen ihrer Klasse von Ehre und Sittlichkeit.

Die Welt lag vor ihr. Warum ging sie nicht hinein, lernte kennen, was dem Suchenden so interessant, so geheimnißvoll, so neu und so unendlich reizvoll erscheinen muß?

Weshalb genoß sie nicht die Schönheit dieser Welt, von welcher sie nichts kannte?

Sie konnte nicht allein sein. Zu flach, um sich selbst auch nur auf eine Stunde zu genügen, konnte sie auf eine Stunde nicht die Gesellschaft entbehren, deren Leben ihre Nahrung war. Machtlos sich durch ihre eigene Persönlichkeit neue Verbindungen zu schaffen, wäre sie draußen in der weiten Welt gestorben vor Langeweile, verzehrt von Sehnsucht nach dem kleinlichen Getriebe ihrer früheren Tage.

Deshalb mußte sie bleiben, wo sie war, auf dem Platze, auf welchen sie ihr eigener freier Wille gestellt hatte und den zu verlassen sie nicht die Kraft besaß.

Sie mußte ihr »Unglück« weitertragen.

Er glaubte nicht an dieses Unglück. In Wirklichkeit hatte er nie geglaubt, daß diese Frau jemals unglücklich werden könne.

Außerdem würde sie ihren Mann allmählich besiegen. Eine echte Frau, die sie war, würde sie ihn mürbe machen –: langsam, nach und nach, mit aller Zähigkeit, würde sie ihm Locke auf Locke seiner Kraft rauben, bis er willenlos geworden war ihr gegenüber.

Der Mann war mehr zu bedauern, als sie.

Für ihn aber war sie eine abgetane Sache. Es war eine Dummheit gewesen, daß er hierher gekommen war. Er gehörte nicht zu den Menschen, die sich schämen, ihren Dummheiten in’s Gesicht zu sehen. Aber er glaubte doch, nun sagen zu dürfen, daß er so bald keine neue machen würde.

Am liebsten wäre er noch heute Abend abgereist. Aber er wußte nicht, wann die Züge gingen. Und außerdem – er war nun einmal hier. Die Hitze des Tages begann langsam nachzulassen. Er wollte noch einige Stunden verbringen auf dieser Höhe mit dem Blick auf die Stadt zu seinen Füßen. Irgendwo würde er schon ein grünes und kühles Plätzchen finden.

Und mit dem charakteristischen Ruck seiner Schultern schüttelte er die Erlebnisse dieses Nachmittages von sich: aus seiner Stirn und von seiner Brust.

Nun waren sie ihm erledigt für immer.


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