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Persönlichkeit und Schicksal

Es war am Abend vor Ostern, alle Glocken Roms läuteten das Ave, ich erkannte die Glocke von Ara Coeli unter dem Kapitol, in dessen Nähe ich früher lange gewohnt hatte. Man war auf ein Gespräch über den Glauben gestimmt, und wirklich drangen die verführerischen Glocken bis in den hohen Saal, in dem wir unsere Gespräche hielten. Indessen hatte mich eine altruistische Wendung stutzig gemacht, die ich beim Blättern in Mussolinis Reden gefunden, und heute nicht das erstemal. Warum sprach der Condottiere immer vom Interesse der Gemeinschaft? Deshalb sagte ich zu ihm:

– Sie haben sich wiederholt in den schönsten Wendungen zur Steigerung Ihrer Persönlichkeit als Lebensziel bekannt: »Aus meinem Leben will ich ein Meisterstück machen« oder, »ich will mein Leben dramatisieren« haben Sie geschrieben und Nietzsches Königswort als Motto zitiert: »Lebe gefährlich!« Wie kann eine so stolze Natur dann schreiben: »Mein höchster Zweck ist das Interesse der Öffentlichkeit«. Ist das nicht abstrakt? –

Er blieb vollkommen unbewegt.

»Ich sehe keinen Widerspruch, sagte er. Es ist vielmehr durchaus logisch. Das Interesse der Öffentlichkeit ist eine dramatische Sache. Indem ich ihm diene, vervielfältige ich doch mein Leben.«

Ich war betroffen, denn dagegen ließ sich nichts sagen, aber ich zitierte ihm noch seine Worte: »Ich hatte immer eine altruistische Vision des Lebens«.

»Sicher, sagte er. Niemand kann sich von der Menschheit loslösen. Das ist etwas Konkretes: die Humanität der Rasse, in der ich geboren bin.«

– Die lateinische, unterbrach ich, also auch die französische. –

»Ich sagte Ihnen ja, fiel er lebhaft ein, Rassen gibt es nicht! Das ist eine Illusion des Geistes, ein Gefühl. Ist es darum weniger?«

– Danach, sagte ich, könnte man sich also eine Rasse auch wählen? –

»Das kann man.«

– Nun, ich habe das Mittelmeer gewählt und habe Nietzsche als großen Verbündeten. –

Der Name schien in ihm nachzuklingen, denn jetzt sagte er, ohne äußeren Zusammenhang:

»Strebe ich denn nach meinem Glücke? Ich strebe nach meinem Werke!« So zitierte Mussolini in reinem Deutsch Nietzsches stolzestes Wort.

Ich machte deutlich, daß diese Gedanken von Goethe herkämen und fragte ihn, ob er nicht Goethes Idee teile, daß die Schläge des Schicksals den Charakter bilden.

Er nickte und sagte: »Meinen Krisen und Schwierigkeiten verdanke ich, was ich bin. Deshalb muß man sich immer ganz einsetzen.«

– Und deshalb fliegen Sie, auf die Gefahr, sich und Ihr Werk durch ein überflüssiges Wagestück zu zerstören? –

»Das Leben hat einen Preis, sagte er mit fester Stimme. Man muß es immer wieder riskieren. Ich ginge auch heute wieder in die Schlacht.«

– Nach dieser Logik dürften Sie sich auch nicht schützen, sagte ich. –

»Tu' ich auch nicht«, erwiderte er.

– Wie! rief ich aus. Sehen Sie nicht, daß immer wieder einer von Ihren Feinden sein eigenes Leben wagt, um das Ihrige zu rauben?«

Er blieb gänzlich unbewegt. »Ich kenne diese Logik. Ich weiß auch, was man verbreitet: daß ich von tausend Polizisten bewacht werde und jede Nacht wo anders schlafe. Ich weiß. Ich schlafe aber jede Nacht in der Villa Torlonia und fahre und reite aus, wann und wohin mir's paßt. Wenn ich an meine Sicherheit denken müßte, würde ich mich gedemütigt fühlen.«

– Sie haben sich neulich einen Fatalisten genannt, sagte ich. Morgen ist Ostern, und gewisse Erwägungen lassen sich in dieser Stimmung schwer bannen. Sie haben aus Ihrer Jugend berichtet, wie schlecht Sie Orgel und Kerzen ertragen konnten, aber in Ihrer ersten Kammerrede haben Sie Gottes Beistand angerufen; nach Ihrer eigenen Darstellung sogar auf jener historischen Fahrt von Mailand nach Rom. Kann ein Schüler Macchiavellis und Nietzsches glauben? –

»An sich selbst, das wäre schon etwas,« sagte er rasch und lächelte. Dann lehnte er sich in den Lichtkreis der Lampe vor und fuhr, mehr systematisch als pathetisch fort: »Ich will Ihnen meine Entwickelung erklären. In der Jugend glaubte ich nichts. Ich hatte vergebens Gott angerufen, er möge meine Mutter retten, und sie war doch gestorben. Außerdem ist mir jedes Mystische fremd, Farben und Töne des Klosters, in dem ich erzogen wurde. Ich schließe aber so wenig wie Renan völlig aus, daß in den Millionen Jahren einmal eine überreale Erscheinung stattgefunden haben kann, daß also die Natur göttlich sei. Aber ich habe es nicht gesehen. Es kann auch sein, daß in weiteren Millionen Jahren eine ähnliche Erscheinung sich wiederholt. Das könnte sogar im Bereiche der Naturgesetze bleiben, wie die Schwerkraft, wie der Tod. In späteren Jahren hat sich der Glaube in mir befestigt, daß es eine göttliche Kraft im Universum gäbe.«

– Eine christliche? –

»– Eine göttliche«, wiederholte er mit einer Handbewegung, die meine Frage in der Schwebe ließ. »Die Menschen können Gott in vielen Arten anbeten. Man muß jedem durchaus seine Art überlassen.«

– Gut, sagte ich. Was ich aber nicht verstehen kann, das ist der Ausweg eines Fatalisten aus dem Widerspruch mit seiner Tätigkeit. Der Vater Friedrichs des Großen, ein viel zu gering geschätzter Mann, sagte: »Prädestination! Als ob der Mensch eine Statue wäre!« Welchen Ausweg haben Sie aus dem Dilemma gefunden, das schon die antike Tragödie behandelt: warum soll der Mensch handeln, wenn das Schicksal ihn doch eine vorgesetzte Straße führt? –

Mussolini schien hier gar kein Problem zu sehen, denn er gab mir die männlich-schöne Antwort:

»Man muß mit dem Willen gegen den Fatalismus reagieren. Das ist ein interessanter Kampf. Der Wille muß das Terrain vorbereiten, auf dem das Schicksal sich entfalten soll.«

– Und was bedeutet in diesem Kampf der Ruhm? fragte ich weiter. Ist der Ruhm nicht der stärkste Motor für einen Regierenden? Ist er nicht das einzige Mittel gegen den Tod? Haben Sie ihn nicht seit der Knabenzeit vor sich gesehen und vielleicht Ihr ganzes Werk an ihn geknüpft? –

Mussolini blieb ganz kühl. »Ich habe ihn nicht als Knabe vor mir gesehen, sagte er, und halte ihn nicht für den stärksten Motor. Daß es ein Trost ist, nicht ganz zu sterben, darin haben Sie recht. Ich selber habe mein Werk keineswegs allein auf den Ruhm gegründet. Die Unsterblichkeit ist das Pfand des Ruhms. Aber sie kommt – nachher.« Er macht eine realistische Bewegung in eine unkontrollierbare Ferne.

– Neulich, sagte ich, habe ich hier bei einem Mann an der Wand einen Spruch gelesen, der mich erschütterte: Oltre il destino!

»War das ein Mann, der das Schicksal schon einmal herausgefordert hatte?«

– Allerdings, sagte ich und nannte den Namen eines großen Fliegers. –

»Das ist nicht mein Spruch, sagte Mussolini. Niemand darf das Schicksal zweimal herausfordern. Übrigens stirbt jeder den Tod, der seinem Charakter entspricht.«

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