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Zweiter Teil.
Gespräche über Metamorphosen

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Sozialismus und Nationalismus

Als ich eintrat, sah ich Mussolini in der Ferne ein Zeitungsblatt durchfliegen, und als ich das große Meer durchschwommen hatte und an der Küste seines Schreibtisches auftauchte, löste er ein mit Bildern bedecktes halbes Blatt ab, reichte es mir herüber und sagte in ironischem Tone:

»Hier! Lauter neue Traktoren, keine Kanonen! Bitte!«

Ich sah auf dem Bilde eine Reihe von diesen modernen Elefanten langsam ankommen und sagte:

– Wenn es mir die Leute glauben sollen, daß Sie Bilder von Traktoren verschenken, dann möchten Sie freilich Ihren Namen daruntersetzen. –

Er lächelte, tat es und gab mir das Blatt zur Erinnerung wieder.

– Und doch, sagte ich, scheinen Sie recht für Kanonen geschaffen. Deshalb bezeichneten Sie neulich auch Ihre Jugend als die eines Kommunisten. Ich hielte die paradoxe Entwicklung für möglich, daß Sie, ein Abtrünniger der pazifistischesten Partei, mit steigenden Jahren zwischen lauter Kanonen sich immer mehr den Traktoren zuwenden. Ihr Vorname sollte Sie grade nach dieser Seite ziehen! –

Er sah mich amüsiert und schweigend an, während ich fortfuhr:

– Oder glauben Sie nicht an die magische Macht eines Namens? Sonderbar, daß ein Schmied seinen beiden Söhnen Namen gab, die zwei Empörer in der Geschichte trugen! –

»Meinem Bruder hat es nicht viel genutzt, erwiderte Mussolini. Er hatte nicht die Leidenschaft jenes Arnaldus, nach dem er hieß. Es ist schwer, Revolutionär zu werden. Man wird so geboren.«

– Erkennen Sie, fragte ich wieder, wesentliche Unterschiede im Aufbau des Revolutionärs von einst und von heute? –

»Die Formen sind andere geworden. Eine Bedingung ist immer geblieben: der Mut, und zwar der physische wie der moralische. Im übrigen schafft jede Revolution neue Formen, neue Mythen und Riten: da muß man alte Traditionen benutzen und umwandeln. Neue Feste, Gesten und Formen muß man schaffen, damit die selber wieder Tradition werden. Das Fest der Aëroplane, das wir eingeführt haben, ist heute noch neu. In 50 Jahren wird es die Patina einer Tradition schmücken.«

– Glauben Sie nicht, daß viele junge Leute nur Anarchisten sind, weil ihnen die Gelegenheit fehlt, zu regieren? –

»In jedem Anarchisten steckt ein verfehlter Diktator.«

– Wenn Sie sich selber durch den revolutionären Geist Ihrer Jugend, durch Auflehnung und Originalität erzogen fühlen, warum zwingen Sie heute die Jugend zu Gehorsam und Ordnung und bauen eine neue Bürokratie auf, nachdem Sie sich über die alte lustig gemacht haben? –

»Sie irren, erwiderte er mit vollkommener Ruhe. Zur Zeit unserer Väter hatte die Regierung nicht genug Staatsgefühl. Ferner sind die Aufgaben der Nation heut andere: für ein Maximum von Wirksamkeit braucht man ein Maximum von Ordnung. Wir haben in Italien das verwirklicht, was in der jetzigen Phase realisierbar ist. Mit der Bürokratie mögen Sie recht haben, das ist unabänderlich. Was aber die Ordnung betrifft, so liegen hier historische Notwendigkeiten. Wir befinden uns im Dritten Akt. Jeder Revolutionär wird in einem gewissen Augenblicke konservativ.«

– Dann müßten Sie tolerant werden, wenn Sie sich Ihrer Gefängnisse erinnern und jetzt frühere Freunde als Feinde sehen. –

»Ich habe auch meine Kameraden, soweit sie mich verlassen haben, in Ruhe gelassen.«

– Es muß schwer sein, fuhr ich fort, als Revolutionär, das heißt außerhalb des Gesetzes, sich selber Grenzen zu ziehen. Im Jahre 11 haben Sie als Angeklagter gesagt, die Sabotage müsse einen moralischen Zweck haben; man dürfe Telegraphen zerstören, aber nicht einen neutralen Zug zum Entgleisen bringen. Das hat mir großen Eindruck gemacht. Wo liegen die Grenzen zwischen erlaubter und verbotener Revolution? –

»Die müssen von jedem einzelnen moralisch begriffen und gedeutet werden.«

Ich ergriff die Gelegenheit, um ihn nach seinen letzten Absichten aus jener Zeit zu befragen:

– Wenn Sie nun im Jahre 13 als Aufrührer auf der Piazza in Mailand Erfolg gehabt hätten, was wäre gekommen? –

»Damals? Die Republik«, erwiderte er scharf und rasch, als hätte das Wort nur eine Silbe.

– Wie gehen, fragte ich wieder, diese Ideen mit einem Nationalismus zusammen, der damals in Ihnen schon vollkommen entwickelt schien? –

»Kann man als Republikaner nicht ebenso Nationalist sein wie als Monarchist, – und vielleicht mehr? Ich denke, wir haben Beispiele.«

– Wenn also, sagte ich, der Nationalismus von der Staatsform, ebenfalls von der Klassenfrage unabhängig ist, so muß er sich wohl nach der Rasse richten. Glauben Sie wirklich, daß es noch reine Rassen in Europa gibt, wie gewisse Forscher verbreiten? Daß wirklich die Einheit der Rasse stärkere nationale Kräfte verbürgt? Und sind Sie nicht in Gefahr, daß die Apologeten des Faschismus, wie es Professor X getan hat, denselben Unsinn über das Lateinische verbreiten, wie die nordischen über die »blonde Edelrasse« und dadurch die Kriegsgefühle steigern? –

Mussolini wurde lebhaft, denn in diesem Punkt fühlt er sich, vielleicht durch die Übertreibung gewisser Faschisten, leicht mißverstanden. Schon früher hatte er mir seinen Standpunkt zwischen bestimmten Grenzen abgesteckt. Er sagte:

»Natürlich gibt es keine reine Rasse mehr, nicht einmal die Juden sind unvermischt geblieben. Grade aus glücklichen Mischungen hat sich oft Kraft und Schönheit einer Nation ergeben. Rasse: das ist ein Gefühl, keine Realität, 95 Prozent sind Gefühl. Ich werde nie glauben, daß sich die mehr oder weniger reine Rasse biologisch beweisen läßt. Die Verkünder der germanischen Edelrasse sind komischerweise alle keine Germanen: Gobineau Franzose, Chamberlain Engländer, Woltmann Jude, Lapouge wieder Franzose. Chamberlain hat sich sogar dazu verstiegen, Rom die Hauptstadt des Chaos zu nennen. Entsprechendes wird bei uns nie vorkommen. Der Professor, auf den Sie anspielten, war ein Dichter. Der Nationalstolz braucht durchaus keine Delirien der Rasse.«

– Der beste Beweis gegen den Antisemitismus, sagte ich.

»Antisemitismus existiert nicht in Italien, sagte Mussolini. Die jüdischen Italiener haben sich als Bürger stets bewährt und als Soldaten tapfer geschlagen. Sie sitzen in hervorragenden Stellungen an Universitäten, in der Armee, in den Banken. Eine ganze Reihe sind Generäle: der Kommandant von Sardinien, General Modena, ein General bei der Artillerie.«

– Und doch, sagte ich, arbeiten die Emigranten in Paris öffentlich gegen Sie mit dem Argument, Sie hätten den Eintritt der Juden in die Akademie verboten. –

»Absurd, sagte er. Bisher hatte sich nur keiner dafür gefunden. Jetzt hat Della Seta kandidiert, einer unserer größten Gelehrten, der die Vorgeschichte Italiens geschrieben hat.«

– Sie begegnen sich, sagte ich, in dieser Haltung mit allen großen Männern der Geschichte. Denn auch die in Deutschland verbreitete Version von Bismarcks oder gar Goethes Antisemitismus ist eine Fabel. Die Franzosen haben eine gewisse Anomalie ganz zu Unrecht le vice allemand genannt. Man sollte so den Antisemitismus nennen. –

»Wie erklären Sie ihn?« fragte Mussolini.

– Immer, wenn es den Deutschen schlecht geht, sollen die Juden schuld sein. Und jetzt geht es ihnen besonders schlecht. –

Er sagte:

»Aha! Der Sündenbock!«

Ich kehrte zum vorigen zurück:

– Wenn also weder Rasse noch Staatsform den Nationalismus entscheiden, ist es vielleicht die gemeinsame Sprache? Aber das alte Rom hatte wie alle Imperien eine Menge Sprachen, und auch in der jüngsten Geschichte konnte ich die Vielheit der Sprache nirgends als Quelle der Ohnmacht erkennen. Habsburg ist zwar geschlagen worden, aber die Schweiz blüht. –

»Auch die Einheit der Sprache entscheidet nicht, sagte Mussolini. Österreich ist nicht an der Vielsprachigkeit zugrunde gegangen, sondern an dem Zwang, der so viele eroberte oder ererbte Völker unter einem Szepter festhielt, während sich in der Schweiz drei Teile mit drei Sprachen freiwillig und spontan zusammengeschlossen haben; da dort der dritte Teil an Zahl so gering ist, könnte man auch von zweien reden. Die Schweiz hat sogar die Neutralität grade deshalb aushalten können, weil diese beiden Elemente nach den zwei kriegführenden Parteien tendierten und sich deshalb die Wage hielten. Ich halte die Schweiz für ein sehr wichtiges Glied in der Staatenkette Europas, denn eben durch ihre Mischung kann sie manche Reibung zwischen den beiden großen Rivalen an ihrer Grenze abschwächen.«

– Wenn Sie die verschiedenen Sprachen so wenig stören wie uns, sagte ich, so können Sie auch für keine Weltsprache sein. –

»Es bildet sich eine Art Weltdialekt, erwiderte er, Technik und Sport bilden ihn von selbst. Aber ein Esperanto würde alle Literatur verderben, und was wird aus der Welt ohne Dichtung!«

– Und doch sehe ich hier bedeutende Widersprüche. In Ihrer Jugend haben Sie leidenschaftlich gegen die österreichische Verwaltung geschrieben, die den Tischlern in Bozen verbot, ihr eingeborenes Italienisch zu gebrauchen. »Wenn eine Sprache gewaltsam aufgezwungen wird, so werden wir mit Gewalt antworten.« Dieses Wort, geschrieben von einem Sozialisten, also Weltbürger, ist an nationaler Leidenschaft gar nicht zu überbieten. Warum, frage ich mich und Sie, warum machen Sie es heute nicht besser als damals die Österreicher? Warum avancieren Sie nicht auch in diesem Punkte ins 20. Jahrhundert? –

»Ich tue es, antwortete Mussolini mit voller Ruhe. Ich bemühe mich durchaus, zu avancieren. Die Südtiroler werden nicht gezwungen: 180 000 Deutsche, unter ihnen viele slawische Eingewanderte, so daß die sogenannte Reinheit auch hier nicht feststeht. Wenn wir sie Italienisch lehren, so liegt das in ihrem Interesse als italienische Bürger, die sie sind. Es gibt aber deutsche Zeitungen dort, Zeitschriften, deutsche Theater. Wir tun nichts, um ihnen den Zusammenhang mit der deutschen Abkunft zu rauben. Und wenn sie nicht an der Grenze lebten, sondern im Zentrum, so würden wir sie noch mehr in Ruhe lassen können. Natürlich ist eine einheitliche Sprache auch ein Element der Kraft. Das haben alle Regierungen begriffen und sie deshalb gefordert.«

– Alles neunzehntes Jahrhundert, sagte ich. So, wie die Politik des deutschen Kaiserreichs in Polen und Elsaß ebenso kurzsichtig war wie die polnische und französische heut in denselben Ländern. Man fühlt sich eben nicht sicher! Sie sollen den umgekehrten Fall, nämlich den der Ausgewanderten mit nationaler Leidenschaft behandeln. Erscheint es Ihnen wirklich so wichtig, daß die in Amerika wohnenden Italiener ihre Muttersprache sprechen? Ich habe in Chicago eine solche Gruppe italienisch angesprochen, und sie haben mir englisch geantwortet. –

»Sie irren, erwiderte er. Wir haben als Grundsatz von unseren Landsleuten gefordert, dem Staate treu zu sein, in dem sie leben. Sind sie dort Vollbürger, so zählen sie; gebärden sie sich als Extrabürger, so sind sie Heloten. Seit wir die Politik der Assimilation verfolgen, sind viele geborene Italiener drüben in hohe Stellungen gerückt.«

– Also liegt, so schloß ich, auch in Sprache und Rasse kein unüberwindliches Fatum, das die Völker gegeneinander führt? –

»Fatum! sagte er spöttisch. Von Fatum reden die Staatsmänner immer nur, wenn sie was falsch gemacht haben.«

– Eine vierte Begründung des Nationalismus, so fuhr ich in meiner Analyse fort, habe ich überall in den »historischen Ansprüchen« gefunden. So haben Sie einmal von einer Kolonie gesprochen, die schon zum antiken Rom gehörte. –

»Das war eine literarische Wendung, erwiderte er rasch. Ich sprach von Lybien, wo zu jener Zeit niemand war. Wollte sich eine Regierung in Rom auf das antike Rom beziehen, so müßte er ja Glasgow, Portugal, die Schweiz, Pannonien und so ziemlich Europa zurückfordern!«

Bei solchen Ironien bleibt Mussolini vollkommen ernst, und zwar nicht wie ein guter Erzähler, der seine Pointe nicht durch Lachen verderben will, sondern weil er dergleichen grimmig ernst meint und sich gegen jede Darstellung wehrt, die ihn im Geistigen herabsetzen könnte. Nach einem Übergang, der mir nicht mehr gegenwärtig ist, kam ich auf die physiognomischen Folgen nationaler Erziehung zu sprechen:

– Es scheint, der Faschismus verändert die Gesichter der Italiener. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Goethe sagte, in einem italienischen Antlitz ist der Finger Gottes sichtbarer als in einem deutschen. –

»Das hat eine moralische Ursache, sagte er. Es kommt mehr Spannkraft in die Gesichter. Der Wille zur Bewegung verändert die Züge, natürlich auch Sport und Körpererziehung. Es sieht ja auch ein Handwerker ganz anders aus als ein Fabrikarbeiter.«

– Man hat Ihren Kopf, sagte ich, mit dem Colleoni verglichen. Das ist, wie die meisten Ähnlichkeiten, nur zeitweise richtig. In Italien versteht man unter dem Condottiere eine zweifelhaftere Natur als wir seit Nietzsches Interpretation. Montefeltre war ein Denker. –

»Nietzsche hat recht, sagte Mussolini, indem er vom Persönlichen sich auf die objektive Planke rettete. Die Condottieri waren durchaus nicht brutal. Vielleicht einmal im Leben war so einer ein wildes Tier. Im allgemeinen waren sie nicht wilder als andere: die Zeiten waren es.«

– Gefällt Ihnen der Vergleich? fragte ich. –

Er sah mich mit seinem durchdringenden Blicke an, schob den Unterkiefer vor und schwieg. Jetzt sah er wirklich aus wie der Colleoni.


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