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Dritter Teil.
Gespräche über Probleme der Macht

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Menschenbehandlung

Er war in sein Gleichmaß und seine unerschütterliche Geduld längst zurückgekehrt, als ich ihn anderntags zur gleichen Stunde am gleichen Schreibtisch fand. Ich war indessen im Geiste den Wegen gefolgt, die er inzwischen gemacht haben mochte, und zwar den gewöhnlichen, täglichen. Wenn ich in einem Landhause mit andern zusammen lebte, fragte ich mich zuweilen: was liegt zwischen dem Adieu von gestern abend und dem Guten Tag am heutigen Mittag? Dieselben Mienen, dieselben Kleider, und doch ist jeder von uns einen Tag älter geworden und hat das Gewöhnliche, vielleicht auch etwas Außergewöhnliches inzwischen erlebt. Dieser Mann, der mir nun schon tagelang im selben schwarzen Jackett gegenübersaß, hatte ein vielbewegtes Leben hinter sich und schien mir an diesem langen Tisch in dem Riesensaal auf eine gewisse Weise festgeschraubt, obwohl er sich hundert Bewegungen machte. Das Zufällige, Unerwartete mochte ihm fehlen, denn eine Redaktion mit ihrem Widerspruch und ihren Debatten hat viel mehr Farbe als das Büro eines Ministers.

– Bei allem, was Ihnen die Macht gebracht hat, fing ich deshalb an, muß sie Sie doch auch manches gekostet haben: einen seit Jahren liebgewonnenen Wohnsitz, einen nächtlichen Spaziergang nach großer Erregung, den beständigen Reiz des Opponenten, die schöne Freiheit, ungerecht zu sein. Zugleich begann für Sie die Pflicht der Repräsentation, die Schwierigkeit, sich unsichtbar zu machen. Sie haben einmal, ich glaube, bald nach dem Marsch auf Rom, den schönen Satz geschrieben: »Man kann von einem Zelt in einen Palast eintreten, wenn man bereit ist, wenn nötig, wieder in das Zelt zurückzukehren.« Trotzdem denke ich mir solchen Wechsel der Lebensgewohnheiten bei einem Manne gegen Vierzig schwierig. –

»Er war geringer, als Sie annehmen, sagte Mussolini. In Mailand hatte ich gern gelebt, aber Rom, das ich zuvor doch nur als Gast kannte, hatte den pathetischen Zauber. Der historische Boden, auf dem man wirkt, hat eine magische Kraft. Das Bewußtsein, in Rom zu leben, hat in diesem Jahrzehnt eine Menge Gedanken in mir erzeugt. Wenn ich unsichtbar sein will, umschließt mich der Garten der Villa Torlonia, wo ich wohne, und daß ich dort ein schönes Pferd habe, ist der einzige Vorteil, den die Macht meinem Privatleben verschafft hat. Auch meine Lebensweise habe ich nicht verändert, bin nur noch mäßiger geworden, esse noch vegetarischer als früher, trinke nur sehr selten Wein, leite übrigens aus diesen Gewohnheiten keinerlei Religion oder Moral ab, unterstütze sogar das Weintrinken in Italien. Die Zerstreuungen der Gesellschaft habe ich von Anfang an gemieden, denn wenn ich den ganzen Tag an diesem Tisch mit Menschen gearbeitet habe, so kann ich weder den Abend, an dem ich allein arbeite, hergeben, noch die Nacht, deren Schlaf ich unbedingt brauche. Die Ordnung und Pedanterie, in deren Zucht ich arbeite, hat stets um mich geherrscht, mein Schreibtisch war ebenso eingeteilt in der Redaktion wie hier, und schon damals war mein Tag in hundert kleine Teile geteilt, um möglichst viel hineinzupacken.«

– Das ist Goethische Technik, die Sie entwickeln, warf ich ein. Neulich hat mir ein hiesiger Botschafter für Ihre Arbeitsleistung die entwaffnende Erklärung gegeben: »Der Duce hat's freilich leichter als wir: der braucht nicht in Gesellschaft zu gehen. Da könnte ich auch so viel vor mich bringen!« –

Er lachte und fuhr dann fort: »Ich war durch ein beständig einsames Leben vorbereitet. Ich kann das nicht anders. Nur unter schlechtem Wetter habe ich immer gelitten und suchte mir durch Wechsel der Temperaturen zu helfen. Indessen, darin haben Sie recht, daß die Staatsraison den Menschen enger macht. Aber dafür ist es die Staatsraison!«

– Merkwürdig, sagte ich, auf wieviel Dinge die Macht die Menschen verzichten lehrt. –

»Wie jede Leidenschaft,« sagte er leise.

– Welche Leidenschaft ist stärker? Revolution oder Konstruktion? –

»Beide sind interessant, antwortete er sofort. Hängt auch von der Jahreszeit des Lebens ab, in der man das eine oder das andere macht. Ein Mann von Vierzig oder Fünfzig wird lieber konstruieren wollen, besonders wenn er das andere hinter sich hat.«

– In diesem Sinn, sagte ich, weicht Ihre Laufbahn von den meisten ähnlichen ab. Bismarck oder auch Victor Emanuel hatten ihr Rom nach Jahrzehnten erreicht und damit ihr Hauptwerk beendet. Sie fingen es in jener Stunde an. Um so weniger verstehe ich, warum der Faschismus noch nach zehn Jahren des Aufbaus von seiner dauernden Revolution spricht. Das erinnert an Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution. –

»Hat aber andere Gründe, sagte er. Wir brauchen das Wort, weil es auf die Masse einen mystischen Eindruck macht. Auch auf höhere Geister wirkt es anfeuernd. Es statuiert eine Ausnahme in der Zeit und gibt dem gemeinen Manne das Gefühl, an einer außerordentlichen Bewegung teilzuhaben. In Wirklichkeit begann der Aufbau sofort. Es war zum Beispiel eine schwierige Operation, Tausende von begeisterten Soldaten wieder zu ordentlichen Bürgern zu machen. Revolution kann man zwar ohne Soldaten machen, aber nicht gegen die Soldaten. Sie ist möglich mit einem neutralen Heere, aber nicht gegen ein Heer. Außerdem mußte ich im ersten Jahre 150 000 Faschisten wieder loswerden, um die Partei intensiver zu gestalten. Erst später konnte ich anfangen, eine Elite heranzuziehen, um die Gewalt immer mehr in Ordnung zu verwandeln.«

– Wo fanden Sie dabei den größten Widerstand? Haben Sie den Adel gegen sich gefunden? – Schlägt man solche Themen an, die er hundertmal durchgespielt hat, so hebt er einen Augenblick das Kinn, wie der Dirigent den Stab zum Zeichen, daß er an bestimmter Stelle einsetzen will, und spricht rascher als gewohnt:

»Der Widerstand lag bei den oberen Ständen, aber mit dem Adel ging es ganz gut. Er bildet ja bei uns keine Kaste, wie die preußischen Junker, sondern hält sich ganz populär, der Fürst Colonna unterhält sich mit seinem Kutscher.«

Ich kam auf seine alten Kameraden zu sprechen, wie er sie alle habe befriedigen können, und ob er im allgemeinen tüchtige Männer ohne Stufenleiter avancieren ließe.

»Meine alten Kameraden, sagte er, habe ich in leitende Stellungen gebracht, soweit sie es wert waren. Altersgrenzen gibt es bei uns nicht, weder nach oben noch nach unten, aber die Jugend ist mir im allgemeinen lieber. So habe ich damals hervorragende junge Kräfte mit großer Verantwortung ausgestattet: Grandi, Stefani, Volpi, Gentile und andere hatte ich in ihren Taten beobachtet, im Gespräch geprüft und bin froh, wenn solche Männer initiativ handeln.«

– Solche Männer, sagte ich, können Sie oben leichter übersehen als zwei Stockwerke tiefer. Was tut man aber gegen die Verdächtigung, die einer gegen den andern vor den gemeinsamen Chef bringt? Wie erkennt man mit Sicherheit die Treue oder Untreue eines Beamten? Wie entzieht man sich der eigennützigen Täuschung durch höhere oder niedere Beamte? Und wie durchschaut man die geheimen Absichten einer neu auftretenden Person? –

Mussolini drehte sich in seinem Sessel hin und her, denn nach ein paar Stunden voll von Konferenzen mag ihm das Sitzen doch manchmal schwer werden, und doch ist er während unserer Gespräche niemals aufgestanden, um herumzugehen. Jetzt sah ich, wie er zugleich im Kopfe mein Bündel Fragen zerlegte und in Ordnung vor sich aufreihte, bevor er erwiderte:

»An diesem Schreibtisch stehen zwei Stühle einander gegenüber, auf deren einem Sie sitzen. Da lasse ich zwei streitende Beamte sitzen und vor mir ihre Beschwerden entwickeln, von mir gleich weit entfernt, während sie einander ins Auge sehen müssen. Tritt Verdacht auf gegen einen Beamten des Staates oder der Partei, so lasse ich ihn sich hier an diesem Tisch verteidigen, wenn der Fall leicht ist. Ist der Fall schwer, so muß er schreiben. Zuweilen beobachte ich auch das Privatleben, die Handschrift, immer aber die Physiognomie meiner Leute, um Schlüsse auf ihre Zuverlässigkeit zu ziehen. Mit Geduld zuhören, mit Gerechtigkeit handeln, das ist hierin mein Motto. Vor einer neuen Person, die eintritt, frage ich mich nicht zuerst, was kann sie mir nützen, sondern welchen Nutzen sucht sie bei mir.«

Ich fragte, wie er sich vor gefälschten Angaben schütze und vor Verrat von Geheimnissen.

»Die meisten Behörden im Lande, sagte er, sind mit tüchtigen Faschisten besetzt. Was sie nicht schon aus Treue tun, das tun sie aus Furcht, denn sie wissen, sie werden kontrolliert. Verrat wird furchtbar bestraft, ist aber äußerst selten, denn gewisse Schriftstücke lasse ich nur in ganz wenige Hände gelangen.«

– Und wie schützen Sie sich vor den gefährlichsten Leuten in der modernen Welt, vor den Sachverständigen? –

»Von denen, sagte er, lasse ich meistens zwei mit verschiedenen Projekten auf diesen Stühlen Platz nehmen. Natürlich besteht die Gefahr, daß der Bank- oder der Armee-Experte den Chef der Regierung vor Entscheidungen stellt, deren Grundlagen ihm fehlen. Da hilft nichts, als sich selber in die Materie vertiefen und sie allmählich zu beherrschen suchen. Äußerlich wird dieser ganze Verkehr durch Schnelligkeit erleichtert. Alle formellen Dummheiten, alle literarische Bürokratie habe ich am ersten Tage abgeschafft.« Er reichte mir ein Aktenstück herüber. »Hier sehen Sie einen Bericht vom Ackerbauminister und meine Bemerkung, mit der ich ihn zur Überprüfung zurücksende. Auch das Händeschütteln hat bei uns aufgehört, der römische Gruß ist hygienischer, ästhetischer und kürzer.«

Nach diesen äußeren Einzelheiten ging ich auf die psychologischen über und fragte:

– Wie lassen sich die Leute fangen: mehr durch die Ehre oder mehr durch das Geld? Durch Lob oder Forderung? Durch Gewalt oder Überlegung? Und ist es schließlich dem Oberhaupt überhaupt möglich, in einem Lande ohne Pressefreiheit die allgemeine Stimmung im Lande zu erforschen, zu erfahren? –

Auf die letzte Frage hin zog er die Brauen zusammen und sah mich mißtrauisch an, als überlegte er, wer mir diese verfängliche Frage eingegeben haben könnte. Das dauert bei ihm nur eine oder zwei Sekunden. Wem er vollkommene Freiheit der Rede zugesichert hat, der hat es leicht, diesem Blick standzuhalten, worauf sich seine Stirn aufklärt und er eine ruhige Antwort gibt.

»Ich habe die Menschen mehr durch Ehre und Überredung gewonnen, als durch Geld und Gewalt. Ich lobe mit Maß, denn Lob treibt zwar die Menschen an, doch erschöpft sich leicht seine Wirkung. Die Wahrheit liegt in jedem Lande immer auf dem Grunde eines Brunnens. Den muß man ausloten und sehen, wie tief er ist. Ich bestreite aber, daß das bei Freiheit der Presse leichter sei, ja daß es eine solche überhaupt gibt. Vielmehr gehorcht sie heutzutage überall wirtschaftlichen oder politischen Interessengruppen. Ich habe mehrere Quellen der Information: Präfekten, Minister, private Bürger. So kommt die Wahrheit vielleicht langsamer, aber schließlich doch heraus.«

– Die ganze? – warf ich ein.

»Die ganze Wahrheit erfährt doch niemand, fuhr er fort. Für die allgemeine Stimmung haben wir eine Menge von Anzeichen. Vor allem pflege ich das in mir, was ich den Sechsten Sinn nenne. Es ist undefinierbar.«

– Und doch, sagte ich, zeigen manche Fälle, wie langsam die Wahrheit zuweilen bis zu Ihnen gelangt. Sie haben die Integrität der Beamten als eine Grundlage des Staatslebens bezeichnet. In Rußland werden Fälle der Korruption aufgedeckt. Halten Sie solche öffentliche Prozesse nicht für nützlich? Und wie stellen Sie sich zu der russischen Sitte, die Minister wie im Platonischen Staate so niedrig wie möglich zu bezahlen? –

»Unsere Minister, erwiderte Mussolini, bekommen 3-4000 Lire im Monat, also weniger als in den meisten demokratischen Ländern. Mißbräuche unter Beamten werden genau so streng und öffentlich bestraft wie in Rußland. Ein Faschist bringt sich in solcher Lage um. Der Parteisekretär in Livorno erschoß sich, weil er Gelder veruntreut hatte. Der Podestà von San Remo erschoß sich in den Katakomben, der Direktor des Genio Civile von Neapel stürzte sich ins Meer, und beide nur, weil sie vor mich geladen worden waren, ohne schuldig zu sein. Was ich über Korruption in Demokratien lese, ist sicher nicht geringer. Es gibt keine Staatsform, die die menschlichen Schwächen ausrottet.«

Ich kehrte zu ihm zurück und fragte ihn, wie er mit seiner Menschenkenntnis sich selber behandle:

– Denn obwohl Sie sich als einen synthetischen Geist bezeichnen, sind Sie vorher ein analytischer, ein Verhältnis, das überall wiederkehrt. Deshalb nehme ich an, daß Sie viel mit den Gedanken Ihrer Gegner denken. Was tun Sie aber, wenn Sie sich geirrt haben? Ist es wichtiger, sich öffentlich zu verbessern oder den Schein der Unfehlbarkeit zu bewahren? Bismarck sagte, in gewissen Lagen muß der Staatsmann den Mut haben, zu sagen: »Morgen wird es regnen. Hat er richtig geraten, so ist er ein großer Mann.« –

»Bei uns gibt es keine Unfehlbarkeit, sagte Mussolini. Ich irre mich zwanzigmal und sage es. Die Lage ändert sich durch den Druck der Umstände beständig, auch wenn man sich noch so sehr in Aktion und Reaktion des Gegners hineingedacht hat.«

– Und haben Sie, fragte ich, bei diesem Spiel im allgemeinen den Menschen mehr verheimlichen können oder die Menschen Ihnen? –

Er nahm den Bleistift und zeichnete auf ein Blatt eine Figur mit ihrem Schatten; dabei sagte er mehr für sich:

»Es bleibt immer ein X. Das ist der Schattenkegel.«

Er saß dabei mit geneigtem Kopf im Schein der Lampe, hielt die Spitze des akkurat gespitzten Bleistiftes an einer Ecke seiner Zeichnung fest, wie jemand, der in allem Ordnung hält, zerknüllte auch nicht, wie viele nach solchen Abweichungen tun, das Papier, legte es nur fort und sah mich von unten herauf mit jenem forschenden Blicke an, den Homer ὑπόδρα ἰδών nennt. Immer, wenn er nur ein wenig von seinem Innenleben preisgab, lenkt Mussolini ab, oder im Falle unserer Gespräche, deren Direktion er mir überließ, erwartete er eine neue Frage, wie diese:

– Warum brauchen Sie, – auch Sie die Formel: »Das Wort Unmöglich gibt es nicht?« Sie wissen es doch besser! –

»Wenn man den Leuten das nicht einhämmert, sagte er, so schlafen sie ein und sagen auch bei einfachen Sachen, sie seien unmöglich.«

– Und doch, sagte ich, erscheint mir das nur als argumentum ad feminam verwendbar. –

»Gibts nicht! rief er lebhaft aus. Es gibt keinen Einfluß der Frauen auf starke Männer.«

Ich kam auf seine eigne Hygiene im Umgang mit Menschen zurück und fragte ihn, wie er die tägliche Aufregung methodisch bekämpfe; auch, ob er sich nachts wecken lasse.

»Gegen Aufregungen, sagte er, schütze ich mich durch Hungern. Wecken lasse ich mich nur bei schlechten Nachrichten, die guten haben Zeit bis morgen früh. An drei Male in 10 Jahren entsinne ich mich: beim Brande des römischen Postamtes, bei der Ermordung unserer Kommission in Albanien und bei der Erkrankung der Königin-Mutter.«

– Haben Sie Umstände und Stunden beobachtet, in denen Sie mehr als in anderen produktiv sind? –

»Ich gehe, sagte er. Manchmal gehe ich in meinem Zimmer zwei Stunden auf und ab, bis ich zu einem Entschlusse komme oder zu einer Formulierung. Einfälle kommen mir am besten abends. Gegen Mitternacht. Wann hat man denn aber Einfälle? Ein Mann in meiner Lage muß vielmehr, mindestens einmal in der Woche dumm sein – oder sich doch stellen, als wäre ers. An solchen Tagen erfahre ich viele Dinge. Inspiration? Die hat man günstigenfalls zweimal im Jahre.«


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