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Auf dem Wege zur Macht

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Bleich und mißmutig saß Mussolini unter seiner Lampe, er raschelte mit der Zeitung, als ich meine 20 Meter lange Wanderung von der Pforte bis zu ihm abschloß; neben ihm, auf dem sonst immer spiegelblanken Schreibtisch lag ein dickes Aktenstück. Da ich außerdem wußte, daß die beiden Herren, die ihn vor einer Minute verlassen hatten, Direktoren einer Großbank waren, so sagte ich:

– Sie sind heute müde. Wollen Sie's lieber verschieben? –

»Ich habe die Bilanz der Banca di Roma durchgehen müssen,« sagte er und stützte den Kopf ein. »Reden wir weiter. Das wird mich erfrischen.«

Seine Anstrengung drückte sich im folgenden darin aus, daß er ungewöhnlich kurze, scharfe Antworten gab. Ich fragte:

– Hatten Sie solche Momente der Ermüdung, der Verzweiflung nicht manchmal im Kriege? Sie sprechen in Ihren Artikeln, besonders nachher so bitter von Brüderlichkeit, daß ich eine Enttäuschung über alles Geschehene herauslese, auch über den Sieg. Einmal schrieben Sie ungefähr: der Keim der Dekadenz steckt schon in einer siegreichen Nation. Das ist beinah zu philosophisch, um von einem aktiven Manne zu stammen. –

Er zog den Mund herunter und sah mich mit einem leeren Blicke an, als er erwiderte:

»Mußte man nicht manchmal müde werden, als diese Dekadenz Jahre nach dem Siege anhielt? Jedes Volk hatte heldenhafte Anstrengungen gemacht. Aber uns schien, als entginge uns der Preis.«

– Daß Sie sich in Paris betrogen fühlten, läßt sich begreifen, sagte ich. Aber warum sprechen Sie und die Ihrigen von einem Fiume »sacrificato«, nur weil es Ihre Freunde von gestern, die Alliierten festhielten? Einer, der damals im Vordergrunde stand, sagte mir, Fiume wäre erst durch das Plebiszit in die Debatte geworfen worden und habe damals Orlando, diesen Parlamentarier par excellence, magisch angezogen, nur weil es ein populäres Stichwort war. Warum wurde Fiume gleich nach dem Kriege heilig gesprochen, als wäre es eine Stadt italienischer Geschichte und Kultur wie Florenz oder Bologna? –

Er sah noch immer dumpf vor sich hin und sagte:

»Das war durchaus kein parlamentarischer Trick. Fiume war eine italienische Stadt, uns teuer wie jede andere. Dort waren Irredentisten wie in Triest und Trient, die zu uns wollten.«

Ich sprach von den vielen Fiumanern, die in Wahrheit d'Annunzio abgelehnt haben sollen.

»Er ist vom Volke vergöttert worden! Natürlich wird eine solche Lage nach 12 Monaten drückend. Aber es besteht kein Zweifel, daß wir Fiume d'Annunzio verdanken.«

Er sagte das kurz, dumpf, ohne innere Bewegung, als eine bloße historische Wahrheit, die man anerkennen muß. Ich kam auf den Frieden zu sprechen, zitierte einige Urteile aus dem Kreise der damaligen Delegierten und fragte dann:

– Halten Sie Italiens Verluste auf der Friedenskonferenz für eine persönliche Schuld Orlandos? Liegt es vielleicht in seinem Charakter begründet? Wenn man gewisse Faschisten hört, so glaubt man, er wäre der letzte der Menschen. –

»Die diplomatische Lage war schwach. Auch andere wären in Paris vielleicht gescheitert.«

– Warum also diese allgemeine Verbitterung? fragte ich wieder. Wenn wir die Reihe der Sieger historisch betrachten, so scheint uns Italien das einzige Land, das seinen Spezialfeind nicht bloß geschlagen, sondern aufgelöst hat. –

»Wissen wir.«

Als ich sah, daß ich so nicht weiterkam, lenkte ich auf die Sozialisten jener Epoche über, um ihn zu reizen:

– Eigentlich geht es Ihnen persönlich nicht anders, sagte ich. Auch Sie sind der einzige, der seinen Spezialfeind aufgelöst hat. Aber was beweist es gegen das System, wenn die sozialistischen Führer und Massen in den Jahren 18-21 sich schwach erwiesen? Gab es nicht auch unfähige Generale bei Ihnen, und doch haben Ihre Truppen gesiegt? –

»Einzelne. Aber dort war es doch eine Masse!«

– Und diese Masse war nur mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen? Die Verbrennung des Avanti, die Zerstörung der Telegraphen, war das nicht russische Taktik? –

»Große Ähnlichkeit. Unsere Taktik war russisch.«

Mit dieser militärischen Art von Antworten, die ihm sonst fremd ist, wollte er heute seine Abspannung überwinden, vielleicht auch dem militärischen Gegenstand entsprechen. Eine neue Form der Antwort, dachte ich: durch ihre Kürze nur noch entschiedener. Ich suchte einen Übergang und fragte dann:

– Wollten Sie wirklich im Jahre 21 auf die Führung Ihrer jungen Partei verzichten? –

»Nein, sagte er, noch immer grollend und kurz wie zuvor. Ich forderte, sie sollen meine Ideen annehmen, oder ich ginge. Es galt aus einer Masse eine Partei zu machen.«

– Warum warteten Sie damals noch ein Jahr, während viele Ihrer Leute losschlagen wollten? –

»Wäre ein Irrtum gewesen.«

– Damals, sagte ich, sollen Sie nach dem Bericht eines meiner Freunde bei Ihrem Besuch in der Wilhelmstraße gesagt haben: ›Zur Zeit gibt es nur zwei Kräfte in Italien, ich und der König.‹ –

»Stimmt.«

– Als Sie dann, fragte ich weiter, im Herbst 22 dem Ministerium Facta Ihre Bedingungen sandten, waren Sie sicher, daß er ablehnen würde? –

»Sicher. Wollte Zeit gewinnen.«

– Was halten Sie eigentlich davon, daß Generäle, so wie die vier, die den Marsch auf Rom ausführten, ihren Eid brechen und Revolution machen, um sich einer neuen Unternehmung anzuschließen? –

»In gewissen historischen Krisen kann das geschehen.«

– Ihre Proklamation war schon vorher gedruckt. Hatten Sie nicht das Gefühl, dem Schicksal vorzugreifen? –

»Kein Augenblick war zu verlieren.«

– Wie erklären Sie sich den Mangel an Widerstand beim Marsch auf Rom? Dasselbe Schauspiel wie bei uns am 9. November. –

»Dieselben Gründe: veraltetes System.«

– Es heißt, der König hatte den Belagerungszustand schon unterschrieben? –

»Ja.«

– Waren Sie, wenn er dabei geblieben wäre, im Falle des Widerstandes Ihres Sieges sicher? –

»Hatte das Po-Tal in Händen, in dem die Geschicke Italiens immer entschieden werden.«

– Wie konnten Sie, ein Soldat, in den letzten Wochen so weit vom Zentrum der Aktion es aushalten? –

»Ich habe in Mailand befehligt.«

– Als Sie dann das Telegramm des Königs erhielten, die Regierung zu übernehmen, fragte ich weiter, waren Sie überrascht oder hatten Sie das erwartet? –

»Erwartet.«

– Waren Sie auf der Reise nach Rom in der Stimmung eines Künstlers, der sein Werk beginnt, oder eines Propheten, der berufen wird? –

»Künstler.«

Jetzt war er mir doch zu einsilbig geworden, und so griff ich, um ihn aufzumuntern, zu einer Anekdote:

– Entsinnen Sie sich, was Napoleon zu seinem Bruder sagte, als er nach dem Staatsstreich in die Tuilerien einzog? »So. Da wären wir. Nun kommt es darauf an, hier zu bleiben«. –

Diese Geschichte war ganz nach seinem Sinn: Mussolini fühlte sich getroffen, lachte: mit einem Male war der Bann gebrochen, den die Bankdirektoren auf seine Nerven geübt hatten. Sogleich kehrte er zu seiner, in Formulierungen und Stimme ausgedrückten Serenität zurück, und als ich ihn nach seinen innerlichen Vorbereitungen zur Führerrolle fragte, schob er die dicke Bilanz an die Ecke des Tisches, legte die Arme auf die Platte und erzählte:

»In der Hauptlinie hatte ich mich vorbereitet, nicht im Detail. Zuerst überstürzten sich die Aufgaben. In 48 Stunden hatte ich 52 000 revolutionäre Soldaten aus der Hauptstadt abzuschieben und diesen aufgeregten Jünglingen jeden Zugriff zu verbieten. In diesen ersten Tagen mußte ich alle Entscheidungen treffen, um die Maschine anzutreiben. Dabei fehlte mir die Kenntnis vom Mechanismus der Verwaltung. Einige hohe Beamten schickte ich gleich weg, aber viele behielt ich. Was Sie die ›Geheimräte‹ nennen, das mußte sofort, in der ersten Woche zur Überzeugung kommen, daß mit uns nicht zu spaßen war. Eben zuerst mußten wir uns diesen gefährlichen Organen anvertrauen.«

– Grade dies Faktum, sagte ich, hat unserer deutschen Revolution den Funken geraubt: die alten Geheimräte waren stärker als die neuen Führer und betrogen sie. Aber wie fängt man eine neue Regierung an: wie eine Statue oder wie ein Haus im Walde, wo man zuerst eine Menge Bäume fällt, um Platz zu schaffen? –

»Das ist interessant, sagte er und wurde lebhaft. Die meisten Revolutionen fangen mit 100 Prozent an, dann zieht sich der neue Geist mehr zurück, vermischt sich mit dem alten, in vielen Punkten wird nachgegeben, und bald ist man auf 50 Prozent oder weniger angelangt.«

– Der Fall Deutschland, warf ich ein. –

»Wir haben es umgekehrt gemacht, fuhr er fort. Ich habe mit 50 Prozent angefangen. Warum? Weil die Geschichte mir gezeigt hatte, daß der Mut der meisten Revolutionäre nach dem ersten Ansturme verbraust. Ich habe mit einer Koalition angefangen und erst nach 6 Monaten die Katholiken weggeschickt. In andern Ländern sind die Revolutionäre allmählich nachgiebig geworden, bei uns mit jedem Jahre immer schroffer und entschiedener. Erst voriges Jahr haben zum Beispiel die Professoren den Eid geleistet. Ich habe die Demokraten genommen, wie ich sie fand, habe den Sozialisten die Möglichkeit zur Teilnahme an der Regierung gegeben. Turati, der gestern gestorben ist, hätte es vielleicht gemacht, aber die Baldesi e tutti quanti ließen sich wieder einmal die besten Gelegenheiten aus Starrsinn entgehen. Da ich eine völlige Erneuerung der Nation vorhatte, mußte ich sie langsam daran gewöhnen und ihre starken Kräfte benutzen. Die Russen konnten es anders machen, die fanden einen leeren Platz vor und konnten ihn vollends ausrotten, um das Haus im Walde zu bauen. Wo aber wären wir heute, wenn ich erst alles niedergerissen hätte!«

Er war lebhaft geworden, alle Müdigkeit war fort.

– Ihre Feinde haben Ihnen geholfen, sagte ich, indem sie aus dem Parlament auswanderten. Haben Sie das damals vielleicht gewollt? –

»Natürlich! rief er aus. Die haben sich auf den Aventino zurückgezogen, und das ist ein Hügel, der allen Unglück bringt, die hinaufgehen.«

– Und haben Sie, fragte ich weiter, bei Ihrer Revolution im crescendo zuerst oder später mehr guten Willen und Talent gefunden? –

»Später. Heut ist doch der Glaube da!«

– Haben Sie das vorausgewußt? Sind Sie mit der Idee gekommen, zehn Jahre oder länger an diesem Tische zu sitzen? –

Er machte sein ironisches Gesicht, bei dem er die Augäpfel rollen läßt, als wollte er Furcht erregen, dabei aber lacht, um diese gleich zu verscheuchen. Dann sagte er leise, indem er einen geheimnisvollen Ton ironisierte:

»Ich bin gekommen, um so lange wie möglich zu bleiben.«


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