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Innerer Aufbau

Das kleine offene Flugzeug senkte sich bis auf hundert Meter, als es über den Pontinischen Sümpfen schwebte, und der Pilot umschrieb mir in der stummen Sprache der Flieger mit der Hand das Terrain, das schon entwässert war. In großartigen Arbeiten wird jetzt hier vollendet, was seit zwei Jahrtausenden erst die Römer, dann die Päpste vergebens versucht haben. Ein Areal von tausenden von Quadratkilometern, in dem bis heute niemand leben konnte, wo nur die am Rande des Gebirgs wohnenden Jäger einige Monate lang ein Nomadendasein der Vogeljagd widmeten, wird nun dem menschlichen Leben eröffnet, und in zehn Jahren werden Hunderttausende dort leben, wo heute die Malaria alles vertreibt. Das alles lag wie auf einer Karte unter mir ausgebreitet, von oben sah ich die parallelen Linien der neuen Ackerfurchen, erkannte den Zug der Haupt- und Seitenkanäle und wie sie sich bis zum Meere hinziehen, um dorthin das Sumpfwasser abzuleiten.

Als ich denselben Landstrich bald darauf bei einem Ausflug Mussolinis mitten im Trubel hunderter von Faschisten im Auto wiedersah, verstand ich weniger davon, als bei jener summarischen Schau aus der Luft.

Ich hatte ihm vorher von meinem Flug erzählt und ihm den Schluß des Faust mitgebracht, wo der sterbende Hundertjährige sagt:

»Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
verpestet alles schon Errungene;
den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
das letzte wär' das Höchsterrungene.
Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.«

Da Mussolini den Sinn für die symbolische Tat nie verliert, worin ich stets das Zeichen des bedeutenden Geistes erblicke, so war er von jener überraschenden Parallele mit Faust ergriffen und las die deutschen Verse langsam vor.

Als wir dann bei jenem Ausflug nach den Sümpfen an eine Stelle kamen, wo 70 Traktoren in zwei Reihen aufgestellt waren, um nach zwei Richtungen hin auf ein Zeichen loszugehen und die tausendjährige Erde zum ersten Male durchzupflügen, ließ er mich zu sich rufen, wies auf die Arbeit der Traktoren und sagte:

.

»Da haben Sie den hundertjährigen Faust!«

– Jeder Traktor kostet weniger als eine Kanone, erwiderte ich trocken. –

»Weniger als ein Schuß«, sagte er, um mich zu überbieten und lachte.

Dies war der beste Moment des ganzen Ausfluges. In einem zweiten sah ich ihn die äußere Treppe eines kleinen Verwaltungsgebäudes heraufsteigen, stehenbleiben und lange schweigend von oben bis unten einen dort angeschlagenen Tarif der Maurer durchstudieren. In diesem Augenblick war die Verbindung zwischen seiner Jugend als Maurer und seiner Gegenwart als Landesvater symbolisch und zugleich sichtbar hergestellt.

Als wir uns am Abend desselben Tages an dem großen Tische wieder gegenübersaßen, aus dem Lärm mit allzuviel Photographen zurückgekehrt in die Stille dieses hohen Raumes, knüpfte ich an das eben Gesehene an und sagte:

– Entsinnen Sie sich der Schätze, die Napoleon auf St. Helena als das faktische Resultat seines Lebens aufzählt? Da nennt er die Dämme und Kanäle, die Häfen und Straßen, die Fabriken und Wohnstätten alle mit Namen, eine Liste, eine ganze Seite lang, – und die Namen der Schlachten verschwinden hinter diesen großartigen Werken einer gesammelten Humanität. Sind es nicht diese Dinge, die auch Ihnen am meisten Genugtuung bereiten? Und hatten Sie schon früher den Wunsch, solcherart aufzubauen? –

»Seit Jahrzehnten«, sagte er leise.

– Bei solchen Bekenntnissen, sagte ich, erschreckt mich der faschistische Ruf nach mehr Raum etwas weniger. Ich habe mir nie vorstellen können, daß grade Sie das Glück einer Nation in der Größe seines Territoriums sehen. Um so weniger begreife ich, wie Sie in einem zu engen Lande Prämien auf die Geburt von vielen Kindern setzen können. Vielmehr scheint mir der Malthusianismus hier besser angebracht als irgendwo. –

Mussolini wurde plötzlich böse; ich habe ihn weder vorher noch nachher aus seiner Ruhe geraten sehen. Auf gänzlich ungewohnte Art warf er mir seine Argumente an den Kopf und sprach doppelt so schnell wie sonst, als er in entschiedenem Tone erwiderte:

»Malthus! das ist ökonomisch ein Irrtum und moralisch ein Verbrechen! Die Verminderung der Volkszahl bringt das Elend mit sich! Italien war mit 16 Millionen Einwohnern ärmer als heute mit 42. Diese 42 Millionen stehen heute weit besser da, als die Hälfte davon, die unter dem Papste, unter Venedig oder Neapel lebten: elend und ungebildet, wie sie waren! Vor 30 Jahren habe ich das bei uns zu Hause erlebt! Die Industrie hat die Bildung gefördert, die Kapazität ist ins tausendfache gestiegen!«

– In allen Ländern, sagte ich. Und was die Stärke der Nation betrifft, so hat doch Frankreich mit seinem Zwei-Kinder-System gezeigt, was es kann, wenn es muß. –

»Frankreich beweist gar nichts!« rief er lebhaft, und ich hörte seinem Eifer an, daß er meinen naheliegenden Einwurf oft gehört hatte. »Wäre nicht die halbe Welt gekommen, um Frankreich zu helfen, so wäre es kaputt gegangen. Und dann hören Sie! Hätte Frankreich 55 Millionen Einwohner im Jahre 14 gehabt statt 35, so hätte Deutschland keinen Krieg gemacht!«

– Mit diesen Gedanken, denen ich nicht folgen kann, sagte ich, verstehe ich auch, daß Sie die Abtreibung verfolgen, was uns ganz fremd ist. –

Sein Furor hatte sich nicht gelegt, als er mir sogleich zurückrief: »Die Russen können sich andere Gesetze leisten. Denen kann es gleich sein, ob sie 3 Millionen Zuwachs jährlich haben oder 5 oder nur eine. Aber das ist eine Verringerung der Nationalkraft! Wenn ich das freigeben würde, da wäre ja bald alles privat! In diesem Punkte sind wir und die Russen Antipoden.«

– Da halte ich es mit den Russen, sagte ich. Die stellen die Frau dem Mann im öffentlichen Leben gleich. –

Das schien noch gefehlt zu haben, um ihn in Harnisch zu bringen. Sein Ton wurde nur noch hartnäckiger:

»Die Frau hat passiv zu sein! rief er lebhaft. Sie ist analytisch, nicht synthetisch. Hat sie in all den Jahrhunderten Architektur gemacht? Baue mir eine Hütte, nicht einen Tempel, sagen Sie ihr. Sie kann es nicht. Sie ist der Architektur fremd, der Synthese aller Künste: das ist ein Symbol ihres Schicksals! Meine Idee von ihrer Rolle im Staate steht jedem Feminismus entgegen. Natürlich soll sie keine Sklavin sein, aber wenn ich ihnen das Stimmrecht gäbe, würden sie mich auslachen. In unserem Staate darf sie nicht zählen. In England gibt es 3 Millionen Frauen mehr als Männer, bei uns sind die Zahlen gleich. Wissen Sie, wo die Angelsachsen enden können? Im Matriarchat!«

Da er in diesem Punkte doch nicht mit sich reden ließ, ging ich auf eine Einzelfrage über:

– Tut nun der faschistische Staat wenigstens dasselbe für die Mutter des unehelichen Kindes wie für die legitime Frau? –

»Wir tun für die Mutter mehr als irgendein Staat Europas. Ob die Mutter die Frau oder bloß die Freundin des Erzeugers war, darum können wir uns nicht kümmern. Darin weichen wir von der Kirche ab. Sie hat ihre eigne Philosophie, ihre Doktrin, ihre Welt.«

Da diese Punkte bei ihm vollkommen feststehen, kam ich lieber auf das kürzlich zum Thema Rußland Gesprochene zurück und fragte ihn, ob es wahr wäre, daß er in die Carta del Lavoro selber den Zusatz geschrieben habe, die private Initiative sei für die Produktion das stärkste und nützlichste Mittel.

»Stimmt, sagte er, merklich beruhigt. Ich habe aber auch statuiert, wo sie nicht funktioniert, da greift der Staat ein. Die Carta del Lavoro steht bereits außerhalb des Kapitalismus.«

– Sie haben die Balilla Ihr Lieblingskind genannt. Ist diese Erziehung keine Gefahr für die Familie? Und wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Ihrer und der Erziehung der Kinder durch die Sowjets? –

»Wir erziehen sie nach der Idee der Nation, sagte er, jene nach der Idee der Klasse. Das Ende ist gleich: wir beide stellen das Individuum in das Staatsganze ein, das der Familie vorgeht. Aus diesen Kindern suche ich allmählich durch immer feinere Auswahl eine Elite zu bilden.«

– Dann müßten Sie die besten Kräfte der Nation zum Lehramt heranziehen, sagte ich. Hätte ich einen Staat zu leiten, so würde ich die höchsten Gehälter den Schullehrern zahlen, um die besten Geister anzulocken, denn sie halten die Zukunft in Händen. –

»Unsere Lehrer, sagte er, sind zehnmal so hoch bezahlt, wie ich vor 30 Jahren als Lehrer bezahlt worden bin.«

– Ich las, sagte ich, daß Pelizzi über die Gefahren des Gehorsams geschrieben hat und daß Sie, wie ich glaube, dies abgelehnt haben. –

»Nur in dem Sinn, sagte er, daß Kinder und Soldaten verstehen sollen, was ihnen befohlen wird. Der Befehl darf nicht absurd sein. Sie müssen fühlen, wie vernünftig er ist. Überall ist die Interpretation die Hauptsache, nicht das Gebot. Das Gesetz hat immer etwas kaltes, kadaverhaftes. Die Praxis ist eine menschliche Sache, differenziert, nuancenreich. Die Gesetze bilden nur einen Teil davon und nicht einmal den wichtigsten.«

– Sie haben tausendmal die Möglichkeit, einzelne Fälle zu prüfen oder eine Prüfung zu befehlen. Das war das beste, was Friedrich der Große im Alter getan hat. –

»Vor drei Jahren habe ich diese Fälle ziffernmäßig feststellen lassen. Da waren es in 7 Regierungsjahren 1½ Millionen einzelner Fälle, die hier durchgegangen sind.«


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