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Erster Teil.
Aus der Schule eines Regierenden

Einleitung

Das Dokument

Die folgenden Gespräche wurden vom 23. März bis zum 4. April 1932, fast täglich etwa eine Stunde lang, im Palazzo Venezia zu Rom in italienischer Sprache geführt und sogleich darauf deutsch von mir niedergeschrieben; nur wenige Sätze sind aus meinen früheren Gesprächen eingefügt worden. Das deutsche Manuskript wurde Mussolini vorgelegt und von ihm an allen Stellen, die ihn selber redend einführen, nach seinem Gedächtnis nachgeprüft. Seine eigenhändigen Abänderungen bestehen in dem ganzen, mir wieder vorliegenden Manuskript in 18 Worten und in der Streichung einiger Sätze. Dieser ins Italienische zurückübersetzte Text wurde ihm gleichfalls zur Durchsicht vorgelegt. Der deutsche dient gegenwärtig zur Grundlage für alle Übersetzungen.

Von fremdem Material wurde nichts benutzt; doch bin ich Margherita Sarfatti für manche Anregungen aus ihrer Biographie verbunden. Es finden sich im folgenden auch keine Anekdoten, von denen Rom erfüllt ist, noch Mitteilungen seiner Mitarbeiter, die aufschlußreiche Züge erzählen. Die Gespräche enthalten nur das, was gesprochen wurde.

 

Über den Parteien

Das Mißtrauen gegen den Diktator lebte in mir bis vor etwa fünf Jahren. Manche italienischen Freunde waren Gegner des Regimes, und wenn ich durch Italien fuhr, blinkten mir Uniformen, Fahnen und Embleme entgegen, deren Glanz ich in Deutschland endlich im Westen untergehen sah, während eine neue Morgenröte im Osten ihre Wiederkehr erschreckend schnell ankündigte.

Drei Umstände veränderten meine Anschauung. Die Begriffe Demokratie und Parlamentarismus fingen an zu vernebeln, Zwischenformen schoben sich vor, das politische Leben in den überkommenen Formen wurde von innen ausgehöhlt, bedeutende Männer fehlten. Zugleich sah ich in Moskau und in Rom großartige Dinge materieller Art sich erheben, das heißt, ich erkannte die konstruktive Seite dieser beiden Diktaturen. Drittens führten mich psychologische Erwägungen zu der Annahme, daß der römische Staatsmann trotz mancher Reden wahrscheinlich keine Kriegspläne hege.

Entscheidender als diese Gedanken wirkte die Beobachtung der Persönlichkeit. Als ich gewisse Züge zu erkennen glaubte, die mich an Nietzsches Ideenwelt erinnerten, löste ich ihn im Kopfe von seiner Bewegung ab und fing an, ihn als besonderes Phänomen zu betrachten, wie ich dies mit Männern der Geschichte immer getan.

Das Lächeln der Realpolitiker verwirrte mich so wenig wie der Groll der Parteimenschen meiner Kreise. Der kleinste Charakterzug ist mir zur Erkenntnis eines Menschen wichtiger als die größte seiner Reden, und wenn es sich um einen omnipotenten Staatsmann handelt, führt dieser Zug mich auch der Prognose seiner künftigen Taten um einen Schritt näher. Tages- und Parteipolitik, das heißt die beiden Formen, in denen Menschen ohne Phantasie die Gegenwart betrachten, sind mir fremd; ich habe nie einer Partei angehört und würde mich nur in die Antikriegspartei einschreiben, wenn es eine gäbe. Die Ereignisse des letzten Jahrzehntes haben in mir die Überzeugung gefestigt, daß es kein absolut bestes System gibt, daß vielmehr verschiedene Völker zu verschiedenen Zeiten verschiedene Systeme der Regierung brauchen. Als Individualist par excellence wäre ich niemals Faschist geworden, trenne aber von diesem persönlichen Punkt die Erkenntnis ab, daß diese Bewegung für Italien Großes geleistet hat. In Deutschland dagegen erscheint mir eine ähnliche Bewegung verhängnisvoll; über die Gründe findet sich etwas im IV. Teil der Gespräche. Überdies fehlt der deutschen Bühne durchaus ein Darsteller der Hauptrolle.

Die Stellung eines parteilosen Beobachters wird mir durch das Faktum erleichtert, daß ich Ausländer bin. Als französischer Autor unter Napoleon hätte ich wahrscheinlich auf der Seite Chateaubriands abseits gestanden, während ich ihn als Deutscher auf der Seite Goethes bewundert hätte. So zieht mich auch die Gestalt Mussolinis unabhängig von den Parteien und von den beiden Fakten an, daß er den Vertrag von Versailles bekämpft, aber Südtirol italianisiert. An die Stelle des Dilemmas, in das diese Umstände die Herzen der deutschen Faschisten versetzen, tritt bei mir die künstlerische Betrachtung einer außerordentlichen Persönlichkeit.

 

Erste Begegnung

Als solche erkannte ich ihn bei der ersten Begegnung. Als das Kapital sich über ihn zu ärgern anfing, und als seine äußere Politik das Provokatorische zu verlieren schien, näherte ich mich ihm. Im März 29 widmete er mir zwei Unterhaltungen, später sah ich ihn wieder. Jedesmal war ich vorbereitet und brachte ihn auf die entscheidenden Fragen, in denen wir kontrovers standen: Freiheit und Pazifismus. Dabei wurden zwischen der faschistischen Orthodoxie und den Auffassungen des Glaubensgründers die Unterschiede und Spannungen deutlich, die jede große Bewegung ertragen muß; auch fand ich meine Erfahrung bestätigt, die in der historischen Analyse dem gesprochenen Worte mehr Bedeutung gibt als dem geschriebenen. Im Zwiegespräch entwickelt sich der Mensch natürlicher, besonders wenn er dabei von jeder Pose frei ist, wie Mussolini, dessen Zerrbild in der Welt die Photographen auf dem Gewissen haben.

Schon bei diesen ersten Begegnungen suchte ich weniger zu erforschen, wie Italien zu seinem Führer und wie dieser zu den Italienern stand; ich fragte mich, ob Europa von diesem, niemand verantwortlichen und darum persönlich mächtigsten Manne der Gegenwart Eroberung oder Konstruktion zu erwarten habe. Wurde dieser Schüler Nietzsches, dieser Anarchist und Revolutionär von seinem Dämon in der Richtung seiner Jugend weitergetrieben? Oder entwickelte sich seine Natur im Besitze der Macht zur Konsolidierung dieser Macht? Schien er geneigt, die Lehre Nietzsches zu vergeistigen oder zu vergasen?

Aus diesen staatsphilosophischen Unterhaltungen entstand der Plan, sie systematisch aufzubauen und das, was bisher dem Spiel des Augenblickes überlassen war, in methodischer Form zu befestigen; aus dem Freiballon wollten wir ins Flugzeug steigen. Die Aufgabe war, Höhe und Leichtigkeit zu erhalten. Da keine Behörde, auch kein Sekretär in Erscheinung trat, wurde keinerlei schriftliche Abrede getroffen, es wurde nicht einmal die Vorlage des Manuskriptes gefordert; alles hatte die Form des persönlichen Vertrauens.

 

Ort der Handlung

Wie eine Festung mit gedrungenem Turme, so steht das gelb-braune Massiv des Palazzo Venezia auf dem großen Platze mitten in Rom, zu Füßen des Kapitolinischen Hügels, zur Rechten des modernen Riesendenkmals, dessen schneeweißer Marmor vielleicht in hundert Jahren genügend Patina erworben haben wird, um durch die Farbe weniger zu stören und die Formen dann erträglicher zu machen. Der Palazzo ist grade 500 Jahre alt. »Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen.« Die Päpste, die ihn bauten, haben ihn im 17. Jahrhundert der Republik Venedig übergeben, von dieser hat ihn das österreichische Kaiserhaus bekommen, und nach hundert Jahren, 1915 hat das inzwischen erstandene Königreich Italien es den Österreichern wieder weggenommen. So haben Päpste, Könige und Condottieri in diesem Palaste regiert, der an Wucht, Ausdehnung und Macht der Mauern vielleicht alle Paläste Roms übertrifft und sicher an Größe der Säle.

Draußen, vor dem stets geöffneten Doppeltore halten zwei Soldaten der Miliz die Wache, und der lange, silberbetreßte Portier fragt, was man will. Der Eintritt ist leicht, denn zu der im Halbstock gelegenen Archäologischen Bibliothek hat jeder mit einer Karte Zutritt, und wer könnte sich eine solche nicht verschaffen? Ein Attentäter hat es getan. Abends habe ich viele junge Leute dort bei den Katalogen gesehen. Die steinerne Treppe ist oben durch eine Gittertür abgeschlossen, aber zuweilen fand ich sie offen. Niemand kann sagen, daß dies Hauptquartier des Duce, in dem er täglich etwa zehn Stunden verbringt, bewacht sei, wie es einst die Schlösser der Könige waren.

Oben ist ein halbes Dutzend Säle und Zimmer mit Geschmack neu hergestellt worden; die Böden mit ihrem alten Kachelwerk, die Decken aus schwer und bunt geschnitzten und angerauchten Balken, die Fenster mit ihren eingebauten Steinbänken sind hier wie in jedem römischen Palazzo das schönste. Die Räume, herrlich in ihren Maßen, sind leer, nur ein alter wuchtiger Tisch steht meist inmitten und an den Mauern Stühle, die niemand benutzt. Von den gelb, orange oder mattblau bespannten Wänden heben sich die beleuchteten Bilder: Madonnen, Porträts, Landschaften von Veronese, Mainardi; in einem Stück Affresco sieht oder bestreitet man einen Jüngling von Raffael.

An den Mauern glänzen gläserne, von innen beleuchtete Truhen, in denen kostbare Majoliken bis zurück zum 13. Jahrhundert, steingeschmückte Madonnen und Priestergewänder, Stickereien und geschnitzte Heilige ausgestellt sind, und ein byzantinischer Kasten aus Elfenbein hat über tausend Jahre. Wenn aus einem dieser leuchtenden Kästen die ältesten rauchfarbenen Gläser von Murano schimmern und Schalen und Pokale aus grünlichgoldenem Glase, und der Blick fällt von ihnen auf die Gewalt dieser Mauern, die sich in den Fensternischen darstellt, so denkt man an die zarten und geschmückten Frauen, die sich die Herren dieser Festung einst zwischen Hellebarden und Speeren hereingeholt haben, bis eine oder die andere den Condottiere vergiftete. Da blicken auch schon die Waffen durch die gespannte Türe herüber: drohende Ritter ohne Köpfe, graublau schimmernd wie heranziehende Gewitter, Rüstungen in ihrer grotesken Leere, und vor ihnen ruhen in einem großen Kasten Schwerter und Dolche, und neben der Riesenwaffe mit festem Griff, mit der man den Bären jagte, liegt das geschmückte Schwert der Gerechtigkeit.

Wird man hereingebeten, so bemüht sich der oberste von den Dienern selber an die große Türe. Er ist auch schon »Cavaliere«, durchaus eine Figur aus der Opera Buffa. Öffnet sich aber die Tür, so glaubt man eher in einer Landschaft zu stehen, als in einem Zimmer.

Dieser Saal, in dem Mussolini seit einigen Jahren seine Arbeit verrichtet, in Front zur Piazza gelegen, heißt der Saal der Mappa Mundi, denn hier war ehedem der erste hölzerne Globus aufgestellt. Mitte des 15. Jahrhunderts ist der Saal gebaut, dann verfallen, jetzt erneuert. Dieses Ministerkabinett ist 20 Meter lang, 13 breit und 13 hoch. Zwei Türen führen aus der Querwand des Einganges, eine aus der andern Querwand hinein, eine lange Wand ist durch drei Riesenfenster mit ihren Steinbänken, die andere durch gemalte Säulen aufgelöst. Dieser Saal ist vollkommen leer, weder Tische noch Stühle sind aufgestellt, auch nicht an den Wänden; in den Ecken stehen hohe Fackeln, deren vergoldete Flamme die elektrische Lichtquelle verdeckt. In weiter Ferne, als sollte man ein Opernglas zu Hilfe nehmen, erkennt man an einem Tisch unter der Lampe umrißweise den Kopf eines Mannes, der schreibt.

Tritt man die Wanderung durch den Saal an, so erblickt man zunächst eine reichgeschmückte Decke, die in großen Reliefs den Löwen von San Marco und die Wölfin von Rom trägt. In der Mitte der riesigen Längswand, den Fenstern gegenüber, ist groß das Wappen der drei Päpste angebracht, die den Palast gebaut haben. Während man auf dem erneuerten Fußboden vorwärtsschreitet, erblickt man in seiner Mitte ein fast lebensgroßes Mosaik mit nackten Frauen und Kindern, die Früchte tragen: das ist die Abundanzia, und ich habe immer einen kleinen Bogen gemacht, um sie nicht zu treten; schließlich, in der hinteren Ecke auf einem Teppich einen etwa 4 Meter langen Tisch, vor dem zwei Savonarola-Sessel einander gegenübergestellt sind. Nahe davon, an der Wand steht auf einem hohen Lesepult ein moderner Atlas. Europa war aufgeschlagen. Darunter liegt ein Florett. Auf der andern Seite reicht der Tisch bis zu einem mächtigen eingebauten Kamin, der kalt ist wie der Marmor, der ihn einfaßt.

Hinter diesem Tisch, in seiner Mitte sitzt Mussolini, den Blick auf den Saal und gegen die Fenster gerichtet. Keinem seiner Beamten kommt er entgegen, aber jedem Fremden. Auf dem Tische vor ihm herrscht die pedantische Ordnung jedes echten Arbeiters; da er bei sich keine Reste duldet, umfaßt eine schmale Mappe alle laufenden Dinge. Hinter ihm auf einem Tischchen liegen Bücher, die er grade braucht oder liest, und drei Telephone blinken herüber. Um sich her hat er auf dem völlig schmucklosen Tische, auf dem nur ein bronzener Löwe steht, die Utensilien eines Schreibenden in musterhafter Ordnung um sich versammelt. Was von ihm ausgeht, ist das nämliche, was von dem Saal ausgeht: die Gelassenheit eines Wesens, das viel erlebt hat.

 

Die Gespräche

In unseren Gesprächen, die sämtlich an diesem Tische gegen Abend stattfanden, würde man erschöpfende Debatten über die angeschlagenen Themen vergeblich suchen; mein Zweck war einzig, Mussolinis Charakter in vielfachen Spiegelungen zu erkennen und darzustellen. Der Charakter der Gespräche liegt in der Polarität der Redenden begründet. Lange hatte ich sie vorbereitet, überlegt, wie ich meine Anschauung der seinen gegenüberstellen, wie ich ihn herauslocken und trotzdem der Gefahr einer schweren »Diskussion« entgehen könnte, die jedes Gespräch tötet. Er wußte, daß ich in zwei Hauptfragen am andern Ufer stehe und von dort nicht wegzubringen bin, aber grade das mag ihn gereizt haben. Darüberhinaus war ich zu dem Kunstgriff geneigt, einige Widersprüche zu übertreiben, um ihn in seiner Replik um so deutlicher zu hören. Dann aber mußte ich auf jede Duplik verzichten, denn sonst wären wir nie zu Ende gekommen, und eben weil er mir keinerlei Grenzen der Zeit gesetzt hatte, mußte ich darauf sinnen, die seinige nicht zu mißbrauchen. Auch hat es einen gewissen Reiz, meinem Leser seine Parteinahme zu überlassen, die nach seinen Grundideen verschieden sein und auch in einzelnen Fragen schwanken wird. Also behält in diesen Dialogen niemand recht. Die Probleme werden aufgeworfen, nicht gelöst.

Ich habe Mussolini als historische Figur empfunden, und da mir vollkommene Freiheit zugesichert war, ihn nicht anders befragt, als ich's mit solchen gewohnt bin. Hier kann ich einen Unterschied zwischen Lebenden und Toten gar nicht empfinden. Als ich Edisons Hand ergriff, dachte ich, das ist Archimedes, und mit Napoleon habe ich hundert lange Dialoge geführt, bevor ich ihn darstellte. Im Falle Mussolini trat freilich die Antithese häufiger hervor, ja man könnte diese Gespräche auch als den Dialog der gerüsteten Staatsraison mit einem kriegsfeindlichen Individualismus bezeichnen. Die Gegensätze sind groß, sogar seine Bildung ist eine andere als die meine. Unser Treffpunkt ist Nietzsche, der in den Gesprächen noch häufiger auftauchte als in ihrer gedrängten Wiedergabe.

Was ich studierte, war im weitesten Sinne sein Charakter. Da aber hier alle privaten Dokumente wegfielen, da ich von diesem lebenden Menschen in wirklichen Gesprächen viel weniger Intima erfragen konnte, als aus den Briefen Bismarcks oder Lincolns, kann ich diesen Charakter nur in den Facettierungen darstellen, die ein rein geistiges Gespräch aufzeigt: Versuch einer indirekten Charakteristik. Wer in der Frage, welche Musik ein Staatsmann liebt, nur eine Spielerei sieht, hat die Kunst der Analyse nicht begriffen; in Wahrheit werden solche Dinge entscheidend für die Taten eines Mannes. Die Unkenntnis der Welt über Bismarcks innere Welt hatte das falsche Bild von dem Reiteroffizier geschaffen, das ich durch ein neues zu ersetzen strebte. Im Falle Mussolini versuche ich es schon heute, um durch ein anderes Bild Anschauungen und Befürchtungen der Mitwelt zu verwandeln. Dabei konnte ich mich nur an den Mann von gegen Fünfzig halten, der vor mir saß. Ging ich in seine Vergangenheit zurück, so geschah das weder, um Widersprüche aufzuzeichnen, wie sie jeder bedeutende Mensch zwischen 30 und 50 preisgeben muß, noch auch, um sein Wesen von einst zu studieren; dazu hätte es einer Biographie bedurft. Bei meinem Glauben an die Logik jedes Schicksals ist eine solche von einem, im Dritten Akte des Lebens stehenden Manne noch nicht zu schreiben. Über die Person Mussolinis hinaus möchte ich im folgenden Beiträge zur Erkenntnis des homo activus im allgemeinen geben und aufs neue zeigen, wie Dichter und Staatsmann verwandt sind.

Deshalb sind diese Gespräche, mögen sie politischer, historischer, moralischer Natur sein, doch immer nur psychologische Gespräche, und auch dort, wo einige reale Fragen gestellt und beantwortet wurden, war der geheime Zweck stets der, die Charakteristik des Mannes zu vervollständigen. Vergebens wird man nach Sensationen fischen; die hohe Stille dieses Mannes und dieses Raumes haben dem Gespräch eine bestimmte dunkle Note und einen großen Ernst gegeben. Will man das Meer ausloten, so muß es vor oder nach dem Sturme von einer wellenlosen Fläche aus geschehen. Meine Unabhängigkeit und die Toleranz des Befragten gaben mir volle Freiheit der Rede und forderten eben deshalb taktvolle Vorsicht.

Dabei mußte ich diesen mächtigen, aber nervösen Löwen immer bei Laune halten, er durfte sich keinen Augenblick langweilen. Auch hatte ich vor diffizilen Fragen historische Umwege zu machen, einen theoretischen Ton anzuschlagen und ihm zu überlassen, ob er dann mitten in das Problem vorstoßen wollte. Zudem mußte ich mit 150 Kilometer die Stunde fahren, wollte ich in kurzer Zeit mein Programm abwickeln. Die Anspannung dieser Stunden, in denen ich das Gehörte mir zugleich in meine Sprache übersetzen mußte, erzeugte, ich gestehe, große Müdigkeit, und ich habe die leise Hoffnung, daß der andere auch etwas müde war. Ich kam wie ein Jäger nach Hause, der viel geschossen hat, aber erst bei Ausbreitung der Strecke weiß, wieviel Volltreffer darunter sind.

In all diesen Stunden wurde kein überflüssiges Wort gesprochen. Mussolini schloß die Unterhaltung sehr höflich, aber nach der Uhr, und sie wurde 24 Stunden später genau an derselben Stelle fortgesetzt. Das völlige Fehlen jeder Klingel, jedes Sekretärs, also jeder Störung erzeugte in dem riesigen Saal eine Stille, wie man sie sonst nur am späten Abend im vertraulichen Gespräch zuweilen erobert, um geistige Dinge durchzusprechen. In früheren Jahrhunderten mag in diesem Saale musiziert, getanzt, intrigiert, geflüstert und geschmeichelt worden sein, Könige und große Herren zeigten hier ihre Macht; wenn sie aber philosophierten, zogen sie sich in kleine Räume zurück, denn der Festsaal war alltags geschlossen. Seit drei Jahren ist in diesem Saal die Existenz von 42 Millionen Menschen geleitet worden; aus tausend kleinen Entscheidungen, die ein Tag nach dem andern gleich Blättern aufeinanderschichtete, wurde das Buch dieser Schicksale gebildet. Der Geist der Päpste, lebend in ihren Wappen an der Wand, der Löwe und die Wölfin an der Decke mögen beim ersten Gespräch mit Verwunderung aufgehorcht haben, bis sie sich in die Ruhe ihrer Jahrhunderte wieder zurückzogen, um zu schlafen.

 

Wiedergabe

Meine erste Aufgabe nach Abschluß der Gespräche war, sie in der Niederschrift weder zu schmücken noch zu verlängern. Ich habe sie vielmehr gekürzt und mich jeder Dramatisierung enthalten; der Faschismus hat ohnehin zuviel davon. Besonders zog mich die indirekte Form der Charakteristik an, die zwischen meinen dramatischen und biographischen Arbeiten liegt. Dabei ließ ich die auf- und niederschwebende Tonfolge der Gespräche bestehen, auch wenn ihre später eingefügten Titel zuweilen eine straffere thematische Führung dem Leser versprechen. Es schwebte mir etwas vor, wie das Gespräch Goethes mit Luden, das längste Goethe-Gespräch, das wir besitzen, eines der schönsten, weil hier nichts auf Eckermannische Weise stilisiert ist, und weil Opposition und Gedächtnis des Unterredners eine große Frische erzeugt und erhalten haben. Ich zeichne also nicht das Bild des Mannes, denn dazu müßte ich die Gespräche vorweg ihres Hauptinhaltes berauben; diesmal soll sich der Leser selber das Bild machen.

Die zweite Aufgabe hieß, möglichst zurückzutreten, weil der Leser Mussolini hören will und nicht mich, der überdies andere Gelegenheiten hat, seine Anschauungen auszubreiten. Noch weniger durfte es mir darauf ankommen, gegen ihn recht zu behalten: ich wollte der Welt zum erstenmal den Mann des Handelns als Denker und wiederum den Zusammenhang zwischen seinem Handeln und seinem Denken zeigen. Denn der Hochmut der vom Handeln Ausgeschlossenen und die Zerstreutheit der Menge haben den abstrusen Glauben verbreitet, der handelnde Mensch denke so wenig, wie der denkende handelt. Ein künftiger Historiker könnte in diesen Gesprächen Material finden, wie Roederer es uns über den Ersten Konsul geboten hat. Dort finden sich ebensoviele Kontroversen, und man erfährt auch dort, wie der Diktator zu seinen Taten kam und über sie dachte, was beides zur Erkenntnis des menschlichen Herzens wichtiger ist als die Taten.

Meine Lage war von der Lage der verschiedenen Eckermanns von Grund aus verschieden. Diese haben jahrelang mit den Männern verkehrt und aufgefangen, was sie sagten; ich habe den Mann nur während zweier Wochen auf demselben Stuhle vor mir gesehen und mußte alle Anregungen geben, statt sie zu empfangen.

Da er beständig am Faschismus interessiert ist und ich am Problem Krieg und Frieden, so finden sich über diese beiden Hauptthemen keine Kapitel, denn sie sind in allen enthalten.

Jeder meiner Leser wird in den Gesprächen etwas anderes vermissen. Die jungen Leute, die gern Diktatoren werden wollen, erwarten vergebens eine Anleitung für heranwachsende Condottieri; andere werden eine Darstellung des Faschismus suchen, und ich bitte sie, die einschlägigen Bücher der Fachleute zu lesen, die den Gegenstand und zugleich den Hörer erschöpfen. Gewisse Leserinnen werden ein Kapitel über das Liebesleben des Helden vermissen oder doch wenigstens erfahren wollen, wie er wohnt. Strenge Sozialisten werden die Stellen anstreichen, an denen ich ihn als richtender Historiker vor die Dokumente seines Abfalls hätte laden müssen. Die deutschen Professoren der Geschichte werden sich verächtlich von einer Darstellung abwenden, die »im leichten Plauderton über die schwierigsten Dinge hinweggleitet« und das Buch nicht einmal durch Angabe der Stellen verschönt, wo die von mir zitierten Sätze aus Mussolinis Reden hergenommen sind. Die Phänomeneologen werden das Fehlen ihrer Nomenklatur und die dadurch verschuldete Gemeinverständlichkeit schwieriger Fragen tadeln. Alle Welt wird erklären, eine große Gelegenheit sei nutzlos vertan.

 

Mein Partner

Seit 25 Jahren hatte ich den homo activus umkreist und dramatisch, historisch, psychologisch vorzustellen unternommen. Jetzt saß er mir gegenüber. Der Condottiere, den ich einst in einem dieser römischen Palazzi dargestellt hatte, Cesare Borgia, Held der Romagna, schien mir wieder erstanden, auch wenn er beständig sein dunkles Jackett mit schwarzer Krawatte trug und hinter ihm das Telephon hervorblinkte. Im selben Saale, der Männer seiner Art in ihren Triumphen und ihren Zusammenbrüchen gesehen, sah ich jetzt den Nachkommen eben dieser Männer vor mir sitzen: ganz Italiener, ganz Renaissance. Im ersten Augenblick war ich von den Gefühlen dieses Gleichnisses verwirrt.

Dabei hatte dieser aktive Mann die denkbar passivste Rolle angenommen. Er, der seit zehn Jahren befiehlt, während die andern Rede und Antwort stehen, hatte sich freiwillig in die Lage versetzt, einem andern fortlaufend Auskunft zu geben, und zwar nach dessen Sinn und Absicht. Er hatte nur einen Zettel mit allgemeiner Übersicht über meine Themen gesehen. Eine niemals schwankende Geduld und Ruhe auch bei schwierigen Fragen, das völlige Fehlen eigener Direktiven, an die er doch sonst gewohnt ist, bewiesen mir seine innere Sicherheit. Auch gab er nie eine sogenannte vertrauliche Antwort, brauchte also in meiner Niederschrift so gut wie nichts einzuschränken.

Und doch war er bei seinem äußeren Gleichmaß dauernd auf dem Qui vive. Ich war vorbereitet, er war überrascht, und da es sich seltener um Fragen drehte, die ihm schon andere gestellt haben mochten, meist um Gefühle, Selbsterkenntnis, innere Motivation, so mußte er im gleichen Augenblicke die Antwort suchen, formulieren und sie überdies in den Grenzen fangen, die er der Welt gegenüber einzuhalten wünschte. Diese erstaunliche Meisterschaft im Denken und Reden wird aber von ihm niemals instrumentiert: er braucht weder den Superlativ noch eine laute Stimme. Er hörte sich meine Skeptica gelassen an und gab keine einzige Antwort, die für die große Schar seiner Schmeichler bestimmt war: niemals sagte er das vorgeschriebene Faschisten-Stichwort. Auch hätte er ein Dutzend »napoleonischer« Antworten für Mit- und Nachwelt stilisieren können, aber man wird keine drei in den Gesprächen finden. Auf etwa 400 Fragen gab er mit unerschütterlicher Ruhe Bescheid. Nur eine einzige, die eigentlich unmöglich war und die sich hier nicht findet, beantwortete er nur mit einem großen Blicke, der sagte: Du siehst doch, daß ich schweigen muß!

Ich weiß recht wohl, was alles er mir verschwieg. Aktive Männer sprechen über die Macht mit derselben Diskretion wie die Besitzer wunderbarer Frauen von ihren Reizen: sie beschreiben höchstens das, was alle Welt sieht. Aber auch das, was er verschwieg und wie er es verschwieg, gab mir bedeutende Einblicke in seinen Charakter. Dabei war es höchstens die Zukunft, die er für sich behielt, nie die Vergangenheit: niemals suchte er Äußerungen aus seiner Sozialistenzeit zu verschleiern oder umzudeuten; er bekannte sich immer. Niemals setzte er mich in Verlegenheit durch das argumentum ad hominem: was hätten Sie in diesem Falle getan? Auch brauchte er selten die Frageform, sondern setzte seine Behauptungen hin, kurz, mit einem Punkt.

Da er ein großer Vereinfacher des Wortes ist und gar keine Lust an glänzenden Epigrammen hat, hört sich seine Antwort, wenn sie kurz ist, wie eine Entscheidung an. Sein Stil, jedenfalls im Gespräch, hält genau die echt italienische Mitte zwischen französisch und deutsch, denn er ist weder elegant noch schwer, sondern metallen; dies Metall ist aber nicht Eisen, sondern fein gewalzter Stahl, dargestellt in der elastischen und nuancenreichen Sprache der italienischen Tradition. Plötzlich sagt er dann etwas ganz einfaches, das heißt, er setzt eine unerwartete Folgerung ohne jede Draperie vor den Hörer hin. Sein klares, ich möchte sagen, latinisierendes Italienisch ist in allem von d'Annunzios beflügelter Redekunst unterschieden; an ihrer Ausdrucksart allein würde man den aktiven vom platonischen Menschen unterscheiden, noch mehr am Organ.

Jeder Titel wurde mit seiner Einwilligung gleich über Bord geworfen, und ich konnte ihn ohne Floskeln rasch und ohne Pause immer wieder anbohren. Dabei verbesserte er meine Fehler im Italienischen nie; als ich aber einen französischen Namen falsch aussprach, kam in heiterer Weise der frühere Lehrer heraus, und er sagte ihn leise richtig. Auch als er die »Umwertung aller Werte« deutsch sagen wollte und sich trotz seiner großen Kenntnis des Deutschen irrte, verbesserte er sich mit der Wendung: Genitivus pluralis. (Übrigens habe ich ihn auch fließend französisch und englisch reden hören.) Dabei versetzt sein Gedächtnis ihn in die Lage, auf unerwartete Fragen die Universitäten zu nennen, an denen ein französischer Rassenforscher gelehrt hat, oder die Namen und Dienstorte der jüdischen Generale, die in der italienischen Armee zur Zeit dienen, oder das Datum, an dem Huß verbrannt wurde.

Mussolini ist ein Mann von der feinsten Höflichkeit, wie alle echten Diktatoren; es scheint, sie lassen das Pferd zwischen den Rennen auf dem Sattelplatze zierliche Gänge machen. Auch erschien er nie nervös oder gar launisch, spielte oder malte mit keinem Bleistift (was ich bei einem andern Diktator erlebte), wechselte nur in seinem Sessel öfters die Stellung, wie jemand, dem das lange Sitzen auf die Dauer schwerfällt. Darum soll er sich mitten in seinen Arbeiten zuweilen auf das Motorrad setzen, eines seiner Kinder mitnehmen und nach Ostia rasen, wohin ihm die Polizei verzweifelt nachrast.

Sonst lebt er weit einsamer als die russischen Führer, die sich in beständigen Komitees und Sitzungen treffen und kontrollieren. Da er zugleich sehr hygienisch lebt und sich eine erstaunliche Ruhe abgerungen hat, so hat er mehr Aussicht, alt zu werden, als jene, die sich in beständigen Aufregungen zerreiben. Außer der Macht gibt es keine Genüsse: Titel, Krone, Adel, Gesellschaften machen ihm keinen Spaß; besonders erstaunlich in Rom, wo heute die Diplomatie stärker vertreten und noch immer mächtiger ist als in jeder andern Hauptstadt. In diesem Sinne ist Mussolini heut beinah ganz Staat geworden. Dagegen habe ich ihn zwei Arbeiter, die einmal hereinkamen, um sein Telephon zu reparieren, mit soviel Freundlichkeit bei ihrem Kommen und Gehen begrüßen sehen, daß ich des kalten Hochmuts der »Industrie-Kapitäne« gedachte, wenn eine solche Störung ihre raffenden Gedanken unterbrach.

Bei aller Verschlossenheit hat er Humor, einen grimmigen, der sich in einem dumpfen Lachen Luft macht. Aber er versteht keine Scherze; niemand würde wagen ihm einen sogenannten Witz zu erzählen. Zugleich ist er ganz präzis in seinen Angaben: er schlägt ein Lexikon auf, sucht darin die Statistik der italienischen Frauen, gibt sie mir bis auf drei Zahlen hinter dem Komma an, und er sagte mir einmal: »Ich liebe nicht das à peu près«. In meinem deutschen Manuskript verbesserte er jeden Schreibfehler der Typistin. Seine Exaktheit ist so groß, daß er einem Minister, dem er meinetwegen telephonierte, Ort und Stunde der Zusammenkunft sowie das Objekt des von mir erbetenen Materiales zweimal nachdrücklich wiederholte. Sparsamkeit, die der Emporkömmling sonst rasch vergißt, ist ihm ganz natürlich geblieben, denn er schrieb einige Notizen für mich auf Zettel, deren Rückseite sein Tagesprogramm von voriger Woche ansagte.

Mussolini ist im Gespräch der natürlichste Mensch von der Welt. Leute, die gern posieren, haben ihn anders geschildert. So hat der frühere Deutsche Botschafter am Quirinal eine Szene erfunden, in der er den ihm schon als Journalist bekannten Mussolini bei dessen erstem Empfang als Staatschef in napoleonischer Weise mit verschränkten Armen am Kamin stehend schilderte, worauf er selbst auf ihn zugegangen sei, ihm jovial auf die Schulter geklopft und ihn kurzerhand mit »Buon giorno, Mussolini!« begrüßt habe, womit er sich sofort in großen Respekt gesetzt hätte. Dieser Bericht, für dessen Verbreitung der Diplomat sorgte, ist oft weitererzählt, geglaubt und so eine der Ursachen für ein Zerrbild geworden, das Mussolini jedenfalls in Deutschland geschadet hat.

 

Der Staatsmann

Einen aktiven Menschen kann man nicht spät genug kennenlernen; sofern er ein starker Charakter ist, wird ihn der Erfolg vertiefen. Das moralische Problem sehe ich im fünfzigjährigen Mussolini in der Aufgabe, als eine revolutionäre Natur Ruhe zu halten. Daß er es weiter tun wird, dafür bürgen mir gewisse Züge des Hausvaters, die er auch hat und die sich nach Fünfzig zu verbreitern pflegen. Auch habe ich noch einen zweiten Grund, zu glauben, daß er Frieden hält.

Erwäge ich alles Gehörte und Gesehene, so zögere ich nicht, ihn als einen großen Staatsmann zu bezeichnen. Denn was ist bei einem aktiven Menschen Größe? Ist das eine Eigenschaft? Ist es eine moralisch unantastbare Bahn? Ich erkenne diese Form der Größe vielmehr im Zusammentreffen gewisser Eigenschaften in bestimmten Dosen, die einen vorbestimmten Charakter zum moralischen Befehl, das heißt, zur konstruktiven Arbeit größten Stiles befähigen.

Mussolini scheint mir heute, zehn Jahre nach Eroberung der Macht, mehr Leidenschaft für den konstruktiven Aufbau Italiens zu haben als für irgendeine destruktive Tat im Felde seiner Feinde; er scheint seine Siege nur noch im Innern seines Landes zu suchen. Außerdem hat er zwei Züge, die den meisten Diktatoren abgehen und ohne die es doch gar keine Größe gibt: im Besitze der Macht hat er nicht verlernt, die Taten anderer zu bewundern, aber er hat gelernt in seinen eigenen Taten das Gleichnishafte zu erkennen. Beide Eigenschaften, Grundzüge des Goethischen Menschen, schützen den durch sich selbst kontrollierten Machthaber vor Größenwahn und reihen ihn in die Kette philosophischer Geister, in die alle echten Männer der Tat gehören.

Mussolini hatte das Glück, ohne Kriege an die Macht zu kommen, und war deshalb zuweilen in Versuchung, den Kriegsruhm nachzuholen. Aus sehr verschiedenen Gründen scheint diese Epoche vorüber. Heute hat er die Wahl, dem älteren Napoleon oder dem älteren Cromwell nachzustreben. Man wird in den Gesprächen die Antwort finden, wem von beiden er nachstrebt.

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