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»Freiheit! sagte Mussolini mit seiner klangvoll dumpfen Stimme. Da Sie doch immer wieder darauf zurückkommen, so will ich noch einmal konstatieren, daß in unserem Staate die Freiheit dem Individuum nicht fehlt. Er hat mehr davon, als der Isolierte, denn der Staat schützt ihn, er ist ja ein Teil von ihm. Der andere ist verlassen.«
– Und doch haben Sie, erwiderte ich, noch im Jahre 19, also schon als Faschist, über die Erhaltung gewisser westlicher Errungenschaften schöne Worte geschrieben: »Freiheit des Individuums, des Geistes, der nicht allein vom Brote lebt: Freiheit, anders als in den Kasernen Lenins oder des preußischen Unteroffiziers; denn das wäre Rückkehr in die Barbarei des 11. Jahrhunderts.«
Er erwiderte kühl und allgemein:
»Davon haben wir soviel zu realisieren gesucht, wie heute möglich ist.«
– Es gäbe ein Mittel, die Welt davon zu überzeugen. –
Er blickte mich an.
– Wenn Sie, fuhr ich fort, der ja 4 Jahre mit Opposition und Kritik regiert hat, jetzt, nach weiteren 6 Jahren, Presse und Kritik wieder freigäben! –
»Das könnte ich machen, sagte er kurz, aber es wäre unnütz. Es würde die Lage nicht verbessern. Der Kampf, ich sagte es schon, liegt heut in den Dingen.«
Da an diesem Punkte doch nicht weiterzukommen war, kam ich auf Platon zu sprechen und fragte, wie er, der ihn wiederholt zitiert hat, zum »Staate« stände. Er wandte sich auf dem Sessel um, griff nach einem auf dem Nebentische liegenden Buch und schlug Platons mächtigen Band auf:
»Es ist interessant, sagte er blätternd, daß er die Idee der Organisation des Staates schon hatte. Sehen Sie? Krieger, Priester und Arbeiter, die er mit den Organen des Menschen vergleicht: der Krieger ist der Arm, der Priester das Gehirn, der Arbeiter der Bauch.«
– Ist der Priester noch immer das Gehirn? fragte ich aus reiner Bosheit. Mussolini läßt sich solche kleinen Spiele mit der Gelassenheit eines großen Tieres gefallen.
»Die Gesellschaft ist heute viel vermischter«, sagte er nur, machte das dicke Buch zu und legte seine beiden Arme darauf. Da saß er nun, der Diktator, und stützte sich auf den Staat, den er gefangenhielt. Er war in eine breite, besitzende Stimmung gelangt, weil er mich heut in voller Opposition fand und die Angriffe des Fremden mit einigem Behagen erwartete.
– Das einzige, sagte ich auch bald, was Sie in diesem Staate vielleicht weniger kennen als wir Fremden, ist die Furcht der Bürger vor Anzeigern und Geschichtenträgern. Dadurch entstehen Gefühle der Unsicherheit und des Hasses. –
»In jeder Gesellschaft, erwiderte er mit Heiterkeit, braucht man einen Teil der Bürger, der verhaßt werden muß. Da ähneln wir allerdings den Russen. Aber es ist Jaurès, der Sozialist par excellence, der in einem seiner Bücher schreibt: wenn eine Revolution sich hält, muß man sie auch verteidigen. Mit diesem Argument verteidigt er die französische Revolution, die doch la loi des suspectes einführte, und mit diesem Gesetze jeden Verdächtigen verurteilen konnte. Übrigens war es der Deutsche Hegel, der den Satz geprägt hat: das Volk ist der Teil der Nation, der nicht weiß, was er will.«
– Wir überlassen, sagte ich, den ganzen Hegel politisch gern dem Ausland, das ihn heute so viel zitiert, besonders Rußland. Wir haben ein paar Jahrhunderte von Diktaturen hinter uns, darunter viele unfähige Fürsten, und schließlich noch einmal Bismarcks 28 Jahre. Was geschah, als er ging, ohne Nachfolger erzogen zu haben? Ein Felsblock wurde hinweggeräumt, drunter trat das Gewürm zutage. –
»Trotzdem war er es, der Deutschland groß gemacht hat,« sagte Mussolini und fügte lächelnd hinzu: »Mir scheint, ich habe das in Ihrem Buch gelesen.«
– Das ist es ja, erwiderte ich, was uns im Anblick gewaltiger Machthaber beunruhigt: die Furcht vor dem, was nachher kommt. Wissen Sie, was Bunsen von Bismarck geschrieben hat? Er hat Deutschland groß und die Deutschen klein gemacht. –
»Möglich.«
– Ist Diktatur ein italienisches Spezifikum? fragte ich weiter. Er schien aus seinem schlagfertigen Behagen heute nicht herauszubringen. »Vielleicht. Wir waren immer das Land der einzelnen Individuen. In diesem Lande, im alten Rom hat es mehr als 70 Diktaturen hintereinander gegeben.«
– Schade, daß der Mensch sterblich ist, sagte ich. Als Sie, ich glaube im Jahre 25, erkrankten, schrieben Sie, alles sei problematisch geworden, denn Sie seien unersetzbar gewesen. –
»Das war damals, sagte er. Seitdem sind sieben Jahre vergangen. Ich habe versucht, Männer heranzuziehen und stelle sie auf die Probe. Es gibt schon eine herrschende Klasse von vortrefflichen Köpfen, z. B. Grandi, Balbo, Botai, Arpinati. Natürlich gibt es historische Situationen, die sich nicht zum zweiten Male wiederholen, oder doch nur in bescheidener Form. Man geht vom Mystischen zum Politischen, von der Epopöe zur Prosa. Jeder intelligente Mann voll Charakter kann eine Nation repräsentieren und verwalten. Ich glaube allerdings, daß nicht ein Duce Nummer 2 kommt, – und wenn er käme, würde Italien ihn nicht ertragen.«
Ich sah ihn an und sagte dann:
– Bei Goethe heißt es: ›Der Geist ist immer autochthone.‹ – Aber – –
Er sah mich groß an und wiederholte, mir ins Auge, mit sehr klarer Stimme:
»Ja! Aber –!«
Um die Unterhaltung zu retten, griff ich nach der ersten besten Planke und fragte:
– Also liegen die Garantien wesentlich in der Dynastie? –
»Die Dynastie, sagte er nun wieder mit völligem Gleichmaß, ist natürlich eine Kontinuität, ein automatisches Element. Le roi est mort, vive le roi!«
– Wenn es richtig ist, sagte ich, daß Nitti im Jahre 20 die Präsidentschaft der Republik anstrebte, ist er dann am monarchischen Sinn der Italiener gescheitert? Die Deutschen hatten die Könige Jahrhunderte lang, und doch sind sie sämtlich in einer Woche spurlos verschwunden. Italien ist viel jünger und hatte so viele Republiken. –
»Aber nur in einzelnen Teilen und nur für einige Zeit, erwiderte Mussolini lebhaft. Der ganze Süden ist seit Jahrhunderten Monarchen gewohnt. Als Crispi sich von Mazzini trennte, schrieb er in seinem berühmten Brief: Die Monarchie einigt, die Republik zerreißt das Volk.«
– Unsere letzten Könige, sagte ich, stützten sich auf den Glauben. Wilhelm II. und Franz Ferdinand waren vom Gottesgnadentum aufrichtig überzeugt, und ich kann mir einen wirklichen König nur so denken. –
»Heute kann man auch als Skeptiker König sein«, sagte Mussolini.
– Hat dieser Titel jemals Reiz für Sie gehabt?
»Ein Problem, das mich nie interessiert hat.«
Er sagte das mit einer Gleichgültigkeit, als hätte ich ihn nach den neuen Briefmarken gefragt.
– Im Jahre 25 behaupteten Sie gegen die auf den Aventin gegangenen Abgeordneten, diese hätten die Republik gewollt? –
– Haben Sie also, fuhr ich fort, die Krone beschützt? Und hat zu anderer Zeit die Krone Sie beschützt? –
Er dachte nach und nahm dabei den sinnenden Ausdruck an, den er gewinnt, wenn er auf einen Arm gestützt nach unten blickt und dann langsam sein Auge zum Zuhörer erhebt. Dann ist der ruhende Ernst des schöpferischen Mannes über ihm, dem niemand einen anarchischen Charakter zumuten würde.
»Doch, sagte er dann. Doch. Das kann man sagen, daß ich die Krone beschützt habe. Es ist meine Pflicht, sie zu verteidigen, aber zugleich mein Gefühl, denn ich bin voll Bewunderung für den König. Ich halte von ihm gleich viel als Patriot und als Kulturmensch. Doch. Man kann auch das Umgekehrte sagen. Die Krone hat konstitutionell und loyal meine Regierung beschützt.«
– Wenn ich Sie höre, glaube ich manchmal, daß es noch zufriedene Länder gibt. Und doch sehe ich das Gegenteil in gewissen geistigen Kreisen Italiens. Diese grollen weniger Ihnen, als den Überfaschisten. Ein Brief, wie ich ihn gestern von einem italienischen Dichter empfing, kann allerdings unsereinen niederschlagen: da stand zu lesen, daß die Wahrheit nur selten, die Freiheit aber nirgends existiere. –
»Ein Dichter!« sagte Mussolini in ironischem Ton.
– Aber haben Sie nicht selbst dem faschistischen Staate das Recht zugeschrieben, alle Pflichten der Bürger eindeutig festzustellen? –
»Wenn man gewisse Voraussetzungen setzt, erwiderte er allgemein, so muß man vor manchen Folgerungen nicht erschrecken.«
– Eine napoleonische Logik, und ich habe nichts dagegen. Wie aber urteilt Welt und Nachwelt! Haben Sie nicht gesehen, daß Napoleon nach all seinen Taten noch heute von Millionen danach beurteilt wird, daß er den Herzog von Enghien erschießen ließ? –
»Das ist ungerecht, sagte er. Das war eine Episode, die nur in das gesamte Urteil einbezogen werden darf. Hätte er nichts als das gemacht, so wäre er verdammenswert; es wäre auch besser, wenn er dies Passivum nicht in seiner Rechnung hätte. Aber ebenso könnte man Cäsar danach beurteilen, daß er den Vercingetorix geschunden hat. Ohne diese Seite wäre auch seine Geschichte schöner; aber es ist doch unsinnig, die Riesengestalt darum zu verwerfen.«
– Vielleicht, sagte ich, sind solche Dinge Folgen von Autokratien, wo alles sich auf eine Person zuspitzt und durch Übereifrige gegen den Willen des Autokraten unglückliche Dinge geschehen. Ich denke an die Ermordung Mateottis. Sind nicht solche Fälle in Diktaturen leichter möglich? –
»Politische Verbrechen, erwiderte Mussolini mit vollkommener Ruhe, »kommen in demokratischen Staaten genau so oft vor. Unter Napoleon III. entsinnen Sie sich eines berühmten Falles, in der französischen Republik gab es viele mysteriöse Verbrechen, – und wenn Sie die junge deutsche Demokratie ansehen, so finden Sie dort im letzten Jahrzehnt mehr davon als in jedem andern Lande.«