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Stolz und Handlung

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– Es ist nicht schwer, fing ich diesmal an, als Grundzug Ihres Charakters den Stolz zu erkennen. Aber was ist Stolz? –

»Das Bewußtsein seiner selbst«, sagte Mussolini.

– Im Deutschen hat das Wort zwei Bedeutungen. Was heißt alterigia? –

»Das ist Übermut, die Degeneration des Stolzes.«

– Ich habe nie begriffen, sagte ich, wie eine außerordentliche Natur auf etwas stolz sein kann, was sie nicht durch sich selbst erreichte, zum Beispiel auf die Familie. Sind Sie stolz, daß Ihre Vorfahren im 13. Jahrhundert in Bologna ein Wappen besessen haben, das jemand ausgegraben hat? –

Sein Gesicht bekam einen wegwerfenden Ausdruck. Er legte den Kopf zurück, hielt das Kinn stolz nach oben und sagte:

»Rührt mich nicht im mindesten. Mich interessiert nur einer von meinen Vorfahren: das war ein Mussolini, der in Venedig seine Frau erschlagen hat, weil sie ihn betrogen hatte, und ihr dann, bevor er floh, zwei venezianische Scudi auf die Brust legte, damit man das Begräbnis bezahlen könnte. So sind die Leute in der Romagna, aus der ich stamme. Alle ihre Lieder sind Liebestragödien.«

– Gut, sagte ich, daß Sie noch immer nicht Herzog sind oder dergleichen. Es ist sicher nicht wahr, daß Sie sich ein Wappen ausgedacht haben. –

»Alles nonsense.«

– Und worauf sind Sie stolz in Ihrer Laufbahn? –

»Daß ich ein guter Soldat war, sagte er ohne Nachdenken. Das heißt, Seelenkraft beweisen. Nur so kann der Mensch ein Bombardement aushalten.«

– In der Kindheit, sagte ich, hat Ihr Stolz harte Proben aushalten müssen. –

»Furchtbare Dinge, sagte er leise. Meine Mutter bat im Collegio vergebens um eine Unterstützung für mich. Bei Tisch aßen wir Jungens in drei Abteilungen. Ich mußte immer unten sitzen und mit den ärmsten essen. Die Ameisen im Brote der dritten Klasse könnte ich vergessen, aber daß wir Kinder in Klassen eingeteilt waren, das brennt mir noch heut auf der Seele!«

– Dafür sind diese Leiden in Ihnen produktiv geworden. –

»Sehr! rief er lebhaft aus. Solche unerträglichen und unverschuldeten Erniedrigungen machen einen zum Revolutionär.«

– Wenn solche Gefühle der Erniedrigung national werden, sagte ich, dann sollte sie nur der in die Welt hinausrufen dürfen, der Verantwortung übernimmt. In einer Rede im Senat, es war im Jahre 23 oder 24, haben Sie in pathetischen Worten die ganze Verantwortung auf sich herübergezogen. Es liest sich, wie – aber Sie werden es nicht glauben! –

»– liest sich, wie wer?«

– Wie eine Rede Lassalles vor Gericht, fuhr ich fort. Und ganz wie dieser zitieren Sie den Heraklit. –

»Ich bewundere Lassalle, sagte Mussolini. Das war ein Mann erster Ordnung, mit viel mehr Phantasie als Marx. Deshalb hatte er auch eine weniger katastrophale Vision der kommenden Welt. Und wie er sich am Ende für die schöne Dönniges totschießen läßt, das beweist erst recht die Stärke seiner Phantasie.«

– Die Russen, sagte ich, lassen ihn jetzt fallen, seit neue Dokumente seinen Verkehr mit Bismarck beleuchten. Ich habe das einmal auf die deutsche Bühne gebracht. Lassen Sie mich zum Stolz zurückkehren. Mit 20 sollen Sie einmal von der Polizei in Zürich festgenommen und körperlich gemessen worden sein. –

»In Bern.«

– Ist es wahr, daß Sie aus Wut über das Messen ausriefen: Es kommt eine Rache! –

»Es ist wahr, sagte er. Das waren Hammerschläge auf mein Wesen, die mich härter zusammenschlugen und mir nützlicher waren, als meine Gegner ahnten.«

– Damals, fragte ich, sollen Sie einem Italiener, der Ihnen 5 Lire schenkte, dafür ein arabisches Messer geschenkt haben? –

Er nickte: »Das war in Jverdon, so ein halblanges Messer. (Er zeigt die Länge an seinem Arm.) Ich hätte ihn gehaßt, wenn er mein Geschenk für sein Geld nicht angenommen hätte.«

– Unter allen Ihren Taten hat mir keine so gut gefallen, sagte ich, sie hört sich wie eine Legende an. Um so weniger begreife ich Ihre Theorien oder Gefühle, wenn Sie die persönliche Ehre auf eine Gemeinschaft übertragen und Patriotismus eine Tugend nennen. –

Er sah mich groß an: »Warum nicht?«

– Weil er die billigste von allen Phrasen darstellt, sagte ich, mit der jeder Esel sich schmücken kann. Der grimmige Engländer Johnston nannte den Patriotismus the last refuge of a scoundrel. –

»Und warum vergessen grade Sie, fragte er zurück, daß jede Nation eine Geschichte hat? Alle Völker, die eine Geschichte haben, haben eine Ehre. Das Vermächtnis der Väter ist es gradezu, das ihre Existenz rechtfertigt. Eine Nation, die Shakespeare, Goethe oder Pascal hervorgebracht hat, die Dante, Petrarca, Ariost der Welt geschenkt hat, das ist kein Nomadenvolk. Die Ehre der Nationen sehe ich in dem Beitrag, den sie der Kultur der Menschheit hinzugefügt haben.«

– Diese Ehre, fragte ich, muß also mit den Waffen verteidigt werden? Weil der Weltbürger Goethe, der den Krieg verabscheute, die Menschheit reicher gemacht hat, muß nötigenfalls eine Million junger Leute in Gas aufgehen! –

»Es sind nicht alle Beleidigungen gleich schwer, erwiderte er. Auch hängt viel davon ab, wer beleidigt, ein Journalist oder ein verantwortlicher Staatsmann.«

– Jedenfalls soll ich eine Selbstverständlichkeit, nämlich meine Liebe zum Lande, die so natürlich ist wie die zu meinen Eltern, – die soll ich für eine Tugend halten! –

»Zunächst ist der Patriotismus nur ein Gefühl, sagte Mussolini. Eine Tugend wird er erst durch das Opfer. Je nach dem Maße des Opfers steigert sich diese Tugend.«

– Die Gefahr liegt darin, entgegnete ich, daß jede Nation sich in solchem Falle mit ihrer Ehre besonders brüstet. Wir haben die Folgen des deutschen nationalen Hochmutes, der ein Menschenalter lang aufgepeitscht wurde und Europa böse machte, bitter büßen müssen. –

»Das war Deutschlands Sache, sagte Mussolini und zog mit der Hand eine Grenze. Wenn bei den Deutschen das Nationalgefühl zu sehr geschwollen war, so war es bei uns umgekehrt zu schwach geworden. Ich habe die Italiener nie als das Salz der Erde bezeichnet. Ich habe nur betont, daß wir so viel Licht und Raum brauchen wie die andern.«

– Wenn Ihnen aber das Volk eines Tages vor lauter Begeisterung durchgeht? –

Er machte eine Pause, sah mich kritisch an und sagte:

»Das kommt auf die Autorität des Führers an.«

– Vor drei Jahren, sagte ich, haben Sie Europa durch eine Reihe von Kriegsreden in Schrecken gesetzt. –

»Damals waren wir gereizt worden. Ich mußte sehen, bis zu welchem Punkte mir die Nation im Notfalle folgen würde. Das Echo haben Sie vernommen.«

– Nicht nur das Echo in Italien, sagte ich. Briands Schweigen auf Ihre Reden war sein Verdienst. Entsinnen Sie sich, wie er auf der Genfer Tribüne zu sagen wagte: unter mir macht Frankreich keinen Krieg? Noch zwei Jahre später, noch in der Erinnerung war er verdunkelt, als ich ihm von jenen Wochen sprach. –

Mussolini ist, wenn er etwas Neues hört, sehr aufmerksam; man sieht, wie er ein Wort, das ihm interessant vorkommt, in sein Gedächtnis einschreibt. Jetzt nickte er und sagte, ohne im mindesten irritiert zu sein:

»Briand war kein Feind Italiens.«

– Dergleichen Akte schnellen Handelns, sagte ich, die Europa zuweilen erschreckt haben, kontrastieren mit einer besonderen Geduld, die ich in andern Unternehmungen bei Ihnen bemerkte. –

Da er sah, wie ich aus dem Riff der Unterhaltung herauszusteuern suchte, änderte auch er sogleich Stimme und Haltung und sagte:

»Vor 30 Jahren habe ich meinen Schülern einmal das Thema gegeben: Durch Beharrlichkeit erreicht man das Ziel. Das hat meinen Vorgesetzten gefallen. Um dieselbe Zeit schrieb ich meinen ersten Artikel – nein, eigentlich war es mein zweiter –, der hieß: Die Tugend der Geduld. Wahrscheinlich empfand ich damals, wie nötig mir diese Tugend sei. In Wahrheit bereite ich alles lange vor.«

– Einige Entschlüsse, erwiderte ich, können aber nicht vorbereitet gewesen sein. Zum Beispiel die Affäre von Korfu. –

Er setzte sich zurück, blickte von mir weg vor sich hin und fing an zu monologisieren:

»Diese beiden Techniken gehen durchaus zusammen: Geduld in der Vorbereitung, Schnelligkeit in der Ausführung. Auch der Marsch auf Rom konnte nur durch Schnelligkeit gelingen. Als alle Welt glaubte, es würde in Rom oder Florenz losgehen, fing es in Pisa an. Ich saß, um alle Welt zu täuschen, an diesem Oktoberabend im Theater in Mailand. Ich weiß noch, man spielte den ›Schwan‹ von Molnar. Meine Proklamation war schon seit dem 16. fertig. Ich hatte sie Chiavolini gegeben, weil er mir der verschwiegenste schien. Hätte man bei mir Haussuchung gemacht, so wäre ich festgesetzt worden.«

– Warum nannten Sie Ihr Unternehmen ohne Vorbild in der Geschichte? -

»In der italienischen, verbesserte er. Italien zu mobilisieren, um auf Rom zu marschieren: dazu muß man Jahrhunderte zurückgehen.«

– Wenn aber einer Ihrer vier Generäle, die doch im Eide des Königs standen, sichs anders überlegt und gegen Sie das Schwert gezogen hätte? –

»Den hätten wir bekämpft.«

– Und für den Fall des Mißlingens? –

»Der war nicht vorgesehen. Er war unmöglich. Hätte ich ihn nicht für unmöglich gehalten, wie hätte ich handeln können!«

Die beiden letzten Antworten schoß er schnell, scharf und feindlich ab; nicht grade gegen mich, aber gegen eine skeptische Welt, die aus meinen Fragen zu sprechen schien. Er sprach in diesen Augenblicken wie ein Offizier, der sich an der Erinnerung an seinen besten Sieg verjüngt. Ich suchte rasch noch eine ähnliche Frage, um diesen Ton noch einmal zu hören:

– Aber vorher, in den Jahren der Enttäuschung, als Sie in den Wahlen geschlagen wurden: ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß das Ganze vielleicht nicht geht? –

»Niemals!« rief er eben so rasch und scharf wie zuvor. In solchen Augenblicken hat man Ton und Haltung des Willensmenschen zum Greifen nahe, zugleich den tieferen Grund seines Erfolges. Ich dachte an das hundertmal herumgewälzte Problem der sogenannten Umstände und sagte:

– Also haben Sie sich, scheint mir, von den Umständen treiben, aber nicht hindern lassen. In der Geschichte habe ich dies nur soweit entscheidend gefunden, als sie in der Jugend die Richtung bestimmen. Wäre Bismarck oder Cavour im Volke geboren, so hätten sie mit gleicher Leidenschaft die rote Fahne vorausgetragen. –

»Charakter und Umstände, sagte er, spielen mit- und durcheinander. Eins ohne das andere gibt keine Gleichung. Dabei zieht das Glück den Tüchtigen an.«

– Wenn Sie diese Sicherheit schon immer besaßen, sagte ich: was haben Sie dann in diesen zehn Jahren des Regierens, pragmatisch gesprochen, gelernt? –

Er blickte mich voll, fast möchte ich sagen, dankbar an, was er sehr selten tut; denn wie alle einsamen Denker fühlt auch Mussolini sich ebenso gern selten erkannt, wie er zumeist in seinem Denken unbeobachtet bleiben möchte. Nach einer Pause faßte er sich zusammen:

»Meine gesamte Haltung habe ich in diesem Jahrzehnt großen Stiles entwickelt. Ich habe mich überzeugt, daß der Tat das Primat zukommt. Sogar wenn sie verfehlt ist. Das Negative, das Ewig-Unbewegte ist der Fluch. Ich bin für die Bewegung. Ich bin ein Wanderer.«

– Und geht es auf dieser Wanderung bergauf, bergab, bergauf? fragte ich. Oder gleicht sie eher einer Bergbesteigung in den Alpen, wo sich die Aussicht dauernd weiter und weiter öffnet? –

»So ist es, sagte er. Die Alpen.«


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