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17.

Lange lag Mino ohne Regung, in ihm war nichts als der große Schmerz. Er wußte nicht mehr, daß er den Herzog hinausrufen wollte, hinauszwingen in den Kampf der Straße. Söldnern des Königs war verräterisch Porta Ovile aufgeschlossen worden, sie waren in die Stadt gebrochen ohne Gegenwehr, schlugen jeden, der eine Waffe hob. Der Visconti hielt mit seinen Landsknechten das Stadthaus umklammert, hatte die Signori und den Podestà, die dem Salvani Treue hielten, eingeriegelt, sie mit dem Tode bedroht, wenn sie Flucht versuchten. Auf dem Turm des Stadthauses schlug der Sicurano die große Glocke wie toll mit seinem Schwert an, er warf jeden hinab, der sich näherte, und die Bürger, die das wunde Geheul ihrer Sturmglocke vernahmen, schlossen voll Angst die Häuser zu. Ein Trupp, den Cipolla führte, hatte sich mit den Söldnern des Königs vereint, ein paar andere waren zum Hause des Salvani gelaufen, zusammen mit den deutschen Lanzknechten wollten sie um ihren Herzog stehen.

Immer näher kam das Brausen, immer lauter gellten die wilden Rufe. – »Eo! Eo!« – Herr Mino hatte den Pecorai nach Staloreggi gejagt, das Tor zu schließen und zu halten, der Reinbold von Gempenbach drang gen Ovile, daß er vielleicht noch die Truppen des Königs dämmte. Ihm hatte sich Herr Beltramo Fratta mit ein paar Gesellen vereinigt, er war treu dem Herzog und führte ein gutes Schwert; auch besaß er ein wenig die Kunst, sich den Deutschen verständlich zu machen. Mino selbst hatte geplant, zusammen mit Provenzan das Stadthaus zu zwingen, die Signori zu befreien – die doch schon ein paarmal nach der Republik geschrien hatten – und den Visconti zu fassen. Auch auf den Aldobrandeschi hoffte er, der nimmer zum Feinde des Kaisers hielt, der ein kaltblütiger Führer und ein heißer Kämpe war. Mino hatte ihm einen Mann geschickt, ihn ins Haus des Salvani gebeten; könnte er Freunde mitbringen, so wären sie von Nutzen.

Aber jetzt war dem Mino alle seine Kraft vergangen. Er hob sich langsam vom Boden auf, trat ans Fenster, hörte, wie der Sicurano über der Stadt raste, sah eine rote Fackel, die einer auf dem Turm der Tolomei schwang.

In ihrer Kammer oben wurde Gaspara vom Kampfe der Männer durchbebt. Sie ließ eiserne Stangen vor die Türe schlagen, legte sich ihr herrlichstes Gewand um, wartete. Wie der Visconti auch zu schmeicheln gewußt – sie traute ihm nur halb, allzu schief stand ihm der Blick in den Augen. Wenn er Siena durch Waffen gewann – ob er sie dann noch begehrte?

Unbemerkt war Provenzan ins Dunkel des Saales getreten. Jetzt vernahm Mino seine Stimme: »Du bist hier?«

Er vermochte nicht Antwort zu geben.

»Wo ist Ginevra?«

Es zuckte über Minos Gesicht.

Hart trat Provenzan vor ihn. – »Auch sie geht!«

Mino blickte aus traurigen Augen. – »Hättest du es – heute – nicht getan!«

»In Schande geht sie! Und das Lachen der Menschen ist hinter ihr!« – Provenzan stand, gehämmert aus Haß.

»Nein!« – Verzweiflung schrie.

»Ja!« – Der Herzog hielt wieder alle seine Kraft in eisernen Fäusten. – »Hinter ihr das Lachen – und hinter mir! Es wird niemals enden.«

Mino schöpfte tief Atem, und dann war es, als ginge er sehnsüchtig um Provenzan herum, daß er vielleicht doch noch den Freund fände. – »Meine Rettung hat keine Freude in dieses Haus gebracht.«

»Nein!« lachte gellend der Herzog. – »Sie hat keine Freude gebracht!«

»Eo! Eo!« – Schwerter hackten, Männer fluchten, ein Pferd schrie auf, das von einem Pfeil getroffen wurde, es klang wie Geierschrei. Sie kannten nicht Freund noch Feind in der Finsternis, sie wußten nicht, für wen das Schwert fiel, wen es schlug. Der Visconti hatte Waffen ausgeteilt; den Magister Placidi, der vom Fenster des Stadthauses geredet hatte gegen die fremden Herren, ließ er hinabstürzen. Die Sturmglocke zersprang unter Sicuranos Schwert wie ein verblutendes Untier der Vorzeit. Sicurano setzte, um sich schlagend, die Treppe hinab, doch die Leute des Visconti warfen ihn nieder.

»Eo! Eo!«

Alles hörten die beiden Männer im Saal, aber sie waren so tief ineinander verbissen, daß nichts anderes ihre Seele treffen konnte. Sie standen Auge in Auge, und der Herzog sprach böse: »Gaspara hat eisern ihre Türe verrammt gegen mich – jener wird sie öffnen!«

»Der Visconti!« entsetzte sich Mino.

So hart knirschte der Herzog, daß ihm ein Zahn im Munde brach.

»Dann hat sie dich nie geliebt!« sprach Mino leise.

»Sie hat mich geliebt! Aber sie ist eines Großen Kind – und ich habe vor dem Visconti gebettelt!«

»Für mich!« zagte Mino.

»Ja! Für dich!« – Die Scheide seines Schwertes klirrte an den Stein.

»Strafe mich, Provenzan!«

»Kann ich es noch?« schrie ihm der Haß entgegen.

Minos Kopf sank mutlos. – »Ich habe das Ärgste schon erlitten.«

Aber was er fühlte, was er hoffte, was er sprach, es fand keinen Weg mehr zum andern. – »Maßest du dir an, das Ärgste zu erleiden?«

»Ginevra ist für immer gegangen!« flüsterte Mino.

»Auch sie hast du getötet!«

Gewaltig schwoll das Tosen. Sie riefen den Herzog, daß er bei ihnen stehe in dieser blutigen Nacht. Schwertknäufe hämmerten an das Tor, das Calcagna verschlossen hatte. Die Stimme des Gempenbach dröhnte: »Zurück!«

Hoch, schneidend ein Männerruf: »Visconti, hilf uns!« – Und andere: »Visconti! Visconti!«

»Die Tolomei! Wo bleiben sie?«

»Die Söldner des Königs haben schon die Lizza besetzt! Wer hilft!«

»Sie morden bei Fontegiusta!«

»Visconti!« – »Tolomei!« – Salvani rief keiner mehr.

»Hörst du?« fragte unheimlich leise Provenzan. – »Ihnen allen habe ich meine Kraft zugelegt! Von meinem Mark zehren die niedrigen Herzen!«

»Provenzan!« schrie Mino. Zum erstenmal fand er den Freund mutlos.

Der hielt eisern seinen Arm fest. – »Sag mir doch – kann ich diesen Tag aus der Zeit reißen, zu Tode würgen? Kann ich diesen Tag in den Herzen morden, jedes Auge blenden, das ihn gesehen hat?« – Sein Griff lahmte. – »Ich kann es nicht! Dieser Tag ist stärker als alle Tage der Größe und der Kraft! Und er wird sich immer fetter aufblähen, immer grinsender wird er durch die Städte rennen, auf allen Lippen den Samen des Hohnes aufgehen lassen, das Grab schänden, in dem Lodovico ruht! Das letzte Leben meiner Mutter ersticken! Fragend hat sie auf mich gesehen: Bist du es noch? oder bist du ein anderer geworden?«

Jedes Wort fiel schwer auf Mino. – »Rede nicht weiter, Provenzan!« stammelte er.

Aber der faßte ihn hart. – »Schweig still! Hast du mir noch nicht genug Böses getan?«

»Visconti!« – Eine Männerstimme rief es ganz nah, es war der Cipolla, und über die Treppe wurde es heraufgeschleudert wie eine Kugel von Stein – »Visconti!«

»Er allein kann uns retten!« heulte der Waffenschmied. – »Er verjagt den Bedrücker, gibt uns das Leben wieder!«

»Eo! Eo!« – »Visconti! Visconti!«

Der alte Carolino de' Tolomei, der dem Salvani nicht eines Atems Zug gönnte, kam die Straße heraufgeschritten mit den fünf Söhnen, hinter ihnen Männer mit Axt und Spieß und Morgenstern, mit Haue und Brecheisen. Die Stunde war gekommen, Stein um Stein aus dem Hause der Salvani zu reißen, bis es eine Stätte geworden war für Marder und Katzen. Die Stunde war gekommen, die Sippe der Salvani auszuroden, den Kopf Provenzans auf einem Spieße dem Tolomei-Turm einzupflanzen als ein Zeichen des Sieges.

Vor der Türe standen die deutschen Lanzknechte, schlugen nach rechts und nach links und sangen dazu:

»Drauf und dran! Drauf und dran!
Arm und Bein und Hals!
Den ganzen Mann!«

Die Stimme Pecorais stach in die Menge: »Zurück!« – Neben ihm mähte Herr Beltramo Fratta von den Rümpfen Köpfe ab.

Aber es waren ihrer zu viele. – »Schlagt das Tor ein!« befahl der Visconti. Eisen wurden in die Ritzen gestemmt, Keulen donnerten.

Im Saale schrie Provenzan auf: »Er ist da, der mich zunichte macht! Er holt mein Erbe, holt Gaspara!«

Noch einmal erraffte Mino seinen Mut. – »Komm zu den Freunden! Laß uns zusammenhalten in dieser Stunde!«

»Zu spät!«

»Alles soll ich dir sein – dies ist das letzte Wort, das Ginevra mir gelassen!«

Es schoß aus dem Herzog wie eine rote Flamme. – »Wage nicht, sie zu nennen, die du zerstört hast! Mir genommen hast.«

Mino versagte. – »Ist der Schmerz dieser Stunde so groß – dann töte den, der sie über dich gebracht hat!«

Provenzan riß sich das Schwert von der Seite. – »Wenn ich es noch vermag!«

Ohne Gegenstreich sank Mino. Sein Haupt klaffte.

Der Herzog ließ das Schwert fallen, stand vor seiner Tat. War die Stunde der Niedrigkeit vernichtet? – Er beugte sich, betastete den Toten – war das Mino, für den er vor der Türe seines Hauses gebettelt hatte? Für den er die Kränkung der Gemeinen und den Hohn der Großen hingenommen, ihm das Leben zu erkaufen? ...

Das Tor splitterte und stürzte krachend. Männer heulten, Schädel knackten, Leiber rollten über die Treppe.

Aber der Herzog sah nur ihn, der in seinem Blute lag. Und er grübelte: Ich habe ihn nicht geliebt, ich habe nicht für ihn gebettelt. Alle werden erkennen, daß es ein Scherz gewesen ist ...

Pecorai stürzte umflackert herein, es troff rot von seinem Schwerte, er umfaßte den Herzog. – »Rettet Euch! – Wo ist Ginevra?«

Beltramo Fratta taumelte über die Schwelle, brach blutend nieder.

Reinbold von Gempenbach sprang in die Türe, sein Helm stieß an den Pfosten. Er trat vor den Herzog, stand mit gespreizten Beinen, schwang überm Haupte den Zweihänder wie einen Quirl, der Menschengebein umrührt. Männer drängten in den Saal, doch keiner wagte sich nahe.

Fackeln wehten über den Köpfen.

Cipolla hatte andere durch die Nebenpforte geführt, er barg sich hinter einem Pfeiler, rief: »Nun hat es ein Ende mit Euch! Wir finden einen besseren Herzog!«

»Niemals einen besseren!« schrie Pecorai. Und wieder faßte er Provenzan. – »Wo ist Ginevra?«

»Auf dem Wege zu den weißen Frauen von Assisi!«

»Gerettet! Geborgen!« jubelte Pecorai. Da sah er auf dem Estrich Herrn Mino mit der klaffenden Wunde.

»Ich habe ihn erschlagen!« – Der Herzog regte sich nicht.

Fahl wich der Jüngling von ihm.

Cipolla keifte von seinem sichern Ort. – »Seht den Herzog! Unseren Herrn Mino hat er erschlagen! Nun soll er den Lohn empfangen nach Gebühr!«

Die Männer gaben einen Weg dem riesigen Ildebrando frei, mit gezücktem Schwert trat er dem Herzog zur Seite. Er sah, wie von überall Geier herflogen, wie jeder von ihnen einen Fetzen der Stadt faßte und daran riß, bis die Türme wankten, die Häuser bröckelten, die Menschen weinten ...

Der alte Vogt war bis zum Herzog gedrungen. – »Eure Mutter weigert sich, ihr Gemach zu verlassen. Stürzt das Haus, so stürzt sie unter den Trümmern!«

»Ich habe es gewußt!«

Carolino stand im Saale mit den fünf Söhnen. – »Jetzt wird deine Frechheit gestraft!« zischte der Haß der Jahre. Hoch hob der Alte sein Schwert auf. Aber Reinbold ließ ihn nicht nahe kommen, wie ein Wolf, den die Hunde umkreisen, hielt er alle fern. Da kroch Cipolla von hinten heran, stach ihm mit seinem Messer die Fußsehnen durch, daß er taumelte. Stürzend riß er Carolino zu Boden. Die Tolomei-Söhne erstachen ihn, hoben ihre Waffen gegen Provenzan auf.

Aber der Visconti wehrte ihnen. – »Haltet ein!« – Und zu Provenzan: »Denkt Ihr des Tages in Mantua, da Ihr die Fürstin erranget?«

Cipolla stand frech vor Provenzan. – »Bettelherzog!«

»Bettelherzog!« – Die Bürger von Siena riefen es, die der Visconti gewaffnet hatte und gelöhnt. Doch der alte Ildebrando schlug Cipolla mit der Linken den Schädel ein, daß er lautlos fiel. Sein Schwert wäre ihm zu gut gewesen. Und Provenzan wußte doch, daß Ildebrando nicht um ihn sorgte, daß er den Niedrigen strafte, der sich am Herzog verging.

Der Saal war angefüllt mit den Söldnern des Königs und mit den Männern des Visconti, auch sein Kanzler war zurückgekehrt.

Provenzan sah auf Pecorai, sah auf Ildebrando Aldobrandeschi – die letzten. – »Tötet mich!« sprach er zum Alten. – Der hob mit steinernem Angesichte das Schwert auf.

Aber der Visconti hielt seinen Arm. – »Auch jetzt noch bin ich großmütig! Lebe! Lauf ins Land, zu den Bettlern der Straße!«

»Bann! Bann!« – So schrieen die Männer von Siena.

»Entwurzelt seinen Stamm! Brecht sein Haus!« – So schrieen die Tolomei-Söhne.

Pecorai faßte die Hand Provenzans, ließ sie nicht mehr. Er war größer geworden und älter, und er sprach zu seinem Herzog, zu seinem Freunde: »Der Tag der großen Liebe hat dich hinabgestürzt! Wie klein sind sie, die deiner Herr geworden!« – Er spie aus vor dem Visconti.

Und plötzlich lachte Provenzan lange und laut über sie alle. Er hob den rechten Arm als ein Gebieter, und sie gaben ihm Raum. – »Komm, Pecorai!« – Mit dem letzten, der ihm geblieben war, ging er ins Elend.

*

 


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