Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Auch San Gemignano hatte sich unterworfen. Der Rat hatte hergesandt und dreitausend Goldgulden Tribut verheißen. Allenthalb schienen um Provenzan Salvani Rosenranken zu blühen; aber an ihren Wurzeln nagte unsichtbares Getier. Die Diener im Haus waren seit lange nicht gelöhnt worden, und der alte Vogt Calcagna fürchtete die Händler, die immer frecher drängten. Provenzan achtete nicht so Geringes und Widerliches, ihm war kein Brokatgespinst zu schön und kein Edelstein kostbar genug, Gaspara zu schmücken, und sein Haus wurde von Gästen nicht leer.

Am Abend des Tages, da sich Siena neu der Königin des Himmels verlobt hatte, waren viel Hände in den Sälen des Herzogs am Werk, Simse und Säulchen unter Blumen zu verbergen und die Wände unter den gewirkten Bildern der Teppiche. Hohe damastbezogene Stühle wurden hingestellt, Kerzen in schmiedeeiserne Ringe, in gestreckte Arme, in offene Tiermäuler eingesenkt.

Die Diener ließen trotz eiliger Arbeit das gewohnte Schwatzen nicht, und stand Calcagna anderswo, dann schwirrten Worte des Spottes.

»Was gibt es denn heute wieder für ein Fest?« fragte der lange Zaccaria, dessen böses Maul oft den Antiphon sang zum Loblied der Glocken.

»Ein Siegesfest natürlich!« kam zurück von Giacomo, der auf der Brüstung des Umgangs oben das gelbe Tuch festnagelte. – »Was denn sonst! Am Ende weißt du gar nicht, daß unser großer Feldherr Mino dei Mini den König der Franzosen geschlagen und ihm Orvieto abgewonnen hat?«

»Also ein Siegesfest?« – Zaccaria schrubbte faul die Ebenholzsäulchen des Türrahmens, wie ihm geheißen worden war, und stellte sich dumm. – »Doch am Himmelfahrtstage? War das auch ein Siegesfest?«

»Da solltest du nicht erst fragen! Die Wiederkehr von unseres gnädigen Herrn Hochzeitstag ist doch wohl begangen worden!«

Zaccaria staunte mit offenem Mund: »Aha! Und zu Pfingsten? Ich glaube, das hat vier oder fünf Tage gedauert? Was hat es denn da Großes gegeben?«

»Zu Pfingsten?« – Wie in tiefes Sinnen versunken, ließ der Lümmel den schweren Stoff herabfallen. Er beugte sich übers Geländer und blickte in den Saal. – »Zu Pfingsten? Ja, was hat es zu Pfingsten gegeben? Bei San Geronimo, ich weiß es selbst nicht mehr!«

Ein anderer, der in einer geflochtenen Schwinge Kerzen herbeitrug, blieb stehen und lachte. – »Wißt ihr denn nicht mehr, daß zu Pfingsten San Domenico eingeweiht worden ist? Und daß sie ein großes Jagen in den Maremmen angestellt haben? Damals haben die Herren für unser Essen gesorgt mit Sauspieß und Stachel.«

Zaccaria legte die Hände auf seinen Bauch, krümmte sich, jammerte mit verzerrten Mienen: »Das Eberfleisch! O weh, das zähe Eberfleisch! Tagelang hat es mich gepeinigt!« – Aber unversehens faßte er eine Magd an, die mit zwei hohen Leuchtern vorüberging, und sie kreischte laut.

Der dicke Kaufmann Galgano trat ein, seine Gesellen brachten schöne bunte Glaslampen.

»Erleuchtung für den Herzog!« rief Giacomo von oben. Aber – »sie kommt zu spät!« murrte Egidio und stellte seinen Kerzenkorb auf den Tisch. Die Magd hatte sich von Zaccaria gelöst, ergriff eines der Gläser und sah hindurch gegen ein brennendes Licht – »Oh! Rotleuchtend wie Rubinen! Als ob sie in Liebe brennte, so erscheint mir jetzt die Welt!«

»Das tut sie auch!« lachte der Geselle und packte frech die Magd. Sie ließ das kostbare Glas fallen, daß es in Scherben klirrte. Schon hatte Zaccaria dem Kerl eine übers Ohr gehaut, und der sparte den Widerhall nicht. Giacomo kletterte hurtig über die schlanke Steinsäule in den Saal herab, dem Zaccaria zu helfen, sie schlugen auf den Burschen los – »Du dreckiger Schlingel! Bleib nur bei deinen Töpferdirnen!« – Er fluchte, die Mitgesellen standen ihm bei, noch ein paar Gläser gingen in Scherben.

Wie ein Schwein, das der Treiber an seiner Beinschlinge weiterzerrt, so schrie der alte Galgano. – »O du verdammtes Pack! Aber Euer Herr wird mir das ersetzen! Er steht für sein Gesinde ein!« – Galgano griff den Zaccaria beim Wamse, wollte ihn von der teueren Ware fortziehen. – »Werdet Ihr wohl –« aber er bekam einen Tritt ab und blökte: »Herr Kastellan, Herr Vogt, man erwürgt mich! Man zerbricht all mein Gut!«

Calcagna war da, schlug mit seinem schweren Stocke die Diener – »Fort ihr! An eure Arbeit!« – schlug die Gesellen, jagte sie hinaus.

Galgano jammerte: »Ihr nichtswürdiges Hundevolk! Könnt ihr euch nicht woanders die Köpfe einschlagen? Nein! Gerade über meinen Lampen! Die feinsten Venediger Gläser, wie sie hierzulande noch kein Mensch gesehen hat!« – Er fuhr auf Zaccaria los. – »Du! Du Langer! Du magst dich freuen! Dein Herr soll erfahren, wie du bist!«

Aber Calcagna zeigte ihm die Türe. »Der Herzog schiert sich wenig um deine Lampen! Braucht sie nicht!«

»Er schiert sich nicht? Braucht sie nicht? So? Ein sauberer Herr, Euer Herzog! Noch nicht einmal die Seidenstoffe hat er bezahlt, die ich ihm aus Genua unter Gefahr meines Lebens hergebracht habe, und die hier so sündhaft verschwendet werden!« – Erbost blickte Galgano im Saale herum. »Hat er es etwa bezahlt? Nichts habe ich, keinen Batzen! Und der Zobelpelz für die Herzogin! Und die goldenen Ringe für Monna Ginevra! Und das Pferdegeschirr für Herrn Mino!« – Calcagna wollte ihn aus der Türe schieben, aber der Aufgeregte ließ nicht ab vom Keifen. – »Was glaubt denn Euer Herzog? Seht Euch doch nur diese Lampen an! Drei davon habt Ihr zerschlagen! Aber heute gehe ich nicht fort, ehe nicht die ganze Rechnung bezahlt ist! Fünfhundert Goldgulden mag es ausmachen, nicht viel weniger!«

Die Diener waren herangekommen, besahen mit Grinsen den Zornigen. – »Also du gehst nicht fort, ehe du nicht dein Geld hast?«

Galgano schnaufte, sein Gesicht war noch röter als seine Lampen. – »Zuversichtlich! Das magst du getrost beschwören, junger Mann!«

»Wohl gesprochen!« höhnte Zaccaria. »Und das Geld für die zerbrochenen Lampen willst du wohl auch gleich einsacken?« – Frech lachten sie ihm ins Gesicht.

»Zweifelst du?« fauchte Galgano. »Ich werde mich nicht vom Hausvolke des Herzogs prellen lassen! Nicht eher weiche ich vom Platze, bevor ich bezahlt bin ganz und gar!«

»Aber sag mir doch,« spottete Giacomo, »was wirst du inzwischen essen? Wo wirst du schlafen? Wo wirst du dir den Bart scheren und die Glatze salben lassen? Wo wirst du deine Kinder zeugen? Wo wirst du –«

»Schweig schon einmal still, lebendiger Schafskopf, der du bist!«

»Immerhin bin ich lieber ein lebendiger Schafskopf als ein verhungerter, verdursteter, in seinem eigenen Bart erstickter und noch auf mancherlei andere Weise verstorbener Kaufmann, der du zweifellos bald sein wirst!«

»Ist Euer Herr ein Beutelschneider?« brüllte Galgano.

»Behüten die Heiligen! Er ist ein großmächtiger Herr und hat jetzt den blutigen Karl besiegt, wie du vielleicht wissen wirst, toter Kaufmann!«

»Tot, sagst du?« – Galgano färbte sich bläulich im Gesicht.

»Du bleibst doch hier stehen, bis man dich bezahlt hat!«

»Und bei San Gregorio, meinem Patron, sei es geschworen!«

»Er schwört bei San Gregorio!« höhnte Zaccaria. – »Wie denkst du darüber, der du einen Pfarrer zum Oheim hast?«

»Er schwört sich zuverlässig dreihundert Jahre Fegefeuer an den Hals,« sprach Giacomo ernsthaft. »Lieber Kaufmann, ich rate gut: bau hier im Saale ein Häuschen für Weib und Kinder, damit du nicht von deinen Gewohnheiten lassen müssest, denn ein paar Jahre kann die Wartezeit leicht dauern.«

»Kriegt ihr etwa keinen Lohn hier im Haus?«

Zaccaria schnitt eine Grimasse, Giacomo murrte: »Unser Herr ist Leuten Geld schuldig, die er nicht ansehen möchte. Aber glaubt mir: habe ich bis morgen das meinige nicht, so mag er sich einen anderen suchen, der ihm die Kleider in Ordnung hält.«

Niemand hatte es bemerkt: auf dem Umgang oben stand der Herzog. Als er den Arm aufhob und ihnen die Weite wies, da rann es allen eisig über den Rücken. Der Herzog schien sie nicht zu sehen, sprach kalt zum Vogte: »Schick die Leute fort! Gib jedem, was ihm gebührt!« – Seine Blicke umfaßten den Saal. – »Ist alles bereit?«

»Noch die letzten Handgriffe, gnädiger Herr!«

Die Diener waren fortgeschlichen, jeder an seine Arbeit.

Provenzan herrschte von oben: »Man beeile sich! Du weißt, ich liebe nicht, dies anzusehen!« – Er stieg in den Saal hinab. – »Calcagna! Was sind das für Reden in meinem Haus?«

»Herr!« – Mehr kam nicht aus des Alten Munde.

»Nun?«

»Da Ihr mich fragt, Herr – einige haben noch nicht bekommen, was ihnen recht sein sollte.«

Provenzan runzelte die Brauen. Die schmalen Lippen wurden noch schmäler, da sie sich aneinanderpreßten. – »Ich höre das ungerne. Mein Wille ist, daß solches nicht geschehe! Gib allen doppelt, die noch zu fordern haben! Und sorge, daß sie mir nicht mehr vor die Augen kommen!«

Aber der alte Vogt, der seinem Herrn diente seit vierzig Jahren, blickte seufzend zu ihm auf. – »Herr ... es ist übel bestellt.«

»Haben wir den Küstenräubern nicht genug abgenommen?«

»Es reichte knapp, den Marstall auszulösen, der, wie Ihr wißt, dem Malavolti in Pfand gegeben war.«

»Und der Tribut von Orvieto? Ist er nicht eingelangt? Hat Mino umsonst gesiegt?«

»Herr, das wenige ist niemals bis hierher gekommen.«

»Warum weiß ich das nicht?«

»Abschlagszahlung für die Gläubiger! Und sie murren noch immer.«

»Hat Mino seinen Teil erhalten? Ich hoffe doch?«

»Nicht daß ich wüßte, Herr.«

»Elende kleine Wirtschaft! Soll ich mit Hellern rechnen lernen? Verschwenden wir etwa?«

Calcagna sah ihn an. – »Verschwenden? – Ich – wer wollte das von Euch behaupten?«

»Rede frei, Calcagna! Du darfst sagen, daß ich ein Verschwender bin. Aber soll ich sein wie die dumpfen Bürger dieser Stadt, die ihre Saumtiere über die Landstraßen senden und täglich eine Messe stiften, daß nur ja keines falle?«

»Das stünde Euch nicht an!«

»Soll ich für den hinterlistigen Karl sammeln, daß er mich fange und köpfe, wie er es Konradin getan hat?«

»Herr ...«

Mit langen Schritten ging der Herzog auf und nieder, redete mißmutig. – »Oder sollte die Herzogin nicht die schönsten Perlen tragen, die aus der Meerestiefe ans Licht gestiegen sind? Wachsen die für Krämersfrauen? Für die Schönste wachsen sie doch wohl?« – Er war zum Tische getreten, wo Galgano mit seinen Lampen wartete, den Herrn umlauernd. Provenzan hob eines der flammroten Gläser auf, hielt es vor die brennende Kerze. Die Spannung fiel von seinen Zügen ab, er nickte freundlich. – »Schön! Schön! Wie durch ein Glas alten Burgunderweines funkelt die Welt. Wir haben Gäste aus Mailand und Genua im Haus, die verstehen sich auf so etwas, meine ich.« – Er sah zu Boden. – »Doch warum sind diese zerbrochen?«

»Es hat vorhin einen kleinen Streit gegeben,« erwiderte Calcagna, der seinen Herrn kannte. Allein der Kaufmann faßte die gute Gelegenheit – »Euer Gnaden, die frechen Bursche im Haus ...«

Abweisend schüttelte der Herzog den Kopf. – »Gut, gut. Ich will nichts wissen. Woher kommt das Glas?«

Jetzt war dem Galgano das Schloß von den Lippen genommen. – »Euer Gnaden, kostbare Gläser sind es, wie man sie nur in Venedig aus seltenen Erden schmelzt, jedes mit sonderlicher Kunst gearbeitet.« – Er hob eine Lampe vom Tisch. – »Seht doch nur! Ranken von purem Golde ziehen durchs Rubinglas so fein, daß jedes Äderchen der Blätter hervortritt. Der berühmte Tiberino hat alles mit seinen eigenen Händen geschaffen, und zwei seiner Gehilfen sind der Hitze des Ofens erlegen. Niemand versteht diese Kunst so vollendet wie Tiberino. König Karl hat seine Lampen in Rom gesehen, kann nicht genug davon haben. Das Glas ist so kostbar, daß nur Fürsten ...«

»Bezahl ihn, Gianotto!« – Der Herzog wandte sich ab.

Das Gesicht des Kaufmanns glänzte. – »Hab ich euch nicht gesagt, ihr Leute, daß unser Herzog ein mächtiger und freigebiger Fürst sei? Hab ich es nicht gesagt? Und daß er allen seinen Bürgern wohl will? Euer Gnaden, man sollte es nicht meinen, aber Kerle gibt es unter diesen, die behaupten, Eure Herrlichkeit gedächten einem armen Mann das Seinige vorzuenthalten.«

Der Herzog verpreßte die Lippen, befahl laut dem Vogte: »Zahl alle meine Leute aus! Und such andere. Es scheint, einige wissen besser Bescheid über meine Absichten als ich selbst!«

Die Diener standen geschlagen ... »Herr!« ... »Ich war es nicht,« wagte Giacomo. »Es war nur ...«

Der Herzog stand in der Türe, kehrte sich noch einmal – »Gianotto!«

Drinnen tat Galgano groß zu Zaecaria, der ihn verspottet hatte. – »Siehst du, wie ich mein Geld bekomme, du mißgünstiger Schuft du!«

»Wo hast du es denn?«

»Du hörtest doch wohl, was der gnädige Herr soeben ...«

»Der gnädige Herr wird dir zuvor einen Sack mit Goldstücken wegnehmen, runder als dein Sonntagsbauch, und sich neue Pferde dafür kaufen!«

Calcagna war in den Vorsaal getreten, der Herzog ärgerte sich: »Hat jemand die Schlüssel zu meiner Schatzkammer im Besitz, daß er so reden darf?«

Aber Calcagna sah ihn an mit seinen Augen, die dem Herzog und seinem Hause völlig ergeben waren. – »Herr, erlaubt mir, Euch zu sagen, daß die Schlüssel zu Euerer Schatzkammer nicht begehrenswerter sind als die Schlüssel zu irgendeiner Hühnerstiege.«

»Traurig! Schaff Geld, Gianotto! Verpfände Steuern! Ich will dir eine Vollmacht geben, daß du die Steuern für die nächsten drei Jahre im voraus einheben kannst!«

»Herr! der Feind ist nahe. Und die Bürger murren. Ihr habt mächtige Feinde in der Stadt!«

»Ach was! Sie sind reich, die undankbaren Hunde!«

»Aber sie sitzen schwer auf ihrem Geld. Und manche finden ...«

»Nun – was finden manche?«

»Daß Ihr mehr ausgebt, als die Stadt ertragen kann.«

»Die Frechen! Und Karl hätte Siena eingesteckt und geschatzt wie hundert andere Städte. Glaubt man, er hätte sich mit dem begnügt, was ich nehme? Gesotten hätte er die Dickwänste, bis ihr letztes Goldstück ausgeschwitzt worden wäre. Und er hätte recht getan! Morgen wollen wir neue Steuern schaffen!«

Calcagna nützte die Gelegenheit, daß Provenzan auf ihn hörte. – »Es werden auch Klagen vorgebracht wegen des Übermutes der Feldhauptleute. Die Bürger hassen sie.«

»Immer der gleiche Gesang!«

»Messer Monaldi sonderlich, der hat es auf ihre Töchter abgesehn.«

»Was kümmerts mich? Sie sollen ihn totschlagen, wenn sie Mut haben und wenn er sich fangen läßt! Ich will ihm eine neue Schwertfessel schenken vor aller Augen. Bei Orvieto hat er sein Blut nicht geschont.« – Der Herzog ging. Doch er winkte den Gianotto noch einmal zu sich her. – »Was meinst du? Ich hätte gern die beiden Rappen, die der Palermitaner zum Kaufe bot?«

»Herr ...« stotterte der Vogt.

»Nun gut – wir sind arm. Sag dem Mann, ich hätte keinen Platz im Stalle – doch nein, sag ihm geradeaus, daß ich die Pferde nicht will. Und reiche ihm ein Geschenk! – Ist Mino da?«

»Noch nicht, Herr!«

»Man rufe mich, wenn er ins Haus tritt!« – Der Herzog verschwand.

Musikanten kamen, Calcagna wies ihnen ihren Platz auf dem Umgang oben. Die letzten Lichter wurden entzündet.

Cipolla trat ein, der berühmte Waffenschmied, der im Hause des Herzogs wohlbekannt war, zu dem die Herren von weit kamen, Schwerter, Helme, Ringpanzer, Harnische zu kaufen. Er war ein Mensch mit starken Armen und einem Blick, der auch vor Königen nicht zuckte. Einen prächtigen, mit Gold ziselierten Harnisch brachte er her, jeder Kriegsmann hätte das Gesicht danach umgewandt. Herr Mino hatte diesen Harnisch in der Werkstätte des Meisters gesehen, ehe er noch in der heißesten Glut hart geworden war, und Cipolla hatte versprechen müssen, daß kein anderer ihn besitzen sollte als er allein. Er wird Gold heimgebracht haben aus der Beute von Orvieto, erwog der Waffenschmied, nun soll er den Harnisch prüfen. Und Cipolla gedachte auch, frühere Schulden einzutreiben vom Herzog.

Er sah den alten Galgano bei seinen Gläsern stehen, wenig Freude war auf seinen Wangen gemalt. – »Gibt es heute Bezahlung?« – Galgano ließ den Kopf hängen.

Calcagna fuhr den Waffenschmied an. – »Könnt Ihr nicht zur rechten Zeit kommen?«

»Wann ist denn hier die rechte Zeit fürs Bezahlen?« fragte Cipolla scharf. – »Am Pfingstfreitag wohl? Wenn er einmal auf den zweiundvierzigsten August fällt?«

Der Kaufmann nickte diesen Worten Beifall, aber Calcagna riet dem Waffenschmied, seinen Mund zu zähmen. – »Heute ist ein Fest im Haus, ich habe keine Zeit für euch! Fragt morgen oder übermorgen!«

Aus ihrer Ecke sahen die Diener gespöttig her. – »Seht doch, wie das fette Gesicht des Alten langsam abdörrt!« höhnte Zaccaria. – »Sein Bauch zieht sich ein und wird schlotterig, als wäre er eine Kuh, die eben gekalbt hat.«

Cipolla jedoch ließ sich so leicht nicht fortweisen. Einmal sollte dieser alte Esel gründlich die Wahrheit hören! – »Keine Zeit habt Ihr, Herr Oberschatzmeister? Oh, an der Zeit fehlt es Euch nicht, wo anders fehlt es bei Euerem saubern Herrn! Ein Blutegel ist er und ein Menschenschinder!«

»Unser Herzog,« ließ sich Zaccaria vernehmen, »wenn Ihr den etwa im Sinn haben solltet, ist ein Edelmann von der allerbesten Art, die nur auf Erden wächst. Oder ist Eure Meinung anders?«

»Ein Habenichts ist dieser Herzog, über den die Großmannssucht gekommen ist! Wer hat ihn denn zum Herzog gemacht als wir? Sein dürres Rößlein hat er mit den Schenkeln gedrückt, und die Hunde von Siena haben nach dem Leder geschnappt, das von seinen Schuhen hing! Und heute – ein Prasser ist er geworden, dem seine Kapaune am besten munden, wenn sie mit unserem Schweiße aufgemästet sind!«

»Irrtum!« spottete Zaccaria. »Er sieht ja nicht einmal hin, wenn Ihr schwitzt! Stinkende Luft seid Ihr für ihn.«

»Ersticke, du frecher Hund!«

Zaccaria grinste von einem Ohr zum andern. – »Ist es meine Schuld, wenn Eure schönen Waffen unbezahlt bleiben? Warum sagt Ihr denn Eure Meinung nicht lieber dem, für den sie bestimmt ist?«

»Hört er mir denn zu? Wir sind ja die fetten Affen, die seine erlauchte Magerkeit vollstopfen dürfen.«

Währenddes stieg Galgano von einem Fuß auf den andern und wies seine Gesellen an, daß sie die Lampen einpackten und fortschafften. Dieser Waffenschmied konnte das ärgste Unheil anstiften mit seinem jähzornigen Schreien! Galgano trat zu ihm, suchte ihn zu besänftigen. – »Komm, Freund, komm! Wir sind hier nicht eingeladen, wenn die Musik aufspielt! Und Bezahlung gibt es doch nicht. Laß uns lieber auf ein Schlückchen zu Vater Scarpina gehen! Nicht nur große Herren wollen sich die Kehle feucht halten.«

Cipolla stand noch unschlüssig, da tönte Hufschlag, der eherne Mauerring draußen klirrte. Die Türe flog, und Herr Mino war da, erhitzt und in Eile. Nicht wie zu einem Fest kam er, Eisen schiente seinen Leib ein, der Helm saß auf dem Kopfe.

»Wo ist der Herzog?« – Aber Mino erblickte den Harnisch, den Cipolla hielt, trat hin, besah ihn, betastete die feingetriebenen Buckel, die aufgelegten silbernen Ranken, die wohlgefügten Gelenke, die leicht glitten, als wären sie nicht Stahl, sondern Seide.

Cipolla lächelte mit Selbstgefühl. – »Seht auch hier die Schulterbänder, Stück um Stück mit Fleiß geschnitten und durch Riemen sicher gemacht!« – Geringschätzig strichen seine Blicke über das alte Stahlhemd, das um Minos Leib hing; es war nicht rein gefegt worden seit dem Tag von Orvieto.

Mino wendete das schöne Stück hin und her. – »Ich will einmal versuchen!« – In Eile nestelten sie an den Lederschnallen, das Panzerhemd fiel, und Cipolla legte den neuen Harnisch Herrn Mino um die kraftvolle Brust. – »Das ist etwas anderes, möchte ich glauben!« sprach der Meister stolz. – »Wie an Eueren Leib gegossen! Denkt erst, wenn Ihr zu Pferd sitzet!«

Der alte Galgano nickte jedem Wort ein Amen zu. – »Eine Pracht, eine wahre Pracht, gnädiger Herr!«

Mino drehte sich eitel. – »Es sieht gut aus? Wie? – Gianotto! Komm doch einmal her!«

Calcagna war vertraut mit Mino, dem Jugendfreund seines Herrn, der von der alten Valentina auf den Knieen gewiegt worden war.

»Wie? Was meinst du?«

Der Alte lächelte stolz, als wär es sein eigener Sohn, der da stand. – »Noch viel schöner als gewohnt seid Ihr jetzt!«

»Ich nehme den Harnisch! Behalte ihn gleich am Leibe! Muß noch einmal hinausreiten!« – Mit dem Fuße stieß er das Panzerhemd in einen Winkel. – »Laß das fortschaffen, Gianotto!«

Cipolla streichelte seinen Harnisch. – »Nur hundert Gulden, gnädiger Herr! Und der Helm, der Euch auf dem Haupte sitzt, mit dem angetan Ihr König Karl so rühmlich geschlagen habt! Ganz Italien spricht von dem Siege, Florenz und Pisa zittern. Sind Euer Gnaden zufrieden mit der Arbeit?«

»Ich muß sie loben!«

»Helm und Harnisch sind Brüder, aus einem Tiegel gekrochen. Sie passen vortrefflich zueinander!«

Mino hatte sich den Helm vom Haupte gehoben, hielt ihn zum Harnisch. – »Völlig gelungen beides!«

»Ihr macht mich glücklich, gnädiger Herr! – Und da – seht!« – Er zog ein Papier hervor. – »Ich habe mich erkühnt, eine kleine Rechnung aufzusetzen über die beiden Stücke.«

»Gut!« – Mino ging quer durch den Saal. – »Ist Provenzan im Haus?«

»Ich melde ihm, daß Ihr gekommen seid!« – Calcagna ging.

Aber Cipolla war dicht hinter seinen Schritten. – »Darf ich Euch die Rechnung vorlegen?«

»Wenn Zeit ist!«

»Ihr seid gewiß so gnädig und leiht mir den Harnisch, bis einmal Zeit ist fürs Bezahlen?« – Geschickt löste Cipolla die Schnallen und Ringlein, zog den Harnisch Herrn Mino vom Leibe. Aber der hob wild die Hand auf, schlug Cipolla auf den Kopf, die lederne Kappe klatschte. – »Daß du so mit mir zu reden wagst, Schwein!«

Der Waffenschmied reckte sich, maß den andern mit tückischem Blinzeln. Auch er war stark.

Da trat der Herzog in den Saal. – »Mino! Du reitest noch aus? Aber komm bald wieder, daß nicht beim Siegesfest der Sieger fehle!«

Noch rot vor Grimm, hatte Mino hingehört; der Herzog redete fort. – »Ich hoffe auch, daß die Vereinbarung mit dem Visconti zu einem guten Ende kommt! Dann sind wir dem König gleich an Männern und Waffen.«

Cipolla war, seinen Harnisch in den Händen, zurückgetreten, aber seine scharfen Augen sogen sich am Munde des Herzogs fest, seine Ohren schienen zu wachsen. Er war ein kluger Mann, der die Herren Italiens kannte, der von jedem wußte, wohin sein Wünschen und Gieren ging. Nicht selten hatte er heimliche Botschaft von einem zum andern getragen. Er hielt mit den Unzufriedenen in Siena; die Herren aus dem Hause Tolomei blieben nichts schuldig für Waffen und Gehenk.

»Trau dem Visconti nicht!« erwiderte Mino dem Herzog.

»Meine Feinde sind seine Feinde. Faßt Karl Siena, dann sind auch Pavia und Mailand in Gefahr. Und mangeln dem König die Söldner, so ficht ihnen zur Seite der Bannfluch Roms.«

»Du mußt es verstehen, Provenzan!«

Ein harter Blick des Herzogs traf Cipolla. – »Zieh deine Ohren ein!«

Der wollte davon – mit seinem Schmiedewerk in den Armen.

Aber Mino herrschte ihn an – »Den Harnisch!«

»Euer Gnaden, ich brauche das Geld, Zinn, Silber, Werkzeug zu schaffen. Und ich weiß einen, der mir alles bezahlt!«

In das Gesicht des Herzogs schlug Brand. – »Was erfrechst du dich! Den Harnisch für Herrn Mino!«

Aber Cipolla war zäh. – »Wenn ich Euer Gnaden erinnern dürfte!«

»Gianotto! Bezahl ihn!« – Und zum Cipolla: »Laß dich hier nicht mehr sehen!«

»Wie Euer Gnaden befehlen.« – Der Waffenschmied stand still, wartete. Galgano trat demütig zum Herzog. – »Wenn Euer Gnaden vielleicht die Gewogenheit hätten, auch meiner zu gedenken, ich bin ein armer Mann.« – Er ließ seine Rechnung sehen.

»Schert euch unter den Galgen!« – Der Herzog maß die beiden mit einem Blick, der ihnen, und mochten sie auch ihre Schwäche verwünschen, das Blut kalt machte. Provenzan streckte die Hand nach dem Harnisch aus, und Cipolla ließ ihn ohne Widerstand. Mit eigenen Händen legte der Herzog das schmiegsam stählerne Kleid um den Freund. – »Nimm es von mir, Bruder!«

Mino lachte. »Gleichviel, wer schuldig bleibt, du oder ich!«

»Gleichviel zwischen dir und mir – aber laß mich es sein!« – Und mit einer jähen Wendung zum Vogt: »Bezahle sie!«

Der winkte ihnen, zog sie aus dem Saal.

Mino schnallte den Harnisch fester, drehte sich in den Hüften, beugte sich, um mit den Fingern den Boden anzurühren, schnellte hoch, wiegte sich auf den Fußspitzen, hob die Arme, daß seine Finger die hängenden Blumengewinde streiften. Sein ganzes Gesicht lachte. – »Als hätte ich Seide um den Leib, so wenig fühle ichs! Ein eiserner Kerl, der Cipolla, trotz seiner Frechheit!«

»Wäre ers nicht, er dürfte mir lang nicht mehr ins Haus!«

Mino lachte. – »Wann endet dein Fest? Ich hoffe, daß ich noch recht komme zu Trunk und Tanz!«

»Lieber wäre mirs, du bliebest diesen Abend im Haus!«

»Einen Ritt nur, die Glieder zu schmeidigen, daß sie nicht rostig werden! Du weißt, dies ist meine Freude!«

Der Herzog lächelte väterlich.

»Auch säumen mir die Burschen auf der Straße von Castel Grignano zu lang. Wenn ich nicht zusehe, lassen sie sich vom König fangen.«

»Fürchtest du das?« fragte der Herzog.

»Karl zahlt doppelte Löhnung – aus dem Pfennig Petri!«

»Und ich bleibe die einfache schuldig, meinst du?«

Lachend schlug Mino den Freund auf die Schulter. – »Wer wagte so von Herzog Provenzan zu reden.«

»Was ist mehr, der Herzog oder die Wahrheit?«

»Der Herzog natürlich!«

»Dir! – Aber Söldnern! Bürgern! Krämern!«

»Ein Schuft, wer anders zu denken wagt! Schick ihn zu mir – sein Kopf soll nicht länger Lügen hecken! – Aber – in einer Stunde bin ich zurück!« – Er reichte Provenzan die Hand hin, die der lange festhielt. Wieder einmal wußte der Herzog, daß er Mino liebte wie es ein Freund nur vermag, daß er auf ihn bauen durfte, mehr als auf jeden andern – vielleicht mehr als auf Gaspara, der Lachen, Glanz und Scherz allzu teuer galten. Sie war es ja, die nach nie endenden Festen begehrte.

»Achte auf dich, Bruder!« – Der Mann, der im Kampfe groß geworden war, der Haß und Verrat mehr erfahren hatte als Treue, fühlte es warm im Herzen aufquellen für den jungen Freund. – »Achte mehr auf dich als auf die anderen! Du weißt ja, um wieviel teurer du bist als hundert und tausend von diesen Tagdieben und Galgenklöppeln – der Beste im Land!«

»Der Zweite!«

»Ohne dich säße ich nicht über Siena! Vielleicht wäre der Tolomei, was ich bin. Aber nicht das ist es – einmal nur habe ich erfahren, was Freundschaft heißt. Wie die Liebe ist sie – einmal im Leben. Auch die Liebe habe ich nur einmal erfahren.«

Mino war ernst geworden. – »Ja, Provenzan! Einmal im Leben: Freundschaft und Liebe.«

Das harte Gesicht des Mannes, der schon über die Vierzig hinaufgestiegen war, wurde plötzlich scheu, als stände er vor einer geliebten Frau. – »Meine Schwester ist mir ähnlich in manchem,« sprach er leise.

Jedes Lachen war Mino geschwunden, dunkel, fast feierlich standen jetzt seine Augen in dem ebenmäßig geschnittenen Gesicht. – »Ginevra ist über uns allen! Sie ist zu rein für Menschen!«

»Reinheit birgt Kraft, Mino!«

»Heilende, heiligende Kraft! Ich ahne diese Kraft – und ich muß mich doch schämen, wenn ich ihrer einen Hauch empfange! Ich fühle, daß ich erliegen sollte – auf den Knieen die Gewalt der Reinheit ins Herz mir strömen lassen – und ich vermag es doch nicht!«

»Du mußt zu Ende brausen! Aber dann kommt die Stille! Wie in den Schutzmantel der Madonna wirst du eingehüllt werden.«

Heiß faßte Mino die Hände, die sich ihm neu entgegenstreckten. – »Kommt die Zeit?« – Er entriß sich, stand an der Türe, redete leise zurück: »Sage den Engeln des Himmels, daß sie für mich beten!« – Als der Herzog ans Fenster trat, sprang Mino auf das Pferd, das vom ehernen Wandring losgeknöpft wurde. Provenzan hörte das Aufschlagen der Hufe, sah, wie der Rapp hinter den vorwölbenden Steinen der Straße versank, schon schwanden Nacken und Helm des Reiters.

Nicht weit hinter dem Tore lag in einem Pächterhaus Herr Benvenuto de' Pannochieschi, den Mino aus dem Fenster seines eigenen Hauses in den Straßenschmutz geworfen hatte. Alle Leute und auch sein Weib glaubten ihn in Poggibonsi, doch er dachte nur seiner Rache; er sah Mino vorbeikommen, warf sich auf ein Pferd, um die Söldner des Königs wissen zu lassen, welche gute Beute ihnen in die Hände lief.

Der Herzog trat vom Fenster zurück, winkte seinem Vogt. – »Rufe mich sogleich, wenn Mino wieder in die Stadt reitet!«

Calcagna stand nahe bei ihm. »Der Kanzler des Mailänder Herzogs hat mich eben gefragt, wohin denn Herr Mino noch so spät ritte, und ob er dem Fest fern bliebe.«

»Der Guardastagno?« – Doch allsogleich schüttelte Provenzan den Kopf – als wollte er üble Gedanken fortscheuchen. – »Ich gehe mich umzukleiden, die Gäste werden bald kommen!« – Und in der Türe: »Man beeile sich!«

»Wir sind fertig, Herr!« erwiderte Calcagna. Der hohe Saal war jetzt von vielen dicken Kerzen erhellt, die sich über die Wände zogen, die Pfeiler kränzend und das feine Geschnitze des Umgangs nachzeichnend. Zwischen den Lichtern hingen die Gewinde der Blumen, Teppiche schmückten die halbdunkle Rückwand, und über die Teppiche sprangen wilde Tiere, die von Jägern verfolgt wurden, Frauen badeten in marmornen Becken, und oben saßen Ritter und Damen und sahen lächelnd nieder aufs Wasserspiel. Über den letzten Teppich wanderten Krieger, schritten ein in die Dämmerung.

Fiedler, Harfner und Lautner versuchten auf dem Umgang oben ihr Getön.

Früher als alle anderen Gäste kam Pecorai da Turita, der junge Vetter des Herzogs, dem vor Orvieto zum ersten Male Pfeile um die Nase geflogen waren. Er trug ein Wams aus weißer Seide, und zarte grüne Weinranken waren hineingestickt, manche mit einer dunkeln Traube beschwert. Zierlich querten das Netz der Ranken scharlachne Vierecke aus Atlas, und auf den Ärmeln, die sich bauschig pufften, saßen Stieglitze und Lerchen, schmetterten ihr Lied; in den Brustlatz jedoch war der goldene Drache der Salvani eingewebt. Die flache Mütze, die auf Pecorais Kopfe saß, wurde von engen Streifen vielfarbenen Tuches umrandet, die alle in das weiße Hermelin oben mündeten.

Pecorai trug ein paar Zweige stark duftender Orangenblüten in der Hand. Er blickte um sich – da war niemand als der alte Vogt, der einen Diener zurechtwies. – »Ich bitte dich, Freund Gianotto, wie steht es denn hier? Muß ich denn schon wieder der erste sein?«

»Geduld, Geduld, Herr Pecorai!« lächelte Calcagna.

Aber dem Pecorai fehlte es sehr an Geduld, er stelzte von seinem grünen linken Bein auf das rechte rote, stand wieder vor Calcagna. – »Sag mir doch, lieber Freund, was meinst du, ist Monna Ginevra schon mit ihren Vorbereitungen zu Ende? Glaubst du, daß man vielleicht schon ein paar Worte mit ihr reden könnte, ehe die Gäste kommen?«

»Ich weiß es wahrhaftig nicht! Aber wenn Ihr versuchen wollt? Ihr könntet ja den Mund an die Türe legen und leise anfragen?«

Pecorai erschrak. – »Meinst du – meinst du wirklich, daß das ginge?«

»Wenn Ihr Mut habt – dort drüben ist ihre Kammer. Nun, Ihr wißt es ja ohnehin.«

»Glaubst du – glaubst du, daß ich es wage?«

»Das kommt ganz darauf an, wie groß Euer Mut ist!«

»Oh – du sollst sehen!« – Er ging zur Türe, aber er kehrte sich noch einmal. – »Was meinst du, Freund Gianotto?«

»Nur zu!«

Hinter Pecorai lachten die Diener. – »Madonna Ginevra! Madonna Ginevra!« fistelte Zaccaria in seiner Ecke. – »Habt Ihrs gehört? Wie eine Zikade, die Eier legen will und keinen Platz dazu findet.«

»Klang es nicht eher wie das Miauen eines Kätzchens, dem wer auf den Fuß getreten ist?« fragte Egidio.

Aber Calcagna hob seinen Stock auf. – »Schweigt, ihr frechen Schlingel!« – Er begann wieder seinen Weg durch die Säle, rückte Stühle, erklomm die Holztreppe, horchte, ob Lyra, Viola und Rote nicht miteinander in einen Kampf geraten würden.

Pecorai war schon wieder da, lehnte am Türpfosten. Er sah nichts vor innerer Freudigkeit. Der Vogt kam herab zu ihm. – »Nun, Herr Pecorai, ist Euer Mut übel gelohnt worden?«

Das Antlitz des Jünglings war verklärt. – »Oh, lieber Meister Gianotto, wir Männer ahnen ja gar nicht, welch wundersamer Kunst es bedarf, das Festgewand einer schönen Frau zu erbauen! Wir sehen ja nur die Vollendung und wissen nichts von aller Mühe und Weisheit, die da am Werke gewesen ist! Leichter muß es sein, eine mächtige Festung zu türmen und mit Mauern, Gräben, Brücken und Zinnen zu bewehren, als die geheimnisvolle Hülle zu schaffen, in der eine geschmückte Frau atmet und webt.«

»Meint Ihr wirklich?«

»Du kannst mir glauben, Gianotto! Und bedenke auch, welch mühevolle Erwägungen es hernach kosten mag, zu dem Kleide den rechten Schmuck zu wählen, der um die schmalen weißen Knöchel der Hand gelegt werden soll! Und daß nichts Unwürdiges den marmorreinen Hals trübe! Zu allerletzt wird noch ein Duft vom Himmel herabbeschworen – oh, wir wissen nichts!«

Calcagna schmunzelte mit Wohlwollen. – »Ihr denkt wohl oft an diese erfreulichen Dinge?«

»Und das Haar erst!« schwärmte Pecorai. – »Stunden der Arbeit voller Liebe! Über dem göttergleichen Angesicht soll ja eine Krone erhöht werden! Aber dann, wenn die Königin in ihrer ganzen Herrlichkeit vor uns steht ...«

Er sprach nicht aus, denn was er erträumt hatte, schwebte ihm leibhaftig entgegen: die milde Ginevra, deren Sohlen lautlos den Estrich streiften. Zyklamenfarben floß ihr in weichen Wellen das Gewand ohne Einschnitt vom Halse, wo eine Brame aus Silberblättchen aufgesetzt war, bis zu den silbernen Schuhen. Ein schmaler grüner Reif hielt die Orangenblüten, die ihr Pecorai gebracht hatte, im goldenen Haare fest. Um die Schultern aber lag ihr ein durchscheinendes aprilgrünes Seidengespinst, darin etliche Rosenknospen dufteten.

»Verzeiht, lieber Pecorai,« sprach Ginevra, »daß ich mich nicht eher finden ließ! Aber Ihr wißt ja, wie geplagt wir Frauen sind! Noch ein Blick in den Spiegel, und dann geschwind noch ein Heftlein fester gespannt! Ein letzter Blick – und wieder ist etwas vergessen! Und noch ein allerletzter Blick – es will ja nimmer zu einem Ende kommen!«

Pecorai schluckte. – »Oh – oh, wie seid Ihr schön, Madonna Ginevra!«

»So reicht mir doch Eueren Arm!« – Beinahe mußte sie ihn ziehen. – »Wir sind stolz auf Euch, Pecorai! Vor Orvieto habt Ihr Eueren Mut bewährt!«

»Sagen das die Leute?«

»Nicht die Leute nur, auch mein Bruder, und ihm hat es Herr Mino erzählt.«

Pecorai leuchtete auf. – »O dann – dann brauche ich mich wahrhaftig nicht zu schämen, wenn die beiden größten Feldherren Italiens solches sagen.«

»Ihr müßt mir noch mehr berichten, gestern habe ich ja nur den Anfang vernommen!«

Aus seiner Türe trat der Herzog, hoch, schmal und schwarz, er trug weder Schmuck noch Waffen, nur unsichtbar unterm Wamse den Dolch.

Er stand vor den beiden. – »Nun, Schwesterlein?«

Sie blickte auf zu ihm. – »Ein wenig fürchte ich die Menschen!«

»Fürchte sie nicht!« lächelte Provenzan. – »Du sollst jedem ein freundliches Wort finden! – Und du, Pecorai, wirst ihr helfen!«

»Seid gewiß!« sprach eifrig der Jüngling. Und Ginevra: »Ich will es versuchen, weil du es begehrst, Provenzan!«

»Hast du es erst versucht, dann glückt es wohl von selbst! Vergiß, daß du lange klösterlich gelebt hast!«

»Nicht das Kloster zieht mich zurück, aber fremde Blicke schmerzen wie Pfeile, ein guter Harnisch ist der Schleier gegen sie.«

»Wagt einer unziemlich zu blicken?«

»Gewiß nicht, Provenzan! Denk so etwas nicht!«

Der Herzog schwieg eine Weile, und dann sprach er: »Mino ist noch vor die Stadt geritten.«

Sie erschrak – »In dieser Stunde?«

»Ein wahrer Feldherr geht als erster hinaus und kehrt als letzter heim. Und er hat mir eine Botschaft gelassen.«

Sie fuhr zusammen – »Eine Botschaft? Für wen?«

»Ich weiß es nicht recht!« lächelte der Herzog. – »Alle Engel des Himmels mögen für mich beten! Das war sein Wort – darf ich es dir sagen?«

Es schien, als schickten die Knospen, die aus dem hellgrünen Seidengespinst des Schleiers blühten, rosigen Schein ihren Wangen. – »Oh, ich weiß doch nicht, wie das gemeint ist?« sprach sie leise.

»Gleichviel! Nimm seine Botschaft in deine Hände! Bete für Mino!«

»Ich will es tun, Bruder!« – Sie senkte die Stirn.

Calcagna bat Provenzan beiseite.

Als Ginevra wieder aufblickte, war Gaspara unter der Türe. – »Seht! Unsere schöne Schwester und der große Herzog von Mailand!«

Prächtig trat Gaspara mit Andrea Visconti in den Saal, wie eines Meisters Bild war sie in Perlen gerahmt, größere schlangen sich nicht um Frauennacken bis Venedig und bis Rom. Andrea war jung und schön, edelsteinbunt flimmerte es ihm um die Brust, und sein Dolchgriff war mit Rubinen besetzt. Wie ein Feuerbrunn sprühte ihm die Rede von den üppigen Lippen unterm Bärtchen.

»Ihr müßt heute meine Dame sein bis an den Morgen! Sterben soll, wer Euch meinem Arm zu entreißen versucht!«

Die Frau lächelte ihn an. – »Aber wenn der Herzog nach meiner Gegenwart Begehren trüge?«

»Was erinnert Ihr mich, Monna Gaspara?« – Der funkelnde Springbrunn seiner Rede versank in ein melodisches Flüstern – »Auch er soll es nicht!«

»Wie wolltet Ihrs hindern?«

»Lehrt es mich!« – Er faßte heißer ihre Hand.

Gaspara hatte sich der Schwägerin und Pecorai genähert, und als nähme sie der beiden jetzt erst wahr: »Sieh da, Ginevra und unser junger Freund!«

Herzog Andrea beugte sich vor der Fürstin, und mit einem Nicken des Kopfes empfing er den ehrerbietigen Gruß Pecorais. – »Recht so, Pecorai!« lächelte Gaspara. »Immer mit unserer Schwester! – Aber wir bleiben nicht allein!«

Sie kehrte sich, immer an des Mailänders Arm, ging ihnen lächelnd entgegen, den Herren und den Damen, die nacheinander eintraten, sich vor der Herzogin und des Herzogs Schwester höfisch neigten. Den Frauen war Gewandfreiheit verkündet worden für heute, sie durften Kleider zeigen, die nicht zuvor der Stadtnotar hin und her gewendet und sorglich geprüft hatte, ob sie nicht gar zu üppig wären oder zu reich. Heute hing nicht am Halssaume das sechseckige kupferne Blättchen mit dem Siegel der Stadt, das Meister Pandolfo Sermini hatte einheften lassen, wenn das Kleid allen Gesetzen genug getan. (Freilich wurde nicht selten das ehrwürdige Siegel von geschickter Hand tiefer hinabgeschoben, um mehr weißer Sammethaut das Licht zu gönnen, als dem gestrengen Herrn Notar tugendförderlich schien.) Und fürs heutige Fest war auch das Maul den boshaften Weibern verklebt worden, die zu arm waren für Goldbrokat, Feh und Zendal und gern ein Briefchen schrieben und in den Kasten des Stadthauses einwarfen, um in schlimmem Neid von der Nachbarin zu melden, daß die neue Schaube mit Zobel geziert war. Kein Kleid sollte zu prächtig sein für sein Fest, so hatte der Herzog befohlen.

Sie traten über die Schwelle, die Frauen von Siena, von San Gemignano, von Colle di Val d'Elsa, ja von Volterra und Lucca, auch von den Schlössern der Berge ringsum und der Maremmen, und sie brachten die Schönheit ihres Angesichtes her, die Pracht ihrer Gewänder und den glitzernden Schmuck. Der Angelica de' Pannochieschi saß im nachtschwarzen Haar, das von den Ohren in zwei geflochtenen Hörnchen aufstieg, ein Krönlein aus Diamanten, und an die hohe weiße Stirne der Beatrice de' Turamini legte sich wie Weinlaub ein Smaragdgewinde. Um ihr Hinterhaupt stand ein breiter gelbseidener Kragen wie ein Strahlenkranz, und da sie sich allzu klein dünkte, schritt sie auf hohen Ledersohlen, die von dem schleppenden Kleide zugedeckt wurden. Die Frauen taten es alle den Schnecken gleich: nahte sich ihrem Hause der strenge Herr Pandolfo Sermini, der über alle Pracht zu Gerichte saß und gern seine Nase eng an weiße Schultern schob, um besser Gewand und Schmuck zu beschnüffeln und mit schweren Händen seinen Ellenstab anzulegen, dann zogen sie die Hörner ein und machten sich unscheinbar und gering, so daß der alte Griesgram mit seinen größten Brillen nichts anderes fand als graues Tuch, ganz schmal nur weiß gebrämt, dunkelblauen Taffet, der hart ans Kinn stieß, und darüber zu allerhöchst ein Kreuzlein von Gold. Hatte sich aber die Türe hinter Herrn Pandolfo zugeschlossen, so wurden die Fühlhörner wieder ausgestreckt und mit genuesischem Sammet, mit Pelz und schönen Steinen behängt. Freilich war es Monna Ninetta da Sessa geschehen, als sie ein rotatlassenes Kleid mit einem Schwänzlein drei Ellen lang trug und damit in den Dom zur Messe ging am Ostertag, daß ihr zwei Knechte des Meister Pandolfo mit gewaltigen Scheren nahe geschlichen waren, während sie, ins Gebet versunken, anmutvoll kniete, ihr das Schleppschwänzlein fortschnitten und dazu von den Ärmeln, die den Boden berührten, eine Elle jedseitig. Ihr Kleid war nunmehr hinten kürzer als vorne, und Monna Ninetta hatte viel Spott zu erdulden, als sie aus dem Tore trat. Das war eine gute Warnung gewesen, und die Frauen gingen bis Pfingsten ungeschwänzt zur Kirche. Hernach wehrte der magenkranke Notar den Frauen, ihren Busen herzuzeigen, auch wenn der Anblick lohnte; da brachten die Kaufleute ganz feine Schleiergespinste aus Florenz herbei und verkauften sie wucherisch, und die Frauen schmiegten sich das weiße Zeug so gut an die Brust, daß sie noch einmal so lieblich hindurchschimmerte. An einem schönen Frühlingstage, da Meister Pandolfo über den Campo ging und seine neugierige Nase in alle Frauenbusen einsenkte, um die zu strafen, die anderes sehen ließen als Tuch oder Wolle, da begab sichs, daß ihm einer ein Bein stellte – Herr Mino dei Mini war es gewesen –, so daß der würdige Herr stolperte und schwer auf die schöne Pia, die Frau des Bellanti, fiel, worauf sich ein großes Getöse erhob und der Herr Bellanti dem Notar eine Tracht Prügel aufmaß vor allen Menschen, schreiend, daß sich der Magister auf sein Weib gestürzt hätte sonder Scham. Seit dem Tage ließ Meister Pandolfo seine Nase von der Stelle weg, die ihr nicht bestimmt war, und die Frauen hehlten nicht länger neidisch, was sie Gutes hatten, sondern offenbarten es durch die Schleier hindurch oder ohne sie.

Die schöne Lucrezia degli Scorigiani trat ein, sie mußte langsam und mit Bedacht die Schritte setzen, weil auf ihrem Kopfe ein Turm erbaut war, nicht viel geringer als der Turm auf dem Hause ihres Eheherrn. Unsichtbar wuchs ein hohles Säulchen aus Silber ihr auf dem Scheitel, und ringsherum wand sich kunstvoll das reiche Haar, das von zierlich geflochtenen Schnüren aus Gold umschlungen und festgehalten wurde. Auf dem Gipfel wiegten sich zwei Pfauenfedern, und ein breites, perlenbesticktes Seidenband hehlte die Grundmauern des Turmes, umzog die Stirne und wehte goldene Wimpel über den Nacken hin. Becchina, die Frau des reichen Ricciardo Scotti, ließ ihr blondes Haar lockig um den Kopf wallen, und ein Netz, in dem Saphire wie kleine Fische hingen, war hineingeflochten. Aber die Enden des Haares, das ihr reich über Schultern und Rücken floß, hatten in einer Goldtinktur gelegen, so daß es um sie leuchtete wie um die Madonna. Das Kleid, das sie trug, hatte ihr Ippolita, die berühmteste Buhlerin der Stadt, vor deren Türe Fürsten warteten, aus Byzanz hersenden lassen, denn der Bruder des Griechenkaisers war ihr Freund. Darüber wurde viel Redens gemacht.

Pecorai suchte im Gewühl den Herzog – »O wie Schönes habe ich jetzt gesehen!«

»Und unsere Schwester?« lächelte Provenzan.

»Verschwunden! Aber kurz blickte ich in die Kapelle ein – ich sah einen Engel knien und beten.«

»Wagtest du dich nah?«

»Frevel wäre dies gewesen! Ich stand und schaute« – verlegen schwieg er still. – »Es war nicht recht.«

Provenzan trat vor sein Weib und den lockigen Visconti. Sie begrüßten einander, der Herr von Mailand, leuchtend in Jugend und Reichtum und hoher Macht, und der Sienese, dem schon das Haar an den Schläfen graute.

»Von Herzen freuen wir uns, Euch hier zu finden, Messer Andrea!«

»Die Freude ist bei mir, Messer Provenzan!« – Ein schwaches Schielen war in den Augen des Visconti; mancher Frau schien es verlockend in dem herrischen Gesicht, Männern jedoch verriet es eine Seele, die nicht so gerade gewachsen war wie der Leib, in dem sie hauste.

»Doch fürchte ich,« sprach höflich lächelnd Provenzan, »daß Eure glanzgewohnten Augen in unserem Haus allzusehr werden darben müssen.«

Entzückt sah der Visconti zur Decke des Saales auf, wo viel Bilder Meister Bernardos prangten, sah auf die Blumenkränze und ins Getümmel der Gäste. – »Euer Haus hat nicht seinesgleichen in Toscana und in der Lombardei! Und neben den Frauen Sienas müssen die Engel verblassen!«

»Wir sind glücklich, wenn sie vor Euch bestehen dürfen! Und Dank, daß Ihr mein Gast sein wollt!«

»Kein größeres Glück als bei Freunden leben!«

»Sind wir Freunde, Herzog?«

»Sind wir es etwa nicht?«

Aber dem Provenzan wurde nicht wohl beim halbschlächtigen Blicke des andern. Er sah ihm offen ins Auge: »Euch frage ich, Herzog Andrea! Denn ich habe Feinde!«

»Seid Ihr kleinmütig?«

»Kleinmütig bin ich niemals gewesen! Aber Ihr wißt, daß Karl mächtig ist, mächtiger als jeder von uns, wenn wir nicht zusammenstehen.«

»Hat er einen Feldherrn, wie Ihr seid, wie Herr Mino ist?«

»Er versteht den Krieg. Oft hat er es bewiesen. Und sein Heer ist stark.«

Das Gesicht des andern wurde häßlich und scheel. – »Wißt Ihrs genau?«

»Wißt Ihrs etwa nicht?«

»Woher sollte mir dies kommen?«

Provenzan wandte verstimmt den Kopf zur Seite. – »Ich dachte, daß auch Ihr es wißt!«

Lauernd fragte der Visconti: »Habt Ihr Bericht, wo die Franzosen stehen?«

Provenzan zögerte. – »Nicht zu weit von Siena.«

Der andere schien zu erschrecken – »Unerfreuliche Kunde!« – Und doch fühlte Provenzan, daß er alles wußte, vielleicht mehr wußte als er selbst. – »Mino treibt sie gen Rom!«

»Ich bin dessen sicher wie Ihr!« – Der Visconti neigte sich höflich. Aber als Provenzan offenen Herzens fragte: »Seid Ihr hergekommen, unser Bündnis festzumachen?« – da erwiderte Andrea, mit den Augen Gaspara suchend, die sich neuen Gästen zugekehrt hatte: »Das Bündnis gegen Karl, meint Ihr? Darüber wollen wir reden, wenn die rechte Zeit gekommen ist.«

»Ist nicht immer rechte Zeit, Wichtiges zu tun?«

Aber der Visconti: »Jede Stunde hat ihr Angesicht, jetzt ist die Stunde des Lachens und der Freude.«

»Nach Euerem Belieben!«

»Ginge es nach meinem Belieben – heute noch! Aber Ihr verzeiht!« – Er reichte Gaspara den Arm.

Sie hatte inzwischen die Gäste begrüßt, die ohne Unterlaß in den Saal strömten. – »Monna Ninetta! Welche Freude, Euch wiederzusehen!« – Sie küßte die schöne Frau, um deren Stirne hoch hinauf schmerzhaft die Haare ausgejätet waren; dreifärbig hatte die Sonne ihr Haar gebleicht, und ein zierliches Band von Perlen durchzog es.

»Monna Gaspara!« – Die junge Frau neigte sich und mit ihr der Gatte, Herr Giulio da Sessa, der eines Landgutes Wert an Gehenk und Kette trug. – »Euer letzter Knecht, Madonna! Und doch der größte Anbeter Eurer Herrlichkeit!«

»Immer der Hofmann, der die Sitten der Provence zu den seinen macht!« – Gaspara reichte ihm die Hand zum Kusse.

Sogleich beugte er sich vor Ginevra. – »Hohe Flamme von Siena, die über alle Städte leuchtet!«

Provenzan zwang sich zur Höflichkeit, ihn hatten die glitschigen Worte des Visconti bitter getroffen. Er neigte sich vor der schönen Ninetta, die lange schon nach ihm angelte, dankte ihr, daß sie sein Fest reicher machte. Sie aber pries sich selig, über die Schwelle seines Hauses treten zu dürfen.

Er reichte die Hand dem Gatten. – »Freund Giulio!« – Und der versicherte Provenzan, daß er kein größeres Glück kenne, als ihm zu dienen.

Der Malavolti kam, der reichste Mann von Siena, dem der Herzog viel Geld schuldete; seine Wechsel galten in Genua und selbst in Paris und Brügge wie gemünztes Gold. Er hatte die Tochter eines Schankwirts zur Frau, doch er mußte sie daheim lassen, wenn er bei den Herren geladen war.

Hinter der schönen Angelica hüpfte von Mund zu Mund der merkenswerte Vorfall von gestern, wie der Ehegatte auf seinem eigenen Rücken ihr Herrn Mino ins Haus getragen. Seither hatte sich Herr Benvenuto nicht mehr blicken lassen. – Auf seinem Gut in Poggibonsi muß er nach dem Rechten sehen, so sagte Angelica jedem, der es wissen wollte.

Auch der finstere alte Ildebrando Aldobrandeschi war mit seiner Tochter, der Frau des Turamini, gekommen. Selten nur ging der alte Graf aus seiner Burg hervor, deren Turm von dem der Tolomei um sieben Spannen überragt wurde, was ihm nie erlöschenden Kummer schuf. Sein Haus war den Kaisern treu seit den Tagen langobardischer Herrlichkeit, dem Urahn hatte Dietrich von Bern Schwert und Sassen verliehen. Ildebrando hielt es mit dem Salvani und verachtete ihn doch, hinter dem kaum ein Jahrhundert stand, der arm war an Land und an Mannen.

Beltramo Fratta, ein Freund Minos und voller Streiche wie der, versuchte mit der schönen Lucrezia zu tanzen, aber das war kein leichtes Beginnen, denn gefährlich wankte der Turm auf ihrem Haupte. Sie bat ihn, daß er ihr lieber was erzähle.

»Fürchtete ich nicht, Euer zartes Ohr zu verletzen, so wollte ich Euch berichten, auf wie seltene Art Orvieto gewonnen wurde.«

Lucrezia lachte.

»Ich sehe, daß es nichts Neues für Euch gibt, Madonna! Aber mögt Ihr von wahrer Liebe hören, die ihren Lohn fand, von einer Liebe, die meiner gleicht? Von den beiden Jünglingen, dem armen und dem reichen, die um die schöne Ghismonda warben?«

»Erzählet!«

»In Forlì hat sichs zugetragen! Häßlich war der eine, aber der Sohn eines reichen Juwelenhändlers, der andere arm und liebenswert, er lebte in seiner Hütte nah der Stadt und besaß nicht viel mehr als einen Esel, mit dem er Äpfel und Kohl zum Markt brachte. Ersah er aber die schöne Ghismonda auf seinem Weg, dann war es ihm Lohnes genug für viele Tage.«

»Ein wahrer Liebender!«

»Wie Ihr sagt! Doch Ghismonda verlobte sich dem Häßlichen, weil ihre Eltern es so begehrten, und war doch voll Trauer, denn sie konnte ihn nicht lieben. Der Tag der Hochzeit kam, und man hatte für diesen Tag den Esel des Armen gemietet, damit auf ihm Ghismonda dem Gatten zugeführt werde für Ringwechsel und Vermählung. So wird mein Eselein die holde Last tragen! dachte der Liebende, als er weinend in seiner Hütte saß, es war ihm geringe Tröstung. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, und ein Unwetter brach los, so erschrecklich, daß die Gäste, die schon auf dem Weg zur Kirche waren, nur eilig ein bergendes Dach suchten; das Eselein, das Ghismonda im Hochzeitskleide trug, rannte, vom Donner gescheucht, seinem Stalle zu, der weit von der Stadt entfernt war, und brachte die schöne Last dem liebenden Jüngling ins Haus. Der vermochte sie in seiner Verwunderung und Entzückung kaum aus dem Sattel zu heben. Aber alsbald faßte er sich, zog ihr das Hochzeitskleid, das wie ein nasses Tuch um sie hing, vom Leibe, trocknete sie sorglich und legte sie in sein Bett. Er glaubte nicht anders, als daß sein Schutzpatron das Unwetter gemacht hätte ihm zur Freude. Ghismonda erkannte seine wahre Liebe und blieb, während Regen und Hagel niedergingen, die Nacht lang bei ihm. Am Morgen aber leuchtete die Sonne über der Hütte der Liebenden, das Hochzeitskleid war trocken geworden, Ghismonda schlüpfte hinein und bestieg wieder das gute Tier, das sie dem Bräutigam zurückbrachte. Der hatte sie überall gesucht und nirgends gefunden und freute sich sehr, daß sie wiederkam, und sie erzählte, wie sie im Gewitter herumgeirrt war und endlich voll Angst in einer verlassenen Hütte ein Obdach gefunden hatte. Aber daß er indessen zum Achtender geworden war, verschwieg sie ihm.«

»Das sind mir Geschichten!« lachte Lucrezia, und die beiden Pfauenfedern auf ihrem Haupte neigten sich nach rechts und nach links und kitzelten Herrn Beltramo die Nase. Er bat die Frau, daß sie ihm eine der Federn, die auf ihrem Kopfe gewachsen waren, als wäre es der Steiß eines Vogels, schenkte. – »Was wollt Ihr damit?« lachte Lucrezia.

Er flüsterte ihr ins Ohr, daß sie von seinem Bärtchen gestreift wurde: »Habt Ihr mit Eurer Federzier meine Nase gekränkt, so will ich sie Euch ausrupfen und an Eurem Busen kitzelnd Rache üben!«

»Wieder die losen Reden!« – Doch sie war wenig erzürnt, und als er ihr über den Nacken strich, da lachte sie nur. Lucrezia wagte nicht das Haupt zu wenden, sie blickte gerade vor sich hin, gefährlich klimperten Kettchen und Fransen.

Herr Ghino de' Fornari erschien im Saale, erst vor kurzem war er nach Siena zurückgekehrt. Er stellte der Herzogin seine Gattin vor, Maddalena, die auf Castel Pretale gelebt hatte, viele Jahre lang. Sie war gekommen, gierig nach dem Glanz der Feste, von denen die Welt sprach – so sagte Herr Ghino.

»Oh, habt Ihr eine so schöne Frau, Messer Ghino?« lächelte die Herzogin – »und dürfen wir sie erst so spät kennen? Daß nur die Damen von Siena nicht trübe Augen bekommen, wenn sie merken, wie traurig es von nun an um ihre Aussichten bestellt ist!«

Maddalena beugte sich tief, sie war nicht gewohnt, höfische Pracht zu sehen, und das Gewand, das sie trug, hatte schon ihre Mutter getragen. Sie lebte auf dem Schloß des Gatten und kannte die Welt nicht, indes er in allen Städten, an allen Fürstenhöfen zu Hause war. – »Ihr seid zu gnädig, Frau Herzogin!« stammelte sie. – »In diesem Saale muß eine einfache Frau verschwinden.«

»Gewiß nicht, Monna Maddalena! Bald werdet Ihr merken, wie man Euch zu schätzen weiß! – Hier unser junger Freund und Verwandter Pecorai, ein großer Kriegsmann!«

Sehr verlegen beugte sich der Jüngling. – »O Madonna!« sprach er vorwurfsvoll zu Gaspara.

»Ich bitte Euch, lieber Pecorai, lehrt Monna Maddalena unsere Freunde kennen, sie ist noch fremd in Siena.«

Als Pecorai mit Maddalena ging, sah er schmerzhaft zu Ginevra zurück, die neben dem Bruder stand.

»Wie geht es dir, Schwesterlein?«

Fast zaghaft blickte sie zu ihm auf. – »Mein großer Bruder ...«

»Sehe ich nicht einen Schatten in deinen klaren Augen?«

»Kannst du ihn sehen?«

»Er liegt noch tief unten und will sich verbergen – aber ich sehe ihn doch!«

Die Scheue, die nicht vor lang aus dem Kloster der weißen Schwestern in Assisi heimgekommen war, zögerte, ihre Stimme klang ungewiß. – »Sind alle Freunde in der Stadt?«

»Mino wird bald ins Tor reiten. Aber laß uns nicht unhöflich gegen unsere Gäste sein!« – Er bat Beatrice de' Turamini, die Tochter des alten Ildebrando, zum Tanz, hinter ihnen ordneten sich in Reihen die geschmückten Damen, die lachenden Herren. Zur Musik der Spielleute zog es durch den Saal gleich einer bunten Schlange.

Schon vor einer Weile war der Hauptmann Ruggiero eingetreten, er ließ nicht die Blicke von Provenzan. Nun erspähte er den Wechsel der Paare, da der Herzog Monna Beatrice dem Herrn Ghino ließ und seine Hand Monna Ninetta reichte, die ihm schon lang süße Augen hinwarf.

»Gestattet Ihr ein Wort, Herzog!«

»Ruggiero, was willst du?«

»Ich habe einen Kerl gefangen, der zum König mit Botschaft lief.«

»Wer sandte ihn?«

»Ich kann es nicht beschwören, einen Brief trug er nicht. Aber er redete auf mailändische Art, und einer meiner Leute hat mit ihm getrunken. Er ist ein Mann des Visconti.«

»Des Visconti? Der dort geht? Bist du sicher?«

»Herr, in Pisa hat er einst ähnlich gezettelt.«

»Er ist mein Gast. Ich will es nicht glauben! Nein! – Doch höre, Ruggiero! Nimm ein paar Leute, geh vors Tor, auf die Straße hinaus, die nach Castel Grignano führt, und suche Herrn Mino!«

»Es wird geschehen, Herr!« – Ruggiero verschwand.

Der Herzog ersah den Calcagna, der nebenan über die Tafel wachte, und winkte ihn her. – »Noch nichts von Mino?«

»Nichts! Wenn er in die Stadt reitet, wird es Euch gemeldet werden.«

»Wer ist noch draußen, sonst?«

»Nur ein Fähnlein mit Sicurano!«

»Merk einmal, Gianotto! Ich will das Krämervolk nicht mehr im Hause sehen! Auch der Malavolti, der hier ist, steht mir nicht zu Gesicht. Und damit keiner verkürzt werde, will ich morgen den Monaldi aussenden. Er soll alle schatzen und ihnen abnehmen, wie er kann. Er versteht es. Dann zahl, was wir schuldig sind und noch etwas mehr. Für mich muß nichts bleiben.«

»Herr, sie hassen den Monaldi!«

»Da haben sie so unrecht nicht! Darum eben schicke ich ihn über sie!«

Ein kalter, bohrender Blick traf Provenzan. Es war der graubärtige Guardastagno, der Kanzler des Visconti, der Monna Ninetta nahe dem Herzog, zu nahe schien ihms fast, vorüberführte. Auch die Frau ließ ihre Blicke Provenzan zufliegen. Sie sprach zum Begleiter: »Scheint Euch nicht, Messer Marzucco, daß der Herzog für seine Gäste wenig Höflichkeit übrig hat?«

»Er ist mürrisch, zweifellos, er ist mürrisch!« nickte Guardastagno zerstreut. Ihn sorgte wenig die Frau an seinem Arme.

»Aber die Herzogin langweilt sich nicht! Sie hat angenehme Gesellschaft.«

»Angenehme Gesellschaft, wohl möglich! Wie Ihr meint, Madonna!«

»Der große Herzog von Mailand ...«

»Sonder Zweifel!«

Sie entzog ihren Arm dem Einsilbigen. – »Ich bitte Euch, laßt mich eine Weile ruhen!«

»Nach Euerem Befehl!«

Ninetta setzte sich, er ging mit einem Neigen des Kopfes.

Geschickt hatte sie ihren Platz gewählt, Provenzan mußte sie sehen, nachdem er den Calcagna verabschiedet hatte. – »So allein finde ich Euch, Monna Ninetta?«

»Die Gesellschaft meines Ritters ergötzte mich wenig. Ich zog es vor, auf bessere zu warten.«

»Der Mailänder war mit Euch, der Guardastagno?«

»Wenn dort alle sind wie er, dann möchte ich nimmer in Mailand sein!«

»So scheint Euch Siena erfreulicher?«

»Ihr fragt noch, Messer Provenzan?« – Heiß lachte sie ihm in die Augen.

»Dann erlaubt Ihr gewiß, daß ich Euch begleite!«

»Ich wüßte mir nichts Besseres zu wünschen!«

Aber auch der Herzog war nicht zu gesprächig, und es schmerzte die Frau, daß er sich ihrer Schönheit entzog. Ganz kurz sah Provenzan dem Visconti ins Auge, der von Gaspara nicht wich, und er fühlte, daß von ihm ihre Rede ging.

»Provenzan ist alt geworden, Monna Gaspara, seit den Jahren, da ich ihn nicht gesehn habe. Liegt nicht schon weißer Reif um seine Stirne?«

»Eine Täuschung, Messer Andrea! Provenzan ist jung!«

»Und Ihr liebt ihn, Madonna?«

»Ich erlaube Euch nicht, so zu fragen! Ja, ich liebe ihn, und ich werde ihn immer lieben! Nichts hat sich geändert seit den Tagen in Mantua.«

»Und doch hättet Ihr nur mich erwählt! Da kam der neue Herzog – Herzog seit Tagen!«

»Und als er kam, wußte ich, daß keiner ihm gliche! Verzeiht! Ich will Euch nicht kränken!«

Der Visconti preßte ihre Hand. – »Niemals kann ich ihm das vergeben! Niemals!«

»War es seine Schuld?«

»Ich hasse ihn darum!«

»Schweigt still, ich höre solche Reden nicht gerne!«

»Wäret Ihr Herzogin in Mailand –« Aber die aufrauschende Musik trank, was er noch weiter redete. Er neigte sich ihrem Ohr, und sie vernahm sein Flüstern: »Ihr seid viel allein, Monna Gaspara!«

»Oh, ich glaube, Provenzan liebt Herrschaft und Kampf mehr als alles sonst.«

»Mehr als Euch?«

Sie gab nicht Antwort. Er aber seufzte: »An Eures Vaters Hofe zu Mantua – ist es nicht eine schöne Zeit gewesen? Wie habe ich Euch heimlich geliebt! Doch ich war zu jung –«

»Kein Wort mehr, Herr Andrea.«

»Ihr befehlt es!«

»Ich befehle es!« Sie bat, daß er ihr vom gesüßten Eiswein brächte.

Beltramo Fratta wußte noch allerlei, was der schönen Lucrezia Freude schuf. »Wollt Ihr hören, was sich jüngst in Genua mit dem reichen Seidenhändler Buzzi und seiner eifersüchtigen Frau Gianetta begeben hat?«

»Ich bitte Euch, erzählt es!«

»Gianetta Buzzi hatte zwei Mägde im Haus, beide jung und hübsch, und sie vermutete, daß es eine von ihnen mit ihrem Eheherrn hielte, aber sie wußte nicht, war es die schwarze oder die blonde, und hätte es doch allzu gern erkundet. Eines Nachts hörte sie in der Nebenkammer verliebtes Flüstern, sie wartete in Erbitterung, bis es wieder ruhig geworden war, dann schlich sie hinein und ertastete zwei Köpfe auf dem Polster.«

Luerezia lachte erfreut, aber sie sprach: »O pfui, daß so etwas geschehen kann!«

»Nun hört weiter, Madonna! Im Dunkeln fühlte Gianetta einen Zopf und schnitt sich ihn zum Andenken ab. Hierauf schlich sie wieder in ihr Gemach und sah, daß es die Schwarze war, die sie schon immer am meisten beargwohnt hatte. Der Blonden aber bat sie im Herzen den Verdacht ab. Lang weinte die gekränkte Frau, und dann, als sie schon einschlafend alles Böse vergaß – da wurde sie vom Geknatter neuer Küsse aufgescheucht, das nicht viel geringer war als das Summen von Steinschleudern. Jetzt verfiel sie in eine arge Wut, und sie beschloß, das freche Nickel gründlich zu strafen und ihm auch den zweiten Zopf zu rauben, dessen sie zuerst geschont hatte, so daß die Magd fortan wie eine geprangerte Schanddirne würde herumlaufen müssen.«

»Eine gute Rache, mir gefällt Gianetta Buzzi!«

»So hört das denkwürdige Ende! Gianetta bemächtigte sich des anderen Zopfes, hängte ihn in der Dunkelheit zum ersten, kroch unter die Decke und schlief bis an den Morgen. Als sie erwachte, hingen die beiden Zöpfe am Nagel, aber nur einer war schwarz, der andere blond.«

»Ach Ihr!« lachte Lucrezia, und der Turm auf ihrem Kopf geriet ins Wanken, als hätte die Erde unter den Türmen von Siena gebebt. – »Das sind Märchen aus Samarkand!«

»Die volle Wahrheit, wie sie sich im Hause des Genuesers Buzzi ereignet hat!«

»Schämt Euch doch! Aber so seid ihr Männer!« – Der Pfauenschweif neigte sich und strich dem Beltramo übers Kinn.

»Hört noch mehr, Madonna: Ein großes Geschrei erhob sich im Hause, Gianetta steckte den Kopf vor die Türe: da lagen die beiden Mägde auf dem Erdboden und keilten einander unter wüsten Schmähreden, denn jede glaubte, die andere hätte ihr im Schlaf einen Zopf abgeschnitten.«

»Ihr wißt gar viel, Messer Beltramo!«

»Mit Eifer horche ich nach allen Richtungen der Welt, um das Ohr der Frau zu ergötzen, die ich so heiß liebe!«

»Das habt Ihr mir schon ein paarmal gesagt!« lachte Lucrezia mit Vorsicht. – »Aber lieber hörte ich noch eine von Euren Geschichten, die sind kurzweiliger.«

»So vernehmt die Historie von Innozenz dem Pfaffen! Ein Fischer von Avignon fand ihn an einem Orte, der von Rechts wegen und nach der Meinung des Fischers nicht für ihn bestimmt war.«

»An welchem Orte?«

»Im Bette seiner Frau. Und was tat der Mann?«

Lucrezia hielt sich die Fahne ihres Fächers vors Gesicht, der Turm bebte.

»Ihr denkt an den Pfaffen, Monna Lucrezia? Aber ich wollte sagen: was tat der Fischer? Er fing den frommen Kuckuck in seinem Netz und ließ ihn von der steinernen Brücke in den Rhônefluß baumeln. Da hing er den ganzen Tag, die Fische benagten ihm die Zehen, und während er viele Ave sprach, kamen die Weiber und gossen ihr Spülicht über sein geweihtes Haupt.«

Die langen Federn hingen über den Rücken der Frau gleich eines Pfauen Schweif, der Haarturm neigte sich, stürzte, und wie ein Wasserfall sprangen kaskadisch die Locken hinab, wälzten Gestein mit sich, Pölsterchen von Schafwolle und zuletzt den Felsblock der silbernen Säule, die alles getragen hatte. Monna Lucrezia floh.

Beltramo stand eine Weile, sah ins Gewühl. Herr Ranieri trat zu ihm. – »Es gibt noch ein Unglück heute!«

»Ein Unglück? Ich verstehe dich nicht.«

»Sieh den Herzog!«

»Den Visconti?«

»Unseren Herzog!«

Beltramo wandte sich: An einer Säule lehnte Provenzan, seine schwarzen Augen schienen durch alle Menschen hindurch zu dringen, und ein leerer Kreis war um ihn, den niemand zu verletzen wagte. Wie der heilige Sebastian im Dome, dachte Beltramo einen Augenblick lang. Woher werden die Pfeile kommen, ihn zu durchbohren? Beltramo war Minos Freund, und er liebte den Herzog. – »Was fürchtest du für ihn?« fragte er den Ranieri.

»Herr Mino ist nicht zurückgekehrt von seinem Ritt.«

»Ach was! Um ihn sorge ich nicht.«

»Bist du so sicher?«

»Ich bin es!«

Sie wichen zur Seite, Monna Ginevra kam am Arme des jungen Pecorai. – »Und ich glaubte,« sprach der Jüngling mit glühenden Wangen, »es müßte mir Gutes weissagen, daß Ihr meine Blüten nicht verschmäht habt!«

»Sind wir denn nicht Freunde gewesen von Kindheit an?«

»Die Kindheit ist vergangen – der Gespiele tritt vor die Freundin – und bittet –«

»Wir sind wie Geschwister gewesen – wollt Ihr das zerstören?«

»Ihr fühlt ja, daß mein Sehnen nach Höherem, Herrlicherem steht.«

Ginevra zog ihren Arm an sich. – »Seht doch, wie Gasparas Schönheit alle bannt!«

Aber Pecorai war erblindet gegen die Welt. – »Ich sehe nur Euch, Ginevra!«

Provenzan stand neben der Schwester, und sie blickten hinüber zu Gaspara, um die lautes Lachen war. Sie schlug mit ihrem Fächer nach dem Visconti, und der Fächer fiel nieder. Ein paar Herren bückten sich eilig, stießen mit den Köpfen aneinander. Beltramo Fratta hatte das Fähnlein mit schnellender Bewegung vom Boden gerafft und überreichte es der Herzogin. – »Dank Euch, Herr Beltramo! Ihr habt gesiegt!«

Aber ein zweiter, Ginevra kannte ihn nicht, es war Timoteo Lotteringhi, Provenzans Hauptmann, ließ mit einem bösen Blick gegen Beltramo hören: »Ihr gebt mir Rechenschaft!«

»Zu Eueren Diensten!«

Und Ricciardo Scotti fuhr den Beltramo an: »Ihr habt mich an den Kopf gestoßen! Morgen zur sechsten Stunde könnt Ihr mich vor Camollia treffen!«

»Ihr werdet nicht warten!«

Zugleich schnob Timoteo dem Ricciardo unter die Nase. – »Ihr –«

»Was untersteht Ihr Euch?« fragte der mit bösem Blick.

»Einen Unverschämten heiße ich Euch!«

Ricciardo faßte an den Dolch, aber die Hand Beltramos umklammerte seine. – »Ihr zahlt es mir!« zischte Ricciardo, und dem Beltramo schleuderte er noch einen giftigen Blick ins Gesicht.

»Mein heißester Wunsch!« erwiderte ihm Timoteo und ging grußlos aus dem Saale, sein Pferd zu fordern.

Monna Gaspara lachte vergnügt. – »Führt mich fort, Messer Andrea! Diese Herren rechten um etwas, was doch keiner gewinnt!« – Sie wehte sich Luft zu.

»Ich will mirs gewinnen!« – Das schöne Paar verschwand in der Menge.

Ginevra sah erschreckt zum Bruder auf. – »Viele Herren gehen um die schöne Gaspara!«

»Kann ich der Rose wehren, daß sie blühe und dufte? Und muß nicht jedes Auge bewundern, wo sich das Schönste ihm beut?«

Schüchtern stammelte Pecorai: »O Herr, nicht so redet!«

»Dir glänzt andere Schönheit ins Herz, Pecorai!« lächelte der Herzog. – »So werden wir immer Freunde sein.«

»Verzeiht ... Ich ... das habe ich nicht gemeint!«

Der milden Ginevra wogten Schatten durch die Seele. – »Wird dir nicht manchmal bang um dein schönes Weib, Bruder?«

»Was hülfe es mir! Kann ich vor den scheuen Blicken der Knaben und vor den heißen der Männer nicht bestehen – wie dürfte ich mich noch Gasparas wert erachten?«

»Mir ist das Herz schwer – und so glaube ich, auch du müßtest bangen!«

»Wenn ich Euch froh machen könnte!« rief Pecorai.

»Plötzlich ist eine Traurigkeit über mich gekommen – eine Ahnung wie von drohendem Ungemach.«

Der Herzog sprach ernst: »Die außer den Toren stehen, sind gewaffnet. Und der Feind verläßt schon die Gemarkung, Trupp um Trupp.«

Doch sie sah auf ihn mit bebenden Augen. – »O Bruder, und wenn doch nicht alles wäre, wie wir es wünschen!«

»Ich habe ausgesandt, Mino zu suchen. Alle dürfen in Ruhe warten, denen er teuer ist.«

In den Augen Pecorais glänzte es auf. – »Ich liebe unsern großen Feldherrn so sehr!«

»Das weiß ich, Pecorai! Du bist unser bester Freund!« – Der Herzog sprach es, und in erblühendem Rosenrot flüsterte Ginevra: »Dank!« – Aber sie machte sich frei von ihm und verschwand unter den Menschen.

»O Madonna! – Habe ich sie gekränkt?« – Bang sah er auf den Herzog.

»Gewiß nicht! Folg ihr doch!«

»Darf ich?« – Schon war er dahin.

Da saß im Schatten des Umgangs Maddalena de' Fornari und starrte auf die vielen Menschen. Sie hatte stets in der Burg des Gatten gelebt mit ihren Kindern und hatte selten Gäste gesehen. Herr Ghino war ja mehr zu Hause in Mailand, in Verona, in Siena als bei Gattin und Töchtern.

Provenzan trat zu Maddalena. – »Ihr fühlt Euch nicht wohl in meinem Haus, Madonna?«

Wie hilfesuchend blickte sie auf. – »Ach, es gibt so viele Menschen hier! Wo Ghino weilen mag? Es wird ihm doch nichts Arges begegnet sein?« – In Angst faßte sie die Hand des Herzogs.

Er lächelte. – »Euer Herr läßt Euch gewiß gerne daheim, wenn er ausreitet?«

»Ghino meint, es zieme sich wenig – aber warum ist er jetzt nicht bei mir?«

»Vielleicht will er sich nicht einfangen lassen?«

Sie fuhr zusammen, wies mit dem Finger zur Brüstung auf, die um den Saal ging. – »O Herzog, seht! Dort sitzt er! Nicht allein, mit einer schönen Frau sitzt er! Ich kenne sie gar nicht! Sollte er nicht lieber bei mir sein? Oh, er flieht mich! Er wird mich und die Kinder verlassen! Wenn sie schlecht wäre!« – In Verwirrung weinte Maddalena vor sich hin, Provenzan wollte ihr den Arm bieten, aber sie sah nur immer hinauf, zum Gatten.

Indes klagte Herr Ghino der schönen Beatrice de' Turamini von seiner großen Liebe. – »Welches Zeugnis eines aufrichtigen Herzens fordert Ihr noch? Jeden Morgen ist mein Polster naß von den Tränen, die ich um Euch geweint. Ich will Euch das Kissen senden!«

»Gewiß habt Ihr Frau Maddalena so lange mit bösen Worten gequält, bis ihre Tränen das Kissen tränkten!«

Er neigte sich über ihre Hand, schien das Weinen zu verhalten. – »O Madonna, ist es nicht Frevel zu spotten, wo ein Herz blutet? Eine Liebe, die meiner gleicht, hat wohl noch niemals in eines Mannes Brust gewohnt.«

»Wohnt sie im Herzen,« erwiderte Beatrice mit einem Lächeln, »so ist sie sich selber Glück und Genügen! Dann begehrt sie nichts sonst! Aber Eure Liebe scheint nicht von solcher Art.«

»Warum den Hohn, Madonna! Vor meinem Grabe werdet Ihr gewißlich erkennen, daß Ihr fortstoßet, was nicht wieder zu finden ist!«

»Wir wollen es abwarten!«

»Nehmt dies Madrigal! In Nächten der Sehnsucht habe ich es gereimt für Euch!«

»Für mich! Wirklich für mich?«

»Stets kränkt Ihr mich aufs neue!« Er zog die kleine Rolle hervor – aber Beatrice wies sie von sich. – »Kommt fort! Man könnte uns sehen!«

Der Visconti wich nicht von Gaspara. Er redete mit ihr von den Tagen in Mantua, wo er als Edelknabe am Hofe des alten Gonzaga, ihres Vaters, gelebt, erinnerte sie an Ballspiel und Ringelstechen und an die Ritte, die sie miteinander durch die sumpfigen Wiesen getan. – »Eure maulbeerfarbe Stute sank bis über die Fesseln ein, wißt Ihrs noch?«

»Und Ihr habt sie hochgerissen!«

»An dem Tage war ich stärker als je zuvor!« – Flammen sprühten aus ihm. – »Ihr wißt gut, daß ich nicht wie die anderen bin, die um Euch tänzeln!«

»Wie seid Ihr denn?«

»Muß ichs Euch wirklich erst sagen, Monna Gaspara, da Ihr so lange schon mich kennt? Da Ihr wißt, wie ich Euch zu Mantua geliebt?«

»Ich bin erstaunt, Messer Andrea!« – Sie sah ihn an mit einem Blick, der verwundert sein sollte – das Spiel freute sie, das gewagte Spiel. In Wahrheit glich Andrea Visconti, der Herzog von Mailand, nicht den anderen, die süße Reden spannen. – »Liebtet Ihr denn damals nicht die kleine Schwarze – wie hieß sie nur? Und die schöne Pia mit den blauen Augen doch sicherlich auch? Und dann Constanza Vicomercato? Und die süße Alagia nicht zuletzt, die jeden Tag dreimal zur Kirche ging und richtig ein Kind von Frate bekam? Und noch ein paar andere werden es wohl gewesen sein, deren ich mich nicht mehr entsinne? Und jetzt gerade mich?«

»Denkt doch nicht so von mir! Euch ist Übles hinterbracht worden!«

»Weshalb Übles? Sie sind es doch alle wert gewesen, daß Ihr sie liebtet – außer Alagia vielleicht!«

»Das ist ja alles niemals wahr gewesen und auch schon lange vorbei! Ihr allein seid es, die ich liebe!«

»Nichts mehr, Herr Andrea, wenn Ihr mich nicht erzürnen wollt! Gönnt mich doch auch ein wenig den geringeren Gästen!«

»Wie Ihr befehlt! Ich warte nahe von Euch!« – Dem Visconti war aber mit allem seinem Reden und Schöntun nicht entgangen, daß sich Provenzan in Unruhe fand, auch hörte er vom Guardastagno, daß Herr Mino hinausgeritten war – man wußte nicht wohin. Dieser Mino war gefährlich für alle, die ihre Begierde auf Siena gerichtet hatten, Carolino de' Tolomei, der auf Provenzans Untergang sann und mit dem der Visconti heimlich verbunden war, hatte ihn gewarnt. Zwar fehlte es Mino an Besonnenheit, aber kein Streich schien zu vermessen, daß er ihn nicht gewagt hätte. Auch merkte der Visconti, der nach zwei Seiten zu blicken vermochte, daß ein Bewaffneter in den Saal getreten war, mit Straßenkot bespritzt, der hin und her ging und jemand suchte.

Es war Sicurano, einer von den Hauptleuten Provenzans, der treu geblieben war, wenn auch der Sold unsicher aufgezählt wurde. Jetzt fand er Calcagna. – »Wie ist der Herzog gelaunt?«

»Er wartet auf Messer Mino.«

»Verdammt!«

»Wißt Ihr von ihm?«

»Er ist gefangen!«

»O weh, der Herzog!« – Calcagna wurde bleich.

»Sagt ihms!« bat Sicurano.

»Lieber melde ich ihm den Tod seiner Frau und seiner Mutter!«

»Ich wage nicht, es ihm zu sagen.«

Der Herzog stand vor ihnen. – »Sicurano! Du hier?«

»Herr – soeben« – begann der, und Calcagna ließ sie. Um den Herzog und seinen Hauptmann schlichen die kalten Augen des Guardastagno, der im grauen Alltagsgewand zum Fest gekommen war wie zu einer Sitzung des Rates.

»Wo ist Mino?« fragte der Herzog.

»Herr – schlechte Nachrichten!«

»Rede!«

»Es wird Euch übel klingen!«

»Mach keine Einleitungen! Wo ist Mino?«

»Wir ritten langsam aus Castel Grignano und hatten unserer Waffen wenig acht. Es mag zwei Stunden her sein, die Bäuerinnen standen am Brunnen, und wir ließen die Pferde saufen.«

»Schwatz nicht!« stampfte der Herzog.

»Verzeiht! Herr Mino ritt als letzter, wohl fünfzig Schritte hinter uns. Da brach eine Rotte von des Königs hispanischen Lanzknechten, die wir längst hinter den Bergen wähnten, aus dem Busch –«

Provenzans Atem stockte. – »Lebt Mino?«

»Herr, er lebt!« beeilte sich der Hauptmann.

Unbemerkt vom Bruder war Ginevra mit Pecorai herangekommen. – »Was ist geschehen?« fragte sie in Angst. – »Üble Kunde?«

»Nein! Nichts! Geh nur! Tanze!«

Aber sie vermochte sich nicht zu lösen, wie auch Pecorai bat, daß sie die Giga ihm gewährte, die eben angestimmt wurde. – »Mich stört ein kleiner Schmerz im Fuß! Ich bitte Euch, bringt mir einen Sitz her, Pecorai!«

»Also Herr,« entschloß sich Sicurano, »daß ich alles sage – sie haben ihn gefangen!«

Ginevra konnte den Schrei nicht hemmen, schon stand Pecorai neben ihr mit dem Stuhle.

»Gefangen!« – Die Stimme des Herzogs dröhnte. – »Gefangen!« – Wild riß er Sicurano das Schwert ab, schlug ihm die Scheide über Schulter und Arm.– »Hund! Und du stehst hier?«

»Herr ...«

»Kein Wort! Du bist heil – und Mino – schnell! Wie war es! Du wirst gehängt! Ich hoffe, daß alle tot sind, die mit ihm ritten! Wer entflohen ist, hängt!«

Sicurano redete langsam, bleich bis an die Lippen. – »Als wir es sahen – er hielt sich weit hinter uns und führte sein Pferd am Zügel –, da hatten sie ihn schon fortgerissen. Das Pferd entlief.«

»Gefangen! Der Beste gefangen!«

Ginevra hing vom Stuhle nieder und sah Pecorai nicht, der sie stützte.

Der Herzog warf Sicurano sein Schwert in die Arme.

– »Fort! Geh fort! Gefangen!« laut dachte es Provenzan. Was in Karls Krallen fällt – der einzige, der wahre Freund! Mino hat Karl verspottet nach seiner Art, er hat ihm Orvieto abgelistet. Der König haßt ihn mehr als den armen Konradin, den er doch tückisch erschlug!

Pecorai hielt Ginevra, die langsam vom Stuhle glitt. Der Herzog faßte ihre Hand. – »Ginevra! Er lebt! Hörst du! Er lebt, und er wird leben! Ich gewinne ihn wieder! – Bring sie ins Gemach, Pecorai!«

Aber sie hatte Kraft gefunden, fragte ruhig: »Was willst du tun, Bruder?«

»Soll ich Mino verlassen?« – Er wandte sich jäh um. – »Calcagna! Ein Pferd! Laß mir sogleich ein Pferd wappnen!«

Die Gäste waren aufmerksam geworden, einige standen nahe, andere spähten her. Provenzan fühlte, daß nicht alle ihm freund waren. Sie beugen sich, solang ich die Herrschaft halte! Aber wehe, wenn ich schwanke! Die Tolomei sind zum Ansprung geduckt, die Piccolomini sammeln Unzufriedene in den Städten, sie sind reicher als ich, man wird sie mehr lieben! – Er traf in zwei Augen, eisgrau und unbewegt – es war der Guardastagno, der ihn umlauerte. Mino hat mich vor ihnen gewarnt, dachte er. Ruggiero hat einen Mann des Visconti gefangen. Vielleicht haben sie Karl Botschaft gesendet, daß Mino vor den Mauern ist nur mit ein paar Dummköpfen? ... Der Herzog riß sich von diesen Augen los, tat Schritte, ging, ohne der Gäste zu achten, zum Fenster hin und wieder zurück. War es denn nicht Torheit auszureiten? Würde es ihm nicht ergehen wie Mino?

Da stand der Vogt, meldete, daß ein Pferd bereit sei. – »Auch drei gewaffnete Knechte!« – Der Herzog antwortete nicht.

Er sparte den Ritt. Zwei Herren wurden in den Saal geleitet, die das Wappen des Franzosenkönigs trugen. Und schon sprach einer von ihnen: »Wir suchen Euch, Herzog!«

»Woher kommt ihr?«

»Von König Karl!«

»Was wollt ihr?«

»Dürfen wir reden?« fragte der andere. Es war ein Vertrauter des Königs, ein Franzose, der Duguesclin hieß.

»Redet!«

»Unser großer König erinnert Euch, daß Ihr ihm Orvieto schamlos und durch Hinterlist abgewannet.«

Provenzan fuhr auf. – »Was wagt –« aber er begriff, daß er maßhalten mußte. – »Was soll das jetzt?«

Der andere, es war der Hauptmann Vernazza, der die Neapler führte, setzte die Rede fort. – »Unser großer König ruft Euch ferner in Erinnerung, daß Ihr seinen Anführer Niccolò Guastelloni samt einem Schwarm seiner Söldner finget und hängen ließet.«

Die Stirn des Herzogs färbte sich dunkelrot, seine Augen flammten. – »Euer König ist frech geworden, ihr Herren!« – Aber er gedachte Minos und stieß seinen Grimm in die Seele hinab. – »Der Anführer, den ihr meint, hat gleich einem Heckenreiter friedliche Kaufleute überfallen und ermordet und ihrer Habe beraubt. Dafür strafte ich ihn!«

Wiederum ließ sich der Franzose vernehmen: »Unser großer König, dem Neapel, Sizilien und die provenzalischen Lande gehorchen, und den der Segen des heiligen Petrus stärkt, weiß auch, daß Ihr von Konradins, des Deutschen, rechtmäßiger Verurteilung und Hinrichtung wie von einem Meuchelmord redet und daß Ihr diese Lüge in viele Städte mit Briefen hinausgesandt habt.«

»Und ein Meuchelmord ist es gewesen!« – Provenzan vermochte sich nicht mehr zu bändigen. Um ihn und die Fremden standen dicht geschart die Gäste, lauschten ohne Regung. – »Feig und schuftig hat Karl an dem Knaben gehandelt!«

Es war, als wichen die beiden zurück vor solchen Worten. Dann sprach Duguesclin mit starrer Miene: »Unser großer König, den Ihr feig und schuftig zu nennen beliebt, hat Euren Feldherrn Messer Mino dei Mini gefangen. Wißt Ihr das, Herzog?«

»Was will der König von mir?«

»Er will sich rächen, daß Ihr die Städte Umbriens, Toscanas und der Lombardei gegen ihn hetzt, und daß Ihr Briefe schreibt, in denen er meineidig und betrügerisch genannt wird.«

Provenzan fühlte, wie das Beil über seinem Haupt geschwungen wurde. Er erbleichte und schwieg.

Gaspara faßte des Visconti Arm. – »Ach, kommt! Immer der langweilige Krieg! Wir wollen uns mit besserem die Zeit vertreiben!« – Aber der Visconti stand wie eine Säule. Er hörte nicht, was die Frau sprach.

»Wir sind hergekommen, Euch das zu sagen, Herzog!« endete Vernazza. Sie machten eine Bewegung, als wollten sie gehen.

Provenzan hob den Arm auf. – »Ihr Herren! Karl ist grausam – sollte es recht sein, den Schuldlosen fühlen zu lassen, was ich ihm getan?«

Aber mit einem hochmütigen Rücken des Kopfes erwiderte Duguesclin: »Messer Mino ist Feldherr Eurer Truppen! Er kämpft gegen unseren gnädigen König und hat schon viel Verderbliches unternommen. Der schamlose Streich von Orvieto ist ihm nicht vergessen. Unser gnädiger König wird Herrn Mino köpfen lassen.«

Man hörte, wie das Wachs von den hohen Kerzen oben in silberne Schalen träufte. So leer war die Stille im Saal.

Plötzlich stand Ginevra zwischen Provenzan und den fremden Abgesandten. Der schmale grüne Streifen war von ihrer Stirn geglitten und mit ihm die Orangenblüten Pecorais; sie lagen über den Estrich [verstreut. Ergänzt. Re]. Auf ihrem Haupt flammte ein Schmelztiegel, in dem viele Ströme flüssigen Goldes durcheinanderrannen. Ihre Augen starrten weit offen, als sähen sie Erschreckliches. Und sie sprach, lauter als je ein Mensch sie hatte sprechen hören: »Der Herzog kann seinen Feldherrn nicht missen. Seine Schwester bittet den König, für Herrn Mino sterben zu dürfen!«

»Ginevra!« schrie der Herzog auf. Doch sein Ruf zerstäubte im Brausen, das jäh den Saal füllte. Es war Fragen und Reden und Schritteschlürfen und Durcheinanderdrängen. – »Habt ihrs gehört?« – Monna Gaspara war bleich geworden. – »Schwester! Schwester! Was tust du? Ein Mädchen, ein Fürstenkind!«

Als wäre ein Stein ihr auf den Kopf gefallen, knickte Ginevra in den Knieen, schlug den Arm vors Gesicht, enteilte. – »O Monna Ginevra!« – Einen Augenblick stand Pecorai unbewegt, dann faßte er alles. Allein so groß war die Liebe in ihm, daß er nichts mehr denken konnte, als ihr Mino wiederzubringen.

Der Franzose wollte sprechen, nach einer Weile erst stieg sein Wort aus dem Lärmen. – »Ich kann nicht wissen, ob Madonna ihr Wort ernstlich gemeint hat. Aber ich darf im Namen unseres erlauchten Königs erwidern, daß er mit Frauen keinen Krieg führt.«

Provenzan sprach laut, fast drohend: »Es ist ein Scherz gewesen!« – Leises Lachen schwirrte auf – aber vor des Herzogs Blicken breitete sich zitternde Stille.

»Ginevra ist so sonderbar!« hörte man Gaspara. »Selten spricht sie ein lautes Wort, und nun plötzlich vor fremden Männern ...«

»Sie ist sonderbar!« erwiderte der Visconti, aber er hörte kaum, hielt seine Blicke auf Provenzan und den Abgesandten fest.

»Der König hat einen Grund, mir solche Botschaft zu senden!« sprach Provenzan.

Angelica de' Turamini hatte sich über die Brüstung niedergebeugt. – »Welch schamvergessenes Mädchen!« – Und zu Ghino de' Fornari, der immer noch sein Liebesleid klagte: »Habt Ihr so etwas je gesehen?«

»Das ist die Liebe, Madonna! Die echte Liebe!«

»Ach was! Ein Weib muß sich zu verbergen wissen! Ich schäme mich ja für sie! Und sie ist die Schwester des großen Provenzan! Ich bitte Euch, kommt fort von hier! – Bin ich nicht ganz rot geworden?«

Unten erwiderte Vernazza dem Herzog: »König Karl will nicht, daß Ihr ihn wieder heimtückisch heißet. Darum sagt er Euch im voraus, was er mit Herrn Mino zu tun gedenkt.«

»Euer König liebt das Gold. Will er mir Herrn Minos Leben verkaufen?«

»Da Ihr es selbst fordert, Herzog, so erkennt, daß unser König nicht feig und schuftig ist, sondern groß und edel! Herr Mino wird frei, wenn bis morgen zur Mittagsstunde zehntausend Goldgulden im Lager sind. Wo nicht, fällt sein Haupt.«

»Ihr wißt nun die Botschaft,« setzte Duguesclin hinzu. »Entlaßt Ihr uns?«

»Sagt dem König, daß ich ihm das Geld schaffen werde. Aber er sei nicht klein und warte!«

»Er kann nicht warten! Mit der dreizehnten Stunde bricht er auf, und dann muß Herr Mino gelöst sein oder tot.« – Sie kehrten sich und durchschritten den Weg, der ihnen geöffnet wurde.

Hinter ihnen schwand der junge Pecorai aus dem Saale.

Provenzan tat ein paar Schritte, erspähte den Calcagna.

Die Starrheit fiel vom Visconti, seine Blicke kreuzten sich mit denen des Kanzlers, und sogleich war er verändert, plauderte höflich. – »So ist das wechselnde Glück des Krieges, Monna Gaspara! Will der Herzog Herrn Mino nicht entbehren, so sende er das Gold und löse ihn.«

Gaspara antwortete nicht.

»Herr Provenzan soll dem Mino vor nicht lange unterlegen sein im Ringkampf?«

Gaspara schüttelte den Kopf. – »Ach ja, er strauchelte. Es war ärgerlich, mehr für mich, als für ihn selbst.«

»Ich könnte einen nicht dulden, der mich vor der Welt beschämt hat, und wäre er mein bester Freund gewesen bis zur Stunde.«

Sie sah ihn an. – »Ich fühle wie Ihr, Herr Andrea! Aber so ist er, wenn es um Mino geht! Nichte von Verdruß hat er gezeigt, manche behaupteten sogar, er hätte sich mit Willen in den Sand gelegt. Denn er ist stärker als Mino.«

»Sonderbar! Doch warum ist ihm Mino so teuer?«

»Ich glaube, Provenzan liebt ihn mehr als mich!«

»Unmöglich – eine Frau wie Ihr!«

Gaspara seufzte, sie traten in den Schatten des Umgangs.

Provenzan stand vor seinem Vogte. – »Schaff Gold, Calcagna!«

Aber der blickte schmerzlich auf seinen Herrn. – »Wenn Ihr mit Schulden zahlen könntet!«

»Gleichviel! Mit Schulden! Stiehl! Raube! Schaff mir Gold!« – Er blickte umher. – »Ist der Monaldi im Haus?«

»Ich glaube nicht, Herr!«

»Der Ruggiero?«

»Eben sah ich ihn eintreten.«

»Schick' ihn zu mir!«

Aber Ruggiero stand schon neben dem Herzog, wie wartend. Er hatte die Reden der Abgesandten vernommen.

»Höre, Ruggiero! Suche den Guempeba, er soll die deutschen Reiter zusammenbringen, die in der Stadt liegen! Geh mit ihnen in die Häuser, scheuche die feisten Nichtstuer auf! Sie sollen ihre Schätze geben, damit Mino frei werde! Du magst einem jeden bescheinigen, wieviel es ist! Auf die Buonsignori, die Salimbeni und die Malavolti habe besonders deine Augen! Laß keine Ausflucht gelten! Durchwühle Schrank und Bett! Gib ihnen die Spieße zu kosten, wenn sie sich sperren!«

Mit fragenden Blicken sah der Treue auf Provenzan. – »Ist das Euer Wort?«

»Zweifelst du?«

»Darf ich frei reden?«

»Nun!«

»Herr, es könnte Euer letzter Tag in Siena sein!«

»Auch ich fürchte um Euch!« wagte Calcagna.

»Was soll das?«

Ruggiero wies mit einer Wendung des Kopfes auf den Visconti, der neben Gaspara saß und das weißseidene, schönbemalte Fähnchen um ihr Gesicht wehen ließ. – »Seht Ihr den dort?«

Wild fuhr der Herzog auf. – »Gehts dich an, mit wem er spricht?«

»Habe ich doch kein Wort gesagt, Herr!« – Ruggiero verstand nicht, was der Herzog im Sinn hatte. – »Seid gewiß, er hält es mit Karl. Er wartet auf das Erbe von Siena.«

»Das habe ich schon einmal von dir gehört, und ich weiß, daß du ein Treuer bist.«

»Schickt mich nach Imola, nach Gemignano!«

»Zu spät! Alles zu spät! Und vergeblich wäre es auch!«

»Ihr braucht Geld, Herzog, darf ich raten?«

»Weißt du mir einen Rat, Ruggiero?«

»Durch Eueren Saal werden nutzlose Schätze getragen.«

»Was meinst du?«

»Schlangen von Perlen und Gold schmiegen sich an weiße Nacken, Frauenarme werden von roten Steinen gekost, um manche Stirne rankt sich, was unserem Feldherrn das Leben kaufen könnte.«

»Schweig, Mensch! Soll ich meine Gäste berauben? Doch –« Er sah Gaspara lächeln unterm matten Bunt der Wandteppiche. – »Ich sage dir später Bescheid. Bleib nahe!«

Der Hauptmann trat zurück, und Provenzan sandte Calcagna zur Herzogin, daß er sie für ein paar Worte herbäte.

Beltramo Fratta suchte Pecorai, er wollte mit ihm ratschlagen, was sie tun könnten, um Herrn Mino frei zu machen; aber er fand ihn nirgends, denn Pecorai ritt schon die Straße von Santa Colomba, den Truppen des Königs zu.

Am schweren Pfeiler standen drei Herren beisammen, Ricciardo Scotti, der reiche Malavolti und Giulio da Sessa.

»Ich halte die Wette, Freund Ricciardo!« sprach Giulio. – »Meinen silbernen Ringpanzer gegen Eueren Schimmel! Die Kammern des Herzogs sind leer, niemand borgt ihm – wie sollte er das Lösegeld aufbringen?«

Der Malavolti lachte verächtlich. Keiner wußte so gut wie er, daß Provenzan arm war, schuldete er doch ihm allein mehr, als er je würde zahlen können. Die Einladung zum Fest sollte wohl der Dank dafür sein.

»Die Wette gilt!« rief Ricciardo. – »Ich sage Euch, unser Herzog macht Gold aus verrostetem Eisen, und er scheut den Teufel nicht, wenn er ihm seine Seele mit Gold aufwiegt.«

»Wieviel wiegt die Seele des Herzogs von Siena?«

»Und wenn er nicht mehr Herzog ist –«

Aber der Malavolti schnitt diese törichten Reden ab und sprach mit ernstem Gesicht: »Wer etwas hat, wird gut tun, es in Sicherheit zu bringen. Des Herzogs Einfälle kann niemand voraus wissen, und gar wenn Herr Mino im Spiel ist.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Ricciardo scharf. Er haßte diese reichen Bürger.

Aber ehe noch Antwort kam, wichen sie vor dem Herzog, der Gaspara entgegen trat. – Sie ging am Arm des Visconti.

Der Malavolti verschwand aus dem Hause, trug die Nacht lang mit eigenen Händen gemünztes Gold, wertvolle Steine, Seidenstoffe, Pelze und viel anderes in seinen Keller hinab, den eine heimliche Tür in der Mauer zwiefach teilte.

»Du wünschest mich?« fragte Gaspara.

»Wenn Ihr gestattet?« – Provenzan sah auf den Visconti, und der trat mit einer geschmeidigen Wendung zurück. – »Die Rechte des Gatten sind ehrwürdiger!« – Er blieb am Pfeiler stehen.

»Warum bist du unhöflich mit deinem Gaste?« – Leise Angst war in Gaspara, und ihr schien es besser, gekränkt zu sein.

»Höre, Gaspara!« sprach er dumpf. »Mino ist gefangen!«

Forschend sah sie auf ihn. – »Das wird dir weh tun!«

»Der König will ihn köpfen lassen.«

»Wenn es aufs Köpfen ankommt, pflegt ja Karl sein Wort zu halten.«

»Gaspara!« bat er eindringlich und mit düsterer Miene.

»Du mußt Mino frei machen!«

»Ich will es tun! Aber ich vermag es nicht – allein!«

»Du wirst es vermögen! Für Mino vermagst du ja alles!«

»Willst du mir helfen, daß er gelöst werde?«

»Ich täte es gern – aber wie sollte das möglich sein?« – Sie stand in Erwartung, fast in Bereitschaft zum Kampfe – was wollte er?

»Mino ist mein Freund!«

»Ich weiß es. Und ich weiß auch, daß er dir teurer ist als ich!« – Es klang wie Haß, der lang an ehernen Ketten gelegen hat und jäh die Arme aufhebt und daran rüttelt.

»Du sollst jetzt nicht spotten!« bat er, bat fast demütig.

»Was willst du von mir? Ich verstehe nichts von den Geschäften des Krieges! Laß mich doch ruhig!«

»Willst du mir helfen, daß Mino gelöst werde?«

»Ei? Ich soll mich wohl zum Tausche gegen ihn bieten wie deine tugendsame Schwester? Aber ich fürchte, Karl mag mich nicht. Er ist kalt gegen Frauen, sagt man.«

Der Herzog stand vor ihr, sein Gesicht hatte die Farbe des marmornen Pfeilers. – »Gaspara! Scherze nicht, wenn Mino stirbt! Karl fordert zehntausend Goldgulden für sein Leben.«

»So zahle sie!«

Niemals war der Tochter des reichen Gonzaga ein Wunsch unerfüllt geblieben, niemals hatte sie an den Sorgen und Gefahren des Gatten teilgehabt. Was sie begehrte, das war bereit für sie. Und jetzt wußte Provenzan, das Wort würgte ihn, jetzt mußte er sprechen: »Ich kann nicht.«

Unsicher blickte sie auf ihn – was war das? – »Bist du nicht reich genug? Ich erschrecke!«

»Ich – bin arm!«

»Unwillkommene Kunde! Wie ist es nun mit dem Stirnband aus gelben Steinen, das der Levantiner gebracht hat?«

Er stand mit verpreßten Lippen.

Angst stieg ihr auf – was wollte er?

»Du könntest wohl –«

Sie ließ ihn nicht enden. – »Nun – was sinnst du? Soll ich etwa Herzog Andrea bitten?«

Er senkte die Lider.

Mit einem bösen Blick fuhr sie fort – »Und wenn er es nicht umsonst geben will? – Oh, ich kenne dich! Für Mino ist dein Weib dir feil!«

»Gaspara!« sprach er tonlos. – »Mir ist nicht spaßhaft ums Herz.«

Der Visconti stand da, ein Blick der Frau war über ihn gegangen, fast wie Schutz erflehend gegen den Gatten. – »Darf man das eheliche Gespräch schon stören?«

»Noch nicht, Herr!« erwiderte Provenzan. – »Ich bitte Euch, geduldet noch eine kurze Weile!«

»Ein Jahr und länger, wenn Ihr befehlet!«

Gaspara versuchte ein Lächeln. – »Ich komme sogleich, Messer Andrea! Geschäfte der Hausfrau!«

»Ich harre, Madonna!« – Er schmiegte sich um den Pfeiler herum, und es schien ungewiß, ob er die Worte hören konnte, die Provenzan zu Gaspara sprach.

»Vergiß jetzt das Kleinliche! Tand und Schmuck können dir nicht mehr gelten als mein Freund – als Sienas Feldherr – als der Liebling Ginevras!«

Sie fuhr zurück, spreizte starr die Finger gegen ihn. – »Berauben? Du willst mich berauben? Hast mir wohl nur geliehen, was du gabest? Und jetzt forderst du zurück?« – Sie vergaß sich ganz. – »Pfui! Muß ich Zinsen zahlen? Willst du auch das Gewand, das ich am Leib trage?« – Mit offenem Haß blickte sie auf ihn, die Blühende auf den alternden Mann.

»Gaspara!«

Wild schlug es aus ihr. – »Wenn mich der Herzog von Siena, dessen Gattin ich heiße, vor aller Welt entblößen will, so kann ich es nicht hindern.«

Er zwang sich schmerzhaft zur Ruhe. – »Gaspara – ich frage dich – ich bitte dich! Laß Mino nicht sterben! Ich bin arm. Ich habe nichts –«

»Als mich! Und mich willst du verkaufen! Damit Mino frei werde! Jetzt kenne ich dich! Oh, wer schützt mich hier!« – Hilfesuchend faßte sie des Visconti Arm, der sich schon um die Ecke herumgebogen hatte. Zwei Männerblicke klirrten gegeneinander wie Schwertklingen. Bald mußte eine an der andern brechen ...

Provenzan Salvani stand im Leeren ...

Zu ihm traten jetzt Giulio da Sessa und Ricciardo Scotti. – »Es ist uns kundgeworden, Herzog,« begann Giulio mit einer Neigung, »daß der berühmte Herr Mino dei Mini, den wir alle lieben, in die Macht seiner Feinde gefallen ist. Ich bitte Euch, versichert zu sein, daß mein Schmerz hierüber dem Eurigen nicht nachsteht!«

»Und ebenso teuer ist Herr Mino mir!« setzte Ricciardo fort. – »Gibt es ein Mittel, Euch und uns den großen Feldherrn wiederzugewinnen, so muß es versucht werden. Unser Leben darf kein zu hoher Einsatz für Herrn Minos Befreiung sein.«

»Glaubt das von uns, Herzog!« schloß Giulio.

»Karl heischt zehntausend Goldgulden als Lösung. Wollt Ihr sie schaffen?« – Mit dem Blick des Falken sah Provenzan in ihre Augen hinein – sie hielten nicht stand.

»Zehntausend Florentiner, sagt Ihr?«

»So sagte ich.«

»An dieser Forderung erkenne ich die niedrige Sinnesart des Königs,« lächelte der geschmeidige Giulio. – »Beim Himmel, wäre ich jemals so glücklich, eines großen Feindes habhaft zu werden, ich gäbe ihn ohne Lösung frei!«

»Und Karl wird es tun!« fügte der Scotti hinzu. – »Er fordert Unmögliches, um Euch dann durch seine Großmut zu blenden.«

»Vor Jahren kannte ich einen Ritter aus Perugia,« plauderte Giulio. – »Er hatte mit dem König zu schaffen, und ich kann Euch bei meiner Ehre versichern, daß sich Karl großherzig gegen ihn erwiesen hat.«

»Ihr denkt gewiß an Pietro Oddi?« setzte Ricciardo fort. – »Erst jüngst wurde mir der Vorfall berichtet, und ich muß Eueren Worten durchaus beifallen.«

»Herr Pietro spricht mit großem Lobe von Karl, der doch sein Feind gewesen ist.«

»Der König liebt es zu drohen. So sind die Großen oft genug. Ich weiß Euch einen Fall –«

Provenzan schnitt ihm das Wort ab. Schon zu lange hatte er diese müßigen Reden erduldet. – »Ihr Herren, zehntausend Goldgulden müssen geschafft werden! Wollt Ihr mir helfen? Es wäre eine Schuld, die ich vor allen anderen zu tilgen hätte! Der Tribut von San Gemignano ist uns verheißen!«

»Nichts könnte mich glücklicher machen, Herzog,« sprach Giulio schnell, »als das meinige zur Befreiung des großen Mino beizutragen. Aber Euch offen zu gestehen, ich wüßte nicht, woher ich jetzt eine Summe nehmen sollte, die des Aufhebens wert wäre. Meine Pächter haben schon seit ein paar Monaten ihren Zins nicht abliefern können, die Weinernte ist verhagelt worden, und wie ich vor Euch stehe, besitze ich, allgemein gesprochen, nichts, als was ich an mir trage. Diesen Ring – dieses Gehenk. Ich würde es freudig für Herrn Minos Lösung hingeben! Aber was sind Steinchen vor einem Berg!«

»Bemüht Euch nicht!« herrschte Provenzan. – »Ich hoffe Eure Gabe nicht zu brauchen.«

Aber Giulio fuhr fort: »Wenn ich alles erwäge – fünfzig, vielleicht sogar hundert Goldstücke könnte ich in ein paar Tagen gewiß auftreiben.«

»Vor einer Woche noch«, fügte der Scotti dazu, der mehr Geld hatte, als ein alter Hund Flöhe, »hätte ich willig die Hälfte der geforderten Lösung vorschießen können. Aber heute –«

»Bin ich zu Euch gekommen?« – Der wilde Hochmut seiner Seele sprang auf. – »Ihr müßt Eure hinkenden, schielenden Worte nicht an mich verschwenden! Ich werde mir zu raten wissen!« – Er wandte sich, ließ die beiden.

»Der Herzog ist zu stolz!« meinte Giulio gedämpft. »Ich gewinne die Wette!«

»Fast glaube ich es selbst!«

Aber ihr Lächeln wurde kalt vor dem Schweigen, das durch den Saal schlich, hinter Ginevra her. Sie kam aus dem Dunkel, ein graues Kleid floß wie ein Hemd um sie, und ein schwarzes Tuch zähmte das Haar. Sie stand vor Provenzan, bot ihm ein Kästchen. – »Bruder, hier ist, was ich habe – wenig! – In einer Stunde werden auch noch die goldenen Borten von allen meinen Kleidern geschnitten sein.«

Er preßte das hölzerne Ding, daß es stöhnte, und er sprach hart: »Ich finde das Geld, und müßte ich die Häuser Sienas aufbrechen, um aus ihren Grundmauern vergrabene Schätze zu heben!«

»Dein Herz glaubt nicht, was deine Lippen sprechen!« – Mit niedergebeugtem Haupte stand sie vor ihm, faßte seine Hand. – »Bruder, wir wollen alle guten Menschen bitten, daß sie uns beistehen!«

»Ich verbiete dir solche Worte – solche Gedanken!«

Da wandte sie sich, saß auf den niedrigen Stuhl hin. Sie war klein geworden wie ein Kind, und sie weinte lautlos.

Gaspara und der Visconti neigten sich von der Brüstung oben. – »Ist Euer Herzog ein Krämer geworden?« – Der Visconti hatte es mit unverhüllter Stimme gefragt.

Provenzan zuckte. Und plötzlich wußte er, daß der Mann, der nicht von Gaspara wich, auf das Erbe von Siena lauerte. Wende ich Gewalt an, so rufen sie Karl zu Hilfe; die Tolomei werben Waffenknechte schon lange, der Visconti nimmt die Hellebardiere in Sold, die ich nicht mehr löhnen konnte. Die Deutschen bleiben mir noch.

Oben sprach Gaspara: »Ich fürchte mich vor ihm!« Und dann redete sie leise fort: »Bei Nacht wird er in meine Kammer schleichen und mich berauben! Daß es so weit hat kommen dürfen!«

»Warum läßt er Mino nicht sterben, wenn er zu arm ist, ihn zurückzukaufen?«

»O Mino – für den kann nichts gut genug sein!« erbitterte sich die Herzogin. – »Mino – der ist der Erste in der Stadt! Welchen böswilligen Streich er aushecken mag – Provenzan lacht dazu! Die alte Valentina hätschelt ihn! Ginevra zittert, wenn er vorübergeht! Und ich bin hier nichts!«

»Hättet Ihr anders gewählt, damals in Mantua!« flüsterte der Visconti. Sie antwortete nicht, er neigte sich ihr nahe. – »Noch ist es Zeit! Ihr seid zu gut für Siena und diesen Herzog!«

Da erraffte sie sich. – »Ihr sollt nicht so reden! Vergeßt nicht, wer ich bin!«

»Ihr seid nicht glücklich in diesem Hause!«

»Das muß Eure Sorge nicht sein!« – Sie löste sich von ihm, ging aus dem Saale.

Er aber stand hoch aufgerichtet, sah gierig, wie der Herzog von Siena verfiel.

Ginevra hatte sich erhoben, ihre Tränen waren versiegt, und sie sprach ruhig: »Nur eines noch ist übrig.«

»Was meinst du?«

»Bitte!« – Groß stand sie vor Provenzan.

»Sag das nicht wieder, Ginevra!«

»Bitte, Bruder! Bitte!«

»Willst du mich erniedrigen vor allen Menschen und vor mir selbst?«

»Oh, wenn du deinen Hochmut zwingen könntest!«

»Ginevra, was – wen sollte ich denn bitten?«

Sie zögerte, und ihre Stimme war ein leises Fragen. – »Den Visconti? Er ist reich.«

Mit verschlingenden Augen blickte der Visconti von oben, lauernd der Antwort. Bittet er mich – dann ist er in meiner Macht!

Aber Provenzan stampfte hart auf. – »Du weißt nicht, was du redest, Schwester! Eher stirbt Mino!«

Sie fuhr zurück, ihr Kopf sank. – »Nicht den Visconti – nein, verzeih – das will ich nicht! – Aber Messer Giulio vielleicht?«

»Eben hat er mir einen Ring angeboten, und nächste Woche kann er vielleicht noch ein paar Goldstücke dazugeben.«

»Der Malavolti?«

»Gewisser schöpfe ich Wein aus einem Felsen, als Gold aus ihm!«

»So bitte die Bürger von Siena! Sind sie dir nicht die nächsten? Hast du nicht sie und die Stadt errettet? Und schulden sie Mino nicht großen Dank? Ihre Truhen fließen über – sie werden freudig geben, wenn du kommst, für ihn zu bitten!«

Provenzan lächelte herb. – »Du kennst sie nicht, dies habgierige, undankbare Gesindel!«

»Du sollst sehen, Bruder! Dein Vertrauen wird sie größer machen! Sie verlassen ihren Herzog in seiner Not nicht. Aber bitten mußt du – nicht drohen!«

»Nein! Ich kann nicht! Ich will nicht!«

»Lerne demütig sein! Lern es um Minos willen!«

»Du forderst zu viel! Soll ich meinem ganzen Leben absagen, soll ich meine Seele ersticken? Unsere Mutter stürbe an der Schmach!«

»Weil du ihnen jeden Tag die Verachtung zu fühlen gibst, deren dein Herz allzu voll ist – darum lieben sie dich nicht! Aber tritt ohne Hochmut zu ihnen, mit freundlichen Worten – sie werden stolz sein, dir helfen zu können! Ein neuerer, festerer Friede wird sich zwischen dir und ihnen gründen!«

»Wie mir ihr dumpfer Atem widersteht! Wie die Berührung ihrer Kleider mich ekelt!« – Er schüttelte den Gedanken ab. – »Nein, ich kann es nicht tun!«

Das schwarze Tuch fiel von ihrem Kopfe, sie stand hoch und schmal, eine Opferflamme, die auf eisernem Leuchter brennt. Alle Menschen waren ihr versunken, es schien, als blickte sie in Tiefen der Ewigkeit. Weithin tönten ihre Worte: »So werde ich es tun! Morgen frühzeitig werde ich am Tore stehen und mit aufgehobenen Händen bitten: Helft mir, daß mein Freund nicht sterben müsse! Ich will ihnen sagen, wie schrecklich der Tod ist, und jeder wird mir geben, was er geben kann.«

Der Herzog erbebte, wie er niemals im Sausen der Geschosse erbebt war. – »Schwester, ich weiß, daß auch du stolz bist.«

Sie hörte sein Wort, ihr Blick kam aus Fernen wieder, traf ihn. – »Auch ich bin stolz gewesen! Aber du weißt nicht, was ich schon getan habe, meinen Stolz zu töten! Du kannst es nicht wissen, du bist ein Mann!« – Die schmalen Halbmonde ihrer Lider hatten sich über die Augen gesenkt, und sie hob, verwandelt, die Hände auf wie eine, die sich dem Himmel darbringt. – »Als ich mich vor aller Welt zur Lösung für Mino erbot – nein! Ich habe keinen Stolz mehr, nur noch Liebe!«

Schweigend standen die Menschen um sie her, alles Lächeln war lang verschwunden.

In Provenzan krampfte sich Schmerz. Er faßte die Hände Ginevras. – »Nein, das will ich nicht! Ich – werde bitten!«

»Willst du es?« – Ihre Lider hoben sich, und ein Lächeln der Dankbarkeit entfloß den kristallenen Augen. Sie war so schön wie noch nie. – »Willst du es tun, Hand in Hand – ich und du!«

»Du sollst nicht! Ich allein – will betteln!«

Sie sank, gehalten von seinen Händen, aus denen ihr Kästchen entglitten war, sank ins Knie vor ihm, hob ihm die leuchtenden Augen zu. – »Nie bist du so groß gewesen, wie in dieser Stunde! Jetzt bist du größer als dein Stolz!«


 << zurück weiter >>