Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1.

Herr Reinhold von Gempenbach, der Hauptmann der deutschen Lanzknechte, die vom Kaiser den Sienesen beigesellt worden waren, sprengte zwischen Schleuderern und Schützen hindurch zu Herrn Mino dei Mini, dem er sich zugeschworen hatte mit seinen Reitern. Er griff dem schweren Rotfuchs, an dessen Flanken seine Beine tief hingen, in die Zügel, und das Tier stemmte die Vorderhufe gegen den Fels, daß Funken flogen. Aber der Reinbold redete nicht zu Herrn Mino, sondern zu dem luganesischen Landi, der immer hinter seines Rosses Schweif laufen mußte wie ein Hund, wenn er die Peitsche nicht zu schmecken begehrte. Zwar lag der Reinbold mit seinen Kerlen schon drei Jahre lang in Siena, aber er verstand noch immer nicht, was da die Leute redeten, und der Landi sagte sein Wort eilig dem Feldherrn weiter.

»Eure Brander fliegen nicht bis an die Zinnen von Orvieto! Schenkt lieber Eure Wurfböcke den Bauern fürs Kugelspiel!«

»Sag dem Guempeba,« brüllte Herr Mino, »er soll mir nicht erzählen, was ich ohnehin weiß!« – Aber ehe noch der Landi es verdeutscht hatte, da saß ihm schon ein eiserner Pfeil im Hals, der aus der Stadt oben gekommen war und etwa Herrn Mino zugeflogen sein mochte. Der Landi taumelte und fiel, und anstatt der deutschen Rede kam Blut aus seinem Mund.

Herr Mino und der Gempenbach sahen es, und dann lachten sie einander ins Gesicht. Jetzt konnten sie ja gleich Ballen ihre Freundlichkeiten nicht mehr hin und her werfen, wie sie gewohnt waren, und ob auch der Gempenbach schrie: »Gottestod!« und »Potzblau!« und der Mino ein feistes » Porco di Madonna!« zurücksausen ließ – es hatte nicht den rechten Hall, weil ihr luganesisches Sprachrohr verstopft war.

Herr Mino wußte, daß die deutschen Ritter manchmal zwar ihre Lederhandschuhe daheim vergaßen, niemals aber die Weinflasche, wenn sie in den Sattel stiegen; und ihn peinigte der Durst, denn vom frühen Morgen an ging der Kampf um Orvieto; wie es auch sei, die Stadt sollte für Siena und den Herzog Provenzan Salvani gewonnen werden, damit dem habgierigen König Karl von Anjou, der sich überall im Lande mausig machte und mit dem römischen Papst zusammen spielte, recht Abbruch geschähe. Jetzt ließ Herr Mino seine Augen um den ganzen langen Gempenbach herumlaufen, ob sich nicht wo ein Flaschenhals an die Luft drängte. Da er nichts finden konnte, legte er seine beiden Hände überm Mund fäustlings aufeinander, als hielte er einen Humpen, und dazu fragte er den Deutschen: » Vino?« – Dieses Wort war dem Gempenbach wohlbekannt. Er zog lachend von irgendwo die tönerne Flasche hervor, die schier zu groß war für eines Mannes Durst, bot sie dem Mino, und der sog kräftig, aber mit dem Weine rann ihm die alte Wahrheit ins Herz hinab, daß die Deutschen zwar viel tränken, aber nicht scheiden konnten zwischen Gut und Böse, was das Getränk anlangte. Er setzte ab, doch gerade als er mit einem lateinischen » Gratias agimus domine Err Guempeba!« dem Gempenbach das Seinige zurückgab, da sauste ein Armbrustbolzen in den behäbigen Flaschenbauch hinein, daß die Flasche aufschrie und klagend brach und der Wein vom Halse des Rotfuchses niedertroff, als wäre der zu Tod geschossen. Traurig sah Herr Gempenbach auf das nasse Fell, aber Herr Mino lachte, und der Landi, der sich vor den Hufen wand, mochte erkennen, daß ihnen ihr Wein höher galt als sein Blut. – Herr Mino bedauerte den Gempenbach: »Nun müßt Ihr Durst leiden, bis wir die Keller von Orvieto aufgebrochen haben!« – Aber der Gempenbach hatte nur »Durst« verstanden und nickte heftig mit dem Kopfe dazu.

Pecorai da Turita, der junge Verwandte des Herzogs, der nicht von Minos Seite gewichen war seit Tagesanbruch, sah bleich auf seinen Feldherrn. – »Herr Mino!« stammelte er, »Blut träuft von Eurer Hand!« – Aber Mino schüttelte lachend die Rechte, die noch den tönernen Hals der Flasche hielt, und spritzte die letzten Tropfen dem Pecorai ins Gesicht. – »Das verzeiht mir der Guempeba nimmer! Doch ihm geschieht nach Gebühr, warum nimmt er sauren Maremmenwein ins Feld!«

»Was beginnen wir aber?« fragte zaghaft Pecorai. »Unsere Brandpfeile erreichen die Tore nicht, und der steile Weg wird zum Grab der Unsrigen. Zuviel Bolzen und Steinkugeln fliegen herab! Wißt Ihr auch, Herr Mino, daß mitten im Kampf ungehindert Fleisch und Brot auf die Mauern gezogen wird?«

»Ich weiß es!« lachte Herr Mino.

»Und duldet Ihr's?«

»Ich habe es sogar befohlen! Aber nicht vierfüßige Schweine liegen heute in den Körben!«

»Was sagt Ihr?«

Man konnte sehen, wie breite geflochtene Körbe aus Weidengerten auf die Türme gewunden wurden, da einer und dort einer. Herr Mino hatte verboten, daß man auf sie schieße. Unter den Pechnasen oben wurden sie von Gewaffneten eingezogen.

Herr Gempenbach murrte was vor sich hin – unter den Augen der Belagerer durften die schweren Körbe aufsteigen?

In den Ecktürmen der Stadt hob sich plötzlich ein arges Geschrei, Pfeile und Bolzen flogen nicht mehr. Die beiden Hauptleute, die neben Herrn Mino zu Pferde saßen, blickten auf ihn – waren die Schützen oben eingeschlafen alle zugleich!

»Stürmen!« – Herr Mino befahl es, Pecorai schrie es den Trompetern zu, die nahe harrten, und Herr Mino versetzte dem Landi, der vor ihm lag und nicht mehr viel Atem zog, einen saftigen Peitschenhieb. – »Sag sogleich dem Guempeba, daß wir jetzt die Stadt stürmen! Seine Ritter voraus! Dann magst du zur Hölle fahren!« – Der Landi hob mühselig den Kopf auf und flüsterte was. Aber der Gempenbach konnte es nicht hören im Lärm, der Landi sank kraftlos zurück, vielleicht schon tot, Herr Mino riß das Schwert aus der Scheide, brüllte dem Gempenbach zu und ließ sein Pferd einen weiten Satz tun über den Landi hin, und der Gempenbach verstand es und winkte seinen Leuten. Die von Siena rannten bergauf, und die Deutschen schlugen das Tor ein mit »Gottsmarter!« und »Potzbeul!« und anderen guten Segensprüchen, und wurden nicht gestört von denen oben. Die Vordersten drangen in die Stadt, aber den Nachstürmenden wurden auf die Köpfe die nackten Weiber geworfen, die ihnen Herr Mino anstatt der Schweine hatte hinaufwinden lassen, damit die Schützen oben anderes zu tun fänden als ehrliche Leute mit Bolzen und Steinen zu quälen. In der ungewohnten Umarmung brach ein Troßknecht aus Siena das Genick, und eine große Schwarze fiel auf den mächtigen Spieß, den der Stierhänßlin, der stärkste von allen Lanzknechten, trug, und der Stierhänßlin wankte nicht. Er hielt seinen wohlgespickten Bratspieß hoch und trug ihn ins Stadttor ein. Sie reckten sich die Hälse aus nach dem neuen Panier aus Fleisch und Blut, die von Siena und die von Orvieto, und sie lachten sehr und vergaßen, sich die Schädel mit Keulen blau zu buckeln und mit Piken rot zu malen, und einer von drüben lief zu dem neuen Banner herüber und half dem Stierhänßlin tragen, und keiner schoß mehr, und so wurde Orvieto Herrn Mino, dem Feldherrn von Siena, und seinem Freunde, dem großen Herzog Provenzan, gewonnen. Herr Mino ritt ins Stadthaus ein und bat artig den Podestà, daß er ihm sein güldenes Kettlein leihe, denn er wüßte einen besseren Mann dafür, und er hängte es dem Stierhänßlin um, der ganz aufgebläht durch die Straßen stolzierte und sich nicht viel weniger dünkte als der Kaiser, und sein Panier wurde auf die höchste Zinne gesetzt, und sie tanzten und tranken und brachten manches Hoch aus in gelbem Orvietowein, die Lanzknechte und die von Siena und die von Orvieto mit ihnen. Und die Deutschen schenkten Herrn Mino, um ihn groß zu ehren, ihr Banner, das den heiligen Georg wies, hatten sie doch ein anderes gewonnen.


 << zurück weiter >>