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8.

Bald traten aus der Türe oben zwei von den deutschen Lanzknechten des Herzogs und bliesen auf Zinken scharf und mit langem Atem. Aus allen Gassen liefen die Leute herbei, sie kamen von Schneidertisch und Webstuhl, von Barbierbecken und Malter, und die Weiber ließen Besen und Topf, sich auf dem Platze zu drängen. Magister Placidi hob sich vom Morgentrunk und traf mit dem Stadtnotar, dem hochangesehenen Meister Pandolfo Sermini zusammen, der die Nacht lang an einem großen Erlaß geschrieben hatte, denn das Palio stand bevor, und da mußte genau befohlen sein, was jeder essen durfte und wieviel und welchen Wein dazu trinken und wie lang die Schabracken der Pferde sein durften, die um den Preis liefen, und welches Gewand den Reitern ziemte, und ob die grüne Farbe verboten war oder die scharlachene und viel anderes auch. Die beiden gelehrten Männer begrüßten einander und machten die Ohren spitz, was der Herzog wohl dem Volk zu verkünden hätte.

»Dem Rate hat er nicht Meldung getan zuvor!« sprach mißbilligend Ser Pandolfo.

Die Leute auf dem Platz redeten untereinander. – »Ein neuer Feldzug vielleicht?« meinte einer.

»Gewiß will unser großer Herzog Rom erobern und seinen Freund, den frommen Herrn Mino, zum Nachfolger Christi machen!« spottete Neri, der Goldschmied.

»Habt ihrs heute nacht jubeln gehört? Paßt auf – der Herzog braucht Geld!«

»Und bekommt keines!« lachte Cipolla höhnisch.

»Von mir nicht!« ließ sich Neri vernehmen.

»Und ebensowenig von mir!« bekräftigte der Leinenweber Vivaldo.

Da trat ein Herold, dem der Drache der Salvani auf die Brust gestickt war, aus der Türe oben und breitete seine Arme auf. Reden und Rufen endeten jäh. – »Still! Jetzt sollen wirs wissen!«

Der Herold rief mit weithin schallender Stimme: »Provenzan Salvani, der Herzog von Siena, läßt den Bürgern dieses verkündigen: Unser großer Feldherr Messer Mino dei Mini ist in einen Hinterhalt König Karls geraten und gefangen worden. König Karl will Mino, den besten Mann unserer Stadt –«

»Ein Bluthund wie der Herzog selber!« schrie Cipolla. – Ihm war der Mut stark gewachsen, fühlte er doch, wie das Glück des Salvani bleich wurde, und er hoffte sich viel Gewinn vom Visconti, der sicherlich sein Erbe war.

Aber der dicke Capece fuhr ihn an: »So schweig doch!«

Der Herold oben setzte fort: »– den besten Mann unserer Stadt köpfen lassen, wenn er nicht bis heute zur Mittagsstunde mit zehntausend Goldgulden gelöst wird.«

»Hättet Ihr wohl je der Vermutung Raum gegeben, hochwürdiger Herr Pandolfo,« sprach Magister Placidi zum Notar der Stadt, »daß unser Feldherr so viel Gold wert sei?«

Mit bösen Blicken schaute der Notar zum Herold hinauf. – »Der Herzog ist arm, und die Stadt hat ihr letztes für ihn gegeben.« – Er gedachte des Streiches, den ihm Herr Mino vor nicht lang gespielt hatte, da er in Ausübung seines schweren Amtes auf dem Campo hin und wieder gewandelt war, um auszuspähen, ob nicht vielleicht eine Frau die vier Zoll ihres Halses, die sie von Stadt wegen herzeigen durfte, überschritte. Vor manche, die ihm verdächtig schien, war er unerwartet hingetreten und hatte ihr seine Elle an Hals und Brust gelegt; und da hatte sichs zugetragen, daß ihm Herr Mino ein Bein stellte und der Notar längelang auf die schöne Pia Bellanti fiel, sie fallend mit sich niederriß und daß er unter viel Lachen und Geschrei und geprügelt vom Gatten rühmlos davonhinken mußte. Des gedachte er jetzt und vermeinte schon zu sehen, wie Herr Mino seinen Kopf hinlegte, und einer die breite Axt hob. Der Kopf Minos sprang ins Gras, und der Kopf Herrn Pandolfos wurde rot vor Freude.

»Warum dies der Herzog wohl so feierlich verkünden läßt?« meinte Placidi – aber der oben redete schon weiter.

»Unser Herzog liebt keinen Mann so sehr wie seinen Jugendfreund Mino, der stets für ihn und die Stadt gekämpft und jede Not mit ihm geteilt hat. Der Herzog erinnert euch sodann, daß Herr Mino alle Angriffe Karls zurückgeschlagen hat, und daß ihm Siena seine Freiheit dankt, daß er zuletzt die reiche Stadt Orvieto gewonnen hat. Schmählich wäre es, unseren großen Feldherrn aus Geiz sterben zu lassen!«

Unten brandeten die Wogen des Menschenmeeres und warfen ihren Gischt über die Stufen. – »Er soll nicht sterben!«

Wie Ton der Posaune kam es von oben: »Der Herzog bittet euch –«

»Er bittet!« – »Hört ihr!« – »Der Herzog bittet!«

»– Der Herzog bittet euch –«

Das Wort des Rufers wurde verschlungen. – »Er bittet! Er bittet!«

»Was Neues bei ihm!« kläffte Galgano.

»– Der Herzog bittet Euch um der Liebe willen, die er zu Herrn Mino trägt –«

»Was kümmert uns seine Liebe!« schrie frech der Cipolla hinauf – daß es der Herzog doch hörte!

»– aber auch um eurer eigenen Ehre willen –«

»Seit wann kennt der Herzog unsere Ehre?«

»Gesindel nennt er uns! Stinkende Affen!« schrie Galgano – sein Ruf weckte wildes Geschrei. Und doch liebten sie den Herzog und gedachten des Tages von Montaperti, da er die Stadt errettet hatte; andere fürchteten seine harte Faust.

»Bürger von Siena, der Herzog bittet euch, ihm zu helfen, daß Herr Mino gelöst werde! Er selbst gibt alles, was er besitzt –«

»Auch seine Schulden?« schrie Cipolla, und sie lachten dazu.

»– um Herrn Mino freizukaufen. Madonna Ginevra hat ihren Schmuck und ihre kostbaren Kleider dahingegeben –«

Als wäre ein Beil auf ihr Gelächter gefallen, so stürzte es tot nieder, die lauten Worte brachen von den Lippen. Man hörte den Atem der Menge sausen wie Wind überm Meer.

Aber eine Frauenstimme gellte: »Die Perlen der Herzogin!«

»Dreitausend Goldstücke sind sie wert!« schrie erbittert der Goldschmied Neri.

»Die Perlen! Die Perlen!« – Fortgespült war die Stille.

Von oben kam es: »Der Herzog läßt euch verkünden, daß er arm ist –«

»Wir wissen es! Wir wissen es!«

»Fünfhundert Goldstücke ist er mir schuldig und mehr!« brüllte Galgano. Und Cipolla noch lauter: »Er soll zuerst seine Schulden bezahlen und dann seine Freunde zurückkaufen!«

Aber ein Schlag traf den Cipolla hinters Ohr, daß er nicht die Kraft fand, sich zu wenden. Es war Herr Beltramo Fratta, Minos Freund und Waffengefährte, der vom Halsabschneiden bei Porta Camollia zurückgekommen war mit einem roten Strich über der Stirn. – »Skorpion du, wag es nicht, so vom Herzog zu reden!«

Cipolla tauchte nieder und suchte sich einen Platz hinten, wo er in Sicherheit war.

Die Stimme des Herolds wurde vom Lärm zerfasert. Die beiden Lanzknechte bliesen, daß ihnen fast die Backe barst, und dann, als sichs wieder gesänftigt hatte, schallte es aus des Herolds Mund wie aus einer Trompete: »Der Herzog bittet euch, so ihr der Wohltaten noch nicht ganz vergessen habt, die ihr durch ihn genießet – er bittet euch, ihm zu helfen.«

»Wir sind arm!« – »Wir haben selber nichts!« – so riefen die einen. Aber andere: »Herr Mino soll nicht sterben! Wir wollen ihn frei lösen!«

Ein Diener trat aus der Türe oben und trug eine Tonvase hinab, blaue Löwen waren in den gelben Grund eingebrannt, gestern hatten große weiße Rosen darin geblüht beim Feste. Zaccaria stellte das Gefäß dorthin, wo die Treppe anlief und zurückgestoßen wurde und sich zweite nach rechts und nach links. Da stand es, weit sichtbar und jedem zu erreichen, der auf die untersten Stufen trat.

Herr Beltramo war gegangen, sich die Stirnhaut festbinden zu lassen beim Bader. Cipolla schüttelte die Kränkung ab, zwängte sich wieder zur Treppe, sprang hinauf, griff in die Vase, und dann hob er den Arm auf und wies mit gespreizten Fingern den Leuten, daß das Gefäß leer war. Ihm dankte Lachen.

Oben rief der Herold: »Dieses Gefäß stellt der Herzog mitten unter euch, und er hofft, daß ihr ihn nicht umsonst bitten lasset! Denkt auch daran, daß sich Karl blutig erwiesen hat, als er über den unschuldigen Knaben Konradin den Tod verhängte –«

»Schande über ihn!« rief Magister Placidi.

»– daß kein menschliches Gefühl in seiner Brust wohnt, und daß er nur das Gold liebt!«

»Wir wissen es!«

»Unser Herzog hat ihn verjagt!« rief Traversaro.

»Er lebe! Wir wollen ihm helfen!«

Der Herold trat ins Haus zurück, ihm folgten die beiden Bläser, auf deren Zinken das Sonnenlicht silbern blitzte.

Magister Placidi sprach zu Ser Pandolfo: »Was sich hier begibt, ist ungewohnt, ich wüßte keinen Fall aus der Geschichte der Griechen und der Römer noch auch der Christen, der diesem gliche.«

»Ich will nicht Zeuge sein eines Tuns, dessen Ende nicht abzusehen ist! Kommt Ihr mit mir?«

Der Magister zögerte. Gern hätte er den Ablauf dieses merkenswerten Ereignisses mit angesehen, doch war die Ehre, neben Seiner Gestrengen durch die Straßen wandeln zu dürfen, hoher Schätzung wert. So schritt er denn zu seiten Meister Pandolfos bis ans Tor des Stadthauses und hatte acht, jedermann höflich zu grüßen, der ihn etwa nicht gewahrte. Eilig kehrte er, nachdem er beurlaubt worden war, zum Hause des Herzogs zurück. Da stand das Gefäß, die Leute stiegen hinauf und besahen es.

Mit wichtiger Miene zog der Bäcker Capece ein Goldstück aus seinem Beutel und legte es hinein. – »Ich bin dem Herzog ein Freund, und er soll mich in der Not kennenlernen!«

Aber die Leute lachten und höhnten. – »Der Meister Capece! Er will die Kundschaft nicht verlieren!«

Und die dürre Nastagia, die Frau des Leinenwebers Vivaldo, die ihre wenigen Haare mit Öl zwischen Stirn und Ohren festklebte und deren Nase knapp unterm Haar einen Satz tat und voller Mut bis an die Oberlippe herabsprang; ihre Ohren aber waren große Henkel an einem zerbeulten alten Krug; die Nastagia schrie giftig: »Gewiß von der schönen Bianca!«

»Damit du nicht um deinen Schwager Mino kommst? Was?« höhnte Cipolla.

Der Capece wollte sich auf ihn stürzen, aber die Leute hielten ihn am Wamse fest, ein Zipfel blieb in des Vivaldo Händen – der dicke Mann, der die Stufen hinabhüpfte wie ein Frosch, konnte den Cipolla nicht fassen. – »Laßt mich, ihr Schufte!« schnob er. »Seht ihr denn nicht, daß ich dem Herzog ein Geschenk mache! Er ist ein braver Mann und hat unsere Stadt gerettet! Ich bin nicht so knauserig wie ihr! Ich weiß gute Dienste zu belohnen!«

Cipolla hatte sich geduckt, jetzt stand er unter den Leuten. – »Und Herr Mino hat sichs um dich verdient! Er plagt sich wacker mit deinem Weibe!«

»Die Pest in dein Lügenmaul!« erboste sich der Capece und wurde so rot im Gesicht, daß sein purpurfarbener Brustlatz zu verbleichen schien. – »Aber du bist ja nur dem Herzog um mein Goldstück neidisch!«

Die Leute frohlockten, daß zwei so wacker aneinandergeraten waren. – »Fass', Capece! Fass'!« – »Wo ist denn die Bianca?«

»Ihr Hungerleider!« heulte der Bäcker. – »Aber ihr sollt sehen – jetzt gerade bekommt der Herzog nichts von mir!« – Und er stolperte wieder die Stufen hinauf, griff in die Vase und faßte sein Goldstück. Er zeigte es den Leuten.

»Brav, Capece!« höhnte ihn Cipolla. – »Spare dein Geld! Herr Mino wird der schönen Bianca trotzdem gewogen bleiben!«

Was ihnen der Herzog unverhofft für ein Fest bereitete! Sie lachten und grunzten, Weinflaschen gingen von Hand zu Hand. Aber plötzlich riß es alle Gesichter nach oben, die Worte zerrannen auf geöffneten Lippen. An einem der Fenster stand Provenzan und hinter ihm wurde Madonna Ginevra sichtbar – die einzige seines Hauses, die sie liebten. An der Hand hatte sie ihn hergezogen, daß er sähe, daß er selbst mit den Männern redete.

Laut und klar sprach Provenzan in die Stille. – »Bürger! König Karl will den großen Mino töten, wenn ich ihn nicht bis Mittag auslösen kann! Mino hat euch alle gerettet! Nicht ich bin es gewesen, der bei Montaperti die Macht der Florentiner gebrochen hat, die, wie ihr wißt, unsere Mauer umreißen und eine Fronburg inmitten der Stadt aufrichten wollten. Mir ist nur der Ruhm zuteil geworden. Aber in Wahrheit hat Mino den Sieg entschieden, er zusammen mit den Männern von Siena und mit den deutschen Rittern! Ihm dankt ihr, daß ihr frei leben dürft, nicht Tribut zahlen müßt an Florenz und den gierigen König, die miteinander im Bunde sind! Mino darf nicht sterben. Schändlich und undankbar wäre das von uns allen! Meine Schätze sind aufgezehrt, ich habe nichts mehr.« – Für eines Atems Länge hielt Provenzan ein. Und dann sprach der Stolze, der niemals noch vor einem Menschen gebeten hatte: »Ich bitte euch, helft mir! Der Tribut von San Gemignano, der uns zugesagt ist, soll ungeschmälert an die Bürger der Stadt ausgeteilt werden! Nicht einen Batzen werde ich davon nehmen! Das verspreche ich euch! Aber jetzt helft!«

Niemand wagte ein Wort. So hatten sie den schweigsamen Provenzan Salvani, der sie alle in Furcht hielt, noch nicht gesehen.

Ein alter Hinkfuß drängte sich aus dem Haufen, ein Mann mit langem Bart und dürftig gekleidet. Er zog die Mütze ab und redete hinauf zum Herzog: »Gnädiger Herr, mehr als einmal habe ich zusammen mit Euerem Vater gefochten, und ich war auch dabei, als wir so wacker gegen die Florentiner dreinschlugen. Seit dem Tag hinke ich auf dem rechten Bein – ein guter Hellebardenstich! Da seht!« – Er zog einen Lappen zurück und wies seine Narbe. – »Nun, es ist, den Heiligen sei Dank, nicht mehr arg, nur bei Regenwetter schmerzt es noch ein wenig. Herr Mino hat mir am Abend der Schlacht zehn Batzen geschenkt, und immer pflegte er sein Pferd anzuhalten, wenn er mich auf der Straße traf, und nach meinem Bein zu fragen. Ich gebe Euch und ihm von Herzen gern, und ich wollte, es wäre mehr, aber ein armer Mann hat nicht viel herzuschenken.« – Albanello stieg hinauf und legte ein paar Silberstücke in die Vase. Dann kehrte er sich, warf die Hände hoch und redete eifrig zu den Leuten. – »Steht doch nicht da und glotzt! Tut, was unser guter Herzog fordert! Hat er euch nicht oft genug geholfen? Hat euch Herr Mino nicht Gutes getan? Jetzt sollt ihr euch dankbar zeigen!«

Wer zuletzt gesprochen hatte, der behielt immer recht bei ihnen. Sie kamen herbei und warfen mit einem Blick auf den Herzog Silberstücke ins Gefäß ein.

»Ich gönne es Euch, gnädiger Herr, und Herrn Mino auch!« – Der Sattler Manocci verbeugte sich tief. Der Paternostermacher Zaffi, der ein paar Häuser in der Stadt besaß und ein schönes Weingut dazu, auch viel Geld auf Zinsen liegen hatte bei den Buonsignori, der hielt ein Goldstück hoch, daß es der Herzog sähe, warf es ein und sprach dazu: »Ein Goldgulden!« – Und dann zog er mit Umständlichkeit einen zweiten hervor und dann noch einen und wies jeden dem Herzog, dessen Gesicht faltig wurde, als schmeckte er grüne Galle.

»Seht den reichen Zaffi! Drei Goldstücke hat er für den Herzog und nicht mehr!«

»Und wieviel gibst du?« fauchte Zaffi, der sich sehr freigebig dünkte, den Schreiner Petrucci an.

»Mußt du es wissen? Wenn ich schenke, so mache ich nicht viel Sprüche dazu. Gäbe nur jeder so viel wie ich, dann könnte unser Herzog schon zufrieden sein!«

»Ich will daneben stehen!« lachte Zaffi boshaft und rührte sich nicht vom Fleck. – »So komm doch und zeige, wie großmütig du bist!«

»Ich gehe, Geld zu holen!« – Der Schreiner verschwand, und die Leute lachten hinter ihm her.

Provenzan ertrug es nicht, er trat zurück vom Fenster.

Jetzt streckte Cipolla, der mit lauernden Augen gewartet hatte, den Kopf hoch. – »Gestern abend bin ich im Schlosse gewesen – ich sage euch, Leute, da hat ein anderer Wind geweht! – Ich will dich nicht mehr sehen, Kerl! – Und: Ich brauche dich nicht! – Gestern hat er uns noch nicht gebraucht – versteht ihr wohl?«

»Und habt ihr auch gemerkt, wie er das herausgebracht hat: ›Ich bitte euch‹?« – höhnte der Leinenweber Vivaldo, ein langer Kerl, der seine Arme durch die Luft wehen ließ, als wären es Windmühlflügel. – »Ich dachte schon, es würde ihm in der Kehle stecken bleiben, und er müßte an diesem ungewohnten Bissen ersticken. Dann hätte Traversaro einen neuen Sarg zu machen – einen Armensarg!«

Aber der würdige Traversaro sprach mit Entrüstung: »Mir scheint, daß er uns gebeten hat, wie es sich ziemt, und ich will nach Hause gehen und Geld herbeibringen.«

»Wieder einer, der geht! Unerwartet wird er Arbeit finden und nicht wiederkommen.«

Cipolla hetzte. Er war der einzige unter den Leuten, der mehr wollte als seinen Spaß haben, er gedachte sich groß in Gunst zu setzen beim Visconti. – »Was meint ihr? Wenn wir ihm genug geschenkt haben, dann sind wir doch wieder das Gesindel und die fetten Affen! Oh, ich kenne diesen Herrn! Aber mein Gold ist an meinen Beutel festgewachsen wie eine Zecke an das räudige Fell eines Straßenköters!«

»Und meines kann fliegen wie eine Lerche am Morgen.« – Der Vivaldo schnellte seinen Arm auf, ein Silberstück flog in die Luft, und er fing es geschickt in der offenen Hand.

»Meines hat wiederum eine fürstliche Sippschaft!« ließ sich Magister Placidi vernehmen, der hinten lehnte. – »Denn es ist mit den Schätzen des Herzogs nahe verwandt, und meine Taschen gleichen seiner Schatzkammer ganz erstaunlich!« – Dazu drehte er die beiden Taschen seiner Hose um.

Der Goldschmied Neri aber sprach niedergeschlagen, denn ihm ahnte, daß der Tag des Zahlens wohl nimmer käme am Herzogshofe von Siena. – »Mein Gold ruht an einem Orte, um den es mancher große Herr beneiden mag, es küßt den Nacken der Herzogin.«

Dem Galgano trieb das viele freche Reden den kalten Schweiß aus den Poren. – »Ihr Leute, nehmt euch in acht! Der Herzog wartet vielleicht nur, ob wir uns beugen – und im Hofe stehen seine Lanzenreiter und fahren plötzlich unter uns!«

»Keine Furcht, Alter!« schrie der Cipolla laut über die Menge hin. – »So wichtig wie heute sind wir ihm noch niemals gewesen!«

Indes hatte der Leinenweber den Neri gefragt: »Du sagst, daß die Herzogin deine Perlen trägt?«

»Das tut sie! Und ich darf mit allem Rechte behaupten, daß sie sich ihren Schmuck von mir bezahlen läßt.«

»Das macht dich wohl sehr glücklich?« höhnte Vivaldo, und Cipolla schrie: »Warum nimmt er denn die Perlen nicht, wenn er es so nötig braucht?«

Neri, ein kleiner dürrer Mann, dem das schwarze Haar bis an die Augen fiel, wandte sich dem Vivaldo zu, denn den Spott hatte er nicht recht verstanden und glaubte ein mitfühlendes Herz zu finden: »Lieber Freund, wenn ich einer von denen da oben wäre, so würde es mich gewiß glücklich machen, den Schmuck der Herzogin bezahlen zu dürfen – so sind einmal die vornehmen Herren. Weil ich aber nur ein Goldschmied bin, so befinde ich mich in arger Betrübnis. Jede Nacht träumt mir, wie der Hals der gnädigen Herzogin gelb und voller Runzeln wird, und dann wollen meine Perlen gar nicht mehr recht hinpassen. – Und – glaubt ihr's?« redete er die Leute an – »sie kommen wiederum in meine Bude geflogen. So ein Esel bin ich, wenn ich träume!«

Vivaldo zog ein ernstes Gesicht. – »Ich sehe wohl ein, daß du bei Nacht ein mächtiger Esel bist. Aber an dem Tage, wo du die Perlen ohne Bezahlung hingegeben hast, da bist du wohl ein noch größerer Esel gewesen?«

Der kleine Neri faßte seine Hand. – »Jawohl, Freund! Jawohl! An diesem Tage bin ich der Haupt- und Staatsesel von Siena gewesen, und ich wäre würdig, bis an mein Lebensende Disteln zu fressen.«

»Neben meinem Haus wachsen etliche, und es soll mir nicht darauf ankommen!«

Die alte Mutter Caterina, die einsam und arm in dem Holzhäuschen hinter Galganos Speichern lebte, war schon vor einer Weile herangekommen, und sie bat immer wieder, daß man ihr aus dem Weg wiche und sie hindurch ließe; sie erzählte eifrig, wie der Herzog ihrem Alessandro das Leben gerettet hatte in der großen Schlacht von Montaperti. – »Das hat er für mich getan, der gute Herr! Und jetzt soll er alles bekommen, was ich mir zusammengespart habe!« – Sie nestelte ein Säckchen auf und zog ein paar kleine Münzen hervor.

Vivaldo stand hinter ihr, guckte ihr über den Kopf. – »Brav, Mutter Caterina, du hilfst den Armen!«

»Ich diene gern dem, der mir wohl will!« – Die Alte band sorgfältig ihr leeres Säckchen zusammen.

»Hast du auch nichts zu Hause versteckt? Hast du alles mitgebracht?« – Aber da kam er schlecht an bei der alten Frau. – »Glaubst du vielleicht, ich wollte kargen, wenn es um den guten Herzog Provenzan und seinen Freund Mino geht? Glaub das nicht!«

»Also laß doch sehen! Wieviel hast du für ihn?«

Die Alte gab ihm ihr Geld in die Hand. – »Ich bitte dich, lege es in den Topf dort oben, ich kann nicht bis hinauf reichen, aber sag mir zuvor: Kommt das auch ganz gewiß zum Herzog?«

»Zuverlässig!« – Er zeigte lachend das Geld den Leuten. – »Da seht her! Zwölf Batzen und vier Heller schenkt Mutter Caterina dem großen Herzog!«

Die Alte erboste sich. – »Ihr sollt mich nicht auslachen! Ich gebe ihm alles, was ich habe!«

»Wieviel mag jetzt noch auf zehntausend Goldgulden fehlen?« fragte Vivaldo.

»Das weiß ich doch nicht! Aber ich gebe es willig, und der Segen aller Heiligen wird dabei sein!«

»Wir wollen es hoffen!« – Er warf Stück nach Stück in die Vase hinein, daß es dumpf aufklang, die alte Caterina nickte freudig mit dem Kopfe dazu, und Cipolla verzog den Mund. – »Ein Regen von Gold ergießt sich über Siena!«

Ganz erschöpft ließ Vivaldo seinen Arm sinken. – »Jetzt ist der Nagel am kleinen Finger des großen Mino frei, er gehört Mutter Caterina!«

In der Tür oben, wo der Herold gerufen hatte, stand jetzt der Visconti. Er hatte ein prächtiges Gewand aus weißem Atlas angelegt, auf den schwarzen Locken saß eine Mütze aus dunkelrotem Samt, die mit Goldfaden bestickt war.

Er sah hinab in die Menge und fragte: »Geht es jeden Morgen so munter zu bei euch? Was bedeutet das?«

»Das bedeutet,« erwiderte Cipolla überlaut, »das bedeutet mit Eurer herzoglichen Gnaden Erlaubnis, daß unser großmächtiger Herr seinen letzten Batzen vergeudet hat, und daß ihm gute Freunde aushelfen sollen!«

»Ich sehe, daß ihr nicht geizig seid!« – Der schöne Jüngling oben hatte ein Lächeln für das Volk von Siena. – »Aber der Herzog sollte den Bürgern schenken, dächte ich, nicht von ihnen fordern!«

»Bei uns ist das nun einmal umgekehrt, wie Euer Gnaden bemerken können!«

»Das gefällt mir wenig!« – Er redete zu ihnen allen, ein großer Herr, der sich gewogen zeigt. – »Wenn ihr das Volk von Mailand fragt, so werdet ihr hören, daß dort ganz andere Bräuche im Schwange sind!«

Cipolla warf seine Mütze in die Luft. – »Hoch lebe Herzog Andrea Visconti!«

»Euer aller Freund!« – Und mit dem Lächeln, das großen Herren gemein ist mit gefälligen Mädchen, trat er zurück ins Haus des Salvani. Hinter ihm rief noch Cipolla: »Euer Gnaden allerbeflissenster Diener!«

Wenige nur hatten ihn gekannt, und Cipolla erklärte ihnen jetzt, daß der große Visconti, der weltberühmte Herzog von Mailand, ein Freund des Kaisers und aller Könige wäre, und daß keine Stadt sich Besseres wünschen könnte, als seine Gunst zu gewinnen, und daß alle seine Freunde geborgen wären für immer, denn kein Fürst Italiens gliche dem Visconti an Reichtum und Freigebigkeit. – »Wenn wir so einen hätten –«

Aber der Zaffi hob die Hand auf und hieß ihn schweigen. Alle blickten nach oben: Herzog Provenzan, schwarz und schlicht, stand in der Türe mit seiner Schwester.

»Jetzt mußt du selbst hinabgehen!« flehte Ginevra. »Sonst treiben sie ihren Scherz, bis es zu spät geworden ist! Stehst du aber unter ihnen, und bittest du jeden um eine Gabe, so wird keiner sie weigern!«

»Vergiß nicht, wer ich bin!« sprach finster der Herzog und trat zurück ins Haus. Er ertrug nicht die frechen und die heuchlerisch unterwürfigen Gesichter da unten.

Ginevra jedoch ließ nicht von ihm. – »O Bruder, es ist keine Schande zu bitten, damit der Freund lebe! Ich weiß es ja, mächtiger ist dein Stolz als Karl und alle Könige der Erde – aber jetzt mußt du ihn besiegen! Scheust du nicht zu sehr die Menschen und ihre Blicke?«

»Du hast es ja gehört – das boshafte Lachen – und die täppischen Worte! Ich habe gebeten – und die Hunde spotten!«

Ginevra hielt seine Hand fest. – »Nicht Hunde sind es, Menschen wie ich und du! Und weil sie Menschen sind, kränkt sie dein Hochmut!«

Er aber sprach hart: »Ich kann nicht weiter gehen!«

Ginevra eilte aus dem Saal, und schnell kam sie wieder mit ihrem Beichtvater, dem Bruder Masseo. – »Helft mir! Sprecht ihm von dem, was höher ist als sein Stolz! Sprecht ihm von der Demut der Heiligen!«

Bruder Masseo, der heute unter weißen Haaren ging, war als ein junger Mönch mit dem Heiligen von Assisi nach Siena gekommen, und der hatte ihn in der Stadt zurückgelassen, daß er Milde ausgieße unter die Menschen. Heute noch war in dem alten Mann der Blick des Heiligen lebendig, und in den Ohren klang ihm sein Wort, als wäre es gestern verkündet worden, manchmal in einer Stunde der Dämmerung glaubte er gewaltiges und doch mildes Wehen um sein Haupt zu fühlen. Das Samenkorn, das Franziskus ihm ins Erdreich der Seele gelegt, hatte Wurzeln eingeschlagen und ein Stämmlein getrieben, jetzt schattete es den Greis als ein mächtiger Baum, daß er in tiefem Frieden leben durfte, wie auch Stürme durch die Welt fuhren.

Bruder Masseo trat vor den Herzog. – »Vielleicht ist jetzt die Stunde gekommen, die jedem Menschen bewahrt ist, die Stunde, da sich ein Weg ihm auftut in seine Vollkommenheit. Gedenket, Herzog, daß der erhöhet wird vor Gott, der sich erniedrigt vor den Menschen, weil solche Erniedrigung aus der neu gewonnenen Reinheit der Seele wächst. Gedenket auch des Heiligen, den Ihr geschaut habt als ein Knabe, vor dessen Antlitz alle Menschenherzen sich beugten, jeder Streit ist verstummt und die Liebe ist aufgestanden.«

Aber der Stolze bäumte sich wie ein wilder Hengst, dem ein Knabe in den Zaum fassen will. – »Fort von mir, Mönch! Ich brauche deine Weisheit nicht!« – Der alte Mann senkte den Blick und ging aus dem Saale. In seinen Augen standen Tränen.

»Schäme dich!« sprach der Herzog zu Ginevra.

Sie empfand die brennende Kraft seiner Seele, die sich nimmer beugen konnte, sie wurde klein wie ein Kind und schlug die Augen nieder und trat weg von ihm, an die Türe, die hinunter wies zu den Menschen. – »Nun spreche ich nichts weiter. Schließ alle Pforten hinter mir zu – ich will hinabgehen und bitten. Habe ich gestern meinen Frauenstolz hingeworfen, so will ich jetzt als eine Bettlerin auf der Straße stehen!«

»Ginevra – das erlaube ich nicht!«

Sie zog den eisernen Ring ab, den sie vom Großvater her trug, und bot ihn Provenzan. – »Ich will nicht mehr eines Großen Schwester sein! Ich will nicht mehr heißen, wie mich meine Eltern genannt haben! Eine Bettlerin ohne Heimat noch Namen bin ich fortan!«

Sie trat auf die Stufe – aber er hielt sie – »Nein!« – Er gab ihr den Ring wieder. – »Ich werde stark sein wie noch nie! Alles werde ich ertragen – für dich und für Mino! Ich lasse nicht ab, ehe Mino gerettet ist!« – Er stieg langsam über die Treppe, und er sah auf die Menschen unten mit dem Blick, den sie fürchteten, sie schlugen die Augen nieder. Oben lehnte bleich wie der Marmor des Hauses Ginevra. Sie glich einem Bilde, von dem sterbliche Menschen Heil erhoffen.

Man hörte, wie die Schwalben die Luft durchschnitten von einem Giebel zum andern, und auf seinem fernen Turme stand der alte Ildebrando und sah mit Sperberaugen auf das Tun seines Freundes Salvani herab. Was begab sich in Siena?

Ginevra hatte die Arme aufgehoben und geleitete mit tiefer Inbrunst Provenzan auf dem steilsten Weg seines Lebens. – »Gott stärke dich und schenke dir die höchste Kraft, die Kraft der Demut! Daß Liebe allein dein Herz erfülle!«

Stöhnend vernahm er es, aber er vermochte ihr ein Lächeln wiederzugeben als Dank. Und dann kehrte er sich mit einem Ruck den Bürgern zu, die angehaltenen Atems ihn umstanden, einer an den anderen geschmolzen, es wogte hinüber zu den Häusern, aus deren Öffnungen Menschenköpfe dicht wuchsen, wie niemals gesäetes Unkraut.

Der Herzog sprach laut zu den Menschen unten: »Ihr Männer von Siena! Wir wollen Mino nicht sterben lassen! Gebt, was ihr entbehren könnt! Ich habe euch nie um etwas gebeten. Nun tue ich es. Später will ich alles wiedererstatten, wie ich kann. Wenn wir nicht bis zur Mittagsstunde zehntausend Goldgulden ins Lager des Königs senden, stirbt Mino! Ich bitte Euch!« – Er sprach zu denen unter ihm, und er hob den Kopf auf und sprach zu denen, die aus den Mauern hingen, er sprach mit der Stimme des Löwen: »Und ich bitte alle, die in ihren Häusern sind, kommt herbei und gebt, was Ihr geben könnt!«

Provenzan Salvani, den sie kannten von Jugend her, den sie geliebt hatten um seiner selbstlosen Taten willen, der das Banner der Jungfrau aus den Mauern getragen hatte gegen das gierige Florenz, Provenzan Salvani stand vor ihnen und bat. Und sie drängten sich, die Gabe in der Hand, jeder wollte der erste sein, keiner wollte zurückbleiben, wo ihr Herzog bat.

Der dicke Galgano stieg hinauf und warf Gold in die Vase. – »Ich gebe es Euch gern, Euer Gnaden!«

Der Goldschmied Neri warf Gold ein und lächelte bitter: – »Nehmt es als eine Abschlagszahlung auf die Perlenkette!«

Und der Zaffi, der einem fetten Pfäfflein glich, zog noch zwei Goldgulden heraus und zeigte sie Provenzan. Er ließ sie in das Gefäß fallen und sprach dazu: »Hier sind noch zwei Goldgulden – das macht fünf im ganzen!«

»Gut!« preßte der Herzog zwischen den Lippen hervor, die blutlos in dem weißen Gesicht standen.

Auch Magister Placidi, der um seinen Geiz berühmt war, schenkte ein Silberstück.

Cipolla trat zum Herzog. – »Gestern habt Ihr mir befohlen, daß ich mich nicht mehr vor Euch sollte blicken lassen! Wißt Ihrs noch?«

»Ich brauche dich nicht!«

»Wenn ich Euch aber zehn Goldgulden schenke?«

»Leg es hinein!« knirschte der Herzog.

Frech sah ihm Cipolla ins Gesicht. – »Ist das alles?«

»Ich danke dir!«

Der Waffenschmied glaubte den Visconti zu erblicken, der hinter einem pergamentverklebten Fenster stand, und er wollte dem zeigen, daß er jedes Vertrauens würdig war. Er zog die Hand zurück, die das Gold dem Herzog vors Gesicht gehalten hatte, und sprach – aber es war wie das scheue Knurren eines Hundes, der plötzlich auffährt und den Herrn von hinten ins Bein beißt. – »Nun – hört einmal!« sprach der Cipolla. – »Wenn Ihr ein Geschenk von mir haben wollt, so könntet Ihr, scheint mir, ebenso höflich mit mir sein, wie ich mit Euch bin! Meint Ihr nicht auch?« – Aber sein Herz zitterte, und er spähte mit einem schiefen Blick, wie er schnell untertauchen könnte in der Menge.

»Was soll das Geschwätz! Gib oder gib nicht!«

Cipolla gedachte kühn zu reden – aber er stammelte nur: »Das soll – ich meine – Ihr könntet – wenn es Euch nämlich beliebt – Ihr könntet wohl ebensogut sagen: ich danke Euch – wie Ihr sagen könnt: ich danke dir.«

Ein Lächeln trat in das starre Gesicht des Herzogs – Knecht, der sich als Herr aufspielen möchte! Und er sprach mit einem Neigen des Kopfes – aber es war mehr Kränkung als manch böses Wort: »Ich danke Euch, Messer Cipolla!«

Der wurde rot und blickte um sich – hatten alle vernommen, daß der Herzog von Siena zu ihm redete wie zu einem Herrn? Er öffnete die Hand und warf das Gold in den Topf, daß es klang. – »Es ist mir eine Ehre, Messer Provenzan!«

Leises Kichern huschte durch die Menge. Der Herzog faßte das Schwert.

»Sei groß, Bruder!« rief Ginevra von oben.

Der alte Galgano drängte zurück. – »Jetzt beginnt es!«

Provenzan sah auf, und er sah, wie sich hinter den Fenstern Köpfe regten. Wild schrie er. – »Fort! Daß alle Laden geschlossen seien, niemand darf hintreten!« – Ginevra ging, sein Wort weiterzusagen.

Traversaro war wiedergekommen, die Leute machten ihm Platz. Er hatte nicht gelogen, er brachte Geld herbei. Bedächtig stieg er die Stufen hinauf, neigte sich vor Provenzan, wies seine Hand voll Gold, und es rann nieder. – »Wie Ihr begehrt habt, gnädiger Herr! Ich weiß ja, daß Ihr mir sicher seid!«

»Was willst du damit sagen?«

»Nichts anderes als daß ich der Mann in Siena bin, dem jeder einmal zu verdienen gibt, auch wenn er es von Herzen ungerne tut. Denn einen Sarg hat bisher noch jeder einmal gebraucht.«

»Und hoffst du, bald Arbeit von mir zu bekommen?«

»Ich hoffe, daß ich diese Arbeit nicht mehr selbst machen werde, sondern daß sie meinem Enkel oder Urenkel aufbewahrt bleibt.«

Der Herzog lächelte. Jetzt stand Herr Beltramo Fratta vor ihm, dem der Bader eine weiße Binde um die Stirn geleimt hatte. Er blickte den Herzog nicht an, er schämte sich dessen, was hier geschah. Er warf das seinige in den Topf ein, aber weil er Schankwirte und geldbedürftige Mädchen nährte, war es nicht viel. Ehe Beltramo ging, flüsterte er: »Wenn Ihr mir ein paar Leute geben wollt, Herzog, so fasse ich den Cecco Buonsegni, der Olivenfässer mit Goldstücken angefüllt in seinem Keller hat, und presse ihn so lange zwischen Spieß und Schwert, bis er sein Gold ausschwitzt!«

Aber der Herzog schüttelte nur den Kopf. – »Zu spät!«

Eine Magd brachte hundert Goldstücke und sagte, daß ihre Herrin um den edeln Herrn Mino mit dem Herzog trauerte.

»Wer ist deine Herrin?«

»Oh – das hätte ich beinahe vergessen! Monna Ninetta da Sessa!«

»Bring ihr meinen tiefsten Dank!«

»Es soll bestellt werden!«

Die schöne Angelica de' Pannochieschi, die Herrn Mino in Liebe zugetan war, hatte nicht den Mut, sich zu regen, und hätte doch allzu gern unter den Schätzen ihres Mannes Umschau gehalten, daß Mino nicht sterben müsse. Sie weinte in ihrer Kammer und schickte die Mägde aus, um zu erkunden, was sich begab.

An der Ecke des Hauses der Aldobrandeschi, dort wo der Weg steil abtreppte zu den unteren Vierteln, stand Timoteo Lotteringhi, des Herzogs Hauptmann, und sah mit finsteren Blicken zum Haus des Salvani hin. Bald kam der hochmütige Ricciardo Scotti des Weges.

Timoteo trat auf ihn zu. – »Wir haben unsere Schwerter gekreuzt vor einer Stunde! Nun biete ich Euch meine Hand!«

»Ich danke Euch, Herr Timoteo! Und hier die meinige! Was ich heute sehen muß, schmerzt mich mehr, als wäre Euer Schwert mir ins Herz gefahren!« – Er wies auf die Menschen, die Provenzan umwogten.

»So denke ich! Ward je solche Schmach gesehen in Siena?«

»Gestern hat er mich Freund genannt, hat gefordert!« nickte finster der Scotti.

»Sagt: gebettelt!«

»Ich schäme mich für ihn, der ein Großer – gewesen ist!«

»Unser Fürst!«

»Soll man hingehen? Schenken? Mit Bäcker und Weber zugleich?«

»Ich kann es nicht, Herr Ricciardo! Eher ließe ich meinen Freund sterben, als daß ich solche Schmach über mich brächte – und über ihn zugleich!«

»Ihr sprecht aus, was ich im Herzen fühle, Herr Timoteo!«

»Nicht länger bin ich sein Hauptmann! Keinem Feind könnte ich ins Auge blicken nach diesem Tag!«

»Kommt, man soll uns hier nicht sehen!« – Ricciardo kehrte sich, und neben ihm ging Timoteo die Straße hinab.

»Dies reißt jedes Band in Stücke, löst jeden Eid!« sprach des Herzogs Feldhauptmann. »Der dort steht, ist nicht der selbe, der den Schwur meiner Treue empfangen hat.«

»Unser Ruhm ist mit Provenzan gewesen, nun ist unsere Schande mit ihm! Kommt zu mir, daß wir Rats pflegen, was zu tun bleibt! Ihr kommt zu einem Freunde!«

»Ich danke Euch, Herr Ricciardo!« – Mit jedem Schritt, der sie vom Hause des Herzogs führte, rissen sich die beiden weiter von ihm und allem, was sie ihm verbunden hatte.

Der stolze Timoteo war unter sieben Geschwistern eines Bauern Sohn, der im Gebirg nahe von Brescia aus geringem Boden schwer sein Leben zog. Niemals hatten dem Knaben Feldarbeit und Wartung des Viehs behagt, er hätte fortlaufen mögen und ein Kriegsmann sein. Er träumte von ein paar Kerlen, die in eiserner Sarsche und den Sturmhut auf dem Kopf eines Abends mit Lärm ins Haus gefallen waren, ohne zu fragen, sich breit auf die Bänke gestreckt und Nahrung und Trank gefordert hatten. Das sind Kriegsleute von den Päpstlichen, hatte es geheißen, und ihnen war gegeben worden, was sie begehrt. So werden wie sie! – das war fortan des jungen Timoteo beständiges Sehnen. An einem kalten Morgen, da er das Feld umgraben sollte, er war kaum vierzehn Jahre alt, da sprang ein Hase nahe von ihm über die braunen Schollen, es riß den Knaben aus seinem widerwillig trägen Tun, und er schleuderte den Spaten hinter dem Tier. Während das Eisen durch die Luft schoß, wußte er jäh: trifft es, so ist mir das Kriegshandwerk bestimmt! Der Wurf war gut gewesen, der Hase zappelte am Spieß. Da faßte Timoteo die Bauernaxt, ging von Eltern und Haus, stieg in die Täler hinab. Er sollte die Heimat nicht wiedersehen.

Noch am selben Abend begegnete er einem Trupp venedischer Söldner, ein Reiter, dem er zulief, nahm ihn als Troßbuben an. Ihm schlug hoch das Herz, die niedrige Arbeit war versunken, Kampf und Ehren und Glanz lockten ihn in die Ferne. Die Männer lagen ums Feuer, und er kauerte im Dunkel nahe von ihnen und hörte mit glühenden Wangen, wie sie groß redeten, von gestürmten Festungen und von geplünderten Städten, von Weibern, die man fing und denen alles Wehren nicht half, und von dem Gut, das jeder gewinnen konnte, der beim Siege mitgetan. Dieser Heerhaufen zog – aber das wußte Timoteo erst viel später, als sie schon dem Po nahe gekommen waren – hinter einem toten Feldherrn her. Es war Pier Brandolini, der, in seinem Zelte schlafend, erdolcht worden war, und den führten sie in einer verschlossenen Sänfte, der Dolch stak ihm noch in der Brust, auf zwei Maultieren dem Heere vor. Jede Nacht schlugen sie ihm ein Zelt auf, und daneben pfählten sie seine Standarte in den Erdboden. Waren sie von ihm, den sie so sehr geliebt hatten, lebend zu manchem Siege geführt worden, so sollte er ihr Feldherr auch noch im Tode sein.

Landauf und landab kam Timoteo mit den Söldnern, er lernte Rosse warten, Schwerter putzen, flickte im ledernen Koller die Risse. Mit seinem Herrn ging er in den Dienst des Francesco Salvani über, der, ein paar hundert schwere Reiter stark, um Sold den Mailändischen half. Als er vor Cremona den Spieß eines Toten aus dem Grase hob und auf die Feinde losging, da wurde er vom Salvani, der es mitangesehen hatte, kaum sechzehn Jahre alt für einen Reisigen angenommen und gelöhnt. Von dem Tage aß er das Brot Sienas, zuerst unter Francesco Salvani und dann unter Provenzan, er war dabei gewesen, wie der sich zum Herzog gemacht. Damals hatte er auch, der bisher nur der Kurze genannt worden war, seinen Namen angenommen. Als an die Mauern von Chiusi – es war Herrn Minos erste Waffentat – Leitern gelegt wurden, da stürmte Timoteo unterm Steinhagel vor allen andern hinauf und fiel von der brechenden Leiter. Er lag lang dem Tode nah, doch er genas. Die wulstigen Narben auf Nacken und Brust schwanden nicht mehr.

Siebzehn Jahre alt, nahm Timoteo eine Florentinerin zur Frau; sie gebar ihm einen Sohn, aber ein Jahr später schon erstach er sie, weil er sie einem andern gewogen wähnte. Von der Zeit liebte Timoteo nur noch seinen Herrn und Mino. Einst wurde er mit Mino und etlichen schlecht bewaffneten Männern im Kloster von San Sepolcro von einer florentinischen Rotte eingeschlossen, Lauro Pontano, der Bruder seines toten Weibes, der sie anführte, hatte geschworen, den Timoteo auszuräuchern wie einen Dachs und in eine der stinkenden Pestgruben zu werfen. Wenn sie ihn auslieferten, mochten alle anderen frei abziehen. Da knüpfte sich Mino, der niemals um eine gute List verlegen war, eine Mönchskutte um den Leib und trug den Timoteo in einem großen Sack auf seinem Rücken hinaus; er hatte sich ein Glöckchen umgehängt und rief laut, daß er eine Pestleiche trüge. Die Florentiner wichen aus seinem Weg. An dem Tag hatte Timoteo Mino für sein Leben zu danken.

Aber jetzt war alles zu Ende. Siena, das ihm Heimat geworden war, wo ihm sein Sohn erwuchs, stürzte hin – sein Herr, der stolze Provenzan, stand auf dem Markt und bettelte! Und doch mußte sich Timoteo erinnern, daß Mino, für den es geschah, ihm einst das Leben gerettet hatte ...

Die Leute hatten einen neuen Spaß mit der Bianca Capece, die unsicheren Schrittes um die Ecke bog. – »Die Capecina! Die Capecina!« – »Sie hat den Geldschrank des Alten ausgeraubt!« – »Er wird sie totschlagen!« Und die gelle Stimme der Nastagia Vivaldo, die wie aus einem zerbrochenen Glas klirrte: »Für ihren Mino! Alles für ihren Mino!« – »Laßt ihr Raum!« – »Wir wollen sehen, wieviel er ihr gilt!«

Die schöne Bäckersfrau stand vor dem Herzog, und sie war so verwirrt, daß sie nicht reden konnte noch gerade blicken. – »Erlaubt mir – allergnädigster Herr Herzog – ich bitte Euch – erlaubt mir –«

»Capecina! Capecina!« sauste es um den Platz wie aus Pfeifen, und die Nastagia, deren Kopf gleich dem Kopf einer Nadel auf dem dünnen Hauthals wackelte, fauchte immerfort: »Für ihren Mino! Alles für ihren Mino!«

Bianca mußte sich am Stein festhalten. – »Ich bitte Euch – es ist nämlich – mein Mann – wir wohnen dort unter den Lauben –«

Es war fast schöner als das Pferderennen am Tag der Jungfrau, schöner sogar als das Elmora-Spiel, das niemals ohne Tote endete. Ein neues Fest war ihnen unerwartet geschenkt worden!

Ein Fenster ging auf, und man erblickte den Visconti, der Gaspara vortreten ließ. – »Ei seht, Monna Gaspara! Welch neues Schauspiel!«

Sie fuhr zurück. – »Kommt fort! Ich bitte Euch, kommt fort!«

»Laßt doch sehen, was sich hier Absonderliches begibt!«

»Nein! – Ihr sollt nicht! Ich bitte Euch – nein!« – Sie zog ihn zurück.

In der Türe stand Ginevra. Ihre Augenlider, die gleich goldenen Halbmonden unter der Stirn leuchteten, waren durchscheinend geworden von den Tränen der Nacht.

Bianca Capece stammelte vor dem Herzog. – »Ich bitte Euch, gnädiger Herr – ist es denn wahr – daß der gnädige Herr Mino –«

»O Mino! O süßer Mino!« johlte es.

Die Geängstigte sprach fort: »Seht, gnädigster Herr Herzog, was ich gebracht habe, damit Herr Mino nicht –« Aber im Lachen und Rufen versanken ihre Worte. – »Diese Kette hier – und der Ring –«

»Den Ring ihres Mannes!« – Nastagias Stimme klang wie Geierschrei. – »Die Liederliche!«

Bianca zog Stück nach Stück aus einem Korbe, gab alles schüchtern dem Herzog in die Hand. – »Und dann noch dieses Armband mit den Steinen!«

»Wo ist denn der Capece?« kreischte die Nastagia, trunken von der Wollust ihrer Bosheit.

»Es ist noch von meiner Großmutter –«

»Von ihrer Großmutter!«

Bianca schluckte Tränen. – »Aber es wird nicht reichen? Wieviel das wohl sein mag, zehntausend Goldgulden?«

Der Herzog nahm, was sie gebracht hatte, aus ihren Händen, er mußte sie halten, denn sie taumelte. – »Ihr seid eine gute Frau! Ich danke Euch, daß Ihr meinem Freunde helft!«

Über alles Lachen schwirrte aus dem Munde der Nastagia ein Pfeil, der in Gift eingetaucht war – »Ihrem Freunde!«

Der Pfeil durchsauste die Luft, traf Ginevra oben. Zitternd schlug sie den Mantel vors Gesicht.

Der Herzog sprach zu Bianca: »Mino soll auch von Euerem Geschenk wissen! Er wird zu Euch kommen und Euch danken!«

Neuer Jubel schoß auf. Und Bianca stammelte: »O gnädiger Herr, warum verspottet Ihr eine arme Frau? Ihr glaubt gewiß auch, was die schlechten Menschen –« Ihre Worte wurden von Tränen ertränkt.

»Beruhigt Euch doch! Ich kenne Euch ja gar nicht!«

»Ich bin die Frau des Bäckers Capece –«

»Und die Wärmflasche von Messer Minos Bett!«

Der neue Pfeil Nastagias traf Ginevra ins Herz. Sie tastete mit ihren Sohlen die Treppe hinab zum Bruder. – »Nimm das nicht!« bat sie. – »Nichts Gutes kann daraus entstehen!«

Wiederum stand Gaspara am Fenster oben, von Neugierde besiegt. Hinter ihr erschien der Visconti. – »Ei seht doch!« rief die Herzogin. – »Unsere Schwester will nicht, daß die Bäckersfrau Herrn Mino auslöse!«

»Ich bitte dich, gib das zurück!« stammelte unten Ginevra.

»Hör doch nicht auf das Geschwätz!« – Provenzan legte Biancas Geschmeide, das er noch zwischen den Händen hielt, in die Vase hinein. Er sah Ginevra an. – »Was willst du? Freu dich der reichen Gaben!«

Sie schrak zusammen, wie überwiesen arger Schuld, schleppte sich aufwärts zur Türe.

»Seltsame Sitten hat der Herzog von Siena!« – Der Visconti fühlte den nahen Sieg, ließ seine Maske fallen.

Die Herzogin bebte – war das ihr Gatte, der bettelnd vor dem Hause stand? Und sie war ihm angeschmiedet, mußte diese Schmach mit ihm tragen! – »Provenzan!« rief sie flehend hinab. – »Bedenke, wer du bist! Denk auch an mich! Du kannst mir das nicht tun! Dir und mir!«

Aber er wies sie fort. – »Du sollst hier nicht stehen, Gaspara!«

»Habe Mitleid mit mir, mit deinem Weibe, das dich liebt!«

Dumpf antwortete er: »Ich halte Minos Leben zwischen meinen Fingern!«

»Sieh mich an!« rief sie in Verzweiflung. – »Komm zu dir!« – Nein – sie wollte sich nicht dem andern lassen, der die Hände nach ihr streckte! Vom reichen Hofe Mantuas war sie nach Siena gekommen, sie hatte Provenzan geliebt, sie war stolz gewesen mit ihm – und nun warf er sich in den Staub, riß sie hinab mit sich! – Aus Tiefen der Seele klagte es: »Hilf mir, Provenzan! Stütze mich!«

Er fühlte ihre Angst, und er vermochte doch nicht von dem Platze zu weichen, den er sich erwählt hatte. – »Sieh nicht her, Gaspara! Geh in dein Gemach!«

»Vergiß nicht, wer ich bin! Wer mein Vater ist!«

Von hinten zischte ihr der Visconti ins Ohr: »Er ist taub Eueren Bitten! Er liebt Euch nicht mehr – nur jenen liebt er noch!«

Von unten sprach Provenzan, flehend fast: »Eine Stunde nur! Daß Mino nicht sterbe!«

Gaspara trat zurück, ihr flossen Tränen.

Die Bäckersfrau war hinabgestiegen, und schon wurde sie vom Capece gefaßt, den einer geholt hatte, fortgezogen, geschlagen. Spott flügelte durch die Luft, bespritzte ihn von überall. Sie hatte ihn bestohlen, um ihren Liebsten freizukaufen! Um ihn wieder herzen zu können! Der Bäcker schlug auf sie ein. – »Vor allen Leuten beschämst du mich, du Hurenaas! Hab ich darum dich ohne einen Batzen zur Frau genommen, daß du mir Schande ins Haus bringst und mit großen Herren Buhlschaft treibst!« – Und dann beklagte er sein eigenes Los, daß er nicht mehr wüßte, ob die Kinder, die sie geboren, sein wären, und daß er leer gefressen würde von der eigenen Frau, die nur um ihren Liebsten besorgt war! Sein Leben lang würde er ein Spott den Mitbürgern sein! Fluchend trieb er Bianca zu den Lauben hinab.

Ein Diener des Herrn Giulio da Sessa trat zu Provenzan und meldete, daß sein Herr durch ein dringendes Geschäft gezwungen war, plötzlich fortzureisen aus Siena. Er bat, daß ihm und seiner Gemahlin Urlaub gegeben werde.

Provenzan nickte ohne ein Wort. Anderes hatte er nicht erwartet von dem reichen Giulio, der ihm gestern einen Ring und ein Gehenk geboten hatte für Minos Lösung.

Der alte Carolino de' Tolomei fühlte, daß Großes im Werke war. Er erklomm die Turmstiege, öffnete die Truhen, wählte lange Schwerter aus, Spieße und Nagelkeulen, hob Harnische von den Wandhaken, und er rief Knechte, daß sie alles hinabtrügen in den Saal. Seinen fünf Söhnen teilte er Waffen aus und ließ alle Männer holen, die dem mächtigen Hause eigenhold waren. – »Der Salvani stürzt! Harret, den Panzer um die Brust gelegt und das blanke Schwert in euren Händen!« – So redete er zu den Seinigen; er war größer und jünger geworden.

Einer hatte dem Herzog ein Goldstück in die Hand gegeben und dazu gesprochen: »Dies hat mir Herr Mino am Fronleichnamsmorgen geschenkt, als er an meiner Werkstatt vorüberritt und mein Töchterchen vor seinem Rosse erschrak. Jetzt opfere ich es für sein Heil!«

»Ich danke dir!« erwiderte Provenzan.

Abseits standen die Gesellen des Galgano, die gestern mit den Dienern in einen Streit geraten waren wegen einer Hausmagd. – »Die Diener im Schloß führen unverschämte Reden mit uns,« sprach der eine, »und ihr Herr bettelt uns an. Jetzt gebe ich ihm was, und wenn so einer wieder frech wird, soll er von mir zu hören bekommen, daß ich seinem Herrn einen Batzen geschenkt habe!«

»Ich will das selbe tun!« meinte der andere. »Davon kann ich bis an mein Lebensende erzählen, und das ist einen Batzen wert!« Er trat hin. »Da! Ich verlange es nicht zurück!«

»Ich ebensowenig!« sagte der andere.

Der Visconti war in die Türe oben getreten, Gaspara stand hinter ihm. – »Seht, Madonna! Die beiden ungewaschenen Kerle schenken dem Herzog von Siena einen Silberbatzen!«

Schluchzend kehrte sie sich. – »Die Schande! O die Schande! Ich bitte Euch, seht nicht hin, Messer Andrea! Ich werde daran sterben!«

Ein Mädchen wies auf Provenzan und sprach zur Freundin: »Welch schöner Mann der Herzog ist! So gut habe ich ihn noch nie sehen können! Aber ich will ihm auch was schenken!« – Sie trat hin und reichte ihm ein Stück. – »Selbstverdientes Geld!«

»Wie hast du dirs verdient?« rief laut der Visconti.

Errötend stotterte sie: »Oh, gnädiger Herr – ehrlich!«

»Wenn du dirs ehrlich auf dem Rücken verdient hast, wird es Herrn Mino doppelt lieb sein! Denn ich höre, daß er diesem Gewerbe gern seinen Schutz leiht!«

Die Tränen der Herzogin waren versiegt, sie lachte: »Ihr versteht es, eine schlechte Sache gutzumachen, Messer Andrea!« – Ginevra schluchzte auf.

Das Mädchen unten wand sich in Scham. – »Oh, was Ihr von mir glaubt, gnädiger Herr!« – Sie tauchte unter im Fluten der Menge.

Zornrot hob Provenzan das Gesicht auf und rief mit Feindschaft: »Ich weiß nicht, Herzog, weshalb Ihr Euch in meine Geschäfte einmengt! Ich habe nichts von Euch verlangt!«

»Sind das jetzt Eure Geschäfte?«

»Kümmerts Euch?«

»Gestern seid Ihr höflicher gewesen! Aber der Verkehr mit Eueren neuen Freunden –«

Wild bäumte sich Provenzan. – »Waget kein Wort mehr!«

»Wie ich mich schämen muß!« klagte Gaspara. – »Ich bitte Euch, kommt fort!«

Aber der Visconti hörte sie nicht. Drohend rief er hinab: »Salvani!«

»Visconti!«

Ginevra stand neben dem Bruder, legte ihre Hände seinen Schultern auf, sprach flehend: »Schweige und dulde! Eine Stunde nur noch bis Mittag! Wir haben schon viel beisammen.«

»Schamlose du!« schrie in Wut Gaspara oben. – »So bettelt sie für den jungen Herrn! Aber ich will nicht mehr ihre Schwester sein!«

»Schweig!« herrschte Provenzan. Und Ginevra bat mit erlöschender Stimme: »Willst du es uns noch schwerer machen?«

»Du solltest dich verkriechen, wo dich kein Auge findet, Ginevra!«

»Jetzt ist nicht Zeit, sich zu verkriechen!« kam entschlossen die Antwort.

Der Visconti ließ seinen Hohn flammen. – »Die Kunde, daß dieses Geschlecht von Bettlern herkommt, scheint nicht zu trügen! Zum zweitenmal stürbe Euer Vater, Monna Gaspara, könnte er dies sehen!«

Es flackerte über ihr Gesicht. – »Du Ehrvergessener!« schrie sie zum Gatten hinab.

Der Visconti frohlockte. Er wandte sich ins Haus ein, rief einem Diener: »He, Bursche!« – Zu Gaspara: »Wir wollen freigebig sein gegen Eueren Herrn!« – Der Diener kam. – »Nimm zweihundert Goldstücke und bring sie dem Manne dort unten!« – Und dann zur Herzogin: »Könnte er uns nicht schuldig zeihen, daß wir sein Gut verpraßt haben, und daß er jetzt unseretwegen betteln muß?«

Provenzan erbebte. Aber jäh wurde sein Gesicht hinaufgerissen, zum Turm des Hauses hinauf, und die Gesichter der Menschen wurden gefaßt und umgebogen mit seinem. Da stand in der Öffnung der grauen Steinmauer, wo auf eisernem Gestell die schwere Schleuder geschient war, dort stand hoch und schmal im schwarzen Gewand eine Frau mit halberloschenen Augen in dem groß gemeißelten Antlitz. Es war Valentina, die alte Mutter des Herzogs, die nicht mehr zur Messe ging und nicht mehr mit Menschen redete. Als jetzt ihre Worte hinabfielen auf die Köpfe, da war es wie Aufschlagen der Steinkugeln aus der Schleuder, an der sie lehnte.

»Wer ist der Mann, der vor dem Hause des großen Herzogs Provenzan Groschen sammelt?«

Gaspara nahm ihren Haß in die Hände, schleuderte ihn hoch auf zum Turm. – »Er selbst ist es, Euer großer Sohn!«

»Du irrst, Tochter!« – Schwer schlugen die Worte auf, als träfen sie metallene Schilde. – »Ich habe nur einen Sohn, und der ist Herzog in Siena!«

»Zum Bettler ist der Herzog geworden!«

»Ist der Herzog tot?« kam es dumpf von oben. – »Dann habe ich keinen Sohn mehr.«

»Geht doch hinab, Mutter!« bat Provenzan. – »Mino, den Ihr auf Eueren Knien gewiegt habt, muß sterben, wenn ich nicht Lösung sende! Und ich bin arm.«

Ihre Augen weilten in Fernen, sie wurde des Sohnes nicht gewahr. – »Was spricht der Bettler vor des Herzogs Tür?«

Ginevra stand hoch erhoben, rief der Mutter zu über die Menschen: »Er sagt, daß er dem Freund Treue zu halten weiß!«

Aber greller als sie Gaspara: »Er sagt, daß er einmal ein Großer gewesen ist und nun alle Größe vergessen hat!«

Provenzan hielt den Topf umklammert, so hart, daß der blaue Schmelz blätterte. – »Was wollt Ihr lieber – daß Mino stirbt oder daß ich die Bürger von Siena bitte, sein Leben zurückzukaufen?«

Sie schien seine Worte nicht zu verstehen. – »Was spricht der Bettelmann?«

Gasparas Stimme war zerrissen von allem Schmerz und aller Verwirrung der Stunde. – »Er sagt, daß er sich und sein Weib schänden will, um Mino zu retten! Und er sagt, daß ihm ein Fremder mehr gilt als sein Weib und als seine Ehre!«

Aber Ginevra flehte: »Hört nicht auf sie, Mutter! Größer als alle Herren Italiens ist mein Bruder, weil er den Größten von ihnen besiegt hat, Provenzan Salvani, der sich noch keinem gebeugt!«

Da war es, als könnte die Greisin oben wieder Menschen sehen und nicht nur die ziehenden Nebel der Ferne. Sie sandte die Augen tief und sprach hart zur Tochter: »Wohl dir, Ginevra, daß du noch einen Bruder hast! Ich habe keinen Sohn mehr!« – Sie verschwand.

»Und ich muß einen Bettler Gemahl heißen!« – Die Stimme Gasparas brach in zackige Stücke.

Der Visconti schürte noch ihren Grimm. – »Ein übler Gatte für Alessandro Gonzagas Kind ist ein Batzensammler!« – Der Bursche, den er ausgesandt hatte, trat zum Salvani, reichte eine Schüssel mit Goldstücken hin. – »Vom Herzog Andrea Visconti!«

»Hab ich ihn gebeten?« brach es aus dem gequälten Mann. – »Nimm das und sag deinem Herrn, daß ich nichts von ihm brauche!«

Aber Ginevra flehte: »Du brauchst es, Bruder!«

Seine Hände sanken vom Topf ab, er stand ohne Kraft, und er fühlte, wie das Unglück seinen Schlangenarm nach ihm ringelte, da er vom schleichenden Visconti eine Gabe hinnehmen sollte.

Für Mino! – Hatte Ginevra in ihrer Angst gerufen oder klang es durch seine Seele so?

»Komm her, Mensch!« zögerte Provenzan. Und der Diener, der schon einen Schritt fort getan hatte, kam wieder und gab dem Herzog seine Schüssel, die abrann in unersättliche Leere. – »Ich danke – dem Herzog Andrea!«

Der aber lachte von oben: »Habt Ihr schon bald genug in Euerem Topf?«

Mit bösen Worten schlug die Herzogin auf Ginevra. – »Du Anstifterin aller Schmach! Mehr als einem Mädchen ziemt, sorgst du um Mino!«

»Du solltest Frieden säen, Schwester!«

»Und du tätest recht, in der finstersten Ecke zu kauern! Wie eine Nonne senkst du den Blick und bist doch gierig nach Minos Küssen!«

So voll bitteren Schmerzes war Ginevras Schrei, daß alle Menschen stumm wurden und auch dem Visconti der Spott erlahmte.

»Bezähme dich, Gaspara!« – Doch dem Salvani war die Kraft gebrochen, es klang wie eine Bitte nach oben.

Vor ihm stand jetzt einer. Giacomo war es, der Diener seines Hauses, den er gestern ausgejagt hatte. Der hielt einen kupfernen Heller. – »Eure gnädige Mutter sendet Euch dies!«

Aber er ertrug den Blick nicht, der ihn traf, er warf seine Münze hin, daß sie über die Stufen rollte, und floh.

Oben stand der Visconti, ein siegender Fürst. Die Stunde war nah, da alles sein werden mußte, die Frau, die er früh geliebt, und die Herrschaft in Siena, nach der er gierte. Seine Söldner lagen vor San Gemignano – den Tolomei, mit dem er gehandelt hatte, wollte er nicht mehr kennen. Alles mir! Alles mir! – so zuckte es ihm durch den Sinn. Aber er sprach heuchlerisch: »O Madonna, mein Herz weint ob Eurer Traurigkeit!«

»Kein anderer hätte mir solches getan!« schluchzte Gaspara.

Er rührte ihren Arm an. – »Verlasset diesen Ort der Schmach, Gaspara! Kommt mit mir!«

Provenzan faßte seine Kraft zusammen. – »Nicht mehr, Gaspara! Geh fort, ins Haus!«

»Bettler du!« heulte sie auf. – »Hast du nicht gestern meine Perlen begehrt?« – Und sie riß sich das Band vom Halse und warf es hinab in den nimmer zu füllenden Schlund – »Kauf dir Mino!«

So wie ein Sturmstoß niederfährt auf den See und eine Höhle ins Wasser wühlt, Wände heben sich hoch und brechen gleich wieder splitternd nach allen Seiten im Schwall, und zerspellen die Fläche in Scherben: so schoß es auf, vom Halsband getroffen, und es brandete wild, und die Wogen des Volkes flossen über und kochten gegeneinander.

Schiffbrüchig klagte im Schäumen die Stimme des Goldschmiedes Neri um sein Gut.

Das Wort Provenzans teilte die vergischtenden Wässer: »Ich will deine Perlen nicht!« – Aber entfesselt schrie die Tochter des blutigen Helden: »So wirf sie einem andern Bettler hin! Nicht mehr berühren mag ich, was du mir geschenkt hast!«

»Ich verbiete dir so zuchtlose Reden!«

»Du willst mir verbieten? Die Tochter Alessandro Gonzagas wirft dem Bettler vor ihrer Tür eine Gabe zu!«

»Fort!« schäumte der Salvani! »Gehorche! Fort!«

Der Visconti glaubte die Zeit gekommen. – »Noch mehr soll er erniedrigt werden, Monna Gaspara! Und dann seid Ihr mein!«

»Entehrt! Beschimpft!«

Ginevra stand beim Bruder und wies den steigenden Tag. – »Mittag ist nahe – wird Mino leben?«

Er warf einen Blick in den Abgrund des Topfes, der so viel Kraft verschlungen hatte, so viel Größe und so viel Stolz. – »Umsonst alle Schmach!«

Der Visconti triumphierte. – »Nun gewinne ich Euch, Gaspara! Knieen soll er vor mir, mit aufgehobenen Händen! Und so sagt er sich los von Euch – denn Ihr seid eine Fürstin!«

Sie erschrak. – »Nein! Nein! – das will ich nicht!«

In Ginevras Herzen quoll nie gekannte Kraft. Ihre Muskeln spannten sich, und wie von hoher Erleuchtung getroffen, umschlang sie mit beiden Armen die Vase. Sie trug sie über die Stufen hinab, mitten unter die Menschen, und sie redete laut, mit einer Stimme, die niemand noch vernommen, stark und doch bebend in Tiefen. – »Eine Stunde nur ist Herrn Mino noch Frist gegeben! Ihr kennt ihn alle! Ihr liebt ihn alle! Manchem von euch hat er Gutes getan! Er darf nicht sterben! Rettet ihn! Ich bitte euch, ich flehe euch an!« – Sie stellte den Topf nieder, neigte sich und schloß um ihn die gefalteten Hände.

»Ginevra!« entsetzte sich der Herzog.

»Ginevra! Wach auf!« schrie Gaspara von oben.

Sie aber wandte sich nicht zurück, wo Bruder und Schwester riefen, wo das Haus des Vaters stand, zum Opfer hatte sie sich geweiht, sie schloß alle Wege ihres Lebens zu in dieser Stunde. – »Wendet euch von mir! Ich kenne euch nicht!« – Sie hob sich auf und tat einen Schritt und sprach zu denen, die sie umdrängten: »Ist eines Menschen Leben nicht werter als Gold?« – Vor ihr stand der Zaffi, sie faßte seinen Arm. – »Gib! Gib! was du geben kannst!«

Er drehte sich, hätte gern ihren Griff abgetan. – »Ich habe schon viel gegeben, der gnädige Herzog ist mein Zeuge.«

»Gib noch!« – Aus einer anderen Welt schien sie zu sprechen, ihre Augen leuchteten wie die Augen der Madonna überm Altar. – »Gib, was du besitzest! Mein Gebet wird dir den Lohn des Himmels bringen!«

»Eine Heilige!« raunte es.

Der Zaffi holte seinen Lederbeutel hervor, kehrte ihn um in die Vase. Ungezählt rann Silber und Gold.

Ginevra preßte seine Hand: »Freund! Mein Freund!« – Und sie stand vor dem Cipolla, rührte ihn an. – »Dich habe ich oft in unserem Hause gesehen! Du bist der Waffenschmied, hast Helm und Krebs meinem Bruder gefertigt. Du kennst Herrn Mino!«

»Ich kenne ihn,« sprach Cipolla, »und ich weiß, wie er ist.« – Aber ihm war der böse Mut vergangen.

»Oh, er ist edel, der edelste aller Menschen!« – Und da Cipolla erwidern wollte, umklammerte sie stark seinen Arm. – »Hilf! Gib! Noch im Alter freust du dich der guten Tat!«

Er war verwandelt, den der Herzog und sein Feldherr geschlagen hatten. Er gab seine Goldgulden hin und einen kleinen Barren puren Goldes, den er aus Hirschleder schälte und den er in feinen Ornamenten zu verschneiden und einem neuen Stahlharnisch aufzulegen gedachte. Alles gab er, gab es unter des Visconti Augen. – »Für Euch, hohe Frau!«

»Dank! Dank! Ich vergesse niemals!« – Sie beugte sich.

Aber er stand vor ihr, wie ein sündiger Mensch vor einem Heiligtum steht. – »Ihr müßt nicht danken!«

»Ich muß danken, wenn du barmherzig bist!«

Sie rührte den langen Vivaldo am Arm. – »Du! Auch du! Gib! Gib schnell!«

»Habe selbst nicht genug mit Weib und Kind!«

»Denk nicht an morgen! Deinem Weib wirst du teurer sein, wenn du edelherzig bist! Einen rettest, der sonst schuldlos verdirbt! Du hast einen Bruder, kannst ihn lösen – wirst du fragen und zagen? Dein Bruder ist Mino – laß ihn nicht sterben!«

Vivaldo zog den Ring ab, den ihm sein Vater gelassen. – »Geld habe ich nicht! Aber diesen Ring geb ich Euch gerne! Ihr versteht es, einem das Herz warm zu machen!«

Ohne Regung, mit gebannten Augen stand Provenzan, stand Gaspara. Der Visconti wartete kalt.

Alle Scheu war von Ginevra gefallen, sie redete wie eine Verzückte unter den Menschen. – »Gott merkt sichs bis an den Tag des Gerichtes, daß du einem Bruder geholfen hast!« – Sie legte ihr Wort vor den Neri hin. – »Willst du knausern, wenn der Tod wartet? Er wartet auch auf dich! Leichter wird dir jene Stunde sein, du kannst deine gute Tat vor dich halten wie einen goldenen Schild!«

Er leerte seine Taschen, und dann, als sie schon von anderen umdrängt war, fand er noch ein Silberstück und warf es in den Topf ein.

Eng standen sie um Ginevra, Männer und Frauen. – »Ihr müßt nicht weiter reden!« – »Wir geben, was wir haben!« – »Helft Ihr nicht immer gerne? Nun ist es an uns!« – Der Strom, der sich in die Vase ergoß, schwoll an wie ein geringer Bach nach dem Gewitter, das auf Bergen gebraust hat.

Die Bianca Capece, die schon so viel gegeben hatte, war dem Mann entwischt und eilte vom Laubenweg her. – »Wo ist der Topf? Noch vier Goldstücke bringe ich!« – Die Leute traten ohne Lachen zurück, reckten neugierig die Hälse.

Sie stand vor Ginevra, hielt ihr das Gold entgegen.

Aber hoch wuchs die Fürstin, preßte sich die Vase, die schwer war vom Gold, an die Brust, als hielte sie ein geliebtes Kind. – »Fort!« herrschte sie. – »Rühr das nicht an!«

Wie eine, die auf heimlich böser Tat gefaßt wird, so schlug Bianca die Stirne nieder, wich unter die Menschen.

Hinter ihr riß das Gelächter sich von der Kette.

Ginevra erschauerte tief hinab – darf ich von dem nehmen und von jener nicht? – Wie eine Blume, die unbedacht vom Stocke des Wanderers getroffen wird, so knickte ihr Kopf. Sie ging hinter der Bianca her – und bot ihr den Bettelsack. Dazu sprach sie, aber man sah nur, wie die Lippen sich regten, und sie blickte nicht auf dabei: »Ich bitte – um deine Gabe!«

Die Bianca warf ihr Gold ein. – »Für den gnädigen Herrn Mino! Daß er bald wiederkehre!«

»Dank!« nickte Ginevra.

Die Leute hatten die Faust abgeschüttelt, die ihnen die Gurgel gepreßt; wollten die Bianca nicht durchlassen, spotteten.

Provenzan war hinabgestiegen, faßte die Schwester. – »Ginevra, ende dies! Finde zurück!«

»Noch ist nicht Zeit dazu!«

Trüb senkte er den Blick in die Vase ein. – »Es langt nimmermehr!«

Da rief laut von oben der Visconti, und sein Rufen warf jeden Ton nieder. – »Ihr da unten! Wollt ihr, daß ich euch alles schenke, was ihr noch braucht?«

Als wäre ein Stein ihm auf den Kopf gefallen, so schwankte Provenzan.

Aber Ginevra antwortete für ihn: »Mein Bruder bittet Euch darum, Herr!«

Und der Salvani: »Wenn Ihr mir es leihen wollt, würde ich es erstatten mit hohem Zins!«

Der lachte roh. – »Andrea Visconti ist kein Wucherer und kein Jude! Doch hat er gestern an Euerem Tische gesessen, und wenig Ehre brächte es ihm, eines Bettlers Gast zu sein! Er will auch nicht länger zusehen, wie ein Mann um Almosen geht, der einst ein großer Herzog gewesen!«

»Messer Andrea, haltet ein!« flehte Gaspara.

»Wieviel braucht Ihr? Fünftausend Goldstücke? Ich schenke sie Euch!« – Er rief dem Diener, der hinter ihm stand, so laut rief er, daß jedermanns Ohr voll wurde damit, auf dem weiten Platz und in den Häusern, an denen die Köpfe wuchsen. – »Geh zum Landucci, der im Vorraum wartet! Er soll sogleich fünftausend Goldgulden hersenden!«

Die Tiefen erbebten, aufgischtete die Woge, brach sich am Rande der Stufen, sank nieder. – »Seht, welch ein Fürst!« schrie laut der Cipolla. – »Das ist Andrea Visconti, der weitberühmte Herzog von Mailand!«

Ginevra stand neben Provenzan, zwischen ihnen die Vase. – »Mein Bruder und ich danken, Herzog!« sprach sie aus aschfarbenem Munde.

Das Gesicht des Visconti funkelte rot über dem weißatlassenen Wamse. – »Wer schenkt, will gebeten sein!« rief er hinab. – »Ich habe Euere Bitte noch nicht vernommen.«

»Mein Bruder bittet Euch!« sprach Ginevra demütig geneigten Hauptes.

»Kommt denn herauf mit Euerem Bettelsack!«

Salvani faßte ans Schwert. – »Erfreche dich nicht!«

Aber Ginevra löste dem Erlahmenden die Finger vom Griff, zog ihm das Schwert aus der Scheide.

»Ihr werdet nicht wollen, daß ich den Herzog von Siena beschenke!« höhnte der Visconti von oben. – »Das tu ich nicht – aber Bettlern bin ich gnädig!«

Auch für Gaspara war es zu schmerzhaft geworden. – »Wie lange noch wollt Ihr mich rot machen vor Scham, Messer Andrea? Er ist mein Gatte, vergesset das nicht!«

Aber der Visconti hörte sie nicht mehr, er schlürfte wie berauschenden Wein, daß er so vor dem Volke Sienas den Salvani demütigen durfte, daß alle sahen, wie mächtig er war. – »Hier liegt das Gold! Ihr könnt es Euch jetzt holen!« – Und er schlug auf den Sack, den zwei seiner Diener hergebracht hatten.

Ginevra fühlte, daß ihr Bruder es nicht mehr ertrug, daß ein ganzes Leben des Stolzes niederbrach in dieser Stunde. Sie hielt seine Hand, flehte auf zu ihm: »Dies ist das Schwerste, was dir bestimmt ist – doch auch das Letzte! Nun finde Kraft in deiner Seele!«

Er stand mit geschlossenen Augen, schlaff. – »Laß mich! Ich kann nicht mehr.«

Von ihr glitt ab, was sie gewesen war seit Kindheitstagen, um ihr Antlitz strahlte es wie der Schein um das Bildnis der allerhöchsten Frau, die Siena schirmt. – »O Provenzan! Sieh, ich liebe Mino! Seit meiner Kindheit liebe ich ihn!« – Sie sank in beide Kniee, und sie kniete wie Heilige, denen überirdische Gesichte nahekommen. – »Schenk mir sein Leben! Wie müßte Mino im Grame sterben, wenn ihm kund wird, du habest ihn nicht gelöst.«

Der Herzog stand vor ihr wie eine Säule.

»Ihr da unten! Ich bin nicht gewohnt, auf Bettler zu warten! Holt euch mein Gold und fürchtet nicht, daß ich es wiederfordere!«

»Höre den Übermütigen nicht!« flehte Ginevra. – »Denk nur an Mino!«

Provenzan Salvani hob die Schwester vom Boden und stieg langsam, das Gefäß unterm linken Arm, die Stufen hinauf vor aller Augen, bis zum Visconti.

Der neigte sich über den Topf und lachte. – »Die Bürger von Siena haben mehr Kupfer als Silber und mehr Silber als Gold, wenn ihr Herzog vor ihnen bettelt!«

Am unteren Ende des Platzes schwankte die Menge, gab schön geschmückten Reitern Raum. – »Wir suchen den großen Herzog von Siena!« – Sie ritten an die Treppe heran, stiegen ab.

»Kommt näher, ihr Herren! Ihr seid am rechten Ort.« – Der Visconti hob ihnen den Arm entgegen.

Sie beugten sich vor ihm und vor Gaspara, ihr Führer begann: »Ruhmreicher Fürst! Unser Herr Antonio Gonzaga, der Bruder Eurer hohen Gemahlin, sendet uns her, Eure Hilfe zu erbitten, denn schon nahen sich die Truppen König Karls den Toren von Mantua.«

In der Brust Provenzans fraß Gift. Aber er zähmte sich vor den Fremden. – »Mit wem redet Ihr?« fragte er den Mantuaner.

Der wandte sich rückwärts, wußte nicht, was es sollte, sprach fort zum Visconti: »Weit berühmt ist die Kunst, mit der Ihr Kriege zu führen versteht. Euer Schwager bittet Euch, daß Ihr ihm und der Stadt beistehet gegen den Feind aller, denn sein Heer ist zu schwach, den Kampf allein zu wagen. Helft, sonst muß unsere Stadt, sonst müssen Euere Vettern dem gierigen Räuber erliegen ...«

Provenzan sprach, und der Gesandte mußte sich abermals wenden: »Wir wollen Euch später Antwort sagen, tretet inzwischen ins Haus ein!«

Der Fremde sah zögernd auf ihn, sah zurück auf den Visconti. Er kannte sie beide nicht, wußte nicht, wie er es deuten sollte. – »Herr?« fragte er zum Visconti auf. »Ist dieser ...?«

»Der Mann hat recht! Wir wollen Euch später sehen! Einstweilen ruhet im Haus!«

Die Mantuaner stiegen hinab, beim Salvani vorbei, der seinen Topf hielt, faßten ihre Pferde beim Zaum, und der alte Calcagna, der herbeigekommen war, wies ihnen den Weg.

Provenzan fragte hart den andern: »Was sollte das? Wie deute ich mir Eure Kühnheiten?«

»Habt Ihr jetzt nicht einen Freund in mir erkannt? Den Anblick Eurer Schmach wollte ich fremden Männern verbergen, damit nicht unerwünschte Kunde nach Mantua fliege – und in die Welt! – Doch nun Euer Geschäft!«

Schwer stellte Provenzan die Vase vor ihn.

»Bittet!«

»Ist es denn noch nicht genug, Messer Andrea?« bebte Gaspara in Angst.

Mit bösem Blick herrschte der Salvani sie an. – »Geh! Gehorche endlich!«

Aber den Visconti hielt es nicht mehr vor schäumendem Übermut. – »Bleibt, Gaspara! Und seht jetzt diesen Mann, der noch gestern Herzog von Siena und Euer Gemahl geheißen hat, vor mir knieen!«

Provenzan tat einen Sprung, seine Faust wuchtete, der Gewandte bog sich, wurde an der Schulter getroffen. Sie dröhnten aneinander wie zwei Stiere, faßten sich, hielten sich fest, rangen. Zäh, hoch, sehnig der Salvani, stark, jung, geschmeidig der Visconti. Schreiend floh Gaspara ins Haus; mit weit offenen Augen, die von dunkeln Schleiern überhängt waren, stand ohne Regung Ginevra. Sie würgten Mino zu Tode ...

Oben im Turm lehnte die alte Valentina; ihre Augen waren weiß und wie ohne Stern, man hätte nicht sagen können, ob sie die Menschen sah oder eine nebelnde Ferne.

Roter Taumel fegte über den Platz. Wie von Geißelhieben gepeitscht, schnellten die Menschen hoch, schlugen schreiend um sich, wußten nicht mehr, wohin es sie zwang.

Reinbold von Gempenbach, der Hauptmann der deutschen Lanzknechte, kam mit einigen herbeigelaufen, trat schützend neben seinen Herrn. Er sah, wie der Visconti nach dem verborgenen Dolch tastete, umklammerte seinen Arm, der trat ihm mit dem Fuß ins Knie, seine Mütze aus Goldgespinst fiel in den Betteltopf. Sie rissen die Ringenden voneinander. Keuchenden Atems und mit einem Blick des Mordes auf Provenzan, wurde der Visconti von den Lanzknechten ins Haus gedrängt.

Und der Salvani, dem das Hemd aus dem zerrissenen Wamse quoll, nahm, von untragbarem Ekel im Halse gewürgt, die Vase auf, schwang sie hoch über seinen Kopf und schleuderte mit Wucht, daß sie zwischen Kreischenden niederbrach und in Scherben splitterte. Was darin gehäuft lag, ergoß sich in einem blendenden Schwall über die Steine.

»Hinab! Zum Gesindel!«


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