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12.

Mino war aus dem Hause des Herzogs gegangen. Er verstand nichts von allem, was sich begeben hatte – war er nicht mehr Provenzans und seiner Schwester Freund?

Er traf mit seinem Hauptmann Timoteo Lotteringhi zusammen, der erst jüngst an seiner Seite vor Orvieto gekämpft hatte. – »Timoteo! Daß ich dich sehe!« – Er hielt ihm die Hand entgegen.

Der stand säulengleich ohne Regung.

»Nun? Kennst du mich nicht?«

»Herr Mino – Ihr lebt?«

Mino mußte lachen über das fassungslose Gesicht seines Hauptmanns. – »Ists dir nicht genehm, daß ich lebe?«

Noch immer starrte Timoteo auf ihn ohne ein Wort.

»Du hast erwartet, meinen Leichnam zu sehen!«

»Ja, Herr!« erwiderte Timoteo.

»Und wäre dirs lieber gewesen?«

Timoteo sah ihn fest an, und dann ließ er vernehmen: »Ja, Herr!«

Mino schrak zurück vor diesem Worte – hatte nicht auch Provenzan seinen Tod gewünscht? – »Wie soll ich dies fassen?« fragte er unsicher. – »Wir sind Freunde gewesen, haben manche Kriegsnot geteilt.«

Und er hat mich in einem Sack aus San Sepolcro getragen, dachte Timoteo. Er sprach: »Darum schmerzt es mich, vor Euch, der Ihr immer gütig gewesen seid, zu stehen und Euch sagen zu müssen, daß ich nicht mehr Hauptmann des Herzogs Provenzan bin!« – Und er setzte leise hinzu: »Ich habe mich von ihm gelöst, da ich Euch tot wähnte.«

Mino sah ihn an. Und plötzlich lachte er. – »Allzulang ist dir Provenzan den Sold schuldig geblieben?«

Die Stirn des Hauptmanns färbte sich dunkel, seine Augen wurden groß und schwarz. – »Auch jetzt noch mögt Ihr glauben, daß ich nicht fortlaufe wie fremde Söldner, wenn des Herzogs Beutel leer ist!«

»Provenzan hat dich gekränkt?«

»Sich selbst – und mich mit ihm!«

»Rede so, daß ich dich verstehen kann!«

»Der Herzog hat vor seinem Hause gestanden, hat jeden um eine Gabe angefleht, der vorbeigekommen ist.«

»Mich auszulösen von dem habgierigen König! So ist sein großes Herz! So ist seine Freundschaft!«

»Sagt mir, Herr Mino – hättet Ihr gebettelt, für Euch?«

Mino zögerte einen Augenblick. – »Ich glaube – nicht. Aber – für einen Freund – ich hätte es getan!«

»Und ich sage Euch, daß Ihr es nicht getan hättet!« – Timoteo sprach es wie einen Befehl aus.

Die beiden Männer standen vor einander Auge in Auge. Dann fragte Mino: »Und weil Provenzan mich hat erretten wollen – darum gehst du von ihm – und von mir?«

»Nicht so sollt Ihr es nehmen, Herr! Auch ich hätte mich eingesetzt, Euch zu retten!«

»Nun denn!«

»Sechs meiner Reiter hätte ich genommen und hätte jedem zu seinem Spieß noch Schwert und Keule gegeben und hätte sie durch die Straßen geführt und Tür nach Tür aufgebrochen, bis ich gefunden hätte, was not ist.«

»Hättest du das getan?«

»Seid gewiß!«

»Provenzan hat gebeten!«

»Gebettelt! Schmach hat er über Siena gebracht!«

»So gehst du denn von uns?«

Timoteo nickte. – »Um Euretwillen schmerzt es mich!«

»Wäre ich tot – es schmerzte dich nicht so sehr?«

Timoteo senkte den Blick ohne Antwort.

Schwer zog Mino den Atem ein. Hatte er Unheil über Siena und seinen Herzog gebracht – Unheil, das immer weiter schwärte? War dem Opfermut des Freundes Böses entkeimt? – »Was wirst du beginnen?« fragte er den Timoteo.

»Ich habe mich dem Herzog Andrea Visconti verdingt.« – Offenen Auges blickte er seinem Feldherrn ins Gesicht.

Mino erschrak. – »Dem Visconti? Unserem Feind?«

»Ist er Euer Feind?«

»Provenzans Feind, Sienas Feind!«

»Ich weiß es nicht!«

»Ich kann dich nicht halten.« – Mino ging ohne Haß.

Wie er sich von ihm abwendete, das traf schwer den Treuen; denn treu war er im Herzen seinem Feldherrn – treuer seiner Ehre. Er sah Mino hinschreiten, folgte ihm langsam, als müßte er sich doch noch Vergebung erbitten.

Mino trat in die Gasse der Salicotti ein, die vom Wehrturm der Aldobrandeschi überragt wurde. Oben saß der greise Falke, spähte hinab auf die Menschen, auf ihre Torheit und auf ihre Gier. Jedoch hinter der voreckenden Mauer, dort, wo der Straßenkot zähe abwärts floß, hielt sich Cipolla mit ein paar Kerlen verborgen, denn er glaubte, daß Mino zu Monna Angelica schleichen würde, und er gedachte ihn zu fangen. Groß war ja in ihm der Haß gegen Mino, er hoffte, ihm die Rechnung für seinen Harnisch auf die Haut zu kreiden, und er vermeinte sich auch beim Visconti in hohe Gunst zu setzen, wenn er ihm Mino gebunden brächte. Er sah sich als Ritter unter den Herren.

Als Mino herkam, unachtsam des Weges, spannten eilig die Leute, die Cipolla mit sich geführt hatte, der lange Vivaldo sonderlich, der eine eichene Keule trug, und der Schreiner Petrucci ein Seil über den Weg nahe am Erdboden.

Mino sah es nicht, er stürzte längelang hin. Schon knieten sie ihm auf dem Rücken und banden seine Arme fest – da kam von oben ein Armbrustbolz gesaust und traf gut den Vivaldo in seinen rechten Schenkel, daß er quer über die Straße fiel und den Weg versperrte von der Hauswand der Aldobrandeschi bis hinüber zu den Salimbeni. Der alte Ildebrando mochte das nicht ansehen, daß schlechte Kerle Herrn Mino fingen wie einen Hasen. Er legte neu auf, aber sein Geschoß traf eines der fetten Schweine und nagelte es an Vivaldos Arm.

Sie wollten Herrn Mino fortschleppen; aber da war schon der Timoteo über ihnen, der Mino gefolgt war, und schlug nach rechts und nach links, daß die Gesellen schreiend flohen und den Vivaldo im Dreck liegen ließen, eng verbunden mit der quiekenden Stadtsau, und die anderen Säue kamen auch und beschnüffelten und begrunzten das Paar.

Der alte Ildebrando neigte sich aus dem Turmloch oben. Er sah, wie Herr Timoteo mit seinem Schwert die Stricke zerschnitt und Herrn Mino auf die Beine half. Sie blickten sich an, die beiden, und reichten sich die Hände. – »Kommt herauf, Ihr Herren!« rief Ildebrando. – »Ists Euch vor meinem Hause übel ergangen, so sollt Ihr darin wohl empfangen sein!«

Und als sie zu ihm hinaufstiegen, da war schon ein Waschbecken bereit und ein weiches Gewand für Herrn Mino, der so unsanft die Straße geküßt hatte. Imbiß und Wein wurden gebracht.

Auch der alte Krieger hatte sich vom Hause der Salvani gekehrt. Mit leuchtenden Augen wiederholte er die Worte, die Valentina auf ihr entartetes Geschlecht hinabgeschleudert hatte vom Turm: »Wahret nur Stolz und Größe!«

Mino vermochte nicht zu reden. Hatte er den Freund und sein Haus verdorben? Weil arglistig der König Gold gefordert hatte von dem Armen?

Ildebrando stand auf, führte die beiden in ein schwer ummauertes Verlies, wo Goldmünzen gehäuft lagen, venedisch geprägt, römisch und mit vielen anderen Köpfen und Tieren. – »Ich weiß nicht, wie hoch dies geschätzt werden mag,« sprach er. – »Mein Großvater und mein Vater und ich selbst haben es gehäuft – nicht als Krämer und Wucherer;« mit einem Händeheben der Verachtung wies er das Haus der Salimbeni drüben, die reicher waren als er – »mit dem Schwerte in der Faust!«

»Man weiß es!« nickte Mino.

»Alles dies hätte ich gerne gegeben, einen Mann zu retten wie Euch!«

Mino fühlte, daß der Alte die Wahrheit sprach.

»Habt Ihr nicht geschenkt, zugleich mit den anderen?« fragte Timoteo.

»Den Mann, den ich als Herzog geehrt habe, kann ich nicht wie einen Bettler beschenken!«

Timoteo winkte ihm Zustimmung.

»Ich will nicht mehr in Siena leben!« setzte finster der Alte fort. – »Vierunddreißig Jahre bin ich alt gewesen, da verließ ich die Burg unseres Geschlechtes in Santa Fiora, um unter den Bürgern Sienas zu hausen.«

»Man weiß es!«

Ildebrando blickte starr vor sich hin, sank ein in Erinnerungen vergangener großer Zeit. – »Der Kaiser hat unsere Hilfe gesucht, keiner der Unsrigen hat jemals den Pfaffen gedient. Niemand weiß, wer unsere Burg gebaut hat, sie ist immer auf ihrem Felsen gestanden, kein Feind ist durch ihr Tor geschritten anders als in Ketten.«

Die beiden Männer nickten. Sie ehrten das Geschlecht dieser langobardischen Edelinge, das sich keinem Herrn je gebeugt hatte als nur dem Kaiser. Und sie wußten auch, daß Athard Aldobrandeschi noch heute an Nebeltagen im Tale der Arbia umzog, den Speer in der Hand, denn er hatte die Jagd auch am Karfreitag nicht lassen können. Vor mehr als hundert Jahren hatte es sich begeben, aber noch sahen die Hirten an manchem Oktobertag den riesigen Athardo die Nebelhirsche jagen, die er doch nimmer ereilte. Gualterio, sein Sohn, der Urgroßvater Ildebrandos, war vom Bischof von Arezzo gebannt worden, und dafür hatte ihn Gualterio vor dem Altar erstochen, während er die Messe las. Schaudernd erzählte sich das Volk von seinen Taten und den Taten des Geschlechtes, sie hatten Städte geschatzt, Menschen geschunden, Mädchen aus dem Hause des Vaters getragen wider Gott und jedes Recht. Des Federigo waren die von Arezzo mächtig geworden, und sie hatten ihn nackt durch die Straßen gepeitscht, bis er umgefallen war und von Hunden und Menschen zerrissen wurde. Wir wollen sehen, ob sein Blut blau ist! spotteten die Leute; doch es war rot gewesen wie das Blut von Schweinen und von Hunden.

»Als ich in die Stadt kam mit den Meinigen,« sprach der alte Ildebrando sinnend, »da hat noch kein Herzog über ihr gesessen. Aber dem Salvani habe ich immer Hilfe gewährt, gern habe ich ihn Herzog genannt, weil er ein tapferer, ein treuer Mann gewesen ist!«

Mino hatte nur halb auf das Reden des Alten gehört, er gedachte Provenzans und Ginevras. Das riß ihre Freundschaft blutig entzwei, daß sich der Freund erniedrigt hatte für den Freund ...

»Der Herzog ist ein anderer geworden seit heute!« sprach hart Ildebrando, und seine scharfen Augen faßten die Männer. – »Ich will zurückkehren nach Santa Fiora, dort sind wir frei gewesen, dort werden wir frei sein!«

»Und wenn der König heranzieht mit seinen Truppen?«

»Wir stehen ihm!« – Ildebrando war getürmt wie eine Burg aus grauem Stein.

Der letzte Strahl der Abendsonne machte die Zinnen auf dem Turme der Tolomei erglühen. Ildebrando blickte hinüber, wie an jedem Morgen, wie an jedem Abend. Sein Turm sank in Schatten.

Mino wußte, daß dieser Mann keinen größeren ertrug. – »Verlaßt auch Ihr Provenzan, Herr Ildebrando, wie andere jetzt, dann recken die Tolomei mächtig ihr Haupt. Sie lauern auf seinen Fall!«

Das Wort saß. Tief atmete der Alte, bläulich dünne Lider deckten seine Augen zu wie die Augen eines Raubvogels, seine scharf gebogene Nase wurde weiß – die Tolomei!

»Römern und Franzosen werden sie Siena unter die Füße legen!«

»Der Kaiser!« wehrte krächzend Ildebrando. Aber er wußte, daß die Macht des Kaisers gebrochen, daß Konradin verblutet war durch Mörderhand.

»Wo ist der Kaiser?« fragte Mino. – »Stürzt Provenzan, dann stürzt Siena mit ihm, schon breitet der Visconti die Arme auf, und hinter ihm wartet Karl.«

Bleich stand der alte Kämpfer vor ihnen. – »Ich werde ausharren! Ich und die Meinigen! Auch die deutschen Ritter sind noch in der Stadt mit dem Guempeba! Es gilt den Namen des Kaisers!«

Einen Namen! dachte Mino – aber er sprach es nicht aus.


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