Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Zweiter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Wehe dem, der es nicht weiß! für einen mit einer glühenden Einbildungskraft begabten Menschen gibt es Augenblicke im Leben, wo das Gefühl des Glücks so lebhaft wird, dass es jedes andere verschlingt; Augenblicke, wo die nach einem einzigen Gegenstand hindrängende Seele durch das sehnsüchtige Verlangen nach seinem Besitz irre geführt, der Geist nicht mehr nachdenkt, mit einem Wort, wo man Alles um sich herum vergisst. Ich selbst musste, wie man bald sehen wird, bedauern, in diese Extase verfallen zu sein.

»Großer Gott! ich höre ein Geräusch! liebste Mama, retten Sie sich.«

Wie sollte sie sich retten, wohin sich verbergen! sie befand sich ohne Licht in einem unbekannten Zimmer, mit dessen Ausgängen sie ebenfalls nicht vertraut war.

Ich wollte ihre Flucht begünstigen, und sie an der Hand nehmend, suchte ich die Thüre des Toilettenzimmers zu finden; allein ich hatte keine Zeit mehr; die andere Thüre des Boudoirs wurde zu schnell geöffnet. Von Zufall und der Liebe geleitet, fand Frau von Lignoll bald den Ort, wo sie den jungen Chevalier ahnte. Das liebende Paar war durch ihre Annäherung sehr erschreckt und wusste im ersten Augenblick nicht, was zu beginnen, um einem so unliebsamen Zusammentreffen, welches für die Marquise die schlimmsten Folgen haben konnte, auszuweichen.

»Endlich sind Sie es, mein Freund!« sagte sie, eine Hand küssend, die sie soeben ergriffen hatte; und es war nicht meine Hand, die sie küsste.

Die Marquise, auf einmal angehalten, wagte keine Bewegung mehr zu machen; und ich, der ihre Angst und ihre tödtliche Verlegenheit begriff, stürzte mich schnell zwischen sie und Madame Lignoll.

»Sie sind's, mein Freund!« wiederholte sie.

Zu einer Antwort genöthigt, war ich in meiner äußersten Verwirrung hart genug, ihr Vorwürfe zu machen, dass sie dem Augenblick des Rendezvous vorgeeilt sei.

»Sollte ich zu früh gekommen sein?« antwortete sie. »Ich habe den Baron sehr mit seiner Partie beschäftigt gesehen, ich habe meine Ungeduld nicht beimeistern können und daher den Augenblick benützt, mich davon zu machen.«

»Und Sie hatten Unrecht gehabt, Madame, diese Eile war nicht nöthig; Sie hätten warten sollen, ich habe Sie darum gebeten. Sie versprachen es mir! Mein Vater wird Ihre Abwesenheit bemerken, mein Vater wird kommen.«

Ach, ich hatte nur zu wahr gesprochen; er kam wirklich herbei.

Der Baron blieb, mit einer unglückseligen Kerze bewaffnet, auf der Thürschwelle stehen, und welche Scene beleuchtete er! Für's erste war er, der nur eine Frau bei seinem Sohn zu finden glaubte, nicht wenig erstaunt, deren zwei zu sehen, die sich freundschaftlich bei der Hand hielten. Dann zeigte Frau von Lignoll, die ebenso erbittert als beschämt und überrascht war, deutlich auf ihrem Gesichte, auf welchem sich die Kämpfe mehrerer, einander widerstreitenden Leidenschaften malten, dass sie weder die Untreue, die ich ohne Zweifel an ihr begangen, noch sich selbst die abgeschmackten Liebkosungen verzeihen könne, womit sie noch vor einem Augenblicke ihre Nebenbuhlerin überhäuft hatte; ihre Nebenbuhlerin, die ganz aufrecht an die Wand gepflanzt, kein Lebenszeichen von sich gab. Aber es lässt sich leicht denken, dass von den vier handelnden Personen bei dieser sonderbaren Scene ich nicht die am wenigsten verblüffte war, als ein verstohlener Blick auf die unglückliche Bildsäule mich erkennen ließ ... ich betrachte sie mit überraschten Blicken, ehe ich mich überzeugen konnte, dass meine Sinne mich so sehr irre geführt ... Diese Frau, in deren Armen ich die schönste der Frauen zu besitzen geglaubt hatte, war bloß eine mittelmäßige Brünette! die, in der ich soeben noch Frau von B... anbetete, war bloß ... Justine! In ihrem ganzen Hofdamenschmuck lag, ich weiß nicht welche erkünstelte Unziemlichkeit, trotz der hübschen Schuhe, des prächtigen Kleides und diesen eleganten Hutes mit wallendem Federbusch. Auch die boshafte Gräfin merkte es. Sie musterte ihre unwürdige Nebenbuhlerin von Kopf bis zu Fuß.

»Madame ist offenbar Frau von Montdesier?« sagte sie zu ihr. Justine, die sich eben wieder erholt hatte, zeigte viele Fassung und antwortete in schnippischem Tone:

»Ihnen zu dienen, Madame!«

»Madame ist vielleicht verheiratet?« fuhr die Gräfin fort.

»Oh! so gut als irgend eine Frau, Madame.«

»Was macht der Mann von Madame?«

»Ach! Alles, was er kann. Und der Ihrige, Madame?«

»Nichts,« erwiderte die Gräfin ärgerlich. »Sie sind sehr kühn, mich zu fragen! antworten Sie bloß auf die Fragen, mit denen ich sie beehren will. Ich frage Sie, was Ihr Mann macht; was sein Stand, sein Gewerbe, kurz, was er eigentlich ist?«

»Was er ist? was offenbar der Ihrige auch ist, Madame.«

Ich gestehe, dass ich hier ein neues Unrecht beging. Dieser Einfall Justinens war ohne Zweifel ergötzlich, aber ich hätte doch nicht in lautes Gelächter ausbrechen sollen, wie ich that.

Da ich doch im Zuge bin, Alles zu sagen, so will ich gestehen, dass Madame Lignoll, die ungeduldige kleine Person, mir eine Ohrfeige gab, weil ich mich so unhöflich benahm.

Man kann sich denken, dass mein Vater bei einer so ärgerlichen Scene kein ruhiger Zuschauer blieb; aber bizzar war die Art, wie er ihr ein Ende machte, wie er meinen Schimpf rächte.

Auf ein starkes Glockenzeichen sprang ein Bedienter herbei, dem der Baron befahl, Frau von Montdesier bis an die Thüre gegen die Straße zu leuchten. Dann richtete er das Wort an die Gräfin:

»Madame, ich bin vielleicht dreimal älter als Sie, ich bin Vater und Sie sind in meinem Hause. Ich sehe mich daher genöthigt, Ihnen ohne Umschweife zu sagen, was ich von Ihrem Betragen halte. Es ist so unüberlegt (und Sie müssen mir Dank wissen, dass ich noch so viel Schonung habe, keinen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen), es ist so unüberlegt, dass ich bloß in Ihrer noch sehr zarten Jugend eine Entschuldigung für Sie sehe. Wenn mein Sohn Freundinnen hat, Madame, so kann er sie nicht hier empfangen, und keine Frau, wenn sie nicht den Anstand ganz aus den Augen setzt, wird, um dem Chevalier Rendezvous zu geben, das Haus seines Vaters und das Zimmer seiner jungen Gattin wählen. Endlich, Madame, wird eine Frau von Erziehung, besonders aber eine Frau von Stand, sich wohl hüten, ihren Geliebten, und wäre er auch noch so strafbar und wäre sie allein mit ihm, so zu behandeln, wie Sie sich nicht entblödet haben, den Ihrigen vor meinen Augen zu behandeln.«

Frau von Lignoll war eine Zeit lang wie vom Donner gerührt.

Der Baron fuhr in weniger strengem Tone fort:

»So oft die Frau Gräfin als Freundin des Herrn von Belcourt und des Chevaliers von Florville, dem einen und dem andern zugleich Besuche machen will, so werden sich beide sehr geehrt fühlen; aber Sie heute länger aufhalten, Madame, dies hieße, glaube ich, die Widerwärtigkeit Ihrer Lage missbrauchen ... Mein Sohn, gehen Sie in den Salon, sagen Sie der Baronin, dass die Frau Gräfin, die sogleich nach Hause gehen will, sie bitte, sie nach Hause zurück zu begleiten, und sie in ihrem Wagen erwarte ... Madame, erlauben Sie mir, Sie die Treppe hinab zu begleiten.«

Die Gräfin, so wüthend, dass sie alle Besinnung verlor, stieß die Hand meines Vaters zurück und sagte zu ihm:

»Nein, mein Herr, ich werde allein hinabgehen! Sie schicken mich von Ihrem Hause weg,« fügte sie in dem gebieterischen Tone, den sie oft gegen ihren Gemahl annahm, hinzu; »aber gedenken Sie daran! kommen Sie einmal zu mir, dann werden Sie sehen!«

Ich hörte nicht, was der Baron auf diese Drohung antwortete, die ihn in Erstaunen setzen musste. Von dem Wunsche beseelt, die tollen Streiche, deren ich mich schuldig fühlte, wenigstens durch meinen Gehorsam wieder gut zu machen, von dem Wunsche beseelt, meinen mit Recht aufgebrachten Vater zu besänftigen, entledigte ich mich bereits seines Auftrags an die Baronin, die durch das plötzliche Aufbrechen der Gräfin überrascht, mich um die Ursache fragte. Ich erwiderte, dass Frau von Lignoll ihr das unglückliche Ereignis, das mich sobald des Glücks, sie zu sehen, beraubte, in allen seinen Details besser erzählen würde, als ich.

Frau von Fonrose nahm die Hand des Vicomte und ging hinab; ich begleitete sie bis in den Vorhof. Von da hörte ich die Gräfin statt aller Antwort ihr ohne Unterlass zuzurufen:

»Ha! der Treulose! ha! der Undankbare!«

Als mein Vater allein mit mir war, ging er aus Sophiens Zimmer zurück, wohin ich ihm folgte. Er blieb vor der Thür des Boudoirs stehen.

»Diesen Morgen,« sagte er zu mir, »durfte kein Sterblicher bis hierher dringen, und diesen Abend sind zwei Frauen da gewesen! die, welche ich nicht kenne, ist nicht weit her, glaube ich; aber die andere! diese Frau von Lignoll! sie macht mir Angst! eine Frau von diesem Alter! ein Kind! schon so unternehmend, so rückhaltlos, so kühn! Warum muss sie zu Ihrem Unglück Rang, Geist und Figur haben? mein Freund, diese Frau von Lignoll macht mir Angst! ich habe nie eine tollere, unbesonnenere, leidenschaftlichere gesehen; fürchten Sie sie und hüten Sie sich vor ihr! Sie sind selbst zu unüberlegt, zu lebhaft; sie kann Sie weit führen. Sehen Sie, wie sie seit mehreren Stunden Sie, mein Sohn, diejenige vergessen machte, deren Abwesenheit ich Sie den ganzen Morgen beweinen sah! Wie! Sophiens Unglück und ihr ungewisses Los kann Sie nicht hinlänglich beschäftigen? ist es durchaus nöthig, dass mehrere Gegenstände zugleich die Thätigkeit Ihrer Seele und die Unbeständigkeit Ihrer Sinne üben? werden Sie nie klug sein? Hat Ihnen das Unglück noch keine bleibende Lehre gegeben? und Ihre Frau, Ihre so reizende, so unglückliche Frau, wahrlich, mein Sohn, ich hätte nie geglaubt, dass diese liebliche interessante Sophie in Ihnen den flatterhaftesten aller Gatten besitzt! ahnen Sie denn nicht den Grund, warum Lowzinski, einst mein treuester Freund, seine Tochter entführt und dieselbe so sorgfältig verbirgt? Ich glaube, es ist deutlich genug angedeutet, denn warum sollte er auch sein einziges Kind nicht gerne glücklich sehen! eben weil er mit ganzer Liebe au seinem Kinde hängt, will er nicht sehen, dass es durch die zu große Treulosigkeit ihres mehr leichtsinnigen als schlechten Gatten gekränkt würde, und ihre junge Ehe durch unsägliches Leid verbittert und wahrscheinlich auch verkürzt wäre. Hat er nicht Kummer und Unglück in seinem Leben genug durchgekämpft? Faublas! gehen Sie in sich. Ich sehe ein trauriges Ende aller dieser grenzenlosen Tollheiten. Es wird ein Tag kommen, wo der Chevalier Faublas seine Gattin beweinen wird!«

Der Baron sah meine Thränen fließen und verließ mich ohne ein Wort des Trostes hinzuzufügen. Wie langsam verstrich der Rest des Abends! und als der Augenblick zum Schlafengehen gekommen war, wie schmerzlich erschien es mir, unmittelbar neben dem Zimmer mit den zwei großen Betten das Stübchen mit dem einzigen Bette bewohnen zu müssen! dennoch war es behaglich und durchaus nicht darnach beschaffen, so wie in meinem Gefängnis der Bastille den Tod herbeizurufen; sondern ich sehnte mich nach dem Schlafe, der allein mich trösten vermochte, meine Bekümmernisse, die ungeduldigen Wünsche, meine glühende Liebe in einen lieblichen Traum zu führen, wo das Bild meiner geliebten Sophie mir vorschweben würde und ich dann in ihren Armen erwachte. Gott der Lügen, Du wirst mir nur einen Traum gegeben haben; aber werde ich der erste junge Mann sein, den ein Traum getröstet haben wird? ja, wohlthätiger Gott, Du wirst mir meinen Muth wieder gegeben haben, voll von einer neuen Hoffnung werde ich mit Dir mein Lager verlassen; ich werde gehen, ich werde mich einschließen, ich werde von der ganzen Welt meine Gattin fordern; und wenn die Liebe mir günstig ist, so wirst Du mich bald in den Tempel des Hymens die Schönheit zurückführen sehen, die am besten im Stande ist, Dich daraus zu vertreiben.

Ein Brief, der mir in der Frühe gebracht wurde, gab mir einen Theil meiner Heiterkeit zurück. Man schrieb mir Folgendes:

»Niemals, Herr Chevalier, lassen Sie einer armen Frau Zeit, zur Besinnung zu kommen. Ich hätte an Ihre Manieren gewöhnt sein sollen; aber ich lasse mich jedesmal überwinden, weil ich kein Gedächtnis habe und weil ich den Kopf verliere. Indes hätten Sie sich unter allen Bedingungen erinnern sollen, dass ich immer mit meinem Auftrag anfangen muss. Gestern Abend haben Sie mich einen sehr wichtigen vergessen gemacht. Eine gewisse hohe Dame, deren unwürdige Dienerin ich war zu der Zeit, als Sie für ihren treuen Ritter galten, war ärgerlich, dass ich Sie gestern nicht sprechen konnte, wie sie mir aufgetragen hatte: bittet mich, Ihnen heute zu schreiben, dass sie eine kurze Unterhaltung mit Ihnen zu haben wünsche. Sie wird in zwei Stunden bei mir sein. Kommen Sie früher, wenn Sie vorher noch ein Frühstück mit mir allein einnehmen wollen. Ich habe das größte Verlangen darnach, denn Sie haben eine so gute Art, dass man sich nicht dagegen wehren kann.

Ganz die Ihrige

von Montdesier.«

Von Montdesier! es ist kein Zweifel mehr, Justine hat sich in den Adelsstand erhoben. Das Glück ändert die Sitten. »Ganz die Ihrige!« Das ist etwas leicht hingeworfen; es scheint mir, das liebe Kind nimmt den Ton vornehmer Freundschaft an ... Warum denn nicht? ich bin von Stande, aber sie ist hübsch. Ist die ewige Frage entschieden, ob es erlaubter sei, sich auf den Zufall, den Geburt und Reichthum zu stützen oder der Schönheit und dem Liebreiz zu huldigen?

Frau von B... will mich unter vier Augen sprechen! Götter! wenn die Liebe mir sie so zärtlich wieder schenkte ...

»Jasmin!«

»Gnädiger Herr!«

»Wird eine Antwort erwartet?«

»Ja, gnädiger Herr.«

»Sage, dass ich sogleich komme.«

Sie wird sich erst in zwei Stunden einstellen. Was liegt daran? ich werde Justine finden, ich werde mit der Kleinen schwatzen; ich bin traurig gestimmt, das wird mich zerstreuen.

»Jasmin, sage, dass ich dem Boten auf dem Fuße nachfolge.«

Wirklich war ich fast zugleich mit ihm in Palais-Royal. Was mich bei Justine in Staunen setzte, war weniger die Schönheit ihrer Wohnung, die Pracht ihrer Möbel, das sehr unverschämte Aussehen ihres kleinen Lakaien und ihrer hässlichen Kammerfrau, als der wahrhaft vornehme gütige Empfang, womit sie mich beehrte. Halb auf einer Ottomane ausgestreckt, spielte sie mit einem Kätzchen, als man ihr meinen Besuch meldete.

»Ah!« sagte sie nachlässig; »nun gut, er mag eintreten!«

Und ohne ihre Lage zu verändern, ohne die Pfoten der hübschen Katze loszulassen, begann sie:

»Sind Sie es, Chevalier? es ist sehr früh; aber dennoch werden Sie mich nicht stören; ich habe schlecht geschlafen, es ist mir nicht unangenehm, Gesellschaft zu haben.«

Sie richtete das Wort an ihre Kammerfrau:

»Werden Sie die Toilette nicht endlich in Ordnung bringen, Mamsel? wahrlich! ich weiß nicht, wozu Sie Ihre Zeit verwenden. Sie werden mit nichts fertig.«

Dann wandte sie sich an mich:

»Mein Herr, nehmen Sie doch ein Fauteuil, wir wollen plaudern.« Dann sagte sie zu der Zofe: »Es ist schon gut, Sie machen mich ungeduldig, verlassen Sie uns! wenn jemand kommt, so sage man, ich sei nicht zu Hause.«

»Gnädige Frau, Sie haben aber Ihrer Nähterin das Wort gegeben.«

»Guter Gott! wie dumm sind Sie, Mädchen! wenn ich sage jemand, spreche ich denn dann von dieser Frau? ist denn diese Nähterin jemand? Sie soll warten.«

»Gnädige Frau, und wenn sie nicht Zeit hat?«

»Ich sage Ihnen, dass sie warten soll; sie ist dazu da, und Sie, meine Liebe, um zu schweigen. Gehen Sie!«

Ich war anfangs stumm vor Überraschung; aber endlich konnte ich ein lautes Gelächter nicht zurückhalten.

»Sage mir, schönes Kind, seit wann spielst Du die Prinzessin?«

»Man darf sich,« antwortete sie, »gegen diese Leute und vor ihnen nichts vergeben. Ärgere Dich nicht über den Ton, den ich führe.«

»Wie, Justine! es beliebt Dir mich zu dutzen?«

»Da Du einmal der Frau Montdesier gefällst und sie liebst.«

»Sehr gut, meine Kleine! wahrhaftig, ich habe mir das selbst kaum vor einer halben Stunde prophezeit, als ich Deinen vertraulichen Brief las. Erlaube mir indes eine Bemerkung. Liebtest Du mich vorher nicht?«

»Vorher, pfui doch! ich liebte Dich, ja, soweit eine unglückliche Kammerfrau lieben kann.«

»Und jetzt?«

»Jetzt habe ich nicht weniger Zärtlichkeit, und diese Zärtlichkeit ist anständiger, vornehmer; denn endlich habe ich eine Einrichtung.«

»Madame, ich mache Ihnen mein Kompliment! Alles hier athmet Wohlhabenheit; erzähle mir doch, liebes Justinchen, wie Du dieses glänzende Glück gemacht hast?«

»Gerne! aber ich habe Dir zuvor noch viele interessantere Sachen zu sagen.«

Ich ließ Justine sprechen, die sich erstaunlich gut ausdrückte. Es schien mir, als hätte die Kleine seit drei Monaten sich bedeutend zu ihrem Vortheil gebildet, und wunderte mich weniger über den Missgriff, der gestern Abend meine Sinne getäuscht hatte.

Ich kann nicht genau versichern, dass nicht ein Blendwerk mit im Spiele gewesen sei; ein hübsches Negligé wirkt oft mächtiger, als man glaubt; und wer es noch nicht erfahren hat, kann sich nicht vorstellen, wie sehr die schon bekannten Reize einer jungen, in ihrer Kleidung lange Zeit allzusehr vernachlässigten Person durch einen eleganten Putz gewinnen. Ich will noch hinzufügen, was vielleicht mancher Mann nicht weiß, was aber sicherlich keiner Frau unbekannt ist, dass oftmals eine Kokette, die verschmäht oder verrathen worden, bloß einer neuen Blume in ihr Haar oder an ihren Gürtel bedurfte, um den Widerspenstigen zu unterwerfen und den Unbeständigen zurückzuführen. Die Liebe ergötzt sich an solchen Kleinigkeiten, sie ist ein Kind, das Spielwerke nöthig hat. Ich hoffe, dass mein Leser mich begreifen wird, von welcher Liebe ich spreche, wenn ich von Justine spreche.

Indes habe ich Herrn von Valbrun nicht ganz vergessen.

Es ist wahr, dass ich mir sein Andenken und mein Wort spät genug zurückrief, dass sich Frau von Montdesier darüber weder wundern noch beklagen konnte; aber daran war bloß mein Gedächtnis schuld und nicht mein Wille.

Als der Augenblick des Vertrauens und der Ruhe gekommen war, bat ich Frau von Montdesier, mir zu sagen, welche Art von Interesse der Vicomte an ihrem Schicksal nehme; sie erklärte mir ohne Bedenken Alles. Herr von Valbrun, der sich mit jedem Tage mehr in seine Maitresse verliebte, hatte Justine so glänzend ausgestattet. Er gab Justine fünfundzwanzig Louisd'ors monatlich, ohne den Mietzins, den er bezahlte, ohne die vielen Geschenke, ohne die häuslichen Ausgaben; und dies verstand Frau von Mondesier unter ihrer Einrichtung. Sobald ich wusste, dass sie im vollsten Sinne des Wortes ein unterhaltenes Mädchen war, zog ich aus meiner Tasche einige Louisd'ors, die ich sie anzunehmen nöthigte. Bei dieser Gelegenheit muss ich bemerken, dass jetzt, wo sie im Solde des Vicomte stand, und ihre Reize verkaufte, ich gegen das Zartgefühl zu fehlen geglaubt, wenn ich sie unentgeltlich für mich in Anspruch genommen hatte.

Alle unsere jungen Leute von Stand, die Grundsätze haben, bekennen sich zu dieser Lehre; auch ist es für ein hübsches Mädchen, das sich durch seine Reize den Weg zum Glück bahnen muss, weit leichter, fünfzig Bewunderer zu finden, die sie vollkommen von ihrem Verdienste überzeugen kann, als einen anständigen Mann, der zuerst auf den Gedanken käme, einen Preis dafür zu bestimmen.

Dem sei, wie ihm wolle, ich bezahlte Frau von Montdesier und wagte sie um ein Frühstück zu bitten.

Der unverschämte Lakai brachte es. Der Schlingel hatte ein hübsches Gesicht, und ich merkte sogleich, dass seine Gebieterin gegen ihn nicht den unfreundlichen und groben Ton führte, welchen sie gegen die arme Zofe anschlug.

»Frau von Montdesier, ich beobachte Sie und Sie nehmen sich nicht genug zusammen. Ich glaube nicht, dass Sie sich gegen diesen glücklichen Diener so wenig vergeben, wie Sie vorhin sagten. Justine, dieses kleine Herrchen erinnert mich an la Jennesse.«

»Ach, lieber Herr Vicomte, denken wir nicht mehr an mich, ich glaube Frau von B... zu hören.«

In der That, Frau von B... kam von der Seite, auf der ich herein getreten war. Ich sah sie auf einmal aus dem Hintergrunde des letzten Zimmers, das Frau von Montdesier bewohnte, hervortreten. Schnell warf ich mich zu ihren Füßen, die ich umfasste. Die Marquise neigte sich über mich und gab mir einen Kuss, dann, als sie sah, dass ich mich schnell erhob, um ihr denselben zu erwiedern, wich sie zwei Schritte zurück und bot mir bloß ihre Hand, aber mit einer mehr höflichen als entgegenkommenden Miene, die weit entfernt, um eine Liebkosung zu werben, eine Huldigung zu gebieten schien. Ich aber, entzückt, diese schon so lange Zeit so geliebte Hand wieder einmal in die meinigen zu drücken, ich fühlte, dass als ich ihr mehrere sehr lebhafte Küsse gab, diese Hand für bloße Achtung und Freundschaft zu hübsch sei. Justine machte ihre Verbeugung vor Frau von B...; diese empfing sie sehr huldreich.

»Kleine,« sagte sie zu ihr, »ich bin zufrieden mit dem Eifer und dem Verstand, denn Sie bei der schnellen Ausführung meiner Befehle an den Tag gelegt haben; Sie kennen mich, ich werde nicht undankbar sein. Gehen Sie, schließen Sie diese Thüre hinter sich und lassen Sie niemand hereintreten.« Sobald Justine gehorcht hatte, suchte ich Frau von B... das Übermaß meines Dankes und meiner Freude auszudrücken.

»Chevalier,« sagte die Marquise, ihre Hand zurückziehend, die ich offenbar zu stark drückte, »ich will nicht mit erheuchelter Delikatesse leugnen, was tausend Leute in Bälde erfahren und Ihnen bezeugen würden; dass sich nämlich durch meine Vermittlung die Thore der Bastille für Sie geöffnet haben. Vielleicht hat Justine Ihnen bereits gesagt, wie sehr viermonatliche Bemühungen bei Hofe meinen Kredit daselbst vermehrt haben; und ich versichere Ihnen, dass der Gedanke an Ihr Unglück, dem ich ein Ende machen musste, nicht der unwesentlichste war, der mich beseelte und bei der Verfolgung meiner ehrgeizigen Pläne aufrecht erhielt. Ich stehe jetzt auf der höchsten Stufe der Gunst, die ein glücklicher Hofmann erreichen kann; und wenn Ihre, anfangs fast täglich umsonst erflehte, aber endlich trotz tausend Hindernissen und Feinden ausgewirkte Freiheit nicht so schnell, als ich es gewünscht hätte, den ganzen Umfang meiner Macht bezeichnet hat, so kann ich mich dessen doch rühmen, dass sie der unzweideutigste Beweis derselben ist; und ich scheue mich nicht, Ihnen zu gestehen, dass ich darin meinen liebsten Erfolg sehe.

»Glauben Sie jedoch nicht, dass Ihre beste Freundin ihre Gefälligkeit gegen Sie darauf beschränke. Ich weiß, dass die Freiheit nicht das höchste Gut für Sie ist, ich weiß, dass Faublas, obschon unaufhörlich von mehreren Liebhaberinnen geliebkost, nicht glücklich leben kann, wenn er von derjenigen, die er immer vorgezogen hat, getrennt schmachtet. Ich verspreche, sie ihm zurückzugeben, ich verspreche Lowzinski's Aufenthaltsort ausfindig zu machen, und wäre es am Ende der Welt.«

»O, meine Wohlthäterin!« rief ich; »o, meine großherzige Freundin! ich bete Sie an.«

Die Marquise zog ihre Hand zurück, die ich wieder ergreifen wollte, und fuhr fort:

»Und wenn es mir gelungen sein wird, die beiden reizenden Gatten wieder zu vereinigen, dann werde ich zu ihrem gemeinschaftlichen Glücke eine kühnere Unternehmung wagen. Ich werde, wenn Faublas meine Bemühungen mit seinem Vertrauen belohnt, wenn er mir erlaubt, seiner Jugend mit meinen Rathschlägen beizustehen; dann werde ich ihn gegen die Verführungen und Verirrungen zu schützen suchen. Glauben Sie ja nicht, dass ich mich über die Schwierigkeiten dieses Unternehmens täusche.

»Nein, ich weiß wohl, dass die größten von Ihrer Seite kommen werden. Ich kenne sie, Ihre ungeduldige Lebhaftigkeit, die Ihnen selten Zeit lässt, den gefährlichen Gelegenheiten zu widerstehen; ich kenne sie. Dies, Faublas, sind die Feinde, die ich fürchte; dies erschreckt mich mehr als die zärtliche Leidenschaftlichkeit Ihrer tollköpfigen Gräfin, mehr als die schlauen Einflüsterungen der Baronin, ihrer sehr intriganten Freundin.«

Ich unterbrach Frau von B... »Wie! Sie kennen diese Damen? aber woher, woher wissen Sie –?«

»Herr von Valbrun,« antwortete sie mir, »hat kein Geheimnis für Frau von Montdesier, die seit drei Monaten keines mehr für mich hat.«

Die Miene, womit Frau von B... mich anblickte, indem sie einen deutlichen Nachdruck auf die letzten Worte legte, erlaubte mir nicht, an dem wahren Sinn zu zweifeln, den sie ihnen geben wollte. Ich konnte nicht umhin zu erröthen; die Marquise sah meine Verwirrung und sagte:

»Lassen wir Justine, wir werden sogleich von ihr sprechen! zuvor aber will ich Sie über den Charakter der Frau von Fonrose aufklären, und es ist mir nicht unangenehm, wenn Sie wissen, ob ich Frau von Lignoll kenne.

»Die kleine Gräfin, eitel auf ihre Reize, die sie unvergleichlich glaubt, auf ihren Geist, den man ihr als originell preist, auf ihre Geburt, von der sie nicht weiß, dass ihre Rechtmäßigkeit bestritten wird; stolz auf die Reichthümer, die sie erwartet, und auf den Rang, den sie hofft; sicher durch den Zufall, der ihr die schwächste aller Tanten und den dummsten aller Ehemänner gegeben hat; die kleine Gräfin bildet sich ein, man sei ihr nur Huldigungen, Anbetung und Ehrfurcht schuldig. Unbesonnen, herrisch, hartnäckig, grillenhaft und eifersüchtig, hat sie alle Fehler eines verwöhnten Kindes. Sie wird sich immer weniger empfindlich für das Vergnügen, zu gefallen, als für das Glück, zu befehlen zeigen; man wird in ihr die anmaßendste Geliebte finden, wie sie sich als die unverschämteste Frau zeigt. Sie wird bald aus ihrem Liebhaber ihren ersten Bedienten machen, wie sie aus ihrem Gemahl bereits ihren untersten Sklaven gemacht hat. Ich bürge Ihnen dafür, dass sie ebenso unfähig ist, ihre ungereimten Ansichten zu verdecken, als ihre ungeordneten Leidenschaften in den Schranken zu halten. So werden Sie immer hören, dass sie die Dummheiten, die sie gemacht hat, durch Dummheiten, die sie sagen will, zu vertheidigen sucht; und ich will Ihnen voraussagen, dass sie bei der unerschöpflichen Masse von Eigenliebe, die man an ihr kennt, sich vergeblich bemühen würde, die in ihr vereinigten Fehler der Natur und der Erziehung zu bessern.

»Was die Baronin betrifft, so ist ihr Ruf auch zweifelhaft; niemand achtet sie, weil jedermann sie kennt.

»Der Kummer über den Skandal ihres ersten Auftretens hat Herrn von Fonrose getödtet, einen sehr wackeren Mann, der nur den Fehler hatte, dass er auf einer hohen Stufe der Gesellschaft seiner allzuvornehmen Frau Geschmack an bürgerlichen Tugenden beibringen wollte. Madame nannte ihn in ihrer lustigen Laune nur den Philosophen der Straße Saint-Denis.

»Durch den Tod ihres Gemahls ganz frei geworden, beeilte sich Frau von Fonrose, die glänzenden Hoffnungen zu rechtfertigen, die sie erregt hatte. In weniger als zehn Jahren hat sich die Zahl ihrer Eroberungen so vermehrt, dass sie endlich, aus Furcht einen zu vergessen, ganz neuerdings den sehr klugen Entschluss gefasst hat, das ehrenvolle Verzeichnis derselben selbst aufzusetzen. In diesem endlosen Wörterbuch findet sich der Name Ihres Herrn Vaters vielleicht als der tausendste und wird ohne Zweifel von tausend andern Namen, den Ihrigen nicht zu rechnen, gefolgt werden; sie empfängt jedermann und nie wird jemand abgewiesen.

»Niemals schadet der Neuangekommene bei dieser Messalina dem ersten Gekommenen. Trostlos über die müßigen Augenblicke, die ihr ihre eigenen Liebesangelegenheiten lassen, entschädigt sie sich durch Begünstigung fremder Liebeshändel.

»Gehen Sie einmal an einem Empfangstage zu ihr, so werden Sie sie von hübschen Jungen, die sie bildet, und jungen Frauen, die sie heranzieht, umgeben finden.

»Dies sind die Feinde, die ich mit Ihnen zu bekämpfen mir vornehme; indes glaube ich Ihnen noch einige Zeit das Vergnügen Ihrer Niederlage lassen zu müssen. Vermehren Sie immerhin die große Liste der Glücklichen, die Frau von Fonrose gemacht hat; diese allzubeschäftigte Frau wird einen jungen Mann, den ich als gefühlvoll kenne und für zartfühlend hatte, nur noch einen Tag fesseln können. Was Frau von Lignoll betrifft, so erlaube ich ihr, Sie noch einige Wochen aufzuhalten. Da Sie durchaus einen Gegenstand der Zerstreuung nöthig haben, so ziehe ich ein launiges und leichtsinniges Kind, das Ihnen bloß eine vorübergehende Neigung einflößen wird, jedem andern vor. Seien Sie daher in Ihren Tagen der Muße die Puppe, in die sie vernarrt ist; aber bedenken Sie, dass Sie, sobald ich Ihnen Sophie werde zurückführen können, unabänderlich mit der Gräfin brechen müssen.«

Ich versprach es der Marquise und dankte ihr lebhaft für die Theilnahme, die sie mir bezeugte; ich gelobte ihr nur noch meine Frau zu lieben, sobald meine Frau mir wiedergegeben sein würde. Indes hatte ich nicht ohne Verdruss Frau von B... meine Treue für Sophie in Anspruch nehmen gehört.

Die Marquise strahlte damals mehr als je von den Reizen ihrer Jugend. Ich fand ihre Haut blendender weiß, die Rosen ihrer Wangen schienen mir mehr Frische zu haben, mein Gedächtnis führte mir andere Reize vor, die meine Einbildungskraft mir noch mehr vollkommen zeigte; aber ich fühlte mich auch gedrungen, in ihrer allzeit zauberischen Haltung etwas Wohlanständigeres, Zuversichtliches, und in ihrer ganzen, wie früher von Liebreiz überströmenden Person eine gewisse Würde zu erkennen, die nicht der Liebe angehört.

Ich war in Verzweiflung, zwanzigmal legte sie mir Stillschweigen auf durch eine Geberde und einen Blick, der zu sagen schien: »Beklagen Sie mein Unglück und achten Sie Ihre Freundin.« Ich musste mich entschließen sie zu achten, ich musste mich entschließen, ihr noch einige Zeit zuzuhören, ohne sie zu unterbrechen. Sie schilderte mir die vielen Mittel, die jetzt in ihrer Gewalt wären, und die sie zur Aufsuchung der Frau von Faublas anzuwenden gedächte; und als sie mich fest überzeugt sah, dass niemand in der Welt Sophie wieder finden könne, wenn es Frau von B... nicht könne, sprach sie mit mir von Justine.

»Diese Kleine,« sagte sie, »hat mir versprochen, kein Hindernis zu sein in dem Plane, welchen ich mir betreffs Ihrer Besserung gebildet; aber ich traue ihr nicht genug Kraft zu, um einen verzweifelten Beschluss durchzuführen, deshalb ersuche ich Sie, ihren Muth nicht auf allzuharte Probe stellen zu wollen.

»Auch,« setzte sie hinzu, »können Sie die lange Neigung, die Sie für sie gehabt haben, anständigerweise nicht mehr fortsetzen. Eine Intrigue dieser Art schickt sich in keiner Beziehung für Sie; mein Freund, Sie sind weder genug thöricht, um Frau von Montdesier zu bereichern, noch abscheulich genug, um sie unentgeltlich lieben zu wollen. Es scheint mir, dass man allgemein in dieser Ansicht einverstanden ist, dass man den reichen Wüstling, der ohne Unterlass Mädchen kauft, etwas weniger verachten muss, als den armseligen Laffen, der sich ein Geschäft daraus macht, ihnen zu gefallen; aber das weiß man noch nicht genau, ob es lächerlicher ist, ihre Gunstbezeugungen, um die man sich sehr wenig bekümmert, sehr theuer zu bezahlen, oder schmählicher, sie durch Niederträchtigkeiten zu erlangen, wenn man kein Geld hat, um sie zu kaufen.

»Allgemein bekannt ist, dass, wer einmal das Unglück hatte in der Gesellschaft dieser Art von Frauen Gefallen zu finden, bald, wenn er nicht auf der Hut ist, mit seinem Vermögen oder seiner Gesundheit zugleich die Achtung der Gutgesinnten und seine eigene Achtung verlieren muss.«

Um die Marquise zu rechtfertigen, verhehlte ich ihr nicht, dass diesen Morgen und so eben noch, Frau von Montdesier ihrem verwegenen Versprechen untreu gewesen sei, und ich erzählte ihr sogar in aller Naivetät, welcher angenehme Irrthum am letzten Abend, um mir einen der glücklichsten Augenblicke meines Lebens zu verschaffen, Justine in meinen Armen mit allen Reizen der Frau von B... verschönert habe. Ich sah die Marquise mehrere Male erröthen, und mehrere Male hörte ich sie meinen, allerdings nicht zu entschuldigenden Irrthun zu beseufzen.

Durch ihre Verwirrung kühn gemacht, wagte ich mit einer kleinen Liebkosung eine tückische Frage:

»Und Sie, liebe Mamma, denken Sie denn nie an mich? nie eine zärtliche Erinnerung?«

Frau von B..., die sich bereits wieder gefasst hatte, unterbrach mich:

»Dürfen Sie fragen, ob ich an Sie denke? beweist Ihnen denn nicht Alles, was ich sage, dass Ihre Freundin ohne Unterlass mit Ihren theuersten Interessen beschäftigt ist?«

»So ist es denn wahr, dass Sie meine Freundin sind! ach, Sie sind nur noch meine Freundin!«

»Faublas, Sie sollten mir dazu Glück wünschen.«

»Liebste Mama! ich kann mich nur darüber beklagen.«

»Mein Freund, Sie müssen Madame sagen.«

»Madame zu Ihnen? nie werde ich mich daran gewöhnen.«

»Dennoch ist es nothwendig, Faublas.«

»Madame, mein Name ist Florville.«

»Um so besser, Ihre Folgsamkeit macht mir Freude!«

»Warum bin ich nicht mehr Fräulein Duportail!«

»Chevalier, brechen mir hiervon ab!«

»Warum gehen wir nicht mehr zusammen nach Saint-Cloud!«

»Guter Gott! schon Mittag!« rief sie mit einem Blick auf ihre Uhr. »Florville, ich will Ihnen, ehe ich Sie verlasse, einen Auftrag geben.«

Sie zog aus ihrer Brieftasche ein Papier, das sie mir zustellte.

»Ich habe selbst um dieses Schreiben des Ministers nachgesucht, das meinen ärgsten Todfeind nach Frankreich zurückruft; thun Sie mir den Gefallen, es an den Grafen Rosambert in Brüssel zu adressieren, wo er sich gegenwärtig aufhält. Melden Sie ihm, dass er sich unter seinem Namen wieder in der Hauptstadt und sogar bei Hofe zeigen könne. Ich erlaube Ihnen, ihm wissen zu thun, dass diejenige, die er beschimpft hat, ihn mit einem Wort auf immer seiner Güter, seiner Ämter, seines Vaterlandes berauben konnte, und dennoch seine Rückkehr ausgewirkt hat. Er glaube übrigens nicht, dass ich auf meine Rache verzichte; aber er soll erfahren, dass ich eine meiner würdige Rache will. Er soll für seine feige Beleidigung nicht auf eine feige Art gezüchtigt werden. Einen seiner Geburt unwürdigen Menschen, der sich nicht entblödet, mich niederträchtig zu beschimpfen, auf eine edle Art strafen, heißt ihn zweimal strafen. Leben Sie wohl, mein Freund!«

»Leben Sie wohl, Madame! werde ich lange das Glück entbehren müssen, Sie zu sehen?«

»Nein, Florville! ich denke zuweilen hierher zu kommen.«

»Sagen Sie oft!«

»Oft, wenn ich kann.«

»Und bald?«

»So bald als möglich.«

»In einigen Tagen?«

»Sie werden es durch Justine erfahren. Leben Sie wohl, mein Freund!«

Als Frau von B... weg war, rief ich Justine:

»Sage mir doch, wohin diese Thüre führt, durch die ich die Marquise ein- und ausgehen gesehen habe.«

»Zu meinem Nachbar, dem Juwelier, den Madame reichlich dafür bezahlt hat,« antwortete sie; »es ist hier ganz so, wie im Boudoir der Modehändlerin.«

»Ach, nein, Justine, es ist nicht so, es fehlt noch viel.«

»Wie? ist Madame grausam gewesen?«

»Ja, mein Kind!«

»Vielleicht weil Sie verheiratet sind?«

»Glaubst Du?«

»Freilich, ich fühle, dass mir dies an ihrer Stelle fürchterlich weh thun würde, ich wäre von Anfang wie ein kleiner Teufel. Doch können wir Frauen nicht lange grollen, ich würde mich am Ende zufrieden geben.«

»Du glaubst also, dass die Marquise –«

»Sich zufrieden geben wird. Ja, seien Sie ruhig! und dann,« sagte sie in schmeichelndem Tone, »es bleiben uns ja noch Tröstungen übrig.«

Frau von Montdesier schien mir wirklich sehr in der Laune zu sein, mir welche zu bieten; allein ich hatte den Muth, meinen Verdruss mit nach Hause zu nehmen.

Jasmin erwartete meine Rückkehr mit Ungeduld. Er sagte mir, Frau von Fonrose habe jemand geschickt, um mich zu bitten, zu ihr zu kommen. Ich schrieb zuerst an den Grafen Rosambert einen kurzen Brief, den ich auf die Post bringen ließ, und begab mich dann zur Baronin.

Als man den Chevalier von Florville meldete, that Frau von Fonrose einen Freudensprung. Sie führte mich in ihr Toilettenzimmer, setzte mich vor einen Spiegel und läutete einer ihrer Frauen, die nicht minder geschickt als Justine mir in einem Augenblick, mit Bändern und Blumen, die eleganteste Frisur machte, auf die jemals ein junges Mädchen stolz war. Sodann wurde ich in ein reizendes Kleid angezogen, und um die Metamorphose zu vollenden, wurden meine Füße in einen niedlichen Schuh von blauem Sammt gesteckt. Frau von Fonrose entließ jetzt ihre Kammerfrau, gab mir mehrere Küsse und machte die gütige Bemerkung, dass es wenig so liebenswürdige Frauen gebe, wie ich. Ich wollte ihr schnell ihre schmeichelhaften Worte und ihre zärtlichen Liebkosungen erwiedern, als noch zur gelegenen Zeit ein Lakai vor der Thüre rief:

»Herr Baron Faublas!«

Die Baronin, die meinen Vater nicht ins Toilettenzimmer kommen lassen wollte, ging ihm schnell entgegen und traf ihn im Salon.

»Ich komme,« sagte der Baron zu ihr, »mich zu entschuldigen, Ihnen Vorwürfe zu machen und mein Leidwesen auszudrücken. Sie mussten uns gestern ein wenig schnell verlassen; ich habe sehr dabei gelitten, aber Sie sind selbst Schuld daran; Sie haben mir eine tolle junge Frau ins Haus gebracht.«

»Sagen Sie vielmehr eine bezaubernde Frau, mein Herr! reizend, lebhaft, hübsch, geistreich.«

»Dies mag sein, Madame, aber –«

»Kein aber!« unterbrach sie.

Doch fuhr er fort:

»Ich gestehe Ihnen, dass ich nicht ohne Kummer meinen Sohn in eine neue Intrigue verwickelt sehe. Es wäre für mich zu grausam zu denken, dass seine Frau noch lange ausbleiben werde.«

»Ach, guter Gott! beruhigen Sie sich, Baron! wann sie wiederkommen wird, geben wir ihr ihren Gemahl zurück.«

»Zu spät vielleicht, er wird sie weniger lieben; und seine Sophie verdient wahrhaftig, glücklich zu sein.«

»Ja, so sind Sie! ich bewundere Sie; wenn man Sie hört, sollte man glauben, eine Frau könne ihr Glück nur in den unaufhörlichen Anbetungen ihres Mannes finden; und Sie haben von Ihrer Provinz her diese Idee der vorigen Jahrhunderts mitgebracht, dass jeder gute Ehemann seine Frau fein bürgerlich durch ewige Liebe zu Tode quälen müsse.

»Mein Herr, Sie wissen nicht, dass ein Mann von Stand gegenwärtig nur heiratet, um ein Haus, einen gesellschaftlichen Kreis, einen Erben zu erhalten?«

»Und eben darum, Madame, haben die gebildeten Leute, von denen Sie sprechen, nach einigen Jahren der Ehe weder einen Kreis, noch Kinder, die ihnen angehören.«

»Sie sind,« versetzte die Baronin lachend, »der unterhaltendste Mann von der Welt, wenn Sie sich die Mühe dazu nehmen wollen.«

»Man spanne ein!« sagte sie zu einem Bedienten.

Mein Vater, der diesen Befehl vernahm, rief:

»Sie speisen zu Mittag nicht zu Hause?«

»Nein, Herr Baron, ich beabsichtige, den Abend bei Ihnen zuzubringen.

»Es thut mir sehr leid, Ihre liebe Gesellschaft nicht länger genießen zu können, aber es ist unmöglich, da ich mein Wort gegeben habe.«

»Madame, kann man ohne Indiskretion fragen, wo Sie zu Mittag speisen?«

»Bei der kleinen Gräfin.«

»Gehen Sie allein hin?«

»Nein, mein Herr.«

»Mit meinem Sohn vielleicht?«

»Mit dem Chevalier? gewiss nicht!«

»Sie lachen, Baronin.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass Ihr Herr Sohn mich nicht begleitet.«

»Und wer denn, wenn es erlaubt ist zu fragen?«

»Fräulein von Brumont!«

»Die kenne ich nicht, holt das Fräulein Sie ab?«

»Ich erwarte sie hier!«

»Bleiben Sie lange bei Frau von Lignoll?«

»Ich denke bald zurückzukommen, um mit Ihnen zu soupieren.«

»Da hatten Sie einen vortrefflichen Gedanken, Madame.«

»Und ich würde meine Thüren für jedermann schließen lassen, wenn Ihnen nicht die Unterhaltung unter vier Augen zu langweilig wäre.«

»Ich fürchte nur, sie möchte zu kurz sein,« antwortete er, ihr die Hand küssend.

Ein Bedienter meldete, dass die Pferde angespannt seien. Agathe, die gewandte Kammerfrau, die mich frisiert hatte, nahm gern einen Louisd'or an, und führte mich eine kleine Treppe hinab in den Hof, wo ich den Wagen der Baronin traf; dann nahm sie es auf sich, ihrer Gebieterin zu sagen, Fräulein, von Brumont sei soeben angekommen; da sie aber erfahren habe, dass Gesellschaft bei Frau von Fonrose sei, und da sie Niemand sehen wolle, so erwarte sie die Baronin in ihrem Wagen.

Mein Auftrag wurde gut besorgt, bald sah ich Frau von Fonrose herabkommen. Mein Vater gab ihr die Hand.

Er warf einen neugierigen Blick in den Wagen; aber ich war unhöflich genug, mein Gesicht mit dem Fächer zu bedecken.

Wir fuhren ab. Die Baronin gratulierte mir lachend zum Erfolg meiner List. Sie ergriff meine Hand, drückte sie sanft, beehrte mich mit einigen sehr zärtlichen Blicken und sagte mir mehr als einmal, mein Vater könne für einen sehr liebenswürdigen Mann gelten, aber ich sei die reizendste Frau, die sie jemals gesehen habe. Während der weitern Fahrt sagte mir Frau von Fonrose, die Gräfin, die ohne Zweifel noch sehr gereizt sei, werde mich anfangs vielleicht schlecht empfangen; doch, fügte sie hinzu, würde ich die Dame beruhigen, wie man sie Alle beruhige, durch Lobeserhebungen und Liebkosungen. Herr von Lignoll war bei der Gräfin, als man uns meldete.

»Ja, wahrlich,« sagte der Graf, »sie ist's!«

Frau von Lignoll stand anfangs, von einer ersten Bewegung hingerissen, auf und streckte mir die Arme entgegen; aber plötzlich warf sie sich, von einer entgegengesetzten Empfindung überwältigt, in ihren Lehnstuhl zurück und rief:

»Ich will sie nicht sehen.«

Ich wollte mich entfernen, aber Frau von Fonrose kam mir zuvor:

»Dennoch bringe ich sie Ihnen sehr reuevoll und ganz trostlos zurück, sie will Alles aufbieten, Ihre Verzeihung zu verdienen.«

»Verzeihung nach solchem Undanke!«

»Es ist wahr,« sagte Herr von Lignoll, »dass sich das Fräulein ein sonderbares Benehmen gegen uns erlaubt hat. Bloß zwei oder drei Tage hier zu bleiben und uns im Stich zu lassen, ohne ein Wort zu sagen! sie hatte doch wenigstens die Frau Gräfin zwei Tage vorher davon in Kenntnis setzen sollen.«

»Mich in Kenntnis setzen?« rief die Gräfin; »man muss mich nicht derart verlassen.«

»Ah! doch man muss gestehen, dass das Fräulein frei war, sie hatte das Recht, ihren Abschied von Ihnen zu verlangen, wie Sie das Recht hatten, sie zu entlassen. Aber in diesem Falle, ich wiederhole es, sagt man es einander drei Tage vorher.«

»Mein Herr, wollten Sie die Güte haben, mir Ihre Bemerkungen zu erlassen? in einem andern Augenblick würden sie mich vielleicht ergötzen; ich gestehe Ihnen, dass sie mich jetzt sehr langweilen.«

Der Graf schwieg; ich ergriff das Wort.

»Madame, ich gestehe, dass ich mich einigermaßen gegen Sie verfehlt habe; aber der Schein zeigt mich strafbarer, als ich wirklich bin.«

»Wie! eine Untreu von vier Monaten!« fiel der Graf ein. »Mein Fräulein, die Gräfin hat Recht; dies war nicht brav.«

»Ich muss auch ein Wörtchen für sie sprechen,« sagte Frau von Fonrose. »Ich weiß von guter Hand, dass ihr diese viermonatliche Abwesenheit sehr lang geschienen hat, und dass, wenn man ihr die Freiheit gelassen hätte, Sie zu besuchen, sie es von Herzen gern gethan haben würde.«

»Sie suchen sie umsonst zu entschuldigen, Baronin, Sie wissen nicht, dass sie mich verrathen hat!«

»In der That, ohne Zweifel!« versetzte Herr von Lignoll, »es ist eine Art Verrath.«

»Sie hat mich aufgeopfert!«

»Ja,« fuhr der Beifall gebende Gatte fort, »sie hat uns aufgeopfert, wenn sie eine andere Verbindung eingegangen hat.«

»Eben dies, mein Herr,« rief die Gräfin, »eben dies hat sie gethan!«

»Madame, ich erkenne mein Unrecht; aber –«

»Sie hören es,« unterbrach sie, leidenschaftlich ihre hübschen Händchen ringend, die sie zuerst gegen die Zimmerdecke erhob, und womit sie sich dann Augen und Stirne bedeckte. »Sie hören es! sie hat eine andere Verbindung eingegangen,« wiederholte die Gräfin mit klagendem Tone und fing an zu weinen; »sie hat eine andere Verbindung eingegangen!«

»Mit einer Frau?« fragte der Graf.

»Ohne Zweifel, mit einer Frau,« antwortete Frau von Lignoll mit großem Eifer; »Sie stellen sonderbare Fragen!«

»Wer ist diese Frau?« fragte er mich.

»Was liegt Ihnen daran, wer sie ist?« unterbrach die Gräfin.

»Ist sie von Stand, diese Frau?« fragte er.

»Ja, von Stand,« rief sie, »wie mein Stallknecht.«

»Und was macht sie?«

»Was sie macht!« sagte die Gräfin, deren Zorn mit jeder Frage ihres neugierigen Gemahls größer wurde; »Dummheiten macht sie und schlechte Witze.«

»Und sie nennt sich?«

Frau von Lignoll rief:

»Oh! ich weiß, wie sie sich nennt; aber ich will, dass Sie es sagen, Fräulein.«

»Madame, erlassen Sie es mir.«

»Keine schlechten Entschuldigungen, mein Fräulein, ich will es!«

»Nun gut, sie nennt sich Montdesier.«

»Montdesier! dacht ich's doch!«

»Sie hat mich wegen einer andern verlassen können!« und die Gräfin fing auf's neue an, zu weinen.

»Jetzt ist sie gerührt,« sagte die Baronin zu mir; »sie wird sich beruhigen, sie wird verzeihen. Fallen Sie ihr zu Füßen und bitten Sie um Gnade.«

Ich warf mich zu ihren Knieen, die ich umfasste, und während Frau von Fonrose ganz leise einige Worte des Trostes an sie richtete, hielt mir der Graf unter sanften Vorwürfen eine väterliche Moralpredigt.

»Sie sind jung, Fräulein von Brumont, Sie haben alle Vorzüge des Geistes und der Gestalt für sich; dennoch wird es Ihnen nicht gelingen, die Ungerechtigkeit wieder gut zu machen, die das Schicksal sonst gegen Sie begangen hat, wenn Sie in Ihren Neigungen unbeständig sind, wenn Sie sich an niemand anschließen wollen, wenn Sie überall Verbindungen eingehen, ohne sich irgendwo auf die Dauer festzusetzen. Waren Sie nicht gut hier? Ich glaube nicht, dass ich es in einer Beziehung an Achtung habe fehlen lassen, gegen ein Fräulein, das ich sehr schätze: und was meine Frau betrifft, die liebt Sie zum Närrischwerden. Übrigens hatten Sie, die tausend andern Vortheile nicht zu rechnen, bei uns einen sehr großen, den man selten anderswo trifft, den: alle Tage Charaden aufzulösen und selbst nach Belieben welche zu machen.«

Der Ärger der Gräfin konnte sich gegen die letzte Bemerkung ihres Gemahls nicht halten. Kaum hatte Herr von Lignoll seine Rede vollendet, als sie in ein unauslöschliches Gelächter ausbrach. Plötzlich wich der düstere Schmerz einer tollen Freude auf diesem bezaubernden Gesichte, auf dem ich Thränen und Lachen mit einander vermischt sah. Ich konnte leicht merken, dass Frau von Fonrose, ebenso wie ich, viel um die Erlaubnis gegeben hätte, so laut wie die Gräfin zu lachen; aber ich war wie sie durch die Furcht zurückgehalten, bei ihrem Gemahl, der uns ansah, und dem der gewaltige Zorn seiner Frau und ihre unmäßige Lustigkeit gleich befremdend sein mussten, schlimmen Verdacht zu erwecken. Der Graf beruhigte mich folgendermaßen:

»Sie sind erstaunt, mein Fräulein, allein Sie dürfen sich darüber nicht wundern. Mir entgeht keine Affection der Seele; während Ihrer Abwesenheit hat die gute Laune meiner Frau sichtlich abgenommen; ich habe ein sicheres Mittel ausfindig gemacht, ihr die Heiterkeit wiederzugeben, ich habe von Charaden mit ihr gesprochen. Dann lachte Madame sogleich wie eine Närrin. Ich habe die Erfahrung mehrere Male gemacht, immer hatte ich denselben Erfolg. Sie sind nun selbst Zeuge; seit einer Viertelstunde hört sie nicht mehr auf.«

Die Gräfin fing auf's neue an, und Frau von Fonrose genierte sich nicht mehr; ich wurde wie sie hingerissen, und Herr von Lignoll konnte drei Personen nicht von Herzen lustig sehen, ohne selbst bei der Partie zu sein. Unser schallendes Gelächter musste von der ganzen Nachbarschaft gehört werden.

Während indes Fräulein von Brumont lustig lachte, verlor der Chevalier Faublas den Kopf nicht. Mit glühenden Lippen presste er die Lilien eines Armes, weißer als Elfenbein, und drückte mit liebkosender Hand sanft die hübschesten Kniee von der Welt.

»Verzeihen Sie ihr!« sagte Frau von Fonrose zur Gräfin. Die schlaue Baronin beobachtete mich, und sie schien kein Detail von dieser lustigen Pantomine zu verlieren.

»Verzeihen Sie ihr!« wiederholte der arglose Gemahl, der, nicht zufrieden, nur mit Blicken und Winken seinen Beifall zu bezeugen, sich zwei Mal bückte, um mir die ermuthigenden Worte ins Ohr zu sagen:

»Gut, gut! werden Sie nicht müde, bleiben Sie fest, sie ist besiegt.«

»Verzeihen Sie mir!« rief nun auch ich mit zärtlicher Stimme und in flehendem Tone; »verzeihen Sie mir, denn ich bereue meinen Fehler und liebe Sie.«

»Und ich liebe Sie auch,« antwortete sie, mich umarmend; »und ich verzeihe Ihnen,« fügte sie hinzu und umarmte mich zum zweiten Male; »aber ich stelle die Bedingung, dass Sie diese Frau von Montdesier nicht mehr sehen.«

»Oh! nein, Madame!«

»Und dass Sie nie mehr eine andere Verbindung eingehen, als mit mir.«

»Nie, ich gelobe es bei meiner Liebe.«

»In diesem Falle verzeihe ich Ihnen, ich liebe Sie, und zum Beweis umarme ich Sie; und wenn Sie mir Wort halten, werde ich Sie mein ganzes Leben lang lieben und umarmen.«

»Nun gut!« rief Herr von Lignoll, entzückt über das Vergnügen seiner Frau; »da Madame Sie liebt, Sie umarmt und Ihnen verzeiht, so will auch ich Ihnen verzeihen. Sie lieben und Sie umarmen.«

Er beehrte mich mit mehreren Küssen; und auch ich sagte zu Frau von Fonrose:

»Liebe Sie, verzeihe Ihnen und umarme Sie, denn Sie haben mich seit einer Viertelstunde sehr ergötzt.«

»Nun sage mir jemand, dass die Charaden zu nichts taugen,« versetzte der Graf mit triumphierender Miene. »Sehen Sie, Sie Sie uns Alle in gute Laune versetzt haben, wie der Friede geschlossen worden ist.«

Die Gräfin unterbrach ihn:

»Apropos, Charaden! wissen Sie auch, Fräulein von Brumont, dass der Herr Graf die unserige noch nicht hat auflösen können?«

»Ja, sie ist auch nicht klar,« antwortete er.

»Ein schöner Grund,« antwortete Frau von Fonrose. »Wie, mein Fräulein, Ihre Charade ist nicht klar?«

Ich entgegnete auf die Gräfin zeigend:

»Madame hat sie gemacht.«

»Ja,« antwortete diese, »aber Sie haben es mich gelehrt.«

»Gleichviel,« versetzte die Baronin, »wenn sie nicht klar ist, so müssen Sie sie auf's neue anfangen.«

Die Gräfin erwiderte:

»Dies ist unsere Absicht, Madame.«

»Ohne Zweifel!« sagte Herr von Lignoll, »Sie müssen sie auf's neue anfangen.«

»Es wird Ihnen also Vergnügen machen?« fragte ihn seine Frau.

»Ganz gewiss, Madame, und zwar viel! ich wünschte Ihnen dazu zu helfen, ich wünschte Sie unterrichten zu können.«

»Danke tausendmal!« unterbrach sie ihn. »Ich will künftig keinen andern Lehrer mehr als Fräulein von Brumont. Ohnehin, mein Herr, würden Sie sich vielleicht ganz vergebliche Mühe geben.«

»Herr Graf,« sagte ich zu ihm, »ich will mir die Freiheit nehmen zu bemerken, dass die Frau Gräfin jung und sehr wissbegierig ist!«

»Nun gut! mein Fräulein, Sie bedürfen keines Helfers, um ihr Alles zu zeigen, was zu wissen nöthig ist, ich bin überzeugt, dass Sie wohl im Stande sind, Ihrer Schülerin vortreffliche Anfangsgründe beizubringen, und wenn Sie den Unterricht einmal angefangen haben, so bin ich gerne bereit, ihn zu vollenden.«

»Nein, wenn ich bitten darf; ich würde niemanden weder den Ruhm noch das Vergnügen hiervon abtreten.«

»Wie Sie wollen, mein Fräulein; dies wird mich nicht hindern, mich lebhaft für die Fortschritte Ihrer Schülerin zu interessieren.«

»Mein Herr, was Sie die Güte haben mir zu sagen, ist sehr geeignet, mich aufzumuntern. Ich verspreche Ihnen, der Frau Gräfin gute Lektionen zu geben.«

»Nur Muth, mein Fräulein, nur Muth!«

»Ich werde mehr als eine Charade mit ihr machen, dafür stehe ich Ihnen, Herr Graf.«

»Ganz recht, mein Fräulein, kein Zögern, keine übermäßige Schüchternheit! fangen wir wieder an und machen Sie es besser.«

»Ich werde mich bemühen, mein Herr.«

»Gut so, das lasse ich mir gefallen, und so bald als möglich.«

»Ah! sogleich, wenn Madame es will.«

»Nein,« fiel die Baronin ein, »speisen wir vorher zu Mittag; Sie werden immer noch Zeit genug haben. Ich denke Sie vierzehn Tage hier zu lassen.«

Ich traute meinen Ohren nicht.

»Wie, vierzehn Tage!« sagte ich.

»Ich begreife es, der Termin scheint Ihnen kurz; aber ich habe keinen längern erhalten können.«

»Nicht erhalten können, ich begreife nicht, Frau Baronin!«

»Ich habe das Unmögliche versucht, mein Fräulein; denn ich wusste, wie sehr Sie ihren Aufenthalt bei der Gräfin zu verlängern wünschten.«

»Wirklich, Madame, ich bewundere Ihren Scharfsinn.«

»Ihre Verwandten haben Ihnen nur vierzehn Tage bewilligt.«

»Sie sagen, meine Verwandten haben mir bewilligt?«

»Ja, nur vierzehn Tage. Nichts hat sie bestimmen können, sich des Glücks, Sie bei sich zu besitzen, auf längere Zeit zu berauben.«

»Frau Baronin, wissen Sie gewiss?«

»Ich weiß gewiss, mein Fräulein, dass sie Ihnen nicht erlauben werden, länger zu bleiben, richten Sie sich darnach ein; in vierzehn Tagen führe ich Sie zurück, es ist schon ausgemacht.«

»Beschlossen, Madame!«

»Unwiderruflich beschlossen, mein Fräulein.«

»Ach! wie umsichtig, Madame!«

»Inzwischen werde ich Sie fast alle Tage besuchen, wie Sie sich wohl denken können!«

»Wie gütig, Madame!«

»Ich speise heute Abend mit einem Ihrer Verwandten.«

»Ich weiß es, es ist, glaube ich, einer meiner nächsten Verwandten!«

»Ich, mein Fräulein, ich werde mit ihm von Ihnen sprechen.«

»Ah! ich werde Ihnen sehr verbunden sein.«

»Ich zweifle nicht daran, dass diese vierzehntägige Trennung ihn wie die andere anfangs erschrecken wird; aber ich werde ihn darüber aufklären.«

»Sie werden mir einen wahren Dienst erweisen.«

»Ich versichere Ihnen, dass er nicht böse sein wird.«

»Madame, ich verlasse mich auf Sie.«

Man begreift, dass ich durch die künstliche und kühne Art, wie die Baronin mich, so zu sagen, gegen meinen Willen bei der Gräfin einquartiert hatte, sehr überrascht war.

Dennoch möchte ich nicht zu behaupten wagen, dass es mir sehr unangenehm gewesen sei; so viel wenigstens kann ich versichern, dass ich in meinem Innern den festen Entschluss fasste, meine Verbindungen mit Frau von B... fortwährend zu unterhalten, um nöthigenfalls schnell von ihrer Entdeckungen in Kenntnis gesetzt zu werden und mein Betragen nach denselben einzurichten.

Der Graf, der kein Wort von meinem Zweigespräch mit der Baronin verloren hatte, fragte, ob meine Verwandten gegenwärtig in Paris wären. Die Baronin antwortete, sie wären incognito hier, aus Gründen, die sie zwar wüsste, aber nicht sagen könne.

Wir setzten uns zu Tische. Ich kam zwischen die beiden Eheleute zu sitzen; von Zeit zu Zeit brachte die gewandte Gräfin eine Hand unter das Tischtuch, der die meinige jedesmal begegnete. Herr von Lignoll hätte unsere häufige Zerstreuung unfehlbar bemerken müssen, hätte nicht die allzeit aufmerksame und allzeit gefällige Frau von Fonrose zwanzig Mal auf eine sehr feine Art uns an unsere Unvorsichtigkeit erinnert. Beim Nachtisch aber erging es mir nicht gut.

Die Baronin, sei es nun, dass sie mich von dem Gegenstand ablenken wollte, womit sie mich so sehr beschäftigt sah, oder dass es ihr ein eigenes Vergnügen machte, mich ein wenig zu quälen, ließ sich einfallen, einen Streich gegen mich zu führen, der schwerer als alle andern abzuwehren war.

»Apropos,« sagte sie, »wissen Sie schon die große Neuigkeit; der Chevalier von Faublas hat die Bastille verlassen.«

»Wer, der Chevalier von Faublas?«

»Sie erinnern sich doch der Geschichte dieses hübschen Jungen, der unter Frauenkleidern sich bei dem Marquis von B... aufhielt?«

»Ja. Madame.«

»Und diesen liederlichen Burschen hat man wieder in Freiheit gesetzt, und hat ihn nicht zeitlebens eingesperrt?«

»Herr Graf! Sie sind sehr streng. Man sagt, es sei ein sehr liebenswürdiges Kind.«

»Ein Erztaugenichts, den man hätte züchtigen sollen.«

Die Baronin wandte sich jetzt an mich:

»Fräulein von Brumont sagt kein Wort; sie ist der Meinung des Herin Grafen?«

»Nein, Madame, durchaus nicht, nein, dieser Chevalier von Faublas, von dem Sie sprechen, verdient, glaube ich, Entschuldigungen, wenn er nur nichts schlimmeres gethan hat.«

»Er hat Abscheulichkeiten gethan!« rief Herr von Lignoll. »Sie wissen also seine Geschichte nicht, mein Fräulein? Ich will sie Ihnen erzählen. Für's erste hat er die Kleider seines Geschlechts abgelegt und, indem er sich für eine Frau ausgab, fast unter den Augen des Gemahls das Lager seiner Frau der Marquise von B... getheilt, ist das nicht schrecklich?«

»Erlauben Sie eine Einrede, mein Herr; dies kommt mir nicht wahrscheinlich vor. Wie ist es möglich, dass ein Mann so sehr einer Frau gleicht, dass man ihn dafür halten könnte?«

»Es ist nichts gewöhnliches, aber dennoch ist es möglich und schon vorgekommen.«

»Wenn Sie es nicht versicherten, würde ich es nicht glauben,« sagte die Gräfin.

»Man muss es glauben,« antwortete er, »denn es ist Thatsache. Übrigens ist der Marquis von B... dennoch ein Einfaltspinsel bei allen seinen physiognomischen Kenntnissen.«

Ich unterbrach ihn:

»Ich glaube, wenn Sie an der Stelle des unglücklichen Marquis gewesen wären, Sie hätten sich von dem Herrn von Faublas nicht hintergehen lassen.«

»Oh, nein, dessen können Sie sicher sein. Ich habe vielleicht nicht mehr Geist, als ein anderer; aber ich bin ein Beobachter; ich kenne das Herz des Menschen und keine Affection der Seele entgeht mir.«

»Wir wissen dies,« sagte die Baronin; »aber um auf den Chevalier zurückzukommen, so werden Sie sich doch ein wenig wundern, wenn Sie erfahren, dass er der Marquise seine Freiheit verdankt.«

»Der Frau von B...!« rief der Graf.

»Der Frau von B...!« rief ich mit erheucheltem Erstaunen.

»Der Frau von B...!« wiederholte die Baronin kalt; »jedermann versichert es.«

Die Gräfin stand schnell auf und sagte zu mir:

»Wie! ist dies die Marquise?«

Sie sprach so laut und so schnell, sie schien so überrascht, so unruhig und so verdrießlich, so dass ich aus Furcht, sie möchte mir einen unvorsichtigen Vorwurf machen, oder eine gefährliche Frage an mich stellen, sie eilends unterbrach:

»Wenden Sie sich an die Frau Baronin. Wozu wollen Sie mich fragen, da ich doch nichts von der ganzen Fabel weiß?« Herr von Lignoll hatte die Güte mich zu unterstützen.

»Eine Fabel, wie das Fräulein sehr gut sagt. In der That, wie ließe sich denken, dass die Marquise die Kühnheit gehabt hätte.«

»Es ist kein unwahres Wort an Allem, was ich sage,« versetzte die Baronin. »Dass ein so unerfahrenes Mädchen, ohne Leidenschaft und ohne Tadel, die Begebenheit, von der Sie sprechen, anstößig findet und in der Unschuld ihres Herzens nicht glauben will, dies scheint mir sehr natürlich; dass aber Herr von Lignoll, der tiefe Beobachter, der Mann von ausgezeichneter Urtheilskraft, kurz, dass Herr von Lignoll eine Thatsache, die zwar allerdings nicht zu den gewöhnlichen gehört, die aber doch nicht ohne Beispiel ist und jedem, der die verdorbenen Sitten dieses Jahrhunderts kennt, sogar wahrscheinlich vorkommen wird; dass er eine solche Thatsache zur Fabel stempeln will, das kann ich nicht begreifen.«

»Dazu,« antwortete der Graf, »müsste ich den Charakter der Frau von B... eigens studiert haben, und ich kenne sie bloß ein wenig vom Hörensagen.«

»Und ich kenne sie daher,« sagte die Baronin, »dass ich sie allzu oft auf meinen Wegen begegnet habe. Die Mehrzahl der jungen Leute vom Hof sagt, sie sei schön, und sie wisse es wohl; aber die alten Hofmänner versichern, sie sei gewandter, einschmeichelnder, künstlerischer und heuchlerischer, als sie Alle: man muss ihnen glauben. Ich will für ihren seltenen Verstand nur einen Beweis anführen, nämlich die Art, wie sie sich nach ihrem fürchterlichen Falle mächtiger als je wieder erhob.

»Als ihre Geschichte mit dem Chevalier von Faublas so großen Lärm machte, da glaubten wir sie verloren; sie allein hatte den Muth an ihrem Glück nicht zu zweifeln. Wie sie ihren gehörnten, gedemüthigten und unzufriedenen Gemahl überredete, dass er nicht zum besten gehalten worden sei, kann ich nicht sagen; aber gewiss ist, dass wir sie heute vortrefflich zusammen leben sehen. Übrigens ist dies der geringste Erfolg, den sie sich versprochen hatte; sobald sie den guten Gemahl bezaubert hatte, dachte sie an die Befreiung des reizenden Freundes.

»Was thut sie also? Herr von M..., der viele Anhänger hatte, weil er ein wenig Verdienst und bedeutendes Vermögen besaß, Herr von M... war seit langer Zeit in sie verliebt, aber leider umsonst und strebt umsonst nach dem Ministerium.

»Frau von B... schlägt sich zu seinen zahlreichen Anhängern, und der glückliche Bewerber, dem sie dient, sieht endlich das seligmachende Portefeuille in seinen Händen. Jetzt hält es seine Wohlthäterin nicht unter ihrer Würde, seine Geliebte zu werden. So gelang Frau von B... wieder zu ihrem früheren Ansehen, das mit jedem Tag zunimmt. Der Chevalier von Faublas wird so der Gesellschaft wieder geschenkt, um, wenn wir nicht auf der Hut sind, neuen Spuck zu machen.«

Endlich schwieg Frau von Fonrose, und da sie mich bloß in Verlegenheit setzen wollte, so konnte sie sich über meinen Verdruss nur freuen.

Ich hörte im Innersten meines Herzens eine geheime Stimme mir zurufen, dass die Marquise mich hätte im Gefängnisse lassen sollen. In meinem großen Missbehagen wagte ich meiner Freundin den Vorwurf zu machen, dass sie zu viel für mich gethan habe. Der Mensch ist von Natur ein undankbares Geschöpf; so sagen mit Recht unsere trostreichen Moralisten.

Frau von Lignoll war unzufrieden über meinen Verdruss, der leicht zu sehen war, und bemerkte es laut:

»Sie sehen sehr nachdenklich aus, mein Fräulein.«

»Wahrhaftig ja,« sagte der Graf, »ich bemerke es auch.«

Ich gab der Gräfin keine Antwort, weil die Baronin, welche die Unvorsichtigkeit ihrer Freundin leicht voraussah und schnell zu verhindern wusste, sich ihrer bereits bemächtigt hatte und ganz leise sie zurückzuhalten und zu beruhigen suchte; aber ich ergriff diesen Augenblick, um mich Herrn von Lignoll zu nähern und ihm ein großes Geheimnis anzuvertrauen:

»Mein Herr, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, so haben Sie früher einmal den Wunsch geäußert, dass vor Ihrer jungen Frau nie von Liebeshändeln und Galanterien die Rede sein möge!«

Er antwortete mir:

»Dies ist wahr, aber es handelt sich von diesem Wüstling; ich gerathe in Eifer, lasse mich hinreißen und vergesse meine Vorsätze. Übrigens danke ich Ihnen, dass Sie die Güte haben, mich daran zu erinnern; ich will mich darnach richten und die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand lenken.«

Er hielt mir grausam Wort; ich musste den ganzen Abend Charaden auflösen und lange Abhandlungen anhören.

Um zehn Uhr zog sich die Baronin zurück, um den Abend bei dem zuzubringen, den sie meinen sehr nahen Verwandten nannte.

Um zwölf Uhr wünschte Herr von Lignoll der Gräfin eine gute Nacht und dem Fräulein von Brumont einen guten Schlaf.

Von diesen zwei Wünschen konnte nur der eine erhört werden; die Gräfin hatte eine gute Nacht, eben weil Fräulein von Brumont wenig schlief. Am andern Morgen waren alle Spuren von Eifersucht aus ihrem Herzen verschwunden. Wir nahmen ein ganz prächtiges Frühstück zusammen, denn wir waren durch keine Gegenwart eines dritten belästigt. Herr von Lignoll, der nach Versailles reiste, wo er mehrere Tage zuzubringen gedachte, hatte mir empfohlen, seiner Frau treulich Gesellschaft zu leisten und für sie zu sorgen.

Im Gegentheil sorgte sie für mich; ihre kleinen Hände ordneten meine Haare, ihre kleinen Hände kleideten mich an. Es ist wahr, dass ich dadurch um nichts besser frisiert oder gekleidet war; es ist wahr, dass ich ihr aus Überfülle des Dankes vielleicht ungeschickt, aber doch zu ihrer Zufriedenheit die Dienste heimgab, die ich von ihr empfangen hatte.

Der ganze Morgen verging wie ein Augenblick unter so angenehmen Beschäftigungen. Ich will hier nicht die Zerstreuungen aufzählen, weder der ausgelassenen Streiche, welche die von Natur so lebhafte Frau von Lignoll ausführte, erwähnen. Auch ich war keinesfalls bescheidener oder vernünftiger.

Unsere kindische Freude, unsere komischen Zärtlichkeiten, unser lärmendes Entzücken, unsere pikanten Schelmereien, mussten uns in eine ergötzliche Laune versetzen; wir vergaßen, dass wir beide durch heilige Bande gebunden uns nicht dieser tollen Freude hingeben sollten. Aber kennt die Jugend Schranken? richtet sie sich nach der Strenge der Gesetze, welche die Menschen beherrschen? ich war noch nicht achtzehn Jahre, die Gräfin zählte kaum sechzehn! wir waren beide noch Kinder. Frau von Lignoll hatte ihr Haus nicht für jedermann verschließen lassen. Nachmittags empfingen wir einen Besuch von Frau von Fonrose, die mir Nachrichten von meinem Vater brachte, und von der Marquise von Armincour, der ihre Nichte die Rückkehr des Fräuleins von Brumont zu wissen gethan hatte.

Die gute Tante war entzückt, mich wieder zu sehen, und überhäufte mich mit Komplimenten. Von der größten Achtung gegen mich durchdrungen, hatte sie nicht vergessen, dass ich mit dem ziemlich gewöhnlichen Vorzug, Alles zu wissen, das seltene Talent verband, Alles zu erklären, und dass ich sie bei einer misslichen Angelegenheit kräftig unterstützt hatte, als sie ihrer Eleonore Anweisungen von der dringendsten Wichtigkeit gab.

Die alte Marquise liebte mich so sehr und sagte mir so viel Schmeichelhaftes, dass ich nicht ohne Undankbarkeit ihren Besuch allzu lang finden konnte.

Ich bemerkte, dass die gute Baronin sich alle erdenkliche Mühe gab, die gute Tante mit sich nach Hause zu nehmen. Als sie sah, dass sie sich nicht dazu bewegen ließ, beschloss sie ebenfalls bei uns zu bleiben.

Um Mitternacht zogen sich unsere beiden Gäste zurück und die Freundin der Gräfin wurde wieder ihr Liebhaber.

Ich sage mit Recht die Freundin der Gräfin. Man wusste im ganzen Hause, dass ich nicht mehr ihre Gesellschaftsdame war.

Übrigens glaube ich, dass bei Gelegenheit jeder gute Edelmann, ohne sich etwas zu vergeben, eine Anstellung unter solchen Bedingungen annehmen könnte, wie ich. Morgens der Toilette der gnädigen Frau vorzustehen, mittags in ihrem Boudoir zu plaudern, vor der Nachmittagsruhe ihr vorzulesen, oder zu wachen, dass ihr Ruhe nicht gestört werde; dann beim Speisen an ihrer Seite sitzen, des Abends sie in ihr Schlafzimmer zu begleiten, daran finde ich nichts, was man für zu schwierig halten könnte.

Was mich anbelangt, so weiß ich wohl, dass ich die verschiedenen Pflichten, die meine Stelle mit sich führte, mit großem Vergnügen erfüllte, und ohne eine Verunehrung meines Adels zu fürchten.

In jeder Hinsicht befand ich mich bei Frau von Lignoll so gut wie zu Hause. Von Zeit zu Zeit überkam mich die Sehnsucht meine Sophie zu sehen und zu umarmen.

Obwohl seit unserer Trennung nur zwei Tage vergangen waren, so fühlte ich doch das Bedürfnis, meinen Vater wieder zu sehen und von ihm einige wichtige Nachrichten zu erhalten.

Es geschah aus Liebe zu meiner Frau, dass ich gegen Tagesanbruch mit meiner Freundin einen ernstlichen Streit anfing.

»Ich glaube, Du weinst,« rief die Gräfin verwundert; »was hast Du denn?«

Ihr gestehen, dass ich der Abwesenheit Sophiens diese Thränen widmete, wäre eine wahre Grausamkeit gewesen; ich wollte mir lieber eine Lüge erlauben.

»Ich bin deswegen traurig, liebe Eleonore, weil ich Sie in einigen Stunden verlassen muss.«

»Mich verlassen! was wollen Sie denn machen?«

»Einen Besuch.«

»Bei wem?«

»Nicht bei meinem Vater, denn er würde mich zurückhalten, und ich will wieder zu Ihnen zurückkommen; aber bei meiner Schwester.«

»Bei Deiner Schwester! mein lieber Freund, das hat keine Eile.«

»Ich kann es heute nicht unterlassen.«

»Du kannst nicht?«

»Nein, meine theuere, geliebte Freundin.«

»Nun gut! ich gehe mit Dir.«

»Welcher Einfall! uns zusammen auf der Straße von Paris zu zeigen! wenn man mich erkennte?«

»Wir lassen die Vorhänge herunter.«

»Gut, muss man aber nicht immer aus- und einsteigen? und dann wie ist es möglich, dass ich Dich in dieses Kloster, wo meine Schwester sich befindet, führe, was würde man glauben, was vermuthen?«

»Ich werde Dich am Thore erwarten.«

»Ach, nein, nein!«

»Sie wollen nicht?«

»Ich wollte es von Herzen gern; aber –«

»Sie hintergehen mich.«

»Liebste Freundin, kannst Du dies glauben?«

»Ich glaube es; Sie sinnen auf eine Untreue.«

»Eleonore –!«

»Sie gehen nicht zu Ihrer Schwester, sondern zu dieser unwürdigen Marquise, oder vielleicht zu dieser kleinen Thörin von Montdesier.«

»Meine liebe Eleonore!«

»Aber wenn Sie Rendezvous haben, so werden Sie dieselben verfehlen, denn ich verbiete Ihnen auszugehen.«

»Sie verbieten es mir?«

»Ja, ich verbiete es Ihnen.«

»Madame, führen Sie diesen Ton gegen Herrn von Lignoll, so lange er es erlauben will! was mich betrifft, so erkläre ich Ihnen, dass ich ihn nie dulden werde, und dass ich sogleich ausgehen will.«

»Und ich, mein Herr, erkläre Ihnen, dass Sie nicht ausgehen werden.«

»Ich werde nicht ausgehen?«

»Nein, sage ich!«

»Ah! wir werden sehen.«

Ich machte eine Bewegung, um mich aus dem Bette zu stürzen; sie hielt mich mit der rechten Hand an den Haaren, und mit der linken zog sie so heftig an ihrer Klingelschnur, dass sie dieselbe abriß. Erschreckt sprangen ihre Frauen vor ihre Thüre. Sie rief ihnen zu:

»Man sage dem Schweizer, dass er das Hotel ganz verschlossen halte und keine der Frauen von meinem Hause hinausgehen lasse.«

Diese Art, einen Geliebten zurückzuhalten, schien mir so neu, dass ich nicht umhin konnte, zu lachen; meine Heiterkeit gefiel der Gräfin, die ebenfalls zu lachen anfing. Einige Minuten verstrichen in dieser Stimmung, dann standen wir auf; und als ich angekleidet war, fing der Streit auf's neue an.

»Eleonore, ich gehe; ich gebe Dir mein Ehrenwort, dass ich vor zwei Stunden wieder bei Dir bin.«

»Fräulein Brumont, ich gebe Dir mein Ehrenwort, dass mein Schweizer Dich nicht aus dem Hause lässt.«

»Wie! ist das Ihr Ernst, Madame?«

»In allem Ernst, mein Herr!«

»Frau Gräfin, ich werde den Ausgang nicht zu erzwingen suchen, weil Sie sichtbar bloßgestellt würden, wenn ich zu Ihrer Unvorsichtigkeit eine neue hinzufügte; aber erinnern Sie sich der Gewalt, die Sie mir anthun, bedenken Sie, dass Sie nicht immer die Macht haben werden, Ihren Liebhaber gegen seinen Willen bei sich zu behalten, und dass er, einmal frei, sich vielleicht lange nicht mehr dem Joche unterziehen wird, das Sie ihm schwer gemacht haben.«

»Ach! der Unwürdige! er droht, mich zu verlassen! – Faublas, wenn Du nicht zurückkommst, so werde ich Dich aufsuchen; ich werde zu allen Deinen Geliebten gehen, zu dieser Frau von Montdesier, um sie zu beohrfeigen; zu der Marquise, um Dich von ihrem Gemahl zurückzufordern; sogar zu Deiner Frau, wenn es nöthig, um ihr zu erklären, dass ich auch Deine Frau bin, dieser Herr von Lignoll hat sich bloß mit meinem Vermögen vermählt.

»Nur Du hast mich wirklich geheiratet, mein Freund, Du weißt es ja. Warum willst Du mich verlassen und eine Untreue an mir begehen? so lange Du in der Bastille warst, hatte ich mit niemanden Rendezvous; ich konnte nichts als nach Dir rufen und seufzen.

»Erwartet Dich Frau von B..., die Du mir vorziehst? ist sie schön? ich bin auch hübsch. Hat sie Geist? daran fehlt es mir auch nicht; liebt sie Dich sehr? ich liebe Dich noch mehr, ich bin jünger, frischer, liebenswürdiger, jeder sagt es mir, dass ich liebenswürdig und reizend bin, ich sage es Dir auch. Du lachst, Faublas? bleibe bei mir, mein lieber Freund! ich verspreche Dir, dass der heutige Tag uns nicht weniger kurz erscheinen wird, als der gestrige.«

»Dies Alles ist vergebens, Madame! Sie halten mich mit Gewalt auf, aber sorgen Sie dafür, dass Ihr Gefangener Ihnen nicht entspringt; denn wenn er seine Kette verlässt, so wird er sie zerbrechen!«

»Sie wagen noch zu drohen? oh! Sie wissen nicht, wessen ich fähig bin. Setzen Sie meinen Muth auf die Probe und Sie werden sehen. Treuloser! ich werde Sie überall verfolgen, ich überrasche Sie bei einer Nebenbuhlerin, ich tödte dieselbe, ich tödte Sie, ich tödte mich, und in meinen letzten Augenblicken beweise ich Ihnen wenigstens noch, dass ich Sie anbete, Undankbarer, der Sie sind! Große Götter, ich fühle es wohl, dass ich dem Wahnsinn nahe bin, und im Stande das größte Unglück zu begehen, ich kenne mich nicht mehr. Faublas, mein Freund, sei nicht böse, gehe nicht. Du sprichst kein Wort, Du stoßest mich zurück. Ach! ich bitte Dich, verzeihe mir. Sieh, ich weine, ich liege auf den Knieen.«

Ich wurde erweicht; ich hob sie auf, ich tröstete sie, wir reichten uns die Hände, wir kapitulierten. Ich setzte durch, dass das an den Schweizer erlassene Verbot, wodurch ich in Haft gehalten war, auf der Stelle aufgehoben wurde; sie dagegen setzte durch, dass ich nicht ausging.


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