Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Zweiter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Viertes Buch

I. Kapitel

Die erhabene Ceremonie gieng zu Ende. In einer Rede, die mir lang geschienen, hatte der Prediger uns Tugenden empfohlen, die mir nicht schwer däuchten.

Sophie nannte mich ihren Gatten; mein Mund wiederholte Sophien einen Schwur, den mein Herz sprach, als das heilige Gewölbe von einem herzzerreißenden Schrei widerhallte. Alle wendeten sich entsetzt um. Bereits fern von den erstaunten Zuschauern hat sich ein junger Mensch, von dem ich nichts bemerkte als seine blaue Uniform, gegen die Thüre der Kirche gestürzt. Einige Augenblicke vorher hatte man ihn schnell hereintreten, trotzig die Menge theilen und in der größten Aufregung auf den Altar zugehen sehen. Seine Blicke fielen auf Sophie; mit trauriger Stimme sagte er:

»Sie ist es also!« und stieß dann jenen Schrei aus, der mir das Herz erschütterte. Voll Unruhe und Neugierde will ich mich auf ihn stürzen, mein Vater vertritt mir den Weg und hält mich auf; aber mein edelherziger Freund, mein treuer Genosse in Waffen und Liebe, freier als ich und vielleicht weniger bestürzt, eilt sogleich dem Unbekannten nach. Während der augenblicklichen Unruhe, die dieser sonderbare Vorfall erregt, neigt sich Sophie gegen mein Ohr und sagt mit zitternder Stimme zu mir:

»Mein Freund, habe Acht auf mich.«

Ich wollte ihr antworten, ich wollte sie fragen, als Herr Duportail, den die allgemeine Verwirrung einen Augenblick zerstreut, die Bewegung seiner Tochter aber, die ihm nicht entgangen war, sogleich wieder aufmerksam gemacht hatte, schnell den Platz neben ihr wieder einnimmt, den er vielleicht bereut, auf einige Sekunden verlassen zu haben. Ich sehe ihn einen strengen Blick meiner ängstlichen Gemahlin zuwerfen, die erblassend die Augen niederschlägt. Eine Menge grausamer Betrachtungen zerquälen mein Gehirn in den wenigen Augenblicken, die der Priester braucht, um die Ceremonie zu vollenden.

»Wie, Derneval, mein Freund, wie! so schnell umgekehrt! dieser junge Mensch, kennen Sie ihn? wer ist er? was will er? was hat er Ihnen gesagt?«

»Mein lieber Faublas, seine Leute hielten ihm vor dem Kloster ein Pferd bereit; er war am Ende der Straße, ehe ich die Kirchenthüre erreicht hatte.«

»Und Sie wissen nicht, was aus ihm geworden ist?«

»Mein Freund, er ritt im Galopp davon, und ich war zu Fuß; gerne hätte ich mich in den Wagen geworfen, der Frau von Faublas hierher brachte; allein der ungefällige Kutscher wollte nicht fahren.«

»Derneval, Sie wissen nicht, wie unruhig ich bin. Versprechen Sie, uns heute nicht zu verlassen, reisen Sie nicht ab vor morgen!«

»Morgen? wenn heute meine Verfolger auf meiner Spur wären!«

»Ihre Gefahren sind möglich, aber die meinen sind unvermeidlich. Seit der gestrigen Scene hat sich Lowzinski seiner Tochter bemächtigt, die ich erst heute vor dem Altare wieder gesehen habe. Kaum hat man gestattet, dass ich ein Wort an sie richtete, jede Antwort schien ihr untersagt; nur an den Stufen des Altars zu den Füßen des Ewigen hat sie mir die Versicherung ihrer Treue wiederholen können; erst als sie meine Frau war, durfte ich ihr schwören, dass ich sie ewig anbeten werde. Derneval, betrachten Sie Lowzinski, sehen Sie sein düsteres, herzensvolles Gesicht, seinen misstrauischen, beobachtenden Blick; gleicht er wohl jetzt einem guten Vater, der sich freut, seiner Tochter den gewünschten Gatten gegeben zu haben? sagen Sie mir, ist dies die edle, stolze Haltung eines Mannes, der sich beleidigt fühlt, aber verzeihen will? und meine theuere Dorliska, meine schöne Sophie? welchen Eindruck tiefer Treue sehe ich auf diesem himmlischen Gesichte, das der Gedanke des höchsten, nunmehr auch erlaubten Glückes verschönern sollte! und in ihren umwölkten Augen eine Thräne, die sie mit Mühe zurückhält! was kann denn ihr Glück stören? was kann einen Tag der Freude zum Tag der Trauer für sie machen? welche Besorgnis oder welche Reue? – dieser junge Mensch, woher kommt er? woher kennt er sie? – was hat er hier zu thun? ein schrecklicher Verdacht zerreißt mein Herz. Doch nein, Sophie kann mich nicht verrathen! so wird sie denn als Opfer eines Verrathes unterliegen!

»Sie ist es also!« waren seine Worte.

»Habe Acht auf mich!« hat meine Sophie zu mir gesagt. Aber wie sie vertheidigen? wer sind unsere Feinde? auf welche Gefahren muss ich mich vorbereiten? Derneval, ich beschwöre Sie bei unserer Bruderschaft, verlassen Sie mich nicht in diesen kritischen Umständen. Wenn Sie mich jetzt verlassen, bin ich verloren. Die Pläne unserer Feinde sind in tiefe Finsternis gehüllt, meine Kräfte sind durch eine schreckliche Ungewissheit gelähmt. Wie soll ich Komplotten begegnen, die ich nicht kenne? und unter all' den Unglücksfällen, die ich ahne, wie denjenigen errathen, der mich zuerst treffen wird?«

Ich hörte nicht auf Dernevals Antwort; denn bereits gieng Sophie, fortwährend von ihrem Vater begleitet, wieder zur Kirche hinaus.

»Mein Freund, kommen Sie nicht?« sagte sie und in ihrem zärtlichen Blick lag ein so starker Ausdruck des Schmerzes, in der Biegung ihrer sanften Stimme ein so unverkennbarer Kummer, dass sich meine tödtliche Unruhe auf's furchtbarste steigerte.

Wir kommen in's Kloster. Geschieht es aus Zerstreuung, oder aus Unhöflichkeit, dass Lowzinski, ohne weder auf Dorothea, noch auf meinen Vater Rücksicht zu nehmen, seine Tochter zuerst in den Wagen steigen lässt, und sich plötzlich an ihre Seite setzt? Während ich mir diese Frage vorlege, schließt Lowzinski rasch den Wagen, und der Kutscher treibt die Pferde mit kräftigen Peitschenhieben zum rasendsten Galopp an. Der rasch dahin rollende Wagen ist weit entfernt, bevor einer von uns sich aus der Betäubung erholen kann, in welche die plötzliche Flucht Alle versetzt. Ich erwache zuerst: schneller als der Blitz stürze ich fort. Die Größe des Verlustes, den ich erleiden soll, die Hoffnung, das theuere Gut, mein geliebtes, angebetetes Weib wieder zu gewinnen, das man mir entreißt, steigert meine natürliche Behendigkeit zu einer außerordentlichen; ich fühle mehr als menschliche Kraft in mir; bald werde ich den Wagen erreichen, bald meine Gemahlin ihrem Vater entreißen.

Aber ach! Derneval und mein Vater sind zu schnell für mich aus ihrem Erstaunen erwacht und ihre lärmende Thätigkeit wird für mich unseliger werden, als die verhängnisvolle Unbeweglichkeit, in der ich sie verlassen habe.

Beide folgen mir von ferne und rufen aus Leibeskräften:

»Halt!«

Ich laufe so schnell, dass ich nicht rufen kann.

Mehrere Soldaten gehen vorbei; da sie mich allein und schweigend dahineilen sehen, so glauben sie, ich sei der Verfolgte. Sogleich bildet sich ein Kreis und ich bin umringt; ich will mich erklären, ich spreche französisch, es sind Deutsche! In Verzweiflung, nicht verstanden zu werden und eine so kostbare Zeit mit eitlen Reden zu vergeuden, versuche ich den Kreis zu sprengen; allein was vermag einer gegen zehn? mein Widerstand reizt sie; sie misshandeln mich. Es waren bloß Stöße, die ich kaum spürte, allein ich hörte das dumpfe Rollen des Wagens bereits in größerer Ferne und jede Umdrehung des Rades war mir ein Dolchstich in's Herz.

Während ich mich so abkämpfte, werfe ich einen schmerzlichen Blick auf die Straße und unterscheide in der Ferne kaum eine schwache Staubwolke. Dann von tödtlicher Verzweiflung ergriffen, fühle ich meinen Muth erlahmen und meine Kräfte schwinden; jetzt geht in der ganzen so erschütterten Maschine die schnellste und schrecklichste Erschütterung vor. – Ich falle bewusstlos nieder zu den Füßen der Unmenschen, die mich aufgehalten haben, zu den Füßen meines Vaters und meiner Freunde, die mich endlich erreicht haben. Ich falle.

»Ach! Sophie, meine Seele folgt Dir!«

Unglücklicher Chevalier, wo warst Du! als Du wieder zur Besinnung kamst?

Auf einem Krankenlager. Der Baron wachte an meinem Kopfkissen, das er mit seinen Thränen benetzte.

»Sophie,« war das erste Wort, das ich sprach, als ich wieder zur Besinnung kam.

»Sehen Sie, wie die Arzenei schon ihre Wirkung gemacht hat,« sagte ein kleiner Mann, den ich hinter dem Baron bemerkte.

»Der Anfall ist vorüber, morgen ist der vierte Tag.«

»Wie, mein Herr! ich bin erst seit drei Tagen hier?«

»Mein Vater! es ist erst drei Tage, dass Sie mir Sophie entrissen haben?«

»Ja, mein Sohn,« antwortete er traurig, »drei Tage sind verflossen, seit Dein trostloser Vater darauf wartet, dass Du ihn erkennst und seinen Namen nennst.«

»Ach, verzeihen Sie! ich bitte hundertmal um Verzeihung! ... aber Sie wissen nicht. Sie können nicht begreifen, welche ungeheuere Last auf meinem Herzen liegt, wie sehr ich mich durch das Gewicht meines Unglücks niedergedrückt fühle.«

»Dies mein Sohn, ist die gewöhnliche Wirkung der Leidenschaften, die eine irregeführte, unbesonnene Jugend bethört. Sie haben zuerst Deine Seele im Schoße der Vergnügungen eingewiegt, jetzt geben sie Dich kraftlos den Schlägen des Unglücks preis.

»Gott bewahre mich davor, dass ich Dich jetzt so grausam behandeln wollte, Dir Deine Fehler vorzuwerfen. Das Schicksal hat Dich grausam dafür bestraft! Du hast eine Unterstützung nöthig, und Hilfe gedenke ich Dir zu bringen. Mein Sohn, höre meine Stimme, achte auf meine väterlichen Trostworte! höre einen zärtlichen Freund, den Deine Leiden unglücklich machen, einen besorgten Vater, der für Dich fürchtet! Deine Sophie gehört Dir, niemand kann sie Dir rauben. Duportail hat, indem er sie in die Kirche führte, alle seine Rechte auf sie verloren.

»Mein Sohn, wir wollen sie suchen. Wo wir sie auch entdecken mögen, ich verspreche Dir, nichts zu vernachlässigen, um sie aus ihrer Verborgenheit hervorzuholen; ich verspreche Dir, Du sollst Deine Frau wiederbekommen.

»Du, mein Sohn, rufe Deinen Muth zu Hilfe, erschließe Dein Herz der Hoffnung, habe Einsicht, erwäge meinen großen Kummer und gib mir meinen Sohn wieder.«

»Ja,« fiel der kleine Mann ein, »ich will trachten, ihn so bald als möglich zu heilen; zu was wäre dann die Heilkunde, zu was unsere Wissenschaft, wenn wir es nicht zu Stande brächten, ein so zerstörtes Gemüth wieder in sein normales Geleise zu bringen? Ich will der Welt beweisen, was ein kluger Arzt, der sich durch kein Mittel von der rechten Bahn ableiten lässt, zu vollbringen mag.«

»Ach, mein Vater, ich werde Ihnen zweimal das Leben verdanken.«

»Und ich, mein Herr?« versetzte der kleine Mann, »glauben Sie mir nichts zu verdanken müssen?«

»Mein Vater, weiß man doch wenigstens, was aus Sophie geworden ist?«

»Mein Sohn, Derneval und Dorothea sind vorgestern abgereist und haben versprochen, Nachforschungen anzustellen.«

»Meine Herren,« sagte der kleine Mann mit ernster und fast strenger Miene, »dies ist eine Unterhaltung, die Sie gütigst abbrechen müssen. Wir werden diesen jungen Menschen heilen, da er fast außer Gefahr ist und schon ganz vernünftig spricht; aber er soll schweigen und seinen Trank fortsetzen! morgen wird Alles gut gehen, und er kann vielleicht weiter gebracht werden.«

So sprechend, füllte der kleine Mann eine Tasse und brachte sie vor mein Bett, er forderte mich im süßlichen Tone auf, die wohlthätige Arzenei zu trinken. Ein feuriger Liebhaber, dem man eine Tasse Heiltrank bringt, wenn er nach seiner Geliebten, die man ihm vor seinen Augen entführt hat, fragt, kann wohl eine Bewegung der Ungeduld in sich fühlen und nicht besonders höflich sein.

Ich ergriff hastig das Gefäß und leerte es schnell über den Kopf meines Aesculaps. Die dicke Flüssigkeit lief über sein langes Gesicht hinab und benetzte seinen mageren Leib.

»Ach, ach!« sagte der kleine Mann, seine runde Perrücke und sein kurzes Röckchen abtrocknend, in ruhigem Tone, »er deliriert noch! aber Herr Baron, haben Sie deswegen keine Sorgen; er setze seinen Trank fort! nur haben Sie die Güte, ihm denselben allein zu reichen, weil, da Sie sein Vater sind, er vielleicht nicht wagen wird, denselben Ihnen in's Gesicht zu schütten.«

Der beste Arzt ist derjenige, der unsere Leidenschaften kennt und ihnen zu schmeicheln weiß, wenn er sie nicht heilen kann. So wirkten die Versprechungen des Barons weit kräftiger auf meine Wiedergenesung, als die beste Arzenei, die der kleine Mann mir hätte vorschreiben können.

Am anderen Morgen fühlte ich mich besser und wurde, wie man mir den Tag zuvor angekündigt, weiter geschafft.

Wir giengen in das Dorf Hollrip, zwei Meilen von Luxemburg, und bezogen dort ein bürgerliches Haus, das mein Aesculap vor ganz kurzer Zeit gekauft hatte. Man hatte dem Baron diesen abgelegenen Ort angerathen. Die Ruhe desselben, seine ländliche Heiterkeit, die Reize des Landlebens, die Bewegungen im Freien: dies alles, hatte man mir gesagt, würde wohlthuende Zerstreuungen oder nützliche Beschäftigungen bringen.

Hier könnte ich ohne alle Gefahr eine gesunde Luft einathmen und in einem großen Garten mir eine mäßige Bewegung verschaffen. Mein Vater hatte auch in Betracht gezogen, dass wir in einem unbekannten Dorfe besser verborgen sein würden, und zu der vielleicht überflüssigen Vorsicht der Ortsveränderung hatte er die ohne Zweifel nothwendigere Namensveränderung hinzugefügt. Er hieß Herr von Belcourt, ich Herr von Noirval.

Der Kammerdiener des Barons und mein treuer Jasmin bildeten unsere Dienerschaft. Seine übrigen Leute hatte mein Vater auf verschiedenen Straßen ausgesandt mit dem doppelten Auftrag, Lowzinski zu suchen und über unsere Sicherheit zu wachen.

In der neuen Wohnung, die er für uns ausersehen, angekommen, untersuchte Herr von Belcourt alle Zimmer, um das bequemste und ruhigste für mich einräumen zu lassen.

Der Arzt, Herr Desprez, machte uns auf einen kleinen Pavillon zwischen dem Hof und dem Garten aufmerksam.

Er sagte uns, im ersten Stockwerk befinden sich drei sehr freundliche Zimmer, allein der letzte Eigentümer habe sich wegen der Gespenster genöthigt gesehen, sie zu verlassen.

»Noirval,« antwortete mein Vater lächelnd, »fürchtet die Geister nicht, er hat jetzt seine Pistolen; wenn er einmal weiter hergestellt ist, so wird er auch seinen Degen bekommen.«

Man setzte mich also in den Besitz eines der drei Zimmer; Jasmin bemächtigte sich mit Vergnügen eines der beiden andern und versprach, auch das dritte gegen die Geister zu schützen.

Herr von Belcourt nahm seine Wohnung in einem ansehnlicheren Flügel des Hauses, der gegen die Straße lag.

Die Nacht kam, die Geister zeigten sich nicht; sie ließen mich allein mit meinen traurigen Betrachtungen.

»Oh, meine Sophie, oh, mein anbetungswürdiges Weib, wie viele Thränen weihte ich der Erinnerung an Dich!«

Wohin hatte ihr Vater sie geführt? warum hatte er mir sie entrissen? welcher mächtige Beweggrund konnte ihn zu diesem gefährlichen Äußersten reizen, den von Natur gefühlvollen und sanften Lowzinski, dessen Herz die unwiderstehlichste Gewalt einer großen Leidenschaft, die man umsonst bekämpft, empfunden hatte? konnte der trauernde untröstliche Gemahl Lodoiska's ein grausamer Vater sein? hatte überdies eine rasche Vermählung nicht das wieder gut gemacht, was er meine Verirrung nannte? was konnte die Ehre seines Hauses, die ich ohne meinen Willen gefährdet, mehr verlangen? endlich, hatte er nicht eben meinen Vergehungen das unverhoffte Glück zu verdanken, seine anbetungswürdige Tochter wieder gefunden zu haben? und der Undankbare wagte es, sie mir zu rauben! und der Unmensch scheut sich nicht, sie aufzuopfern!

Dorliska, meine unglückliche Dorliska! o, meine Sophie! wo soll ich Dich wiederfinden, wohin mich wenden, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie Du getrennt von mir, dem Du Alles geopfert, leben kannst?

So waren die Vorstellungen, die in der Stille der Nächte meinen Schmerz nur vergrößern konnten.

Der Tag brach an, er brachte mir einige Ruhe, und mein gequältes Herz begann mit mehr Entschlossenheit sich zu wappnen.

Mein Vater, der immer vor Tagesanbruch aufstand, wiederholte mir ohne Unterlass seine Versprechungen; er sprach von den Mitteln, die er gemeinschaftlich mit mir anzuwenden dächte, um meine Gattin wiederzufinden, und rettete mich davor, eine unbedachte, ja eine verzweifelte That zu begehen.

Durch einen ihrer unveränderlichsten und wohlthätigsten Rathschlüsse der Natur, hat sie die Leichtgläubigkeit dem Unglück als Gefährtin beigegeben. Selten verlässt die Hoffnung einen unglücklichen Sterbenden, und je größer seine Leiden sind, um so leichter lässt er sich überzeugen, dass sie bald zu Ende gehen werden.

Von einem beunruhigenden Verdacht gequält, fragte ich zuweilen meinen Vater, was er von dem jungen Menschen dächte, dessen Klageschrei ich noch zu hören glaubte.

Herr von Belcourt wusste mir nicht zu antworten, wenn ich ihn bat, mir zu sagen, wie dieser Unbekannte uns habe nach Luxemburg folgen können, welche Absicht ihn dorthin geführt, um welche Zeit er Sophie kennen gelernt, und warum Sophie mir nie von ihm gesagt habe.

Bisweilen fielen auch meine Gedanken minder traurig auf die Masse von Begebenheiten, die mein sechzehntes Jahr ausgefüllt hatten; es machte mir Vergnügen, einige Augenblicke jener interessanten Schönheit zu weihen, die mir den Anfang meiner Laufbahn mit so vielen Blumen bestreut, so angenehm gemacht hatte.

Arme Marquise! was ist aus ihr geworden? – vielleicht ist sie von ihrem erzürnten Gemahl eingesperrt! vielleicht sogar todt! – konnte ich einer Frau, deren einziger Fehler darin bestand, dass sie mich zu sehr liebte, einige Thränen versagen?

Auch darf ich nicht unerwähnt lassen, dass mein lieber Doktor, Herr Desprez, mir fortwährend heilsame Zerstreuungen verschaffte. Jeden Morgen fragte er mich, ob ich nicht von einem Gespenst beunruhigt worden sei, was mich sehr belustigte, denn seine furchtsame Miene verlieh seinem ganzen Wesen etwas so komisches, dass ich mich nur mit größter Mühe enthalten konnte, dem guten Manne nicht ins Gesicht zu lachen, und das wollte ich denn doch nicht thun, da er sich mit der ganzen Hingebung um mein leibliches Wohl kümmerte.

Er empfahl mir jeden Abend die treffliche Tisane fleißig zu nehmen; aber trotz meiner dringendsten Bitten konnte er sich nicht entschließen sie mir zu reichen. Ich wunderte mich, dass mein Vater mir einen so sonderbaren Arzt gewählt hatte, der an nichts als an seine Tisane und an Gespenster glaubte.

Mein Vater erklärte mir dies Räthsel, als ich ihn darüber befragte. Der geschickteste Arzt von Luxemburg, den er gleich anfangs über meinen Zustand zu Rathe gezogen, hatte die Arznei und die nöthige Diät verordnet.

Herr Desprez hatte auf die Nachricht, dass man den Kranken auf's Land bringen wolle, sobald sein Zustand es erlaube, seit drei Tagen meinem Vater seine Dienste und sein Haus angeboten.

Der erste Arzt hatte, so sehr er den Ort billigte, den er kannte, die demüthigende und gefährliche Konkurrenz eines modernen Mitbruders, den er nicht kannte, verworfen, und um die Nebenbuhler zu vereinigen, bediente sich mein Vater der ärztlichen Hilfe des einen und der Wohnung des andern.

Dem berühmten Arzt in Luxemburg lag meine Behandlung ob; der obskure Doktor von Hollrip hatte kein anderes Verdienst, als dass er sein Haus sehr theuer an uns vermietete.

Es stand bei mir, seine Geister zu fürchten, aber von seinen Verordnungen hatte ich nichts zu besorgen.

Indes waren mehr als acht Tage verstrichen, bis wir endlich einigermaßen beruhigende Nachrichten erhielten.

Dupont, derjenige von unseren Leuten, den mein Vater auf die Straße von Paris geschickt hatte, schrieb, er habe bei seiner Abreise von Luxemburg auf der ersten Poststation erfahren, dass man hier einem Manne von gesetztem Alter, der in Gesellschaft eines jungen verweinten Mädchens gereist sei, Pferde gegeben habe. In der Überzeugung, dass dies meine Gattin und mein Schwiegervater seien, hatte Dupont sie bis in die Gegend von Saint-Menehould verfolgt, wo er unglücklicherweise durch einen Sturz vom Pferde den Schenkel brach. Dieser Unfall hatte ihn gehindert, uns diese wichtige Nachricht früher mitzutheilen.

Mein Vater, der geschickt Alles zu ergreifen wusste, was meiner Hoffnung schmeicheln konnte, bemerkt sogleich, dass unsere Nachforschungen jetzt leichter geworden seien, indem sich der Gegenstand derselben in den Grenzen des Königreiches, oder wohl gar innerhalb der Mauern der Hauptstadt befinde.

»Lowzinski,« fügte er hinzu, »hat richtig erwogen, dass er ohne große Gefahr nach Paris zurückkehren könne, wo man ihn wenig kennt, indem, wenn wir auch seinen Aufenthalt entdeckten, es nicht wagen würden, ihn dort zu beunruhigen.«

»Ich werde es wagen,« rief ich mit Enthusiasmus aus, »ich werde es wagen, mein Vater, und bald umarme ich dann meine Sophie.«

Am selben Tage kam ein Brief vom Grafen Rosambert, welchem mein Vater unsere Wohnung und Namensveränderung und die Einzelnheiten meines unseligen Abenteuers bekannt gemacht. Der Graf, der immer noch in dem Zufluchtsort, den er gewählt, sich befand, war beinahe schon ganz hergestellt und gedachte uns nun bald zu besuchen und mich zu trösten.

Er schickte in das Kloster, um von Adelheide näheres zu erfahren; denn unsere Abwesenheit beunruhigte das arme Mädchen sehr, und sie fühlte sich sehr gekränkt durch unsere Theilnahmslosigkeit für ihre Person.

Der Marquis war nicht todt; Rosambert sagte kein Wort im Betreff der Marquise von B... Das Stillschweigen, welches er für eine zu unglückliche und zu liebenswürdige Frau zur Schau trug, über deren ungewisses Schicksal er im Zweifel war, musste meine Neugierde im höchsten Grade erregen.

Nichts weniger war ich überrascht, dass er mir nicht auch zu gleicher Zeit geschrieben, wo er mit meinem Vater im Briefwechsel stand; aber, indem ich darüber reiflicher nachdachte, errieth ich, dass mein Vater, der mich für den Augenblick nicht gerne mit dieser Korrespondenz beschäftigt sah, seine Briefe unterschlug.

Wenn die Nachrichten, die ich soeben erhielt, mich auch nicht ganz trösten konnten, so beruhigten sie mich doch einigermaßen.

Meine Wiedergenesung begann.

Der kleine Doktor schrieb der Liebe und Natur das Verdienst dieser schnellen Heilung zu, um die ganze Ehre der kräftigen Tisane, die ich so selten trank, zuzuwenden. Nur etwas macht ihn glauben, dass irgend eine gütige Gottheit über unserem Geschick wache. Die Gespenster hatten mich noch nicht beunruhigt, seitdem wir unsere neue Wohnung bezogen.

Herr Desprez sprach so oft von seinen Gespenstern, dass ich ihn endlich bat, mir zu sagen, was ihn zu diesem ewigen Scherze veranlasse. Sogleich begann er mit ernstem Tone folgende traurige Erzählung:

»Eine kleine Meierei, deren Pächter sich Lukas nannte, befand sich auf demselben Platze, wo wir eben sind, an der Stelle dieses kleinen Gebäudes, welches damals noch nicht bestand.«

»Ihre Folgerung ist treffend, Herr Desprez.«

»Lukas betete sein Weib Lisette an, und Lisette liebte ihren Lukas zärtlich.«

»Aber, mein Gott, Herr Desprez, was sollen mir Lukas und Lisette?«

»Mein Herr, wenn ich einmal eine Geschichte erzähle, so muss ich auch die Personen nennen.«

»Sie haben Recht, Doktor, aber wenn Sie dieselben weniger oft nennen würden, so könnte dies eben nicht schaden.«

»Ich muss erwähnen, dass Lukas noch weit mehr als sein Weib, den Wein liebte, und wenn er getrunken hatte, so wurde er plump, bösartig und grob.«

»Quälen Sie sich nicht, Doktor, ich errathe das übrige.«

»Wenn diese traurigen Thatsachen nicht gewesen wären, dann würde für die unglücklichen Eheleute diese traurige Katastrophe nicht eingetreten sein, von der ich Sie noch zu unterhalten habe.«

»Also die Katastrophe, Doktor!«

»Mein Herr, es war im Jahre 1773, Freitag den 13. Oktober dreizehn Minuten über acht Uhr abends. Lukas, der, als er von der Kufe kam, wo er Wein gepreßt hatte, dreizehn volle Gläser neuen Weines hinunterstürzte. Als er sein Haus erreichte, war er kein Mensch mehr, sondern ein Teufel.

»Lisette erschrak so sehr über den Zustand ihres Mannes, dass sie ihm einen Stoß Teller an den Kopf warf.

»Lukas schlug Lisetten in der ersten Hitze mit einem wuchtigen Weingefäß zu Boden. Als er sie todt sah, dann fühlte er plötzlich, wie sehr er sie geliebt hatte. Er warf sich wie wahnsinnig auf den Leichnam, raufte sich die Haare aus, und wurde sich dessen bewusst, welch' grässliches Verbrechen er begangen.

»Endlich stand er auf, gieng gerade auf seine Kufe zu; mit gekreuzten Armen ertränkte er sich in derselben, indem er zuerst langsam den Kopf hineinsteckte. Man zog ihn todt heraus.«

»Ach, Doktor, das ist eine traurige Geschichte.«

»Ich habe sie nicht erdacht, mein Herr, es ist die Sage des Landes. Aber hören Sie, was erfolgte.

»Die Justiz erfuhr die Sache mit Entrüstung, die Gebäude wurden niedergerissen und die Güter versteigert.

»Der Käufer befand sich schlecht dabei, er wagte es nie, dieses kleine Haus zu bewohnen, und der Grund davon ist der: Jedes Jahr, zur Zeit der Weinlese, entsteht des Nachts im Innern des Hauses ein entsetzliches, verworrenes Getöse; man glaubt, das Geklirr der Teller und das Schlagen des Weingefäßes zu hören; das Geächze einer Sterbenden ist zu vernehmen.«

»Wirklich, eine schöne Geschichte, Herr Desprez! ich bitte Sie, erzählen Sie sie Niemanden und überlassen Sie mir den ausschließlichen Besitz derselben; ich will, wenn ich wieder nach Paris komme, für die Opera Comique ein hübsches, sehr lustiges Drama daraus machen.«

Gewiss, dieser Plan war edel und großartig, aber wie man in der Folge sehen wird, hatte ich, als ich wieder nach Paris kam, die Hände so voll zu thun, dass ich mich mit der Ausführung desselben nicht befassen konnte.

Hatte die Schreckensgeschichte des gläubigen Doktors mein Gehirn ein wenig verrückt, dies werde ich meinem Leser anheimstellen, ich will es seinem Scharfsinne zu entscheiden geben, ich aber will mit aller Naivität erzählen, was ich am andern Morgen zu fühlen und zu sehen glaubte.

In einem Traum, der ungefähr zwei Stunden währte, sah ich fast unaufhörlich meine Sophie. Die Marquise von B... zeigte sich in kurzen Zwischenräumen ... und nur ein einzigesmal glaubte ich jenes reizende, liebliche Geschöpfchen, von dem ich schon früher erzählt hatte, diese undankbare Justine zu sehen. Ich kann nicht recht sagen, welche von den drei Schönheiten mich umarmte, aber was ich bezeugen kann, ist, dass ich umarmt wurde, ich wurde es, und zwar, so gut, so wahr, dass es alle drei zusammen nicht besser hätten machen können.

Ich fuhr schnell vom Schlafe auf, der Tag begann zu grauen.

Ich fühlte auf meinen brennenden Lippen den lebhaften Eindruck eines feurigen Kusses; die Vorhänge meines Bettes bewegten sich, ich stand hastig auf und komme mit drei Sprüngen im ganzen Zimmer herum, in welchem sich ein abgebrochener heller Laut vernehmen ließ, aber alles ist wohl verschlossen und ganz ruhig.

Bin ich denn närrisch? haben die Liebe und die Gespenster mir den Kopf verdreht?

Als mein Vater und Herr Desprez in mein Zimmer traten, war ich von dem erhaltenen Kuss noch so aufgeregt, dass ich ihnen erzählte, ein Gespenst habe mich geküsst.

Mein Vater lächelte und vermuthete jetzt meine völlige Wiederherstellung.

Der Doktor schien entzückt, rieth mir jedoch einige stärkende Mittel an.

Diejenigen, die nicht an Geister glauben, werden sich sehr wundern, zu vernehmen, dass ich nach zwei Nächten wieder auf dieselbe Art aufgeweckt wurde; ich hatte dieselbe Empfindung, ich hörte denselben Laut, ich stellte in meinem Zimmer abermals die genaueste Untersuchung an, aber ohne Erfolg; jetzt konnte ich nicht anders glauben, als dass sich mit meinen Kräften bereits die ganze Glut meiner Phantasie wieder eingestellt habe.

Oh, meine Sophie! seit mehreren Tagen ertrug ich die Ungewissheit über Dein Schicksal und die Qual Deiner Abwesenheit! Ich hörte nicht auf, meine Rückkehr nach Paris zu beeilen.

Mein Vater hatte unglücklicherweise unangenehme Nachrichten erhalten, die der Erfüllung meiner Wünsche unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen schienen; man sprach in der ganzen Hauptstadt von nichts, als von einem Abenteuer und dem Duell, womit es geendet hatte.

Von den zwei Verwandten des Marquis war derjenige, der sich mit Herrn Duportail geschlagen hatte, auf dem Platze geblieben.

Er wurde allgemein bedauert; seine mächtigen und zahlreichen Freunde erhoben gegen uns lebhafte Anklagen.

Ich konnte mich nicht in der Hauptstadt sehen lassen, ohne das Schaffot zu riskieren.

Mein Vater war tief erschreckt über die Gefahr, welche mir drohte und deren Größe ich ebenfalls fühlte.

Ich würde dieser Gefahr tollkühn die Stirne geboten haben, wenn ich gewusst hätte, dass sie das einzige Hindernis meiner Wiedervereinigung mit meiner angebeteten Sophie gewesen wäre; allein ich musste doch vorher den Ort wissen, wo meine unglückliche Gattin seufzte.

Da ich auf den Umkreis unseres Wohnhauses beschränkt war, gieng ich den ganzen Tag mit meinem Schmerz und meiner Langweile im Garten spazieren.

Eines Abends, als ich mich auskleidete, fand ich in meiner Mütze ein sorgfältig zusammengelegtes Billet. Es enthielt die Worte:

»Noirval, schicke Deinen Bedienten weg und lies.«

Ich hieß Jasmin gehen und las:

»Wenn es wahr ist, dass sich der Chevalier Faublas nicht vor Gespenstern fürchtet, so verbrenne er dieses Billet und beobachte heute Nacht ein tiefes Stillschweigen, was ihm auch begegnen möge.«

»Seht doch,« rief ich laut, »dies ist gewiss ein Späßchen vom lieben Doktor!«

Ich verbrannte das geheimnisvolle Papier, löschte mein Licht aus, legte mich nieder und schlief ein.

Doch nur auf kurze Zeit; mein erster, obschon fester Schlaf konnte der wiederholten Berührung einer zarten Hand nicht widerstehen. Ich erfasste diese Hand, welche ich zärtlich küsste.

Gewiss, ich werde wohl allgemein als ein treuloser und flatterhafter Gatte angesehen werden.

Allerdings habe ich beschlossen, nur meine Sophie zu lieben, aber darf ein treuer, zumal sehr niedergebeugter Gatte niemanden die Hand küssen? hatte ich vielleicht Lärm machen sollen, Licht herbeiholen lassen, um eine Frau, denn es war eine Frau, dies errieth ich nach der Zartheit dieser Hand, hätte ich diese Frau in Verzweiflung bringen sollen?

Ich fügte mich also ihrer Grausamkeit und dem strengen Befehl, keinen Laut von mir zu geben.

Sie legte ihre zarte Hand auf meine Stirne. War es nun der Einfluss ihrer Nähe oder der sanfte Druck ihrer Hand, kurz, ich schloss die Augen und schlief von neuem ein.

Als ich die Augen wieder öffnete, begann der Tag zu grauen und ich war allein in meinem Zimmer.

Ich fieng meine schon mehreremale vergeblich angestellten Nachforschungen auf's neue an.

Meine beiden Thüre und meine vier Fenster fanden sich genau verschlossen; in den Wänden war keine geheime Thüre angebracht, im Fußboden kein Schieber, im Plafond kein Einschnitt. Durch welche Oeffnung kam denn das weibliche Gespenst zu mir? Der liebe Doktor hatte weder eine Frau noch eine Tochter; das Haus war nur von Männern bewohnt.

Woher kam doch der Versuchungsgeist, dessen Geschlecht mir recht gut bekannt war? reiste vielleicht Lisette aus der andern Welt in diese, um sich an dem armen Lukas zu rächen?

O, meine Sophie! war es vielleicht in den Sternen geschrieben, dass Dein Gemahl Dir keine drei ganze Wochen lang treu bleiben sollte?

Ich zog über dieses Abenteuer den Grafen Rosambert zu Rathe, von dem ich zu meiner großen Verwunderung immer noch keine direkte Nachricht erhalten hatte. Der Brief, den ich an ihn geschrieben hatte, war mehrere Seiten lang.

Auf den ersten Seiten war in der That nur von meiner Sophie die Rede, auf den übrigen hatte ich die unbegreifliche Geschichte von dem hübschen Gespenst erzählt.

Ich erwartete es auf die folgende Nacht, allein es erschien erst in der achten wieder.

Voll Begierde, die nächtliche Schönheit, die mich besuchte, kennen zu lernen, fragte ich sie nach ihrem Namen, denn, Nymphe oder Göttin, musste sie doch welchen haben; ferner, seit wann sie mich liebe, denn sie hatte doch in der ersten Nacht zu mir gesagt: »Ich bin das Weib, welches Sie liebt,« folglich konnte ich mir ohne Eitelkeit schmeicheln, ihr gefallen zu haben.

So wollte ich denn wissen, wo sie mir begegnet wäre, denn sie behandelte mich wenigstens wie einen alten Bekannten, wie einen, den man im Leben oft auf seinen Wegen getroffen.

Ich verlegte mich auf die ausgewähltesten Schmeicheleien, auf die zärtlichsten Liebkosungen, die zuversichtlichsten Mitteln, eine Frau zum Reden zu bringen, allein der weibliche Dämon ließ mich in Vermuthungen erschöpfen, ohne auch nur im entferntesten meine Neugierde zu befriedigen.

Ich bestand umsomehr auf meiner Forderung, mir ihren Namen zu nennen, als mich ihr beharrliches Schweigen verletzte, ich hielt es sogar für eine Unhöflichkeit.

Alle meine Bemühungen waren vergebens; ich musste mit Verdruss sehen, dass die Frauen aus der andern Welt das süße Geplauder nicht haben, das bei den meisten Frauen dieser Welt so anziehend ist.

Eine Feindin des verrätherischen Tages, erwartete meine schweigsame Geliebte bei mir nicht den Aufgang der Sonne. Als ich merkte, dass sie sich zum Aufbruch anschickte, suchte ich sie zurückzuhalten; allein sie drückte auf meinen Mund den Zeigefinger ihrer rechten Hand, auf mein Herz ihre linke, auf meine Stirne zwei Küsse; und dann entschlüpfte sie mit einem Seufzer und entfernte sich schnell, ich weiß nicht durch welchen Ausgang. Nur glaubte ich den pfeifenden Ton einer schrillen Thürangel zu unterscheiden. Offenbar hatte ich falsch gehört, denn ich untersuchte meine vier Wände, sobald es Tag wurde, und die einfachen Tapeten derselben schlossen fest an ihre Oberfläche an und ließen keine Spur von einem Risse sehen; meine Thüren und Fenster waren ebenfalls gut verschlossen.

Abends fand ich in meiner Mütze ein zweites Billet.

»Ich werde in der Nacht vom Sonntag auf den Montag wieder kommen, wenn der Chevalier Faublas mir sein Ehrenwort gibt, dass er keinen Versuch machen will, mich aufzuhalten. Er antwortete mir durch denselben Courier.«

Ah! ich verstehe, der Courier ist meine Mütze! Am folgenden Tage wurde mein gefälliger Botschafter mit einer kurzen Depesche abgefertigt, die das verlangte Versprechen enthielt.

Endlich kam dieser vielleicht mit Ungeduld erwartete Sonntag! bald sollte sie mich mit ihren treulosen Schatten umgeben, diese in der Geschichte meines Lebens so merkwürdige Nacht!

Jasmin, der seit Mittag sich entfernt hatte, kam gegen Abend zurück. Als er mich allein sah, überraschte er mich mit der Nachricht, Rosambert sei angekommen; der Graf hatte in Luxemburg angehalten und von da aus heimlich nach Jasmin geschickt, aus wichtigen Gründen, die er mir selbst auseinandersetzen wollte.

Er konnte erst eine Stunde vor Mitternacht nach Hollrip kommen; es war von der größten Wichtigkeit, dass ihn niemand ins Haus gehen sah; ich wurde deshalb dringend gebeten, ihm schlag elf Uhr in eigener Person die kleine Gartenthüre zu öffnen. Ich kam diesen Instruktionen pünktlich nach.

Mein Vater machte seinem Verdruss, dass ich ihn früher als gewöhnlich verlasse, in einer Bemerkung Luft.

Herr Desprez antwortete mit einem Scherze, der mir anfangs weniger auffiel als später.

»Lassen Sie den Reconvalescenten gehen,« sagte er zu meinem Vater; »er hat ohne Zweifel mit Geistern einen Verkehr, den er nicht gesteht.«

Statt auf mein Zimmer zu gehen, stahl ich mich leise in den Garten. Rosambert erwartete mich an der kleinen Thüre.

»Guten Abend, mein Freund! lassen Sie sich umarmen, seien Sie mir herzlich willkommen; wie glücklich bin ich, Sie nach all dieser traurigen Zeit zu sehen! wo ist meine Sophie? was ist aus der Marquise geworden? haben Sie Nachrichten von Sophien's Vater? lebt der Gemahl der Marquise noch? was macht meine liebe Schwester? was spricht man von unserem Duell, ist das beunruhigende Gerücht noch nicht verschwunden, sind wir noch immer in derselben Gefahr, und dürfen wir uns in Paris nicht sehen lassen? Sagen Sie, lieber Rosambert, was denken Sie von dieser Unbekannten, die als ein Gespenst ausgegeben wird, deren nächtlichen Besuche mir durchaus nicht überirdisch scheinen, vielmehr scheint diese Fee etwas leidenschaftlich zu sein. Aber sagen Sie mir, lieber Freund, warum haben Sie mir nicht geschrieben? und vor Allem, wie geht es mit Ihrer Gesundheit, wie befinden Sie sich?«

»He, Noirval, nur einen Augenblick! welche Lebhaftigkeit! welche Ungeduld! Sie haben große Ähnlichkeit mit jenem kleinen Chevalier Faublas, von dem man in Paris so viel spricht.

»Vor Allem wollen wir uns auf diese Bank setzen und Sie werden mir erlauben, etwas mehr Ordnung in meine Antworten zu bringen, als Sie in Ihren Fragen hatten.

»Meine wachsamen Spione haben Herrn Duportail in Paris gesehen; sie werden seine Spur verfolgen, bis sie den Aufenthalt seiner Tochter entdeckt haben; man wird uns darüber sehr zuverlässigen Bericht abstatten.«

»Oh, meine Sophie, ich werde Dich wiedersehen!«

»Sachte, mein Freund, erdrücken Sie mich nicht! Frau von B... ist vermuthlich auf einem ihrer Landgüter; man trifft sie weder bei Hof noch in der Stadt.«

»Arme Marquise! ich werde sie nicht mehr sehen!«

»Vielleicht; seien Sie deshalb unbekümmert. Der Marquis, dessen Wunde nicht tödtlich befunden worden ist, wünscht nichts, als Sie nach seiner Genesung aufzufinden, wo es auch sei, Faublas, er versichert, dass er Sie überall erkennen werde.«

»Rosambert, man weiß nicht, wo sie ist?«

»Offenbar auf einem ihrer Güter, mein Freund.«

»Ja, Frau von B..., aber Sophie?«

»Ah! in Paris, sehr wahrscheinlich.«

»Mein Freund, glauben Sie, der Marquis werde ihr verzeihen?«

»Der Marquise verzeihen? ja, warum nicht? das Abenteuer gehört nicht unter die gewöhnlichen, das gebe ich zu; aber das Übel ist an der Tagesordnung. Es macht bloß ein wenig mehr Lärm! oh! die Marquise ist die Frau, ihn in dieser Beziehung Vernunft zu lehren.«

»Rosambert, sagen Sie, ohne mir zu schmeicheln, glauben Sie, man könne ihn zwingen, sie mir wiederzugeben?«

»Wie! den Marquis zwingen, Ihnen seine Frau wiederzugeben?«

»Ach, nein, mein Freund, ich spreche von der meinigen und ihrem Vater.«

»Lieber Faublas, man wird Herrn Duportail zwingen, es unterliegt gar keinem Zweifel, er muss Ihnen Ihr angetrautes Weib wiedergeben.«

»Die Hoffnung, meine Sophie bald wiederzusehen, lässt mich alle Leiden vergessen; trotzdem denke ich auch an diese so unglückliche Frau, die um meinetwillen, so entzweit mit ihrem Gemahl, nun keine friedliche Stunde haben wird.«

»Die Marquise?«

»Ich versichere Sie, dass es nicht meine Absicht ist, sie aufzusuchen. Es ist wohl wahr, ich beschäftige mich zuweilen im Gedanken mit ihr, aber dies kommt daher, dass –«

»Ohne Zweifel, Chevalier, ich verstehe Sie! daher, dass man in dieser Beziehung sich nicht beherrschen kann. Gegen seinen Willen erinnert sich ein Jüngling von Erziehung an die Güte einer schönen, jungen Frau, die seine Jugend gebildet hat.«

»Ewiger Spötter! sagen Sie mir, sollten Sie zufällig von der kleinen Justine etwas gehört haben?«

»Wie, die Kammerfrau liegt Ihnen auch noch am Herzen! freilich, weil Sie diese gebildet haben. Aber Sie haben mir, glaube ich, gesagt, dass la Jennesse –?«

»Ja, Rosambert, dies Mal habe ich Unrecht; sprechen wir nicht mehr davon!«

»Nein, mein lieber Faublas, sprechen wir von dem sogenannten Gespenst!«

»Ja, Rosambert, wie finden Sie es, ist das nicht eine merkwürdige Frau, die nie ein Wort sagt und sich immer so vortrefflich hält? ist es nicht ein drolliger kleiner Dämon, der zu mir kommt, ich weiß nicht wie?«

»Faublas, besucht es Sie jede Nacht?«

»Nein.«

»Nicht jede Nacht, das gibt nachzudenken.«

»Aber hören Sie, gerade heute erwarte ich es.«

»Um so besser! wir werden dem süßen Geheimnis auf den Grund kommen! wir werden erfahren ... aber, ich habe mich im Gasthofe mit Schreiben beschäftigt, anstatt etwas zu Nacht zu speisen. Chevalier, ich habe Hunger.«

»Warten Sie, ich will es Jasmin sagen.«

»Lärm im Hause machen! hüten Sie sich wohl.«

»Warum, mein Freund, diese ernste Warnung?«

»Ich glaube, meine Postchaise ist noch nicht abgefahren, ich muss etwas darin haben; ich reise nie ohne Lebensmittel.«

Er verließ mich und brachte einen Augenblick nachher ein halbes Huhn und eine Flasche Wein.

»Ich habe zwei Gläser genommen,« sagte er, »weil Sie mir Gesellschaft leisten müssen.«

»Hier?«

»Ja, hier im Garten, Chevalier! wir haben viel mit einander zu sprechen, und in Ihrem Zimmer sind wir nicht sicher. Vor Allem werden wir auf die Gesundheit Adelheid's trinken, von der Sie nur einmal gesprochen haben.«

»Ach, meine theuere Schwester! ich liebe sie dennoch sehr! wie befindet sie sich?«

»Gut, sehr gut! Sie wird immer reizender! ich habe dem Verlangen nicht widerstehen können, sie vor meiner Abreise aus Frankreich noch einmal zu sehen. Das liebenswürdige Kind! wie ihr Schmerz sie verschönte! was leidet sie! weder ihren Vater, noch ihren Bruder, noch ihre gute Freundin zu sehen! Faublas, trinken wir auf ihre Gesundheit, trinken wir, mein Freund! ich weiß zwar wohl, dass es nicht zum guten Ton gehört, aber wir sind auf dem Lande, und überdies Reisende! hier nehmen Sie ein Stückchen! Sie wissen ja, ich kann nicht allein speisen.«

»Rosambert, ich bin entzückt, Sie hier zu sehen; aber wozu in diesem Garten? wozu dieses geheimnisvolle Wesen?«

»Weil ich nicht mit Ihnen allein hätte sprechen können, weil der Baron, der bereits meine Briefe an Sie unterschlagen, sich gleich anfangs meiner bemächtigt, um die Nachrichten, die ich Ihnen bringe, nach seinem Plan zu entstellen.«

»Sie haben Recht!«

»Und dann dieses Gespenst, glauben Sie, es beschäftige mich nicht? Faublas, auf Sophien's Gesundheit.«

»Mein Freund, seit mehr als einem Monat trinke ich keinen Wein mehr; Sie werden mich betrunken machen.«

»Auf Sophien's Gesundheit! Sie können dies nicht ausschlagen.«

»Gut, Sophie soll leben! oh, mein reizendes Frauchen! es ist nicht das erste Mal, dass Du mich um die Vernunft bringst. Rosambert, dieser Wein ist schrecklich stark, er zersprengt mir den Kopf. Rosambert, was halten Sie von diesem Unbekannten, der während der Ceremonie so plötzlich erschien und wieder verschwand?«

»Meiner Treu, ich weiß nicht, was ich davon sagen soll! sprechen wir von Ihrer neuen Geliebten, von dieser nächtlichen Schönheit, die Sie so verschwiegen liebt. Faublas, halten Sie dieselbe für hübsch?«

»Für schön, ich bin sicher, dass sie schön ist.«

»Seht doch, er ist auch noch in diese verliebt.«

»Verliebt! nein.«

»Faublas, ich wette, dass sie hässlich ist!«

»Hundert Louisd'ors, sie ist bezaubernd!«

»Es gilt hundert Louisd'ors!«

»Es bleibt dabei, Graf, aber wie soll ich es angreifen, um sie zu sehen? und dann, werden Sie auch mein Urtheil gelten lassen?«

»Gerne, wenn es nöthig ist! aber glauben Sie, es sei mir weniger interessant, als Ihnen, zu erfahren, wer diese schöne Geheimnisvolle ist? Seit Sie mir von Ihrem Abenteuer geschrieben haben, brenne ich vor Begierde, es endigen zu helfen. Wackerer Chevalier, Ihr Waffenbruder ist bei Ihnen, erlauben Sie, dass er Ihnen zur Seite stehe! Faublas, wir wollen ohne Licht und ohne Geräusch auf Ihr Zimmer gehen.

»Sie legen sich schnell nieder und reden kein Wort; ich halte mich in Ihrem Alcoven versteckt. Ich habe eine Blendlaterne, die ich zur rechten Zeit gebrauchen werde; und wenn das Gespenst nicht alle Zauberkünste versteht, so werden wir sein Gesicht sehen. Noch eine Gesundheit, Chevalier, Sie haben jemanden vergessen.«

»Ach ja, die schöne Marquise?«

»Treuer Ehegatte, ich wusste wohl, dass ich sie Ihnen nicht zu nennen brauche. Allons, nur ein Tröpfchen, zu Ehren der Marquise.«

»Sie spotten, mein Freund, die herrliche Frau! schenken Sie ein volles Glas ein.«

Jetzt, da ich mich mit kaltem Blute an diesen undelikaten Ausruf erinnere, so ist mein Gemüth noch empört, denn die ganze Abscheulichkeit des Grafen lag in dem absichtlich aufgedrungenen Gesundheitstrinken, welches mich bereits etwas heiter gestimmt hat. Das letzte Glas gab mir den Rest, ich versank sogleich in den Zustand der Trunkenheit. Bereits schienen sich alle Gegenstände von der Stelle zu rücken. Alles wankte und war doppelt.

Ich sprach, ohne mich verständlich zu machen, oder vielmehr ich lallte, statt zu sprechen. Bald träumerisch und kopfhängend werdend, verlor ich meine geschwätzige Freude, meine Wimpern wurden schwer, der unbesiegbare Schlaf wollte meine Augen zudrücken.

Rosambert, der dies bemerkte, bat mich, ihn in mein Zimmer zu führen, nicht ohne mir mehrere Male zu wiederholen, dass man nicht den geringsten Lärm machen dürfe und das tiefste Stillschweigen beobachten müsse. Er empfahl Jasmin, der sich im Garten befand und meine Befehle erwartete, sich ohne Licht und ohne Geräusch zurückzuziehen. Wir kamen an, bloß von der Blendlaterne beleuchtet, die wir im Gange ließen.

Als ich, von Rosambert gestützt, tappend ins Zimmer trat, fand ich einen Großvaterstuhl, auf den mich der Graf der Länge nach niederlegte, um mich, wie er ganz leise sagte, leichter auszukleiden. Klugerweise ließ ich meinen neuen Kammerdiener gewähren, allein er gieng so langsam und so tölpisch zu Werke, dass ich in einen tiefen Schlaf versank, ehe er fertig wurde.

Eine Stunde Schlaf hatte die Dünste des starken Weins, der mir meine Vernunft geraubt, etwas zerstreut, als ich von einem schallenden Gelächter erwachte.

»Endlich,« rief Rosambert, »endlich bin ich vollständig gerächt; ich will nicht Rosambert heißen, wenn sie es nicht ist!«

In diesem Augenblick hörte ich ein Aufschluchzen, gefolgt von einem tiefen Seufzer. Ich befand mich noch auf meinem Schlafstuhl, der so gestellt war, dass ich durch eine halbgeöffnete Thür hindurch hinten im Gang den schwachen Schein der Blendlaterne bemerkte.

Durch Unruhe und Neugierde gleich stark getrieben, laufe ich schnell in den Gang hinaus und komme mit der Laterne in der Hand zurück. Ich lasse ihr zitterndes Licht über die Gegenstände laufen, die mich umgaben, und sehe – ach! noch in dieser Stunde, wie soll ich es ohne Empörung erzählen? ich sehe Rosambert eine Frau fest in den Armen haltend.

Sobald er glaubte, ich habe Alles genau gesehen, ließ der Graf sein Opfer fahren, nahm schnell seinen Hut und sagte lachend zu mir:

»Adieu, Faublas, ich lasse Sie bei dieser schönen Unglücklichen! ich glaube, Sie werden eine interessante Erklärung haben; überreden Sie sie, wenn Sie können, dass Sie mit Rosambert nicht im Einverständnis waren. Leben Sie wohl, meine Postchaise erwartet mich, ich gehe nach Luxemburg zurück; morgen werde ich von mir hören lassen.«

Rosamberts grausame Rede erbitterte mich nicht weniger als seine rachsüchtige Handlungsweise; in der ersten Regung meiner Wuth wollte ich nach meinem Degen springen und ihn zwingen, mir wegen seines ehrlosen Betragens Rede zu stehen, als auf einmal Frau von B... sich aufraffte, mich am Arm fasste und zurückhielt. Rosambert hatte Zeit, sich zu entfernen.

Die Marquise ergriff mich jetzt mit ihrer Hand, die ich sogleich mit Küssen bedeckte.

»Oh, von welcher drückenden Last fühle ich mich befreit!« sagte sie; »wie tröstend war es für mich zu vernehmen, dass Sie an dieser Abscheulichkeit keinen Theil haben, und nicht mit den Plänen dieses rachsüchtigen Menschen verflochten sind!«

Frau von B... wollte fortfahren, allein ihre Aufregung ließ es ihr nicht zu. Sie schluchzte lange Zeit, ohne ein Wort verbringen zu können; endlich, ihre ganze Kraft zusammennehmend, begann sie auf's neue mit gebrochener Stimme:

»Faublas, wenn Sie im Stande gewesen wären, mich diesem unwürdigen Menschen preiszugeben, wenn Sie mich so sehr verachtet hätten, so würde dieses letzte größte Unglück meinen unmittelbaren Tod herbeigeführt haben. Mein Freund, ich fühle, dass es mir unmöglich ist, zu leben, wenn mir nicht der Trost bleibt, dass ich in meinem namenlosen Unglück wenigstens auf Ihr Mitleid zählen darf.«

»Wenn es zur Linderung Ihres bitteren Schmerzes beiträgt, meine liebenswürdige Freundin, so sei Ihnen die Versicherung gegeben, dass Ihnen meine Gefühle der Ergebenheit und meine dankbare Zuneigung stets ungeschmälert bleiben werden.«

»Wie unglücklich ich bin!«

»Und wie beklage ich Sie!«

»Wie der Schändliche, durch einen unglücklichen Zufall unterstützt, meiner eitlen Klugheit gespottet! wie ein Augenblick meine schönsten Pläne vernichtet, meine theuerste Hoffnung zerstört hat!«

Mit diesen Worten ließ die Marquise ihren Kopf auf meine Schulter zurückfallen, ihre Arme streckten sich aus, ihr Blick wurde starr, ihre Thränen stockten. Unempfindlich für meine sorgsamen Bemühungen, taub für meine Worte der Tröstung, schien sie sich in ihrer Verzweiflung das Schauderhafte ihrer Lage vorzumalen.

Länger als eine Viertelstunde beobachtete sie dieses schreckliche Stillschweigen; dann sagte sie endlich in einem Tone, der mir gefasst schien:

»Beruhigen Sie sich, mein Freund, setzen Sie sich neben mich, fürchten Sie nichts, schenken Sie mir Ihre ganze Aufmerksamkeit! ich will mich Ihnen ganz offenbaren; und wenn ich Ihnen gesagt haben werde, welche eitle Plane ich gebildet, und welchen unabänderlichen Entschluss ich soeben gefasst habe, dann erst werden Sie bestimmen können, in welchem Grade ich Ihr Mitleid oder Ihren Tadel verdiene.

»Herr von B... war Ihnen in den Tuilerien begegnet. Er kommt wüthend zu mir, wirft mir vor zwanzig Personen seine eben erlittene Beschimpfung vor, kündigt mir seine nahe Rache an. Erstaunt über die grausame Rathlosigkeit, in der Sie mich in einem für meine Liebe und meine Ehre gleich gefährlichen Augenblicke lassen, bin ich genöthigt, mir zu sagen, dass ein wichtigeres Interesse, ein theuerer Gegenstand Sie beschäftige.

»Justine geht mehrere Male in Ihre Wohnung und trifft Sie nicht. Jetzt beauftrage ich Dumont, den ältesten und vertrautesten meiner Diener, denselben, der hier als Desprez fungiert; diesen beauftrage ich, Sie in der Gegend des Klosters, das Fräulein von Pontis einschließt, zu erwarten und alle Ihre Schritte bis zum andern Morgen zu belauschen. Dumont sieht Sie ins Kloster gehen, wartet, bis Sie herauskommen, folgt Ihnen auf den Kampfplatz und auf die Straße bis nach Jalons, wo er Ihre Spur verliert. Er kommt nicht bald genug zurück, um der erste zu sein, der mir von zwei Entführungen erzählte, wovon in ganz Paris ein gewaltiger Lärm ist.

»Dumont findet bei seiner Rückkehr meine Anordnungen bereits getroffen. Ich habe mein Geld, meine Juwelen und einige Bankbillete zusammengepackt, eine blaue Uniform, die Sie noch nie an mir sahen, angezogen, und eile selbst nach Jalons. Während ich dort den Postmeister ausfrage, kommt ein Mann, den ich kenne und der mir gegen seinen Willen Ihren Aufenthalt anzeigen muss. Es war Jasmin, der eine Postchaise führte; ich folgte ihm immer in einiger Entfernung und, wie er, komme ich vier und zwanzig Stunden nach Ihnen in Luxemburg an; man sagt mir, in der Stadt sei eine große Hochzeit, ein junger Mensch, der ein entführtes Mädchen bei sich habe, soll mit demselben getraut werden.

»Dies ist genug, ich höre nichts mehr, ich eile in die Kirche, ich stürze mich – zu spät! man hatte Sie soeben mit ihr zusammengegeben! Ein Schrei entfährt mir, doch sammle ich plötzlich meine Kräfte und entziehe mich Ihrem Anblick; zu glücklich, fliehen zu können, fliehe ich. ohne zu wissen wohin; bald führt mich meine Liebe nach Luxemburg zurück; ich wollte wenigstens wissen, was aus Ihnen geworden ist.

»Faublas, wahrlich! die Freude, die ich bei der Nachricht empfand, dass meine Nebenbuhlerin Ihnen entrissen worden sei, war weniger lebhaft, als die Unruhe, die sich meiner bemächtigte, als ich erfuhr, dass Sie von einer heftigen Krankheit befallen wurden. Von dem doppelten Wunsche beseelt, über das Leben meines Geliebten zu wachen, und ihn für mich, für mich allein zu erhalten, entwarf ich sogleich meinen Plan.

»Dumont begleitete mich; wir durchstreiften die Umgegend von Luxemburg. Unter dem Namen Desprez mietete Dumont dieses Haus. In dem Pavillon, den ich für Sie bestimmte, ließ ich in der Eile einige zur Ausführung meiner Plane nöthige Änderungen vornehmen. Die Marquise von B..., entschlossen, Alles zu dulden, um nur Sie nicht zu verlieren, verschloss sich in einen elenden Speicher des andern Hauses. Ja, mein Freund, Sie sehen mich zweifelnd an, dies sei Ihnen ein Beweis, mit welch wahnsinniger Liebe mein Herz, ja meine ganze Seele sich zu Ihnen hingezogen fühlt, und ich bereit bin, Ihnen das größte Opfer zu bringen, indem ich Ehre und Ansehen von mir werfe.

»Ihr Vater ließ Sie hierher schaffen; ich hatte das Vergnügen, mit meinem Geliebten beinahe unter demselben Dache zu wohnen, ihn unter meinen Augen wieder genesen zu sehen, zuweilen in der Stille der Nächte zu ihm zu gehen, ihn zu pflegen, indem ich die Glut seines Fiebers, welches ihn verzehrte, durch unermüdliche Sorgfalt zu mildern trachtete.

»Ich hatte das Glück Sie allmählig wieder genesen zu sehen. Faublas, der Augenblick nahte sich, wo meine Wünsche in Erfüllung gehen sollten. In drei Tagen zerriß ich den beinahe magischen Schleier, womit ich mich umhüllt hatte; in drei Tagen entdeckte ich mich ohne Heimlichkeit. Ich zeigte Ihnen die Marquise von B..., die Ihnen zu lieb, ihres verlorenen Ranges kaum gedenkt, und nichts sehnlicheres wünscht, als Ihnen an irgend einem unbekannten Orte glückliche Tage zu bereiten.

»Wenn mein Geliebter mich verstand, so bestimmte ich ihm ein immerhin beneidenswertes Los! wenn der Undankbare zu widerstehen wagte –

»Chevalier, mein Entschluss war gefasst, ich entführte Sie gegen Ihren Willen, gegen Ihren Willen führte ich Sie, was weiß ich? vielleicht ans Ende der Welt! ja, ich hätte die Unendlichkeit der Meere zwischen meinen treulosen Geliebten und meine vorgezogene Nebenbuhlerin gesetzt!«

Die Marquise, die anfangs gefasst, dann gerührt, jetzt schwärmerisch war, legte auf diese letzten Worte einen solchen Nachdruck, dass ich einige Zeichen des Staunens nicht zurückhalten konnte.

»Beruhigen Sie sich!« sagte sie zu mir; »Sie sind von nun an frei, und ich bin für immer gefesselt! Sie ist für mich dahin die Zeit der zärtlichen Leidenschaften!

»Ich darf nur noch die heftigste, die unversöhnlichste von Allen empfinden. Die Liebe flieht, vertrieben durch die Schmach; nie könnten Sie auch eine Frau in Ihre Arme schließen, die so beschimpft wurde. Durch den feigen Verrath Rosamberts aufgereizt bemächtigt sich meiner die Rache, die ich schon lange gegen diesen Abscheulichen hegte.

»Faublas, es macht mir Vergnügen, es zu glauben, und ich habe es gesehen, dass Sie bereit sein würden, meiner gerechten Empfindlichkeit behilflich zu sein; aber Rosambert würde sich bei diesem Kampfe, dessen Erfolg nicht zweifelhaft wäre, noch seines Falles rühmen; sein ohne Schade verlorenes Leben wäre eine zu geringe Sühne für die unverzeihliche Schmach, die er mir soeben angethan hat.

»Chevalier, seine Züchtigung ist meine Sache, und ich schwöre Ihnen, ich werde sie ausführen!«

Frau von B..., mit flammenden Augen, geberdete sich wie rasend, dass ich die Folgen eines so gewaltsamen Zustandes für sie fürchtete. Meine unglückliche Freundin sah, dass ich sie unterbrechen wollte, und beeilte sich fortzufahren.

»Sie würden sich umsonst bemühen, meinen Entschluss zu ändern. Ein Elender hat ihn nothwendig gemacht, als dass er Ihnen befremdend erscheinen darf, oder dass die unbedeutenden Gefahren, die er nach sich zieht, etwas Schreckliches für mich haben könnten; ich habe nichts mehr zu verlieren!

»Faublas, ich wiederhole Ihnen, ich verbiete Ihnen, meinen Streit zu Ihrigem zu machen. Ich will ihn ganz allein ausfechten.

»Ich würde verzweifeln, wenn mir ein anderer das Vergnügen der Rache entrisse. Man weiß, was eine beleidigte Frau wie ich vermag. Ja, ich schwöre es bei meiner verlorenen Ehre; eines Tags werden Sie sich staunend fragen, ob jemand auf der Welt die Marquise von B... hätte besser rächen können, als sie selbst.« Sie beobachtete einige Zeit lang ein düsteres Stillschweigen.

Ich erfasste ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen, welche sie mir überließ, ohne einen Versuch zu machen mir dieselbe zu entziehen, und in einem weniger aufgeregten, aber nicht weniger klagenden Tone sagte sie zu mir:

»Ach, ja! habe Mitleid mit mir. Ich bedarf einer Tröstung. Morgen verlasse ich Sie, morgen werden wir uns trennen, vielleicht auf lange uns trennen; ich gehe nach Paris zurück.«

»Was sagen Sie, geliebte Freundin, nach Paris?«

»Ja, Faublas! nicht Furcht war es, was mich aus der Hauptstadt trieb. Nicht um mich zu verbergen, flog ich nach Luxemburg. Ach! warum habe ich nicht, wie ich wünschte, den Rest meines Lebens Ihnen widmen können! Ich werde wieder in den Besitz meiner Güter und meines Ranges eintreten, da es mir nicht gestattet ist, sie Ihnen aufzuopfern. Ich gehe nach Paris zurück; seien Sie ruhig über mein Los! wann eine Frau, die nicht ganz ohne Geist und ohne Reize ist, nicht in Verlegenheit geräth, so überlassen Sie ihr guten Muthes die Sorge, ihren Gemahl wieder zu gewinnen, und wenn er das größte Recht hat, zu zürnen. Um dieses heickle Unternehmen zu einem glücklichen Ende zu führen, dazu bleiben mir noch zwei Mittel, wovon das leichtere nicht auch das bessere ist. Wie so viele andere, kann ich mich darauf beschränken, das Demüthigende, was mein Abenteuer für die Eigenliebe des kompromittierten Dritten hat, zu bemänteln, das übrige aufrichtig zu gestehen, und mit der Macht, welche die Schönheit immer über denjenigen behält, den sie beleidigt hat, eine Verzeihung nachzusuchen, die ihr nicht verweigert werden wird. Allein dieser Plan, so gut er zuweilen sein mag, ist immer äußerst gewagt und zeigt zu große Widerwärtigkeiten im Hintergrund.

»Wegen des Herrn von B... eigener Ruhe will ich nicht, dass er sich jemals mit meinen eigenen Geständnissen gegen mich bewaffnen, mich ewig mit seiner Eifersucht verfolgen und aus Verdacht, ich hätte zehn Intriguen angesponnen, während ich nur eine Leidenschaft hatte, mir vielleicht die rechtmäßige Geburt des einzigen Kindes bestreiten kann, das ich ihm geschenkt habe. Überdies, warum sollte ich demüthig um eine Verzeihung bitten, die ich ihm stolz entreißen kann? nein, nein! ich mache lieber das unwiderrufliche Gleichgewicht geltend, das ein starker Geist immer über einen schwachen hat. Ich werde nicht die erste sein, die zu unwahrscheinlichen Lügen gezwungen, eine bewiesene Untreue laut und keck ableugnet. Vielleicht wird es mir weniger schwer, als Sie glauben können, Herrn von B... begreiflich zu machen, dass der Chevalier Faublas für mich immer Fräulein Duportail war; und wenn ich den Marquis auch nicht überzeuge, so werde ich ihn doch wenigstens in die Enge treiben wissen, dass er die Sache auf sich beruhen lässt.

»Ich weiß wohl, dass das böse Publikum, das weit entfernt über wirkliche Vergehungen die Augen zuzudrücken, im Gegentheil immer geneigt ist, welche vorauszusetzen, sich nicht so leicht hinter's Licht führen lässt, als ein gutmüthiger Ehemann. Ich weiß wohl, dass ich mich auf die demüthigende Celebrität gefasst halten muss, die den galanten Abenteuern folgt, welche etwas außergewöhnliches haben. Unsere Dreiviertelschöngeister von Elegants werden mich besiegen; unsere gottesfürchtig gewordenen alten Weiber werden mich zerreißen.

»In den Zirkeln, wenn ich je zu erscheinen wage, werde ich die Zielscheibe affektierten Geflüsters, boshafter Blicke, maskierter Spöttereien, zweideutiger Witze sein. Ich werde die unverschämten Blicke unserer abgeschmackten Stutzer, die kalte Verachtung der unerbittlichen Spröden, die verabredete Verschmähung der angeblichen ehrsamen Frauen, den schwesterlichen Empfang der übel berüchtigten Schönheiten mir gefallen lassen müssen. In den Theatern und auf den öffentlichen Spaziergängen, wenn ich anders den Muth habe, mich dort blicken zu lassen, wird die Menge mich umringen; ein Schwarm junger Laffen wird unaufhörlich um mich herum murmeln: »Sie ist's! diese ist's!«

»Nun gut, Faublas! diese so peinliche Rolle, die mehrere Frauen von meinem Rang absichtlich übernommen haben, werde ich nothgedrungen durchzuführen haben, und ich werde suchen, sie durchzuführen. Wie diese kühn in meinem Auftreten, frei in meinen Reden, stoisch, unempfindlich gegen meine Schmach, werde ich mich vielleicht gewöhnen können, die Schande durch Frechheit, den Tadel durch Unverschämtheit von mir abzuhalten. Wenn es wahr ist, dass man, um nicht unglücklich zu werden, immer streng seine Pflichten erfüllen muss, warum legt man uns denn so schwer auf? ein Mädchen, das von sich selbst nicht weiß, fällt mit fünfzehn Jahren in die Hände eines Mannes, den sie nicht kennt. Ihre Eltern haben zu ihr gesagt: »Die Geburt, der Rang und das Geld machen das Glück aus; es kann Dir nicht fehlen, dass Du glücklich bist, indem Du zu Deinem Adel noch reicher wirst; Dein Gemahl kann nicht anders als ein ausgezeichneter Mann sein, da er ein Mann vom Stande ist.« Die junge Gattin allzuschnell enttäuscht, findet nur Lächerlichkeiten und Laster, wo sie angenehme Talente und glänzende Eigenschaften erwartete; die Pracht, die sie umgibt, die Titel, womit sie geschmückt wird, bieten ihrer Langweile nur sehr unzureichende, sehr vorübergehende Zerstreuungen dar. Vielleicht haben ihre Augen bereits unterschieden, ihr Herz den liebenswürdigen Sterblichen gefühlt, der zum Glücke ihres Lebens fehlt. Der flatterhafte Eheherr dagegen, nachdem er sie lange vernachlässigt, lässt er sie endlich ganz allein, und sie muss sich entweder einem frühen Cölibat unterwerfen, oder den gefährlichen Freuden einer sehnlich gewünschten Verbindung aussetzen.

»Dies mein Freund, dies ist das Los der Frauen in diesem Frankreich, wo man behauptet, sie herrschen.

»Mein Freund, ich verlasse Sie, was werden Sie beginnen? Gewiß, Sie brennen vor Verlangen, sich mit Sophie wieder zu vereinigen! ach! möchten Sie sie wieder finden und ihr immer treu bleiben! möchte diese wenigstens nicht so wie ich unglücklich sein.

»Faublas, ich scheide von Ihnen, ich überlasse Sie auf einige Zeit den treulosen Einflüsterungen des schändlichen Rosambert. Hüten Sie sich, auf ihn zu hören, wenn mein Andenken Ihnen theuer ist, wenn Sie Sophie lieben! mein Freund, der Graf würde Sie zu Grunde richten; in seiner Gesellschaft würden Sie Geschmack an nichtigen Beschäftigungen, an verderblichen Vergnügungen bekommen; er würde Sie die verabscheuungswerte Kunst der Verführung und feiger Verrätherei lehren.

»Vielleicht scheint es Ihnen auffallend, Frau von B... moralisieren zu hören; allein dies gehört auch zu den Sonderbarkeiten, die Ihnen Ihr glückliches Geschick und mein bizarrer Stern vorbehielten. Faublas, ich gestehe Ihnen, ich könnte Sie nicht ohne den tiefsten Kummer im Schoße verderblicher Trägheit und erniedrigender Ausschweifung die kostbaren Gaben verlieren sehen, welche die Natur an Sie verschwendete. Ein junger Mann, wie Du, kann auf Alles Anspruch machen. Alles umfassen. Die Wissenschaften laden Dich ein, die Literatur ruft Dich, der Ruhm erwartet Dich bei unseren Heeren: Begib Dich auf diese Laufbahn und schreite mit Riesenschritten fort immer vorwärts, dass Deine Feinde sich zum Schweigen genöthigt, Deine Rivalen zur Bewunderung gezwungen sehen! Deine ersten Erfolge werden meinem Schmerz eine erste Linderung bringen; das Lob, das Du verdienen wirst, werde ich erhalten zu haben glauben; Deine Vorzüge werden meine Schwachheiten rechtfertigen; ein Tag wird kommen, wo ich stolz überall sagen kann:

»Ja, ich gestehe, ich habe mich vergessen, aber es geschah für ihn!«

Frau von B... hatte meiner Seele den edlen Enthusiasmus mitgetheilt, von dem die ihrige entflammt war; von einer höheren Gewalt hingerissen, wollte ich mich in ihre Arme stürzen; sie hielt mich zurück.

»Leben Sie wohl, Chevalier! rechnen Sie jeder Zeit auf mich!«

»Warum, theuere Freundin, diesen traurigen Abschied?«

»Lassen Sie mich so scheiden!«

»Was wollen Sie unternehmen?«

»Faublas, fragen Sie mich nicht, jetzt nicht!«

»Ich lasse Sie nicht allein in dieser Stimmung von mir gehen!«

»Chevalier, die schwache Marquise von B... ist nicht mehr.«

»Ich fürchte für Sie, theuere Freundin!«

»Mit Unrecht, Sie sehen jetzt eine Frau vor sich, die einiger Energie fähig ist und keine andere Sorge kennt, als ihre Rache zu vollführen und Ihnen eine glänzende Laufbahn zu sichern.«

»Theuerste Freundin, angebetetes Weib!«

»Es ist vorbei, nichts darf mich mehr zurückhalten von dem Wege, den ich mir vorgezeichnet.«

»Möge ein friedlicher Engel Dich, theuere Freundin, geleiten!«

»Leben Sie wohl, Faublas, Ihre Freundin umarmt Sie!«

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirne und entfernte sich.

Der Tag, der auf diese unglückliche Nacht folgte, brachte mir Nachrichten, die mich trösteten.

Vor Mittag erhielt ich von Rosambert einen Brief, den ich anfangs nicht lesen wollte.

Desprez war allein bei mir, als er mir zugestellt wurde.

»Hören Sie, Dumont, hier ist eine Handschrift, die ich kenne! thun Sie mir den Gefallen und bringen Sie diesen Brief der Frau von B..., sagen Sie ihr, ich wolle ihn nicht öffnen und sie könne nach Belieben darüber verfügen.«

Dumont gieng und kam nach einer Viertelstunde wieder.

»Die Frau Marquise lässt bitten, sie auf einen Augenblick zu besuchen.«

Ich kam bei ihr an, ehe ich merkte, dass ich drei Treppen hatte steigen müssen. Ich befand mich in einer kleinen Kammer und sah Frau von B... in ihrer Traurigkeit, ihrer Niedergeschlagenheit, ihrer Blässe; ich fragte sie, wie sie den Rest der Nacht zugebracht hätte.

»Ach!« sagte sie, »wie ich von nun an viele andere verbringen werde!« und mir ein in ihren Thränen gebadetes Papier überreichend, fügte sie hinzu:

»Sehen hier diesen Brief meines feigen Verfolgers.

»Mein Freund, ich habe ihn einmal durchsehen können, ich werde ihn auch noch hören können. Lesen Sie, lesen Sie laut!«

»Laut?«

»Es wird von Ihrer Seite eine grausame Gefälligkeit sein, aber ich fordere es.«

»Erlauben Sie.«

»Faublas, gewähren Sie mir diese letzte Gunst.«

»Indes.«

»Chevalier, ich will es!

»Respektieren Sie endlich Ihren Meister, mein lieber Faublas! Gestern sahen Sie ihn einen großen Streich ausführen, den er länger als einen Monat vorbereitet hatte; wie teuflisch er denselben ausgedacht, davon haben Sie sich selbst überzeugt. Lesen Sie, was mir der feige Wicht schreibt!«

»In meiner Zurückgezogenheit erfahre ich, dass ein Unbekannter, der in die Kirche kam, sich dort zur Schau bot und nicht geringes Aufsehen verursachte. Kurze Zeit darauf schrieben Sie mir, dass ein geheimnisvolles aber sehr vertrauliches Gespenst Ihnen des Nachts interessante Besuche abzustatten kommt; ich, der ich den Unternehmungsgeist der Frau Marquise kenne, stelle Vermuthungen an, ich fasse Verdacht und ziehe Erkundigungen ein; bald weiß ich, was ich wollte, hüte mich aber wohl, Ihnen etwas davon zu sagen. Ich erfuhr, dass Frau von B... am Tage Ihrer Flucht verschwunden ist. Es wird mir zur Gewissheit, dass sie bei Ihnen ist, Sie, mein lieber Freund, es aber nicht wissen, wie konnten Sie auch die List und Verwegenheit einer so intriganten und leidenschaftlichen Frau durchschauen. Sie, mit Ihrer jugendlichen Phantasie, mit Ihrem edlen und zugleich so vertrauensvollen Gemüthe. Nun, hören Sie mein Geständnis: Man vergisst nicht so leicht das Unrecht, ich möchte sagen, die Zurücksetzung, wenn ich Sie, mein lieber Freund, nicht so sehr liebte, ja die Zurücksetzung, die man von einer so liebenswürdigen Frau erlitten hat. Seit zehn Monaten hatte ich ihre pikante Untreue auf dem Herzen.«

»Meine Untreue!« rief die Marquise; »als ob ich je – der Geck, der Unverschämte! doch fahren Sie fort, mein Freund, fahren Sie fort.«

»Ich sehe in der Ferne das Mittel, mir eine vollständige und ebenso süße Rache zu sichern, ich will nicht leugnen, dass dieselbe wohl etwas schwer auszuführen sein wird; aber ich will Alles daraufsetzen, so selbst meine Sicherheit und mein Leben, um diesen so lange, so geschickt ausgesonnenen Strich auszuführen.

»Ich beschleunige meine Heilung und nehme Post.

»Um die galante Katastrophe herbeizuführen, musste ich Ihnen ein kleines Räuschchen anhängen, mein Freund; ich sah mich durchaus genöthigt, diese unschuldige List zu gebrauchen, die Sie mir ohne Zweifel verzeihen. Ja, ich hoffe bestimmt auf Ihre Verzeihung. Sie sollen sich vorerst von meiner guten Absicht, die ich in Betreff auf die Wiedervereinigung mit Ihrer liebenswürdigen, Ihnen angetrauten Gattin, hege, überzeugen. Diesen Morgen jedoch bin ich unruhig; was hat die Marquise nach meiner Abreise gesagt? was hat sie gethan? Gut, ich wette, dass sie stets geschickt die einzige, den Umständen angemessene Partei zu ergreifen, den rührenden Schmerz, die schreckliche Verzweiflung, die interessante Reue gespielt. Ich wette, dass der immer im höchsten Grade leichtgläubig und mitfühlend, die Trübsale seiner, auf verrätherische Weise behandelten Geliebten aufrichtig getheilt haben wird. Ich wette, dass der Undankbare nicht von Ferne an die Verpflichtung denkt, die er soeben gegen mich eingegangen hat; und dennoch entreiße ich ihn der Freundin, die ihn gefangen hielt, und ich gebe ihn ungetheilt der Gemahlin zurück, die er anbetet.

»Faublas, durch einen gerechten Schicksalsspruch kommt Frau von B... auf's neue an ihren ersten Herrn zurück.«

»An ihren ersten Herrn!« unterbrach Frau von B... »dies ist nicht wahr!«

»Ein geschickter Dieb hatte sich seit zehn Monaten in mein Eigenthum festgesetzt.«

»In sein Eigenthum!« rief sie abermals, »dies ist nicht wahr!«

»Ich habe ihn durch die Überrumpelung vertrieben, da ich nicht Gewalt brauchen konnte, und bin in den Besitz meines Gutes zurückgekehrt. Chevalier, seien Sie der einzige Besitzer des Ihrigen. Sophie erwartet ihren Befreier; Frau von Faublas seufzt eingeschlossen im Kloster, Vorstadt Saint-Germain in Paris. Sie werden errathen, warum ich Ihnen diese wichtige Nachricht nicht schon gestern mittheilen wollte.

»Gehen Sie, mein Freund, verkleiden Sie sich geschickt, eilen Sie in die Hauptstadt und wenn Sie Ihre reizende Frau umarmen, so vergessen Sie nicht ihr zu sagen, dass sie dem Grafen Rosambert das Vergnügen verdankt. Sie so bald wieder gesehen zu haben. Ich bin Ihr Freund u. s. w.«

»Meine Frau im Kloster zu Paris!« rief ich, als ich den Brief zu Ende gelesen hatte. »Ach, meine Freundin, sehen Sie, wie glücklich ich bin!«

»Grausames Kind,« antwortete sie mit einer leidenschaftlichen Bewegung, die sowohl ihre Liebe, wie ihre Verzweiflung ausdrückte; »grausames Kind, so mussten denn Sie es sein, der mir den letzten Schlag versetzt!«

Ich wollte ihr zu Füßen fallen, ich wollte sie um Verzeihung für meine Unbesonnenheit bitten; allein ihre Unruhe war im Augenblicke verschwunden und sie fragte mich mit mehr Festigkeit, was ich zu thun gedenke und welchen Dienst ich von ihrer Freundschaft erwarte. Ich sprach das lebhafte Verlangen aus, bald nach Paris zurückzukehren; sie schien entsetzt von den Gefahren, die meiner dort warteten, und sprach von dem Kummer und der Besorgnis, die meine Flucht dem Baron verursachen würde. Ich bemerkte ihr, dass ich meinen Vater wahrscheinlich nur auf vierzehn Tage verlassen werde und vermittelst einiger klugen Vorsichtsmaßregeln den Gefahren zu entrinnen hoffen könne, die meine Rückkehr in die Hauptstadt wirklich nach sich zog. Frau von B... schien das Wagnis zu kühn, sie wollte sich nicht einverstanden erklären.

»Meine Freundin,« sagte ich zu ihr, »fern von mir stirbt vielleicht meine Gattin, sie verzweifelt vielleicht; und jetzt, da ich ihren Aufenthalt kenne, wäre es mehr als feig, ihr nicht zu Hilfe zu eilen? Pfui über den Mann, der solches thäte!

»Ich kenne für mich selbst keine so dringende Gefahr, wie diejenige, die sie bedroht, und meine erste Pflicht ist, ihr zu Hilfe zu kommen.«

»Mir,« antwortete sie seufzend, »kommt es nicht zu, die Unklugheiten zu tadeln, welche die gebieterischste Leidenschaft begehen macht. Möchte ich, die Vertraute Ihrer Verwegenheiten, nie im Geheimen die vielleicht glückliche Zeit bedauern, wo ich vor ähnlichen nicht zurückbebte. Gehen Sie, lieber Faublas, mitten durch tausend Gefahren diese junge Sophie aufzusuchen, deren Schönheit mir so viele Thränen gekostet hat! O, wahrhaft bizarres Schicksal! jetzt muss ich, um Sie zusammenzuführen, mir ebenso viele Mühe geben, als ich mir früher angelegen ließ, Sie zu trennen.

»Meine Freundschaft, zweifeln Sie nicht an derselben, sie wird über die unbedachtsame Liebe wachen; ich werde, so viel in meiner Macht steht, die Gefahren zu beseitigen suchen, von denen ich Sie umgeben sehe, und die schönen Tage vorbereiten, die Ihnen versprochen sind.

»Von allen Vorsichtsmaßregeln ist die erste und nothwendigste die, dass Sie sich verkleiden; ich nehme es auf mich, Ihnen einen bequemen und passenden Anzug ausfindig zu machen; ich werde alle Vorbereitungen zu Ihrer Reise besorgen. Die meinige, deren Stunde festgesetzt war, wird um Ihretwillen auf morgen verschoben werden.

»Verlassen Sie mich, mein Freund! sagen Sie Desprez, er solle zu mir heraufkommen; erwarten Sie mich heute um Mitternacht auf Ihrem Zimmer.«

Sie kam in der That zu mir. Zuerst ließ sie mir meine Kleider ausziehen, dann zog sie geheimnisvoll aus einem kleinen Paket ein langes schwarzes Gewand heraus, in welches ich mich einhüllen musste.

Ein kunstvoll umgebundener Batist schien den Schatz eines keuschen und entstehenden Busen zu verhüllen; auf meine bescheidene Stirne, die schon mit einem weißen Streifen bedeckt war, fiel noch ein leichter Schleier herab, hindurch welchen mein schüchterner Blick denjenigen meiner gefälligen Freundin aufsuchte, die mich ankleidete.

Wie sah ich sie erröthen und in Verwirrung gerathen! mit welchem Schmerz und doch mit welchem Vergnügen hörte ich einen schmerzlichen und zugleich zärtlichen Seufzer ersticken, wie oft senkten sich ihre thränenfeuchten Augen, um die Begegnung der meinigen zu vermeiden.

Wie oft blieben ihre zitternden Hände ruhen, um noch etwas an meinem Gewande zu richten, das ihr nicht ganz zu passen schien. Und ich, für den diese hübsche Hand immer nicht langsam genug war, ich, der ich sanft über meine interessante Freundin gelehnt, schweigend ihre meinem Herzen so wohlthuende Rührung genoss. Wie sah ich mich von dem lebhaften Verlangen gedrängt, meine Glut und meinen Kummer in einer letzten Umarmung zu begraben.

Oh, meine Sophie! in keinem Augenblicke meines Lebens war Dein Andenken meiner wankenden Tugend nothwendiger und doch muss ich zu meiner Strafe gestehen, wenn ich sicher gewusst hätte, dass Frau von B... ebenso schwach als ich – – – Kurz, ich machte keinen Versuch und blieb standhaft.

Du, mein geliebtes Weib, meine theuere Sophie, musst mir Dank wissen, dass ich den Muth der Marquise und die Treue Deines Gemahls nicht auf diese harte Probe stellte.

Als Frau von B... sah, dass nichts mehr zu meiner Verkleidung fehlte, konnte sie einige Thränen nicht zurückhalten und sagte mit schwacher Stimme zu mir:

»Leben Sie wohl! gehen Sie, kehren Sie nach Frankreich zurück, fliegen Sie nach Paris; in zwei Stunden folge ich Ihnen, zwei Stunden nach Ihnen bin ich in der Hauptstadt.

»Faublas, wir werden, so zusagen, miteinander ankommen; dieselbe Stadt wird uns einschließen, und doch werden wir uns nicht wiedersehen! Ich werde wenigstens über Sie wachen, ich werde der Gefahr zuvorkommen oder sie beseitigen. Sie werden dann sehen, ob ich wirklich Ihre Freundin bin.

»Chevalier, steigen Sie in der Straße Grenelle Saint-Honoré, im Gasthof »zum Kaiser« ab. Sie werden nur einen Augenblick dort sein, so wird in meinem Namen jemand zu Ihnen kommen, dem Sie Ihr ganzes Vertrauen schenken können. Faublas, hören Sie ja auf seinen Rath, folgen Sie seiner Ansicht und begehen Sie ja keine Unvorsichtigkeit, ich bitte Sie! Sie haben nur noch ein Mittel, mich für meine Bemühungen zu belohnen, wenn Sie die Wirkungen derselben nicht durch tolle Verwegenheit zerstören. Warum ist es mir nicht gestattet, Sie auf der Reise zu begleiten und die Gefahren zu theilen, die Ihrer vielleicht warten! hören Sie, mein Freund, für jeden Fall nehmen Sie Ihre Pistolen zu sich. Was diese Waffe anbelangt,« fügte sie hinzu, auf meinen Degen zeigend, der neben meinem Kopfkissen hieng, »dies kann niemals einer Nonne gehören, erlauben Sie, dass ich es mir zueigne.«

Ich machte den Degen los und überreichte ihn ihr; sie ergriff ihn mit Entzücken, zog ihn schnell heraus und schien mit Wohlgefallen den feinen Stahl zu betrachten; dann senkte sie ihn wieder in die Scheide, bemächtigte sich meiner Hand, die sie mit einer Kraft drückte, welche ich ihr nicht zugetraut hätte, und sagte mit festem Tone zu mir:

»Großen Dank, ich werde dieses Geschenks würdig sein!« Ohne meine Antwort abzuwarten, führte sie mich nach der Treppe, die wir schweigend hinabstiegen; wir giengen ohne Geräusch durch den Garten, dessen kleine Thüre sich öffnete, sobald wir uns zeigten; ich sah eine Postchaise, die mich erwartete.

Ich wollte der Marquise danken, indem ich sie umarmte, allein schneller als der Blitz riss sie sich aus meinen Armen, schloss die Thüre hinter sich zu und ließ mich ein letztes Lebewohl hören.

Es war ungefähr fünf Uhr morgens; mit Tagesanbruch kamen wir auf französischen Boden. Wer in einem Lande reist, wo er sich schlimme Händel zugezogen hat, bildet sich ein, jeder, der ihn ansieht, erkenne ihn, es scheint ihm unmöglich, dass sein fatales, auf seine Stirne geschriebenes Abenteuer nicht von jedem Vorübergehenden gelesen werde; überdies war es ganz natürlich, dass eine reisende Nonne aufmerksam betrachtet werde. So sagte ich zu mir in der Gegend von Longwy, dem ersten Grenzorte, wo ich zu bemerken glaubte, ich werde beobachtet. Ich verfiel in einen allzu kurzen Schlaf. Nach einigen hundert Schritten wurde mein Wagen umschlossen; ich öffnete die Augen bei dem Geräusch, das meine barsch aufgerissenen Wagenschläge verursachten. Ehe ich Zeit hatte zur Besinnung zu kommen, stürzte man in den Wagen; ich wurde gepackt und gebunden.

Aus Ehrerbietung vor meinem Gewande, oder aus Unachtsamkeit, ließ man mich unausgesucht, man hüllte mich in einen Soldatenmantel und bedeckte meinen Schleier mit einer dicken profanen Leinwand. Der Anführer setzte sich ohne Umstände neben mich; der Postillon erhielt Befehl weiter zu fahren.

Wohin führte man mich?

Der verwünschte Wagen fuhr immer fort und wir kamen nicht zur Stelle. Seither habe ich berechnet, dass wir ungefähr sechs und dreißig Stunden unterwegs waren; sechs und dreißig Jahre hätten mir nicht länger erscheinen können.

Welche schreckliche Unruhe quälte mich! welchen Betrachtungen war ich überlassen! ich sah mich von Richtern umringt, ich hörte den fürchterlichen Spruch verkündigen, ich gewahrte das unglückselige Schaffot! welche Lage! Das Tuch, womit man meinen Kopf eingehüllt, ließ mir zu wenig Licht zu, als dass ich etwas hätte unterscheiden können. Nur das Getrappel von Pferden erreichte mein Ohr, und ich schloss sehr vernünftig daraus, dass ich zur größeren Sicherheit von Soldaten geleitet werde.

Einmal, als die Truppe einen Augenblick Halt machte, wahrscheinlich, um sich frische Pferde geben zu lassen, hörte ich sogar einen von ihnen Dernevals und meinen Namen nennen.

Es war nicht für mich allein, dass ich zitterte bei meinen Gefahren, nein, mein Vater! an Dich dachte ich, ich dachte an den Brief, den ich auf meinem Tische für Dich zurückgelassen hatte, und worin ich Dir eine baldige Rückkehr versprach.

Vielleicht sollte Dein Sohn Dich nicht mehr umarmen!

Nicht wegen meiner allein bedauerte ich mein frühes Ende; nein, meine junge Gattin, nein! ich dachte an Deine liebliche Erscheinung, an unsere kurze Ehe, an unsere süßen so schnell zerrissenen Bande. Wenn auch mein klägliches Ende nicht das Deinige in Bälde nach sich zog, so war ich doch sicher, dass Du meinem Andenken treu bleiben würdest; dass sich nie ein Sterblicher des Glückes rühmen sollte, die Witwe des Faublas geheiratet zu haben.

Oh, meine Sophie! wie rührte mich der Gedanke an das traurige Schicksal meines jugendlich geliebten Weibes.

Endlich kamen wir an. Man hob mich heraus und trug mich, ich konnte nicht errathen wohin, denn ich konnte im Dunkel der Nacht nichts unterscheiden. In Ermangelung meiner Augen spitzte ich die Ohren und lauschte mit eben so großer Neugierde als Unruhe. Ich hörte das Geschmetter der Thüren, das Knarren der Riegel, den eiligen Schritt mehrerer von verschiedenen Seiten herbeilaufenden Personen. Der Ort, wo man mich niedergesetzt hatte, schien mir feucht und kalt; ich wurde auf einen ungeheuern hölzernen Lehnstuhl gesetzt; ziemlich weit von mir murmelte man einige Worte, die ich unmöglich verstehen konnte; meine Ohren erreichte nur jene Art dumpfes und langes Geseufze, das an einem sehr großen, in der Regel einsamen Orte das ungewohnte Durcheinander mehrerer Stimmen untereinander hervorbringt.

Eine Person kam auf mich zu, neigte sich zu meinem Ohr und richtete in einem sehr sanften Tone die zugleich tröstenden und schrecklichen Worte an mich:

»Großer Gott! was wird aus Ihnen werden? ach! werde ich Sie retten können?«

Einen Augenblick nachher hörte ich den Ton einer Trauerglocke; es schien mir, als ob viele Leute miteinander hereinträten und mich umringten. Auf das Geschrei einer großen Versammlung folgte plötzlich eine tiefe Stille, die einige Zeit währte. Meine Seele wurde bewegt, eine unaussprechbare Trauer bemächtigte sich meiner, ich dachte, meine letzte Stunde sei gekommen.

Eine schwache Stimme brach endlich das entsetzliche Schweigen und befahl mir, ein Ave Maria zu sprechen. Ein Ave Maria! dreimal ließ ich mir diesen sonderbaren Befehl wiederholen und dreimal verweigerte meine stockende Zunge Gehorsam; ich konnte mich in meiner großen Verwirrung keiner Silbe des verlangten Gebetes entsinnen. Eine Person stimmte es an und ließ mich es Wort für Wort wiederholen. Hierauf begann das kurze Verhör, dessen Verbalprozess genau lautete wie folgt:

»Woher kommen Sie?«

»Was weiß ich? fingen Sie die, welche mich hierher gebracht haben.«

»Was haben Sie gethan, seit Sie von hier fortgegangen sind!«

»Von hier? ich bin vielleicht noch nie hieher gekommen! wo bin ich?«

»Haben Sie nicht Fräulein von Pontis verführt?«

»Fräulein von Pontis! oh, Sophie!«

»Ja, Sophie von Pontis! Sie kennen sie?«

»Ich habe von ihr sprechen gehört. Wenn ich sie gekannt hätte, würde ich sie angebetet haben und nicht verführt.«

»Kennen Sie den Chevalier Faublas?«

»Dieser Name ist mir schon vorgekommen.«

»Kennen Sie Derneval?«

»Nein!«

Dieses »Nein« kreiste, von mehreren Stimmen wiederholt, in der Versammlung.

»Nennen sie sich nicht Dorothea?«

»Nein.«

Dies machte noch einen größeren Eindruck, als das erste.

Die Stimme, die mich ausfragte, fuhr fort:

»Man nehme ihr dieses Tuch ab und hebe ihren Schleier.«

Der Befehl wird alsobald vollzogen und welches Schauspiel überrascht mich! vor einem Altar, auf einer kreisförmigen Bank, die mich in ihrem weiten Umfang einschließt, stehen der Reihe nach mehr als fünfzig Nonnen.

Es ist kein Traum, je länger ich um mich schaue, desto deutlicher sehe ich, dass sie mich ganz verwundert betrachten: ich höre sie sogar im Chor ausrufen:

»Sie ist es nicht!«

»Sie ist es nicht!« wiederholte diejenige, welche der Versammlung zu präsidieren schien.

»Die Sache ist verwickelt,« fuhr sie nach einem Augenblick Nachdenkens fort, »wir müssen noch heute Nacht an unsere Obern schreiben. Morgen werden wir Antwort erhalten; indes führe man sie ins Gefängnis und eine unserer Schwestern wache bei ihr.«

Vier junge Novizen ergriffen mich und trugen mich fort. Ich leistete keinen Widerstand; erstens war ich gebunden und zweitens fand ich die Art, wie ich fortgeschafft wurde, nicht ganz unangenehm. Überdies folgten mir alle diese Frauen, und ich machte mir ein Vergnügen daraus, sie zu betrachten.

Man führte mich bei Kerzenschein in ein langes Gewölbe, an dessen Ende ich eine Kapelle erblickte. Zunächst an derselben öffnete man ein Zimmer, das von einem Gefängnisse nur den Namen hatte. Es war eine Art Zelle, in der sich ein Bett befand, auf das man mich legte. Eine Lampe wurde angezündet, man ließ einen Sitz für die Schwester Ursula bringen, der die ehrwürdigen Damen beim Hinausgehen empfahlen, bis zum nächsten Morgen inbrünstig bei mir zu beten.

Oh, mein Stern, Dank sei Dir gesagt! von allen hübschen Gesichtern, die ich gesehen hatte, besaß Ursula das reizendste.

Welcher Teint! welcher Glanz! welche Frische! Welche Sanftheit in ihrem schüchternen Blick! Welche Unschuld auf ihrer offenen Stirne. Wenn man nicht Fräulein von Pontis gesehen hat, so findet man kein schöneres auf der Welt.

Obschon ein Gefangener, hatte ich bereits keine Unruhe mehr als die, welche mir die lebhafte Bewunderung bei dieser so rührenden Schönheit einflößte. Obschon sehr ermattet, fühlte ich kein Bedürfnis nach Ruhe mehr; es wäre auch die rechte Zeit zum Schlafen gewesen.

Frisch auf, Faublas, galanter Kamerad Rosamberts, gelehriger Zögling der Frau von B..., hier gilt es, Dich Deiner Lehrer würdig zu zeigen! Der Triumph kann Dir vielleicht schwer scheinen, allein die Laufbahn ist einmal geöffnet, und sieh! wie er Deiner würdig ist, der Preis, den der Zufall in diesem Augenblicke für die Beredsamkeit ausgesetzt, ein bezauberndes Mädchen und die Freiheit! wenn je Verführung zu entschuldigen war, gewiss! so war es hier der Fall.

Neugieriger Leser, der Sie allein an Ihrem Feuer mit gierigen Augen dieses Buch durchblättern, wenn Sie eben so leichtfertig sind, wie sein junger Verfasser, so füllen Sie die folgenden sechs Seiten aus Ihrem eigenen Kopfe aus.

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