Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Zweiter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Ende der Liebesabenteuer des Chevalier Faublas.

Ach, ich bin in der Bastille! ... Ich brachte beinahe den ganzen Winter, vier Monate, vier volle Monate darin zu. Man hat es schon tausendmal geschrieben und doch muss ich es noch einmal schreiben. (Es war im Juli 1788, als ich so meine Klagen mit denen aller Bürger vermischte. Wie hätte ich damals ahnen können, dass im Juli 1789 die Bastille in weniger als drei Stunden von meinen wackern Landsleuten im Sturm genommen werden sollte? wie hätte ich die reißenden Fortschritte der Revolution ahnen können?)

Alle Widerwärtigkeiten sind an diesem Orte des Jammers vereinigt, und von allen Widerwärtigkeiten die trostloseste, die Langeweile, die fürchterliche Langeweile wacht hier Tag und Nacht neben der Unruhe und dem Schmerz.

Ich glaube, der Tod würde diesen Ort bald allein bewohnen, wenn man der Hoffnung verwehren könnte einzudringen.

O, mein König! der Tag, wo Du in Deiner Gerechtigkeit diese unglückseligen Gefängnisse zerstören lassen wirst, wird für Dein Volk ein Tag der Freude sein.

Die Sonne, die vielleicht seit mehr als zwei Stunden die übrige Welt beleuchtete, begann für uns unglückliche Gefangene kaum zu erscheinen. Kaum traf einer ihrer schwächsten Strahlen in schräger Richtung die erste Hälfte des engen länglichen Dachfensters, das in der dicken Wand einer ungeheuern Mauer angebracht war; meine Augen, die seit langer Zeit keine Thränen mehr hatten, meine müden Augen wollten sich auf einige Minuten schließen. Ich hörte auf, Sophie oder den Tod herbeizurufen.

Plötzlich höre ich meine dreifache Thüre sich öffnen und der Gouverneur tritt herein mit dem Rufe: »Freiheit! Freiheit!« Wie kann ein Unglücklicher, der nur seit einigen Tagen in einem der am wenigsten schrecklichen Kerker der Bastille eingesperrt war, dieses Wort hören, ohne vor Freude zu sterben? wie habe ich das Übermaß der meinigen ertragen können? Ich weiß es nicht; aber was ich gut weiß, ist, dass ich mich ganz nackt aus meinem Kerker hinausstürzen wollte, als man mir begreiflich machte, dass ich mir zum wenigsten die Zeit nehmen müsse, um mich anzukleiden. Nie erschien mir eine Toilette länger, und dennoch geschah sie nie schneller.

Ich bedurfte weniger Zeit, um die erste Thür zu erreichen. Als sich dieselbe öffnete, lief mein Vater mir entgegen.

Mit welchem Entzücken umarmte ich ihn! mit welcher Freude schloss er mich in seine Arme!

Nachdem er mir die sanftesten Vorwürfe machte, nachdem er mir die zärtlichsten Liebkosungen ertheilte, hörte der Baron auf die dringliche Frage, die ihm ein unruhiger Gatte wiederholte.

»Deine Sophie,« sagte er mir, »ich wollte sie Dir zurückgeben können; aber eine reizende Frau, welche für Dich das lebhafteste Interesse fühlt, nimmt den innigsten Antheil an Allem, was Dich betrifft...«

Ich glaubte, der Baron spreche von der Marquise von B...; ein tiefer Seufzer hob meine Brust. Wer sich an Alles erinnern wird, was die Marquise für mich gethan und gelitten hat, der wird mir diesen Seufzer verzeihen. Ich weiß nicht, ob mein Vater überrascht war, ihn zu hören; aber er schwieg einige Augenblicke und betrachtete mich sehr aufmerksam; dann fuhr er fort:

»Diese Dame, die sich für Alles, was Sie betrifft, sehr lebhaft interessiert, hat mir gesagt ...«

»Sie haben sie gesehen, mein Vater, Sie haben sie gesprochen?«

»Ja, ich habe sie gesprochen.«

»Nun gut, nicht wahr, sie ist ein Engel?«

»Ich gebe es zu.«

»Und Sie glauben, dass sie sich sehr interessiert?«

»Für Sie, mein Sohn, ja, ich glaube es.«

»Mein Vater, sie hat Ihnen gesagt ...?«

»Daß Frau von Faublas sich am Tage nach Ihrer Verhaftung genöthigt gesehen hat, ihr Kloster zu verlassen; niemand hat entdecken können, an welchen Ort Lowzinski sie verborgen hat.«

»Oh! theuere Gattin! Oh! in welchem Zustande sie war, als die Soldaten mich umringten und durch ihre Übermacht mich bewältigten. Ich sah sie hinfallen, ohnmächtig, sterbend. Ach! wenn meine Sophie nicht mehr lebt, so ist für mich Alles vorüber.«

»Verbanne diesen unseligen Gedanken, mein Sohn. Gewiss, Deine Gattin ist nicht todt, sie lebt, um Dich zu lieben. Am Tage, als sie ihr Kloster verließ, schien sie sehr verzweifelt zu sein. Nein, fürchte nichts für Deine Frau.«

»Sie beruhigen mich. Sie trösten mich, wir werden sie wieder finden.«

»Ich wünsche es ernstlich, doch könnte ich es nicht zu versichern wagen. Ich habe lange Nachsuchungen angestellt, wir werden neue vornehmen; aber ich gestehe Dir, mein Sohn, dass ich anfange am Erfolg zu verzweifeln.«

»Wie, mein Vater, sie lebt, ich bin frei und ich sollte sie nicht wieder finden? ah! ich werde sie wiederfinden, seien Sie versichert, dass ich sie wiederfinden werde.«

Indes fuhr unser Wagen vorwärts. Wir hatten bereits die Höfe der Bastille hinter uns und waren nahe an dem Thor Saint-Antoine, als ein Bedienter zu Pferd unserem Kutscher einen Wink gab, anzuhalten, und mir einen Brief zustellte mit den Worten:

»Dies von meinem Herrn hier!«

Er zeigte mir einen jungen Mann, der eben nahe an unserem Wagen sein Roß tummelte. Trotz des runden Hutes, womit der junge Cavalier seine Augen beinahe bedeckt hatte, erkannte ich den Vicomte von Florville, ich erkannte den eleganten englischen Frack, womit er sich in glücklichern Zeiten kleidete, das eine Mal, um in das Zimmer des Chevalier Faublas zu kommen, das andere Mal, um Fräulein Duvortail nach dem kleinen Hause in Saint-Cloud zu begleiten.

Ich stürzte mich an den Kutschenschlag und rief:

»Sie ist's!«

Der Baron hielt mich zurück, mich ermahnend:

»Mein Freund, Sie werden hinausfallen.«

Der Vicomte beehrte mich mit einem freundlichen Lächeln, grüßte mit der Hand und sprengte im Galopp davon.

Entzückt, ihn wieder zu sehen, konnte ich meine Freude nicht mäßigen und rief unaufhörlich:

»Sie ist's! Mein Vater, sie ist's!«

»Wer, sie?«

»Sie. mein Vater, diese reizende Frau, von der wir soeben sprachen. Sehen Sie!«

Ich hatte des Barons Hand ergriffen oder zu ergreifen geglaubt, und zog sie so heftig an mich, dass ich seine Manchetten zerriss.

»Wenn Sie wollen, dass ich nach ihr sehe, so bleiben Sie doch ein wenig ruhiger,« sagte er zu mir. »Wo sehen Sie sie denn?«

»Hier unten! Sie ist schon ziemlich weit; aber Sie können ihr hübsches Pferd und ihr reizendes Kleid noch unterscheiden.«

»Wie! kleidet sie sich zuweilen als Mann?«

»Oft, mein lieber Vater!«

»Und sie reitet?«

»Gut, sehr gut, mit unendlicher Anmuth und Gewandtheit!«

»Sie sind besser unterrichtet als ich,« antwortete der Baron, etwas ärgerlich, wie mir schien; »ich wußte das nicht.«

»Mein Vater, erlauben Sie, dass ich lese, was sie mir schreibt?«

»Ja, und sogar laut, wenn es sein kann; Sie werden mich verbinden.«

Ich las laut:

»Bis das unglückselige Duell ganz vergessen ist, mein Herr, können Sie sich ebenso wenig, als Ihr Herr Vater, der wohl daran gethan hat, seinen Namen, den er in Luxemburg angenommen, beizubehalten, unter dem Namen Faublas zeigen. Nennen Sie sich Chevalier von Florville, wenn Ihnen dies nicht unangenehm ist und wenn Sie sich zuweilen gerne einer Freundin erinnern, deren Bemühungen Sie Ihre endliche Befreiung verdanken.«

»Ich wusste wohl, dass sie Schritte that,« unterbrach mich der Baron, »aber sie hoffte nicht auf so schnellen Erfolg. Ich habe erst diesen Morgen die glückliche Nachricht von Ihrer nahen Freiheit erhalten, und zwar durch einen Brief von unbekannter Hand. Lesen Sie weiter, mein Sohn!«

»Diesen Abend werden wir einen Augenblick mit einander plaudern können; diesen Abend werden Sie einen Besuch von Frau von Montdesir erhalten, und Sie werden thun, was diese Ihnen sagt. – Verbrennen Sie dieses Billet.«

Der Baron fragte mich lebhaft, wer diese Frau von Montdesir wäre. Ich antwortete, dass ich nichts von ihr wusste.

»Es ist immer etwas Bizzares und Dunkles in Allem, was Ihnen begegnet,« versetzte er mit Ungeduld. Übrigens werde ich noch heute Abend den Schlüssel zu diesem Räthsel haben.«

»Heute Abend, mein Vater?«

»Ja, heute Abend werden wir dieser Dame in ihrem eigenen Hause unsern Dank abstatten.«

»In ihrem eigenen Hause! aber ich kann mich dort nicht blicken lassen!«

»Warum denn?«

»Weil ihr Gemahl –«

»Konnte ihr Gemahl es übel aufnehmen? aber er ist ja todt, ihr Gemahl.«

»Er ist todt?«

»Doch ja, er ist todt. Sie, der von Allem, was sie betrifft, so gut unterrichtet scheint, wie kommt es, dass Sie dies nicht wissen?«

»Fragen Sie mich vielmehr, wie ich es wissen sollte, mein Vater. Er ist todt – dies thut mir wahrhaftig leid. Der arme Marquis von B...! offenbar starb er an den Folgen seiner Wunde; ich werde mir dies immer vorzuwerfen haben.«

Mein Vater hörte mich nicht, weil unser Wagen soeben vor einem Kloster in der Straße Croix-des-Petits-Champs, nahe an dem Vendomplatz angehalten hatte.

»Sie werden Ihre Schwester sehen,« sagte der Baron zu mir.

»Ah! meine theuere Adelheid!«

»Ich habe sie hierher gebracht,« fuhr mein Vater fort, »damit sie mehr in unserer Nähe ist; Sie werden sogleich und ohne Zweifel bemerken, dass Sie von den Fenstern des Hotels, das ich bewohne, Ihre Schwester sehen können, wenn sie sich in ihren Erholungsstunden im Klostergarten ergeht. Sie sehen ein, dass ich unmöglich länger in der Universitätsstraße wohnen konnte, und dass ich nothwendig ein anderes Stadtviertel wählen musste, als das der Vorstadt Saint-Germain. Folgen Sie mir, mein Freund! wir werden Adelheid mitnehmen, es wird ihr Vergnügen machen, mit uns zu Mittag zu speisen.«

Als wir erschienen, kam sie sogleich ins Sprechzimmer.

Um wie viel war sie während der mehr als fünf Monate, da ich sie nicht gesehen, schöner geworden! ich fand sie noch weit besser gebaut und gewachsen, größer und hübscher. Dies liebenswürdige Mädchen musste durch ihre Nähe jeden bezaubern und eine unauslöschliche Neigung einflößen.

Ich hielt ihre Hand, die ich mit meinen Thränen benetzte; ihre Thränen fielen auf meine Hand und mein Vater verschwendete an uns beide tausend süße Liebkosungen. Doch mich umarmte er am öftesten.

»Sei deshalb nicht eifersüchtig!« sagte er zu meiner Schwester, die mit ihrer bekannten Natürlichkeit eine Bemerkung darüber machte; »erlaube, dass ich ihn heute ein wenig mehr liebe als Dich. Seit mehr als sechs Monaten vielleicht leide ich und bin unruhig, und nicht Du bist es, die mir Kummer macht.«

Um diesen gerechten Vorwurf zu versüßen, drückte mich der Baron mehrere Male zärtlich an seine Brust.

Vom Kloster aus kamen wir in weniger als einer Minute in unser Hotel, wo mich mein Vater sogleich in den Besitz des Zimmers setzte, das er für mich bestimmt hatte. Ich war entzückt, den treuen Jasmin in meinem Vorzimmer wieder zu finden; aber nicht ohne Kummer konnte ich in meinem kleinen Schlafzimmer ein einziges schmales Bett sehen.

»Oh, mein Vater, Sie haben den Chevalier Faublas so logiert, als müsste er noch lange als Witwer seufzen; das ist also mein Zimmer des Cölibats.«

Statt aller Antwort öffnete mir der Baron eine anstoßende Thüre. Nachdem ich mehrere geräumige Gemächer durchschritten, trat ich in ein schönes Zimmer, wo sich zwei Alkoven und zwei Betten befanden. Ich that einen Freudenruf.

»Das ist der Tempel des Hymens; hierher wird die Liebe meine Gattin zu mir zurückführen; mein Vater, ich werde dieses Zimmer nur mit Sophie bewohnen. Bis mir meine Frau zurückgegeben ist, werde ich in diesem andern, so traurigen Zimmer verweilen; niemand wird dieses betreten, niemand! keine dieses Ortes minder würdige Schönheit wird ihn durch ihre Gegenwart entweihen. Und dieses Boudoir, wie hübsch ist es, wie galant! sobald meine Sophie ein einziges Mal hierher gekommen sein wird, meine Huldigungen zu empfangen, so wird dieses Boudoir nicht mehr existieren; es wird ein wahrer Tempel, ein Heiligthum sein; ich werde mich dem Altar nie anders als mit heiliger Ehrfurcht nähern ...«

Der Altar war ein prachtvoll schwellendes Ruhebett; er näherte sich demselben und sprach:

»Ja, meine Sophie, ich schwöre es Dir, nie wird eine Sterbliche in dieses Heiligthum treten, wo meine Huldigungen Dich erwarten! ja, ich schwöre es abermals, sie allein wird hier angebetet werden, die Göttliche, die meine feurigsten Wünsche täglich hierher rufen werden!«

Während er diesen doppelten Schwur that, dachte der Chevalier von Florvill nicht im entferntesten daran, dass noch vor Ende des Tages ein großer Skandal an diesem Orte vorgehen würde.

Mein Vater zeigte mir, dass man von dem Boudoir in ein Toilettenzimmer kam, und von dort in einen Korridor, an dessen Ende sich eine geheime Treppe fand. Nicht ohne Mühe riss man mich aus dem Zimmer meiner Frau; der Baron musste, ehe er mich vermögen konnte, in das seinige zu gehen, über die zärtlichen Worte lächeln und die süßen Liebkosungen bewundern, womit ich die kleinen Möbel des reizenden Boudoirs eines nach dem andern beehrte. Ich weiß nicht, wie es kam, dass mehrere Stunden verstrichen, ohne dass ich der Frau von B... auch nur eine Erinnerung widmen konnte, ohne dass ich einen Augenblick fand, um meinen Vater über die neuen Verhältnisse dieser Witwe zu fragen, die mir so theuer war.

Bei dem Geräusch eines Wagens, der soeben in den Hof des Hotels hereinfuhr, eilte mein Vater an das Fenster und kam dann zu mir zurück und sagte zu mir:

»Mein Sohn, sie ist's! obgleich sie recht gut wusste, dass Sie hier sein würden, so habe ich es ihr doch sagen lassen; sie kommt offenbar, um bei uns Mittag zu speisen.«

Ich wollte mich auf die Treppe stürzen, der Baron hielt mich zurück.

»Mein Freund, Sie werden nicht im Vorzimmer Ihren Dank abstatten; mir kommt es zu, sie zu empfangen.«

»Mein Vater!«

»Mein Sohn, Sie bleiben hier, ich will es!«

Er gieng hinaus und kam sogleich wieder zurück. Ich erwartete die Marquise von B... erscheinen zu sehen; und nun war es die Baronin von Fonrose, die eintrat. Mein bereits sehr großes Erstaunen stieg auf's höchste, als ich sie in Begleitung einer kleinen hübschen Brünette sah, die, schnell wie der Blitz, in meine Arme stürzte. Als sie mich mehreremal umarmt und ihren lieben Freund genannt, bemerkte sie erst, dass noch zwei Personen da seien, die sie nicht kannte, und die sehr überrascht über ihre unmäßige Freude, sowie über ihre noch unmäßigere Lebhaftigkeit, ihr stillschweigend zusahen und ungeduldig zu warten schienen, bis sie zu Ende wäre.

»Verzeihen Sie,« sagte sie zu meinem Vater, ihn begrüßend, »ich hatte Sie nicht bemerkt; aber es ist nicht meine Schuld, denn Sie müssen wissen, ja, ich will es gestehen, dass ich von Natur aus etwas zu rasch bin.«

Und ohne des Barons Antwort abwartend, fragte sie mich, auf Adelheid deutend, wer diese junge Dame wäre. Sobald ich ihr geantwortet, dass es meine Schwester sei, lief sie auf sie zu und umarmte sie mit den Worten:

»Mein Fräulein, ich bin sehr erfreut, dass Sie so nahe mit ihm verwandt sind, denn ich finde sie sehr hübsch.«

Meine liebe Adelheid, äußerst verwirrt, konnte kein Wort vorbringen; aber ich hörte, dass mein Vater, der sich kaum von seiner ersten Überraschung erholte, ganz leise Frau von Fonrose bat, ihm den Namen dieser jungen Dame zu sagen, die er wirklich etwas zu leidenschaftlich fand. Die Baronin antwortete laut:

»Es ist eine meiner liebsten Freundinnen; ich glaube, Ihnen zuweilen von der Gräfin Lignoll gesagt zu haben.«

Mein Vater richtete das Wort an die Gräfin:

»Es scheint mir, dass mein Sohn die Ehre hat, mit Madame bekannt zu sein?«

»Sehr, mein Herr!« sagte sie.

»Ja, sehr!« wiederholte die Baronin lachend, »sie haben Charaden mit einander gemacht.«

Alle hatten sich gesetzt, die Gräfin gab mir ein Zeichen, neben ihr Platz zu nehmen; ich wollte dies thun.

»Tollkopf, der Sie sind!« sagte er zu mir, dann mich der Frau Fonrose vorstellend:

»Empfangen Sie, Frau Baronin, den Dank meines Sohnes.«

»Ich muss gestehen, dass er mir welchen schuldig ist,« antwortete sie; »ich habe ihm schnell eine hübsche Dame wieder gebracht, für die er ohne Zweifel einige Freundschaft hat.«

»Aber,« versetzte er, »es handelt sich nicht bloß davon.«

»Sie haben Recht; er ist mir auch dafür verpflichtet, dass ich ihm ihre Bekanntschaft verschafft habe. Auch habe ich heute früh sogleich die Gräfin aufgesucht, sobald ich durch Sie erfahren hatte, dass der Chevalier sein Gefängnis verlassen habe; aber ich hoffe, dass Sie es wussten, ehe ich es Ihnen sagen ließ.«

»Nein!«

»Wie? nicht? haben Sie nicht Schritte gethan, um die Freiheit des Chevaliers auszuwirken?«

»Ich habe welche gethan, es ist wahr.«

»Verdankt er nicht Ihnen seine Befreiung?«

»Auf Ehre, ich glaube nicht!«

»Madame, Sie setzen mich in Erstaunen,« rief er etwas ärgerlich; »warum sich der Erkenntlichkeit des Vaters entziehen, während Sie die des Sohnes wünschen?«

»Während ich die des Sohnes wünsche? erklären Sie sich, mein Herr!«

»Nun ja! Madame, Sie machen mir ein Geheimnis aus Ihren glücklichen Bemühungen, während Sie nichts Eiligeres zu thun hatten, als den Chevalier davon in Kenntnis zu setzen.«

»Sagen Sie mir, mein Herr,« versetzte sie ungeduldig, »wie ich den Chevalier davon in Kenntnis setzen konnte, da ich –«

»Wie Sie ihn in Kenntnis setzen konnten? durch einen Brief, den Sie ihm diesen Morgen geschrieben haben.

»Einen Brief, den man ihm in dem Augenblick zugestellt hat, wo wir zu dem Thore Saint-Antoine hereinfuhren, und in welchem Sie ihm den Namen Florville zu geben beliebten!«

»Den Namen Florville!«

»Und worin Sie ihm noch für den Abend den Besuch einer gewissen Frau von Montdesir ankündigen.«

»Es ist mir sehr lieb, dass Sie mir diesen Namen sagen. Indes gestehe ich Ihnen, mein Herr, ich erwarte mit einiger Ungeduld, dass Sie diesem langen Scherz gefälligst ein Ende machen.«

»Dies hängt ganz von Ihnen ab, Madame; gestehen Sie einfach –«

»Wie, mein Herr! alle die Träumereien, die Ihnen durch den Kopf gehen –!«

»Gestehen Sie einfach,« fuhr er in gereiztem Tone fort, »gestehen Sie, dass Sie geduldig am Eingange des Boulevards postiert, einen Blick vom Chevalier erwarteten.«

»Wenn der Herr Baron nicht scherzt, so hat er den Verstand verloren.«

Ich brauchte nur ein Wort zu sagen, um die Sache aufzuklären; allein ich durfte die Marquise nicht bloßstellen und mir keinen Zank mit der Gräfin bereiten. Was thun? Ich sah, wie der Baron, der sehr heftig war, bereits sehr unruhig zu werden anfieng, und bei der Beschuldigung der Baronin mit gereiztem Tone sagte:

»Worüber ich mich wundere, ist, dass Sie für nöthig hielten, mit verhängten Zügeln davon zu sprengen, als ich Ihnen nachsehen wollte.«

»Mit verhängten Zügeln!«

»Der Ausdruck ist vortrefflich!«

»Im Galopp! wenn Sie lieber wollen.«

»Dieser ist nicht minder gut.«

»Ohne Zweifel!« rief er mit äußerster Lebhaftigkeit; »mit Erlaubnis, Sie saßen ja doch zu Pferde und in Kavalierskleidern.«

»Ich diesen Morgen, auf dem Boulevard zu Pferde und in Kavalierskleidern? ich? mein Herr! wissen Sie wohl, was Sie sagen?«

»Ah! dies ist zu stark! Madame, man hat Sie gesehen.«

»Wer, mein Herr, wer hat mich gesehen?«

»Mein Sohn.«

»Er? das ist ja unmöglich, sage ich Ihnen.«

»Er selbst, Madame!«

»Nun gut, so berufe ich mich auf seine Aussage.«

»Sprechen Sie, Chevalier, haben Sie mich gesehen?«

Ich antwortete:

»Nein, Madame!«

»Wie nicht?« rief Herr von Belcourt. »Haben Sie mir nicht gesagt –?«

»Mein Vater, wir haben uns falsch verstanden; als Sie glaubten, es sei von Madame die Rede, sprach ich von einer andern Person.«

»Von wem denn?«

»Erlassen Sie mir eine nähere Erklärung, die meine Ehre mir verbietet.«

Jetzt erhob sich die Gräfin mit vieler Lebhaftigkeit und sagte zu mir:

»Ich will es wissen, ich!«

Lachend wiederholte ich:

»Sie wollen es wissen?«

»Ja,« versetzte sie, »ich will wissen, welche Frau so große Eile hatte, Sie heute früh auf Ihrem Wege abzupassen und Ihnen zu schreiben.«

»Sie wollen es wissen?«

»Ja, mein Herr.«

»Wie ernstlich!« fuhr ich mit scheinbarer Verwunderung fort, »Sie wollen, dass ich sage –?«

»Oh, wie machen Sie mich so ungeduldig! ja, ich will es.«

»Durchaus, Madame?«

»Doch, ja!«

»Sie verlangen es?«

»Ich verlange es.«

»Wenn ich Ihnen gehorche, werden Sie nicht böse sein?«

»Nein, mein Herr, ich habe Ihnen schon gesagt, ich verlange es.«

»Aber, Madame, besinnen Sie sich wohl.«

»Ich verliere die Geduld.«

»Aber ich muss es doch wenigstens Ihnen allein sagen und leise!«

»Welche Pein! nein, mein Herr, laut werden Sie es sagen und vor jedermann.«

»Sie erlauben es?«

»Offenbar, denn ich befehle es.«

»Sie befehlen es, gut denn, Sie haben gewiss Ihre Gründe?«

»Ohne Zweifel habe ich sie.«

»Gut, so will ich es sagen, (zu dem Baron und der Baronin, auf die Gräfin zeigend:) Madame war es.«

»Das ist nicht wahr!« rief sie aus.

»Sie glauben also, ich hätte Sie nicht erkannt, Frau Gräfin?«

»Ich schwöre Ihnen, dass ich es nicht war.«

Ich erwiederte, sie wäre es gewesen; ich behauptete es mit solcher Zuversicht und Unbefangenheit, dass mein Vater es fest glaubte. Selbst die Baronin ließ sich täuschen.

»Es ist wahr,« sagte sie zur Gräfin, »dass Sie zuweilen Mannskleider anziehen, und dass ich Sie heute früh nicht zu Hause getroffen habe, als ich Sie besuchen wollte. Ich habe beinahe eine Stunde auf Sie gewartet.«

Frau von Lignoll war trostlos, trostloser als ich beschreiben kann, sie rief beständig:

»Ich bin bei meiner Tante, der Marquise von Armincour, gewesen; ich habe mein Leben noch nie ein Pferd bestiegen; ich wusste nicht, dass der Chevalier sobald seine Freiheit erhalten sollte.«

Sie betheuerte beständig, es nicht gewesen zu sein, niemand schien ihr zu glauben; und ich, fortwährend mit einer unerschütterlichen Kaltblütigkeit gewaffnet, die ganz geeignet war, ihre lebhafte Ungeduld zu verdoppeln, antwortete beständig:

»Ah! ich habe Sie wohl erkannt!« Ich glaube wahrhaftig, die Gräfin hätte mich zum Fenster hinausgeworfen, wenn ich so grausam gewesen wäre, ihr das einzige Vergnügen zu nehmen, wodurch ihre kleine Wuth etwas beschwichtigt werden konnte, indem ich sie verhindert hatte, mich in die Arme zu zwicken und ihren Fächer auf meinen Fingern zu zerschlagen.

»Sie grollen, Madame? hatte ich es nicht gesagt? ich habe dies vorausgesehen, als ich mich weigerte. Warum nöthigten Sie mich auch zu sprechen?«

»Wie, mein Herr, konnte ich ahnen –?«

»Dass ich Sie nennen würde? ah! so ist es also. Sie drangen deswegen so in mich, damit ich eine andere Person nennen sollte? warum habe ich dies nicht gemerkt? wahrlich, ich habe Unrecht, ich habe sehr Unrecht! welche Tölpelhaftigkeit von mir!«

So sprechend dämpfte ich absichtlich meine Stimme, sprach aber deutlich genug, dass es Alle verstehen konnten.

Dieser letzte Kniff brachte sie vollends zur Verzweiflung; sie hätte mich in allem Ernste geschlagen, wenn ich nicht Reißaus genommen hätte.

Ich lief bis in das Zimmer meiner Sophie, bis in ihr Boudoir, ein Asyl dort zu suchen, das ich sicher zu finden glaubte. Ich täuschte mich, Frau von Lignoll drang fast zu gleicher Zeit mit mir darin ein. Zu unbesonnen dachte ich nur an das Vergnügen, sie an diesem trauten Orte zu sehen, wo ich auf ihren Zorn die Liebe folgen lassen konnte. Ich nahm sie in meine Arme und sagte in zärtlichstem Tone zu ihr:

»Da Sie mir versichern, dass Sie es nicht waren, so muss ich Ihnen schon glauben; indes hätte ich mein ganzes Vermögen darauf gewettet, dass mir diesen Morgen Frau von Lignoll in der Nähe des Boulevards begegnet sei. Schöne Gräfin, dieser Irrthum meiner Augen, dieser Irrthum, worüber Sie sich betrüben, was beweist er? nichts anderes wahrhaftig, als dass beständig von Ihrem Andenken erfüllt, der Geliebte, der Sie anbetet, überall nur Sie sieht.«

»Nun gut, dieser Grund lässt sich hören,« antwortete die Gräfin sogleich befriedigt; »warum sagten Sie es nicht früher? dann hätte ich mich nicht geärgert.«

Sie umarmte mich. Von meinen zwei Schwüren war der eine bereits vollständig vergessen, da Frau von Lignoll in dem Boudoir blieb, in das ich sie allzuleicht hatte kommen lassen. Den andern Schwur, ich muss in aller Demüthigung gestehen, war ich im Begriff ebenso gewissenlos und vielleicht ebenso schnell zu brechen, als plötzlich Frau von Fonrose hereinkam und verhinderte, dass mich derselbe Augenblick von einem doppelten Meineid belastet sah.

»Allons, Kinder!« sagte sie, die Thüre öffnend, »was wollen Sie da machen? Sie sind doch allzu unbesonnen. Der Baron grollt, er will nicht, dass seine Tochter über Mittag bei Ihnen bleibt. Und wahrlich, er hat nicht Unrecht! gehen Sie mit mir zur Gesellschaft zurück!«

»Es ist ein hübsches Boudoir,« antwortete die Gräfin. »Wir wollen hieher zurückkommen, Herr von Faublas, Duportail, von Flourvac, von Flourville; denn Sie sind der junge Mann mit den fünfzig Namen.«

»Wissen Sie denn dies Alles, Gräfin?«

»Und noch weit mehr! wir werden einen Streit mit einander haben, das sage ich Ihnen zum voraus.«

Ich schloss das Zimmer meiner Frau. Die Gräfin wusste es so einzurichten mir den Schlüssel zu nehmen, den sie in die Tasche steckte.

»Sie haben ohne Zweifel einen andern,« sagte sie zu mir; »ich brauche diesen nothwendig.«

Als die Damen in den Salon zurückkamen, war mein Vater nicht mehr da. Ich holte ihn auf der Treppe ein, die er mit Adelheid hinabstieg. Meine liebe Schwester hatte Thränen in den Augen.

»Diese Dame thut uns viel Herzeleid an, mein Bruder. Ohne Zweifel ist sie schuld, dass wir nicht zusammen speisen; sie ist zu vertraulich und zu lebhaft, diese Dame; traue ihr nicht! siehst Du, mein Bruder, ich liebe die Frauen nicht, die reiten. Hüte Dich, auch für diese ein Amazonenkleid anzuziehen und Dich mit ihrem Gemahl auch zu schlagen! würdest Du denn ein Vergnügen daran finden, einem ehrlichen Manne böses zuzufügen und in die Bastille zurückzukehren? Mein Bruder, liebe diese Dame nicht! oh! ich bitte Dich, liebe sie nicht. Denke an meine gute Freundin! meine gute Freundin wird wieder zurückkommen, sie liebt Dich sehr, meine gute Freundin, und ich sage Dir, die Gräfin würde Dir eben so viel Kummer machen, als die Marquise, die Dir so viele Thränen gekostet hat.«

Auf diese Art gab mir meine liebe Adelheid ohne jede Erkünstelung vortreffliche Lectionen. Aber wie kann ich ihre Moral gut finden in dem Augenblick, da die Gräfin mich oben erwartet? wie kann ich Vernunftsgründe anhören, so lange mir das Vergnügen winket? ein Tag wird kommen, da Du selbst durch die Leidenschaft belehrt, nicht ohne große Kämpfe ein Beispiel nach dieser Lehre wirst geben können.

Zunächst, und bevor mein Vater zurückkehrt, fliege ich, meine Geliebte zu umarmen.

Zwischen zwei schönen Frauen gestellt, deren eine sich über die Zärtlichkeit freute, welche die andere an mich verschwendete, fand ich die Zeit ungemein kurz.

Gewiss ich glaubte bei der Rückkehr meines Vaters, dass er kaum ausgegangen sei.

Der Baron nahm gegen die Gräfin den Ton kalter Höflichkeit an; aber Dank der Frau von Fonrose! man wurde heiter bei der Mahlzeit. Jeden witzigen Einfall des Herrn von Belcourt schien die Baronin mit einem Lächeln zu belohnen, und der Baron schien dieses Lächeln sehr zu lieben. Noch mehr erfreut, mich wieder an seiner Tafel zu sehen, heftete derselbe oftmals einen langen und zufriedenen Blick auf mich; oft sprach er von Adelheid und so oft er von ihr sprach, kostete ihm ihre Abwesenheit tiefe Seufzer.

Ja, während dieses allzu kurzen Mahles, und ich werde es nie vergessen, sah ich, wie mein Vater bei dem Gedanken an seine Tochter zärtlich gerührt war, und dass er sich durch die Gegenwart seines Sohnes glücklich fühlte. Ja, ich beobachtete meinen Vater, und mein Herz sagte mir sogleich, dass nur die väterliche Liebe ihn damals beglückte.

Ein gemeinschaftlicher Freund kommt unser Glück zu theilen; es war der Vicomte von Valbrun, der soeben meine Befreiung erfahren; er eilte herbei mir Glück zu wünschen.

Es schien mir, als ob Frau von Fonrose an diesem Eifer keinen besonderen Gefallen gefunden.

Herr von Valbrun führte gegen sie die stolz bescheidene Sprache, die dem ehemaligen Liebhaber zu geziemen scheint, und doch sah ich auf der andern Seite Herrn von Belcourt die überlegene Miene eines bevorzugten Nebenbuhlers annehmen.

»Ja, die Sache ist im Reinen,« sagte der Vicomte ganz leise zu mir, als er bemerkte, dass ich jede handelnde Person dieser für mich neuen Scene neugierig beobachtete; »die Sache ist im Reinen, ich gelte nichts mehr bei der Baronin. Ach!« fuhr er lachend fort, »ich habe mein ganzes Unglück selbst herbeigeführt. Durch mich von Ihrer Verhaftung unterrichtet, kommt der Baron nach Paris zurück. Ich stelle ihn der Baronin vor, und plötzlich entreißt sie mir der Undankbare. Ich muss mich noch glücklich schätzen, wenn sein Herr Sohn mich gefälligst im ruhigen Besitze dieser kleinen Justine lassen will, die gegenwärtig allein meine müßigen Stunden beschäftigt.«

»Sein Herr Sohn wird Ihre Liebe nicht stören, dessen dürfen Sie versichert sein, Vicomte.«

»Ich traue ihm nicht ganz, schwören Sie bei Sophie!«

»Von Herzen gern! ich schwöre.«

Dies war für mich kein Tag der glücklichen Schwüre; bald wird man sehen, dass ich auch diesen noch brechen sollte.

»Meine Herren, wollen Sie aufhören?« sagte Frau von Lignoll, ungeduldig über unser leises Geflüster. »Über wen unterhalten Sie sich denn so geheimnisvoll? über Frau von Montdesier?«

»Frau von Montdesier!« wiederholte der Vicomte.

»Dies,« versetzte die Gräfin in spöttisch ärgerlichem Tone, »dies ist eine unbekannte Schöne, die dem Herrn Chevalier heute Abend einen Besuch machen muss; diesen Morgen hat sie es ihm durch ein Billet doux angekündigt.«

Herr von Valbrun wiederholte mit erstaunter Miene die letzten Worte der Gräfin:

»Ein Billet doux!«

»Ja,« antwortete sie; »bitten Sie den Herrn Chevalier, es Ihnen zu zeigen. Sie werden sehen, dass es sehr interessant ist.«

»Ah! Chevalier, thuen Sie mir diesen Gefallen.«

Ich machte keine Schwierigkeiten, Herrn von Valbrun den Brief der Marquise anzuvertrauen. Er las ihn mehrere Male mit einer Aufmerksamkeit, die mir Unruhe zu verkünden schien, dann gab er ihn zurück, ohne sich die geringste Bemerkung zu erlauben. Aber einen Augenblick nachher, als wir vom Tische aufstanden, zog er mich ohne Umstände an ein Fenster.

»Dieser Brief,« sagte er, »ich errathe, von wem er kommt.«

»Vicomte, Sie haben sehr gut gethan, nichts davon zu sagen.«

»Ach! seien Sie ruhig.«

»Was Frau von Montdesier betrifft, so ist es Frau von B...«

Ich unterbrach Herrn von Valbrun.

»Ich glaube es, wie Sie; es ist die Marquise, gewiss sie ist es!«

Der Vicomte fuhr fort:

»Während Ihrer Haft, die sehr lange hätte dauern können, hat mir Justine hundertmal gesagt, dass Frau von B... unaufhörlich für Ihre Freiheit thätig sei. Sie hat Ihnen vielleicht etwas sehr Interessantes mitzutheilen.«

»Ich vermuthe es, Vicomte! und ohne Zweifel ist dies die Veranlassung zu dem Besuche, den sie mir heute Abend machen will.«

»Chevalier, es ist mir lieb, dass sie zu Ihnen kommt, da dieser Schritt Ihnen nützlich werden kann; aber seien Sie wenigstens vorsichtig, denken Sie an Frau von Lignoll, denken Sie an Sophie, gehen Sie nicht ...«

Die Gräfin, die mich keinen Augenblick aus den Augen verlor, kam jetzt zu uns und machte dieser Unterhaltung ein Ende. Sie sprach davon, in die Oper zu gehen. Als Herr von Belcourt hörte, dass die Gräfin Frau von Fonrose nicht dahin begleiten wolle, erklärte er, dass er nicht ausgehen wolle.

Die Baronin versuchte alle Mittel ihn zu entfernen und in Verzweiflung, ihn unerschütterlich zu finden, sagte sie am Ende, sie würde ebenfalls bleiben; von der andern Seite versicherte mich die unruhige Gräfin leise, sie würde mich den ganzen Abend nicht verlassen.

»Ich werde,« sagte sie mit bebender Stimme, »entzückt sein, die Bekanntschaft dieser Frau von Montdesier zu machen, die so schnell mit ihren Rendezvous bei der Hand ist.«

Dann fügte sie mit vieler Güte hinzu:

»Haben Sie mir nicht sonst etwas unter vier Augen zu sagen?«

Ich begriff sehr gut diese Aufforderung der reizenden jungen Frau, die mich mit so tiefer Glut in ihren schönen Augen ansah und mir eine süße Schäferstunde zu verheißen schien. Wie sehr war ich zu beklagen, dass ich die hübsche Gräfin um jeden Preis entfernen musste, um die schöne Marquise einzuführen. Ich fürchtete in diesem kritischen Augenblicke eine Dummheit zu begehen, und hatte die größte Mühe nicht den Kopf zu verlieren. Ich sann ein Mittel aus, von dem ich mir den besten Erfolg versprach: um aus dem Salon zu entkommen, ergriff ich einen Augenblick, wo die Gräfin mit der Baronin plauderte, ich eilte in mein Zimmer und rief meinen Bedienten:

»Höre, Jasmin! stehe Schildwache an dem Thor, das nach der Straße führt. Bald wird eine Dame kommen und nach dem Chevalier von Florville fragen; Du bittest sie, Dir zu folgen, aber sehr höflich, mein Freund, denn es ist eine sehr vornehme Dame; von der Dunkelheit begünstigt, werdet Ihr an dem Schweizer vorbeikommen, ohne dass er Euch beachtet; Ihr geht über den Hof und steigt auf der geheimen Treppe hinauf. Diese Dame wird die Güte haben, auf meinem Zimmer zu warten. Du lässt sie ohne Licht, weil man von den Fenstern des Barons aus nicht zu sehen braucht, dass jemand bei mir ist; Du verstehst mich doch?«

»Ja, Herr Chevalier!«

»So warte doch, es ist noch nicht alles! statt es mir bei dem Baron zu melden, gehst Du in den Hof hinab und spielst auf Deiner Violine die Melodie, die Du so gut kannst: »Wenn alles schläft.« Wann Du glaubst, ich habe Dich hören müssen, gehst Du auf Deine Stube zurück und erwartest meine letzten Befehle. Hast Du mich verstanden?«

»Ja, gnädiger Herr.«

»Ich brauche es Dir nicht zu wiederholen?«

»Nein, mein Herr! ich werde Ihnen auf's pünktlichste gehorchen. Oh! wie bin ich erfreut, Sie wiederzusehen, ich sagte es immer, dass wenn mein junger Herr wiederkäme, die Liebe und die Vergnügungen in meinem Vorzimmer wieder ihren Wohnsitz aufschlagen würden.«

»Du vergaßest Deine kleinen Gewinnste, Jasmin. Hier hast Du etwas; ich liebe die Leute, die Verstand haben.«

Ich hatte die Gräfin kaum eine Minute verlassen, und doch ließ sie mich bereits durch einen Bedienten aufsuchen.

Seit einer vollen Stunde erwartete ich bei ihr das verabredete Zeichen, als Jasmin es gab. Mein guter Jasmin geigte wie ein Marktfiedler; bei dem ersten Gekrill der schreienden Violine glaubte ich die Harfe Davids unter den Händen meines Lakaien ertönen zu hören. Zum Glück war die Begeisterung nicht so groß, dass ich den glücklichen Augenblick, der mir verkündigt wurde, darüber vergessen hätte.

Ich sagte der Gräfin in dringendem Tone ins Ohr:

»Wann werden Sie mir denn erlauben, Sie ohne Zeugen zu sprechen?«

»So bald als möglich,« antwortete sie naiv; »es handelt sich nur um eine gute Gelegenheit, uns davon zu machen. Ich will darüber nachdenken; sinnen Sie auch auf ein Mittel. Lassen Sie mich machen!« Sie wandte sich zu meinem Vater und sagte:

»Mein Herr, die Baronin hat mir gesagt, dass Sie gerne Trictrac spielen?«

»Ja, Madame.«

»Ich verstehe mich auch ein wenig darauf, mein Herr.«

»Wollen Sie eine Partie machen, Madame?«

»Gerne.«

Ich war äußerst erstaunt. Sie wollte mit meinem Vater spielen, während es sich darum handelte, mir ein Rendezvous zu geben! dies schien mir eine Thorheit, über die ich mich aber bei näherer Betrachtung tröstete, denn wenn der Liebhaber der Gräfin darunter leiden musste, so konnte der Freund der Marquise Nutzen daraus ziehen. Ich glaubte eben entwischen zu können, als Frau von Lignoll mich zu sich rief. Allein ich täuschte mich, die kleine Person hielt die Augen offen, sie rief mich zu sich, zwang mich zu sitzen, und erlaubte mir unter keinem Vorwand, meinen Platz zu verlassen.

Dies dauerte eine halbe Stunde; ich fing an, mich gewaltig zu langweilen, und offenbar hatte die Marquise auch Langeweile, da Jasmin sein Solo wieder begann.

Mein werter Vertrauter fürchtete vielleicht, ich möchte ihn das erste Mal nicht gehört haben, denn diesmal machte er einen höllischen Lärm. Man kann sich denken, wie dieser Mahnruf meine Ungeduld vermehren musste; ich saß wie auf Nadeln. Ich fand die Melodie abscheulich. Der Baron, der in diesem Augenblick schlecht stand, fand diese Musik ebenfalls nicht sehr melodisch; er lief an's Fenster, öffnete und fragte, wer der verdammte Fiedler sei, der ihm die Ohren so martere.

»Ich bin's,« antwortete Jasmin, das Kompliment annehmend, »ich bin's.«

»Sei so gut und betäube mich nicht so sehr,« sagte der Baron zu ihm.

Und ich, als guter Sohn, aus Rücksicht für meinen Vater, der sich unter dem Fenster erkälten konnte, rief aus voller Kehle:

»Höre auf, Jasmin, was machst Du da für einen Lärm! man hört Dich im Salon, wie wenn Du hier wärst, höre auf – sogleich, auf der Stelle! verstehst Du mich?«

»Ja, ja, gnädiger Herr, es ist ein Wort! ich verstehe Sie ganz gut.«

Erfreut über meine Aufmerksamkeit, setzte sich der Baron mit vergnügtem Gesichte wieder zum Spiel; die gedankenlose Gräfin verlor bald ihre Vortheile und die Partie. Ein plötzlich eingetretenes Kopfweh lieferte ihr einen Vorwand, die Revanche auszuschlagen; sie bat die Baronin, es für sie zu übernehmen.

Sobald sich Frau von Fonrose an ihren Platz gesetzt hatte, kam die Gräfin in einen Winkel des Salons zu mir und fragte mich ganz leise, ob die Treppe beleuchtet wäre.

»Ja, meine schöne Freundin.«

»In diesem Fall gehen Sie, ich folge Ihnen.«

»Wie, sogleich?«

»Ja, mein lieber Freund.«

»Welche Unvorsichtigkeit! hüten Sie sich wohl davor!«

»Warum?«

»Weil wir unmöglich beide zugleich die Gesellschaft verlassen können.«

»Sie sind im Irrthum, mein Freund, man wird nicht darauf achten.«

»Unmöglich, es würde bemerkt werden, Sie würden sich zu Grunde richten. Ich will hinaufgehen; man kann mich auf meinem Zimmer beschäftigt glauben, und in einer halben Stunde ...«

»Eine halbe Stunde? ach! das ist zu lang.«

»Es ist durchaus nothwendig.«

»Wie, ich soll in der tödtlichen Langeweile eine halbe Stunde hier sitzen?«

»Die Zeit wird mir nicht kürzer erscheinen, als Ihnen, schöne Gräfin; aber wahrlich, es wäre ein Kinderstreich, wenn wir es anders machten. Sehen Sie, der Baron hat sich bereits mehrere Male umgedreht, er beobachtet uns, er wird unruhig.«

»Der Baron, der Baron! was gehen ihn denn unsere Angelegenheiten an?«

»Er glaubt sich in die meinigen mischen zu können, weil er mein Vater ist. Was wollen Sie, es ist die Gewohnheit fast aller Väter und Mütter.«

Jasmin wagte nicht mehr auf seiner Violine zu spielen; aber ich hörte ihn, gleich einem französischen Sänger, aus vollem Halse plärren.

»Meine reizende Freundin, ich gehe. Ich erwarte Sie auf meinem Zimmer.«

»Nein, im Boudoir!«

»Warum dort?«

»Weil es hübscher und bequemer ist.«

»Aber, bedenken Sie!«

»Im Boudoir, mein Herr, ich will es.«

»So muss ich Ihnen denn gehorchen. Gut! aber kommen Sie ja nicht vor einer halben Stunde. Sie versprechen es mir?«

»Ich verspreche es.«

Ich stürzte mich pfeilschnell hinaus.

»Jasmin, komm hieher, verschließe die Thüren und erwarte unten an der geheimen Treppe diese Dame, die bald wieder herabkommen wird. Du hast sie doch unbemerkt hierher gebracht?«

»Ja, mein Herr.«

»Du wirst sie mit derselben Vorsicht wieder zurückführen; wo ist sie?«

»Ah! gnädiger Herr, wie glücklich sind Sie! die hübsche Frau!«

»Sag doch, wo ist sie!«

»Gnädiger Herr, wir sind zum Toilettenzimmer hinein gegangen.«

»Und dann?«

»Sie hat das Boudoir gesehen und wollte nicht mehr weiter gehen. Ich habe sie ohne Licht gelassen, wie Sie mir es aufgetragen.«

»Gut! lösche auch dieses hier aus, ich brauche es nicht mehr; geh und schließe die Thüren hinter Dir zu.«

Schließe die Thüren hinter Dir zu! Eine saubere Vorsicht, Tollkopf! nicht mehr daran zu denken, da die Gräfin sich meines zweiten Schlüssels bemächtigt hatte!

In unseliger Sicherheit ging ich durch das Zimmer meiner Frau so schnell, als die tiefe Dunkelheit, die mich umgab, es gestattete, und betrat das Boudoir.

»Theuere Mama! zärtliche, vielbesorgte, angebetete Freundin! also hier sind Sie! der Chevalier Florville hat also das Glück, Sie auf seinem Zimmer zu begrüßen und zu umarmen!«

Mit erstickter Stimme antwortete sie:

»Ja, mein Geliebter!«

»Welche Zärtlichkeit, welchen Dank bin ich Ihnen schuldig! wie liebe ich Sie! wie danke ich Ihnen!«

So sprechend, suchte ich sie; zwei gefällige Arme, denen ich begegnete, zogen mich herbei; ich wurde an einen sanft wallenden Busen gedrückt, mit feurigen Küssen überdeckt. Ich lag ihr zu Füßen und umschlang ihren schönen Leib.


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