Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Zweiter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Während er uns in der Zukunft eingebildetes Unglück zeigte, hatte uns ein wirkliches Unglück getroffen; die Chocolade war kalt geworden. Man kann sich meinen Kummer denken, ich hatte gestern den ganzen Tag nur ein kurzes Mittagsmahl eingenommen und war ohne Abendbrod zu Bett gegangen, die grausame Gräfin sprach davon, das Frühstück in die Küche zurückzuschicken.

Ich nahm es eiligst, goss es in die Tassen und ließ es in dem Boudoir an's Feuer stellen.

»Gut,« sagte Frau von Lignoll, »schreiben wir jetzt einen Brief, bis sie wieder warm ist.«

Dieser Brief war an eine liebe Tante, die ihre Kindheit erzogen hatte. Wir schrieben ungefähr eine Seite lang lauter ehrerbietige Komplimente, dann zwanzig Zeilen mit zärtlichen Erinnerungen und noch eine Menge Herzensergießungen.

Ich glaubte, es wolle kein Ende nehmen. In Verzweiflung darüber, weil ich sah, dass ich auch noch die vierte Seite dieses endlosen Epistels anfangen werde müssen, erlaubte ich mir der Frau Gräfin zu bemerken, dass die Chocolade warm sein müsse.

»Ich glaube auch,« sagte sie; »aber machen wir zuvor dies fertig.«

Es ist am besten, wenn ich Alles erzähle, was die Verlegenheit meiner wahrhaft kläglichen Lage noch vermehrte!

Eine unglückliche Kammerfrau, der ich nicht zum zweitenmale ins Gesicht zu sehen wagte, so hässlich war sie, schweifte beständig um den Kamin herum. Ich weiß nicht, was mich beim Betrachten dieser Person für das Frühstück zittern machte; eine geheime Ahnung kündigte mir ihre Ungeschicklichkeit zum Voraus an, und ihre fortwährende Bewegungen verursachten mir beständige Zerstreuungen.

Da Frau von Lignoll, deren Brief nicht zu Ende zu kommen schien, meine schlecht verstellte Unruhe zu bemerken schien, fragte sie mich am Ende launisch, ob mich etwas ärgere.

In dem Augenblick, wo die ungeduldige Gebieterin diese Frage an mich stellte, goss die fatale Zofe, die das Feuer schürte, die Chocoladenkanne über die Asche. Ich sah das Unglück, die Feder entsank meinen Händen und meine Augen richteten sich gegen den Himmel, mein Kopf wurde durch eine fast konvulsivische Bewegung nach rückwärts gezogen, es fehlte wenig, dass ich nicht in Ohnmacht fiel.

»Ach, Madame!« rief ich. »Die Chocolade!«

Die sonst so sehr lebhafte Gräfin, jetzt zu sanft, um sich darüber zu erzürnen, warf einen Blick nach dem Kamin, richtete dann ihr heiteres Auge auf mich und sagte mit eisiger Kaltblütigkeit die ewig denkwürdige Antwort:

»Nun gut, mein Fräulein! was hat die Chocolade mit dem Brief zu schaffen, den ich Ihnen diktiere?« Von Verzweiflung ergriffen, antwortete ich ungestüm:

»Wahrlich, Madame, Sie haben gut reden. Sie haben gestern zu Abend gespeist.«

»Diese sympathische Lebhaftigkeit missfällt mir nicht,« erwiderte sie, dann sich an die unwürdige Dienerin wendend, fügte sie hinzu:

»Sagen Sie in der Küche, man soll andere machen und uns dieselbe schicken.«

Dieser großmüthige Befehl war für meine betrübte Seele ein tröstender Balsam. Ich fühlte meine Kräfte sich wieder zu beleben, meine Gedanken wiederkehren, mein Styl fließender werden und Frau von Lignoll, welche mir half, ermuthigte mich der lieben Tante alles Schöne zu sagen.

Als der Brief beendet war, schließe ich den Schreibtisch, und sehe das Frühstück wiederkommen. Man bringt einen kleinen Tisch; zwei Tassen werden eine der andern gegenüber aufgestellt, das belebende und erquickende Getränk wird eingeschenkt, die Gräfin will sich eben setzen, ich nehme meinen Platz ihr gegenüber ein, der glückliche Augenblick ist erschienen – aber, o Unstern unerträglicher als der erste! ein geschickter Lakai bringt einen Brief, die Gräfin bemerkt den Stempel.

»Besançon!« ruft sie. Sie stößt einen Freudenschrei aus, erhebt sich ungestüm, wirft mit einem Stoß den zu leichten Tisch um, schüttet mir den ganzen Inhalt der duftenden Chocolade über die Kniee aus. Ich wollte einen Schrei thun, aber meine Bestürzung war so groß, dass ich wie niedergedonnert die Verwüstung betrachte, welche der unselige Sturz herbeigeführt, das niedliche Meubel, das entzweigeschlagen, die zerbrochenen Porzellantassen, die Chocoladenkanne, mein schönes Kleid, Alles dies betrübte mich nicht, ich sah nur die Chocolade, die stromweise auf den Boden fließt. Während ich unbeweglich stehen bleibe, liest die Gräfin mit halb vorgebogenem Leibe, die Augen auf das geliebte Papier geheftet, mit zitternden Händen und häufig unterbrochener Stimme:

»Du begreifst, meine theuerste Nichte, deren Erziehung mir so viele Freude gemacht hat, wie weh es mir that, nicht zu Deiner Hochzeit kommen zu können; aber endlich hat der Gerichtshof von Besançon sein Urtheil gefällt, ich habe meinen Prozess gewonnen, ich reise ab, ich komme zugleich mit meinem Briefe an. Ich komme an 15.«

Am 15., also heute, und indem sie das Papier als schriftlichen Vorboten mit Küssen bedeckt, fährt sie fort:

»O, freudige Nachricht! o, meine liebe Tante! ich werde sie sehen, meine geliebte, meine theuere Tante! ich werde sie wiedersehen und ich bin entzückt.«

In diesem Augenblick bemerke ich unter dem Lehnstuhl einen kostbaren Überrest: Ich stürze mich hin, ich ergreife denselben, ich küsse ihn und sage zu ihm:

»O, liebes Brödchen! o, hilfreicher Überrest! jetzt meine einzige Hoffnung, ich halte Dich und ich bin entzückt!«

Indes setze ich mich in einen Winkel, wo ich traurig meinen ungenügenden Raub verzehre, während Frau von Lignoll ihren Brief abwechselnd wiederküssend Luftsprünge in ihrem Zimmer macht.

Endlich läutet sie einem Lakai:

»Saint-Jean, sage dem Schweizer, dass ich heute nur für die Frau Marquise von Armincour zu Hause bin.«

Dann kehrte sie zu mir zurück und sagte:

»Fräulein von Brumont, ich habe Sie sehr früh gestört, aber Sie können jetzt über den Rest des Morgens verfügen.«

Ich machte der Gräfin eine tiefe Verbeugung, die mir höflich erwiedert wurde, ich gieng und verschloss mich in mein kleines Zimmer. Nun begann ich meiner lieben Adelheid zu schreiben, die ich innig liebte; sie verdiente aber auch meine aufrichtige Liebe, denn ihre zarte schwesterliche Zuneigung und ihre Besorgnis um mein Wohl waren wirklich rührend.

Als ich den brüderlichen Brief versiegelt, kam die hässliche Kammerfrau zu mir, um mich auf Befehl ihrer Gebieterin zu frisieren.

Verwünschtes Blatterngesicht, Du bist das Frühstück nicht wert, das Du mich kostetest, und dessen Farbe Du hast.

Da ich von Natur höflich bin, so machte ich natürlich diese Betrachtung nicht laut. Ich bot meinen Kopf und schloss die Augen. Doch muss ich der armen Jeanette Gerechtigkeit widerfahren lassen; von der Natur vernachlässigt, hatte sie zur Kunst ihre Zuflucht genommen; sie hatte eine leichte Hand und führte den Kamm nicht unsanft, aber wie sehr stehen die erworbenen Talente hinter den Naturgaben zurück! wie sehnte ich mich in diesem Augenblick nach meiner kleinen Justine.

Als Jeanette meinen Kopfputz vollendet hatte, bot sie mir keine weitern Dienste an, und ich machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten. Wäre es aber Justine gewesen, die würde wohl geblieben sein, ohne dass ich sie darum gebeten hätte: fürs erste hätte sie meine Toilette etwas verzögert; aber mit welcher Raschheit hätten wir dann die verlorene Zeit wieder eingebracht! mit welcher Gewandtheit hätte die kleine Schelmin die schwierige Anordnung der hundertlei Flittersachen geleitet, die zu einem halb vollständigen Frauenanzug gehören! jetzt musste ich selbst das missliche Geschäft übernehmen, mich von Kopf bis zu Fuß als Frau zu kleiden, und ich sprach noch von Glück, als ich damit zu Stande kam, nachdem ich mehr Zeit und Überlegung darauf verwendet hatte, als eine junge Faulenzerin, die man an einem Wintermorgen zwingt, sich in den Sonntagsstaat zu werfen, um mit der Mama in die Messe zu gehen.

Inzwischen schlug es drei Uhr, die Marquise war angekommen.

Herr von Lignoll, der offenbar immer noch grollte, hatte uns sagen lassen, dass er in der Stadt speise; ein Bedienter meldete, die Mahlzeit sei aufgetragen.

Bei Tisch überhäufte mich die junge Gräfin mit Aufmerksamkeiten und die alte Tante verschwendete ihre Komplimente an mich.

O, Muse der Geschichte, bewunderungswürdige Jungfrau, die man so oft geschmäht hat, beredte und wahrheitsliebende Göttin, die man mit so wenig Geschicklichkeit lügen gemacht, ehrwürdiges und verständiges Mädchen, durch welches man uns so viele unverzeihliche Dummheiten übermittelt, erhabene Clio: Du bist's, die ich anrufe! da Du Alles weißt, so brauche ich Dir nicht zu sagen, dass von allen den Abenteuern, welche meine feurige Jugend unterhielten, dasjenige, welches ich jetzt erzählen will, nicht das am wenigsten thörichte ist, auch verursacht mir die galante Erzählung, die ich davon machen muss, eine wahre Unruhe.

Wo den leichten und zugleich anständigen Gaceschleier finden, durch welchen hindurch sich die Wahrheit fast nackt sehen lassen muss? Ich verletze das unzarteste Ohr, wenn ich das rechte Wort sage; wenn ich den Ausdruck mildere, so entstelle ich die Sache. Wie doch, ohne das Zartgefühl eines einzigen zu beleidigen, wie die Neugierde Aller befriedigen?

O, keusche Göttin! wirf einen Blick des Mitleids auf den verlegendsten Deiner Diener, steige, um ihm zu helfen, vom Himmel herab! tritt in sein Zimmer und führe die Feder, die er eben zur Hand nimmt.

»Sehr gut, mein Kind!« sagte Frau von Armincour zu Frau von Lignoll; »aber jetzt, da wir frei sind, lass uns von wichtigeren Sachen reden.

»Bist Du zufrieden mit Deinem Gemahl?«

»Ja, meine liebe Tante,« antwortete sie.

»Bist Du immer in gleicher Laune, nicht außergewöhnlich gereizt?«

»Warum sollte ich es sein, Frau Marquise?«

»Weshalb sagst Du Frau Marquise! glaubst Du, ich werde Dich als Frau Gräfin begrüßen? in großer Gesellschaft ist das recht; aber unter uns! geh, Du bist das Kind, das ich erzogen habe, mein geliebtes Kind, sage stets »meine Tante«; ich werde sagen »meine Nichte«. Antworte mir, gedenkst Du mich bald mit einem kleinen Enkel zu beschenken?«

»Ich weiß nicht, meine Tante.«

»Das heißt, Du bist noch nicht ganz gewiss.«

»Ich weiß nicht, meine Tante.«

»Du bemerkst in Deiner Gesundheit nicht Veränderungen?«

»Wie beliebt es, meine Tante?«

»Du hast noch keine Abwesenheiten gehabt?«

»Abwesenheiten? war ich den Abwesenheiten unterworfen?«

»Als Du ein Mädchen warst, nicht; aber seitdem Du Frau bist?«

»Wie so? werden denn die Frauen geistesabwesend?«

»Geistesabwesend, handelt es sich hier um Narrheit? in diesem Falle betrifft es nicht das Gehirn, meine Nichte.«

»Was fragen Sie mich denn, meine Tante?«

»Was ich frage, warum Dich zieren? Fräulein von Brumont darf Dich nicht genieren, sie ist älter als Du; ein Mädchen von zwanzig Jahren kann, wenn sie auch noch so solid ist, in gewissen Sachen nicht unwissend sein?«

»Gewiss, wenn Herr von Lignoll zögert, so werde ich böse.«

»Ah! ist es möglich?«

»Wenn er sich weigert, so befehle ich.«

»Und er gehorcht?«

»Er murrt, aber er geht.«

»Er kommt aber wieder zurück?«

»Er kommt zurück, oder er kommt nicht wieder zurück, was liegt mir daran.«

»Wie meinst Du das, mein Kind?«

»Wenn er nur gehorcht, und es mir frei steht zu thun was mir gefällt.«

»Ah, meine Nichte! so sprechen wir also eine halbe Stunde mit einander, ohne uns zu verstehen? wissen Sie auch, dass dies mich ungeduldig macht?«

»Es ist nicht meine Schuld.«

»Ist es die meinige? ich stelle eine einfache Frage an Sie, und Sie scheinen sie nicht zu begreifen! wenn ich von den Pflichten des Herrn von Lignoll spreche, so verstehe ich darunter seine Pflichten als Gemahl.«

»Sehr gut, meine Tante.«

»Und wenn Sie mir antworten, dass er Ihre Wünsche erfüllt, so glaube ich Ihre Wünsche, als eine junge, lebhafte und das Vergnügen liebende Frau.«

»Allerdings, meine Tante!«

»Also haben Sie mich verstanden?«

»Ja, meine Tante!«

»Ich möchte Dir rathen, Deine Wünsche zu mäßigen!«

»Und wer sagt Ihnen, dass meine Wünsche unmäßig sind?«

»Du selbst, meine Nichte, da Du behauptest, dass Du in diesem Punkte nur zu befehlen hast; ich sehe heraus, dass Du thöricht handelst.«

»Wahrhaftig, meine Tante, Sie sind heute nicht gut gelaunt.«

»So sind doch die jungen Frauen, wenn man ihnen in diesem Punkte widerspricht.«

»Wollen Sie mich nöthigen, mich zu entfernen, meine Tante?«

»Nicht doch, meine Nichte, ich bin Deine Mutter und Du musst mich hören.«

»Ich verstehe Sie nicht, meine Tante.«

»Meine Nichte, finden Sie meine Fragen indiskret?«

»Nein, gewiss nicht, sprechen Sie nur weiter.«

»Höre, mein Kind, wenn ich frage, so geschieht es rein aus Interesse für Dich. Fürs erste, wenn man auf mich gehört hätte, so würdest Du Herrn von Lignoll nicht geheiratet haben; ich fand ihn zu alt für Dich. Ein Mann von fünfzig Jahren ... sage mir, erfüllt Herr von Lignoll seine Pflicht?«

»Oh, Herr von Lignoll thut Alles, was ich will.«

»Alles, was Du willst?

»Dann gratuliere ich, meine Nichte, Du bist sehr glücklich; aber, Du liebe Kleine, musst Dich in Acht nehmen.«

»Warum, sagen Sie mir gefälligst, warum sollte ich mich in Acht nehmen, glauben Sie denn, ich wüsste nicht, wie weit ich gehen soll, um meinen Willen, den ich einmal bestimmt gefasst habe, durchzuführen, wie bedauerungswert, wie klein müsste ich mir selbst erscheinen.«

»Gut, mein Kind, ich lobe Deinen festen Willen; aber Du musst Deinen Gemahl schonen, denn Euer Alter ist sehr verschieden.«

»Aber was macht das Alter?«

»Dies macht Alles, liebe Kleine; denn es gibt Frauen, die ihre Wünsche ins Unendliche ausdehnen und dadurch Ihre Männer in Geduld erschöpfen.«

»Das ist aber bei Herrn von Lignoll nicht der Fall, er befindet sich deshalb um nichts schlechter.«

»Um so besser, meine liebe Nichte; aber ich wiederhole Ihnen, nehmen Sie sich in Acht, weil es nicht in die Länge dauern würde.«

»Das wollte ich doch sehen!«

»Sie lachen, meine Tante?«

»Ja, ich lache, mit Deinem: ich wollte doch sehen! Was würdest Du machen, wenn ich bitten darf?«

»Was ich machen würde! ich würde ihm sagen, dass ich es will.«

»Ah! das wäre etwas neues.«

»Sie glauben, ich würde es nicht wagen? es ist mir schon mehr als einmal vorgekommen.«

»Und es ist Dir gelungen?«

»Mein Gott!«

»Nein, nein, bleibe nur und höre mich. Du musst Herrn von Lignoll nicht nöthigen, stets Deinen Willen zu thun.«

»Ei, warum doch, meine liebe Tante! sollte ich mich an einem Tage mehr beherrschen lassen, als am andern?«

»Eine schöne Denkungsart, meine Nichte!«

»Sie können sagen, was Sie wollen, ich werde nicht dulden, dass mein Gemahl mir je etwas verweigert!«

»Seht doch den Tollkopf!«

»Noch dass er mich beherrscht, ich hindere ihn nicht, sich aufzuführen, wie es ihm beliebt.«

»Sie verliert den Kopf!«

»Aber er soll mich meinerseits auch thun lassen, was mir beliebt, die Hauptsache ist, dass er mich nicht geniert.«

»Meine Nichte, ich begreife Dich nicht.«

»Und dass ich in Allem meinen Willen durchsetze.«

»Meine Nichte, willst Du denn, dass ich mich entferne?«

»Es ist unerträglich.«

»Es ist zum verzweifeln.«

»Befolge meine Rathschläge, meine Nichte!«

»Sprechen Sie vernünftig mit mir, meine Tante, ich bin kein Kind mehr!«

Beide waren aufgestanden, beide grollten.

Indes hatte die Nichte auf die klaren Fragen der Tante mit so vieler Unschuld und Wahrheit so offenherzige, so außerordentliche Antworten gegeben, dass ich sonderbare Sachen zu vermuthen anfieng. Ich suchte Frau von Armincour zu beruhigen, indem ich zu ihr sagte:

»Allem Anschein nach, Madame, ist die Frau Gräfin in dem Sinne, den Sie meinen, nicht sehr glücklich, und ich wollte wetten, dass sie Ihre Vorwürfe eben so wenig verdient, als begreift.«

»Glauben Sie?« versetzte sie; »nun gut, fragen Sie sie aus, Fräulein von Brumont, und sehen wir, ob Sie uns vielleicht einigen Aufschluss geben können.«

Ich wandte mich an die Nichte:

»Erlauben Sie, Frau Gräfin ...«

Sie unterbrach mich lebhaft:

»Sehr gerne, Fräulein!«

»Schläft Herr von Lignoll im Zimmer der Frau Gräfin?«

»Nein.«

»Nie?«

»Nie.«

»Kommt er nachts hinein?«

»Nein, auch das nicht.«

»Kommt er morgens hin?«

»Ja, wenn ich aufgestanden bin.«

»Bleibt er abends ein wenig länger bei der Frau Gräfin?«

»Nach dem Nachtessen höchstens fünf Minuten, dann sagt er mir gute Nacht, indem er mich umarmt und mir einige Küsse gibt.«

»Ist dies Alles?«

»Was wollen Sie weiter?«

»Nun, Frau Marquise, was halten Sie davon?«

»Ich glaube,« antwortete sie, »dass dies ganz unglaublich und entsetzlich wäre.«

Sie lief schnell zu Frau von Lignoll:

»Sage mir, mein Kind, bist Du Frau oder Mädchen?«

»Frau, da ich vermählt bin.«

»Bist Du vermählt?«

»Gewiss, da Herr von Lignoll mich geheiratet hat. Es war so feierlich in der Kirche, so viele Gäste der besten Gesellschaft waren zugegen, auch sah Herr von Lignoll so stattlich aus, man wünschte mir Glück von allen Seiten und lobte den Geschmack meiner reizenden Toilette. Ich vermisste Sie so schmerzlich, liebe Tante, dass mir All' dies nur eine halbe Freude verursachte.«

»Es that mir sehr leid, dass ich nicht zu Deiner Hochzeit nach Paris kommen konnte, aber Du weißt ja, dieser unselige Process hielt mich zurück; da es gerade zu Ende gieng, so durfte ich mich nicht entfernen, denn es handelte sich um einige sehr wichtige Aussagen. Alles hieng davon ab und ich wollte doch schon aus Liebe zu Dir dieses bedeutende Vermögen nicht verlieren, so kam ich denn um einen Lieblingswunsch, den ich so lange hegte, bei Deiner Hochzeit zugegen zu sein, um Dir doch wenigstens einige vorbereitende Anweisungen zu geben. Sage mir, liebes Kind, ist Dir nichts besonders begegnet?«

»Nichts, meine Tante.«

»Nichts! Fräulein von Brumont, es ist ihr nichts begegnet, arme Kleine! wie beklage ich Dich,« fügte die Tante weinend hinzu, »wie ist das zugegangen, antwortete mir.«

»Guter Gott! meine Tante, Sie machen mich unruhig!«

»Armes Kind! sie ist noch so unschuldig nach zweimonatlicher Ehe! welches Los! welches grausame Los.«

»Wahrlich, meine Tante, Sie machen mir Angst! erklären Sie sich.«

»Mein Kind, ich kann nicht ... ich kann nicht, der Schmerz drückt mich zu Boden. Sie, Fräulein Brumont, drücken sich mit so vieler Leichtigkeit aus, sagen Sie ihr einmal, was es ist. Erklären Sie ihr, wie schmählich es ist von einem Manne, wenn er eine junge Frau so behandelt. Sie sind ohne Zweifel nicht so unerfahren? Sie müssen wissen ...«

»So ziemlich, Frau Marquise; ich habe davon sprechen gehört, und zudem habe ich gute Bücher gelesen.«

»In diesem Fall thun Sie mir den Gefallen, sie zu belehren.

»Dann, mein Fräulein, muss ich Ihnen offen sagen, dass mir Ihr ernstes und gemessenes Benehmen, was man von einer jungen Dame in Ihrem Alter selten findet, besonders Vertrauen einflößt, und ich Sie daher nochmals bitte, sich meiner Nichte anzunehmen.«

»Erlaubt die Frau Gräfin?«

Sie antwortete mir, ich würde ihr einen Dienst erweisen.

Ich ließ es mir nicht zweimal sagen, und machte ihr eine umfassende Aufklärung.

»Wie!« versetzte Frau von Lignoll, erstaunt über das, was sie gehört hatte; »Sie scherzen nicht?«

»Ich würde mir diese Freiheit mit der Frau Gräfin nicht nehmen.«

»Wie, meine Tante, was Fräulein Brumont gesagt hat, ist Alles wahr?«

»Ganz wahr, meine Nichte!«

»Also der Graf insultiert mich?«

»Ja, mein armes Kind, er insultiert Dich, der Graf. Deine Reize vernachlässigen, heißt sie beschimpfen, heißt erklären, dass sie keine Berücksichtigung verdienen!«

»Ah! ist es möglich?«

»Dadurch bezeigte er Dir die größte aller Erniedrigungen, denen eine unglückliche Frau ausgesetzt sein kann.«

»Es ist nicht möglich!«

»Es ist nur zu möglich, liebes Kind! dadurch erklärt er Dir, dass er Dich dumm, langweilig und abgeschmackt findet.«

»Großer Gott! ... meine Tante, Sie übertreiben, nicht?«

»Frage, liebe Kleine, frage Fräulein von Brumont!«

Sogleich ergriff ich das Wort und wandte mich an die beschimpfte junge Dame:

»Wahrlich, durch diese Vernachlässigung, die ich nicht begreife, gibt der Herr Graf der gnädigen Frau auf's bestimmteste zu verstehen, dass sie hässlich ist!«

»Hässlich! er hat gelogen. Ich verberge mein Gesicht nicht.«

»Dass sie nicht gut gewachsen ist.«

»Er hat gelogen. Sehen Sie meine Taillie, ist sie schlecht?«

»Dass sie einen eckigen Arm hat.«

»Warten Sie, bis ich meine Handschuh ausziehe, ich will Ihnen beweisen, dass er gelogen hat.«

»Ein plumpes Bein.«

»Er hat gelogen. Sehen Sie.«

»Ein schiefes Knie.«

»Er hat gelogen. Urtheilen Sie selbst!«

Ich liebte die freimüthige und entschiedene Art, wie die Gräfin die verleumderischen Behauptungen ihres Gemahls zurückwies, den ich zu meinem Vergnügen sprechen ließ.

Neugierig zu versuchen, wie weit der gerechte Wunsch einer leichten Rechtfertigung diese so lebhafte Frau führen würde, fügte ich hinzu:

»Endlich sei es eine Erklärung, dass sie einen verborgenen Fehler habe.«

Eine ausdrucksvolle Geberde, die Frau von Lignoll machte, eine Geberde, so rasch wie ihr Gedanke, verkündigte mir, dass sie den rechtfertigenden Beweis zu gleicher Zeit mit der Lügenstrafung führen würde. Frau von Armincour errieth ebenfalls sehr leicht die Absicht der Gräfin, und zum Unglück für mich, der sie löblich fand, lief sie schnell herbei, um die völlige Ausführung derselben zu verhindern.

»Geh, mein liebes Kind, es ist nicht nöthig, das Gegentheil zu beweisen!« sagte sie zu ihrer Nichte. »Ich, die ich Dich von der frühesten Kindheit an nie aus den Augen verloren habe, weiß wohl, dass davon nicht die Rede sein kann, und Fräulein von Brumont glaubt Dir auf Dein Wort. Übrigens musst Du nicht so erzürnt sein!«

»Nicht erzürnt sein!«

»Dein Gemahl –«

»Ist ein schamloser Lügner.«

»Er ist vielleicht nicht so strafbar.«

»Ein Unverschämter, ein Elender!«

»Es ist möglich, dass eine lange Kränklichkeit, oder ein häuslicher Kummer –«

»Keinen Kummer für einen Mann, der das Glück gehabt hat mich zu heiraten.«

»Oder ein großes Unglück –«

»Ja, der Fortschritt der Philosophie.«

»Oder eine wichtige Arbeit –«

»Charaden, nennen Sie das vielleicht eine wichtige Arbeit, das ist sein ganzer Lebenszweck, darüber brütet er Tag und Nacht; hören Sie, meine Tante, vertheidigen Sie ihn nicht, denn Sie bringen mich noch mehr auf. Jetzt begreife ich die ganze Unwürdigkeit seines Betragens, und sobald er nach Hause kommt, sobald er zurückkommt, lassen Sie mich nur machen; er wird sich erklären, er wird mir seine Gründe angeben, er wird mir wegen dieser Beschimpfung Rede stehen, oder wir wollen sehen.«

Indes fieng der Tag an sich zu neigen. Nicht ohne Mühe erhielt ich von der Gräfin einen Augenblick Freiheit.

Ich schloss mich auf mein Zimmer ein, wo Herr von Valbrun nicht lange auf sich warten ließ. Der Vicomte meldete mir, dass ein zuverlässiger Mann, dem er den Auftrag gegeben, der Frau Marquise selbst Justinens Brief einzuhändigen, folgende Antwort erhalten habe:

»Diejenige, die Sie sendet, macht mir ein großes Vergnügen. Ich war unruhig über das Schicksal der Person, von der sie mir Nachricht gibt. Sagen Sie ihr, dass sie mich fortwährend von dem Stande dieser Person unterrichten kann, für die ich mich wirklich interessiere. Sie können hinzufügen, dass Herr von B..., der mich anfangs ziemlich schlecht empfangen, sein Unrecht eingesehen und Verzeihung erhalten hat. Es ist dies kein Geheimnis, sie darf es jedem sagen, der mir dazu nur gratulieren kann.«

Herr von Valbrun sagte:

»Frau von Fonrose ist jetzt ins Kloster zu Frau von Faublas gegangen. Morgen früh vor acht Uhr werde ich Ihnen sagen, was wir gethan haben.«

Ich dankte dem Vicomte, wie ich es auch verpflichtet war, und stellte ihm meine zwei Briefe mit der Bitte zu, den einen in das Kloster, wo Adelheid sich befindet, zu schicken, und den andern auf die Hauptpost zu schicken. Er war so gütig, mir beim Fortgehen zu versprechen, dass er beide Kommissionen auf der Stelle besorgen werde. Unglückseliger Brief an Herrn von Belcour! hätte ich voraussehen können, wie viele Herzleid Du mir bereiten würdest!

Jetzt frage ich mich, warum Fräulein von Brumont, ohne einen andern festen Plan im Kopfe zu haben, als den, sich Sophien zu nähern, dennoch bei ihrer Rückkehr ins Zimmer der jungen Gräfin die alte Marquise nicht ohne Missbehagen noch daselbst antraf. Offenbar weil, wie so viele andere, durch die Liebe berufen, das unverzeihliche Unrecht, das sich der Hymen täglich gegen die Schönheit zu Schulden kommen lässt, wieder gut zu machen, der Chevalier Faublas, gegen seine Absicht dahingerissen, nur dem Antriebe seiner Natur gehorchte. Ich frage mich auch, warum die Nichte, welche die Belehrung der Tante nur noch mit Zerstreutheit anhörte und von Zeit zu Zeit Blicke auf mich heftete, die mir ins Innerste der Seele drangen, kein lebhaftes Verlangen zeigte, die sonst so geliebte Frau von Armincour den Rest des Abends bei sich zu behalten.

Weil diese von unsern modernen Philosophen grausam verworfenen Atome wirklich bestehen, diese sympatischen Atome, die auf einmal aus dem feurigen Körper eines lebhaften Jünglings in den eines jungen Mädchens übergehen. Weil auf die reizende Brünette bereits der Zauber wirkte, der den hübschen Jungen erfüllte, weil geleitet durch die mächtigen Strahlen des wohlthätigen Lichtes, welches ich bereits vor ihren Augen leuchten ließ, und mehr noch durch den, dem schönen Geschlechte eigenen Instinkt Frau von Lignoll sich innerlich von der Nichtigkeit eines Mannes überzeugt fühlte, der sie seit zwei Monaten Tag und Nacht vernachlässigte, und weil sie mechanisch in mir denjenigen ahnte, der die Beleidigungen gehörig strafen und die Beleidigte schadlos halten konnte. Ich fragte mich endlich, warum Frau von Armincour, trotz ihrer alten Erfahrung, nicht zu bemerken schien, dass sie überflüssig war, und ungeachtet der häufigen Zerstreutheiten ihrer Nichte sich in den Kopf setzte, ihr bis zur Rückkehr des Herrn von Lignoll treu Gesellschaft zu leisten.

Weil die alten Leute von aller Ewigkeit her die spezielle Bestimmung hatten, die liebenswürdige Jugend zu genieren; vielleicht damit ihre Wünsche durch die Mäßigung noch feuriger würden, und damit die trotz der Hindernisse erlangten Vergnügen einen weitern Zauber für sie hätten.

Frau von Armincour beehrte uns bis zum Abendessen mit ihrer Gegenwart, welche, wie es schien, sonst eine große Freude für ihre liebenswürdige Nichte war, heute aber eine ganz gegentheilige Wirkung auf dieselbe auszuüben schien.

Frau von Armincour, welche dieses wohl der bösen Laune ihrer Nichte beizumessen glaubte, wollte sie durchaus auf andere Gedanken bringen. Sie erzählte daher sehr viel von der Provinz, wo sie ihre liebe Eleonore erzogen, von ihrem festen Schlosse, das man nur einmal im Jahre ausbessern musste, von ihren schönen Gütern, die ihr Schlossverwalter mit Nutzen bewirtschafte, von diesem Verwalter, den sie für den ersten Mann der Welt erklärte, und der, ohne Beleidigung oder Verdacht, mir derjenige von ihren Leuten zu sein schien, den sie am besten kannte. Ich glaube, es wäre bis zum andern Morgen von dem guten Manne die Rede gewesen; aber nach Mitternacht ließ sich der Wagen des Grafen hören.

»Das widerwärtigste Abenteuer von der Welt ist mir begegnet,« rief Herr von Lignoll, hereintretend; »Sie wissen ja meine schöne Charade?«

»Mein Herr,« unterbrach die Gräfin, »hier ist die Frau von Armincour, meine Tante.«

Der Graf war überrascht, sagte der Frau Marquise von Armincour ein langes Kompliment, das sie nicht ganz anhörte.

»Gute Nacht!« sagte sie plötzlich zu ihrer Nichte, »gute Nacht, liebe Eleonore. Morgen werde ich frühzeitig wiederkommen; morgen hoffe ich endlich der Frau Gräfin von Lignoll guten Tag zu wünschen. Adieu, mein Herr!« sagte sie trocken zu Herrn von Lignoll. Sie machte ihm beim Hinausgehen eine der kalten Verbeugungen, welche den Frauen für die Männer zu Gebote stehen, die sie nicht achten.

»Sie wissen doch meine schöne Charade?« versetzte der Graf, als die Marquise fort war.

»Fräulein von Brumont,« unterbrach die Gräfin, »thun Sie mir den Gefallen, sich auf Ihr Zimmer zurückzuziehen.«

Ich gehorchte, ohne zu antworten, blieb aber dicht hinter meiner Thüre und lauschte mit der größten Aufmerksamkeit.

»Sie wissen ja meine schöne Charade?« versetzte Herr von Lignoll abermals. Madame unterbrach ihn auf's Neue:

»Es handelt sich nicht darum, mein Herr! man heiratet sich nicht, um Charaden zu machen, sondern um –«

»Wie, Madame!«

»Mein Herr, muss ich es Sie lehren? wenn meine Tante und Fräulein von Brumont mich nicht unterrichtet hätten, so wäre ich unwissend darüber geblieben.«

»Madame, Sie verstehen mich nicht. Ich wusste so gut als ein anderer, welche Pflicht –«

»Sie wussten es, mein Herr? wenn Sie es wussten, warum benehmen Sie sich nicht darnach? es ist also wahr, dass Sie mich hässlich fanden? es ist also wahr, dass ich seit zwei Monaten der Gegenstand Ihrer Verachtung bin? wo gehen Sie hin, mein Herr? bleiben Sie!«

Ich hörte Frau von Lignoll an die Thüre laufen und sie verschließen.

»Sie werden nicht aus diesem Zimmer kommen, mein Herr, bis Sie Ihre Beleidigungen wieder gut gemacht haben.«

»Meine Beleidigungen?«

»Ja, Ihre Beleidigungen, ich weiß Alles, mein Herr; Sie haben mich insultiert, indem Sie mich heirateten. Sie werden mich sogleich versöhnen. Wenn Alles, was man sagte, wahr ist, so ist es für Sie kein großes Übel, so hoffe ich. Übrigens ist es Ihre Pflicht; sie mag Ihnen angenehm sein, oder nicht. Sie müssen sie erfüllen; ich will es, ich befehle es Ihnen.«

»Aber, Madame –«

»Kein aber, mein Herr! ich finde Sie sehr grotesk. Glauben Sie, mein lieber Lignoll, ich stehe Ihnen nach? man wird Ihnen eine junge und hübsche Frau geben, um ihr Charaden vorzumachen? nein, mein Herr, Sie werden Ihre mir angethane Beleidigung wieder gut machen, ich will es, auf dieser Stelle!«

Die Gräfin hatte ihn an der Hand genommen und hinter die Vorhänge geführt. Durch mein Schlüsselloch hindurch sah ich ein üppiges Lager, welches das gedämpfte Licht einer prächtigen von der Zimmerdecke herabhängenden Nachtlampe beleuchtete; hier sah ich die junge reizende Frau in ihrem sie schön kleidenden Unmuthe ihrem Gemahl gegenüberstehen.

Was für eine Figur machte indes ich hier! wie demüthigend und peinlich ist die Rolle eines Beobachters in diesem Falle!

Ha! geschwätzige und verwünschte Tante, warum sind Sie nicht früher gegangen. Ich raffte mich gewaltsam auf und sagte zu mir selbst:

»Ei, Chevalier, was, Du verzweifelst an Deinem Glück! geh, beruhige Dich, Dein schützender Genius verlässt Dich nicht! geh, Faublas ist nicht gemacht, um bei einem bizarren, galanten Abenteuer eine untergeordnete Rolle zu spielen; höre, was die Gräfin sagt, und thue einen Freudensprung.«

»Verzeihen Sie, mein Herr, ich habe vielleicht Unrecht! vielleicht haben meine Tante und Fräulein von Brumont wirklich bloß einen schlechten Scherz mit mir treiben wollen. Ich wollte Sie auffordern, bei mir zu bleiben; aber ich glaube, dass ich Ihnen einen Dienst erweise, wenn ich Sie ersuche, sich auf Ihr Zimmer zurückzuziehen.«

»Madame; ich hoffe, dass Sie die Sache verschweigen, ich hoffe ein andermal glücklicher zu sein.«

»Ein andermal! dann fragt es sich, ob ich will.«

»Madame, jedenfalls rechne ich auf Ihre Verschwiegenheit.«

»Mein Herr, ich verspreche nichts.«

»Madame –«

»Mein Herr, ich bitte Sie, mich allein zu lassen.«

Sie hatte soeben die Thüre geöffnet, die sie wieder verschloss, sobald er gegangen war. Sogleich gieng ich aus meinem Zimmer und flog in das ihrige.

»Ach! Madame, wie froh bin ich!«

»Warum denn diese tolle Freude?« unterbrach sie mich.

»Madame, Sie können nicht begreifen –«

»Mein Fräulein,« unterbrach sie mich abermals in ernsthaftem Tone; »wenn Sie sich einen Begriff davon machen können, was Herr von Lignoll ist, so würden Sie wissen, dass zwischen ihm und mir soeben nichts hat vorgehen können, worüber man sich freuen und mir Glück wünschen dürfte!«

»Nichts, worüber man sich freuen dürfte! Madame, und was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen gestände, dass Ihr gegenwärtiger Kummer mir Freude macht?«

»Was ich sagen würde, mein Fräulein?«

»Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen verkündigte, dass das allzeit gerechte Schicksal einen Rächer zu Ihnen geführt hat?«

»Einen Rächer?«

»Wenn ich Ihnen erklärte, dass Sie zu Ihren Füßen einen jungen Mann sehen.«

»Einen jungen Mann!«

»Der sie liebt.«

»Der mich liebt!«

»Einen jungen Mann voll Zärtlichkeit für Sie und voll Bewunderung für Ihre Reize!«

»Sie sind ein junger Mann und Sie lieben mich?«

»Ach! ja, reizende Eleonore, es ist die Liebe.«

»Fräulein von Brumont, sind Sie gewiss, dass Sie ein Mann sind?«

»Wahrhaftig, schöne Gräfin, ich kann hierüber nicht den entferntesten Zweifel haben.«

»Nun gut, so rächen Sie mich! ich will es! ich befehle es!«

»Ach! Sie haben nicht nöthig, es mir zu befehlen, ach, schöne Eleonore! ich kann mir nichts Besseres wünschen.«

Sie hatte Ursache, über ihren Gemahl böse zu sein, ich hatte Ursache, mit Herrn von Lignoll zufrieden zu sein.

Dieser Herr von Lignoll überließ mir Alles. Ein wahrhaft köstlicher Triumph, wo der Sieger in der Trunkenheit der Wonne sich Glück wünschen muss.

Man muss der Geistesgegenwart der Gräfin Gerechtigkeit widerfahren lassen; sobald sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, fragte sie mich, wer ich wäre. Vorbereitet auf diese Frage, die eine weniger lebhafte Frau ohne Zweifel sogleich an mich gestellt hätte, ließ ich nicht lange auf die Antwort warten.

»Reizende Eleonore, man nennt mich den Chevalier von Flourvac. Meine ungerechten Verwandten, deren einzige Sorge war, einem ältern Bruder ein großes Vermögen zu sichern, haben mich mit Gewalt zum Stiftsherrn der heiligen Genovefa machen wollen.«

»Sie wollten Sie zu einem Mönche machen!« rief sie, »aber dann hätten Sie ja nie jemand heiraten können; wie wäre es Schade gewesen.«

»Auch, meine schöne Freundin, hat mir etwas unaufhörlich gesagt, dass ich nicht den geringsten Beruf zu dieser Lebensart hätte. Wahrhaftig, ich ahnte nicht, dass ein günstiges Geschick mir so viel Glück vorbehalten würde, aber ich hatte ein dunkles Bewusstsein, dass ich zum Heiraten geboren sei.

»Ich bin deshalb dem Kloster entsprungen, in dem man mich eingesperrt hielt. Mein Freund, der Vicomte von Valbrun, entrüstet über die Niederträchtigkeit des Bruders und die Grausamkeit meiner Verwandten, hat mich aufgenommen, er hat mir diese Verkleidung angerathen und mich veranlasst, ein sichereres Asyl zu suchen, als sein Haus ist; und ich werde täglich dem günstigen Zufall Dank wissen, der mich zu einer jungen, hübschen und keuschen Frau geführt hat.«

»Das Schicksal hat mich nicht weniger begünstigt, als Dich, lieber Flourvac,« antwortete die Gräfin mich umarmend; »Du wirst mir Gesellschaft leisten, bis Deine Verwandten todt sind.«

»Welche Verbindlichkeit wollen Sie da eingehen, theuere Eleonore! mein Vater ist noch jung.«

»Um so besser, mein Freund, so werden wir desto länger zusammen wohnen. Bleiben Sie bei mir, bis alle Ihre Verwandten todt sind; bleiben Sie, Flourvac, ich will es!«

Ich muss gestehen, dass ich die süßesten Stunden meines Lebens in Gesellschaft dieser Frau verbrachte; und dennoch überließen sich meine flüchtigen Gedanken auf einige Augenblicke der Erinnerung an die liebenswürdige Lehrerin, die mich gebildet hatte. Dort wie hier, bei der liebenswürdigen Schülerin, die ich bildete, heute wie damals, hatten unerwartete und außergewöhnliche Umstände mein Glück vorbereitet.

Ich fand mich an der Stelle des Herrn von Lignoll, der schönen Gräfin die ersten Elemente der erhabenen Wissenschaft beibringend, die ich von der reizenden Frau von B... unter den Auspizien des Marquis gelernt hatte. Aber, ach! von den zwei herrlichen Frauen, die mir mein überaus günstiger Stern gegeben hatte, war mir die eine bereits entrissen und die andere sollte sich bald im Stich gelassen sehen!

Welche Schande wäre es jedoch für mich, wenn ich meine liebliche Schülerin verließe, ohne meine Erziehung vollendet haben, wo könnte ein Lehrer vom Zufall mehr begünstigt sein und sich einer trefflicheren Schülerin rühmen, als Frau von Lignoll! reizendes, köstliches Wesen, bei dem sich die verführerischen Mittel und die glücklichen Anlagen so vereinigt finden! welche Reize bot sie mir! welche Gelehrigkeit und welche Thätigkeit!

Als ich erwachte, stand meine Uhr auf zwölf.

»Großer Gott! wartet wohl Herr von Valbrun seit acht Uhr geduldig auf mich?«

Ich öffnete die kleine Thüre gegen die Treppe und sah niemand.

Glücklicherweise sah ich einen Papierstreifen, der in meinem Schlosse hervorragte. Der Vicomte hatte folgende Worte darauf gekritzelt, die ich mit vieler Mühe entzifferte:

»Ich klopfe an und Sie antworten nicht. Wo sind Sie, Fräulein von Brumont? was machen Sie? ich weiß nichts; aber ich errathe es. Welche angenehme Nachricht werde ich der Baronin bringen! um zwei Uhr werde ich wiederkommen; wird die Frau Gräfin um zwei Uhr aufgestanden sein?«

Ich machte meine junge Freundin aufmerksam, dass jemand Einlass zu fordern schien, und wollte mich zurückziehen, um nicht zu stören, aber sie gab mir einen Wink zu bleiben und fragte mit fester Stimme:

»Wer ist draußen?«

»Ich bins,« antwortete Herr von Lignoll; »stehen Sie heute nicht auf?«

»Noch beliebt es mir nicht, mein Herr!«

»Doch ist es schon spät, Madame.«

»Ja, mein Herr, aber ich bin beschäftigt.«

»Womit, Madame?«

»Ich komponiere.«

»Wer lehrt Sie komponieren?«

»Fräulein von Brumont.«

»Ich möchte gern der Lektion beiwohnen.«

»Es ist nicht möglich, mein Herr, Sie würden uns hindern, denn auch ich versuche mich, eine Charade zu machen.«

»Eine Charade? lassen Sie doch sehen!«

»Sie haben Lust, sie aufzulösen?«

»Ja, wahrhaftig! Ist es möglich, dass Sie endlich doch einsehen lernten, welch ein Schatz des Wissens darin enthalten ist, eine gute Charade zu machen? Ich will mich bemühen, dieselbe aufzulösen und sollte ich Nächte hindurch darauf opfern, einen solchen Triumph zu erringen, ist doch der Höhepunkt alles erträumten Glücks! Ja, ich will Ihre Charade auflösen, theuere Eleonore!«

»Warten Sie nur einen Augenblick.«

»Sehen Sie,« sagte sie ganz leise zu mir, »dies ist der Augenblick einer vollständigen Rache. Ich will ihm einen Streich spielen, dessen Erinnerung noch in fünfzig Jahren mein Alter ergötzen soll.« Mehr sagte sie nicht; aber ein Blick, ein Kuss – Gerne gelehrig, gehorchte ich, ohne mir die geringste Einwendung zu erlauben.

Sie hatte Zeit genug, sich wieder zu sammeln, ehe noch ihr Gemahl, der durchaus rathen wollte, aufgehört hatte zu wiederholen: »Mein Ganzes, obschon von zwei Personen gebildet, macht nur eins.«

»Mein Herr,« versetzte die junge Frau, »ich muss Ihnen gewissenshalber etwas wichtiges mitheilen; nämlich meine Charade ist eine Art Räthsel, die zwei Worte hat. Ich erkläre Ihnen zum voraus, dass ich sie Ihnen nie sagen werde, und ich glaube, Sie werden sie nie errathen.«

»Ich werde sie nicht errathen! ich will mich auf mein Zimmer verschließen und ich komme in einer halben Stunde zurück.«

»In einer halben Stunde, es sei! dann werde ich aufgestanden sein.«

Wirklich kam er in einer halben Stunde wieder.

Neben der Gräfin sitzend, schlürfte ich in ihrem Boudoir eine große Tasse Chocolade, die ich diesmal ohne Umstände verlangt hatte.

»Meine Damen, Sie wissen ja meine schönste Charade,« sagte Herr von Lignoll eintretend, »gestern hat man sie öffentlich getadelt. Man hat sie getadelt! Fräulein von Brumont, hätten Sie dies geglaubt?«

»Ja, Herr Graf.«

»Ja? Sie sagen ja?«

»Ohne Zweifel der Neid.«

»Der Neid, Sie haben Recht. Aber ich muss Ihnen einen sehr unangenehmen Umstand erzählen. Gestern noch wird in einem Kreise eine Charade vorgetragen, ich errathe sie; einer meiner Nachbaren findet es auch, wir sagen es zu gleicher Zeit; jedermann gratuliert meinem Nebenbuhler, und kein Mensch macht mir nur das geringste Kompliment.

»Diese Ungerechtigkeit machte mir böses Blut, und es ist mir darüber ein gewisser Plan wieder eingefallen, den ich schon zwanzigmal im Kopfe hatte. Im Merkure de France, mein Fräulein, wird unter jede Nummer der Name, der Zuname, der Titel, der Name der Stadt und der Provinz des Verfassers gedruckt; und ich finde, dass man wohl daran thut, weil man die Talente nicht genug aufmuntern kann. Aber ist es nicht etwas Schreckliches, wenn ein Mann, der regelmäßig drei oder vier Tage in der Woche darauf verwendet, den Logogryphen, das Räthsel oder die Charade jeder Nummer aufzulösen, nicht einmal mit ein wenig Ruhm für seine Arbeit bezahlt wird? wahrlich das ist Undank, oder ich verstehe mich auf nichts.

»Jetzt, mein Fräulein, hören Sie meinen Plan. Ich will den Redakteuren des Merkurs den Vorschlag machen, eine Subscription zu eröffnen, deren Ergebnis zum Drucke eines großen Anschlagzettels verwendet werden soll, der wöchentlich zu erscheinen hat und auf dem man den Namen Aller derjenigen lesen kann, die den Logogryphen, das Räthsel und die Charade der vorhergehenden Woche errathen haben.«

»Sehr gut!« antwortete die Gräfin, »aber weil wir eben von Charaden sprechen, haben Sie die meine errathen?«

»Noch nicht, Madame!« erwiderte er mit verwirrter Miene.

Frau von Lignoll entgegnete sogleich:

»Mein Herr, wenn es Ihnen gelingt, die zwei Worte zu finden, so verspreche ich Ihnen, bis Ihr großer Plan ins Werk gesetzt wird, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, damit meine Charade, ihre Auflösung, mein Name als Verfasserin, Ihr Name als der, welcher sie errathen, in den Merkur gesetzt wird, und ich will dem Publikum sogar zu erzählen suchen, wie und warum ich sie gemacht habe.«

»Madame, was Sie mir da sagen, ermuthigt mich noch mehr ...«

Das Geräusch eines Wagens, der in den Hof fuhr, unterbrach den Grafen. Ein Lakai meldete die Frau Marquise von Armincour. Sie trat hastig ein, gieng geradeaus auf ihre Nichte zu und sagte zu ihr:

»Nun denn, mein Liebling, wie befindest Du Dich heute? Ist eine Veränderung bei Dir eingetreten, hast Du Dich mit Deinem Gemahl verständigt? – Kleine Schelmin, Du siehst erschöpft aus. Deine Augen sind matt, und ein glückstrahlender Ausdruck ist in Deinen Zügen sichtbar. Ich ahne, dass Alles im Reinen ist, ich verstehe mich darauf! Ich wünsche Dir von ganzem Herzen Glück, meine Kleine. Und Sie, Herr Graf, empfangen Sie mein Kompliment, schließen wir Frieden, umarmen wir uns. Muth! mein Liebling, Du gibst mir Hoffnung auf ein Enkelchen!«

»Sie haben Recht, meine Tante, dies möchte wohl möglich sein; aber begrüßen Sie doch Fräulein von Brumont.«

Während sich die Marquise mit mir beschäftigte, sah ich Herrn von Lignoll sich gegen das Ohr der Gräfin neigen.

Ich gab mir den Anschein, als ob ich der würdigen Tante sehr aufmerksam zuhörte, zugleich aber vernahm ich ganz deutlich, wie der Ehemann zu seiner Frau sagte:

»Madame, verschonen Sie mich, lassen Sie der Marquise ihre Vermuthung!«

»Wie so, mein Herr, sind Sie mit mir nicht zufrieden?«

»Im Gegentheil, meine angebetete Frau, ich danke Ihnen für Ihre Diskretion.«

»Und ich sage Ihnen, Sie haben Unrecht, mein Herr Gemahl; diese Diskretion ist natürlich und nothwendig, Sie sind mir dafür keinen Dank schuldig.« Nach diesen Worten seiner Gemahlin kam Herr von Lignoll zu mir.

»Mein Fräulein,« sagte er sehr zuvorkommend und artig zu mir. »Ich danke Ihnen, dass Sie die Güte haben, die Gräfin die zu jung ist, um gewisse Sachen zu verstehen, in diesem Falle zu belehren, es ist wirklich schwierig.«

»Nicht doch, Herr Graf.«

»Oh, gewiss, mein Fräulein! ich weiß nur zu gut, was es ist, und ich bin Ihnen wirklich für Ihre Gefälligkeit verbunden.« Um das allzu schöne Kompliment des Eheherrn zu belohnen, widerholte ich ihm Wort für Wort die zweideutige Antwort seiner Frau, so als ob ich ihr dieselbe eingelernt hätte:

»Und Sie haben Unrecht, mein Herr Gemahl; diese Diskretion ist natürlich und nothwendig, Sie sind mir dafür keinen Dank schuldig.«

Nach diesen gegenseitigen Höflichkeiten wurde die Unterhaltung allgemein, und von beiden Seiten wurde nichts mehr gesagt, was Erwähnung verdiente.

Um zwei Uhr meldete man mir, dass jemand nach mir frage.

»Er möge hereinkommen,« sagte die Gräfin.

Ich stellte ihr vor, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach Herr von Valbrun sein werde.

»Nun gut,« versetzte sie. »Er mag Sie hier sprechen.«

»Das wird wohl nicht gehen, Madame, da er mir etwas sehr dringliches, warum ich ihn gebeten, mitzutheilen haben wird.«

»So wollen wir Sie nicht zurückhalten, gehen Sie auf Ihr Zimmer, aber kommen Sie bald zurück.«

Ich traf Herrn Valbrun in meinem Zimmer.

»Guten Morgen, Herr Vicomte, wie dankbar bin ich Ihnen, dass Sie einen so innigen Antheil an meinen Angelegenheiten nehmen, wie beglückend ist es im Unglücke einen Freund zu finden, der uns die Hand reicht, um uns zu trösten.«

»Guten Morgen, Herr Chevalier, wie konnte ich Ihnen diesen Dienst verweigern?«

»Nun gut! der Brief an meine Schwester?«

»Ich habe ihn ins Kloster bringen lassen.«

»Der an meinen Vater?«

»Ich habe ihn gestern selbst auf die Post getragen.«

»Und meine Sophie?«

»Die Baronin hat sie nicht gesehen; doch ist in dem Kloster, von dem Sie sprechen, ein Zimmer für Sie übrig.«

»Gehen wir Vicomte, gehen wir!«

»Wie gehen?«

»Ja, sogleich.«

»Haben wir nicht ausgemacht zu warten?«

»Ich warte keinen Augenblick.«

»Aber bedenken Sie doch die Gefahr, die Ihnen droht.«

»Ich bedenke nichts.«

»Die Möglichkeit eines Misslingens, die Gefahren!«

»Ich kenne keine mehr, oh, meine geliebte Sophie, ich sollte das Glück, Dich zu sehen, um einen Tag verschieben?«

»Und dennoch, mein lieber Chevalier, ist Aufschub nothwendig!«

»Vicomte, wenn Sie mich nicht führen wollen, so gehe ich allein.«

»Aber so nehmen Sie doch Vernunft an.«

»Ich gehe allein.

»Lieber tausendmal sterben, als sie heute nicht sehen.«

»Chevalier von Faublas, und die Gräfin?«

»Wovon sprechen Sie? was ist die Gräfin, wenn es sich um Sophie handelt?«

»Und Ihre Feinde?«

»Ich biete ihnen Allen Trotz.«

»Es ist demnach keine Rücksicht, welche Sie aufzuhalten vermag?«

»Keine Rücksicht, Herr Vicomte; und ich wiederhole Ihnen, wenn Sie mich verlassen, so gehe ich allein, der Dank, den ich Ihnen schulde, wird dadurch um nichts verringert.«

»Da ich Ihre Entscheidung nicht ändern kann, so ergebe ich mich; aber ich bitte mir eine Gefälligkeit aus.«

»Sprechen Sie, Herr Vicomte, und glauben Sie mir, dass ich Ihre Wünsche zu erfüllen trachten werde.«

»Warten Sie wenigstens, bis es Nacht ist!

»Hören Sie mich! in einer Viertelstunde speise ich mit der Baronin zu Mittag, um sechs Uhr führe ich dieselbe hieher. Sobald Sie mich ins Zimmer der Gräfin treten sehen, können Sie gewiss sein, dass mein Wagen am Thore auf Sie wartet. Gehen Sie auf der Hintertreppe hinab, dann kommen Sie zu mir und ich verspreche Ihnen, Sie werden bis ins Kloster gute Gesellschaft haben.«

»Schlag sechs Uhr, Vicomte!«

»Gewiss, Chevalier, ich gebe Ihnen mein Wort.«

In dem Augenblick, wo Herr von Valbrun sich von mir verabschiedete, kam die Gräfin selbst zu mir. Die sehenswürdige allzusehr getäuschte junge Frau meinte ohne Zweifel, sie sei der Gegenstand meiner tiefen Träumerei, in die ich während des ganzen Mittagessens versunken war.

Doch meine Gedanken und mein Herz weilten zu dieser Zeit allein bei meiner geliebten Sophie, meinem armen verlassenen Weibe, die sich gewiss sehnte an meinem Herzen zu ruhen, und von ihrem Gemahl eine sichere Befreiung aus ihrer unfreiwilligen Gefangenschaft erhoffte.

Nach dem Dessert, als wir im Salon den Kaffee tranken, betrachtete ich mehrere Male die Gräfin, und immer begegneten meine Augen den ihrigen. Meine Blicke wurden endlich unwillkührlich von so vielen Reizen gefesselt. Welche Lebhaftigkeit, welche Frische! die schöne Haut, der süße Mund, der mir so lieblich zulächelte; ach! reizendes Wesen, Du gabst Dich in wahrer Liebe mir hin. Du verdienst nicht schon am ersten Tage verlassen werden. Diese Betrachtungen waren die ganz einfache Wirkung eines zu natürlichen Mitleids, als dass jemand es tadeln könnte; aber unglücklicher Weise ruft in der Lage, in welcher ich mich befand, eine Betrachtung eine Idee hervor, auf die schnell eine Andere folgt, und so geschieht es häufig, dass gerade das, was seinem Prinzip nach gut war, in seinen Folgen tadelnswert wird.

Ich näherte mich der Gräfin und mich gegen ihr Ohr neigend, sagte ich ganz leise zu ihr:

»Könnte ich Sie nicht allem einen Augenblick in Ihrem Boudoir sprechen, schöne Freundin?«

Frau von Lignoll stand auf.

»Die Frau Marquise,« sagte sie zu ihrer Tante gewendet, »erlaubt wohl, dass ich sie auf einen Augenblick verlasse?«

»Ja, ja!« antwortete Frau von Armincour. »Ich weiß wohl, dass die jungen Damen immer Geheimnisse haben.«

»Gut, wissen Sie, was diese Damen machen werden?« fiel der Graf mit einem beinahe spöttischen Gelächter ein; »eine Charade in Prosa!«

»Ei, mein Herr,« versetzte die Gräfin, »welche ironische Freude, welche Bitterkeit. Sie haben bis jetzt noch nicht errathen, wie mir scheint, und haben deshalb kein Recht, sich auf unsere Kosten lustig zu machen, oder sich zu ärgern.«

Indes riefen meine Wünsche sehnlich das Ende des Tages herbei und die Nacht säumte lange. Sie kam; ich zitterte vor Freude; man meldete die Baronin an, ich hatte kaum die Kraft meine Bewegung zu verbergen, meine Beine trugen mich kaum, denn es fehlte mir an Beherrschung, meiner Gönnerin eine leichte Verbeugung zu machen; aber sobald die äußerste Aufregung sich gelegt hatte, schlug ich den Weg nach meinem Zimmer ein. Ich hatte mir geschmeichelt, die Gräfin, welche der Baronin die ersten Komplimente machte, würde mein Fortgehen nicht bemerken; aber keine Bewegung des geliebten Gegenstandes entgeht dem wachsamen Auge einer Liebenden. Frau von Lignoll sah mich hinausgehen und rief:

»Sie gehen, Fräulein von Brumont?«

»Ja, Madame!«

»Aber Sie kommen bald wieder, hoffe ich?«

»Oh! ja, Madame, ich werde wiederkommen, ja, ich werde suchen – ja, Madame, so bald als möglich.«

Ich gestehe, dass meine Stimme unterbrochen war, und dass ich zitterte, als ich dieses verhängnisvolle Lebewohl zu ihr sagte. Arme Kleine!

Fünf Minuten später komme ich im Kloster, dieser ersehnten Zufluchtsstätte, an. Eine Nonne öffnet mir das Thor und fragt mich, wer ich sei?

»Die Witwe Grandval.«

»Ich will Sie auf Ihr Zimmer führen.«

»Nein, meine Schwester, sagen Sie mir, wo sind jetzt alle Zöglinge versammelt?«

»Zum Ave, meine Schwester.«

»Wo wird das Ave gesprochen?«

»Aber in der Kapelle!«

»Und die Kapelle?«

»Ist vor Ihnen.«

Ich eilte in die Kapelle, und mein unruhiger Blick umfasst den ganzen Raum. Viele Frauen knieen betend und in Andacht versunken, eine von ihnen besonders.

Mein Herz ist bewegt und droht meine Brust zu sprengen, so ungestüm pocht es. Dies sind ihre langen braunen Haare, ihre feine Taille, ihre zauberischen Reize. Ich gehe einige Schritte nach vorwärts, ich sehe sie! großer Gott!

Faublas, glücklicher Gatte, bemeistere die Gewalt dieses ersten Entzückens. Ich gehe sachte und kniee mich dicht an ihrer Seite nieder.

Frau von Faublas war so in Gedanken versunken, dass sie es nicht bemerkte, als eine fremde Person Platz neben ihr nahm. Ich hörte das glühende Gebet, das sie zum Himmel sandte.

»Großer Gott!« betete sie, »es ist wahr, dass ich eine strafbare Geliebte war; aber Du hast mir gestattet, seine rechtmäßige Gattin zu werden. Ich glaubte, dass diese lange Abwesenheit die Schwäche eines Augenblicks genug gestraft hätte. Wenn jedoch Deine Gerechtigkeit unbeugsam ist, wenn Du in der erhabenen Strenge Deiner Gerichte beschlossen hast, dass mein Vergehen nur durch ewige Trennung gesühnt werden könne; Allmächtiger Gott, Gott der Güte, der Du auch in der Züchtigung Dein unendliches Mitleid kund zu thun liebst, erinnere Dich, dass ich sterblich bin, beschleunige mein Ende, nimm mein Leben! ein schneller Tod wird große Wohlthat für Dein Opfer sein; und wenn Du seinen letzten Wunsch erfüllen willst, so wirst Du erlauben, dass ich noch in meiner letzten Stunde meinen Gatten einmal, nur einmal noch sehe! Du wirst erlauben, dass Faublas mein sterbendes Augenlid schließt und meinen letzten Seufzer empfängt.«

Ich hörte ihr Gebet; meine erste Bewegung war, mich vor sie zu stürzen und mich ihr erkennen zu geben.

Dennoch behielt ich Geistesgegenwart genug, um einzusehen, dass eine auffallende Scene uns zu Grunde richten würde.

Ich besaß Muth genug, um meine Ungeduld zu mäßigen und meine Freude zurückzuhalten. Ich sagte mir: bis der Gottesdienst vorüber und meine Sophie allein sein wird, will ich mich, bevor ich mich ihr entdecken kann, in dem Glücke, sie zu bewundern, berauschen.

Das Ave ist vorüber, Sophie steht auf und sieht mich nicht, weil sie ganz in ihrem Schmerz hingegeben, keinen der Gegenstände und keine der Personen sieht, von denen sie umgeben ist. Ich richte meine Schritte nach den ihrigen ein und folge ihr langsam von hinten. Sie ist soeben aus der Kapelle getreten und will über den Hof gehen. Im Augenblick, wo ich den Fuß hinaussetze, umringen mich mehrere Männer, die plötzlich aus einem Versteck hervorbrechen, und werfen sich auf mich. Die Überraschung und der Schrecken pressen mir einen Schrei aus, einen verzweifelten Schrei, der in Sophiens Ohren wiederhallt. Meine Gattin hat meine Stimme erkannt, sie drehte sich um, allzu früh ohne Zweifel, da sie mich noch bemerken kann.

Ich selbst höre sie eine nutzlose Klage an mich richten; ich sehe sie die Arme gegen mich ausstrecken, ich sehe sie mitten unter den erschreckten Frauen, die sie umgeben, zu Boden sinken! Ach! wo sind meine Waffen? wo sind meine Freunde? Ich werde durch die Anzahl der Häscher überwältigt, sie schleppen mich hinweg von meiner Gattin, die ich vor meinen Augen bewusstlos hinsinken sah!

Grausamer Gott! unbarmherziger Gott! hattest Du das Gebet gehört, das sie soeben an Dich gerichtet?

Vergebliche Ereiferung einer unmächtigen Wuth! nichts kann mich retten. Abermals öffnen sich mir die Thore dieses Klosters, in das ich verwegen getreten bin! man hat mich in einen Wagen geworfen, der plötzlich abfährt und nicht sehr lange rollt. Ich höre unendlich viele Thüren in ungeheuern Angeln knarren; ich sehe ein festes Schloss, die Zugbrücke wird vor mir niedergelassen, ich trete in einen massiven Thurm, dekoriertes Militärs empfangen mich daselbst – ach! ich bin in der Bastille.

Ende der sechs Wochen.


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