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Dritter Theil.

I.

Eine Kugel fährt pfeifend durch die Luft!... Sylvester bleibt stehen und spitzt die Ohren.

Es ist in einer endlosen Ebene von zartem, sammetigem Frühlingsgrün. Der Himmel ist grau und lastet drückend auf den Menschen.

Es sind ihrer sechs bewaffnete Matrosen, auf Recognoscirung, mitten in frischen Reisfeldern, auf schlammigem Pfade.

Wieder derselbe Laut in der Stille der Luft! – ein scharfer, schnarrender Ton, wie ein langgezogenes Dzinn, welcher das richtige Gefühl von dem boshaften kleinen harten Ding gibt, das da ganz gerade, sehr schnell vorüberfliegt und dessen Begegnung tödtlich sein kann.

Zum erstenmal in seinem Leben hört Sylvester diese Musik. Die ansausenden Kugeln klingen anders als die man selber abschießt: der Schuß ist durch die Ferne gedämpft, man hört ihn nicht mehr; desto deutlicher erkennt man dies kleine Metallsummen, das in raschem Fluge vorübersaust, die Ohren streifend.

Und noch einmal dzinn! und wieder dzinn! Jetzt regnet es, nämlich Kugeln. Dicht bei den Matrosen, die plötzlich stehen geblieben, versenken sie sich in den überschwemmten Boden des Reisfeldes, jede mit einem kleinen hagelartigen » Flack«, kurz und trocken, und einem leichten Aufspritzen des Wassers.

Sie sehen sich an und lächeln, wie über eine drollig gegebene Posse und sagen: »Die Chinesen!« Annamiten, Tonkinesen, Schwarzflaggen ist Alles für die Matrosen die nämliche Chinesenfamilie. Wie soll man nur wiedergeben, was sie an Verachtung, an altem spottendem Groll, an Kampflust in die Art, sie anzumelden, legen: »Die Chinesen!«

Zwei oder drei Kugeln pfeifen wieder, diesmal flacher; man sieht sie abprallen wie Heuschrecken im Grase. Er hat keine Minute gedauert, dieser kleine Kugelregen, und schon hört er auf. Auf die große grüne Ebene kehrt die Stille wieder, die vollkommenste Stille, und nirgends sieht man eine Regung.

Da stehen sie noch alle Sechs, mit wachsamem Auge, nach dem Winde spähend, und suchen, woher es gekommen sein mag. Sicher von dort, von dem Bambusdickicht, das in der Ebene eine Art Insel von Federn bildet, unter welchem halb versteckt einige zackige Dächer erscheinen.

Da laufen sie hin; in dem aufgeweichten Boden des Reisfeldes sinken ihre Füße ein oder rutschen aus; Sylvester mit seinen längeren und gewandteren Beinen läuft ihnen voraus.

Nichts pfeift mehr; man meint, sie hätten geträumt. – Und wie in allen Ländern der Welt gewisse Dinge immer und ewig dieselben sind – das Grau des bedeckten Himmels, die frische Farbe der Wiesen im Frühling –, so könnte man glauben, Frankreichs Felder zu sehen, mit jungen Leuten, die lustig darauf hinlaufen, zu einem ganz anderen Spiel als dem des Todes.

Aber indem sie sich nähern, zeigen die Bambusstauden deutlicher die exotische Feinheit ihres Laubes; die Dächer im Dorfe treten schärfer mit ihren fremdartigen Biegungen hervor, und gelbe Männer, die dahinter auf der Lauer sind, nähern sich um zu schauen; ihre gelben Gesichter sind malitiös und furchtsam zusammengezogen; dann, plötzlich treten sie heraus, einen Schrei ausstoßend, und entfalten sich in einer unordentlichen, aber entschlossenen und gefährlichen Linie.

»Die Chinesen!« sagen die Matrosen wieder mit ihrem gleichen tapferen Lächeln.

Aber jetzt finden sie doch, daß ihrer Viele sind, zu Viele, und Einer, der sich umwendet, sieht von rückwärts noch mehr kommen, aus den Gräsern auftauchend.

*

Er war sehr schön in diesem Augenblick, der kleine Sylvester; seine alte Großmutter wäre stolz gewesen, ihn so kriegerisch zu sehen!

Schon seit einigen Tagen wie umgewandelt, gebräunt, mit veränderter Stimme, war er wie in seinem Elemente. In einem Augenblick der größten Unentschlossenheit hatten die Matrosen, durch die Kugeln gestreift, beinahe die Rückwärtsbewegung begonnen, die für sie alle der sichere Tod gewesen wäre; da war aber Sylvester vorangeschritten; er hatte sein Gewehr beim Lauf genommen und hielt einer ganzen Schaar Stand, die er rechts und links niedermähte, mit mächtigen zerschmetternden Kolbenschlägen.

Und Dank ihm stand die Partie nun umgekehrt: die Panik, die Verwirrung, das blinde irgend Etwas, das Alles entscheidet in diesen kleinen undirigirten Schlachten, war nun auf der Seite der Chinesen, die nun begannen, sich zurückzuziehen.

Und nun war es vorüber, sie flohen. Die sechs Matrosen hatten ihre Gewehre in der Schnelle wieder geladen und legten die Feinde mühelos nieder; im Grase waren rothe Pfützen, hingesunkene Körper, Schädel, die ihr Gehirn in den Fluß ergossen.

Sie flohen gebückt, am Boden hin, sich windend wie Leoparde. Und Sylvester hinter ihnen her, zweimal verwundet, von einem Lanzenstich im Schenkel, von einem tiefen Hieb am Arme; aber er fühlte nichts als den Kampfesrausch, diese unbezähmbare Berserkermuth des mächtigen Blutes, die den Einfachsten großartigen Muth verleiht, die im Alterthum Helden machte.

Einer, den er verfolgte, wandte sich und legte auf ihn an, in einem Gefühl verzweifelter Todesfurcht. Sylvester blieb stehen, lächelnd, verachtungsvoll, erhaben, um ihn seine Waffe abfeuern zu lassen; dann warf er sich ein wenig links, als er die Richtung der Waffe wahrnahm. Aber beim Losgehen wich der Gewehrlauf in der nämlichen Richtung ab. Da fühlte er eine Erschütterung in der Brust, und blitzschnell begriff er, noch ehe er Schmerz empfand, was es war. Er drehte den Kopf nach den Seeleuten, die ihm folgten, um ihnen, wie ein alter Soldat, das hergebrachte Wort zuzurufen: »Ich glaub', ich habe mein Theil!« Aber bei dem tiefen Athemholen nach dem raschen Laufe, fühlte er, wie die Luft durch ein Loch in der rechten Brust hereinpfiff, mit einem schauderhaften kleinen Geräusch, wie in einem gesprungenen Blasebalg. Zugleich füllte sich sein Mund mit Blut, während er in der Seite einen stechenden Schmerz fühlte, der schnell, schnell unerträglich wurde, wie etwas Gräßliches, Unbeschreibliches. Er drehte sich zwei- oder dreimal um sich selber, von Schwindel ergriffen, und suchte, bei dieser Masse rother Flüssigkeit, deren Aufsteigen ihn erstickte, Athem zu schöpfen, um dann schwer hinzusinken in den Schlamm.


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