Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Das Altenteil

Am Nachmittag rief er die beiden Mädchen in die Dönze: »Detta und Sophie«, sagte er und legte ihnen die Hände auf die Schultern, »was ich euch jetzt sage, wird euch schwer angehen. Ihr werdet bald freien und dann zieht eine von euch weg von hier und die andere hat ihren Mann.

Bevor ich eure selige Mutter kannte, war ich mit einer anderen versprochen. Wie es kam, daß aus uns kein Paar wurde, das will ich hier nicht sagen. Sie ist unbefreit geblieben. Gestern war ich bei ihr und in vier Wochen wird sie meine Frau.«

Er wartete einen Augenblick und sah aus dem Fenster, dann machte er es auf und rief hinaus: »Hinnerk, mach die Gartentür zu, die Schweine laufen ansonsten in den Blumengarten!« Dann ging er aus der Dönze.

Die Mädchen standen da und sagten nichts. Zuletzt fing Sophie an zu weinen: »Es ist eine Schande.«

Weiter kam sie nicht, denn Detta fiel ihr ins Wort: »Ja, das ist es, daß du gegen unseren Vater so ein Wort in den Mund nimmst. Was Vater tut, wird wohl seine Richtigkeit haben.«

Die ganzen Kirchenleute horchten auf, als das Aufgebot erfolgte und es gab viel Kopfschütteln und Gerede nach der Kirche. Als abends im Alten Kruge der Sägemüller seine Witze darüber machte, meinte der Müller: »Du hast wohl lange kein dickes Maul gehabt?« Und da lachte alles, aber nicht über den Hansbur.

Der ließ sich wenig sehen und als er einmal in das Dorf kam und der Vorsteher ihm zu verstehen gab, daß es doch ein Unsinn sei, daß er noch freien wolle, lachte er und sagte: »Ein guter Rat ist des anderen wert; paß' auf: behalte deine Meinung für dich, Burvogt, und wenn du das nicht aushalten kannst, so berede dich mit deiner Frau im Bette. Und wenn ich dir nicht passe, denn kann ja ein anderer meine Bruchwiesen in Pacht kriegen; es ist Nachfrage genug danach.«

Da hatte der Vorsteher schnell zurückgezogen und so getan, als wenn er bloß Spaß gemacht hätte und sich lang und breit entschuldigen wollen, aber der andere sagte: »Ja, sagte der Zaunigel, so bin ich nun mal: warum setzt du dich gerade auf mich?«

Meta hatte gemeint, eine kleine Hochzeit wäre paßlicher, aber Hehlmann hatte gesagt: »Nix da! Brauchen wir uns denn was zu schämen? Wenn der Hansbur freit, soll man es zehn Meilen in die Runde hören.«

So gingen denn die Hochzeitsbitter Hof bei Hof rund und an die aus der Bekanntschaft, die zu weit anwohnten, schrieb der Bauer, und es wurde eine Hochzeit, wie man sie lange nicht belebt hatte, denn der ganze Vorstand von dem landwirtschaftlichen Verein war in zwei Kutschen gekommen und Gutsherrn und Pächter mit ihren Frauen, so daß es alles in allem an die dreihundert Menschen waren; und Vodegel saß allein im Kruge und ärgerte sich, denn er hatte nicht angenommen.

Auf der Haupttafel auf der Deele stand eine großmächtige silberne Bowle mit einem Schilde und darauf war zu lesen, daß die der landwirtschaftliche Verein in Dankbarkeit seinem lieben zweiten Vorsitzenden zu seinem Ehrentage geschenkt hatte.

Als das Essen meist zu Ende war, stand der Ehrenvorsitzende des Vereins, der Graf Kettenburg, auf und alle Augen wurden rund, als er eine schöne Rede hielt und zum Schluß im Namen des Königs dem Bräutigam einen Orden überreichte wegen seiner Verdienste um die Landwirtschaft, und als er zu der Braut ging und ihr die Hand drückte, da sagte sich Meta, daß dieser Tag viel von den traurigen Jahren gut machte.

Wer sich aber am meisten freute, das war Durtjen; die saß auf ihrem Stuhle und weinte und aß abwechselnd, und ihr Hermen bekam es mit der Angst, denn daß seine Frau das Weinen kriegte, das hatte er noch nie belebt.

Detta hatte sich von Anfang an gut mit Meta gestellt und Sophie hatte die silberne Bowle und die Herren in den Fracks und der Orden zu sehr in die Augen gestochen, als daß sie noch länger die Kalte spielen konnte, zumal der Bäuerin die Gutherzigkeit aus den Augen sah.

Außerdem war die Hochzeit für sie selber auch wichtig, denn beim Essen hatte der Sekretär des landwirtschaftlichen Vereins bei ihr gesessen, und einen so klugen und lustigen Mann hatte sie ihren Tag noch nicht kennen gelernt und noch mit keinem hatte sie so schön tanzen können.

Weil es eine Zeitlang auf der Deele zu voll und zu heiß war, gingen sie in den Hof und vom Hof in den Grasgarten und vom Grasgarten in die Heide und hinterher wußte Sophie gar nicht, was sie von sich denken sollte, denn sie hatte sich von dem fremden Herrn küssen lassen und nicht bloß einmal, und sie hatte ihn wieder geküßt und auch nicht bloß einmal.

Als nach der Hahnenvesper der Wagen vom Hofe fuhr, da winkte sie ihm aus ihrer Dönze nach und dann ging sie zu ihrer Schwester ins Bett und nahm sie in den Arm und weinte ganz gottsjämmerlich und sagte, sie sei ein schlechtes Mensch und Vaters neue Frau sei herzensgut und so schön anzusehen.

Am anderen Tage hatte sie einen Kater, der drei Tage anhielt, denn da kam ein Brief und nun war alles gut und sie lachte und sang den ganzen Tag und war zu ihrer Stiefmutter der reine Honig, so daß Hehlmann den Kopf schüttelte und dachte: »Frauensleute, Frauensleute«, wie Hermen es machte, wenn seine Frau verlangte, daß er lachen sollte.

Es waren vier Wochen hin, da kam Sophie ihrem Vater in den Versuchsgarten nach und sagte: »Vater, ich muß dir etwas sagen: ich muß heiraten!«

Der Bauer machte runde Augen und lachte: »Du mußt? Ich denke, ich habe eine feine Dame zur Tochter und nun freit sie ganz nach der alten Art! Bis wann mußt du denn freien?«

Sophie trampte auf und gab ihrem Vater einen Schlag auf den Arm: »So ist das nicht, bloß ich möchte heiraten. Und damit du Bescheid weißt: der Sekretär Sunder und ich, wir sind uns einig und da haben wir uns das so gedacht: auf die Dauer hat er keine Lusten zu der Schreiberei. Nun liegt am Toten Ort doch die alte Mühle. Beckmann will gern verkaufen; er ist zu alt und Kundschaft hat er kaum mehr. Ich habe die Mühle und das nötige Land schon an die Hand gekauft.«

Hehlmann machte noch rundere Augen, sagte aber: »Man weiter!« und Sophie fuhr fort: »Der Mühlteich hat bestes Forellenwasser, die Beeke erst recht. Weiches Wasser ist auch da durch die Wittbeeke und dann ist allerhand Boden da, warmer und frischer, leichter und besserer. Nun haben wir uns das überlegt, daß wir einen besseren Platz gar nicht bekommen für das, was wir wollen, denn wir wollen etwas Landwirtschaft haben, in der Hauptsache aber Fische, Geflügel, Obst und Gemüse ziehen, alles nur beste Sorten.«

»Karl«, sie wurde rot und Hehlmann lachte, »Herr Sunder sagt, in zwei Jahren spätestens bekommen wir die Bahn; bis dahin sind wir aus dem ersten Bröddel heraus. Wir wollen ganz langsam anfangen; die Brut- und Zuchtanlagen sollen erst aus lauter alten Brettern gemacht werden. Karl kriegt das alles billig.«

»Einrichten tun wir uns erst ganz klein, denn unser Geld brauchen wir für die Wirtschaft. So, Karl hat dreitausend Taler auf der Sparkasse und wenn seine Mutter sterben sollte, bekommt er noch etwas dazu.«

Hehlmann faßte seine Tochter, die nur eine Puppe gegen ihn war, um und kniff sie in die Backen: »Mädchen, Mädchen, das muß ich sagen: dumm bist du nicht. Und der Karl Sunder ist mir auch nach der Mütze. Ich habe seinen Vater gut gekannt; das war ein sehr ehrenwerter Mann und hat aus der alten Klippmühle, die er von seinem Vater hatte, etwas gemacht, trotzdem daß er vier Geschwister abzufinden hatte.«

Na, es ist man gut, daß ich mich vorgesehen habe, denn ihr wollt womöglich schon morgen heiraten und Detta, ja, was machen wir mit der? Die können wir doch nicht so lange in den Backofen schieben? Na, dann schreibe man deinem Karl, er soll so bald wie möglich kommen, daß wir alles in die Reihe bringen.«

Sophie legte ihren Kopf an seine Brust: »Er kommt heute nachmittag schon.« Der Vater sagte nichts als: »Na, das muß ich sagen: ihr habt 'n guten Schritt am Leibe; für euch brauch ich nicht bange zu sein.«

Am nächsten Sonntag fuhr ein Wagen auf den Hof. Als Detta sah, wer darin war, bekam sie einen roten Kopf und lief in die Dönze.

»Sieh, das ist ja mal schön«, rief Hehlmann, als er sah, wer der Besuch war. Es war der Vollmeier Mönchmeyer aus der Allermarsch, einer der besten Züchter im Lande, mit dem Hehlmann gut bekannt war.

Er hatte seinen zweiten Jungen mitgebracht, der ebenso lang und ebenso ruhig war, wie der Vater; der hatte mit Detta auf dem Balle des landwirtschaftlichen Vereins viel getanzt.

Als das Vieh besehen war, sagte Mönchmeyer zu seinem Sohn: »Wenn alles glatt geht, kommst du fein zu sitzen. Aber ob Hehlmann jetzt schon den Hof abgibt? Er ist doch noch wie ein junger Kerl!«

Fritz zuckte die Achseln: »Ja, wenn nicht, dann kann aus der Freierei vorläufig nichts werden.«

Es wurde aber etwas daraus. Dem Hansbur gefiel der Freier, zumal Detta ihm sagte, einen anderen möchte sie nicht leiden. So wurde denn abgemacht, daß der junge Ehemann über den Hof und alles Land, was unter dem Pfluge war oder zu Wiese gemacht war, zu sagen haben sollte; das Unland aber behielt Hehlmann sich vor.

Zwei Monate später wurde die Doppelhochzeit gefeiert; Mönchmeyer, jetzt Hehlmann genannt, trat den Hof an, Sophie zog mit ihrem Manne in die alte Mühle und der Altvater Hehlmann und Meta richteten sich das Altenteilerhaus ein.

Sie kamen sich nicht einsam vor; sie hatten genug zu tun, zumal Hehlmann ein Stück Heide nach dem anderen anforstete und Meta bald auf dem Hofe und in der Mühle Großmutter spielen mußte. Als sechs Jahre hin waren, da war sie sechsfache Großmutter.

Sie hatte schon einen weißen Kopf und auch Hehlmann war nicht mehr so blond wie vordem, aber ihre Liebe blieb jung und die Großmagd sagte zu ihrem Hinnerk: »Junge, wenn du mal so alt bist, wie unser Altvater, ich möchte bloß wissen, ob du dich denn auch noch so hast, wie er sich mit seiner Meta. Erst dacht' ich, ich sollt' darüber lachen, aber wenn ich denke, wie andere Eheleute oft gegen einander sind, wenn sie alt sind, dann bedünkt mich, so ist es doch besser.«

Als Hinnerk sie losgelassen hatte, nahm sie die Forke wieder zur Hand und warf weiter Mist aus und sang dabei das Lied von dem roten Husaren, der sein Liebchen bis über den Tod hinaus liebt.

Als der siebente Winter zu Ende ging, wurde Meta krank; sie hatte sich schwer erkältet und wollte sich gar nicht wieder herausmachen. Sie behielt einen kurzen Atem und war schlecht auf den Füßen und die Besinnung ließ zu Zeiten bei ihr nach; dann vergaß sie alles, was zwischen der Zeit lag, in der sie auf dem Dieshofe gelebt hatte. Aber sie war glücklich, vorzüglich, wenn ihr Mann bei ihr saß und sie im Arm hatte, was er viel tun mußte, da sie sonst nicht warm wurde.

Gegen den Sommer wurde es besser mit ihr, so daß sie im Hause hin- und hergehen und Kartoffeln schälen und Kaffee machen konnte; des Abends aber kamen ihr meist die Gedanken durcheinander und dann hatte sie sich, als wenn sie mit Göde Heimlichkeiten vorhatte und wenn er sie zu Bett brachte, lachte sie vor sich hin und sagte: »Nicht so laut, die andern brauchen da nichts von zu wissen.«

Als die Birken gelb werden wollten, kam Göde eines Abends nach Hause und fror; er hatte sich bei den Fischteichen schwitzig gearbeitet und in der Heide wehte eine scharfe Luft. Am anderen Tage ging es ihm sehr schlecht und als es am dritten Tage nicht besser mit ihm werden wollte, wurde nach dem Doktor geschickt.

Der machte eine krause Stirn und als er an dem Kranken herumgehorcht hatte, sagte er: »Wenn nicht ein Wunder geschieht, kriegen wir ihn nicht durch; er hat eine ganz gefährliche Lungenentzündung.«

Es war, als wenn Meta dadurch, daß ihr Mann krank war, auf einmal ganz gesund wurde. Sie war von seinem Bette nicht fortzukriegen.

»Heute ist mir besser, Meta«, sagte der Kranke am sechsten Morgen. »Wir haben doch noch schöne Tage miteinander gehabt, meine Meta«, und seine Hände, die ganz mager geworden waren in den Tagen, drückten ihren Kopf an seine Brust.

»Meine Meta, meine gute Meta«, sagte er dann und ihr war, als wenn er sie küssen wollte. Aber er schlief schon wieder ein.

Als Detta nach ihrem Vater sehen wollte, lag er tot im Bette und hatte ein freundliches Gesicht; die Stiefmutter aber saß im Backenstuhl neben dem Ofen und schlief vor Schwäche.

Die Bäuerin schlug die Schürze vor das Gesicht und ging schnell über die Deele und winkte der Großmagd, sie sollte mit dem Singen aufhören, denn sie sang wieder:

Es war einmal ein roter Husar,
Der liebte sein Mädchen ein ganzes Jahr,
Ein ganzes Jahr und noch viel mehr,
Die Liebe nahm kein Ende mehr.

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