Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Das Hausbuch

»Johannes Gotthard Georgius soll er heißen«, sagte der Hansbur.

Den ganzen Sonntag nachmittag hatte er in der Dönze gesessen und in dem Hausbuche gelesen.

Das war ein altes Buch in Schweinsleder gebunden und mit einem Schlosse aus Messing. Auf der ersten Seite war dieser Spruch zu lesen: »De Mensche van ejner Frouwen geboren leuet ejne Korte tidt unde is vull vnrowe.«

Allerlei war darin zu lesen, von Kriegsnöten und Pest, Mord und Brand, von hungrigen Zeiten und fetten Jahren.

Fromme Sprüche waren darin aufgezeichnet und alte Mittel, dem Vieh zu helfen mit Kräutern und Besprechung.

Unterschiedlich war die Handschrift, bald kraus und bunt, bald steif und steil; hier wie gestochen, und da krumm und schief, wie Fuhrentelgen.

Absonderliche Belebnisse standen darin: »Die Wölfe haben so gehecket, dieweil keiner ist, der ihnen zu Leibe gehen kann, daß wir uns deren nicht erwehren können. Gestern sind wieder drei Schafe weniger in den Kaben zurückgekommen, als morgens herausgelassen waren. Das sind siebzehn Stück in diesem Frühjahre.«

Hehlmann blätterte um, denn das war es nicht, was er suchte. Aber dieses hier mußte er doch lesen: »Der englische Schweiß geht wieder im Lande um. Im Ohldörpe sind letzte Woche bei zwanzig Leute abgestorben, die mehrsten vor dem dritten Tage. In Lichtelohe sind sieben neue Gräber bei der Kirche. Herr, halte deine Hand über uns.«

Hehlmann blätterte zurück; da stand zu lesen: »Des Herrn Wege sind wunderlich. Johann Detel Georg Hehlmann hat uns ein Schreiben zukommen lassen. Zweimal zehn Jahre ist er verschollen gewesen für uns. Er hat mit Bravour gegen die Türken gefochten und ist immer mehr geworden, zuletzt ein hoher General und

Anführer über viele Kriegsvölker. Der Kaiser hat ihm große Güter gegeben und einen Grafen aus ihm gemacht, so daß er jetzt Graf Hehlmann von Gollenstedt geheißen wird. Hier hatte er nicht taugen wollen.«

Darunter stand: »Ohm Hein sagt, er hat sechs Finger an jeder Hand gehabt und sein Haar ist in zwei Wirbeln gelegen.«

Hehlmann sah auf: das war der erste mit Beifingern und mehr als einem Haarwirbel. Der hatte es zu etwas gebracht, aber sein Geschlecht war bald ausgestorben und die Güter waren wieder dem Kaiser zugefallen. Ein Hehlmann hatte darum geklagt; die Herren vom Gericht hatten aber herausgefunden, daß die Verwandtschaft zu weitläufig war.

Der Bauer dachte nach. »Detel soll er nicht heißen«, beschloß er bei sich. »Drei Namen haben wir alle. Der erste ist immer der alte Name, wonach die Bauern solange Hansbur hießen, bis die Regierung befahl, daß sie sich nach einem Beinamen umsehen mußten. Auf den dritten Namen kommt es nicht an, aber auf den zweiten, denn mit dem wurden sie gerufen. Und Detel war kein guter Name.«

Er las weiter. »Johann Hinrich Detel« stand da und ein Kreuz dahinter und die Worte: »Der Herr erbarme sich seiner armen Seele.«

Weiter stand nichts da, aber mit anderer Schrift war an den Rand geschrieben: »Er hat im Kruge zu Eschede im Mai 1711 einen Handelsmann mit dem Messer beim Kartjen erstochen. Am 8. Juni mit dem Schwerte zu Zelle vom Leben zum Tode gebracht. In den Gerichtsakten steht als absonderliches Merkzeichen: Er hatte eilfen Finger.«

Hehlmann machte die Stirne kraus. Also Hinrich, das ging auch nicht. Und einen neuen Namen wollte er nicht haben für den Jungen.

Er schlug weiter um. Über die Frauennamen las er weg. Aber bei dem einen blieb er doch hängen. »Dorothea Hille Sophia Hehlmann, geb. 13. Mai 1773. Gest. 13. Mai 1813. Sie hat sich weggeschmissen.«

Mit roter Tinte stand in zierlicher Schrift am Rande: »Wir wollen keinen Stein auf ihr werfen. Sie soll ausnehmend schön gewesen sein und ist nach vielfachen Fahrten eines achtbaren Mannes ehelich Weib geworden. Gotth. H. Hehlmann, P.«

Der Wigelwagel pfiff in den Hofeichen und schrie hinterher ganz unmäßig. Hehlmann war es so, als ob er Detel oder Hinrich schrie.

»Nein, Detel und Hinrich sind keine Namen für meinen Jungen«, dachte er, »so scharf und spitz, das hat keine Art. So ein Name, der muß sein, daß er in sich selbst Bestand hat.«

Er blätterte wieder weiter. »Johannes Gotthard Hinrich Hehlmann, Pastor zu Lichtelohe. Sein Andenken bleibt ewiglich in Ehren. Er war ein frommer Knecht des Herrn.«

Hehlmann nickte. »Gotthard hört sich vortrefflich an, ruhig und sinnig. Das ist ein Name, der einem Manne zu Gesichte steht, wie ein ehrbarer Rock.«

Er schlug weiter um: »Johannes Gotthard Antonius. Er war ein Mehrer des Hofes und hat ihn aus den Schulden herausgebracht.«

Hehlmanns Augen wurden hell. Es kamen zwei leere Seiten, dann vier Seiten mit frommen Sprüchen und Heilmitteln für das Vieh, und dann stand wieder da: »Johann Gotthard Hermen; ist über achtzig geworden und hatte noch alle Zähne und solche Kraft, daß er das junge Volk bei der Arbeit hinter sich ließ. Er hatte für jedermann einen Rat und ein trostreiches Wort und wurde in allen Nöten des Leibes und der Seele um Hülfe angegangen. Wenn einer, so ruhet er in Abrahams Schoß.«

Der Bauer tauchte die Feder ein und schrieb: »Johannes Gotthard«, dann besann er sich eine Weile nach einem dritten Namen und schrieb »Georgius«, denn so hieß der nächstverwandte Hehlmann, Ohm Jürn, der die Schnucken unter sich hatte.

Hehlmann scharrte Sand von den Dielen, streute ihn auf die Schrift, las noch einmal, was er geschrieben hatte, und sprach vor sich hin: Johannes Gotthard Georgius«, und nach einer Weile: »Gotthard Hehlmann.«

Dann schlug er das Buch zu und legte es in die Beilade.


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